Peter Turrini

Meine Angst
du könntest entdecken
dass ich eine Andere
neben dir liebe
ist schrecklich.

Meine Entdeckung
dass du einen anderen
neben mir liebst
ist schrecklich.

Wie kannst du mir
etwas so schreckliches
antun?

Das Schlimmste ist
die Suche nach dem Vertrauen.

Jede Anstrengung
es wiederzufinden
macht uns noch mißtrauischer.

Wir entdecken
dieses und jenes
aber es ist nicht das
was wir suchen.

Was wir suchen
ist die Bestätigung
unseres Mißtrauens.

ICH
denke immer daran
dass du ja
deinen Orgasmus kriegst.

DU
denkst immer daran
dass ich ja
nicht zu früh abspritze.

WIR
beschließen
dass wir nicht
an den Orgasmus denken.

WIR
denken daran
dass wir nicht
an den Orgasmus
denken sollen.

Wenn ich erschossen
auf dem Bett liege
mich vom hohen Felsen
stürze
oder stranguliert von der Decke baumle
wirst du mir dann glauben?

Was
so frage ich mich
sollst du mir glauben?

Am höchsten Gipfel der Worte
werde ich einen Galgen errichten.
Daran wird baumeln:
Alles Geflüsterte.
Alles Sehnsüchtige.
Alles Versprochene.
Alles Erdenkliche und Erdachte.
Wohl formuliert
Gut stranguliert.

Aus dem Buch von Peter Turrini
"Im Namen der Liebe"
©Erschienen 1993, 1999, 2001
im Luchterhand Literturverlag, München

Im Sommer
steckten sich die Freunde
meines älteren Bruders
Tannenzapfen in die Badehose
und stolzierten damit
vor den verschämt wegschauenden Mädchen
auf und ab.
Dieser Betrug flog auf
als ich mir
zwei Tannenzapfen
in die Badehose
steckte

Ist diese Müdigkeit
die mich plötzlich überfällt
der Mantel über alle Tränen
meiner Kindheit?

Sind diese Schmerzen
die mich quälen
eine Aufforderung
noch einmal
zurückzugehen?

Ist diese Gleichgültigkeit
die ich spüre
wenn andere leiden
die Angst davor
zu ihnen zu gehören?

Ich halte mich
mit aller Gewalt
gegen mich selbst
aufrecht.

Ich freue mich auf den Tag
und sei es ein halber
an dem die Väter den Platz
neben ihren Kindern einnehmen

Ich freue mich auf den Tag
an dem die Mütter
ohne ihr Ansehen zu verlieren
den Vätern diesen Platz
geben.

Die Mutter steht
in der Küche
und weiß nicht
ob sie auf mein Weinen
oder den Unmut des Vaters
reagieren soll.

Sie steht
vor dem heißen Herd
schwitzt
hebt die Schultern
lächelt ein wenig
und versucht
zu vermitteln.
Ein Leben lang.

Ich verlange
auf der Stelle
eine Entscheidung.

Im Augenblick der größten Verzweiflung
schweige ich.
Ich hätte nur sagen können
dass die Dinge
keinen Namen mehr haben.
Aber auch für diesen Satz
fehlten mir die Wörter.
Also war ich still.
Und erwachte mit einem lauten Schrei.

Aus dem Buch von Peter Turrini
"Ein paar Schritte zurück"
©Erschienen 2002 im Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main

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An dieser Stelle möchte ich mich nochmals herzlich bei Herrn Turrini für seine Mitwirkung vor 23 Jahren im Club2 bedanken.
Herr Turrini weiß warum ich diese Zeilen schreibe denn ihm verdanke ich meine heutige Lebenseinstellung.

Vielen Dank lieber Peter Turrini! Auch und nicht zuletzt für die
Rechte, Ihre Texte hier veröffentlichen zu dürfen!

Peter Turrini
Peter Turrini, 1999 / ©Bild: APA/Robert Jäger