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1998 Projekt mit der Wiener Obdachlosenzeitung "Augustin". Zum Augustin
Im Rahmen der Einladung des Künstlers Armin Klein zur Kunstaktion "Adventkalender" in Lienz kam es zur Zusammenarbeit mit dem Medium "Augustin" und verschiedenen Tiroler Institutionen.
Die angebotene Fläche auf der Fassade der Liburg, des Lienzer Rathauses, sollte als Projektionsfläche für ein verschwiegenes, verdrängtes lokales soziales Problem dienen.
Armin Klein hat in Lienzer Raum die Situation in einer Barackensiedlung recherchiert, als Artikel im "Augustin" publiziert, die Titelseite der Zeitung als überdimensionale Reproduktion auf der Fassade des Rathauses montiert und die Zeitungen unter Mithilfe von Schülern eines Lienzer Gymnasiums an Passanten und Zuseher der Kunstaktion verkauft.
Der in der Obdachlosenzeitung "Augustin" im Dezember 1998 publizierte Artikel:
Der Augustin blickt nach Lienz. Im Rahmen der Kunstaktion "Adventkalender" bei der unsere Zeitung vom Osttiroler Künstler Armin Klein in Lienz vorgestellt wird, interessiert uns natürlich die Situation der Obdachlosen auf dem Land oder jener Menschen die von der Obdachlosigkeit bedroht sind. Es kommt bekanntlich ein großer Teil der Obdachlosen die in Wien oder in den Landeshauptstädten leben aus den Regionen. Zum Teil freiwillig, weil Obdachlosigkeit in der Kleinstadt oder in einem Dorf eine zu große Belastung für alle Betroffenen bedeutet und weil es keine Infrastruktur und Hilfe gibt. Aber man hört auch immer wieder von den "Neuankömmligen" in Wien, dass ihnen von der Exekutive eine Bahnkarte der Bundesbahnen in die Hand gedrückt wurde. Nur die Hinfahrt natürlich.
"Obdachlosigkeit gibt es in Lienz nicht!" So ein Mitarbeiter vom Sozialamt. Lienz hat dieses Problem im wahrsten Sinne aus dem Blickfeld gedrängt. Am äußersten Rande der Stadt liegt der industrielle Ortsteil Peggetz, in dem noch zwei übriggebliebene Wehrmachtsbaracken aus dem zweiten Weltkrieg stehen. Insgesamt wohnen etwa 40 Personen in diesem Klein-Ghetto. Jede dieser Baracken besteht aus mehreren "Wohneinheiten". Die Frau Lofeier von der Caritas Lienz meint: "Vegetiereinheiten wäre vielleicht der bessere Ausdruck für den Zustand dieser Hütten. Die Baracke Nr. 15 ist fast noch eine "Komfortbaracke" im Vergleich zur Baracke Nr. 23. Es gibt hier wenigstens eine Dusche am Gang. Deshalb leben in diesen Einheiten auch die Familien mit Kindern". In der zweiten Baracke, in die immerhin kürzlich Wasser eingeleitet wurde, wie man vom Sozialamt Lienz bekräftigt, wohnen ausschließlich allein stehende Männer, teils mit psychischen oder auch mit Alkohol- Problemen. Vor kurzem ist in einer dieser Wohnungen ein Mann an Lungenentzündung gestorben. Es gab lautstarke Diskussionen darüber, wieweit der Tod des Mannes mit den Wohnbedingungen der Baracke zu tun hatte.
Taucht in Lienz ein akutes Wohnungsproblem auf, ist jemand von Delogierung bedroht und ist es dem Betroffenen nicht möglich die Miete einer neuen Wohnung zu bezahlen. wird ihm ein Platz in einer der Baracken angeboten. Für die Betroffenen ist das eher als Drohung zu verstehen, denn als hilfreiches Angebot. Zum einen ist es für die Einheimischen eine "Schande" in einer der Peggetz-Baracken zu wohnen, hört man doch schon als Kind nicht selten: Sei brav in der Schule, sonst kommst du zu denen in der Peggetz! Zum anderen sind die Wohnbedingungen dermaßen extrem, dass fast jede andere Möglichkeit besser scheint. So mancher nimmt lieber den Zug nach Innsbruck oder nach Klagenfurt, dort findet er zumindest die allernotwendigsten Hilfestellungen, ohne gleich zwangsweise resozialisiert zu werden.
Der Verein "Teestube", der die Obdachlosenberatung in Innsbruck betreibt, berichtet von den Wegen in die Obdachlosigkeit, die für Tirol klassisch sind: Saisonarbeiter aus den Tälern ziehen auf der Suche nach Arbeit in die großen Tourismuszentren. Dem Scheitern an den extremen Anforderungen der Branche folgen oft Alkoholismus, Verlust der Arbeit und das Zerbrechen von Beziehungen. Ist auch noch das Verhältnis zur Heimatregion schlecht, ist die Gefahr zur Obdachlosigkeit schon sehr groß. Einen weiteren Weg zum Leben auf die Strasse bedeutet oftmals die Einweisung in die Nervenheilanstalten. Hubert Katzlinger vom "Zwanzger" bestätigt, dass sich immer wieder frisch entlassene Patienten der Nervenheilanstalt Hall bei Innsbruck bei der Betreuungsstelle "Teestube" melden.
Sicherlich ist es im ländlichen Raum so, dass die sozialen Strukturen sehr engmaschig sind, und man nicht leicht herausfällt. Ist das allerdings einmal passiert, und ist man vielleicht auch noch "stigmatisiert" mit Alkoholismus, dem Scheitern am Arbeitsmarkt oder gar der "Schande" zwangseingewiesen gewesen zu sein, gibt es wohl nichts schwereres als eine Rückkehr. Besonders wenn dort, hat man keine familiäre Unterstützung, nur mit der Baracke ausgeholfen werden kann. Das Lienzer Sozialamt verteidigt diese Vorgangsweise. Als Beweis für die Zumutbarkeit der "Wohnungen" in den Baracken werden immer wieder Aussagen von Bewohnern zitiert, die lauten : "Wir sind froh, dass wir hier sein können!", oder "Wir möchten gar nicht mehr in die Stadt hinauf!". Bei der Caritas werden diese Aussagen bestätigt, aber anders interpretiert. Frau Lofeier meint, dass die Mieten auch der günstigen Gemeindewohnungen immer noch abschreckend hoch sind. Auch laufende Exekutionsverfahren wirkten nicht gerade motivierend auf den Versuch zum Wiedereinstieg. Paradoxerweise ist es gerade die kaum noch verschlimmerbare Situation, die, hat man sich einigermaßen eingerichtet, auch ein bestimmtes Maß an Sicherheit vermittelt. Wie sollte es auch noch schlimmer kommen? Es kann durchaus! Vor wenigen Jahren hat es den Versuch der Stadt Lienz gegeben einen der "Mieter" aus seiner Baracke zu delogieren. Eine Aktion der Osttiroler Künstler brachte genug Geld um das noch zu verhindern. Die Baracken sind keineswegs umsonst, sie gelten als Gemeindewohnungen. Die Einheiten sind durchschnittlich 22 Quadratmeter groß, und die Miete beträgt, wie das Sozialamt angibt, etwa 400 Schilling. Lebt jemand ausschließlich von der Sozialhilfe, sind vielleicht auch noch ein oder zwei Kinder da, ist nicht schwer vorstellbar, dass auch die zugegeben geringe Miete nicht erschwinglich ist.
Findet man nicht gerade in der Umgebung Arbeit, ist es durch die Randlage fast nicht möglich ohne Fahrzeug einer Arbeit nachzugehen. Für den Fall, dass man mit dieser Adresse überhaupt Arbeit findet.
Das Sozialamt Lienz betrachtet die Baracken als vorübergehende Lösung für die Wohnprobleme der einzelnen Bewohner. Man sei bestrebt, sie in günstige Gemeindewohnungen in Lienz oder Umgebung zu vermitteln, was auch geschehe. Bei der Caritas Lienz nachgefragt hört man, dass diese Verbesserung nur in einzelnen Fällen funktioniere.
Im Gespräch mit dem Sozialamt hört man immer wieder das Argument: Besser die Baracken als gar nichts! Das stimmt natürlich, es sind allerdings auch die Wohnkartons der Obdachlosen in London besser als gar nichts. Es fragt sich nur, ob dieses "gar nichts" unbedingt die Alternative sein muss. Es könnte beispielsweise bei großen Bauprojekten von Gemeindewohnungen pro 20 Wohnungen eine Kleinwohnung gewidmet für soziale Notsituationen verpflichtend miterrichtet werden. Somit wäre eine Ghettoisierung vermeidbar und den Betroffenen würde neben ihrer ohnehin belastenden Situation wenigstens die Demütigung erspart bleiben.