Aviator

(The Aviator)

USA 2004, 170 Min.

Regie: Martin Scorsese

Biopics sind momentan voll im Trend - und offenbar auch bei der Oscar-Jury sehr beliebt, immerhin entstammen gleich 3 der für die höchste Auszeichnung nominierten Filme aus diesem Genre. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten für diesen Preis ist sicherlich Martin Scorsese’s Verfilmung des Lebens von Visionär Howard Hughes – in dem er eindrucksvoll beweist, wie nah Genie und Wahnsinn oftmals beieinander liegen... 

Für seinen Film "Hell's Angels" scheut der Millionenerbe Howard Hughes (Leonardo DiCaprio) keine Kosten: Mit einer richtigen Armada von Flugzeugen dreht er die spektakulären Flugszenen - nur um dann zu bemerken, dass man die Geschwindigkeit gar nicht nachvollziehen kann, da am Himmel die Bezugspunkte fehlen. Er beschließt, alles nochmal zu drehen, und diesmal darauf zu achten, dass sich Wolken im Hintergrund befinden - doch bis es soweit ist, vergehen Wochen. Danach hat er die entsprechenden Szenen endlich im Kasten, da muss er bei einem Kinobesuch erkennen, das Stummfilme mittlerweile veraltet wirken, und so wird der gesamte Film erneut überarbeitet. Nach einigen Jahren und (für damalige Zeiten) unvorstellbaren Produktionskosten kommt der Film dann schließlich ins Kino, und auch wenn Hughes an seinem Werk immer noch einiges auszusetzen hat, wird "Hell's Angels" ein Riesenhit. Doch nach ein paar weiteren Filmen beginnt sich Howard Hughes mehr und mehr für Flugzeuge zu interessieren und gründet schließlich eine eigene Fluglinie. Doch dabei investiert er in Flugzeuge, die nie ausgeliefert werden, und Projekte, die unrealisierbar scheinen. Und spätestens als er lautstark verkündet, dass er das Monopol von PanAm auf Auslandsflüge brechen will, schafft er sich einen unvorstellbar mächtigen Feind, der sein ohnehin nicht gerade lukratives Geschäft endgültig zu vernichten droht. Mit der Zeit leidet Hughes zudem zunehmend an Angstzuständen und Paranoia - bis er sich schließlich nach einem schweren Flugzeugabsturz völlig von der Außenwelt abschottet... 

Der Anfang von Aviator, in dem sich Martin Scorsese mit den schwierigen Dreharbeiten zu "Hell's Angels" befasst, ist für mich zugleich auch der beste Teil des Films. Für mich als Filmfan war es einfach faszinierend, einen Blick hinter die Kulissen zu machen und zu erleben, wie richtiggehend besessen Howard Hughes beim Filmemachen war und unter welchen teils widrigen Bedingungen diese Filme in den 30er-Jahren überhaupt entstanden sind. Deshalb fand ich es auch etwas schade, dass sich "Aviator" nur der Produktion von Hughes' erstem Film angenommen und seine weiteren Werke wie "Scarface" und "The Outlaw" nur mehr äußerst stiefmütterlich behandelt hat. Gerne hätte ich noch mehr von exzentrischen und perfektionistischen Filmemacher gesehen - was ein Grund sein mag, warum mich der Teil rund um seine Fluglinie vor allem zu Beginn nicht so recht begeistern konnte. Ein weiterer Grund ist wohl, dass ich zwar Hughes' Faszination zum Thema Film teile, nicht jedoch jene fürs Fliegen, und leider wird dem Zuschauer erst in der letzten Szene des Films gezeigt, weshalb er sich überhaupt so fürs Fliegen interessiert - was zwar einen durchaus gelungenen Abschluss für den Film darstellt, aber im Endeffekt denke ich dass es doch besser gewesen wäre, diese Szene schon früher zu zeigen, um Hughes Obsession mit dem Thema fliegen zu erklären. Nichtsdestotrotz ist der Film auch während des "Durchhängers" noch durchaus unterhaltsam und kann mit einigen tollen Szenen aufwarten. Und spätestens nach dem wirklich brutal-genial inszenierten Flugzeugabsturz ist man wieder ganz in Hughes' Welt gefangen und von dieser sowohl genialen als auch problematischen Figur fasziniert...

Doch bevor wir uns erneut mit den positiven Aspekten dieser Produktion auseinandersetzen möchte ich noch einmal mit dem Durchhänger beschäftigen - dürfte doch auch der größte Kritikpunkt, den ich gegenüber "Aviator" vorzubringen habe, seinen Teil dazu beigetragen haben, dass mich der Mittelteil des Films nicht so recht beigeistern konnte: Martin Scorsese beschäftigt sich nur äußerst auszugsweise mit Hughes' Leben und zeigt uns zwar in der genialen Einstiegssequenz den Ursprung von Hughes' Angst vor Krankheiten, versäumt es jedoch uns die Gründe für dessen Obsession und Faszination im Bereich Film und/oder Fliegen näher zu bringen. Man versteht nicht, warum ihm das Filmemachen und das Fliegen so viel bedeuten, und kann deshalb auch seine Besessenheit nicht so recht nachvollziehen. Auch  für seine Paranoia gegenüber Menschen (also das er glaubt, überall Spione in seinen Reihen zu entdecken, die ihm schaden wollen) werden dem Zuschauer leider keine Gründe geliefert. Und so kann man leider teilweise sowohl seine Besessenheit als auch sein paranoides Verhalten nicht so recht nachvollziehen, wodurch Abstand zum Zuschauer aufgebaut wird, durch den Martin Scorsese seine Filmfigur so vom Zuschauer abschottet, wie Hughes das später mit der Außenwelt getan hat. Dies mag beabsichtigt sein oder auch nicht, jedenfalls gelingt es "Aviator" aufgrund dieses Problems nie so recht, den Zuschauer zu berühren und in seinen Bann zu ziehen. Teilweise übertreibt es Martin Scorsese auch in einzelnen Einstellungen - z.B. als er den ersten großen "Anfall" hat, bei dem er wie bei einer springenden Schallplatte den selben Satz wieder und wieder wiederholt. Anfangs fühlt man sich nämlich noch unbehaglich und fragt sich, was mit ihm wohl los sein mag, doch die entsprechende Szene dauert so lange das es mit der Zeit einfach nur mehr nervt. Man möchte Scorsese förmlich anschreien "Ja, ok, der Typ hat 'ne Schraube locker, wir haben's kapiert. Können wir uns jetzt BITTE wieder der Handlung zuwenden?". 

Apropos zuwenden... werfen wir doch mal einen Blick auf die schauspielerischen Leistungen der Protagonisten. Die beste Performance des Films vollbringt wohl eindeutig Cate Blanchett. Katharine Hepburn war zwar etwas vor meiner Zeit, weshalb es mir schwer fällt zu beurteilen, wie "authentisch" sie in ihrer Darstellung ist, aber glaubhaft war ihre Performance allemal. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, hier eine Schauspielerin zu sehen, die eine der größten Ikonen der Filmgeschichte portraitiert, sondern es wirkte auf mich so, als würde eben jene Legende selbst über die Kinoleinwand wandern. Cate Blanchett bringt sehr viel Energie, Leben und Glaubwürdigkeit in die Rolle ein, und wäre meines Erachtens wirklich eine würdige Oscar-Gewinnerin. Doch auch die in Kritikern oftmals gescholtene Kate Beckinsale konnte mich durchaus überzeugen - dass sie nicht ganz so glänzt wie Blanchett liegt meines Erachtens eher an der weniger interessanten Rolle als an einem mangelnden Talent ihrerseits. Die größte Last des Films liegt aber natürlich auf den Schultern von Leonardo DiCaprio - und obwohl dieser wirklich tut was er kann, konnte mich just seine Figur am wenigsten überzeugen. Dies liegt allerdings NICHT an seiner darstellerischen Leistung, sondern er ist für mich einfach der falsche Schauspieler für diese Rolle. Den Frauenheld kann ich Leo ja noch abnehmen, aber gerade als schon etwas älterer Hughes fällt er meines Erachtens völlig durch. Selbst mit Vollbart wirkt er immer noch wie ein 20-jähriges Milchbubi. Ich hatte ständig das Gefühl, maximal einen Mid-20er vor mir zu sehen, wenn Hughes zu diesem Zeitpunkt doch in Wahrheit schon viel älter war. Eben dadurch ist es teilweise schwer, ihm seine Darstellung als Howard Hughes abzunehmen - auch wenn die schauspielerische Leistung an sich wieder mal sehr gut (wenn auch nicht überragend und damit oscar-würdig) war...

Die wahre Glanzleistung des Films vollbringt jedoch Regisseur Martin Scorsese, der mit diesem Film erneut seinen Status als einen der größten Regisseure aller Zeiten unterstreicht. In "Aviator" präsentiert er eine gewohnt hochwertige Inszenierung mit einigen wirklich denkwürdigen Einstellungen und genialen Bildern. Insbesondere die atemberaubenden Flugszenen zu den Dreharbeiten von "Hells Angels", in denen er auch immer wieder Hughes Genie Tribut zollt, konnten mich in ihren Bann ziehen. Auch der wirklich brutale Flugzeugabsturz reißt einen förmlich aus dem Sitz. Wie von Scorsese gewohnt zeichnet sich "Aviator" jedoch auch abseits von actionreicheren Szenen durch eine stilvolle Inszenierung aus, die mich wirklich begeistern konnte - weshalb ich Scorsese den lange überfälligen und hochverdienten Regie-Oscar von ganzem Herzen gönne...

Fazit: "Aviator" ist ein beeindruckendes Tribut für einen der größten Visionäre der Film- und "Flug"geschichte, das mit guten bis großartigen schauspielerischen Leistungen aufwarten kann und mit einigen wirklich beeindruckenden und schönen Bildern das Auge des Zuschauers verwöhnt. Die fehlende emotionale Resonanz meinerseits ist jedoch schon ein Punkt, den ich nicht so einfach ignorieren und/oder ungestraft lassen kann. Den Regie-Oscar hat sich Martin Scorsese zwar für diesen Film absolut verdient, den Oscar für den besten Film würde ich aber doch eher "Million Dollar Baby" gönnen. Nichtsdestotrotz wäre "Aviator" auch in dieser Kategorie durchaus noch ein würdiger Sieger...

Wertung:   (8/10)             

 

Verfasser: cornholio

 

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