Babel

USA 2006, 151 Min.

Regie: Alejandro González Iñárritu

Vielerorts wird "Babel" als filmisches Meisterwerk gefeiert - eine Einschätzung, der ich doch recht vehement widersprechen muss. Ich behaupte keineswegs, "Babel" wäre ein schlechter Film, aber um ihn in einem Atemzug mit Filmen wie "Brokeback Mountain", "München" oder "Million Dollar Baby" nennen zu können, mangelt es insbesondere an Nachvollziehbarkeit und emotionaler Intensität.

Alles beginnt mit einem Schuss: Zwei jungen Marokkanern wurde von ihrem Vater ein Gewehr übergeben, dass er kurz zuvor gekauft hat. Sie sollen damit auf Raubtiere schießen. In jugendlichem Leichtsinn wollen sie testen, wie weit das Gewehr schießen kann - und zielen dabei auf einen Bus voller Touristen. Ihr Schuss trifft Susan (Cate Blanchett), die mit ihrem Mann Richard (Brad Pitt) eigentlich nach Marokko gekommen ist um ihre Beziehungsprobleme zu bewältigen und wieder zueinander zu finden. Nun versucht Richard verzweifelt, einen Arzt aufzutreiben und das Leben seiner Frau zu retten. Aufgrund dieses tragischen Zwischenfalls ist es ihm auch nicht möglich, einen anderen Babysitter für seine Kinder zu engagieren - und das obwohl er seiner Haushälterin eigentlich zugesichert hatte, dass sie zur Hochzeit ihres Sohnes nach Mexiko fahren kann. Nun entschließt sie sich in ihrer Not, die Kinder einfach mitzunehmen. Zwar werden die beiden Kleinen von einigen barbarisch anmutenden Gebräuchen verschreckt, alles in allem verbringt man allerdings eine schöne Zeit. Doch auf dem Weg zurück kommt es zur Katastrophe. Während die beiden jungen Marokkaner verzweifelt versuchen, ihre Beteiligung am Überfall auf den Reisebus zu verschleiern, führt die Polizei die Spur des Gewehrs nach Japan, genauer gesagt zu einem Geschäftsmann der dieses früher besaß. Dessen Tochter ist taubstumm, und nach dem Selbstmord ihrer Mutter in schwere Depressionen verfallen. Durch den Polizisten, der sie zu ihrem Vater befragen will, schöpft sie neue Hoffnung auf Zuneigung und Liebe... 

Ein Schuss, vier Schicksale: Die größte Stärke von "Babel" ist die gelungene Verknüpfung der Episoden. Durch eine einzige unbedarfte Handlung gerät das Leben von 4 Familien auf 4 verschiedenen Kontinenten durcheinander. Die einzelnen Episoden werden jedoch nicht chronologisch erzählt, stattdessen findet jede der vier Handlungen zu einem anderen Zeitpunkt statt - wenn es auch nur ein paar Tage, ja teilweise auch nur Stunden früher und/oder später ist. Trotzdem verleihen diese gelungenen Sprünge durch die Zeit dem Film einen ganz eigenen Reiz - der jedoch auch besondere Aufmerksamkeit vom Zuseher erfordert. Doch nicht nur die gelungenen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Episoden wissen zu gefallen, wurde doch jede der Handlungen mit einigen guten Einzelszenen ausgestattet, welche die Entfremdung und sprachliche und/oder kulturelle Barrieren in den Mittelpunkt rücken. Das Highlight war ohne jeden Zweifel die von Gustavo Santaolalla (dessen Soundtrack von diesem Moment und der gelungenen Abspann-Untermalung mal abgesehen eher unscheinbar und durchschnittlich ausgefallen ist) mit dem bereits aus Deadwood bekanntem "Iguazo" unterlegte Montage gegen Ende des Films. Auch die Schauspielerriege ist über jeden Zweifel erhaben. Während man sich von Schauspielgrößen wie Brad Pitt und Cate Blanchett (übrigens die einzigen wirklichen Stars im Film) nichts anderes erwartet, wissen auch die zahlreichen bisher unbekannten Gesichter völlig zu überzeugen. Was die Bilder betrifft, habe ich zwar in den letzten Jahren schon deutlich besseres gesehen, trotzdem offenbart "Babel" auch in dieser Hinsicht eine durchaus ansprechende Qualität. 

Leider war es das auch schon mit den Stärken des Films - denn so gut mir einzelne Aspekte von "Babel" gefallen konnten, es gibt leider für mich auch einige gravierende Kritikpunkte: Der wohl wichtigste sind einige unlogische, unverständliche und nicht nachvollziehbare Handlungen der Protagonisten. Da besteht Brad Pitt darauf, dass der Bus gemeinsam mit den Reisenden im kleinen Dorf ausharrt, obwohl er doch ohnehin auf einen Krankenwagen wartet. Da geht die mexikanische Haushälterin nicht zur Straße direkt vor ihr, sondern irrt lieber ein paar Stunden (?) durch die Wüste, um die Kinder dann zurück zu lassen. Auch wie sich die Japanerin plötzlich für den Cop auszog war mir, trotz ihrer offensichtlichen Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung, nicht ganz verständlich. Und auch den kindlich-jugendlichen Leichtsinn, der das ganze Drama in gewisser Weise überhaupt erst auslöst, fand ich etwas übertrieben - wenn schon nicht der kleine so hätte doch wenigstens der größere Bruder einschreiten und diese Dummheit nicht auch noch unterstützen müssen. Viel schlimmer aber jener Moment, als die Familie dann nicht nur vor der Polizei davonläuft sondern diese sogar noch angreift. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich konnte viele Handlungen der Personen nicht wirklich nachvollziehen. Irgendwie fühlen sich einige dieser Ereignisse und die daraus resultierenden Entwicklungen - und damit auch der Film an sich - etwas konstruiert an, was auf die Wirkung des Films drückt. Denn auch wenn der Schuss all dies ausgelöst hat, so hat es zudem noch einige unüberlegte Handlungen der Protagonisten gebraucht, die ich leider auch nicht nicht Irrationalität aufgrund von Panik entschuldigen kann. Das waren einfach nur Konstrukte die Iñárritu benötigt hat um seine Story so erzählen zu können wie er das wollte - Logik hin oder her - weshalb sich zumindest einige der Figuren ihr weiteres Schicksal eher selbst eingebrockt zu haben scheinen als dass die beiden Jungs dafür verantwortlich wären. Was das ganze für mich besonders schlimm macht: Eigentlich sind alle wenig nachvollziehbare Handlungen bis auf eine (nämlich der alles auslösende Schuss) nicht notwendig gewesen. Vor allem jener rund um die Mexikanerin stört mich enorm - sie hätte nur nicht direkt neben der Straße aufwachen müssen, und schon wäre dieser Kritikpunkt wie weggeblasen gewesen. Das grenzt an Schlamperei. 

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt sind einige Fragen, insbesondere in der Handlung der jungen Japanerin, die leider unbeantwortet bleiben: Warum lügt sie den Cop an, was die Art des Selbstmords ihrer Mutter betrifft? Was steht in dem Brief? Ich gebe zu, ob Iñárritu letztere Frage auch wirklich hätte beantworten sollen, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein. Mir hätte es jedoch unter Umständen dabei helfen können, die junge Frau (besser) zu verstehen. Denn so konnte ich leider viele ihrer Handlungen nicht nachvollziehen - wohl auch deshalb da es mir schwer fällt mich in ihre, sicherlich schwere, Situation hineinzuversetzen. Auch das Ende von "Babel" fand ich etwas unbefriedigend: während mir die Verknüpfung zwischen Anfang und Ende des Films mit dem Telefonanruf gut gefallen konnte, hätte ich es besser gefunden, (Achtung, Spoiler!) die Japanerin hätte sich vom Balkon gestürzt. (Spoiler Ende) Einerseits hätte dies dem Film die nötige Dramatik und Emotionalität verleihen können, andererseits hätte ich es auch symbolisch besser gefunden: Denn dann hätte Iñárritu nicht nur gezeigt, dass der Mensch den Turm zwar gebaut hat, sich jedoch immer noch weit davon entfernt befindet, sondern zudem, dass er sich auch immer wieder noch weiter von ihm entfernen wird. Zudem hätte der Film dann nicht nur die Ursache von Problemen behandelt, sondern auch deren tragische Konsequenzen - was den Film in meinen Augen bereichert hätte.Der größte Vorteil eines solchen dramatischen Endes wäre aber natürlich gewesen, dass es dem Film nochmal deutlich mehr Tragik und eine gewisse poetische Qualität verliehen hätte, da dann die unbedarfte Handlung eines Kindes gleich an 3 verschiedenen Orten zu Schmerz und Verlust geführt hätte. Eine solche tragische Wendung wäre jedenfalls - für mich - das perfekte Ende des Films gewesen. Doch so ist Babel leider, im Gegensatz zu vielen anderen (besseren) Episodenfilmen, nicht mehr als die Summe seiner - nicht immer überzeugenden - Teile. 

Fazit: "Babel" ist ein interessantes Schaubild über Einsamkeit, Isolation und Verlust, bei dem vor allem einige gute Einzelszenen, die gelungene Verknüpfung der Handlungsebenen, sowie die interessante Story und Bildersprache, die viel Raum für Interpretationen bietet, gefallen können. Auch die Erkenntnis, die zumindest ich aus dem Film gewonnen habe, fand ich interessant, nämlich dass das Schicksal der Menschen bei den Menschen liegt - jedoch nicht notwendigerweise das Schicksal jedes Menschen bei ihm selbst. "Babel" zeigt die Auswirkungen einer einzigen unbedachten Handlung auf verschiedenste Menschen und macht dabei deutlich, dass wir nicht in einem Vakuum leben, sondern Ereignisse auf der anderen Seite des Globus teils drastische Auswirkungen auf uns und unser Leben haben können. Leider verliert der Film durch einige wenig nachvollziehbare und teilweise auch konstruiert wirkende Taten der Protagonisten an Wirkung und auch Aussagekraft. Das größte Manko ist allerdings, dass es "Babel" in keiner Sekunde geschafft mich auch nur auf irgend eine Art und Weise zu berühren - für ein angebliches filmisches Meisterwerk absolut unverzeihlich.

Wertung:   (7/10)             

 

Verfasser: cornholio

Veröffentlicht am 24.02.2007

 

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