Children of Men

(The Children of Men)

USA/GB 2006, 109 Min.

Regie: Alfonso Cuarón

Jedes Jahr gibt es einen großen Geheimtipp, der kaum beworben wird, den auch dementsprechend wenig Leute im Kino sehen - aber jene, die ihn sehen, sind überwiegend begeistert. 2006 geht dieser Titel eindeutig an Alfonso Cuaróns großartige, düstere Zukunftsvision "Children of Men"...

Wir schreiben das Jahr 2027, und die gesamte Menschheit trauert, denn soeben ist der jüngste Mensch dahingeschieden - er war 18 Jahre alt. Hintergrund: Seit rund 20 Jahren können die Frauen keine Kinder mehr bekommen - die daraus entstandene Trostlosigkeit hat die Welt stark verändert. Auf der ganzen Welt gibt es Krisenherde, viele Flüchtlinge sind auf der Suche nach einem ruhigen Ort, wo sie in Würde die letzten Jahre der Menschheit verbringen können, und in England regiert ein totalitäres Regime, dass rigoros gegen illegale Einwanderer vorgeht und in Verdacht steht, durch angebliche Terroranschläge Angst und Schrecken unter der Bevölkerung zu verbreiten, um diese besser kontrollieren zu können. Inmitten dieser Hoffnungslosigkeit geht auch Theodore Faron (Clive Owen) sichtlich unmotiviert seinem Job nach - bis seine Ex-Frau Julian Taylor (Julianne Moore) mit ihm Kontakt aufnimmt. Im Gegensatz zu Theodore der seine rebellische Zeit schon lange hinter sich hat ist Julian immer noch als Aktivistin tätig und kämpft gegen die Regierung an - und nun braucht sie Theodore's Hilfe: Kee, eine junge Einwanderin, ist schwanger, und Theodore soll dabei helfen, sie aus England hinauszuschaffen. Ein Unterfangen, dass sich als um so schwieriger erweist, als er die schwangere Frau nicht nur vor der Regierung, sondern auch vor radikaleren Aktivisten beschützen muss, die Kee für ihre eigenen Zwecke missbrauchen wollen. Eine düstere Odyssee durch das kurz vor einem Bürgerkrieg stehende England beginnt...

Achtung! "Children of Men" ist einer jener Filme, die man so unvorbereitet wie möglich sehen sollte, ich empfehle euch daher, falls ihr den Film noch nicht kennt, dies 1. schleunigst nachzuholen und 2. erst bei meinem Fazit weiterzulesen!

Es ist echt eine Schande, wie stiefmütterlich "Children of Men" von UIP behandelt wird - was wohl vornehmlich daran liegt, dass er bisher im amerikanischen Raum noch nicht ausgestrahlt wurde und man daher einfach nicht wusste, was man sich an Zuschauerinteresse erwarten kann. Eben deshalb ist "Children of Men" trotz seiner Klasse in den Kinos weitgehend untergegangen - was angesichts der sehr zurückhaltenden Werbung wenig verwundet. Zwar gab es in den Kinos vereinzelt den Trailer zu bestaunen, doch davon abgesehen hielten sich die Werbemaßnahmen sehr in Grenzen. So gelingt es dem Film erst langsam - durch die positive Mundpropaganda - an Zuschauerinteresse zu gewinnen, und er zeigt damit ein zum üblichen Blockbuster konträres Bild: Denn während sich dort meist gleich nach dem Kinostart unzählige Kritiken in einschlägigen Filmforen wiederfinden, deren Flut jedoch schnell nachlässt, trudeln zu "Children of Men" selbst Wochen nach dem Kinostart immer noch neue - meist begeisterte - Reviews ein. Was mich betrifft, so kam weder der Film an sich noch dessen Qualität sonderlich überraschend. Bereits zu Beginn des Jahres ist mir "Children of Men" als eines der interessantesten und vielversprechendsten Kinofilme 2006 aufgefallen - nicht umsonst fand er sich auch in meiner Kinovorschau wieder. So sehr ich mich auch schon das ganze Jahr über auf den Film gefreut hatte, so richtig gelang es erst dem Trailer, meine Vorfreude zu wecken. Und was soll ich sagen: "Children of Men" war endlich wieder ein Film der meine (hohen!) Erwartungen voll und ganz erfüllen konnte - wenn er auch teilweise ein gänzlich anderer Film war, als ich ihn erwartet hatte...

Ich muss gestehen, dass sich meine Begeisterung - nach dem explosiven Einstieg, der ja auch schon im Trailer zu sehen war - zu Beginn noch eher in Grenzen hielt. Grund hiefür ist die relativ langsame Art und Weise, in der man in den Film eingeführt wird. So dienen die ersten 30 Minuten vornehmlich dazu, diese düstere Zukunftsvision vorzustellen, die Rahmenbedingungen festzulegen und die handelnden Figuren kennen zu lernen. All dies ist absolut elementar für den späteren, deutlich rasanteren Teil der Handlung - kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Einführung noch nicht so packend und überzeugend geraten ist. Was jedoch bereits hier gefallen kann, sind die zahlreichen Bezüge zur Gegenwart, in denen einige Entwicklungen aus der heutigen Zeit bewusst überzeichnet wurden. So leben die Menschen in 2027 - zumindest in England - in ständiger Angst vor dem Terrorismus, und Untergrundbewegungen sind davon überzeugt, dass viele der Bomben von der Regierung gelegt werden, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Auf dem Markt werden ganz legal Selbstmordpillen verkauft - friedliche Musik inklusive - die einem das Ableben deutlich erleichtern sollen; etwas, dass die Regierung angesichts der düsteren Zukunftsaussichten zumindest zu dulden (wenn nicht gar zu fördern) scheint. Noch deutlich stärker wird jedoch die Behandlung (eher Verfolgung) illegaler Einwanderer und die rigorose Einwanderungspolitik der Regierung thematisiert - auch hier wird zwar im Vergleich zur heutigen Praxis übertrieben, trotzdem hält Cuaron hier der Gesellschaft bzw. vor allem natürlich einigen Regierungen einen Spiegel vor, der ein sehr düsteres Bild zeigt.

Wie bereits angemerkt plätschert die Handlung in den ersten 30 Minuten noch eher geruhsam vor sich hin - was sich jedoch ab dem plötzlichen und überraschenden Angriff auf das Auto schlagartig ändert. Dieser ist wirklich knallhart und erschütternd - und zeigt bereits den Regiestiel auf, dem Cuaron im Großen und Ganzen den Rest des Films über treu bleiben wird, nämlich nahe am Geschehen zu bleiben und dieses mit möglichst wenigen Schnitten zu zeigen. In besagter Überfallszene bedeutet das z.b., dass man sich so fühlt als würde man mit den Figuren im Auto sitzen - so abgedroschen der Satz mittlerweile auch schon ist, selten war er wahrer als hier, weshalb ich ihn doch noch einmal aus der Mottenkiste holen will: Man fühlt sich "mittendrin statt nur dabei". Zudem geht Cuaron einen ganz ähnlichen Weg wie Spielberg bei "Krieg der Welten": Wir verfolgen das Geschehen überwiegend aus Theodore's Perspektive. Wir sehen was er sieht, erleben was er erlebt - doch alles weitere, an dem er nicht unmittelbar beteiligt ist, bleibt uns größtenteils verborgen. Jedenfalls überschlagen sich nach dem Überfall aufs Auto die Ereignisse förmlich, und auch wenn sich Cuaron dankenswerterweise auch danach immer noch genügend Zeit für ruhigere Szenen nimmt, geht dies nie auf Kosten der Spannung - einfach da man Cuaron aufgrund dieses kompromisslosen Überfalls danach einfach alles zutraut. Und so hielt mich "Children of Men" nach dieser Szene in einem eisigen und düsteren Würgegriff, aus dem mich der Film bis zur letzten Sekunde nicht mehr los ließ.

Bei seinem Versuch, die schwangere Kee zu retten, gerät Theodore von einer verzwickten und verzweifelten Situation in die nächste. So flieht er schon bald nicht nur vor den Truppen der Regierung, sondern auch vor dem Widerstand, die Kee's Kind für ihre eigenen Zwecke missbrauchen wollen. Auch die Fluchtszene aus ihrem Lager wurde größtenteils wieder ohne Schnitt gedreht und schafft es mit relativ einfachen Mitteln (nämlich einer erstaunlich ruhigen Kamera) ordentlich Spannung zu erzeugen. Doch auch nach seiner geglückten Flucht aus dem Lager geht die düstere Odyssee munter weiter: Theodore gerät immer mehr und mehr ins Schlamassel, kommt zunehmend in Bedrängnis und muss immer schrecklichere Ereignisse miterleben. Seine Flucht führt ihn schließlich in ein Flüchtlingscamp - und ins Zentrum des ausbrechenden Bürgerkrieges. In einer ca. 10-minütigen Sequenz versucht Theodore, Kee aus dem Lager zu befreien, und wie schon Michael Mann in Miami Vice setzt hier auch Cuaron auf eine den Protagonisten verfolgende Handkamera, die frappant an die eingebetteten Journalisten im Irak erinnert. Der Clou des Ganzen: Die gesamte Sequenz scheint ohne jeglichen Schnitt gedreht worden zu sein - auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie man das bewerkstelligt haben könnte. Schon Brian dePalma's Einstiegssequenz bei "Snake Eyes" muss ein organisatorischer Alptraum gewesen sein, und bei Children of Men wird noch dazu geschossen, gestorben und explodiert was das Zeug hält. Eigentlich ist es absolut undenkbar, dass dies ohne jeglichen Schnitt geschafft wurde - aber wenn dort einer ist, wurde er gut verborgen, und wenn dort wirklich keiner ist, kann man vor sämtlichen Beteiligten nur erfurcht erbietend den Hut ziehen. Nach diesem fulminanten Showdown und einer angenehm berührenden Szene endet der Film schließlich genau so, wie er enden musste: Mit einem Funken Hoffnung inmitten einer Welt voller Hoffnungslosigkeit.

Fazit: Die Welt in "Children of Men" ist angesichts der Tatsache, dass die Menschheit auszusterben droht von Angst, Verzweiflung, Terrorismus, Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägt - und Cuaron trägt dem auch Rechnung. Der Film ist absolut kompromisslos und zeigt eine ungemein harte und düstere Zukunft, wie sie bisher nur wenige Regisseure auf die Leinwand zu bringen wagten. Neben der packenden Handlung des Films sticht dabei vor allem Cuaron's grandiose Inszenierung heraus, in der er das Geschehen oft minutenlang ohne einen einzigen Schnitt verfolgt. Zudem bleibt er immer nahe am Protagonisten, weshalb man oft das Gefühl hat, Theodore nicht einfach nur bei seiner Odyssee zu beobachten, sondern diese gemeinsam mit ihm zu beschreiten. Der "Showdown" im Flüchtlingscamp ist dann absolut atemberaubend, und das Ende des Films ist absolut perfekt. "Children of Men" ist eine großartige, düstere SF-Utopie mit zahlreichen Szenen, die unter die Haut gehen - und einer jener Filme, die mit jeder Minute besser werden...

Wertung:   (10/10)             

 

Verfasser: cornholio

Veröffentlicht am 06.12.2006

 

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