Collateral

 

USA 2004, 120 Min.

Regie: Michael Mann

Vor knapp 10 Jahren hat Michael Mann mit Heat ein Meisterwerk abgeliefert. Nach 2 zwar recht guten, aber längst nicht wegweisenden Streifen (Insider, Ali) kehrt er nun in das Genre des Thrillers zurück. Eigentlich durfte man von ihm fairerweise keinen erneuten Geniestreich à la Heat erwarten... doch wisst ihr was? Im Prinzip ist Collateral weder besser noch schlechter, er ist einfach anders... und doch irgendwie ähnlich... auf jeden Fall aber nicht minder genial. 

Für den Taxifahrer Max (Jamie Foxx) beginnt der Abend wie jeder andere. Er bringt seine Kundin, die Staatsanwältin Annie (Jada Pinkett-Smith) in Rekordzeit zu ihrem Bestimmungsort. Dort nimm er dann schließlich einen neuen Kunden auf, einen elegant gekleideten Herrn namens Vincent (Tom Cruise). Dieser behauptet, er müsse einen Immobiliendeal unter Dach und Fach bringen und bietet Max 600 Doller, um das Taxi für die Nacht quasi zu mieten. Max willigt nach kurzem zögern ein... was er schnell bereut, als Vincent sich als Profi-Killer heraus stellt und das erste Opfer recht unsanft auf dem Dach seines Taxis landet - der Beginn eines packenden Katz-und-Maus-Spiels zwischen dem Killer und seinem unfreiwilligen Komplizen auf ihrer nächtlichen Odyssee durch die Straßen von Los Angeles... 

Bei „Collateral“ handelt es sich um einen zwar packenden, zugleich aber auch erstaunlich ruhigen Thriller, wie ihn offenbar nur mehr Michael Mann zustande bringt. Wobei ich auch gleich klarstellen will, dass Mann's Inszenierung sicher nicht jedermanns Sache ist - einigen mag sie wohl zu gemächlich, zu ruhig und zu langsam sein - mir hat Mann's Stil allerdings schon immer zugesagt - was nicht heißt, dass ich gleich jeden Film von ihm gut finde. Hier jedoch gesellt sich, wie schon bei Heat, zu Mann's "kühler" Inszenierung auch noch ein großartiges Skript mit Konzentration auf das Zusammenspiel von zwei Charakteren, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirken - aber in Wahrheit mehr gemeinsam haben, als beiden lieb ist. Wo andere Regisseure eine übertriebene Situation wie das bevorstehende Ende der Welt, die Bedrohung eines Kindes/einer Ehefrau oder sonstige Tricks benötigen, um Spannung zu erzeugen, genügt Michael Mann eine ganz simple Prämisse: Ein Killer mietet ein Taxi für eine Nacht. So einfach, und doch so genial - und im Gegensatz zu anderen Vertretern des Thrillergenres verspürte ich bei "Collateral" von der Szene an, als Vincent in das Taxi steigt, absolute Hochspannung. Auch wenn sich Mann wie üblich viel Zeit für die Charakterisierung seiner Figuren und Dramaelementen legt fand ich den Film durchgehend spannend und interessant und empfand jede einzelne Szene als Hochgenuss - ich möchte wirklich keine davon missen. 

Mann lässt sich immer wieder etwas einfallen, um die Spannungsschraube anzudrehen, sei es eine Polizeikontrolle oder der Verlust von Vincents Unterlagen. Dennoch nimmt er sich außergewöhnlich viel Zeit dafür, seine Figuren näher vorzustellen und damit zu vermeiden, dass sie zu eindimensionalen Schablonen werden. Mann's Figuren sind äußerst vielschichtig, und eben das macht sie sowohl interessant als auch realistisch, und sorgt dafür, dass es dem Film gelingt, uns so richtig in seinen Bann zu ziehen. Wichtig aber auch: Der Film mag durchgehend spannend sein, Mann lässt aber zwischendurch auch immer wieder eher ruhige Passagen einfließen, die einem die Möglichkeit geben, zumindest ein bisschen durchzuschnaufen. Eben das ist sehr wichtig, damit sich der Zuschauer auf die Situation einlassen und gewisse Wendungen etc. richtig verdauen kann. Andere Regisseure tappen oftmals in die für Thriller so übliche Falle, in dem sie Versuchen, kontinuierlich absolute Hochspannung beizubehalten - was NIE gelingen kann, da man irgendwann einfach übersättigt ist. "Collateral" ist jedoch wie eine Achterbahn konzipiert - mal gibt uns Mann kurz Zeit, um uns kurz zu erholen, und dann jagt er den Puls schon wieder in die Höhe. Damit beschert er uns ein wahrhaftiges Wechselbad der Gefühle, man schwankt zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Entspannung und Anspannung.

Doch selbst in offensichtlichen Ruhephasen gelingt es Mann, ein bestimmtes Maß an Beunruhigung und Unbehaben beizubehalten, was verhindert, dass der Zuschauer ZU ruhig wird und anfängt, sich zu langweilen. Exemplarisch dafür der Besuch bei Max kranker Mutter - ja, es ist an und für sich eine ruhige Szene, dennoch traut man Mann jederzeit zu, dass er die Spannung durch eine unerwartete Wendung wieder erhöht - so fühlt man sich nie 100%ig sicher. Eben dieses Gefühl der ständigen Unsicherheit wird auch durch ein paar wirklich fiese Wendungen unterstützt, die den Zuschauer manchmal richtiggehend frustrieren und deprimieren können (auf eine positive Art und Weise, versteht sich ). Auch hier sei wieder ein kurzes Beispiel gegeben: (Achtung, Spoiler!) Max wird von dem einzigen Polizisten in ganz L.A. gefunden, der daran zu glauben scheint, dass nicht Max die Taten begeht, sondern dessen Fahrgast. Die beiden verlassen den Saal, und der Zuschauer glaubt, jetzt endlich mal ein wenig aufatmen zu können - da wird der Cop plötzlich von Vincent erschossen (Spoiler Ende). Zur Atmosphäre und Stimmung des Films trägt neben Manns gewohnt stilvoller Inszenierung naturgemäß auch der Soundtrack bei. Hier hat Mann bei der Auswahl der Songs wirklich ein glückliches Händchen bewiesen, und James Newton Howard's Komposition ist ebenfalls lobend zu erwähnen - ist dieser Score für ihn doch einmal eine Abwechslung, da er sich diesmal weniger auf ein Orchester als auf eher rockige Töne mit Schlagzeug, E-Gitarre etc. verlässt und dadurch die Grundstimmung des Films perfekt unterstützt. 

Auch die Schauspieler haben einen großen Anteil daran, dass dieser Film zu gefallen und zu packen weiß. Das Casting von Tom Cruise in der Rolle des Killers mag einige nervös gemacht haben, doch ich kann euch beruhigen: Cruise liefert eine absolute Glanzleistung ab. Es ist wirklich erschreckend, wie kühl er als Killer agiert, und wie es ihm gelingt, seine Taten sowohl sich als auch anderen gegenüber zu rechtfertigen. Dank Stuart Beattie's tollem Script und Cruise' großartiger Performance vermag es Vincent, einen sowohl zu beängstigen als auch zu faszinieren - eine beunruhigende Kombination. Nicht weniger beängstigend als seine Rücksichtslosigkeit ist aber, dass Vincent in einigen Szenen sogar richtiggehend sympathisch erscheint. Er mag ein kaltblütiger Killer sein... aber er ist kein Monster, keine leere, eindimensionale Hülle, seine Figur hat viele verschiedene Facetten, die Cruise auch alle zur Geltung zu bringen vermag. Jamie Foxx steht der in seiner darstellerischen Leistung jener seines Partners in nichts nach - wenn er auch aufgrund der weniger interessanten Rolle nicht ganz so zu überraschend vermag wie Tom Cruise. 

Wie schon erwähnt, ist einer der Gründe, warum "Collateral" zumindest mich so sehr faszinieren konnte, die herrliche Charakterisierung der beiden Hauptfiguren. Zu Beginn gewinnt man den Eindruck, als könnten die beiden Figuren unterschiedlicher nicht sein, doch mit der Zeit verschwimmen die Grenzen und man erkennt, dass beide sich ähnlicher sind als sie wohl selbst denken. Beide sind in gewisser Weise verloren in ihrem Leben. In dieser Hinsicht muss ich immer an den Titel einer Babylon 5-Episode denken, der den Zustand beider Personen perfekt beschreibt: "And all of my dreams, torn assunder". Sowohl Vincent als auch Max versuchen sich zwar einzureden, dass nur sie selbst über ihr Leben bestimmen und sonst niemand - doch beide könnten damit nicht ferner von der Realität entfernt sein. Vincent's Pfad wurde schon lange zuvor von anderen Personen bestimmt - auch wenn er sich verzweifelt einzureden versucht, dass dieser Job allein seine Entscheidung ist. Max geht es nicht anders: Auch sein Leben wird mehrheitlich von anderen bestimmt. Der einzige große Unterschied ist, dass Max immer noch verzweifelt an seine Träume festhält - und er sich nicht eingestehen will, dass diese wohl für immer unerfüllt bleiben werden. Vincent hat sich hingegen schon längst mit seiner Situation abgefunden. Eben diese Interpretation (und nichts anderes ist es: lediglich meine Meinung zu den Figuren des Films) zeigt auch sehr schön einen ganz großen Unterschied zwischen "Collateral" und üblicher Thrillerkost: "Collateral" ist nicht einfach nur reine Mainstream-Unterhaltung, er bietet auch ein gewisses Maß an Tiefgang. Exemplarisch dafür: Die kurze Szene mit den Kojoten - ein Gleichnis sowohl für Vincent's Leben als auch für Max' Situation...

Neben den sehr gut ausgearbeiteten Figuren fällt auch immer wieder Gesellschaftskritik auf, die Mann in diesen Film gelegentlich eingestreut hat. So stellt Vincent die berechtigte Frage, warum Max über den Toten auf seinem Taxidach so erschüttert ist, wo doch erst vor kurzem in Ruanda tausende von Menschen gestorben sind. Auch an L.A. wird Kritik geübt, als Vincent kritisiert, dass sich in dieser großen Stadt eigentlich jeder fremd und somit irgendwie auch jeder verloren ist. Unterstützt wird diese Aussage durch das Beispiel eines toten Mannes, der stundenlang in der U-Bahn unbemerkt im Kreis gefahren ist. Doch Mann's Gesellschaftskritik steckt nicht nur in den Worten seiner Figuren, sondern auch in den Taten: Als Max ans Lenkrad gefesselt durch Hupen verzweifelt versucht, um Hilfe zu bitten, geht jeder ungerührt vorbei, als würde er es nicht bemerken - bis ein paar kriminelle Jugendliche auf ihn aufmerksam werden und beschließen, seine Situation schamlos ausnutzen...

Trotz dieser Kritik an der Stadt der Engel muss jedoch auch klar festgestellt werden, dass "Collateral" eigentlich drei Hauptdarsteller zu bieten hat. Tom Cruise, Jamie Foxx... und Los Angeles. Michael Mann gelingt es, uns von dieser wohl meistgefilmten Stadt der Welt noch völlig unbekannte Seiten zu zeigen. Damit die verschiedenen nächtlichen Ansichten der Stadt besonders gut zur Geltung kommen, hat Michael Mann den Film zu einem Großteil mit digitalen Kameras gefilmt - was Los Angeles bei Nacht nicht nur in bisher ungesehener Klarheit zur Geltung kommen lässt, sondern sicher auch teilweise dafür verantwortlich ist, dass die Optik des Films sehr originell und innovativ wirkt. Wie von Mann nicht anders gewohnt, zeigt er ein paar wunderschöne Bilder, die dazu führen, dass man sich in die Stadt richtiggehend verliebt. Doch nicht nur in den ruhigeren Passagen weiß Mann's Inszenierung zu gefallen - insbesondere die Schießerei in der Bar sticht hervor und hinterlässt beim Seher einen bleibenden Eindruck. 

Bevor ich zum Fazit komme, möchte ich noch kurz ein paar Worte über den Showdown verlieren - der wohl neben der ruhigen Inszenierung, die nun mal nicht nach jedermanns Geschmack ist, am meisten für Kritik sorgt: (Achtung, Spoiler!) Profikiller Vincent wird von Taxifahrer Max erschossen. Ich gebe ja zu, auf den ersten Blick mag das in der Tat etwas unpassend, konstruiert und aufgesetzt wirken - rückblickend betrachtet ist es für mich jedoch vollkommen nachvollziehbar: 1. Vincent wurde bereist angeschossen und ist demnach bereits erschöpft, 2. hatte Max wohl mehr zu verlieren, da er mehr an seinem Leben zu hängen scheint als Vincent, und 3. schoss Vincent nach seinem üblichen Schießmuster - er hat hier einfach instinktiv gehandelt und ist in seinem Muster so verfangen, dass er in dem Moment nicht variiere konnte. Eben dies hat jedoch dazu geführt, dass Vincent's Kugeln nur die Tür getroffen haben. Max hat hingegen eher auf gut Glück geschossen - dabei jedoch durch die Scheibe gezielt. Überhaupt finde ich das Ende perfekt, so wie es ist... so wie der tote Unbekannte aus seiner Erzählung zuvor zieht nun auch Vincent allein und unbemerkt in der U-Bahn seine Kreise (Spoiler Ende). Ein passender Schluss für einen unheimlich packenden Thriller mit großartigen Darstellern, einer genial düster-kühlen Optik, einem tollen Drehbuch, Mann's ruhiger, stilvoller Inszenierung und einer erfreulich großen Portion Tiefgang. 

Fazit: Wer so wie man es der MTV-Generation häufig vorwirft über eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne verfügt und von einem Thriller erwartet, dass man sofort und ohne Umschweife ins Geschehen geworfen wird und danach im Minutentakt eine Schießerei oder ähnliche Action serviert bekommt, dem mag dieser Film zu langsam und damit teilweise auch langweilig sein. Doch alle Freunde von eher ruhigen Thrillern, die sich für die Figuren Zeit nehmen und mehr bieten als nur Spannung, werden mit diesem Film viel Freude haben. Michael Mann würzt sein Katz-und Maus-Spiel mit einer ordentlichen Portion Tiefgang und Gesellschaftskritik, vergisst jedoch auch nicht auf die nötige Spannung. „Collateral“ ist ganz großes Kino, dass sich Fans des Thriller-Genres nicht entgehen lassen sollten...

Wertung:      (10/10)             

 

Verfasser: cornholio

 

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Titelbild und Filmausschnitte © 2004 United International Pictures