Fahrenheit 9/11

 

USA 2004, 122 Min.

Regie: Michael Moore

"Sie hören nie damit auf, sich neue Wege zu überlegen, wie sie unserem Land und unserem Volk schaden können, und wir auch nicht." Dieses Zitat ist nur der aktuellste sprachliche Ausrutscher des mächtigsten Manns der Welt (bin ich der Einzige, dem es bei diesem Gedanken kalt über den Rücken läuft?) und gibt all jenen, welche Bush für... äh... nennen wir es mal "weniger gebildet" halten, wieder einmal neuen Zündstoff. In seiner neuesten Dokumentation "Fahrenheit 9/11" versucht Michael Moore zu beweisen, dass dieser Versprecher jedoch unter Umständen mehr Wahrheit in sich birgt, als man auf dem ersten Blick glauben möchte...

"War das alles nur ein Traum?" fragt Michael Moore seine Zuschauer zu Beginn des Films, während er uns die Jubelfeier der Demokraten nach der Wahl im Jahr 2000 zeigt. Lange Zeit sah es so aus, als würde Al Gore als Sieger hervorgehen, doch dann kam alles anders. Im ersten Teil seiner neuesten Dokumentation beleuchtet Moore ganz genau die Ereignisse an diesem Tag sowie der Wochen danach, bis Bush schließlich vom obersten Gericht als rechtmäßiger Präsident der Vereinigten Staaten festgestellt wurde. Der zweite Teil seines Films beschäftigt sich mit den Verknüpfungen der Bush-Familie zur herrschenden Familie von Saudi Arabien und mit der Frage, warum Bin Laden's Verwandte nach dem 11. September ohne Befragung nach Hause geflogen wurden, obwohl die öffentlichen Flughäfen zu diesem Zeitpunkt noch gesperrt waren. Der 3. und zugleich größte Teil des Films beschäftigt sich schließlich mit dem Irak-Krieg, von den Lügen, Halbwahrheiten und Manipulationen davor über die eigentliche militärische Aktion bis hin zu den Nachwirkungen, mit denen Amerika selbst mehr als 1 Jahr nach dem offiziellen Ende der Kriegshandlungen noch zu kämpfen hat.

Mein erster Gedanke, nachdem ich das Kino verlassen hatte, war: "Das ist wohl der ernsthafteste, unwitzigste und deprimierendste Streifen, den Moore bisher gedreht hat." Und in der Tat, im Gegensatz zu seinen früheren Filmen fristen Humor und Komik hier ein absolutes Schattendasein. Zwar gibt es auch diesmal durchaus wieder ein paar Sachen zum Lachen, doch von einigen Ausschnitten aus Bush's Präsidentschaft (bei denen einem das Lachen auch irgendwie im Hals stecken bleibt) und ein paar zynische Kommentaren von Moore (und auch die setzt er diesmal erstaunlich sparsam ein) einmal abgesehen, ist eigentlich nur mehr Moore's Aktionismus zu nennen - und selbst dieses für ihn so typische Stilmittel ist diesmal auf 2 Szenen beschränkt, nämlich als er den Abgeordneten den Patriot Act vorliest und später versucht, verschiedene Senatoren dazu zu bewegen, ihre Kinder in den Irak zu schicken. Davon einmal abgesehen erinnert eigentlich nichts an die humoristisch-leichteren Töne der Vorgänger. 

Überhaupt nimmt sich Moore in seiner neuesten Dokumentation erstaunlich zurück, und lässt eher die Bilder bzw. andere Personen sprechen (wobei er leider den Fehler begeht, die individuellen Ansichten und Meinungen dieser "Experten" als unumstößliche Fakten zu präsentieren); lediglich als anklagender Erzähler ist er allgegenwärtig. Thematisch kann man den Film in 3 Teile gliedern: Zuerst nimmt sich Moore den Unregelmäßigkeiten bei der Wahl 2000 an, und in der Tat ist die Optik der Ereignisse (zumindest so wie sie von Moore präsentiert werden) nicht gerade ideal. Auch, wenn ich immer noch nicht so recht an einen glatten Wahlbetrug der Republikaner glauben will, so ist dieser Teil des Films durchaus interessant und informativ, und bringt einen zumindest dazu, die Möglichkeit der Manipulation in Betracht zu ziehen. Nun nimmt sich Moore für ein paar Minuten die Zeit, Bush bei der "Arbeit" zu betrachten und einige Versäumnisse von ihm und seinem Stab bei der Terrorbekämpfung an den Pranger zu stellen. 

Beeindruckend dann die Montage über die Ereignisse vom 11. September: Moore ist sich der Tatsache bewusst, dass jedem die Bilder dieses schrecklichen Ereignisses nur zu gut in Erinnerung sind... und lässt verschiedene Notrufe, das verzweifelte Schreien der Menschen und die Einschläge der Flugzeugen in das World Trade Center abspielen, während die Leinwand schwarz bleibt. Eine Entscheidung, die wieder einmal Moore's Genialität was die Inszenierung seiner Dokumentationen betrifft auf beeindruckende Weise aufzeigt - denn mittlerweile haben wir die Bilder so oft gesehen, dass sich schon fast eine Art Sättigung eingestellt hat - traurig aber wahr: sie berühren und bewegen uns einfach nicht mehr so als am 11. September, wie man live beobachten konnte, wie die beiden Türme des World Trade Center einstürzen. Doch durch Moore's Inszenierung und die gänsehauterzeugende Geräuschkulisse wird man wieder an den Schrecken dieses Tages erinnert. Er rückt die Menschen und deren Schicksale in den Mittelpunkt, und nicht den Terrorakt an sich.

Die darauffolgende Szene ist so erheiternd wie erschreckend: Er zeigt Bush, wie er minutenlang regungslos im Klassenzimmer der von ihm besuchten Schule sitzen bleibt, nachdem er gerade von den Anschlägen erfahren hat... angesichts der völligen Ahnungslosigkeit, die sich auf seinem Gesicht wiederspiegelt, weiß man echt nicht, ob man Lachen oder Weinen soll. Schade nur, dass Moore genau in diesem Augenblick etwas zu polemisch wird: Anstatt den Zuschauer selbst überlegen und entscheiden zu lassen, was wohl in diesem Moment in Bush's Kopf vorgeht, stellt er einige mögliche Gedanken in den Raum... und zwingt damit dem Zuschauer quasi seine eigenen Überlegungen auf, anstatt diesen selbst Schlüsse ziehen zu lassen.

Die 2. Thematik des Films ist die Verbindung der Bushs zur Herrscherfamilie in Saudi Arabien. Dies hätte eigentlich ursprünglich die hauptsächliche Thematik des Films werden sollen - um so interessanter, dass gerade dieser Teil der am wenigsten gelungene ist. Dies liegt wohl vor allem daran, dass 1. viele der Dinge, die Moore hier aufzeigt, dem Fan bereits aus seinem letzten Buch bekannt sind, und 2. dass die Offenbarungen ob der Verbindungen zwischen Bush, Rumsfeld und Co. zu verschiedensten (unter anderem auch von den Saudis finanzierten) Unternehmen so aufregend dann auch wieder nicht sind... da hat sich die momentan amtierende amerikanische Regierung aber ganz andere Sachen geleistet. Das heißt natürlich nicht, dass Moore hier nicht ein paar wirklich interessante und augenöffnende Fakten präsentiert, nur fällt es einem schwer, sich angesichts anderer Verfehlungen über diese Verwicklungen sonderlich zu empören... was diesen Teil des Films teilweise doch etwas zäh werden lässt.

Erst ab dem Patriot Act dreht der Film wieder auf. Erschreckend der Senator, der offen zugibt, die Vorlage für das Gesetz nicht gelesen zu haben (und praktisch gesteht, dass die wenigsten Senatoren dies bei den ihnen präsentierten Vorlagen tun). Das Herzstück dieses Films ist aber der Teil, der sich mit dem Irak-Krieg auseinandersetzt. Vor allem in Amerika wird dieser Teil des Films einige Augen öffnen, zeigt er den Menschen doch die Seite des Krieges, die sie sonst in den Nachrichten nie zu Gesicht bekommen. Auf sehr erschreckende Art und Weise zeigt uns Moore den Krieg in all seinen grauenhaften Facetten. Es ist dieser Teil des Films, der ihn meines Erachtens wirklich zum Pflichtprogramm macht, denn hier wird der Krieg nicht verherrlicht, nicht beschönigt, sondern als das dargestellt was er ist: grausam, brutal und menschenverachtend. Doch Moore beschäftigt sich nicht nur mit dem Irak, sondern zeigt auch die Auswirkungen bzw. Meinungen zum Konflikt in seiner Heimat. Wie schon in allen seinen Filmen zuvor stattet er auch diesmal Flint einen Besuch ab, und zeigt uns eine stolze Mutter eines im Irak stationierten Soldaten, deren Weltbild zerbricht, als dieser bei einem Einsatz ums Leben kommt. Die Szene, als sie den letzten Brief ihres Sohnes vorliest... ja, sie ist populistisch, ja, sie ist manipulativ... doch sie ist auch sehr berührend, und sie zwingt einen dazu, diesen Schmerz nachzuempfinden... und ist damit in meinen Augen völlig legitim. Lediglich die Szene kurz danach, als sie vor Trauer, Zorn und Frustration vor dem weißen Haus fast zusammenbricht, war mir persönlich etwas zu dick aufgetragen... hier hätte Moore doch ein bisschen früher abblenden sollen, damit die von ihm gewünschte Wirkung noch erhalten bleibt. Um so überzeugender und erschreckender dafür die Teile des Films, in denen uns Moore die Rekrutierungsmaßnahmen der US Army vor Augen führt - die insbesondere mit den grauenvollen Bildern aus dem Irak als Kontrast sehr zynisch und dreist wirken. Insgesamt ist es also der Teil rund um den Irak-Krieg, der mich trotz der vorhandenen Schwächen des Films praktisch dazu zwingt, ihm die Höchstnote zu vergeben... denn meines Erachtens ist es sehr wichtig, einer allfälligen idealisierten Sichtweise des Krieges von Zeit zu Zeit vorzubeugen, in dem man den Menschen die schrecklichen Auswirkungen eines solchen vor Augen führt und ihnen klar macht, dass es in jedem Krieg nur Verlierer gibt... und eben dies gelingt Moore in "Fahrenheit 9/11" auf sehr bewegende und beeindruckende Art und Weise. 

Fazit: Für mich ist "Fahrenheit 9/11" der wichtigste Film seit "Schindlers Liste" und ein Film, den wirklich jeder gesehen haben sollte. Da mag Moore auch manchmal etwas polemisch werden, da mag er teilweise wieder ein wenig zu sehr auf die Tränendrüse drücken und übertreiben... das alles ändert nichts daran, dass der Film wichtige Fakten liefert, einige interessante Fragen aufwirft und vor allem ein beeindruckendes Mahnmal gegen den Krieg darstellt. Moore's 4. Film ist deprimierend, erschütternd, bewegend... und in meinen Augen Kunst.

Wertung:      (10/10)             

 

Verfasser: cornholio

 

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