Flug 93
(United 93)
USA 2006, 91 Min.
Regie: Paul Greengrass
Nicht
ganz 5 Jahre sind seit dem 11. September 2001 vergangen, da kommen innerhalb
einiger Wochen zwei Filme in die Kinos, die sich dem Grauen dieses schrecklichen
Tages annehmen und versuchen, es zu verarbeiten. Während sich Oliver Stone mit
seinem "World Trade Center" auf die Ereignisse in den Zwillingstürmen
konzentriert, hat sich Greengrass die Geschichte der United 93 vorgenommen - des
einzigen entführten Flugzeuges, das sein Ziel nicht erreicht hat.
Der Morgen des 11. Septembers 2001. Ein Morgen wie jeder andere - so scheint es zumindest zu Beginn. Doch schon bald machen sich in der Flugzentrale Aufregung und Hektik breit, als erste Anzeichen einer Flugzeugentführung auftauchen. Der Schock ist groß, als klar wird, dass die soeben von den Radarschirmen verschwundene Maschine in einen der beiden Türme des World Trade Centers geflogen ist. Nun stellen sich alle die Frage: Unfall oder Absicht? Die grauenhafte Wahrheit wird offensichtlich, als eine weitere Maschine das World Trade Center trifft. Von nun an liegen die Nerven in den Flugzentralen, der Flugüberwachung und auch beim Militär blank. Ein weiteres entführtes Flugzeug trifft schließlich das Pentagon. Nun ist noch eine letzte Maschine in der Luft, von der man ausgeht das sie entführt wurde. Sie steuert auf Washington zu, doch das Militär ist machtlos - die Abfangjäger sind zu weit entfernt, als dass sie etwas unternehmen könnten. An Bord der Maschine macht sich indes Verzweiflung breit. Von ihren Angehörigen, welche die Passagiere mittels der Flugzeugtelefone kontaktieren, erfahren sie, was mit den zuvor entführten Maschinen passiert ist - und schließen daraus, dass ihnen ein ähnliches Schicksal bevorsteht. Ein paar Männer fassen dann schließlich den Entschluss, die Terroristen anzugreifen und das Cockpit zurückzuerobern, um die bevorstehende Katastrophe zu verhindern...
Was
bei diesem Film sofort auffällt (neben Greengrass typischer
"fließender" Kamera, an die man sich jedoch schnell gewöhnt) , ist
der sehr minimalistische Stil, der "Flug 93" teilweise wie eine
Dokumentation wirken lässt. Greengrass verzichtet auf irgendwelche
Kameraspielereien, die von mir zwar sonst gern gesehen werden, bei diesem Film
jedoch nur gestört hätten. Auch der Soundtrack hält sich angenehm im
Hintergrund und verstärkt die Emotionen des Films, ohne Aufmerksamkeit auf sich
zu lenken. Die Verwendung von unbekannten Gesichtern (mit einer Ausnahme, doch
dazu später) verstärkt den Realismus des Films, da man keine Schauspieler
agieren, sondern Menschen handeln sieht. Ein ebenfalls nicht unwichtiger Aspekt
in dieser Hinsicht ist Greengrass Entscheidung, für viele Rollen auf
Schauspieler zu verzichten und stattdessen mehrere Leute zu verpflichten, die
sich selbst spielen - etwas, dass vor allem in der Flugzentrale positiv
auffällt, wo diese Menschen den typischen Fachjargon einfach viel
überzeugender wiedergeben, als dies ein Schauspieler jemals könnte. Und da
diese Personen Gott sei Dank auch über ein Mindestmaß an schauspielerischen
Fähigkeiten verfügen fällt
die Verwendung von Laiendarstellern zu keinem Zeitpunkt negativ auf...
Doch neben den Schauspielern und der angenehm schnörkellosen Inszenierung ist noch ein weiterer, wesentlicher Aspekt für den Realismus (und zugleich den Erfolg) des Films verantwortlich: Der Verzicht auf jeglichen Pathos. "Flug 92" ist nie reißerisch, er manipuliert nicht, er verfolgt keine Message und er versucht auch nie krampfhaft, Emotionen zu erzeugen. Er erzählt einfach eine wahre Geschichte, so wie sie war, bzw. im Falle der Ereignisse im Flugzeug, so wie sie sich zugetragen haben könnte. Auch ist er äußerst ausgewogen und zeigt selbst von den Terroristen ein erstaunlich vielfältiges Bild - als Menschen, die genau wie ihre Opfer im Strudel der Ereignisse gefangen werden. Greengrass setzt dabei sein Ensemble wirklich gekonnt ein und stellt keine Figur in den Mittelpunkt. Typische Katastrophenfilm-Klischees wie die zerrüttete Familie, die langsam wieder zueinander findet nur um kurz darauf durch die Aufopferung eines Familienmitglieds wieder zerrissen zu werden, sucht man hier Gott sei Dank vergeblich - so etwas wäre ja angesichts der ernsten Thematik auch nur schwer zu verdauen gewesen. Tatsächlich spielen die Figuren in "Flug 93" ohnehin nur eine Nebenrolle, im Zentrum des Films stehen die Ereignisse des 11. Septembers, und wie die Menschen auf sie reagierten. Insofern ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man über die handelnden Personen kaum etwas erfährt. Anstatt uns in verkrampft-konstruiert wirkenden Dialogen irgendwelche Hintergründe zu den Figuren zu offenbaren, lernen wir die Personen nur so gut kennen, wie wir das als unbeteiligter Beobachter der Ereignisse dieses Tages getan hätten - oder auch, wenn wir ebenfalls Passagier der United 93 gewesen wären. Und was für so manch anderen Film einen unverzeihlichen Schwachpunkt bedeutet hätte, funktioniert bei "Flug 93", da es den Realismus wiederum verstärkt.
Eben
jener Realismus ist dann eben auch, insgesamt betrachtet, die größte Stärke
des Films. Die echt wirkenden, realistischen Bilder erinnern
uns ständig daran, dass sich die hier geschilderten Ereignisse tatsächlich
zugetragen haben. Der dokumentarische Stil gibt dem Zuschauer das Gefühl, keine
Fiktion, sondern reale Ereignisse zu beobachten, was den Film ungemein packend
und auch bewegend macht. Gemeinsam
mit den Figuren erlebt man Schlüsselmomente des 11. Septembers erneut und wird
dadurch an den Schrecken des Tages neuerlich erinnert - und dieses Gefühl wird
mit Minute von Minute intensiver, bis zu jenem Zeitpunkt, als Greengrass
sämtliche Nebenhandlungen ausblendet und sich nur noch auf die Geschehnisse an
Bord der United 93 konzentriert. Es wurde im Zusammenhang mit dem Film schon
mehrmals gesagt, und auch ich kann diesen Eindruck nur bestätigen: Ab diesem
Zeitpunkt wirkt es wirklich so, als wäre man ebenfalls Passagier dieser
Maschine. Man erlebt die Ereignisse, die letzten Minuten im Leben dieser
Passagiere gemeinsam mit diesen Figuren. Ab hier wird der Schrecken
der Flugzeugpassagiere für den Zuschauer wirklich greifbar, und obwohl man
genau weiß, wie diese Geschichte ausgehen wird, wünscht man den Charakteren
unweigerlich ein Happy End.
Angesichts all des Lobes stellt sich die Frage, ob es denn tatsächlich nichts in Bezug auf "Flug 93" zu kritisieren gibt?!?! Nun, wenn man unbedingt ein kleines Häarchen in der Suppe finden wollen würde, dann wäre das der einzige "Star" des Films, den ich erkannt habe, nämlich David Rasche. Als er meint, dass er das Steuer übernehmen könnte hatte ich unweigerlich Sledge Hammers "Vertrauen Sie mir, ich weiß was ich tue" im Ohr. Dieser Kritikpunkt ist jedoch wirklich minimal und kann am Gesamteindruck auch nichts ändern: Flug 93 ist ein großartiger Film der sich mühelos zu jenen Meisterwerken wie "Schindlers Liste" gesellt, die sich realen Ereignissen annehmen, und die man unbedingt mindestens ein Mal im Leben gesehen haben muss...
Fazit: Paul Greengrass hat hier ein phänomenales Zeitdokument erschaffen, welches ohne jeglichen Pathos und in einem äußerst minimalistischen Stil fast dokumentarisch die Ereignisse des 11. Septembers, insbesondere natürlich die Geschichte von United 93, Revue passieren lässt. Ein beeindruckender und sehr berührender Film, der einem die schrecklichen Ereignisse dieses schicksalhaften Tages wieder in Erinnerung ruft und das Grauen (erneut) fühlbar macht...
Wertung:
(10/10)
Verfasser: cornholio
Titelbild und Filmausschnitte © 2006 United International Pictures