Mann unter Feuer

(Man on Fire)

 

USA 2004, 142 min.

Regie: Tony Scott

2004 scheint erneut (das letzte Jahr brachte Mystic River, Daredevil, Extreme Rage und Kill Bill I hervor) ein Jahr der Rachefilme zu sein. Nach Kill Bill II, Oldboy und the Punisher darf nun Denzel Washington in der zweiten Verfilmung von A.J. Quinells Roman (1987 entstand eine Version mit Scott Glen als Racheengel) das Erbe von Dirty Harry und Charles Bronson antreten. Und diesen Job erledigt er ähnlich wie sein südkoreanischer Kollege ohne jegliche Ironie und auch ohne Comicanleihen und dafür mit umso realistischerer Gewalt und fragwürdiger Selbstverständlichkeit, die nur einen Schluss zulässt: Washington muss der FSK einen persönlichen Besuch angedroht haben…anders ist die 16-er Freigabe für diesen harten Reißer kaum zu verstehen.  

Der ehemalige CIA Killer John Creasy ist ein psychisches Wrack, das sich in Schuldgefühlen suhlt und durch seinen Alkoholismus auch körperlich längst nicht mehr in Topform befindet. Selbst der scheinbar einfache Routinejob als Leibwächter von Pita, der Tochter einer reichen mexikanischen Familie scheint ihn schon zu überfordern. Da er ihm durch seinen alten Weggefährten Rayburn (Christopher Walken) vermittelt wurde und kein anderen Job in Aussicht ist, sagt er trotzdem zu. Creasy sieht diesen Job zunächst vollkommen sachlich und vermeidet jeglichen engeren Kontakt mit seinem Schützling doch nach einiger Zeit entwickelt sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen der Kleinen und Creasy. Nach Jahren des Dahinvegetierens und des Selbsthasses gibt es wieder etwas bzw.  jemanden an dem ihm etwas liegt…die Depressionen treten in den Hintergrund. Aber hier handelt es sich um einen Rachethriller und keine Charakterstudie…und so kommt wie es kommen muss: Vor seinen Augen wird Pita entführt und als er im Krankenhaus wieder erwacht, erhält er die niederschmetternde Nachricht, das die Lösegeldübergabe misslungen ist und die Entführer das Mädchen getötet haben. Grund genug wieder das zu tun was er am besten kann. Wie es Christopher Walken so schön ausdrückte: Creasy's Kunst ist der Tod…und er ist dabei sein Meisterwerk zu vollbringen.

Es gibt viele Punkte, die man an Mann unter Feuer kritisieren könnte. Etwa die selbstzweckhaft coole Inszenierung, die die Story vor lauter hektischen Schnitten, Verzerrungen, Zeitlupen, Texteinspielungen und sonst noch allem was man in Videoclips und Filmen der Gebrüder Scott je gesehen hat, manchmal eher erdrückt als unterstützt.  Die nicht unbedingt überraschenden Storyentwicklungen- und Wendungen. Die George W. Bush Moral, die aussagt, das ein Mann, der genug Grund für seine Wut hat und glaubt im Sinne Gottes zu handeln ruhig zu einem blinden und blutigen Rachefeldzug ausziehen darf. Oder das der Film mit fast zweieinhalb Stunden gut 20 Minuten zu lang geraten ist. Ja... verdammt und zur Hölle noch mal…das und noch mehr stimmt natürlich alles... aber das sollte nicht dazu führen die vorhandenen großen Stärken deshalb zu unterschlagen. Diese finden sich in erster Linie im schauspielerischen Bereich. Denzel Washington liefert eine gewohnt brillante Vorstellung. Man nimmt ihm die Wandlung ab …er gibt seiner Figur eine gewisse Tiefe und Glaubwürdigkeit, die man im durchschnittlichen Vertreter dieses Subgenres fast nie vorfindet. Christopher Walken, zwar leider wieder nur in einer Nebenrolle, aber im Gegensatz zu manch runtergespultem Mist, den er in den letzten Jahren rein fürs Geld abgeliefert hat, holt er hier das Optimale aus seiner Rolle heraus und darf ein paar der einprägsamsten Sätze einwerfen. Auch die restliche Besetzung ist eher dem Charakterfach zuzuordnen. Wie etwa der charismatische Giancarlo Giannini (wohl am bekanntesten als Kommissar in Hannibal)  und Radha Mitchell, der ich über kurz oder lang bei glücklicher Rollenwahl eine Oscarnominierung zutraue. Die eigentliche Überraschung war für mich aber Dakota Fanning. Wie oft schon wurde ein Film durch zu altkluge, übertrieben niedliche und nervige Blagen zerstört (….ich denke mal wieder mit Grausen an Jake *Anakin* Lloyd)? Sie spielt ihre Figur mit einer großen Natürlichkeit ohne übertriebene Gesten und Mimik und trägt somit genau so viel wie Washington zum gelingen der ersten Stunde bei. 

Eine Stunde ist auch fast exakt die Zeit die Tony Scott für Charakterentwicklung reserviert hat…und entgegen vieler anderer Meinungen war das keine Minute zu viel. Hätte man das Ganze wie üblich in den ersten 10-15 Minuten schnell durchgehetzt, wäre Man on Fire womöglich wirklich nur der überflüssige x-te Death Wish Aufguss. Man muss verstehen, dass dieses Mädchen nicht nur ein nettes Kind für Creasy war. Das der Grund seiner erbarmungslosen Rache nicht nur in dem Tod des Mädchens zu suchen ist. Christopher Walken durfte ihn leider deutlich aussprechen. Leider weil so etwas dem halbwegs aufmerksamen Zuschauer ohne Holzhammer klar werden muss…ansonsten hätte ein Film versagt. "Sie hat ihm gezeigt, das es sich lohnt weiterzuleben. Und das haben ihm die Kidnapper genommen." Im ersten Absatz habe ich eingeräumt, dass die Inszenierung manchmal zu übertrieben stylish geworden ist. Dennoch hat sie mich bis auf wenige Ausreißer überzeugt. Zwar nichts weltbewegend Neues und eben hin und wieder unübersichtlich, aber der Look verpasst dem Film trotzdem etwas Eigenes und trägt dazu bei die flirrende Hitze und die hektische Atmosphäre der mexikanischen Großstadt rüberzubringen.  Der Score hört sich desweilen wie schon mal gehört an (so gibt es ein Stück das verdächtig an Enya in Herr der Ringe erinnert), aber nichtsdestotrotz sind die Lieder stets passend zur Situation und schaffen in den besten Momenten gar (fast) Gänsehautatmosphäre. 

Fazit: Mann unter Feuer wird vor allem aus einem Grund viele Feinde haben: Er hat zwei vollkommen unterschiedliche Hälften. Die erste Stunde, die Phase der Charakterpositionierung wird den Actionfreaks eindeutig zu lang geraten sein, die zweite Hälfte wiederum ist so hart und moralisch fragwürdig, das sie einen großen Teil des durch Werbeaufwand und Starbesetzung angelockten Mainstreampublikums vor den Kopf stoßen dürfte. Der Streifen hat viele erstklassige Zutaten…nicht alles passt auch wirklich zusammen, aber für Fans von klassischen Rachethrillern (oder der zweiten 24-Staffel), die auch ein Herz für Dramen haben, bietet er mehr als gute Unterhaltung. Das macht noch keinen Oldboy oder Mystic River, aber doch einen der besten Thriller 2004.

Wertung:    (8/10)

Verfasser: evildead

 

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Titelbild und Filmausschnitte © 2004 20th Century Fox