München
(Munich)
USA
2005, 164 Min.
Regie: Steven Spielberg
Nach
"Amistad", "Schindlers Liste" und "Der Soldat James
Ryan" nahm sich Steven Spielberg mit "München" erneut ein
historisches Ereignis als Grundlage für einen seiner Filme: Die Geiselnahme
israelischer Athleten durch palästinensische Terroristen während der
olympischen Sommerspiele in München 1972. Das Ergebnis ist für mich eindeutig
der bisher beste "ernste" Spielberg, mit dem er sogar sein zeitloses
Meisterwerk "Schindlers Liste" in den Schatten stellt.
Bereits
der Einstieg macht deutlich, dass wir hier keinen der weichgespülten Spielbergs
vor uns haben. Hart, brutal, und schnörkellos zeigt uns Spielberg den Überfall
palästinensischer Extremisten auf das Hotelzimmer der israelischen Sportler -
und gibt damit die Stoßrichtung für den Rest des Films vor. "München" ist ein, dem Thema angemessen,
ungemein harter Film, der selbst die schlimmsten und drastischsten Szenen aus
Schindlers Liste meilenweit in den Schatten stellt. Auch ist er kein typischer
auf Hochglanz polierter Spielberg, sondern ungemein dreckig, mit rauchenden
Wunden und spritzendem Blut an allen Ecken und Enden - und sogar mit nackter
Haut und einem Schuss Sex. Es
ist diese Kompromisslosigkeit in der Darstellung und der Inszenierung, die mich
wirklich (positiv) überrascht hat. Ebenfalls hervorgehoben werden muss die
bewusst unspektakuläre Optik. Der
Film spielt nicht nur in den 70ern, er sieht auch wie ein Film aus den 70ern
aus. Opulente Einstellungen oder ähnliches wird man bei "München"
nicht finden. Was nicht heißt, dass der Film nicht gut inszeniert wäre, ganz
im Gegenteil. "München" ist ungemein stilvoll mit vielen herrlichen
und wundervollen Bildern - doch die Farben sind etwas abgeschwächt, und auf
hektische Schnitte wird bewusst verzichtet - das verleiht dem Film nicht nur das
Gefühl eines gewissen Alters, sondern verleiht ihm auch Klasse und Stil - und
ein gewisses Maß an Realismus, denn dadurch, dass Spielberg auf umständliche
Kameratricks verzichtet, wird "München" teilweise wie eine
Dokumentation. Auch die Musik hat Spielberg wohl noch nie in seiner Karriere
spärlicher eingesetzt - auch dies verstärkt den Realismus. John Williams
Komposition passt sich dabei erneut der Klasse des zugrundeliegenden Films an,
und schafft es, diesen zu unterstützen, ohne Aufmerksamkeit von sich zu lenken
- was dann irgendwie doch eher untypisch für einen seiner Soundtracks ist.
Trotz der fehlenden Hochglanzoptik ist München ein
inszenatorisches Meisterwerk, was er in unzähligen großartigen deutlich
aufzeigt. Ich gebe zu, dass der
Film vielleicht nicht ganz so packend ist wie einige sich das wohl gewünscht
und/oder erwartet hatten. Doch als Freund von Filmen, die auch gerne mal
ruhigere Töne anschlagen können, hat mich das nicht im Geringsten gestört -
vor allem auch deshalb, da alle Szenen, wenn schon nicht spannend, zumindest
interessant und/oder dramatisch waren und der Film deshalb für mich zu keiner
Sekunde langweilig wurde. Außerdem versteht es Spielberg, die eher ruhigeren,
langsameren Phasen immer wieder durch gelungene Spannungsszenen zu unterbrechen,
seien es die Attentate oder auch die zahlreichen anderen Konflikte,
Schießereien und Zusammenstöße der Attentäter mit feindlichen Gruppierungen.
Das in dieser Hinsicht absolute Highlight war das allererste Attentat, als man
soeben die Bombe im Telefon platziert hat, den Apparat anruft - und das kleine
Mädchen zum Telefon schreitet, um abzuheben. Eine absolut perfekte Szene, die
was die Spannung betrifft im
Kinojahr 2006 nicht mehr übertroffen wurde. Thematisch fand ich vor allem beeindruckend, dass Spielberg
eben nicht eindeutig Stellung für oder gegen Israelis oder Palästinenser
bezieht. Dies wird besonders in jener Szene deutlich, als sich Avner und ein
palästinensischer Terrorist gegenüberstehen. Die Sichtweise beider Parteien
ist zu verstehen, und es wird deutlich, dass der Konflikt mittlerweile eine
solche Eigendynamik entwickelt hat, dass die eigentlichen, ursprünglichen Ziele
schon fast aus den Augen verloren wurden. Es geht nur mehr um Rache, die erst
recht wieder neue Grausamkeiten hervorruft - eine Spirale der Gewalt, die weder
mit München begonnen noch mit München oder den zahlreichen, zur angeblich so
wirkungsvollen Abschreckung durchgeführten Racheaktionen, geendet hat, sondern
sich bis heute durchzieht - etwas, an das Spielberg in seiner letzten Szene mit
dem Twin Towers in New York erinnert (und dem davor eingeblendeten Text, der uns
darüber informiert, dass der Mossad 9 von 11 auf der Liste stehenden Personen
ermordet hat - 9/11).
Neben
der grandiosen Inszenierung sind insbesondere auch die großartigen
schauspielerischen Leistungen des Ensembles hervorzuheben. Egal ob Daniel Craig,
Ciaran Hinds, Mathieu Kassovitz, Hans Zischler, Geoffrey Rush oder Lynn Cohen,
sie alle stellen ihre Figuren glaubwürdig dar und vermögen in jeder Sekunde zu
überzeugen. Die hervorstechendste Leistung vollbringt aber Eric Bana als Avner.
Es ist absolut erschütternd zu sehen, wie dieser Familienvater langsam aber
sicher an der ihm zugetragenen Aufgabe zu zerbrechen droht - einerseits aufgrund
der Schuldgefühle und andererseits aus Angst. Mit zunehmender Erfahrung als
Attentäter und mit dem Legen von Bomben - und nach dem ersten Anschlag auf ihr
Leben und das erste Opfer innerhalb der Gruppe - beginnt Avner überall und
jederzeit eine Bedrohung zu sehen - sei es nun ein unbekannter Fremder oder eine
Bombe unter dem Bett. Dies kulminiert schließlich in jener Szene, als Avner vor
Angst und Paranoia im Kasten schläft - wie es ihm einige Zeit zuvor prophezeit
wurde. Am Ende, als die Mission
abgeschlossen ist, versucht er verzweifelt dieses Leben, die Angst und die
Gewalt hinter sich zu lassen. Verdeutlicht wird dies in einer genialen Montage,
in der Spielberg jene brutale Entführung während der olympischen Spiele in München
- die das ganze in gewisser Weise ja erst ausgelöst haben
- mit jener Szene kombiniert, als Avner nach seiner Rückkehr mit seiner
Frau schläft - und hofft dadurch Vergebung und Erlösung zu finden. Auch dies
ist ein weiteres Beispiel für eine originelle und mutige Szene, wie ich sie
Spielberg so nicht zugetraut hätte. Kurz und gut, ich bin von München absolut
begeistert - und das uneingeschränkt, von der ersten bis zur letzten Minute...
Fazit: Bereits als ich ihn mir Anfang Jänner im Kino angeschaut hatte war mir klar, dass ich hier möglicherweise bereits den besten Film des Jahres gesehen habe - und ich sollte recht behalten. Steven Spielberg hat mit "München" ein weiteres, absolut beeindruckendes Meisterwerk geschaffen. Erstaunlich und angenehm ausgewogen entlarvt er den Krieg im Nahen Osten als sinn- und endlose Spirale der Gewalt, die sich erbarmungslos immer weiter dreht und dabei die in ihr gefangenen Menschen zugrunde richtet. Zu den zahlreichen unvergesslichen Momenten des Films gehören das erste Attentat, das Gespräch zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Terroristen, der kompromisslose Mord an der weiblichen Attentäterin, Eric Bana's zunehmende Angst und Paranoia, und die grandiose Montage am Ende des Films, als Spielberg virtuos zwischen Lust und Leid hin- und herpendelt. "München" ist viel mehr als ein (fiktives) Zeitdokument zum terroristischen Anschlag auf die Sommerspiele in München. Er ist ein entlarvendes und universelles Zeugnis über die Auswirkungen von Terrorismus und Gewalt - zwei in unserer heutigen Zeit sehr beliebten Werkzeuge, von denen Spielberg jedoch klar macht, dass sie keine der beiden Gruppierungen jemals zum Ziel führen kann - und damit nicht nur der beste, sondern auch der bedeutendste Film des Jahres, dem ich jetzt schon guten Gewissens das Prädikat "Meisterwerk" verleihen kann...
Wertung:
(10/10)
Verfasser: cornholio
Veröffentlicht am 08.01.2007
Titelbild und Filmausschnitte © 2006 UIP