München

(Munich)

USA 2005, 164 Min.

Regie: Steven Spielberg

Nach "Amistad", "Schindlers Liste" und "Der Soldat James Ryan" nahm sich Steven Spielberg mit "München" erneut ein historisches Ereignis als Grundlage für einen seiner Filme: Die Geiselnahme israelischer Athleten durch palästinensische Terroristen während der olympischen Sommerspiele in München 1972. Das Ergebnis ist für mich eindeutig der bisher beste "ernste" Spielberg, mit dem er sogar sein zeitloses Meisterwerk "Schindlers Liste" in den Schatten stellt.

Nach der Geiselnahme während der Olympiade in München, die ganz Israel in Angst und Schrecken versetzt hat, beschließt die israelische Regierung - inoffiziell - zurückzuschlagen. Eine Gruppe von Männern wird ausgewählt, um die Racheaktion auszuführen - an ihrer Spitze steht Avner (Eric Bana). Ziel ist es, die Drahtzieher des Attentats ausfindig zu machen und zu töten, um ein klares Zeichen zu setzen, dass Israel solche Übergriffe nicht tolerieren wird. Doch was wie ein relativ eingeschränkter und klarer Auftrag beginnt entwickelt sich schon bald zur Tortur: Laufend kommen neue Einsatzziele hinzu, deren Verbindung zu den Attentaten in München schon bald selbst von den Auftragskillern in Frage gestellt wird. Zudem machen sich zunehmend Anspannung, Angst und Paranoia innerhalb der Einsatztruppe bemerkbar - einerseits ausgelöst durch Fehler bei den Attentaten, und andererseits dadurch, dass sie durch ihre Taten selbst zu Zielscheiben werden... 

Bereits der Einstieg macht deutlich, dass wir hier keinen der weichgespülten Spielbergs vor uns haben. Hart, brutal, und schnörkellos zeigt uns Spielberg den Überfall palästinensischer Extremisten auf das Hotelzimmer der israelischen Sportler - und gibt damit die Stoßrichtung für den Rest des Films vor.  "München" ist ein, dem Thema angemessen, ungemein harter Film, der selbst die schlimmsten und drastischsten Szenen aus Schindlers Liste meilenweit in den Schatten stellt. Auch ist er kein typischer auf Hochglanz polierter Spielberg, sondern ungemein dreckig, mit rauchenden Wunden und spritzendem Blut an allen Ecken und Enden - und sogar mit nackter Haut und einem Schuss Sex. Es ist diese Kompromisslosigkeit in der Darstellung und der Inszenierung, die mich wirklich (positiv) überrascht hat. Ebenfalls hervorgehoben werden muss die bewusst unspektakuläre Optik. Der Film spielt nicht nur in den 70ern, er sieht auch wie ein Film aus den 70ern aus. Opulente Einstellungen oder ähnliches wird man bei "München" nicht finden. Was nicht heißt, dass der Film nicht gut inszeniert wäre, ganz im Gegenteil. "München" ist ungemein stilvoll mit vielen herrlichen und wundervollen Bildern - doch die Farben sind etwas abgeschwächt, und auf hektische Schnitte wird bewusst verzichtet - das verleiht dem Film nicht nur das Gefühl eines gewissen Alters, sondern verleiht ihm auch Klasse und Stil - und ein gewisses Maß an Realismus, denn dadurch, dass Spielberg auf umständliche Kameratricks verzichtet, wird "München" teilweise wie eine Dokumentation. Auch die Musik hat Spielberg wohl noch nie in seiner Karriere spärlicher eingesetzt - auch dies verstärkt den Realismus. John Williams Komposition passt sich dabei erneut der Klasse des zugrundeliegenden Films an, und schafft es, diesen zu unterstützen, ohne Aufmerksamkeit von sich zu lenken - was dann irgendwie doch eher untypisch für einen seiner Soundtracks ist.

Trotz der fehlenden Hochglanzoptik ist München ein inszenatorisches Meisterwerk, was er in unzähligen großartigen deutlich aufzeigt. Ich gebe zu, dass der Film vielleicht nicht ganz so packend ist wie einige sich das wohl gewünscht und/oder erwartet hatten. Doch als Freund von Filmen, die auch gerne mal ruhigere Töne anschlagen können, hat mich das nicht im Geringsten gestört - vor allem auch deshalb, da alle Szenen, wenn schon nicht spannend, zumindest interessant und/oder dramatisch waren und der Film deshalb für mich zu keiner Sekunde langweilig wurde. Außerdem versteht es Spielberg, die eher ruhigeren, langsameren Phasen immer wieder durch gelungene Spannungsszenen zu unterbrechen, seien es die Attentate oder auch die zahlreichen anderen Konflikte, Schießereien und Zusammenstöße der Attentäter mit feindlichen Gruppierungen. Das in dieser Hinsicht absolute Highlight war das allererste Attentat, als man soeben die Bombe im Telefon platziert hat, den Apparat anruft - und das kleine Mädchen zum Telefon schreitet, um abzuheben. Eine absolut perfekte Szene, die was die Spannung betrifft im Kinojahr 2006 nicht mehr übertroffen wurde. Thematisch fand ich vor allem beeindruckend, dass Spielberg eben nicht eindeutig Stellung für oder gegen Israelis oder Palästinenser bezieht. Dies wird besonders in jener Szene deutlich, als sich Avner und ein palästinensischer Terrorist gegenüberstehen. Die Sichtweise beider Parteien ist zu verstehen, und es wird deutlich, dass der Konflikt mittlerweile eine solche Eigendynamik entwickelt hat, dass die eigentlichen, ursprünglichen Ziele schon fast aus den Augen verloren wurden. Es geht nur mehr um Rache, die erst recht wieder neue Grausamkeiten hervorruft - eine Spirale der Gewalt, die weder mit München begonnen noch mit München oder den zahlreichen, zur angeblich so wirkungsvollen Abschreckung durchgeführten Racheaktionen, geendet hat, sondern sich bis heute durchzieht - etwas, an das Spielberg in seiner letzten Szene mit dem Twin Towers in New York erinnert (und dem davor eingeblendeten Text, der uns darüber informiert, dass der Mossad 9 von 11 auf der Liste stehenden Personen ermordet hat - 9/11).

Neben der grandiosen Inszenierung sind insbesondere auch die großartigen schauspielerischen Leistungen des Ensembles hervorzuheben. Egal ob Daniel Craig, Ciaran Hinds, Mathieu Kassovitz, Hans Zischler, Geoffrey Rush oder Lynn Cohen, sie alle stellen ihre Figuren glaubwürdig dar und vermögen in jeder Sekunde zu überzeugen. Die hervorstechendste Leistung vollbringt aber Eric Bana als Avner. Es ist absolut erschütternd zu sehen, wie dieser Familienvater langsam aber sicher an der ihm zugetragenen Aufgabe zu zerbrechen droht - einerseits aufgrund der Schuldgefühle und andererseits aus Angst. Mit zunehmender Erfahrung als Attentäter und mit dem Legen von Bomben - und nach dem ersten Anschlag auf ihr Leben und das erste Opfer innerhalb der Gruppe - beginnt Avner überall und jederzeit eine Bedrohung zu sehen - sei es nun ein unbekannter Fremder oder eine Bombe unter dem Bett. Dies kulminiert schließlich in jener Szene, als Avner vor Angst und Paranoia im Kasten schläft - wie es ihm einige Zeit zuvor prophezeit wurde. Am Ende, als die Mission abgeschlossen ist, versucht er verzweifelt dieses Leben, die Angst und die Gewalt hinter sich zu lassen. Verdeutlicht wird dies in einer genialen Montage, in der Spielberg jene brutale Entführung während der olympischen Spiele in München - die das ganze in gewisser Weise ja erst ausgelöst haben - mit jener Szene kombiniert, als Avner nach seiner Rückkehr mit seiner Frau schläft - und hofft dadurch Vergebung und Erlösung zu finden. Auch dies ist ein weiteres Beispiel für eine originelle und mutige Szene, wie ich sie Spielberg so nicht zugetraut hätte. Kurz und gut, ich bin von München absolut begeistert - und das uneingeschränkt, von der ersten bis zur letzten Minute...

Fazit: Bereits als ich ihn mir Anfang Jänner im Kino angeschaut hatte war mir klar, dass ich hier möglicherweise bereits den besten Film des Jahres gesehen habe - und ich sollte recht behalten. Steven Spielberg hat mit "München" ein weiteres, absolut beeindruckendes Meisterwerk geschaffen. Erstaunlich und angenehm ausgewogen entlarvt er den Krieg im Nahen Osten als sinn- und endlose Spirale der Gewalt, die sich erbarmungslos immer weiter dreht und dabei die in ihr gefangenen Menschen zugrunde richtet. Zu den zahlreichen unvergesslichen Momenten des Films gehören das erste Attentat, das Gespräch zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Terroristen, der kompromisslose Mord an der weiblichen Attentäterin, Eric Bana's zunehmende Angst und Paranoia, und die grandiose Montage am Ende des Films, als Spielberg virtuos zwischen Lust und Leid hin- und herpendelt. "München" ist viel mehr als ein (fiktives) Zeitdokument zum terroristischen Anschlag auf die Sommerspiele in München. Er ist ein entlarvendes und universelles Zeugnis über die Auswirkungen von Terrorismus und Gewalt - zwei in unserer heutigen Zeit sehr beliebten Werkzeuge, von denen Spielberg jedoch klar macht, dass sie keine der beiden Gruppierungen jemals zum Ziel führen kann - und damit nicht nur der beste, sondern auch der bedeutendste Film des Jahres, dem ich jetzt schon guten Gewissens das Prädikat "Meisterwerk" verleihen kann...

Wertung:   (10/10)             

 

Verfasser: cornholio

Veröffentlicht am 08.01.2007

 

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Titelbild und Filmausschnitte © 2006 UIP