Old Boy

 

Südkorea 2003, 120 Minuten

Regie: Park Chan-wook

Die diesjährigen Filmfestspiele in Cannes sollten sich zu einem wahren Triumphzug für das asiatische Kino entwickeln. Zwar wurde (wohl als Solidaritätsbekundung) die goldene Palme an Michael Moores neuesten Streich Fahrenheit 451 vergeben, aber neben Darstellerpreisen ging auch der große Preis der Jury in den fernen Osten. Nicht wie viele vorher erwartet hatten an 2046, Wong Kar Wei’s mit Spannung erwartete (Quasi-)Fortsetzung zu *In the Mood for Love* sondern an den ungleich moderneren und kontrovers diskutierten Oldboy. Park Chan-wooks erst dritter Lang-Film nach seinen Meisterwerken Joint Security Area und Sympathy for Mr. Vengeance soll besonders den diesjährigen Jury-Präsidenten Quentin Tarantino begeistert haben…und wie ich mit winzigen Einschränkungen sagen muss…: völlig zu Recht. 

Eben noch stand O-Daesu (Choi Min-sik )mit seinem besten Freund  neben einer Telefonzelle…im nächsten Moment ist er spurlos verschwunden. 15 Jahre wird er von gesichtslosen Unbekannten in einer Gefängniszelle gefangen gehalten. 15 Jahre in denen er kein Sonnenlicht zu sehen bekommt, 15 Jahre ohne frische Luft, ein Gespräch oder körperlichen Kontakt. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt ist der Fernseher (ok..bis zu dieser Stelle könnte das auch das Leben eines gewöhnlichen Counterstrike-Freaks beschreiben..aber nur Ruhe es geht weiter), fit hält er sich mit Schattenboxen gegen die Zimmerwand und seinen Geist beschäftigt er mit dem erstellen eines Tagebuches in dem er alle seine Schandtaten auflistet…auch um zu verstehen wer ihm dies antut.. und vor allem WARUM?Eines Tages erwacht er auf dem Dach eines Hochhauses…nun gibt es nur noch ein Ziel…den Schuldigen finden, seine Motivation verstehen ….und Rache üben! 

Die Credits sind gelaufen. Aufblende. Treibende Musik. Wir sehen eine Hand, die etwas umklammert und vor Anstrengung zittert. Langsam schwenkt die Kamera am dazugehörigen Körper nach oben… doch das Gesicht der Figur bleibt wegen der blendenden Sonne noch im Dunkel. Wechsel in die dritte Person hinter dem Protagonisten (?) und man sieht, was seine Hand umklammert…eine Krawatte…und an dieser hängt ein Mann mit einem Hund in den Armen über dem Abgrund eines Hochhauses. 

Was?
Ich sagte, ich erzähle dir meine Geschichte.

Kamera fährt zum Close Up des Mannes am Abgrund und fängt dessen Verzweiflung ein.

Ich verstehe nicht? Was für eine Geschichte? Wer zur Hölle sind Sie?

Nahaufnahme des anderen Mannes, der in die Kamera herabblickt…das Gesicht immer noch zu dunkel um etwas zu erkennen. Eine Stille, die nur Sekunden dauert, aber doch ewig anmutet.

Mein…
....Name ist…..

Blende auf einen Mann mit Nasenbluten, der in einem Polizeirevier sitzt und offensichtlich betrunken ist.

O-dae-su
 

Wie man an diesen ersten 30 Sekunden schon erkennen kann, gönnt Park Chan-wook dem Zuschauer keine Eingewöhnungszeit oder lange Atempausen. Ähnlich wie der Protagonist wird man in Situationen geschmissen, deren Bedeutung man auf den ersten Blick schwer einschätzen kann. Besonders die Anfangsphase, die Verschwinden, *Haft*zeit und die ersten Schritte in Freiheit in knapp 15 Minuten zeigt, erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, denn anders als die meisten US-Filme verfolgt Oldboy weder die Absicht den Zuschauer in den ersten Minuten mehr oder weniger behutsam auf das kommende vorzubereiten noch will er nur einen Knalleffekt bieten. Hier verschwimmen die Grenzen der klassischen Erzählstruktur von Anfang-Mittelteil-Schluss. Dokumente der außergewöhnlich kreativen Regiearbeit, überraschende Wendungen, Schocks und auch nachdenkliche Momente mit hochklassigen Dialogen (bzw. Monologen der Erzählstimme) finden sich in Oldboy in einer derart großen Fülle und Dichte, das auch kein Platz wäre um etwas von der 2 stündigen Laufzeit mit Banalitäten zu verschwenden. Das der Film trotzdem nicht überfrachtet, gehetzt oder gar zwanghaft auf Kult gebürstet wirkt, ist der vielleicht größte Verdienst dieses Ausnahmeregisseurs. Besonders Zuschauer, die keine oder nur wenig Erfahrungen mit dem jungen asiatischen Kino haben und sich (verständlicherweise) schwer tun Namen und Gesichter richtig zuzuordnen, könnten aber schnell die Bindung zum Film verlieren und das Treiben als wirr und zu sprunghaft empfinden. Dies nur zur Warnung…legt euch euer Popcorn und die Getränke gut zu Recht, leert eure Blase, füttert das Erdferkel und setzt den Tunnelblick auf…hier gibt es viel zu verpassen. 

Das Old Boy nicht nur Lobeshymnen hervorrief sondern teilweise auch auf Ablehnung stieß, dürfte neben der gewöhnungsbedürftigen asiatischen Erzählweise vor allem an einigen sehr *schmerzhaften* Szenen liegen. Obwohl…oder vielleicht auch gerade weil die Gewalt fast nie direkt gezeigt wird, gibt es Momente, die den ein oder anderen zusammenzucken lassen dürften. Wer schon im Wartezimmer seines Zahnarztes Schweißausbrüche bekommt, wird an 2 Szenen seine besondere Freude haben. Neben dieser sehr realistischen Gewalt, deren Auswirkung vor allem im Kopf des Zuschauers entsteht, gibt es in Oldboy aber auch ein paar Comicanleihen, die vielleicht etwas befremdlich wirken würden…wenn man nicht wüsste, das die Story auf einem Manga beruht.

Ich näher mich dem Fazit und merke, dass ich keinen Punkt gefunden habe, den ich kritisieren könnte, das kein Potential verschenkt wurde und Oldboy zweifelsohne ein großer Film ist. Warum werde ich ihm dennoch nicht die Höchstnote geben können und warum ordne ich ihn (momentan?) hinter JSA und Sympathy für Mr. Vengeance ein? Bei ersterem fällt mir die Erklärung leicht. JSA traf meinen persönlichen Geschmack einfach fast perfekt. Bei aller Tragik und dem unaufhaltsamen Zusteuern auf eine Katastrophe hatte der Film auch viel Humor, menschliche Wärme und strahlte letztendlich Optimismus aus. Er war also zugleich bewegend als auch sehr unterhaltsam…ein Film den man sich immer wieder ansehen kann.

Mr. Vengeance hingegen war kalt wie toter Fisch. Ein trotz gelegentlichem Aufflammen bitterbösen Humors durch und durch deprimierendes Rachedrama, das den Zuschauer herunterzieht. Mit 2 Protagonisten, denen man beiden ihre Genugtuung wünscht…was aber aufgrund der Konstellation unmöglich ist. Gerade aufgrund der tödlichen Stille und verglichen mit Oldboy langsamen Gangart konnten sich bei mir 2 Szenen stärker einbrennen als es selbst bei den genialsten von Oldboy der Fall war. Da der alte Junge, aber eben weitaus  mehr dieser genialen Momente hatte und auch der *einzigartigere* Film ist, ist das eigentlich ein dünner Grund. Der eigentliche Punkt warum ich ihn (noch) nicht angemessen würdigen kann, dürfte daher wohl mal wieder meine gewaltige Erwartungshaltung gewesen sein. Ein Film, der von Kritikern und Fans gleichermaßen so in den Himmel gelobt wurde, der von einem meiner Lieblingsregisseure (auch wenn das nach 2-3 Filmen etwas verfrüht klingen mag) stammt und bei dem ich leider im Vorfeld leicht gespoilert wurde, hat es leider ungleich schwerer als JSA von dem ich praktisch nichts wusste und Mr. Vengeance von dem ich nur ein anstrengendes ..vielleicht sogar leicht dröges Drama französischer Prägung erwartete. 

Zu guter letzt noch der obligatorische Absatz für Besetzung und  Musik. Ich könnte es kurz machen und schreiben, dass die verdammten alten Drecksäcke von der Academy mal über ihren Schatten springen müssen und auch ausländischen Filmen eine faire Chance bei ihren Awards geben sollen. Das ich dieses Jahr keinen Schauspieler gesehen habe, der mehr in seiner Rolle aufgegangen ist als der Hauptdarsteller Choi Min-sik. Der charismatische Bösewicht aus Shiri legt hier ohne zu übertreiben eine Vorstellung hin, mit der er sich vor einem deNiro in Hochform nicht verstecken muss. Dass der Rest des Casts deswegen etwas in den Hintergrund gerät, bedeutet aber nicht, das dieser nur Durchschnittsleistungen bietet. Um es mit einem Fußballbeispiel zu sagen: Neben einem Zidane ( natürlich der in Hochform..und nicht der deutlich über seinem Zenit stehende *g*) kann selbst ein Figo wie ein Wasserträger aussehen. Ähnliche Gründe hat es, das der großartige, mit Klassikmusik und Hochspannung erzeugenden Stücken gespickte Soundtrack zur Randnotiz verkommt,  …eine derart geniale Bildsprache könnte wohl selbst ein von Dieter Bohlen komponierter Score nicht zerstören.

Fazit: Mit diesem Geniestreich hat sich Park Chan-wook endgültig in die Eliteliga der jungen (kann mit knapp 40 wohl noch sagen) wilden Regisseure katapultiert. Sein Name, der in einem Atemzug (bei einigen davon auch vor) mit z.B. David Fincher, Darren Aronofsky, Vincenco Natali, M. Night Shyamalan oder gar Quentin Tarantino genannt werden darf, bürgt für außergewöhnliches und unberechenbares Kino mit handwerklicher und erzähltechnischer Brillanz. Dank dem Canneserfolg und dem (besonders für einen so speziellen Film) beachtlichen Box-Office Ergebnis von über 3 Millionen Zuschauern in Korea sollte er auch weiterhin die Möglichkeiten finden seine Ideen kompromisslos zu realisieren. Das lässt hoffen, dass der kommende 3te Teil seiner Rachetrilogie (Mr. Vengeance war der erste, Oldboy der Mittelteil) seinen Vorgängern in nichts nachstehen wird.  Umso bedauerlicher, das auch dieser südkoreanische Hit für die USA nicht gut genug zu sein scheint…das unvermeidliche Remakemurmeltier ist schon wieder am grüßen. Sollte dieses (vermutlich wieder glattgebügelte) Machwerk, dann tatsächlich die Oscars einfahren, die das Original verdient hat, bzw. einen größeren Kultstatus als das Original erlangen,  versteh ich die Filmwelt langsam nicht mehr. Am 02. September 2004 startet Oldboy in den deutschen Kinos. 

Wertung:   (9/10)

 

Verfasser: evildead

 

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Titelbild und Filmausschnitt © 2003 e-m-s new media