Sunshine
GB
2007, 107 Min.
Regie: Danny Boyle
Das Subgenre der klassischen Weltraum-SF hat mich schon immer besonders fasziniert. Jene Filme, die den Weltraum, dessen unendliche Weiten und seine Wunder und unerklärlichen Phänomene in den Mittelpunkt rücken, und nicht Aliens, Weltraumgeballer, oder sonstige Action. Eben solche waren in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten, absolute Mangelware. Der letzte entsprechende Film war wohl das "Solaris"-Remake von Soderbergh, und auch wenn mir dieses recht gut gefallen konnte (jedenfalls besser als 99% der anderen Kinobesucher ) so blieb er doch deutlich hinter den Klassikern zurück. Dank Danny Boyle kann nun ein weiterer Film - mit Respektabstand zu 2001 - in die Ruhmeshalle des Genres aufsteigen.
Im Jahr 2057 steht die Menschheit kurz davor, ausgelöscht zu werden. Grund ist die Sonne: Einst Quell allen Lebens auf der Erde, droht sie nun zu erlöschen. Bereits vor sieben Jahren wurde eine Mission losgeschickt, um den sterbenden Stern mittels einer riesigen nuklearen Bombe wiederzubeleben, doch kurz vor dem Ziel brach die Verbindung ab - seither fehlt von der Crew und dem Schiff jede Spur. Nun hat man die "Icarus II" mit einer 8-köpfigen Besatzung auf den Weg geschickt, um zu vollbringen, was ihren Vorgängern verwehrt blieb. Vom Erfolg der Mission hängt das Überleben der gesamten Menschheit ab. Dementsprechend angespannt ist die Situation an Bord. Erschwerend kommt noch hinzu, dass man nun schon mehrere Jahre auf engstem Raum zusammenlebt. Als zudem die Verbindung zur Erde abbricht, fühlt sich die Crew noch isolierter als schon zuvor, was die Spannungen zusätzlich erhöht. Da empfängt man plötzlich das Notsignal der "Icarus I". Offenbar befindet sie sich im Orbit der Sonne. Nach langer Überlegung beschließt der Physiker der Besatzung, Capa (Cillian Murphy), der für die Zündung der Bombe zuständig ist und dem diese schwere Entscheidung überlassen wurde, zur Icarus I zu fliegen, um zu sehen ob die Crew noch am Leben ist. Doch als einem anderen Crewmitglied ein folgenschwerer Fehler unterläuft, droht die Mission zu scheitern...
Ich
hatte das Glück, diesen Film vorab ein paar Tage vor dem eigentliche Kinostart
sehen zu dürfen, da ich bei einer Verlosung des Radiosenders 88.6 Karten für
die Vorpremiere gewonnen hatte. Am Abend davor wollte ich mich nochmal schlau
machen und habe mir einige Reviews im Internet durchgelesen, und wurde, nachdem
meine Erwartungen spätestens nach dem großartigen Trailer ins Unermessliche
gestiegen sind, ziemlich ernüchtert. Denn das, was dort in einigen Kritiken
beschrieben wurde, klang alles andere als vielversprechend. Da war von
Slasher-Einlagen die Rede, davon dass ab einem gewissen Zeitpunkt in typischer
"10 kleine Negerlein"-Manier ermordet und gestorben wird, die Tode und
ihre Reihenfolge zudem sehr vorhersehbar wären und auch einige der typischen
Katastrophenfilmklischees bedient würden, usw. Kommentare, die mich stark
verunsichert haben, und mich zweifeln ließen, ob es Sunshine gelingen würde,
die von mir gehegten Hoffnungen und Erwartungen auch tatsächlich erfüllen zu können
- klangen doch diese Elemente viel zu gewöhnlich für einen Film, der
erfrischend außergewöhnlich wirkte. Nun, ich weiß beim besten Willen nicht,
welchen Film diese Kritiker gesehen haben, oder mit welchen Augen sie ihn
gesehen haben - mit meinen war es jedenfalls nicht.
Es stimmt, dass "Sunshine" durchaus einige Thriller- und
Horrorelemente beinhaltet, nichtsdestotrotz bleibt er in erster Linie ganz klar
ein Science Fiction-Film. Im Vergleich zu z.B. "Alien" ist zudem der
Thrill- und Horroranteil deutlich geringer, weshalb es mich wirklich wundert,
warum in einigen Reviews gerade dieser Teil so stark hervorgehoben (und zumeist
auch kritisiert) wird. Auch was die gezeigte Gewalt betrifft kann ich einige (Internet-)Kritiker
nicht verstehen, denn diese hält sich wirklich sehr in Grenzen und ist zu
keinem Zeitpunkt störend oder gar selbstverliebt. Fließt hie und da ein
bisschen Blut? Ja, keine Frage... aber in Zeiten von Saw und/oder Hostel kommt
man nicht umhin, "Sunshine" als vergleichsweise harmlos einzustufen.
Den Splattervorwurf, den ich irgendwo im Internet mal vernommen hatte, finde ich
sogar richtiggehend lächerlich – da fragt man sich schon, welche mit
SF-Scheuklappen durch die wunderbare Welt des Kinos wandelnden Tattergreise zu
solch einer Ansicht gelangen können. Was die Bedienung typischer
Katastrophenfilmklischees betrifft, fällt mir das Abstreiten zugegebenermaßen
schon etwas schwerer, da es in der Tat einige Elemente wie z.B. den Heldentod
gibt, die sich auch in "Sunshine" wiederfinden. Trotzdem unterscheidet
sich Danny Boyle's Film selbst in diesen Momenten doch deutlich von
08/15-Katastrophenfilmen, da er sie ohne den dafür typischen Pathos inszeniert.
Den Vorwurf, "Sunshine" wäre nichts weiter als ein Film nach dem
typischen "10 kleine Negerlein"-Strickmuster, kann ich allerdings
definitiv nicht bestätigen. Natürlich gibt es Opfer und Verluste innerhalb der
Crew, aber nur erstaunlich wenige davon gehen auf das Konto des unbekannten
Eindringlings – der Rest kommt auf andere Art und Weise ums Leben. Zudem ist
keiner der Tode wirklich vorhersehbar, so dass man sagen könnte, man wusste
schon genau, wen es als nächsten erwischen würde, und wann. Mal ganz abgesehen
davon, dass "Sunshine" ohnehin deutlich mehr zu bieten hat als das Rätselraten
wer als nächstes draufgeht. Im Gegensatz zu anderen Filmen die ihren ganzen
Reiz nur daraus beziehen, ist es bei Danny Boyle's SF-Film nur ein kleines Rädchen
von vielen, welche in Summe eine großartige, faszinierende und aufgrund der
Vielschichtigkeit auch sehr abwechslungsreiche Mischung ergeben.
Viel
wird in den kommenden Tagen (Wochen? Jahren?) über die Schauwerte dieses Films
gesprochen werden - und das völlig zu recht, denn auch in dieser Hinsicht ist
"Sunshine" ein Film in bester SF-Tradition. Viele der Einstellungen,
Bilder und Szenen sind wirklich beeindruckend und atemberaubend. Immer wieder
wird das Auge des Kinobesuchers mit wundervollen und imposanten Bildern verwöhnt.
Vor allem die Sonne wurde einerseits wunderschön, andererseits aber auch rau
und beängstigend in Szene gesetzt, wird doch im Film deutlich, welche
unheimlich starke Kraft sie besitzt. Und auch die kurzen, faszinierenden Eindrücke
vom Merkur, und wie klein er im Vergleich zur Sonne wirkt, werden mir noch lange
in Erinnerung bleiben. Auch das Design ist sehr gut gelungen, allen voran die
Icarus mit ihrem riesigen Sonnenschild. Ebenfalls beeindruckt hat mich das
Innenleben der Bombe – auch wenn es ein bisschen an den SF-Thriller „Cube“
erinnert hat, war es nichtsdestotrotz eine faszinierende Konstruktion. Egal ob
das Design oder die zahlreichen Weltraumszenen, die insbesondere die Sonne auf
imposante Art und Weise in Szene setzen - es lohnt sich schon allein aufgrund
der wundervollen Bilder, ins Kino zu pilgern, um „Sunshine“ auf der großen
Leinwand zu erleben.
Für einen Kinobesuch sprechen nicht nur die beeindruckenden Bilder, sondern
auch sie hochwertige und sehr gelungene Inszenierung. Hierbei stechen vor allem
zwei Vorbilder recht deutlich heraus, nämlich einerseits „2001 - Odyssee im
Weltraum“, an das insbesondere die eher ruhigen und sehr stilvollen
Weltraumszenen erinnern, sowie „Alien“, dessen Einfluss besonders in den
Szenen innerhalb des Raumschiffs zu spüren ist. Denn bereist zu Beginn, als es
eigentlich noch keine große Bedrohung zu geben scheint, beschleicht einen an
Bord der Icarus ein unruhiges und klaustrophobisches Gefühl. Den Höhepunkt
erreicht diese Anspannung dann schließlich, als die Astronauten an Bord der
Icarus I gehen. Ab dann erreicht der Film eine atmosphärische Dichte, die sich
mit dem Showdown aus „Alien“ messen kann. Unterstützt wird dieses Gefühl
durch einen wirklich originellen und fiesen inszenatorischen Trick: Denn sobald
die Crew die Icarus I erreicht hat, werden immer wieder Bilder der Gesichter
ihrer Besatzungsmitglieder gezeigt, jedoch nur für Sekundenbruchteile, am Rande
der Wahrnehmungsschwelle. Man registriert die Bilder zwar, dennoch glaube ich,
dass sie durchaus auch noch unterbewusst wirken - auf jeden Fall sorgten sie bei
mir für ein mulmiges und beunruhigendes Gefühl, wodurch die aufgrund der
Umgebung ohnehin schon beängstigende Atmosphäre noch einmal deutlich
gesteigert wird. Doch das ist längst nicht der einzige ausgefeilte Kniff der
Inszenierung: Während Boyle in den Außenszenen, wie bereits angesprochen, sehr
klassisch und stilvoll inszeniert, verwendet er gerade auch gegen Ende hin
innerhalb des Schiffes zunehmend moderne Stilmittel, wie Verzerrungen,
Zeitraffer, Zeitlupen etc. Zudem gelingt es auch der gelungenen und passenden
Farbgebung, zu gefallen, dominieren doch fast den ganzen Film über Gelb- und
Brauntöne - angesichts der Nähe der Icarus zur Sonne. Und zuletzt wird die
Inszenierung auch vom Soundtrack zu jedem Zeitpunkt perfekt unterstützt, sowohl
in den ruhigeren als auch in den spannenderen Szenen. Vor allem das eher
traurige musikalische Thema, das zwei- oder dreimal gespielt wurde (und mich ein
bisschen an jene Musik erinnert hat, als Gandalf in „Die Gefährten“ „in
den Schatten stürzt“), hat mir sehr gut gefallen. Schade nur, dass meine
Ohren gleich als der Abspann begann mit irgend einem grauslichen Lärm gefoltert
wurden, den ich beim besten Willen nicht mehr als Musik bezeichnen kann.
Ein
weiterer Aspekt, der neben der angeblich so erschütternden Gewalt in vielen
Reviews kritisiert wird, ist die Handlung des Films - insbesondere die Richtung,
die „Sunshine“ einschlägt, nachdem die Icarus I erreicht wird. Irgendwie
kann ich ja verstehen, wenn den einen oder anderen diese Wendung vor den Kopf stößt,
aber auch hier kann ich nur wieder darauf hinweisen, dass mich das entsprechende
Element nicht gestört hat. Im Gegenteil, meines Erachtens macht gerade diese
Mischung u.a. den Reiz des Films aus, macht ihn dies doch unheimlich erfrischend
und abwechslungsreich. Ja selbst die logischen Schwächen, die von einigen
angeprangert werden, halte ich für vernachlässigbar - und das, obwohl ich
Filme sonst mit den Augen und Ohren eines Vulkaniers sehe und üblicherweise
sogar viel zu viel wert auf diesen Aspekt lege. Zugegeben, auch mir kommen ein
oder zwei Dinge ein wenig seltsam vor (zum Beispiel, dass Capa der einzige ist,
der die Bombe aktivieren kann), doch den Filmgenuss konnte dies bei mir nicht
mal für eine Sekunde trüben. Denn viel schwerer als diese Kleinigkeiten wiegen
die positiven Seiten - auch der Handlung. So ist die Grundidee an sich schon mal
viel interessanter und auch faszinierender als in üblichen Katastrophenfilmen.
Auch das Drehbuch an sich ist in meinen Augen großartig und besticht vor allem
mit den vielschichtigen Figuren, den interessanten Wendungen und genau der
richtigen Mischung aus temporeichen Passagen und ruhigen Momenten.
Vor allem aber überzeugt „Sunshine“ auch an anderer, wesentlicher Stelle,
denn es gibt ein Zauberwort, durch dass er sich von zahlreichen anderen Filmen
deutlich abhebt, und dieses lautet Subtext: Es gibt zahlreichen Szenen und
Handlungselemente, die Spielraum für Diskussion, Spekulation und Interpretation
bieten. Neben Fragen zur Handlung, dem Verhalten verschiedenster Personen und
einiger angesprochener Ideen und Überzeugungen ist hier insbesondere das
offene, mystische Ende zu erwähnen. Auch dies ist ein Element an dem die
Meinungen weit auseinandergehen, und mir ist klar, dass es auch innerhalb der
deutschen SF-Fangemeinde durchaus umstritten sein wird. Ich für meinen Teil
kann allerdings nur festhalten, dass meines Erachtens jeder, der das offene Ende
des Films kritisiert, ein wesentliches Grundgesetz des Genres nicht begriffen
hat: In der Science Fiction geht es nicht um Antworten, sondern um Fragen. Sei
es nun zur Natur des Menschen, zu unserem Verhalten, sei es zu unerklärlichen
Phänomenen, phantastischen Ereignissen oder eben auch zur Handlung des Films:
Gute SF hat schon immer und wird hoffentlich auch immer interessante Fragen
aufwerfen, es jedoch dem Zuschauer überlassen, darauf Antworten zu finden - wie
z.B. bei „2001 - Odyssee im Weltraum“, „Donnie Darko“, oder eben auch
„Sunshine“. Für mich ist es eines der großen Stärken des Genres, dass es
die Leute dazu anregt, sich über den gerade gesehenen Film Gedanken zu machen
und über einige der Implikationen und aufgeworfenen Fragen zu sinnieren - sei
es nun für sich allein oder auch mit anderen. Und auch wenn das Ende von „Sunshine“
zugegebenermaßen nicht so mysteriös und vielseitig interpretierbar ist, wie es
bei den oben erwähnten Filmen der Fall war, so ist dieser Subtext
nichtsdestotrotz vorhanden, und sorgt gemeinsam mit der interessanten Handlung,
den beeindruckenden Bildern und der großartigen Inszenierung dafür, dass Danny
Boyle’s fantastische Reise zum Stern unseres Sonnensystems den geneigten
Zuschauer noch einige Zeit nach dem Kinobesuch beschäftigen wird.
Fazit: Nach langer Durststrecke hat es dank Danny Boyle endlich wieder ein klassischer Weltraum-SF-Film auf die große Leinwand geschafft. Zugegeben, „Sunshine“ ist kein reiner Science Fiction-Film, da er auch noch mit Thriller- und Horrorelementen gespickt ist - doch gerade diesen interessanten und abwechslungsreichen Mix fand ich sehr ansprechend. Zu der spannenden Handlung, die auch einiges an Interpretationsspielraum bietet, gesellen sich zudem überzeugende Schauspielerleistungen, eine hochwertige Inszenierung und die großartigen Effekte, die dem Science Fiction-Fan (und solchen die es werden wollen) einige schöne und beeindruckende Bilder beschert, die noch lange im Gedächtnis bleiben sollten. Schon allein aufgrund der imposanten Bilderpracht und einigen faszinierenden Einstellungen hat es sich der Film jedenfalls verdient, auf einer ansprechend großen Kinoleinwand gesehen zu werden - können die großartigen Bilder doch nur dort so richtig zur Geltung kommen. Für mich ist "Sunshine" jedenfalls ein stilistisches und inszenatorisches Meisterwerk. Faszinierend und beklemmend zugleich, ist er - in allen Belangen - ein Film in bester Science Fiction Tradition, und daher für jeden SF-Fan ein absolutes Muss. Ein zukünftiger Klassiker des Genres, den man sich nicht entgehen lassen sollte!
Wertung: (10/10)
Verfasser: cornholio
Veröffentlicht am 22.04.2007
Titelbild und Filmausschnitte © 2007 20th Century Fox