Atlantis

(Hearts in Atlantis)

 

Veröffentlichung: 1999, 615 Seiten

Autor: Stephen King

Verlag: Heyne

1960: In einer amerikanischen Kleinstadt trifft der kleine Junge Bobby Garfield einen komischen alten Mann namens Ted Brautigan. Dieser gibt ihm just die Herzlichkeit, Aufmerksamkeit und Liebe, welche er von seiner (alleinerziehenden) Mutter, die mehr mit dem Geld als mit ihm beschäftigt zu sein scheint, schmerzlich vermisst. Zwischen den beiden entwickelt sich eine innige Freundschaft - die schließlich auf die Probe gestellt wird, als jene „niederen Männer“, vor denen sich Ted zu verstecken hoffte, die Kleinstadt heimsuchen. 1966 ist Pete am College, und verfällt dem Kartenspiel „Hearts“ - in einem Herbst und Winter, der vom Vietnam-Krieg geprägt wird. Während er verzweifelt versucht, von seiner Spielsucht wegzukommen, lernt er Bobby’s ehemalige Freundin Carol Gerber kennen, die sich schon bald dem Widerstand gegen den Krieg anschließt. Als sie ihn schließlich verlässt, droht Pete endgültig aufzugeben - doch ein Ausschluss aus dem College bedeutet die Einberufung nach Vietnam, und damit den vermeintlichen Tod. 1983 geht der Kriegsveteran Willie, einer der größten Feinde aus Bobby’s Kindheit, jeden Tag betteln, in der Hoffnung damit für seine Sünden Buße zu tun. 1999 schließlich stirbt Bobby’s ehemaliger Freund Sully, und Bobby und Carol finden sich zum Begräbnis ein...

Ich will ehrlich sein: Wenn ich vorher genauer gewusst hätte, worum es in diesem Roman geht, hätte ich ihn wohl im Regal (oder genauer gesagt: In den Lagerhallen von amazon.de) liegen lassen. Sowohl Jugend- als auch Kriegsdramen zählen nicht unbedingt zu meinen Lieblingsgenres, weshalb dieser Roman bei mir von vornherein einen schlechten Stand hatte. In Anbetracht dieser Tatsache hat mir der Roman eigentlich gar nicht mal so schlecht gefallen. Die beste Geschichte war meines Erachtens die erste mit Bobby, Ted und den „niederen Männern“. Zwar steht diese Geschichte natürlich im Schatten von King’s Meisterwerk „Es“, und kann sich auch zu keiner Sekunde damit messen, trotzdem ist „Niedere Männer in gelben Mänteln“ vor allem gegen Ende hin durchaus spannend, mitreißend und auch recht atmosphärisch. Bei den (fast 200) Seiten zuvor hätte King aber (wie ich es leider so oft bei ihm feststellen muss) deutlich kürzen sollen - denn nicht nur, dass viele Szenen mal wieder viel zu ausführlich erscheinen und damit die Handlung unnötig aufhalten, viele der Gedanken der Personen wiederholen sich sogar, fast Wort für Wort, einige Male - so als hätte King vergessen, dass er diesen Gedankengang ohnehin ca. 50 Seiten zuvor schon mal geschildert hat. Trotzdem ist die erste Geschichte noch die beste des Buches - ich würde ihr 6/10 geben. 

Der Sprung von „Niedere Männern in gelben Mänteln“ zu „Hearts in Atlantis“ ist ziemlich holprig, plötzlich und hart, da sich beide Geschichten doch deutlich unterscheiden. Die Story rund um Ted und Bobby hatte zumindest ansatzweise noch übernatürliche Elemente, „Hearts“ ist aber ein reines „Jugenddrama“ mit dem Hintergrund des Vietnam-Krieges. Durch die Wahl, die Geschichte in der Ich-Perspektive zu erzählen, ergibt sich eine starke Stilveränderung, welche den Bruch zwischen den beiden Geschichten noch deutlicher macht. Nichtsdestotrotz ist diese Geschichte recht gut geschrieben und unterhaltsam, jedoch ergab sich das Problem dass ich die Spielsucht absolut nicht nachvollziehen konnte und irgendwann insofern ausgestiegen bin, als dass es mir ab einem gewissen Zeitpunkt einfach egal war, ob Pete sein Studium nun noch schafft oder nicht (im Sinne von "selber Schuld"). Interessanterweise hat mir die Romanze zwischen Carol und Pete an dieser Geschichte fast am besten gefallen - und das, obwohl ich sonst nicht gerade der übermäßige Love Story-Fan bin. Ebenfalls toll waren natürlich jene Teile der Geschichte, die sich näher mit dem Vietnam-Krieg auseinandergesetzt haben. Zwar waren auch bei "Hearts in Atlantis" meines Erachtens einige Stellen etwas zu lang, im Vergleich zur 1. Geschichte des Bandes hält es sich jedoch in vertretbaren Grenzen. Alles in allem eine gute Story, bei der jedoch zu Beginn der starke Kontrast zur ersten Geschichte auffällt, welcher "Hearts in Atlantis" insgesamt auch nicht ganz das Wasser reichen kann. 5/10 

„Blind Willie“ war eine recht seltsame Geschichte. Jeden Tag geht Willie in die Arbeit, nur um sich umzuziehen, rauszuschleichen, und zu betteln... und keiner weiß warum. Zumindest wurde MIR während der Geschichte nicht klar, warum er das eigentlich tut. Schuldgefühle, ok. Aber weswegen genau? Wegen seinen Erlebnissen und/oder Taten in Vietnam? Oder etwa doch wegen seiner schrecklichen Tat gegenüber dem "Gerber-Baby" in seiner Kindheit? Adressiert sind die Entschuldigungen an sie, trotzdem konnte ich mich aus der Geschichte heraus des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Krieg dabei eine große Rolle spielt - genau erfährt man es eben leider nie. Und genau das ist auch das Hauptproblem an der Geschichte: Ich konnte Willie's Motivation für sein Handeln einfach nicht verstehen und nachvollziehen. Generell war die Story meines Erachtens von der Idee her nicht so der Bringer. Wenigstens war sie verhältnismäßig kurz und konnte am Ende mit einer netten kleinen Wendung aufwarten, so dass die Wertung nicht ZU negativ ausfallen muss. Trotzdem, mehr als 3/10 kann ich nicht vergeben. Wohl eindeutig die schwächste der enthaltenen Geschichten...

„Warum wir in Vietnam sind“ ist da schon einen Hauch besser - vor allem in den Gesprächen zwischen den Kriegsveteranen, die mir sehr gut gefallen haben. Dafür konnte ich wiederum mit der alten Frau, welche der Hauptfigur dieser Geschichte ständig erscheint, nicht so recht etwas anfangen - auch wenn ich die Gründe dafür verstehen kann und die Schilderung der entsprechenden Ereignisse in Vietnam sehr gelungen fand, war dieser Teil doch irgendwie unpassend und aufgesetzt. Gleiches gilt für seinen Tod, der mir vor allem im vergleich zu den 2 doch sehr realistisch gehaltenen Geschichten davor etwas zu phantastisch war und mit den herunterfallenden Gegenständen etwas an den guten alten "Klavier"-Gag aus diversen Comics erinnert hat. Positiv dann wieder das Begräbnis und das Aufeinandertreffen von Bobby und Carol. Das Problem hierbei: Gerade wenn es spannend wird und man endlich mal wieder so richtig in die Geschichte involviert ist und wissen will, wie es wohl weitergeht, blendet King ab - mit anderen Worten, da schreibt er 600 Seiten, teilweise leider wieder zu ausschweifend und mit ein paar Längen, und gerade dann, wenn’s interessant wird, hört er auf. Schon ein wenig frustrierend. Diese letzte Geschichte bekommt von mir jedenfalls 4/10.

Fazit: Insgesamt betrachtet gibt es für "Atlantis" von mir eine durchschnittliche Wertung von 5/10, wobei ich erneut darauf hinweisen will, dass diese Bewertung eindeutig von meiner Abneigung gegen das hier vornehmlich vertretene Genre geprägt ist, und der Roman einem Fan von Jugend- und/oder Kriegsdramen sicher deutlich besser gefallen wird als mir. Aber meinen Geschmack hat Stephen King damit halt einfach nicht so recht getroffen...

Wertung:  (5/10)

 

Verfasser: cornholio

 

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Cover © 1999 Heyne