Der weiße Hai

(Jaws)

 

Veröffentlichung: 1974, 278 Seiten

Autor: Peter Benchley

Verlag: Ballantine Books

Anmerkung: Obwohl dieser Roman im deutschsprachigen Raum bereits veröffentlicht wurde, bezieht sich dieses Review auf die englische Originalausgabe.

Das kleine Städtchen Amity hat schon deutlich bessere Zeiten gesehen, und so ist man jedes Jahr um so mehr auf die Sommerurlauber angewiesen, welche die schönen Badestrände genießen. Doch eine Reihe rätselhafter Tode beunruhigen den Polizeichen Brody zunehmend - schon bald vermutet er, dass ein gefährlicher Hai in der Bucht von Amity sein Unwesen treibt und regt an, die Strände zu schließen. Doch dem Bürgermeister ist bewusst, dass dies für seine Stadt das endgültige Todesurteil bedeuten könnte, und so entscheidet er sich dagegen. Erst als es ein weiteres Opfer gibt lässt er sich endlich dazu überreden, den Strand zu sperren. Gemeinsam mit dem Seemann Quint und dem Meeresbiologen Hooper macht sich Brody auf, um das Biest zur Strecke zu bringen...

Nachdem ich „The Jaws Log“ gelesen hatte habe ich mich daran erinnert, dass ich mir schon seit Ewigkeiten mal Peter Benchley’s Roman durchlesen wollte, um ihn mit Spielbergs kongenialem Horrorklassiker zu vergleichen. Also, auf in die nächste Buchhandlung und ihn geschnappt (etwas, dass in Österreich oder auch Deutschland wohl nie möglich wäre - hab ich schon mal gesagt, dass ich 'nen Barnes and Nobles hier in Wien haben will?) und auf der Heimreise gelesen. Mein Urteil, dass wohl schon unzählige Kenner des Films und des Romans gefällt haben: Der Film ist besser. Nicht, dass „Jaws“ kein guter Roman wäre, aber sehr zu meiner Überraschung nehmen die titelspendenden „Kiefer“ bzw. der daran befindliche Hai nur eine Nebenrolle ein. Im Mittelpunkt stehen Chief Brody und seine Frau Ellen, und ihre schwierige, ja teilweise zerrüttete Beziehung zueinander - ein Handlungsstrang, der im Roman unzählige Seiten einnimmt (Ellen sehnt sich nach ihrem früheren Jet-Set-Leben, und wird in ihrer Sehnsucht sogar in die Hände von Hooper getrieben und verbringt eine Nacht bzw. einen Nachmittag mit ihm) und aus dem Film Gott sei Dank herausgestrichen wurde. Nicht, dass es nicht interessant und/oder gut geschrieben gewesen wäre, aber im Film hätte es niemals funktioniert, da es einfach zu sehr von der eigentlichen Bedrohung abgelenkt hätte - und auch im Roman sind die knapp 100 Seiten, in denen der Hai kein einziges Mal auftaucht, etwas zäh. Nicht zu Beginn, wo man die charakterbezogene Handlung noch durchaus interessant findet, aber mit der Zeit fragt man sich dann schon, wann denn nun der Titelheld endlich wieder mal auftaucht. Ein weiterer Handlungsstrang, der für den Film gestrichen wurde, und den ich dort ebenfalls nicht vermisse, ist jener rund um Bürgermeister Vaughan, der im Roman Verbindungen zur Mafia hat, die für sein Drängen, die Strände aufzumachen, hauptverantwortlich sind. Auch diese Handlung hat mich im Roman nicht wirklich gestört, aber im Film gefällt mir der Gedanke, Vaughan macht es mehr Gründen der persönlichen Bereicherung denn aus Verzweiflung, deutlich besser. 

Während es im Film eine recht deutliche Zweiteilung gibt und eine knappe Stunde der Jagd nach dem Hai gewidmet wird, folgt der Roman der typischen Dreiteilung und widmet der Jagd nur 60 von insgesamt 260 Seiten. Und während einige großartige Momente Benchley’s Roman entstammen, gibt es auch viele Szenen, die ich im Buch schmerzlich vermisst habe - wie das großartige erste Auftauchen des Hais oder Quint’s Rede zur USS Intrepid. Auch davor wird man viele Szenen aus dem Film vermissen: Die gemeinsamen, intimen Momente zwischen Chief Brody und seinem Sohn, der gefangene falsche Hai und wie Hooper und Brody ihn untersuchen, oder auch die großartige Szene, als Brody versucht im Alleingang den Strand zu bewachen und schließlich vor lauter Anspannung falschen Alarm auslöst. Doch es gibt auch viele Momente aus dem Film, die dem Roman entstammen, wie Brody’s Schuldgefühle, die Ohrfeige der Mutter oder auch jene, in der der Hai auf das Boot springt. Trotzdem, der Film war einfach besser, da deutlich packender - im Roman kommt einfach keine richtige Spannung auf. Auch der Showdown war recht hektisch und das Ende sehr abrupt - was im Film nicht gestört hat, da hier durch das Ende die Handlung auch wirklich abgeschlossen wurde, funktioniert im Roman insofern nicht, als in den zahlreichen im Film nicht vorhandenen Nebenhandlungen Entwicklungen stattgefunden haben und Fragen aufgeworfen wurden, die nie zu Ende geführt bzw. beantwortet wurden. Was man dem Roman jedoch zu gute halten muss, ist dass er deutlich tiefgründiger ist als die Verfilmung - wenn sich auch der Film in dieser Hinsicht, zumindest für einen Horrorstreifen, nicht verstecken musste...

Fazit: "Der weiße Hai" bietet einige ansprechende Nebenhandlungen, vielschichtige Charaktere und eine erstaunlich tiefgründige Handlung. Vor allem aber ist es interessant, die Vorlage mit dem großen Horrorklassiker zu vergleichen - und dabei muss sich der Roman das Urteil gefallen lassen, dass der Film, den Spielberg, Gottlieb und Autor Benchley auf die Leinwand gezaubert haben, ungleich packender und genialer war. Insofern ist "Der weiße Hai" eine der seltenen Fälle, in denen die Verfilmung den Roman deutlich übertrifft - für Fans des Horrorklassikers ist die Romanvorlage aber nichtsdestotrotz ein sehr interessantes und aufschlussreiches Lesevergnügen, und definitiv einen Blick wert...

Wertung:    (7/10)

Verfasser: cornholio

Veröffentlicht am: 07.08.2006

 

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Cover © 1991 Ballantine Books