Schlaflos

(Insomnia)

 

Veröffentlichung: 1994, 594 Seiten

Autor: Stephen King

Verlag: Heyne

Nach dem Tod seiner Frau leidet der Rentner Ralph Roberts zunehmend an Schlafstörungen. Schon bald beginnt er scheinbar halluzinieren - er nimmt die Welt in völlig neuen Farben wahr, sieht komische Schnüre von jedem Lebewesen in den Himmel wachsen und erblickt zuletzt sogar komische weiße Männer, die offenbar eine seiner Nachbarinnen getötet haben. Verzweifelt versucht er, der Schlaflosigkeit Herr zu werden, doch keines der vielgelobten Hausmittel wirkt. Schon bald wird ihm klar, dass ihn seine Schlafstörungen sowie seine gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit nicht zufällig befallen - wurde doch er von zwei dieser komischen weißen Männer ausgewählt, um einen Auftrag durchzuführen, der für das Überleben der Menschheit in der Zukunft von zentraler Bedeutung ist: Einen kleinen Jungen zu retten...

Es ist eigentlich allgemein bekannt, dass King über 2 große Stärken und 1 große Schwäche verfügt - die sich auch bei „Schlaflos“, zumindest teilweise, wieder einfinden. Stärke Nr. 1 ist die Beschreibung des Alltags. King beschreibt eine sehr realistisch wirkende Welt und versteht es, sich in alte Menschen hineinzuversetzen und ihre Gedanken wiederzugeben. Dadurch wirkt die von ihm geschaffene Welt lebendig und „echt“. Seine 2. größte Stärke ist in „Schlaflos“ hingegen leider größtenteils abwesend: die nervenzerreißende Spannung. Grund dafür dürfte wohl vor allem King’s große Schwäche sein: Die zu ausschweifend erzählte Handlung, die sich in „Schlaflos“ nur (zu!) dröge entwickelt, drückt leider sehr auf die Spannung. Irgendwann in den frühen 90ern (nach dem großen Erfolg von „Es“) scheint sich King dazu entschlossen zu haben, von jetzt an nur mehr mindestens 800 Seiten große Epen abzuliefern - unabhängig davon, ob die Geschichte auch wirklich genug Stoff für diese Länge bietet. 

Das Ergebnis davon ist, dass sich bei „Schlaflos“ zu keinem Zeitpunkt, in keiner Szene auch nur ansatzweise eine ähnliche Spannung aufgebaut hätte, wie ich sie bei vielen seiner Kurzgeschichten oder auch den ersten Kapiteln von „Stark“ verspürt habe. Auch atmosphärisch dichte Momente wie in den „Clown“-Szenen in „Es“ sind leider nicht vorhanden. War „Es“ eine Mischung aus „Coming of Age“-Story und Horrorgeschichte über den ewigen Kampf Gut und Böse, wendet sich King hier nun dem anderen Ende des Lebens zu - dem Alter und dem Tod. Wie oben bereits geschrieben ist dieser Teil auch durchaus gelungen - aber halt leider viel zu lang. Ein weiteres Problem ist die Vorhersehbarkeit. Zu keinem Zeitpunkt hielt ich es für möglich, dass Ralph Roberts scheitert - dafür ging es in diesem Roman einfach um zu viel (das Überleben der kompletten Menschheit!), wodurch der Eindruck entsteht, dass er ja eigentlich Erfolg haben MUSS. Im Vergleich dazu ist eine Geschichte, in der der Einsatz nicht ganz so hoch ist, und damit auch der Tod bzw. das Scheitern des Protagonisten möglich erscheint, deutlich packender. 

Und dann ist da noch die Vorhersehbarkeit: Bereits relativ früh war mir was die wesentlichen Punkte betrifft klar, wohin sich die Handlung hinbewegt - z.B. dass er sich die Erscheinungen nicht nur einbildet, dass seine Schlaflosigkeit einem ganz bestimmten und wichtigen Zweck dient, dass die beiden kleinen weißen Männer die „Guten“ sind und Leuten beim Sterben „helfen“, was es mit den Lebenslinien auf sich hat (Ralph Roberts braucht doch tatsächlich 100 Seiten, um hinter deren „Geheimnis“ zu kommen) etc. Wenn man bereits weiß, wie Punkt B aussieht, und man dann noch dazu derart lange braucht, um von Punkt A zu Punkt B zu gelangen, kann einfach keine Spannung aufkommen. Und so zieht sich die Handlung wie Kaugummi dahin, mit viel zu lang ausgedehnten Szenen (wie dem Gespräch auf dem Dach des Krankenhauses - nur um exemplarisch eine hervorzuheben) und Nebenhandlungen, wie die Ereignisse beim Frauenhaus. Schade, hätte King etwa 1/3 bis ½ des Romans eingespart, hätte uns ein höchst spannender Roman erwartet... 

Fazit: King's große Schwäche hat leider wieder einmal zugeschlagen. Das Ergebnis ist ein „ok“-Roman mit einigen guten Szenen und Ideen, aber viel zu vielen Längen, der zwar einem Durchschnittsautor gut zu Gesicht gestanden hätte, für den oftmals plakatierten "Meister des Horrors" jedoch eine herbe Enttäuschung darstellt...

Wertung:   (4/10)

 

Verfasser: cornholio

 

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Cover © 1994 Heyne