Titan

 

Veröffentlichung: 2004 (2002), 822 Seiten

Autor: Stephen Baxter

Verlag: Heyne

Die Astronautin Paula Benacerraf befindet sich soeben auf ihrer ersten Weltraummission, da erfährt die NASA, dass auf dem Saturn-Mond Titan von einem Wissenschaftler offenbar bakterielles Leben gefunden wurde. Doch Paula hat nicht lange Zeit, sich über diese interessanten und sensationellen Neuigkeiten zu freuen: Beim Space Shuttle tritt auf dem Rückflug ein Defekt auf, und obwohl es ihr und vier weiteren Crewmitgliedern gelingt, die Columbia rechtzeitig zu verlassen, verlieren die anderen beiden Besatzungsmitglieder, darunter der Kommandant der Mission, beim Versuch das Shuttle doch noch zu landen, ihr Leben. Für die NASA bzw. die bemannte Raumfahrt bedeutet diese Katastrophe das vorläufige Aus - welches schon bald zu einem endgültigen Ende zu werden droht, denn der äußerst NASA-kritische und erzkonservative Senator Maclachlan kandidiert für die amerikanische Präsidentschaft 2008, und ihm werden gute Chancen nachgesagt, zu gewinnen. Sollte er tatsächlich Präsident werden, droht das Weltraumprogramm endgültig eingestellt zu werden. Paula, die mittlerweile die Leitung über die Raumflüge der NASA übernommen hat, sieht bald nur mehr eine, verzweifelte, Möglichkeit, um den bemannten Raumflug langfristig doch noch zu sichern: Eine waghalsige Mission zum Saturn-Mond Titan...

"Titan" war nicht nur der erste Roman von Stephen Baxter, den ich gelesen habe, sondern generell mein erstes großes Hard-SF-Epos. Dass ich mich danach noch unzähligen weiteren Werken dieses Genres bzw. des Autors angenommen habe, dürfte bereits deutlich machen, dass mir das was ich gelesen habe so schlecht nicht gefallen haben kann . Tatsächlich ist Titan, trotz kleinerer (und einer größeren) Schwäche(n), für einen Fan der Hard-SF ein faszinierendes Lesevergnügen. Neben der faszinierenden Handlung an sich liegt die größte Stärke des Romans in der Vielschichtigkeit: "Titan" bietet (durchaus kritische) Einblicke ins amerikanische Weltraumprogramm, in die Funktionsweise von Shuttles etc., widmet sich politischen und gesellschaftlichen Themen, beschreibt die Landung auf einer fremden Welt, wagt einen phantastischen Ausblick in die Zukunft unseres Sonnensystems und würzt das ganze mit einem ordentlichen Schuss Weltuntergangsstimmung und Apokalypse. 

Am besten wir nehmen uns den verschiedenen Elementen der Handlung einzeln an. Im ersten Teil seines Romans beschreibt Baxter auf verständliche und erschreckend anschauliche Art und Weise, was bei einer Shuttlelandung alles schief gehen kann. Dass es sich bei besagter Raumfähre noch dazu um die Columbia handelt, verstärkt angesichts der Katastrophe aus dem Jahr 2003 das mulmige Gefühl, dass einem beim lesen dieses Kapitels beschleicht, nur noch. Es ist schon irgendwie unheimlich, über eine fiktive Katastrophe (Baxter setzt diese für 2004 an) zu lesen, welcher den tatsächlichen schrecklichen Geschehnissen nicht mal so unähnlich zu sein scheint. Lediglich die Auswirkungen dieser Katastrophe zeichnet Baxter deutlich düsterer, als sie in der Wirklichkeit (Gott sei Dank!) zu Tage getreten sind. So stellt der Absturz der Columbia in "Titan" das vorläufige Aus des kompletten Weltraumprogramms der NASA dar - und durch den drohenden Sieg von Senator Maclachlan, der der NASA lieber heute als morgen den Hahn abdrehen würde, scheint auch die weitere Zukunft alles andere als rosig.

Der nächste Teil widmet sich neben einigen NASA-kritischen Beobachtungen und Statements sowie recht düsteren gesellschaftlichen und politischen Zukunftsvisionen vor allem der Planung der waghalsigen Mission zum Saturnmond Titan. Baxter macht dabei die Motivation der Figuren durchaus verständlich, denen es ganz offensichtlich nicht einfach nur um die Rettung der NASA und/oder die Erforschung eines fremden Himmelskörpers geht, sondern vielmehr darum, dass sie sich verloren fühlen und ihrem Leben einen (neuen) Sinn geben wollen. Zugleich handelt es sich bei allen eher um gesellschaftliche Außenseiter, die ohnehin nicht das Gefühl haben, so richtig dazuzugehören. In Titan finden sie nun ein gemeinsames Ziel, und zugleich die ultimative Möglichkeit zur Flucht. Und so stürzen sie sich mit Freude auf diese Idee - auch wenn es bedeutet, möglicherweise nie wieder zurückzukehren. Der von ihnen aufgestellte Plan für den Flug nach Titan klingt dabei, zumindest für einen Laien wie mich, durchaus realistisch, überzeugend und durchführbar.  

Weniger gelungen dann der Start bzw. das damit verbundene Komplott der Air Force - wirkte dieses auf mich doch irgendwie einfach nicht realistisch. Deutlich besser gefallen konnte mir da schon der nächste große Teil des Romans, nämlich die durchaus realistisch wirkende Beschreibung des Jahre dauernden Flugs zum Titan. Hier gibt es wirklich ein paar nette Einblicke in das Leben von Astronauten, außerdem gefällt mir, dass nicht immer alles glatt läuft und die Besatzung schon während des Flugs ihr erstes Opfer zu betrauern hat. Allerdings muss ich gestehen dass mir dieser Teil des Romans schon fast wieder etwas zu kurz war - immerhin wird ein mehrjähriger Flug zum Titan auf gerade mal knapp 200 Seiten abgehandelt, auf denen noch dazu auch immer wieder ein Blick auf die Verhältnisse auf der Erde geworfen wird. Irgendwie wurde mir dieser Teil etwas zu abgehackt dargebracht, man sieht immer nur kurze Auszüge aus dem Flug, ganz bestimmte Tage und/oder Momente, hat aber aufgrund dieser sehr begrenzten Betrachtungsweise irgendwie nicht das Gefühl, wirklich dabei zu sein. Auch verhindert sie, dass man die Entwicklung der Figuren bzw. der Verhältnisse zueinander wirklich mitverfolgen kann - stattdessen wird man nach jedem Zeitsprung irgendwie vor vollendete Tatsache gestellt. Vielleicht wäre es besser gewesen, Baxter hätte aus diesem Epos eine Trilogie gemacht, wo er sich im ersten Teil der Vorbereitung der Mission widmet, im 2. Teil dann dem Flug zum Titan und im abschließenden Teil der Landung und weiteren Handlung auf Titan. Auf diese Weise hätte er sich länger und ausführlicher mit dem Raumflug beschäftigen können. Denn so wie es ist, hatte ich einfach das Gefühl, dass man aus dem entsprechenden Teil, so gut er auch sein mag, doch noch mehr hätte herausholen können.

Rundum gelungen ist dann aber wieder die Landung auf dem Saturnmond Titan, welche äußerst spannend, mitreißend und interessant geschildert wird. Gleiches gilt für den anschließenden Teil, der sich mit der Expedition auf dem fremden Himmelskörper beschäftigt, und wie es den Astronauten gelingt, mit den unwirtlichen Bedingungen klarzukommen. Zugleich kommt es auf der Erde zu einer Katastrophe, als ein großer Komet auf die Erde prallt - was jedoch kein Zufall ist, sondern eine Art Attentat auf die USA im Auftrag des chinesischen Führers. Ich muss gestehen, dass ich diese starken Spannungen zwischen USA und China nicht ganz nachvollziehen konnte und etwas unrealistisch fand - insbesondere dann eben auch die Entscheidung des chinesischen Führers, den USA diesen Kometen vor die Nase zu knallen. Leider jedoch ist bei den Berechnungen etwas schief gelaufen, und nun droht der Einschlag die gesamte Menschheit auszulöschen. Was mir dabei wirklich gefallen konnte ist, dass wir, so wie die von ihrer Heimatwelt abgeschnittenen Astronauten auf dem Titan, nie genaueres über das Schicksal der Menschen auf der Erde erfahren. Wir erleben zwar zuvor die Analyse der Gefahr, welche das mögliche Szenario in den Raum stellt, dass der Aufprall tatsächlich die gesamte Bevölkerung der Erde auslöscht, und dass das Expeditionsteam danach nichts mehr aus Houston oder einem anderen Weltraumbüro hört legt durchaus nahe, dass in der Tat der schlimmste Fall eingetroffen ist - doch genau so ist es denkbar, dass durch den Aufprall halt nur niemand mehr in der Lage ist, mit den Astronauten auf Titan Verbindung aufzunehmen. Definitiv wird man also über das Schicksal der Menschheit nicht aufgeklärt - es bleibt dem Leser überlassen, das Geschehen zu interpretieren.

Nach der Katastrophe auf der Erde muss auch die Expedition auf Titan immer mehr mit den beschwerlichen Lebensbedingungen auf dem Saturnmond kämpfen - und nach einem weiteren Verlust ist schon bald klar, dass keiner der Astronauten lange überleben wird. Doch als Rosenberg herausfindet, dass in gewisser Weise die Entstehung des Lebens durch die tektonischen und geologischen Begebenheiten auf Titan verhindert wird, ersinnt er einen Plan, um der Natur von Titan ein Schnippchen zu schlagen. Die darauffolgende Expedition zu einem weit entfernten Krater wird zugleich (fast) die letzte Reise sein, welche die Menschheit in Baxter's Roman unternimmt - und ich liebe es, wie dadurch der gesamten Existenz der Menschheit Sinn verlieren wird. Es wirkt wirklich so, aus wäre es unsere einzige Aufgabe gewesen, dem Leben auf Titan auf die Sprünge zu helfen. Und so ist diese letzte Reise der Menschheit ein grandioser Abschluss des Romans... oder besser gesagt, WÄRE ein grandioser Abschluss des Romans, wenn es danach zu Ende wäre. Denn nun folgt noch eine Reise in die ferne Zukunft unseres Sonnensystems, als auf Titan aufgrund der Ausbreitung der Sonne das Eis schmilzt und nach der Erstarrung im ewigen Eis endlich Leben auf dem Planeten entsteht. Es ist dieser Teil, der wohl der umstrittenste am Roman sein dürfte, und den jeder Leser anders aufnehmen wird. Ich persönlich fand diesen Blick in die Zukunft durchaus faszinierend - nur dass im Endeffekt selbst einige der Astronauten (welche soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden) von den fremden "Titanern" wieder zum Leben erweckt wurden (wohl damit der Leser die Zivilisation Titans mit den Augen eines Menschen sehen und begreifen kann), war mir schon wieder etwas zu abgehoben. Auch stellt sich dabei die Frage, warum nur einige der Astronauten wiederbelebt wurden, und nicht alle. Und so haftet an diesem letzten Teil des Romans, so faszinierend er auch sein mag, doch irgendwie ein fahler Beigeschmack - der jedoch an den mehrheitlich grandiosen Seiten zuvor auch nichts mehr ändern kann.

Die angesprochene große Schwäche des Romans bezieht sich jedenfalls nicht auf dieses etwas gewöhnungsbedürftige Ende, sondern auf die deutsche Fassung. Martin Gilbert hat ja mittlerweile einige von Stephen Baxters Romanen übersetzt und sonst eigentlich immer eine zumindest ordentliche Leistung erbracht. Auch bei "Titan" hat er sich ganz offensichtlich redlich bemüht, erläutert er doch in Fußnoten immer wieder zahlreiche technische Begriffe aus der "Astronautensprache" - trotzdem hat er leider ordentlich Mist gebaut, wurden doch fast alle Funksprüche nicht sinngemäß, sondern wortwörtlich übersetzt. "Do you read" liest sich in der deutschen Fassung demnach "Lesen sie mich?" und nicht "Hören/verstehen sie mich", gleiches gilt für "copy that" (= "Kopiere das"; eigentlich "verstanden"). Eben dies stört den Lesefluss ungemein und kann mit der Zeit sogar richtig auf die Nerven gehen. Was Herrn Gilbert da geritten hat, kapiere ich nicht. Vielleicht war dies eine seiner ersten Übersetzer-Aufträge und er war noch etwas unerfahren und wusste es einfach nicht besser (wenn dies auch nicht wirklich eine Entschuldigung ist, denn selbst wenn man die genaue Übersetzung der Begriffe nicht kennen sollte, muss man doch bemerken, dass dies ungemein seltsam klingt), oder vielleicht wollte er auch einfach eine möglichst wortgetreue Übersetzung abliefern - wie auch immer, er hätte mal lieber mehr auf den Sinn geachtet, denn durch diese schlampige Übersetzung wird die deutsche Fassung leider doch deutlich abgewertet...

Fazit: "Titan" ist ein grandioses SF-Epos, dass Freunde der (Hard) SF-Literatur über viele Stunden hinweg faszinieren und begeistern wird. Zwar übertreibt es Stephen Baxter teilweise mit der technischen Betrachtung, und das sehr phantastische Ende mag einigen schon wieder zu abgehoben sein, trotzdem überwiegen klar die positiven Aspekte: Die realistische Beschreibung der Raumfahrt, das düstere Bild unserer Zukunft und insbesondere die faszinierenden Einblicke in einen fremden Himmelskörper. Aufgrund der miserablen Übersetzung muss man jedoch für die deutsche Fassung von der unten angegebenen Wertung leider noch einmal 2 (Wertungs-)Punkte abziehen...

Wertung:    (8/10)

 

Verfasser: cornholio

 

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