Heldenplatz
Kritik zur Uraufführung des Stückes von Thomas Bernhard 1988 im Burgtheater unter der Regie von Claus Peymann
"Das Messer ins Herz" - Der Berg hat gekreißt. Herausgekommen ist Thomas Bernhards "Heldenplatz", uraufgeführt im Burgtheater.
Die Ermüdungserscheinungen während der mehr als vierstündigen Premiere hätten vermutlich überwogen, wäre es nicht zu lautstarken Störversuchen gekommen. Österreich-Beschimpfung? An einer Stelle heißt es: "Das Leben ist eine Komödie." Ach ja. Dann und wann gibt es bösewitzige Formulierungen. Wenn man aber den Ausspruch hört, Österreich bestehe aus sechseinhalb Millionen Debilen, dann stutzt man, denn Österreich zählt heute gegen siebeneinhalb Millionen Einwohner. Man kann niemanden hindern, sich der ausgesparten Million zuzuzählen. Und wenn man die Behauptung hört: "In jeden Wiener steckt ein Massenmörder", dann assoziiert man lieber Freuds Feststellung: "In jedem Menschen ist der Unmensch virtuell erhalten. "Das haben wir erlebt und erleben es immer wieder.
Das Thema ist groß: die Heimkehr aus der Emigration.
Nach einer Aufführung seines Stückes "Exils" ("Verbannte") sagte der irische Emigrant James Joyce zu seinem Freund Italo Svevo:
"Wissen Sie denn nicht, wie der verlorene Sohn von seinem Bruder im Vaterhaus empfangen wurde? Es ist gefährlich, sein Land zu verlassen, und noch gefährlicher, zurückzukehren, denn Ihre Landsleute werden Ihnen, wenn sie es können, das Messer ins Herz stoßen."
Das hätte Bernhard, wenn er dieser Ansicht ist, zeigen müssen. Zeigen, darstellen. Er hätte die aus der Emigration zurückgekehrte jüdische Familie Schuster in der neuen Umgebung hineinstellen und mit ihr konfrontieren müssen. Das hätte eine Komödie oder eine Tragödie ergeben.
Es wird nichts gezeigt, sondern nur geredet und geredet. Man kann dem Gerde glauben oder nicht. Sollte das Ganze nichts anderes als ein Pamphlet sein? Manchmal, wenn man noch nicht zu ermüdet ist, lacht man, aber es geht - leider- nicht unter die Haut. Und dann: Der zurückgekehrte jüdische Universitätsprofessor Josef Schuster, der sich aus Verzweiflung über die heutigen Wiener Zustände aus dem dritten Stock gestürzt hat, wird nicht eben als ein sympathischer Herr geschildert. Er scheint Geld zum Wegwerfen gehabt zu haben (300 Paar Schuhe!), und die Wohnung, von der aus man über den Volksgarten sehen kann, wo 1938 fanatisierte Massen Hitler zujubelten, befindet sich offenbar in der Löwelstrasse, einem Nobelviertel. In den Erzählungen über die Familienverhältnisse meint man Reflexe von Strindbergs Ehehöllen wahrzunehmen.
Der Bruder des Toten, Robert, dem Bernhard endlose Schimpftiraden gegen Österreich und den Antisemitismus in den Mund legt, denkt nicht daran etwas dagegen beizutragen, er will nur in ländlicher Stille seine Ruhe haben. Judenfreundlich ist das Stück nicht, und man empfindet es als konsequent, wenn gegen Lessing losgezogen wird und dessen Toleranzstück "Nathan der Weise"...
Claus Peymann hat eine eindringliche Wortregie geführt und die vorwiegend zu Zuhörern zweier monologisierender Personen reduzierten Schauspieler richtig postiert. Die eine ist die Wirtschafterin Zittel, als die Anneliese Römer Hemden bügelnd einen mehr als einstündigen Sprechrekord aufstellt. Die zweite ist Robert, der etwa doppelt so lange vor den anderen monologisiert. Wolfgang Gasser gelingt es in erstaunlicher Weise, aus der Wortfülle so etwas wie ein menschliches Schicksal zu destillieren. Als die eine Tochter wird Kirsten Dene politische Emotionen los.
Unter den vorwiegend Zuhörenden befinden sich immerhin Schauspieler wie Frank Hoffmann oder Karlheinz Hackl.
In einer Minirolle gibt Marianne Hoppe der Witwe Schuster ebenso Haltung wie Elisabeth Rath der zweiten Tochter. Hervorragend die Bühnenbilder Karl-Ernst Herrmanns, die in die Höhe strebenden Zimmer und, vor allem, das in März-Nebel gehüllte Volksgartenbild.