FrauenZimmer Startseite Hortulus minimus feminae - FrauenZimmers kleiner Garten
Delphinium; 2002-07-19 © FrauenZimmer Rittersporn

Peter Härtling  •  Wiegenlied für Stefan

wo träume noch in nußschalen gehn,
wo hinter fenstern zauberer stehn

eine wiege blau eine wiege rot,
schaukelwolke binsenboot -

kann auf den sternen um die sterne reisen,
kann mit dem schlaf den zwergenschlaf beweisen -

geht in träumen um als wär kein tag,
wo ist die welt so rund noch - sag?





Nigella damascena; 2002-06-26 © FrauenZimmer Jungfer im Grünen

Irene Kabanyi  •  Betrunkener Nachmittag

Meine Haut sehnt sich danach
dich zu umschließen.
Schön bist du
selbst über die entfernung eines ganzen Raumes.
Ich lasse mich in deine Tigeraugen fallen
und finde Halt
an dieser wunderschönen Stelle
zwischen deinem Hals und der Grube deiner Schultern.
Viel zu gern möchte ich dich halten
als daß ich wagte
meine Hände nach dir auszustrecken.





Portulaca grandiflora; 2002-09-10 © FrauenZimmer Portulakröschen

Peter Maiwald  •  Gedicht

Mit Augen verschlungen
gemacht mit dem Mund
gebettet auf Zungen
gehofft auf ein: Und ...

Mit Worten und hinter
dem Nein ein Jadoch.
Mit Hoffnung. Im Winter
im Eis wärmt ein Loch.





Campanula carpatica 'Alba'; 2002-07-03 © FrauenZimmer Karpatenglockenblume

Christian Morgenstern  •  Das Mondschaf

Das Mondschaf steht auf weiter Flur.
Es harrt und harrt der großen Schur.
     Das Mondschaf.

Das Mondschaf rupft sich einen Halm
und geht dann heim auf seine Alm.
     Das Mondschaf.

Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:
"Ich bin des Weltalls dunkler Raum."
     Das Mondschaf.

Das Mondschaf liegt am Morgen tot.
Sein Leib ist weiß, die Sonn ist rot.
     Das Mondschaf.





Borago officinalis; 2002-06-25 © FrauenZimmer
Borretsch & Biene

Peter Rühmkorf  •  Flügge Flammen

Wohin denn, schöne Haut, und was gemieden?
Da wäre noch ein Scherz, der dich ergetzt:
Ein schwarzer Schwung verkohlter Leoniden
für eine kleine Weile unter Glut gesetzt.

Gib acht, mein Lieb, im Hexen unerfahren,
wie man aus Ruß und Lettern Funken münzt!
Ich pack die flüggen Flammen bei den Haaren
und wünsche nun, daß du im Feuer stündst.

Und fluch der Stille, die dein Herz mit Dauer,
den Mund mit Ruh versorgt, den Flügel bremst -
Die schlimme Liebe macht uns auch nicht schlauer,

gleichviel, die Pfote brennt dem Zundelfrieder -:
Wenn du dir Grillen aus der Braue kämmst,
schürt er dir eine Lust in Schuh und Mieder.





'Schnewittchen' (Robin Hood x Virgo), Floribunda, Kordes 1958; 2002-07-17 © FrauenZimmer "Schneewittchen"

Wolf Biermann  •  Einschlaf und Aufwachelied

Schlaf ein, mein Lieb, sonst ist die Nacht
Vorbei und hat uns nichts gebracht
Als wirre irre Fragen
Gib mir dein' Arm und noch ein' Kuss
Ich muß ja durch den Schlafefluß
Und will dich rüber tragen

Wach auf, mein Lieb, du schläfst ja noch!
Komm aus den dunklen Träumen hoch
Und freu dich an uns beiden!
Die Sonne hat längst dein Gesicht
Gestreichelt, und du merkst das nicht
- das mag ich an dir leiden





Tettigonia viridissima; 2002-08-25 © FrauenZimmer Heupferd

H.C. Artmann  •  ein verregneter samstag

ein verregneter samstag
mit kuchen und sekt
und drei orchideen,
o ja, das schmeckt!

elektrische wärme
und ein grammophon,
ein tango zum träumen -
man mag das schon!

von blaßroten lippen
drei wörter mit chic
verändern das wetter
im augenblick ...





'Multiflore de Vaumarcus', Noisette, Menet 1875; 2002-08-01 © FrauenZimmer "Multiflore de Vaumarcus"

Gottfried Benn  •  Bitte wo -

Wenn du noch Sehnsucht hättest
(bitte wann, bitte wo),
dich noch mit Küssen kettest
(amour - bel oiseau),

wenn du noch flügelrauschend
über den Anden schwebst
dich in zwei Meere tauschend
ahnungslos, wen du lebst,

wenn noch die Qualen sprechen,
Tränen durch bel oiseau
dich stürzen und zerbrechen -
bitte wann - bitte wo? -





'Dainty Bess' (Ophelia x Kitchener of Khartoum), Teehybride, Archer 1925; 2002-07-23 © FrauenZimmer "Dainty Bess"

Anneliese Fritz-Eulau  •  Stille

Ich habe dich geliebt,
weil du über mir ruhtest
wie die letzte, selige Dämmerung des Todes,
und ich nichts anderes tun mußte,
als für dich weit und groß sein
wie das tiefe Meer,
in dir versickern wie der frühe Tau
in dunkler Erde,
mit dir verlöschen wie das Morgenrot
auf sanften Himmeln.





'The Fairy' (Paul Crampel x Lady Gay), Polyantha, Bentall 1932; 2002-06-25 © FrauenZimmer "The Fairy" & Schwebfliege

Else Lasker-Schüler  •  Meine Schamröte

Du, sende mir nicht länger den Duft,
den brennenden Balsam
deiner süßen Gärten zur Nacht.

Auf meiner Wange blutet die Scham,
und um mich zittert die Sommerluft.

Du ... wehe Kühle auf meinen Wangen
aus duftlosen, wunschlosen Gräsern zur Nacht.

Nur nicht länger den Hauch deiner suchenden Rosen,
er quält meine Scham.




Lyrische Quellen:

Aus meiner Botanisiertrommel. Balladen und Naturgedichte  •  H.C. Artmann  •  Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1978
Außer der Liebe nichts. Liebesgedichte  •  P. Rühmkorf  •  Rowohlt Verlag, Reinbek/Hamburg 1986
Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart  •  T. Echtermeyer / B. von Wiese  •  August Bagel Verlag, Düsseldorf 1966  [Benn]
Deutsche Gedichte von 1900 bis zur Gegenwart  •  F. Pratz (Hg)  •  Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M 1980  [Morgenstern]
Deutsche Lyrik. Gedichte seit 1945  •  H. Bingel (Hg)  •  dtv, München 1975  [Härtling]
Preußischer Ikarus. Lieder/Balladen/Gedichte/Prosa  •  W. Biermann  •  Kiepenheuer & Witsch, Köln 1978
Schöner Jüngling mich lüstet Dein. Liebesgedichte von Frauen  •  M. Korth (Hg)  •  Eichborn Verlag, Frankfurt/M 1988  [Droste-Hülshoff, Lasker-Schüler]
Springinsfeld. Gedichte  •  P. Maiwald  •  S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1992
Tür an Tür. Die neue Folge. Gedichte vierundzwanzig junger Autoren  •  R. Felmayer (Hg)  •  Leykam Verlag, Graz 1951  [Fritz-Eulau]


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