Es war ein schöner milder Sommertag, in einer Zeit in der die
Luft noch gut nach Blumen, Wiesen und feuchter Erde duftete, und
in welcher die Menschen sich noch Ruhe, Fröhlichkeit und Besinnlichkeit
gönnten.
Wir machten uns auf den Weg hinaus aus der Stadt, in dieses kleine
Dorf auf den bewaldeten Hügeln zwischen zwei ländlichen Provinzen.
Hätten wir nicht diese zwei jungen Frauen kennengelernt welche
in diesem ehemaligen Bergbauerndorf aufgewachsen waren, hätten
wir dieses Dorf sicher nie entdeckt. Hätte uns jemand Fotos von
diesem Dorf gezeigt, hätten wir diese wahrscheinlich in das Reich
der Märchen und Fabeln verwiesen.
Nach einer längeren Fahrt mit den noch älteren aber gemütlichen
Waggons der alten Regionalbahn, kamen wir in die mittelgroße Stadt
am Fuße des Berges.
Nach einer kurzen Fahrt mit dem alten Postautobus erreichten
wir das kleine Dorf am Berg wo er sein Posthornsignal ertönen
ließ.
Fröhlich stiegen wir aus und spazierten über Wiesen und Waldwege
zu dem etwas abseits gelegenen Haus der alten Frau, welche hier
in liebevoller Weise ein Heim für viele verlassene oder körperlich
und geistig geschädigte Kinder geschaffen hatte.
Ihr Haus glich einem alten kleinen Bauernhof, mit einem emaillierten
Holzkochofen in der Küche, auf welchem immer mehrere verschiedene
Kräuterteesorten sanft dahinkochten.
Sie begrüßte uns sehr freundlich und sagte uns wie froh sie sei,
endlich wieder Menschen in ihrem Haus begrüßen zu dürfen.
Die Bewohner des Dorfes waren ihr gegenüber nicht besonders wohl
gesonnen. Einige hatten sogar versucht mehrfach ihren Brunnen
zu vergiften.
Einmal kam sie wegen dieser Geschichte sogar ins Fernsehen. Ein
ganzes Dorf welches dieses, von ihr gegründete Kinderheim hasste.
Ich konnte da keinen Grund dafür finden. Sowohl die erwachsenen
Kinder welche von ihr dort großgezogen worden sind, wie auch die,
die sich noch dort befanden, empfanden sie als sehr liebevoll.
Die Dorfbevölkerung welche ihr Geldgier, wegen der minimalen
finanziellen Unterstützung, wie auch Unfähigkeit die Kinder fachgerecht
zu pflegen nachgesagt hatten, schien eher selbst nur von einem
generellen Hass gegen alles und jeden geplagt gewesen zu sein.
Bei einem späteren längeren Waldspaziergang mit einem Jäger oder
Förster des Dorfes, versuchte mich dieser immer wieder mit neuen
Argumenten davon zu überzeugen, dass es ja nur gerechtfertigt
gewesen wäre wenn die Bewohner des Dorfes ihr den Brunnen vergiftet
hätten. Im Übrigen sagte er sei es ja gar nicht bewiesen das dies
wirklich so gewesen wäre.
Er selbst hätte wohl auch vor anderen Maßnahmen gegen dieses
unerwünschte "Heim" nicht zurückgeschreckt, wenn es ihm nur möglich
gewesen wäre, etwas zu tun.
Nichtsdestotrotz waren wir von dieser alten Frau und ihrem Kinderheim
sehr begeistert.
Nachdem wir am ersten Tag die ganze idyllische Wald- und Berglandschaft
erkundet hatten setzten wir uns am Abend gemütlich bei Kräutertee
und Broten zusammen.
Als wir auf den guten Tee zu sprechen kamen erzählten sie uns
von der alten "Kräuterhexe" welche für sie die verschiedenen Teesorten
sammelten.
Auch die Kräuterhexe wurde von den Dorfbewohnern eher geschmäht
und für seltsam erklärt.
Sie wohnte in einem alten halbfertig gebauten Rohbau, mitten im
Wald und ihr Haus war von den Sträuchern und Bäumen schon ziemlich
umwachsen.
Sie bewohnte dieses Haus gemeinsam mit einer Ziege, welche ihr
Milch spendete, was sie in den Augen der Dorfbewohner nur noch
seltsamer erscheinen ließ.
Wir waren schon sehr begierig darauf diese alte Kräuterhexe kennen
zulernen und wirklich konnte die alte Heimmutter für den nächsten
Tag ein Treffen mit ihr arrangieren.
Wir hatten sehr gut geschlafen. Die Waldluft am Berg war traumhaft
gut und das Gezwitscher der Singvögel weckte uns am nächsten Morgen.
Nach dem Frühstück mit selbstgebackenem Brot und Kräutertee machten
wir uns auf den Weg zur Kräuterhexe.
Sie begrüßte uns sehr freundlich und freute sich darüber, dass
wir etwas über die verschiedenen Kräuterarten lernen wollten.
Bei einem Spaziergang mit ihr lernten wir rasch die verschiedenen
Kräuter zu erkennen und unterscheiden.
Bald hatten wir in unseren Taschen alle möglichen Kräuter gesammelt.
Spitzwegerich, Schafgarbe, Johanniskraut, Königskerze und auch
das etwas seltenere gefleckte Lungenkraut.
Zum Abschluss unserer Wanderung fanden wir, neben den leicht
sumpfigen Wegrändern beim Gebirgsbach noch Huflattich sowie einige
Pflanzen welche sich nicht als Kräutertee eigneten.
Als wir bei einem Baum ein langes Seil entdeckten, welches Kinder
zum Spielen und Turnen dort angebunden hatten, schwangen wir uns,
in ausgelassener Freude hin und her, wie Tarzan auf einer Liane.
Da es schon bald Mittagszeit war machten wir uns wieder auf den
Heimweg. Wir verabschiedeten uns von der netten Kräuterhexe und
wünschten uns, dass wir uns bald wieder sehen würden.
Nach einem einfachen bäuerlichen Essen bei der Heimmutter gingen
wir in den schönen Obstgarten, welcher auch eine große Wiese mit
vielen schönen Wiesenblumen hatte.
Alexander, der 12 jährige Junge welcher seit seiner Geburt eine
geistige Behinderung hatte und stark autistisches Verhalten hatte,
betrachtete uns anfänglich als nichtexistent oder misstrauisch.
Als ich dann mehrmals einen Spielball in seine Richtung hinrollte,
ergriff er ihn plötzlich. Es war etwas passiert was keiner von
uns erwartete und am wenigsten die alte Heimmutter.
Ich nahm den Ball wieder in meine Hand und rollte ihm diesen
noch öfters zu. Immer wieder ergriff er diesen. Nach einer Stunde
entwickelte sich daraus ein lebhaftes Spiel.
Als wir am Nachmittag wieder in das Haus hineingehen wollten
zeigte er uns dass ihm das Spiel Spaß machte und dass er noch
weiterspielen wollte.
Wir spielten noch eine Weile mit ihm und gingen dann ihn das
Haus hinein, wo die alte Heimmutter noch ihre anderen Pflege-
und Zuwendungsaufgaben zu erledigen hatte.
Am dritten Tag sammelten wir gemeinsam für die Pflegemutter große
Säcke voll mit Lindenblüten von den Bäumen vor dem Haus. Damit
würde sie wieder für das ganze Jahr genügend Lindenblütentee haben
Da mein Freund und ich Musiker waren, machten wir auch gleich
ein Lied über die Lindenblüten und ein zweites über das Leid in
der Welt und die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Wir waren sehr
ausgelassen und glücklich als wir dieses sangen, denn hier auf
diesem kleinen ehemaligen Bergbauernhof schien die Welt noch in
Ordnung zu sein
Die Heimmutter erzählte uns noch von den grauenvollen Lebensgeschichten
einiger ihrer Pflegekinder, und einige wirkten, als würden sie
energetisch künstlich beeinträchtigt.
Am Sonntagabend war es dann soweit. Wir mussten uns wieder verabschieden.
Es fiel allen sehr schwer. Besonders Alexander zeigte uns, dass
er es gern hätte wenn wir noch länger blieben.
Am Rückweg gingen wir auch noch beim verfallenen Haus der alten
Kräuterhexe vorbei, um uns von ihr zu verabschieden und dann ging
es wieder hinab ins Tal, um mit der alten Regionalbahn wieder
zurück nach Wien zu fahren.
Damit ging unsere ländliche Idylle zu Ende, aber wir mussten
noch oft daran Denken.
Als ich viele Jahre später dieses Bergbauerndorf noch einmal
besuchen wollte, um zu sehen was aus allen geworden war, musste
ich feststellen, dass es in dieser Form nicht mehr existierte.
Es war eine seltsame trostlose Landschaft geworden, denn es hatte
Platz machen müssen für zwei Autobahnen welche zwischen die Berge
und Täler hineingebaut wurden.