Am ersten Tag soll der Fremde nur seine Augen und Ohren öffnen, aber nicht seinen Mund.(Afrikanisches Sprichwort).
Auf den Insel herrscht eine überaus große Toleranz allem Fremden und allen Fremden gegenüber. Die Leute betrachten einander mit großem Respekt und einer Demut, die zusammen mit dem Selbstbewußtsein, das aus der insularen Isolation erwuchs, für mich unvergleichlich ist.
In Cabo Verde wird herzliche Gastfreundschaft großgeschrieben - wer sich als Gast benimmt, wird selbstverständlich auch als Gast behandelt. Man sollte sich unterwegs jederzeit daran erinnern, daß die Menschen der Inseln für eine gewisse Zeit unsere Gastgeber sind. Sie werden uns das Beste anbieten, was in ihren Möglichkeiten steht, doch diese sind eben einmal begrenzt. Gastfreundschaft kann man sich allerdings nicht erkaufen, auch wenn man die teuerste Pauschalreise gebucht hat. Höflichkeit, Respekt, Geduld und Toleranz, vielleicht zunächst taktvolle Zurückhaltung, sind es, die dem Besucher eine freundschaftliche Begegnung und Sympathie einbringen.
Caboverdeaner lachen gerne und oft, auch über sich selbst, und es ist leicht, mit ihnen auszukommen. Viele Inselbewohner sind ehemalige Emigranten und sprechen außer Kriolu und Portugiesisch manchmal Französisch, seltener auch Englisch oder sogar Deutsch. Gestik, Mimik und ein Lächeln tun ein Übriges. Wer ein paar Worte in der Landesprache spricht und versteht, wird Freude ernten: ''Bom dia, ta bom?''. ''Ta bom, ta bom'' , wird die Antwort sein, was soviel heißt wie: ''Es geht mir gut, ich kann nicht klagen''. So sehen es die Leute, die nur wenig haben und dennoch zufrieden sind. In der Stadt und bei den Bessergestellten verbreitet sich dagegen die Antwort: ''Mais o menos'', die bedeutet: ''Mehr oder weniger gut, es könnte mir besser gehen''.
Eine Reise durch Cabo Verde erfordert Muße und Zeit, auch für Spontanes am Wegrand. Man sollte sich den Zeitrahmen einer Reise nicht zu eng stecken oder sich einen minutiösen Terminplan machen, der dann sowieso nicht eingehalten werden kann. Stundenlange Wartezeiten am Hafen oder Flughafen, unvorhersehbare Änderungen im Reiseplan oder einfach nur Zeit für ein Gespräch, zum Verweilen am Dorfplatz und Hafen, zu wertvollen Begegnungen, sollten einkalkuliert werden. ''Inselhüpfer'' und Reisende, die im Eiltempo vieles abhaken wollen, werden enttäuscht sein. Wer allerdings in den caboverdeanischen Zeitbegriff ''Dibagar, dibagar'' einstimmt, der wird so manches erleben, das er nicht in einem Reiseführer findet.
Vorurteile gegenüber anders denkenden Menschen, europäische Überheblichkeit gegenüber einer anderen Lebensweise und der relativen Armut, oder die Vorstellung, daß in Europa alles besser gemacht wurde/wird, haben nichts auf einer Reise nach Cabo Verde verloren. Sie tragen ebenso wenig zum Verständnis der caboverdeanischen Kultur bei, wie ein Herr-Diener-Verhältnis, die Schaffung neuzeitlichen Sklaventums im Tourismus und einer Art von ''Zooeffekt'', bei dem man gar nicht weiß, wer eigentlich im Käfig steckt oder wer der eigentliche ''Exot'' ist. Es bleibt eine Illusion der Industrienationen, ein Land mit eigenen Maßstäben verändern oder analysieren zu wollen und trägt, wie sich in der Vergangenheit in vielen Ländern gezeigt hat, nur zu Differenzen und Verunsicherung bei.
Ganz anders wird man sich dem Gastland nähern, wenn man sich mit Rücksicht und Respekt vor der Andersartigkeit der Menschen auf Reise begibt und die Lebensformen, Zeitbegriffe und vor allem die Mentalität der Bewohner akzeptiert. Caboverdeaner sind sehr selbstbewußt und stolz, in positivem Sinne. Selbst wenn ein Angestellter im Tourismus, ein Führer oder Kellner, das ihm gebotene, für unsere Verhältnisse lächerlich geringe Gehalt noch so sehr braucht, wird er nicht dafür bückeln und dienern, nur weil man ihn bezahlt. Wer einen langsamen Ober oder einen sorgfältig arbeitenden Büroangestellten hektisch und nervös bedrängt, wird nicht nur belächelt, sondern er wird auch ganz genau das Gegenteil erreichen - es geht alles noch langsamer. Begegnet man einem Caboverdeaner allerdings mit Respekt, mit Geduld und Gelassenheit, so wird er dem Gast sein letztes Hemd oder Huhn geben und einem Wanderer, wenn er erschöpft ist, auch den schweren Rucksack abnehmen.
Caboverdeaner sind in jeder Situation hilfsbereit und wenn Sie einen Passanten nach dem Weg fragen, dann kann es geschehen, daß er Sie nicht nur ans Ziel geleitet, sondern sich anschließend auch noch dafür bedankt, daß er behilflich sein durfte. Nicht selten werden unterwegs dem Besucher Einladungen ausgesprochen: Komm herein und trink einen Grogue mit uns! Wer müde und hungrig ist, bekommt als Gast auch einen Schlafplatz und das beste Essen, das man gerade vorrätig hat, auch wenn das für die Familie einen Verzicht bedeutet. Dieser Brauch ist Tradition in einem Land, in dem so mancher einen weiten Weg bis ins nächste Dorf zurücklegt und sich unterwegs vielleicht etwas ausruhen möchte. Einladungen in jeder Form, vor allem aber zu Schlafen und Essen, sollten keinesfalls als billige Gelegenheit betrachtet werden, Quartier- oder Restaurantkosten zu sparen. Mit absoluter Skrupellosigkeit wird von manchen "Globetrottern" diese Gastfreundschaft ausgenutzt, obwohl die Familien selbst nur über wenig Platz verfügen und mit Mühe ihre vielen Kinder unterbringen und versorgen können. Es ist ganz selbstverständlich, daß man sich für Einladungen entsprechend taktvoll erkenntlich zeigt. Der goldene Mittelweg zwischen ''Gastfreundschaft'', die man nicht bezahlen kann, und dem Gefühl, daß man einer Familie nicht ''das letzte Huhn aufessen'' kann, ist eine Gratwanderung, die jeder nach eigenem Einfühlungsvermögen und entsprechend der Situation entscheiden muß.
Zum Thema Geschenke und Bettelei haben Gerhard und Sibylle Schellmann (Reiseträume)den einige Anmerkungen verfasst:
Die folgende Geschichte hat sich auf Santiago zugetragen. Ein Führer ist mit einer Touristin in einem Tal zu Fuß unterwegs. Kinder umringen die Wanderer, worauf die Touristin, von Mitleid gepackt, Bonbons verteilt. Wie durch ein Lauffeuer sprach sich dies herum und es kamen aus allen Ecken immer noch mehr Kinder angerannt. Mangels weiterer Bonbons fing die Dame nun an, Geldstücke zu verteilen. Auf die Einwände des Führers hin erwiderte sie, die Kinder wären ja so arm. Er versuchte, ihr zu erklären, daß sie mit Geldstücken hier sicher nicht die Armut beseitigen kann, da sie ja nicht täglich zum Geldverteilen kommen wird. Das veranlaßte sie zu Geldscheinspenden. Daraufhin brach der Führer die Wanderung ab. Als er einige Tage später mit anderen Touristen in der gleichen Region unterwegs war, wurden diese sofort mit recht nachdrücklichen Wünschen nach Bonbons empfangen. Sie bekamen eine deutlich kleinere Runde, was unter Gewinnern und Verlierern einer Streiterei herbeiführte. Als bei einer dritten Tour den Aufforderungen der Kinder nach Geld und Bonbons gar nicht nachgekommen wird, flogen plötzlich Steine. Fazit: Wer als Tourist nicht auf seine Eigenschaft als Bonbon-Verteiler und Geldgeber reduziert werden will und echtes Interesse daran hat, diesen Kindern etwas zu geben, der sollte in die Zukunft der Kinder als eigenständige, nicht von Touristengaben abhängige Menschen investieren. Möglichkeiten dazu gibt es viele: Unterstützung von Projekten, Verteilen von Schulmaterial an Lehrer (nicht einzelne Schüler), Spielzeug an Kindergärten, Verbandszeug an Krankenhäuser, Kleider an Gemeinden oder Organisationen - und selbstverständlich überall dort ein "Dankeschön", wo man in Gastfreundschaft aufgenommen und betreut wurde oder kleine Dienste in Anspruch genommen hat.
Letztendlich entwerfen wir selbst als Reisende immer wieder das Bild ''reicher Touristen'', die es sich nicht nur leisten können, so weit zu reisen, sondern auch eine Kluft zwischen der scheinbaren "Armut" und dem westlichen "Reichtum" öffnen. Selbstverständlich freuen sich Kinder über Süßigkeiten und Stifte, doch mit zunehmenden Tourismus müssen wir uns auch der zunehmenden Verantwortung bewußt werden, um nicht zum wahllosen, gönnerhaften Verteiler zu werden. Wenn Sie auf Ihrer Reise Kleidung oder (noch länger haltbare) Medikamente übrig haben, so wenden Sie sich damit an Gemeinden, Hilfsorganisationen und Krankenstationen. Stifte und Schulmaterial werden von Lehrern an Schulen begrüßt, sicher dürfen Sie auch für einige Minuten dem Unterricht beiwohnen.
Achtsam sollte man im sensiblen Bereich der Umwelt sein. Die Inseln werden bereits jetzt von der Last des Importmülls heimgesucht. Nach Möglichkeit trägt man aktiv zu einer Müllvermeidung bei und läßt unvermeidbaren Müll nicht achtlos auf den Inseln zurück. Leere Plastikflaschen und Dosen werden von manchen Leuten im Dorf gerne angenommen und im "Mehrweg-Verfahren" wiederverwendet. Wer abseits vom Weg geht, nimmt Rücksicht vor frischer Aussaat und jungen Nutzpflanzen, die man nicht immer gleich als solche erkennt.
Die caboverdeanischen Inseln sind kein Konsum-Revier! Halten Sie Ihre Erwartungen an Luxus, Komfort und Pünktlichkeit klein, messen Sie die Qualität nicht direkt am Preis. Gäste mit dieser Art Anspruchsdenken werden enttäuscht sein. Wer für sein teures Geld touristisches Halligalli und devote Diener mit Sklaven-Mentalität erwartet, paßt nicht hierher. Cabo Verde ist kein billiges Reiseland, fast alles wird importiert. Als Gegenwert bekommt man nicht menschengemachten Luxus oder ''All-Inclusiv-Angebote'', sondern spontane Begegnungen und viel Unverdorbenheit, was Mensch und Natur anbelangt, eine echte Herzlichkeit statt des roboterhaften Zudienstenseins europäischer Serviceroutiniers. Ein Urlaub auf Cabo Verde heißt:
Nicht besichtigen, sondern sich treiben lassen
-nicht suchen, sondern finden!
Man spaziert über den Dorfplatz und durch die engen Kopfsteingassen, in denen Handwerker arbeiten und Kinder mit selbstgebasteltem Spielzeug ihre Freude haben. Ein paar Männer sitzen im Schatten eines Baumes und spielen Oril, die Fischer am Hafen kommen mit ihrem Fang herein. Stets gibt es genug zu beobachten. Die Caboverdeaner haben von den Ziegen gelernt, Steine zu essen, sagen die Leute über sich selbst. Unsere Welten sind ganz verschieden und wir wollen (vielleicht) nicht tauschen. Was wir aber gerne mitnehmen würden, ist die Freundlichkeit der Menschen, ihre Selbstverständlichkeit und ihr Lebensmut trotz oder wegen der sehr einfachen Verhältnisse, ihre Würde, die sie trotz der Existenznöte ausstrahlen und in der sie im Herzen nie ärmlich wirken. Man kann unterwegs sehr viel lernen und mit nach Hause nehmen:
Ein Bewußtsein, mit welch einfachen Dingen des Lebens man eigentlich auskommt;
zu leben, wo es eigentlich keine Basis zum Leben gibt;
Dankbarkeit für die Kleinigkeiten und Hoffnung, selbst in argen Zeiten;
ein wenig mehr zu sich selbst zu finden und gedanklichen Ballast abzuwerfen.
Warum man als Tourist auf die Inseln kommt, läßt sich ebenso schwer beantworten, wie die Frage, wovon die Menschen hier eigentlich leben. Wer hier war, weiß es, kann es nur schwer mit Worten erklären und - kommt entweder nie oder immer wieder.
© Regina Fuchs, 23. Mai 2000