tik und tak und eins und zwei und pinke pinke und so weiter und so fort

Wenn einer wie Eske Bockelmann auf seine Rolle als Einzelwissenschafter, als Fachlehrer, als Experte verzichtet und in die des Enzyklopäden, des Gelehrten schlüpft, dann gibt er den Boden unter den Füßen auf, auf dem er sich so gut bewegen kann, verlässt das Terrain, auf dem er die Regeln kennt, nach denen er arbeitet und improvisiert, und auch das Auditorium, das ihn seiner Meisterschaft und Expertise wegen kennt und hören will. All das tauscht er ein für ein verkleinertes Publikum, das ihm kritisch gegenüber steht, das erst – vielleicht sogar gegen seinen Willen – noch gewonnen werden muss, und für die schlüpfrige Bühne eines ungewohnten Hauses.

Eske Bockelmann hat das in Kauf genommen, als er sein Buch „Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens“ vorgestellt hat. Er schreibt, dieses Buch sei die Geschichte einer Entdeckung, die ihm selbst unwahrscheinlich, aber höchst plausibel vorkommt, deren neuer Logik er sich verpflichtet fühlt, wenngleich er oft bei fortschreitender Lektüre sich erstaunt über diese Entdeckung zeigt und einige Male nicht glauben will oder kann, dass ihm seine Lesenden folgen wollen oder können. So ist dieses Buch nicht nur eins über das gestellte Thema, sondern ebenso eins über den Wissenschaftsbetrieb und die Außenseiterposition darin. Und für empfindsame Seelen, wie ich eine – zuweilen – bin, evoziert diese gewählte Stellung Mitgefühl und Verbundenheit, eine Sympathie für den, der ausgetretene Pfade verlassen hat.

Gehen wir also mit Eske Bockelmann auf die Reise seiner Entdeckung. Wie die meisten Entdeckungen verdankt sie sich vorangegangenen Erkenntnissen, vorbereitenden Ausblicken und einem Zusammenwachsen schon geleisteter Einsichten. Und wie die meisten Entdeckungen ist sie sich über sich selbst und ihre Konsequenzen nicht ganz im Klaren, glaubt noch, dass Amerika Indien ist, und ist auf nachfolgende Erweiterungen angewiesen. Bockelmann beginnt also mit dem, wo er den festen Grund verlässt, aber noch sich auf ihn bezieht. Klassische Philologie und Germanistik hat er studiert und so ist es nicht verwunderlich, wenn der erste Teil des Buchs, der uns auf die Fährte setzen wird, von etwas handelt, wo er unzweifelhaft sich auskennt, das zu seinem täglichen Brot gehört.

Bockelmann erzählt vom Rhythmus. Er beschreibt Wohlbekanntes auf historisch fundierter Grundlage: wie der Rhythmus bei den Alten war und wie er heute aufgefasst wird. Er beschreibt die Wasserscheide Opitz, erklärt uns, wie vor Opitz der Rhythmus ging, nach Silben gezählt, nach Längen und Kürzen geordnet, betont nach dem Wortakzent. Er macht dies an griechischer und römischer Dichtung und an mittelalterlicher Musik fest und vergisst auch nicht, darauf hinzuweisen, dass dieses Rhythmus- und Betonungsschema bis in die Renaissance hinein gültig war. Wer „Innsbruck, ich muss dich lassen“ kennt oder „Nach grüner Farb mein Herz verlangt“, wird sich sofort im Klaren darüber sein, was gemeint ist. Dieser rhythmische, sinnliche Reichtum von Längen und Kürzen und Wortakzenten wird nach Opitz nicht mehr wahrgenommen. Der Rhythmus wird nun nach einem anderen Paradigma aufgefasst, nämlich taktmäßig, nach Betonung und nicht betont, wobei auf eine Betonung nie eine zweite Betonung folgen kann, auf unbetont höchstens noch einmal unbetont, dann muss wieder Betonung da sein und der Wortakzent hat diesem Spiel zu folgen. Dies ist so weit bekannt und gut dokumentiert

Der Rhythmus wird für das neuzeitliche Verständnis mit dem Takt identisch, aber was Bockelmann dabei irritiert, ist eine Verlängerung dieser Wahrnehmung nach hinten, eine Ontologisierung der neuzeitlichen Rhythmuswahrnehmung als natürlich, die allem, was früher an rhythmischer Empfindung vorhanden war, aufgeherrscht wird, die dazu führt, dass frühere Musik und Dichtung als unrhythmisch und falsch aufgefasst und dargestellt wird und verbessert werden muss. Diese Irritation veranlasst Bockelmann dazu, den Taktrhythmus einer genaueren Analyse zu unterziehen, die nun nicht mehr entlang der Metrik oder anderer künstlerischer Vorschriften vorgenommen wird, sondern am neuzeitlichen Denken selbst; an der Denkleistung, die den Taktrhythmus als Quasinatürliches, als Vorausgesetztes behandelt. Da nämlich die Zuordnung betont – unbetont in den natürlichen Geräuschen nicht vorkommt, wir sie aber, sind diese Geräusche nur regelmäßig genug, unfehlbar nicht nur vollziehen, sondern auch hören, muss dieses Hören seinen Grund in einer Denkleistung haben.

Bockelmann beschreibt diese Denkleistung als „Synthesis“ oder „Taktsynthesis“ und dringt dabei sehr schnell und konsequent dazu vor, diese Synthesis als allgemeine, vorausgesetzte, apriorische Denkfigur kenntlich zu machen: Zwei reine Einheiten stehen einander gegenüber, ohne Inhalte, bezogen aufeinander nur dadurch, dass eins das andere nicht ist. Sie sind nicht mehr auf eine Zeitdauer verpflichtet als kurz oder lang, sondern auf eine Gliederung der Zeit, auf eine Gliederung in der Zeit (was den Taktrhythmus betrifft), in der sie Rasterpunkte sind ohne inhaltliche Bestimmung, von einander getrennt, auf einander bezogen unterschieden durch betont oder unbetont, durch diese Unterscheidung aufeinander verwiesen, ohne sich inhaltlich zu unterscheiden. Sie entstehen im Denkvorgang und das Denken dieser Einheiten und in diesen Einheiten, auch ihr daraus folgendes Wahrnehmen (quasi ein Finden, kein Suchen), vollzieht sich reflexhaft und synthetisch an welchem vorgegeben Material auch immer. Das erste Material, das Bockelmann untersucht hat, war das der Dichtung und der Musik im Hinblick auf den innewohnenden Rhythmus.

Darüber hinaus aber, und das ist das Neue an Bockelmanns Untersuchung und hier beginnt die Entdeckungsfahrt, stellt Bockelmann die Frage, die über den bekannten Horizont hinweg führen wird. Er fragt nicht nur, ab wann dieses neue Verstehen, Hören, Denken auftritt und sich durchsetzt, da ist mit Opitz eine kanonisierte Zeitmarke gesetzt. Er fragt auch gar nicht so sehr nach der Berechtigung einer ontologischen Verlängerung dieses Empfindens nach hinten, das das Lesen eines römischen Epos oder das Singen eines Renaissancelieds zu einem schwierigen Unterfangen macht. Er fragt vielmehr, auf welcher Folie, auf welchen Hintergrund dieses Empfinden, diese Taktsynthesis, diese Denkleistung und ihre Ontologisierung möglich ist. Was war der Auslöser dieses Neuen? Dazu werden drei Bestimmungen in s Treffen geführt, die diese Frage einer Antwort näher bringen kann; „worin die Taktsynthesis besteht (…) dass sie aufkommt in den westeuropäischen Gesellschaften zu Beginn des 17. Jahrhunderts (…) dass sie (…) wirksam ist bis heute“ (S. 157 ff.). Das ist der Rahmen, in dem zu suchen sein wird. Und Bockelmann weiter: „Von allen dreien ist diese (die Bestimmung, die den Gehalt der Synthesis angibt, G. W.) letztere am Schärfsten gefasst. Sie setzt ja voraus, (dass die Taktsynthesis, G. W.) die Menschen dazu bringt, in einem Reflex je zwei Elemente nach einem rein zweiwertigen Verhältnis miteinander zu verbinden und gegeneinander zu unterscheiden. (…) Befremdlich ist daran, dass (…) sie uns bis ins Innerste natürlich erscheint und dennoch durch etwas ihr Äußerliches (…) geschichtlich erst hervorgetrieben wird.“

Anders und vom Ausgangsbeispiel absehend lautet also Bockelmanns Frage: In den westeuropäischen Gesellschaften des frühen 17. Jahrhunderts beginnt ein abstraktes Denken aufzutreten und sich durchzusetzen, das das Beziehen zweier leerer, inhaltlich nicht definierter, getrennter und doch bezogener Einheiten aufeinander als zu Grunde liegende Form hat. Was aber hat den Anstoß für die Entstehung und Durchsetzung dieses Denkens gegeben, das so machtvoll wird und es zum Zeitpunkt seiner Geburt schon ist, dass es in die sinnliche Wahrnehmung eindringen und sich also die materiale Welt unterwerfen kann? Die Antwort, die Bockelmann nun gibt, wäre in der Tat überraschend, wäre sie nicht schon prominent im Titel des Buchs angekündigt: „Aber nun: Diese seltsame Synthesis unserer Wahrnehmung hat ihren historischen Zusammenhang, muss ihren historischen Grund und Ursprung haben. Wir müssen sie uns aneignen, wir müssen gezwungen sein, sie an einer Stelle zu leisten, von der sie sich uns überträgt in die Wahrnehmung rhythmischer, also zeitlicher Abläufe. Und diese Stelle, so habe ich hergeleitet, sei der historisch bestimmte Umgang mit Geld.“ (S. 176 ff.) Und weiter: „Ja, das klingt läppisch genug; doch dieses doppelte Etwas hat es in sich. Etwas kostet etwas: Es sind genau zwei Einheiten, die hier zusammentreten und doch getrennt einander gegenüber stehen. (…) Beide, Geld und Ware, sind demnach nur als sie selbst bestimmt, insofern sie auf das jeweils andere bezogen werden. Beide bestehen nur, Geld als Geld und Ware als Ware, in Bezug auf das andere.“

Bockelmann hat nun auf seiner Entdeckungsreise zwei Etappen zurückgelegt. Er hat die Form des neuzeitlichen Denkens bis in die Wahrnehmung (Ästhetik) hinein dargelegt und er hat den Beginn und die Durchsetzung dieses Denkens mit dem Beginn der Moderne, des Kapitalismus zusammen gebracht, beide miteinander verschränkt. In der Folge wird er aber nicht stehen bleiben und sich ausruhen, sondern er tritt noch zwei weitere Kapitel an und zeigt dieses Denken, das nun als Synthesis von ihm bezeichnet und uns so bekannt geworden ist, in den Naturwissenschaften und in der Philosophie – ausführlich, penibel, mit vielen Wiederholungen, wie er es durch das ganze Buch hindurch tut. Das mag ebenso ermüdend wirken, wie es beim Verstehen durch das beständige Rekapitulieren hilft. Dadurch kommt das Buch auf eine hohe Seitenanzahl, ist aber dennoch schnell zu lesen und leicht zu verstehen.

So weit, so gut. Die Aufnahme dieses Buchs ist nicht zuletzt damit verbunden, dass Bockelmann, wie anfangs gesagt, über die Grenzen, die ihm von Einzelwissenschaft und Expertentum auferlegt sind, hinausgeht. Und das wird ihm übel genommen, vor allem dort, wo mehr das Verhalten des Autors und Gelehrten zur Disposition gestellt wird als die Thesen des Buchs selbst; abschreckend dazu Andreas Platthaus in der FAZ. Es geht freilich auch wohlwollender zu, etwa bei der Süddeutschen von Peter Steinfeld 1, aber durchgängig wird so verfahren, dass einer, der sich nicht beschränkt auf das, wozu er in die Welt gesetzt wurde und was er gelernt hat, zunächst einmal nicht ernst genommen wird. Das ist – abgesehen von dem damit verbundenen schlechten Benehmen – schade. Kritik und Rezensionen beschränken sich leider in aller Regel darauf, den Stil und die Verwegenheit unseres Autors zu preisen oder lächerlich zu machen, an die argumentative Seite wagt sich das Feuilleton aber nicht heran.

Dies soll hier anders sein. Diese Rezension wurde geschrieben mit zweierlei Absicht. Einerseits sollt ihr, liebe Leute, dazu ermuntert werden, dieses Buch mit großer Aufmerksamkeit zu lesen. Was ich kurz umrissen habe, soll nicht das Buch beschreiben, sondern den Appetit darauf anregen. Zum anderen soll, was Bockelmann hier argumentiert hat, in den größeren Rahmen eines – ja, was: wissenschaftlichen?, kritischen? – Diskurses eingebunden werden. Dazu wäre es interessant, an zwei Fragen anzusetzen, die sich jenseits der Kritik an in diesem Buch noch nicht genau umrissenen Begrifflichkeiten 2 eröffnen: So etwa bleibt eine Frage noch aufzulösen, ob nicht das Geld selbst ebenso unvermittelt in die Welt tritt wie Rhythmus oder Mathematik.

Es ist ja Bockelmann hoch anzurechnen, das er jedes Mal, wenn er eine Erscheinungsform, eine Emanation des neuzeitlichen Denkens bespricht und vorstellt, wenn er Mathematik, Naturwissenschaft, Philosophie auf den modernen Grund geht, sich der Mühe unterzieht, sie inhaltlich von antiker und mittelalterlicher Mathematik, Naturwissenschaft und Philosophie abzugrenzen. Da zeigt er immer inhaltlich sehr genau, inwieweit es das vormoderne Vorläufermodell überhaupt gegeben hat. Daraus lässt er dann die Schlüsse ziehen, wie schnell sich das neuzeitliche Denken entwickelt hat, wie überfallsartig es die Welt betreten hat, wenn er etwa Galileo zum Gewährsmann macht, der Mathematik als Sprache der Naturwissenschaft dekliniert zu einem Zeitpunkt, wo beide Begriffe noch erst am Anfang ihrer Durchbildung stehen. Bockelmann erklärt dieses Explosive an der Herausbildung der modernen Kategorien mit dem Hintergrund des Gelds, das dieses Denken erheischt, damit es sich – als Kapital, von dem Bockelmann nie redet; diesen Begriff verwendet er nicht oder wenigstens nicht im Sinne der Kritik der Politischen Ökonomie, was nicht unsympathisch ist, wenn einer sein eigenes Werkzeug mitbringt und nicht aus jedem „Guten Morgen!“ ein Marxzitat macht – bemerkbar machen und durchsetzen kann.

Nun beschreibt Bockelmann auch an der Genese des Gelds, wie sehr es als etwas vollständig Neues in Westeuropa im besprochenen Zeitraum entsteht und etwas vollkommen anders ist als das Münzgeld aus Mittelalter und Antike mit seinem Materialwert. Er geht dabei so weit, dass er eine Wirtschaft – vor der modernen – beschreibt, in der Geld keine Rolle spielt, und als diese Wirtschaft nicht exotische Eilande beschreibt, sondern unsere Vorgänger. Und hier habe ich den Eindruck, dass unser Autor Angst vor der eigenen Courage bekommt. Gerade an einer Darstellung der Genese des Gelds, wie es sich durch das Mittelalter hindurch auf unsere moderne Zeit hin verändert, lässt sich ein Bruch der bisherigen Argumentationsweise feststellen. Er bezieht sich auf Stellen bei Wallerstein und auf die Sweezy-Dobb-Debatte, um eine evolutive Herleitung des Gelds im Mittelalter durch einen „europäischen Sonderweg“ plausibel zu machen. Wäre es aber nicht auch möglich, dass das Geld seine Entstehung derselben frisch und neu entstandenen synthetischen Denkform verdankt, die es – laut Bockelmann – begründet haben soll? Die Frage lässt sich nicht schnell beantworten und riecht auch ein wenig nach Hühnern und Eiern.

Doch eins soll hier festgehalten werden: Wenn uns Bockelmann die ganze Zeit einen Epochenbruch schmackhaft machen will, dann könnte es doch gut möglich sein, dass ein katastrophisches Zusammenbrechen den neuen Entwicklungen vorangegangen sein muss. Es kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass das alte Weltbild zu Grunde gegangen ist, weil seine Erklärungen von niemand mehr geglaubt oder angewandt wurden. Wahrscheinlich ist „angewandt“ in diesem Zusammenhang ohnehin richtiger als „geglaubt“, verweist die Vokabel doch auf ein Tätigsein, das gesellschaftlichen Konsens und Konnex herstellt, dem aber wieder eine ähnliche ungewusste Denkleistung unterlegt ist wie unserer Zeit die synthetische. Es wäre also möglich – und Bockelmann führt auf diesen Schluss zu, ohne ihn zu vollziehen –, dass Antike und Feudalismus mehr miteinander gemeinsam haben, als gemeinhin dargestellt wird, anders gesagt, dass der Epochenbruch am Beginn der Neuzeit, der Moderne sich vollzogen hatte, zwischen Antike und Feudalismus aber nicht. Beide sind durch eine religiöse Erklärung der Welt miteinander verbunden und Bockelmann zeigt gerade dort, wo er darstellt, wie sehr wir uns von den Vorigen in unserem Denken und Wahrnehmen gesellschaftlich abgestoßen haben, er zeigt auch, wie sehr sich die vormoderne Weltordnung stabil durch alle oberflächlich sich wandelnden Herrschaftsverhältnisse (auf der Ebene der Selbstbeschreibung und der historischen Tiefenstruktur handelt es sich um einige Jahrtausende von „Reich“, nun um ein paar Jahrhunderte von „Gesellschaft“) gehalten hat.

Auch hier hat Bockelmann mehr erzählt, als er vorhatte, hier hat er uns auf die Fährte gesetzt wie auch mit der Beschreibung der Kraft der Denksynthesis am Geld, was zur zweiten Frage führt: „Am Geld hat sie (die Synthesis, G. W.) immerhin die gesamte, an keiner Stelle wirksam begrenzte Welt der Waren zu überspannen, also eine ganze Welt der offen und rational durchdenkbaren, reflektierbaren Inhalte. Und darüber wächst ihr eine so gewaltige Kraft zu, dass sie unaufhaltsam noch in die verborgenste Wahrnehmung fährt – und dort eben anders wirkt, als indem sie Geld und Waren verbindet. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie ihre Macht also nicht auch beim Durchdenken dieser selben Inhalte bewährte – das heißt: bei der Reflexion dieser gesamten Welt. Das Eindringen ins bewusste Denken stellt sie sowenig vor ein Hindernis wie das Eindringen ins Unbewusste, das Gebiet des Rationalen und der Reflexion ist ihr so wenig verschlossen wie dasjenige unwillkürlicher Empfindung; und da sie schon am Geld, in ihrer genuinen Anwendung, sämtliche Inhalte zu den ihren macht, so muss es auf der Linie ihres Ausgreifens liegen, noch weitere Bereiche des Denkens unter ihre Botmäßigkeit zu zwingen.“ (S. 234 f.)

Diese Stelle deutet in eine Richtung, die Bockelmann nie explizit erwähnt, wohl aber durchgehend beschreibt: in die Richtung einer fetischverfassten Gesellschaft. Wenn er in der zitierten Stelle vom Zwingen unter die Botmäßigkeit schreibt, dann lässt sich dies im Zusammenhang mit all den Stellen vorher, die zu diesem Zitat hinführen, als organisatorische Kraft der Synthesis dechiffrieren, die, wiewohl Menschenwerk, von den Menschen selbst als ungewusst und von ihnen unabhängig erlebt wird, ausgestattet mit der Autorität einer ihnen entgegen tretenden Welt, die schon vor ihnen da war und ihnen aufherrscht, wie sie, die Welt, von ihnen, den Menschen, zu sehen und zu besiedeln und zu erkennen und anzunehmen ist. Und so kommt Bockelmann zu einer Kritik am Geld, die weit über das hinausreicht, was an diesem Gegenstand bisher geleistet wurde. Sie beschränkt sich nicht auf Raisonnieren um der Gerechtigkeit willen, sie bleibt nicht am unsinnlichen, ungreifbaren, abstrakten Charakters des Geldreichtums kleben und beklagt den inhaltlichen, stofflichen Verlust des Überflusses 3, sie erklärt nüchtern und vor allem theoretisch nachvollziehbar – und das ist etwas Wundersames in diesen unseren Zeiten –, wozu wir mittels Geld im Stande waren, sind und sein werden, ohne es zu wissen; ja, es besteht der Verdacht, ohne es wirklich wissen zu wollen, weil wir ahnen, dass wir dann dieser ganzen aufgetürmten Welt verlustig gehen werden. Doch möglicherweise ist dieser Verlust geringer, als wir befürchten, und Bockelmanns trockene Sprache, mit der er die vordem herrschende Fülle der Inhalte beschreibt, ehe sie dem abstrakten Verlöschen zum Opfer fielen, ist dazu angetan, die Angst gering zu halten und auf neue Inhalte zu bauen. 


1 vgl dazu die beiden Rezensionen in http://www.buecher.de/go/search_search/quick_search/receiver_object/shop_search_quicksearch/q/cXVlcnk9aW0rdGFrdCtkZXMrZ2
VsZGVzJmZpZWxkPXRpdGxlJnJlc3VsdHM9MTAmY29udGVudFRvU2VhcmNoPXByb2R1Y3RzJnBhZ2U9MQ==/wea/1100001/

2 Zum Beispiel taucht eine begriffliche Unschärfe zwischen Geld, Wert, Geld- und Warenwert immer wieder auf. Das soll dem Autor nicht zum Vorwurf gemacht werden, solange aus seinen Ausführungen klar ersichtlich ist, was er meint. Eher sollen die Lesenden provoziert werden, hier argumentativ anzusetzen und die Diskussion weiter zu treiben, etwa wenn sie auf jene schöne Stelle rekurrieren: „Abgelöst von den einzelnen Warenquanta wird er (der Wert, G. W.) zu ihrer virtuellen Gesamtheit, Er wird zu einem Gesamt von Wert. Als dieses aber hat er für sich keine bestimmte Größe, hat er keine quantitative Schranke, ist er selbst kein Quantum. All die einzelnen ,Werte‘ die von Menschen besessen werden und über die sie verfügen, ob nun in Form von Bargeld, Bankeinlagen oder von anderem geldwertigen Vermögen, sie lassen sich wohl zusammenzählen und in ihrem Gesamt-Quantum beziffern, aber sind doch immer nur ein Quantum von diesem Wert – dieser Wert selbst dagegen die bloß virtuelle Substanz, von welcher sie eben Quanta darstellen. Von ihm, dieser real zwar höchst wirksamen, nicht aber real gegebenen, sondern ausschließlich ja gedachten ,Substanz‘ ließe sich niemals sagen, wieviel es von ihr geben kann. Keine Menge, wie groß sie immer ausfiele, würde den absoluten Wert je erschöpfen: eben weil er nicht mehr material gebunden und gedacht wird.“ (S. 306)

3 Wo Bockelmann polemisch wird gegen ein abstraktes Denken, klingt das ganz anders, etwa so: „Dieses Universum der Schrecken, in dem es sämtliche lachhaften und grauenvollen Übergangsformen geben muss zwischen tot und lebendig, zwischen Fisch und Fleisch, Fliege und Giftpilz, Löffel und Speise, Panzer und Affenpfote, Leibniz siedelt es immerhin nur dort an, wo der Dichter Morgenstern auch Auftakteule und Vierviertelschwein miteinander tanzen lässt, nämlich ,im Geiste ihres Schöpfers‘. Aber dasselbe Gesetz der Kontinuität, das den Schöpfer zwingen soll, sich dieses Schreckenskabinett auszumalen, wird auf Erden noch einmal verhängt über alle Veränderung. Das gesamte Universum ist gebannt in den steten – und man erinnere sich: neuen – Fortschritt.“ (S. 477)