in hoc signo vinces

 

Natürlich musste es so kommen, dass mit den Spezialkommandos und Flugzeugstaffeln auch die Prediger der religiösen Vernunft ihren Auftritt bekamen. Und so konnten wir Zeugnis ablegen von der unverfrorenen Besserwisserei, die sich in Gestalt von Staatsmännern, Journalistinnen und Kirchenfürsten aufmachte, uns über die sittliche Überlegenheit der christlich-westlichen Welt aufzuklären. Ist es hier wirklich notwendig, argumentativ entgegen zu halten?

Von Bischof Krenn bis zu Oriana Fallaci erfahren wir, dass uns eine Religion der Intoleranz gegenüber steht, die mit Menschenrechten wohl nichts anzufangen weiß, dazwischen darf der eine islamische Würdenträger darauf hinweisen, dass auch der Koran das Gebot der Nächstenliebe kennt, oder die andere journalistische Expertin bedauern, dass der Islam seine Aufklärung – wie ehedem – das Christentum noch nicht erlebt hat. Ein paar Spritzer historische Kritik würzen diese Gefühlsmelange noch mit dem höhnischen Hinweis auf Inquisition und Kreuzzüge und die Stellung der Frau im Christentum, so dass sich eins bequem zurück lehnen kann in Fauteuil und Feuilleton, ist doch der Vernunft Gerechtigkeit widerfahren.

Ist es nicht müßig, auf diese Salbaderei weiter einzugehen?

Eigentlich schon. Daher kann es auch Anliegen des vorliegenden Texts nur sein, einige historische Gemeinplätze wieder in s rechte Licht zu rücken. Voraus geschickt sei, dass ich kein Experte für den Islam bin. So wird auch das Folgende nur dazu angetan sein, den eigenen kulturellen Hintergrund zu beleuchten, um sich davon abzusetzen.

Das Christentum entstand unter dem Einfluss des Hellenismus und unter den Bedingungen des römischen Weltreichs (der modernen Antike also) und fußend auf jüdischen orthodoxen Sekten als Mysterienkult, der sich inhaltlich von anderen Kulten wie des Mithras, der Isis oder des Herakles nicht unterschied. Zentrales Element war, nachdem das antike Pantheon ausgedient hatte, die Gemeinschaft der Gläubigen angesichts des Mysteriums (oder Sakraments) vom ewigen Leben, von der Überwindung des Tods. Vor diesem Mysterium und in dieser Gemeinschaft waren alle Mitglieder gleich. Aus dieser religiös begriffenen Gleichheit entstand die fromme Legende von den Schlägen, die das Christentum der Sklaverei versetzt haben soll. Die Bibel selbst ist da ehrlicher: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Hier wird vollkommen klar ausgedrückt, was die Gemeinschaft der Gläubigen ist – eben nicht mehr als eine Gemeinschaft von Gläubigen. Der Mysterienkult stellt sich nicht gegen die Staatsgewalt, er leitet keine politische Stellungnahme aus seinen religiösen Lehren ab. Er ist dem antiken gesellschaftlichen Gefüge nicht mehr durch die pietas verbunden, eine Frömmigkeit, der Gottheiten wie Menschen unterworfen waren, und deren Prinzip war, dass alle zusammen dem fatum, dem Schicksal unterlagen, einer Bestimmung,  die sie zu erfüllen hatten. So wurde Venus von ihren göttlichen Verwandten dafür kritisiert, dass sie dem Aeneas die Dido in Karthago zugeführt hatte. Denn Aeneas hätte schließlich Rom zu gründen, und so musste eine Geschichte, die sich gegen das fatum auflehnte, bös (für Dido, die doch nichts dafür konnte) enden. Der Mysterienkult aber kennt diese Frömmigkeit, die Menschen wie Gottheiten verpflichtend war, nicht mehr. Er kümmert sich nur noch um seine Angelegenheiten, seine Gemeinschaft, was Mildtätigkeit bis zur Gütergemeinschaft zur Folge haben kann, und sein Geheimnis des Glaubens.

Eine Religion, die der stabilitats loci entbehrt, die nicht mehr örtlich gebunden ist an Tempel, Städtegründungen und gemeinsam von Menschen und Gottheiten durchstandene Auseinandersetzungen, kann leicht vazieren; und dies um so mehr, als die moderne Antike alle Voraussetzungen dafür anbot: ein Straßennetz, eine Kenntnis der bewohnten Welt und die Boten in Form der römischen Verwaltung und Legionen. Und gerade die Mysterienkulte wurden in den Legionen und durch sie verbreitet. Hierin unterscheidet sich das Christentum nicht von seinen Konkurrenten. Dies erklärt aber auch die Christenverfolgungen. Wenn Kaiser gestürzt wurden, fielen die Gardisten, aber auch die Berater, der Hofstaat und deren Familien mit ihnen. Was als Märtyrertum gefeiert wird, hat oft als Palastrevolution begonnen. Dafür, dass das Christentum eine Legionärsreligion war, steht auch gerade die Legende von der Schlacht des Konstantin gegen Maxentius an der milvischen Brücke. Dort soll ihm ein Kreuz erschienen sein und er soll die Worte gehört haben: „In hoc signo vinces.“ Konstantin soll darauf die Soldaten angewiesen haben, das Kreuz als Feldzeichen zu führen. Der Verdacht liegt nahe, dass sie dies ohnehin taten, noch dazu, wo seine Mutter Helena Christin war.

Warum sich das Christentum gegen seine Konkurrenten durchsetzte, kann hier nicht erörtert werden. Jedenfalls war es populär und geschmeidig genug, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist – eine Staatsreligion, und Gott, was Gottes ist – eine vom Staat übernommene Verwaltung (noch heute heißen die Bischofsbezirke Diözesen, was ursprünglich römische Verwaltungseinheiten waren). Eine Bindung zwischen Religion und Staat war auf diese Weise hergestellt, die in ihrer manichäischen Ausrichtung von der Antike der Kirchenväter bis zur Neuzeit und darüber hinaus prägend werden sollte. Beide Parteien nahmen einander in die Pflicht. Die Verschränkung von Kirche und Staat, die wechselseitigen Garantien, die beide für einander abgaben, all das macht die Dominanz der christlichen Kirchen und gleichzeitig ihre Zähmung aus. Diese Religion war nie darauf angewiesen, sich ihren Staat zu schaffen; sie war in ihn hinein geboren und hatte ihn gleichzeitig als Morgengabe bekommen.

Es ist genau diese Bindung, die das Überleben der christlichen Religionen, Kulte und Sekten ermöglicht hat. Wo vor einigen Jahrhunderten die päpstliche Diplomatie mit der des Kaisers kooperierte, paktierte und intrigierte, um die Welt zu beherrschen und zu gestalten, ist heute die Religionsfreiheit ein demokratisch verbrieftes Verfassungsgebot, das die Macht und den Einfluß nicht beschneidet, eher bestätigt. Seine Aufklärung hingegen hat das Christentum nie gehabt, wie sollte es sich auch über sich selbst aufklären. Und die Trennung von Kirche und Staat, die nie wirklich vollzogen wurde, bedeutet nichts anderes, als den Raum für die Religion zu garantieren, den sie braucht, um sich im Staat zu bewegen und ihre Leitposition weiterhin beanspruchen zu können. Gottes Zeit ist eine andere als die der Menschen, und zwischen diesen beiden Zeiten bewegt sich das Christentum mit geschmeidiger Anpassung, um nicht zu sagen mit verblüffender Eleganz. Mit sittlicher Überlegenheit gegenüber dem Islam hat dies alles aber nichts zu tun.