Wissenschaft als gesellschaftliche Konstruktion am Beispiel des Donaldismus

Warum soll es nicht möglich sein,
Gold zu machen?
Wir wissen heute aus der Atomphysik,
dass alles möglich ist.
Noch vor kurzem glaubte man,
dass nicht alles möglich ist.

(Dagobert zu Donald, zitiert in: „Der Donaldist“ 149, S. 3)

 

Wenn wir der Wissenschaft oder den Wissenschaften begegnen, von ihrer Forschung und Tätigkeit erfahren, dann gehen wir im Allgemeinen davon aus, dass wir es mit objektiven Tatsachen zu tun haben. Das betrifft sowohl den Gegenstand der jeweiligen Wissenschaft als auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit. Oft genug bewundern wir dabei die Resultate und sind verblüfft, als ob wir einem Zauberkünstler zusehen. Quasi wie aus dem Nichts entstehen dann Gegenstände, die vorher in unserem vertrauten Alltagsleben unauffindbar waren. Vor unseren Augen zeigen sich plötzlich Matriarchate, Indogermanen, schwarze Löcher und Strings. Sie zeigen sich als Gegenstände ernsthafter Forschung, aber nicht nur das: Sie zeigen sich auch als existent, gerade so, als hätte die wissenschaftliche Tätigkeit sie erst erschaffen und ihnen Leben eingehaucht.

Nur manchmal beschleicht uns angesichts der Größe und Großartigkeit dieser Hervorbringungen ein mulmiges Gefühl, wenn etwa in einer wissenschaftlichen Studie als Ergebnis einer langen Feldforschung mit mehreren hundert oder tausend Probanden verkündet wird, dass Arme kürzer leben und weniger gesund sind als Reiche. Die Reaktion darauf, die wohl auch den Ressentiments der Stammtische entspricht, ist: „Nona!“ Man fragt sich unwillkürlich, was so eine Studie an Geld gekostet haben mag, das – bei dem ohnehin schon vorher bekannten und feststehenden Ergebnis – wohl besser hätte angelegt werden können, beispielsweise auf dem Konto des Vortragenden, der dasselbe Ergebnis ohne langwierige Untersuchung geliefert hätte.

Wirklich? Könnte es vielleicht sein, dass nicht das Ergebnis wichtig ist, sondern die Art und Weise, wie das Ergebnis zu Stande gekommen ist, egal, wie banal die letztendliche Aussage auch sein mag? Kann es nicht sein, dass eine bestimmte Aussage erst als gesellschaftlich gültig oder wenigstens diskutierbar anerkannt wird, wenn sie auf eine bestimmte Art getätigt wird? Um im Bild zu bleiben: Kann es nicht sein, dass die Aussage, Arme lebten kürzer und seien öfter krank als Reiche, ins Reich der unbewiesenen, von Gefühlen und subjektiven Interessen geleiteten Behauptungen verwiesen werden muss, solange sie am Stammtisch, in Internetforen oder auf Leserbriefseiten getätigt wird und sich auf persönliche Erfahrungen beruft und nicht auf wissenschaftliche Beweisführungen? Es könnte sich also zeigen, dass erst die wissenschaftliche Aufbereitung eines Themas dieses auch für die gesellschaftliche, zum Beispiel politische Auseinandersetzung zugänglich macht. Wenn Politiker oder Politikerinnen Forderungen zur Sozialpolitik erheben, die auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Lage von Armen hinauslaufen und dies damit begründen, dass sie die Argumente für die Notwendigkeit solcher Maßnahmen in der Boulevardzeitung oder am Wirtshaustisch gewonnen hätten, würden sie sich gewiss dem Vorwurf des Populismus aussetzen und ihre Vorschläge würden verächtlich abgewiesen. Damit diese Vorschläge also eine politische Behandlung oder Diskussion erfahren können, müssen sie offensichtlich die Form der wissenschaftlichen Beweisführung annehmen, um in der Öffentlichkeit nicht nur wahrgenommen, sondern auch für wahr gehalten zu werden, zumindest solange sie nicht – wiederum mit wissenschaftlichen Argumenten – widerlegt sind.

Eine meiner Lieblingsanekdoten zur Illustration dieses Sachverhalts bezieht sich auf die Zeitgeschichte: In den 1980er Jahren war eine Strömung en vogue, die als Quellen für die historische Forschung private mündliche Erinnerungen von Zeitgenossen und Zeitgenossinnen heranzog. Das lief unter dem damals sehr modernen Begriff oral history. Es war der verdienstvolle Hans Mommsen, der in seiner Polemik dagegen sinngemäß meinte, Geschichte sei zu wichtig, um sie Zeitzeugen zu überlassen – also denen, die sie erlebt hatten, sollten wir hinzufügen.

Das ist jetzt aber gar nicht so hochnäsig, wie es klingt; es deutet nur auf einen Sachverhalt hin, den wir uns bei der Beschäftigung mit Wissenschaft immer vor Augen halten müssen. Wissenschaft hat nichts mit der Alltagserfahrung zu tun, sondern mit der Konstruktion von Wahrheit. Und Wahrheit wiederum ist das, das für wahr gehalten wird. Dieses Fürwahrhalten ist aber kein willkürlicher Akt, sondern ein kompliziertes Verfahren, das überhaupt nur funktionieren kann, wenn das Wahre entweder immer wieder auf s Neue bestätigt wird oder sich der Nichtbestätigung, der Falsifizierung aussetzt. Es kann also nur für wahr gehalten werden, was auch die Möglichkeit in sich hat, später für falsch erkannt zu werden. Der Witz daran ist dann aber doch, dass der Gegenstand selbst der jeweiligen Wissenschaft durch das Erfordernis der möglichen Falsifizierung einer Aussage zu ihm, über ihn, über diesen Gegenstand, nicht angegriffen werden kann.

Einzelwissenschaften wie Indogermanistik oder Matriarchatsforschung bleiben weiter bestehen, auch wenn Indogermanen oder Matriarchate nicht oder noch nicht oder doch schon nachgewiesen wurden. Um also noch einmal auf Hans Mommsen zurückzukommen: Wenn Geschichte etwas ist, das sich mit den persönlichen Erlebnissen nicht vergleichen lässt, mit ihnen nichts gemein hat, dann kann auch aus Geschichte nichts gelernt werden. Dass man aus Schaden oder aus Erfahrung klug werde, weiß nur der Hausverstand, der dieses Sprichwort formuliert hat. Aus der Geschichte aber lässt sich nichts lernen, außer einer redundanten, sich selbst wiederholenden und erklärenden Erklärung. Wir lernen aus der Geschichte nur etwas über uns selbst, wir lassen uns aus der Geschichte unser Denksystem, unser politisches und unser gesellschaftliches System an der Vergangenheit bestätigen, um uns als den Fortschritt der Menschheit darzustellen. Dabei lernen wir nichts aus der Geschichte in dem Sinne, dass wir gemachte Fehler vermeiden.

Wir können aus der Geschichte – oder anderen Einzelwissenschaften – auch gar nichts lernen, wenn über ihrem Gegenstand oder über ihren Aussagen andauernd das Damoklesschwert der Falsifizierung hängt. Wir können nur die Handhabung dieser Einzelwissenschaften erlernen und Doktorandinnen oder post graduate Studenten bemühen sich mit Phantasie und Originalität darum, neue Erkenntnisse beizusteuern: alte Theorien zu modifizieren oder zu verwerfen und neue zu formulieren, Experimente mit geringeren Messfehlern und erhöhter Präzision zur Beweisführung oder Widerlegung bisher anerkannter Aussagen anzustellen. Die Wissenschaft ist sich über diesen Sachverhalt übrigens im Klaren und belügt weder sich selbst noch ihr Publikum.

Zwei Beispiele dazu: In der Teilchenphysik wie auch in der Astronomie werden Standardmodelle verwendet (die auch als solche bezeichnet werden, also als Modelle der Darstellung, auf die sich die Mehrheit der befassten Wissenschafter und Wissenschafterinnen verständigt haben) und experimentelle Untersuchungen werden unternommen, um dieses Standardmodell zu bestätigen (oder zu modifizieren, je nach Standpunkt). In der historischen Sprachwissenschaft wiederum, die sich mit der Rekonstruktion von Ursprachen befasst, gibt es eine eigene Darstellung von Wortstämmen mit einem Asterisk, einem hinzugefügten Sternchen, um darauf hinzuweisen, dass dieser Wortstamm nur rekonstruiert ist, etwa als indoeuropäisch, und nicht in einer gesprochenen lebenden oder toten Sprache überliefert. So bleibt klarerweise die Möglichkeit für andere plausible Etymologien jederzeit offen und Theorien über Ursprachen gibt es in angemessener Zahl – ideologisch beeinflusst (etwa gegen Deutschtümelei in der Indogermanistik wie bei Wadler oder früher bei Sanders) oder beeinflusst durch neuere Forschungen anderer Einzelwissenschaften (etwa der Genetik und der Evolutionsbiologie oder durch den momentanen Renner im Zeitgeist der Wissenschaften, die Hirnforschung).

Ich habe weiter oben von Verfahrensweisen gesprochen, die notwendig sind, um eine Wissenschaft, eine Einzelwissenschaft, eine wissenschaftliche Disziplin zu etablieren und aufrecht zu erhalten. Zu diesen Verfahren gehört vor allem die Öffentlichkeit, also die jederzeitige Möglichkeit für alle und ein jedes, Zugang zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Tätigkeit zu haben und sie nachprüfen, bestätigen oder verwerfen zu können. Es mag für uns Sterbliche sonderbar klingen, in diesem Zusammenhang von Öffentlichkeit zu sprechen, wenn wir an die kleinen elitären Zirkel der Universitätsinstitute und Akademien denken und an die Bilder von weltfremden Wissenschafterinnen und Gelehrten, die in ihrer eigenen Sprache reden und im gern zitierten Elfenbeinturm ihr Wesen treiben.

Tatsächlich ist es aber so, dass ein Resultat einer Studie, eine Etablierung einer Theorie, die Beschreibung einer neuen biologischen Art und was da mehr dann erst zur wissenschaftlichen Aussage wird, wenn dies veröffentlicht wird, also in der Fachzeitschrift oder einem Buch oder einem Forschungsbericht jederzeit und für alle zugänglich gemacht wird, und zwar nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin, also Methode und Instrumentarium bekannt gegeben werden. Damit wird nachvollziehbar und ebenso der Möglichkeit nach auch widerlegbar, was hier der Welt öffentlich präsentiert wird. Womit wir also unser erstes Beispiel von Kranken und Reichen ein wenig relativiert und verständlich gemacht haben.

Wir haben nun gesehen, dass eine Wissenschaft sich zur Wissenschaft macht, indem sie einen Gegenstand mit wissenschaftlichen Methoden und Verfahren untersucht und so auch diesen Gegenstand durch die an ihn geknüpften Forschungen erst hervorbringt. Gegenstand und Forschungsergebnisse haben dabei ihre eigenen Schicksale und Geschichten, die auf sie selbst zurückwirken und sie verändern. Bevor ich dazu ein Beispiel gebe, möchte ich noch einmal auf die angewandten Methoden und Verfahren zurückkommen und einige herausgreifen und kurz streifen. Eine Aussage kann dann als wissenschaftlich abgesichert, also in gewisser Weise als wahr gelten, wenn sie wiederholbare Sachverhalte beschreibt. Die Schwerkraft wird es existent betrachtet, weil Gegenstände einander anziehen und immer in prognostizierbaren Bahnen aufeinander zu fallen; unabhängig davon, ob und wie der Begriff Kraft beschrieben werden kann, ob und wie „Kraft“ empirisch erfahrbar ist. Ausschlaggebend ist, dass die Erklärung, die mit dieser Theorie verbunden ist, die einfachste ist. Dies wurde als Ockhams Rasiermesser (entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem) definiert und steht also am Beginn der Theorie von Wissenschaftlichkeit, und das zu einem Zeitpunkt, als es Einzelwissenschaften in unserem heutigen Sinn noch gar nicht gab.

Newtons Apfel fällt also immer auf kürzestem Wege in Richtung Erdmittelpunkt zu Boden, was durch Versuchsanordnungen jederzeit bestätigt werden kann, und solange er das tut, gibt es die Schwerkraft, es sei denn, der Fall des Apfels kann einfacher oder eleganter erklärt werden. Experimente sind dann diese Anordnungen, die die Wiederholbarkeit und das immer gleiche Ergebnis öffentlich darstellen. Nun gibt es aber Gegenstände, bei denen sich die Wahrheit oder Gültigkeit der Aussagen über sie nicht durch experimentelle Wiederholbarkeit herstellen lassen kann. Solche Gegenstände sind etwa die Kosmologie oder die Biologie. Weder kann man die Entstehung des Universums im big bang noch das Artensterben an der Kreide-Tertiär-Grenze experimentell wiederholen, auch nicht die Französische Revolution oder das Zerbrechen von Pangäa. In diesen Fällen behalfen sich die Wissenschaften früher mit so genannten Gedankenexperimenten, heutigentags geschieht dies mit den Mitteln der Modellierung, was besonders unter dem Einfluss der Computertechnologie einen Aufschwung erlebte.

Was aber immer dem Experiment oder der Simulation zu Grunde liegt, ist eine Fragestellung, der nachgegangen werden muss, ein Gedanke, der sich als richtig erweisen soll, eine Erklärung für ein Phänomen, die mit der blanken Wirklichkeit nicht im Widerspruch steht. Und bevor das Experiment durchgeführt wird, hat sich diese Frage schon längst zur Erklärung, zur Theorie verdichtet und so ist dann das Experiment nicht der Beweis eines Phänomens, sondern der Beweis einer Theorie. Und überspitzt ausgedrückt können wir vielleicht sagen, dass die Theorie in einer Wissenschaft wichtiger ist als das von ihr untersuchte Phänomen, dass die bewiesene Wirklichkeit der Theorie immer nachhinkt.

Dann ist es auch kein Wunder, wenn in der science fiction Literatur Dinge behauptet werden, die erst später durch die Arbeit von Erfindern, Ingenieuren und Forscherinnen zum Leben erweckt werden. Das zeigt sich übrigens auch im Verhältnis von theoretischer Physik zur praktischen, die ihre Experimente mit immer genaueren Kalibrierungen und immer kleineren Toleranzen durchführt, um die mathematisch gewonnenen Vorhersagen zu bestätigen. Ein ähnliches Verhältnis finden wir übrigens zwischen Philosophie und Geschichte, worin die Geschichte immer wieder die philosphischen Behauptungen bestätigen muss. Aber das steht auf einem anderen Blatt, das die Überschrift Legitimation und Ideologie trägt.

Umgekehrt ist es aber auch so, dass das erfolgreiche Experiment in der Wahrnehmung der Leute (Laien wie Expertinnen) sich von der Theorie löst und quasi ein Eigenleben als Legende (wie eben Newtons Apfel) entwickelt, selbst wenn es nicht stattgefunden hat. Ein amüsanter Aufsatz des Wissenschaftshistorikers Alexandre Koyré beschäftigt sich mit dem berühmten Experiment Galileis und seinen Kugeln, die er vom Schiefen Turm in Pisa fallen ließ, wie es hieß, und damit eine bislang gültige aristotelische Auffassung widerlegte. Wie Koyré nun ausführlich darstellt, hat dieses Experiment offensichtlich nie stattgefunden und Galilei hat seine Fallgesetze für Körper in idealen Räumen (also im Vakuum) formuliert – als mathematische Theorie gleichmäßiger Beschleunigung, und zwar bevor das Experiment dazu begann, das in der beschriebenen Form von Galilei nie durchgeführt worden war.

Ähnlich verhält es sich mit der Simulation, die – gleich dem Experiment – eine künstlich geschaffene Situation herstellt, in der dann Ergebnisse erwartet werden, die vorher theoretisch postuliert oder vorhergesagt wurden. Die aufeinander geschossenen Protonen im LHC, dem großen Teilchenbeschleuniger des CERN bei Genf, sollen die Teilchen experimentell nachweisen, die das Standardmodell bestimmt hat. Der durch Kollision der Protonenpakete herbeigeführte Zerfall der Teilchen soll dabei auch einen Zustand der Entwicklung des Universums simulieren, in dem sich die Teilchen noch nicht zu den bekannten Atomen verbunden haben. Ähnliche Simulationen finden wir auch bei der Intelligenzforschung an Primaten vor, wobei wir uns auch der Beantwortung der Frage annähern können, wie Theoriebildungen unter dem Druck gesellschaftlicher Erfordernisse zu Stande kommen. Der schon erwähnte Alexandre Koyré zeigt in seinem Buch „Von der geschlossenen Welt zum universellen Universum“, wie sich Vorstellungen entwickelten, die den Boden des geozentrischen Weltbildes verlassen haben und dabei Aussagen, die über das neu entstehende heliozentrische Weltbild hinausgingen, erlaubten; etwa Giordano Brunos Behauptung, es würde mehrere Welten wie unsere existieren. Er zeigt dabei auch, wie sich diese Theorien und Gedankenexperimente an philosophischen Richtungen orientierten, also auch gewissen Moden im Denken unterworfen waren oder sie schufen, indem sie alte Moden weitertrieben, zum Beispiel die Logik auf die Astronomie anwandten, mit dem logischen Schließen also die Sphären der mittelalterlichen Kosmosvorstellung zertrümmerten.

Um nun auf den gesellschaftlichen Druck auf die Wissenschaft zurückzukommen: Die gesellschaftlichen Strukturen verlangen nach einer Stabilisierung ihrer selbst, die durch Instanzen abgesichert werden soll, die möglichst unangreifbar sind. Gott ist eine dieser Instanzen, aber für die herannahende bürgerliche Gesellschaft wurde diese Instanz durch Natur und Vernunft abgelöst. So wurden die Diskussionen um heliozentrische Weltbilder oder um die Evolution auch nicht um die Realität dieser Phänomene geführt, sondern um die Stellung Gottes. Giordano Bruno wurde nicht hingerichtet, weil er die Unendlichkeit des Universums behauptete, sondern weil diese Unendlichkeit mit der Unendlichkeit Gottes kollidierte und Bruno ganz konsequent und einer stringenten Logik folgend Schöpfung und Jüngstes Gericht ablehnte. Beide waren Endpunkte, die es in einer unendlichen Welt gar nicht geben konnte.

Aber dieser Druck der Gesellschaft, ihre Forderung nach Sicherheit über das Erfahrene und das Gewusste, ist auch heute zu spüren, wo der Einfluss der Kirche aus der Interpretation und Anschauung der Welt wohl längst abgewiesen wurde. Bevor ich also auf den Donaldismus als Einzelwissenschaft eingehe, seien noch zwei Beispiele neueren Datums erlaubt. Das eine ist die schon erwähnte Intelligenzforschung an Affen. Sie findet oft in Versuchsanordnungen statt, die die Tiere nicht verlassen können und in denen sie weit von ihrem natürlichen Verhalten und Umfeld agieren. Hier werden sie mit Aufgaben konfrontiert, die lösen zu müssen sie in ihrem normalen tierischen Leben nie in Verlegenheit kommen würden. Dazu ein Zitat aus einem Spiegel-online-Artikel „Der umsichtige Affe“:

„Weiterhin kann man mit raffinierten Tests prüfen, ob es Menschenaffen gelingt, vorausschauend zu handeln – aktuell nicht gegebene, erst in Zukunft eintretende Umstände zu berücksichtigen. Das Team von Call versuchte das mit Orang-Utans. Die Affen lernten zum Beispiel, sich mit Hilfe eines bestimmten Werkzeugs eine Belohnung zu verschaffen. So konnten sie mit einem Stock mit gekrümmtem Griff eine Flasche Saft angeln. Als sie später wieder in denselben Raum durften, gab es dort keinen Saft. Nur verschiedene Geräte lagen herum, darunter auch wieder ein solcher Stock. Kurz darauf wurde der Orang-Utan in einen anderen Raum gelockt. Als er nach einer Stunde in den Versuchsraum zurückkam, waren die Geräte verschwunden, dafür hing jetzt die Saftflasche unerreichbar an der Decke.
Würden die Affen beim nächsten Mal auf die Idee kommen, das passende Werkzeug mit aus dem Raum zu nehmen und nachher wieder mitzubringen? Wie sich zeigte, gelang es allen getesteten Tieren, sich mit dieser Situation zu arrangieren, also in die Zukunft zu planen. Einzelne der Orang-Utans bewältigten die Situation auch dann noch, wenn eine Nacht dazwischen lag. Offenbar vermochten sie sich in den nächsten – oder vergangenen – Tag hineinzuversetzen. Das hatten Forscher eigentlich nur dem Menschen zugetraut.“

Was wir also hier herausgefunden haben, ist eher die Bestätigung unserer eigenen menschlichen Intelligenz, nicht einer spezifisch tierischen. Aber unsere Intelligenz wird unter wissenschaftlichen Aussagen dieser Art nicht als etwas spezifisch Humanes betrachtet, sondern als mit den Naturgesetzen vereinbar, als Sonderfall, als Spezifizierung der Naturgeschichte, aber nichts wirklich Besonderes. Die Sicherheit, die für die unsere gesellschaftlichen Verhältnisse nun gewonnen wird, ist die, dass wir uns nur an die Naturgesetze zu halten haben: dann sind es diese, die für den Zustand der Welt verantwortlich sind, dann sind etwa Konkurrenzstreben und Egoismus ebenso wie vorausschauendes Planen Konstanten, die man in Rechnung stellen muss, will man sich an der Natur nicht versündigen.

Ein zweites, abschließendes Beispiel ziehe ich aus der Urgeschichte heran, wo taxfrei von Feuersteinindustrien gesprochen wird. Dabei ist das nicht irgendeine sprachliche Analogie, sondern ein Fachausdruck, der sich in den entsprechenden Buchtiteln der wissenschaftlichen Monographien niederschlägt: „Aus den Studien über die Feuersteinindustrie der Lengyel-Kultur“ oder „Die Flintminen von Cakmak – Eine im Aussterben begriffene heute noch produzierende Feuersteinindustrie in NW-Anatolien. In: 5000 Jahre Feuersteinbergbau. Die Suche nach dem Stahl der Steinzeit. Veröff. aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum 22 (1980) 383-395“. Auch hier wieder finden wir das vertraute Muster, dass alles schon immer so war, unser gesellschaftlicher Fortschritt nur ein Fortschreiben des naturgesetzlich Angelegten ist, zwar auf sich immer mehr erweiternder Stufenleiter, aber im Grund nichts Neues bietet. Der Mensch war also schon immer ein industrielles Wesen und unser Hirn ist noch immer eines der Steinzeit. Mit diesem Trick werden übrigens Kriege und moralische Katastrophen erklärt. Unser Steinzeithirn hielte nicht mit der technischen Entwicklung Schritt. Das ist die dann kulturpessimistische Variante.

Nun aber zu etwas ganz Anderem. Im Jahr 2013 bracht PaTrick Bahners ein Buch heraus, das – wie alle Bücher, die den Namen verdienen – zum Zeitpunkt seines Erscheinens schon überholt war. Es trägt den Titel „Entenhausen – Die ganze Wahrheit“ und gibt einen guten Überblick über die verschiedenen Theorien, die in der donaldistischen Forschung entwickelt wurden. Ich werde also zum großen Teil diesem Buch folgen, aber auch Ergänzungen aus anderen Quellen, Kongressberichten etwa oder Forschungsbeiträgen aus der Fachzeitschrift bereithalten. Die donaldistische Forschung beginnt so, wie sich viele Disziplinen zur Einzelwissenschaft entwickelt haben, nämlich aus literarischen Hervorbringungen. Im Fall des Donaldismus verweist Bahners auf das bekannte Buch „Die Ducks – Psychogramm einer Sippe“ von Grobian Gans. Hier handelt es sich um eine Arbeit, die noch zwischen Literatur und Literaturkritik anzusiedeln wäre. Erst sieben Jahre danach kam es zur Gründung der D.O.N.A.L.D. unter der Federführung des Klimaforschers Hans von Storch. Dass es sich ab jetzt um ernsthafte Wissenschaft handeln wird, erhellt aus der Tatsache, dass Hans von Storch der Klarname des Wissenschafters ist, Grobian Gans aber das Sammelpseudonym der Literaten, die zwar als Verfasser der ersten donaldistischen Monographie gelten, ihr Unterfangen aber auch als Parodie auf die kritische Soziologie betrachteten. Dem Donaldismus aber ist Parodie fremd.

PaTrick Bahners stellt dies auf der ersten Seite seines Buchs klar. Er definiert den Gegenstand der Forschung und das klingt so: „Dass es die Stadt (gemeint ist Entenhausen) wirklich gibt, ist die Prämisse der Duckforschung, des wissenschaftlichen Donaldismus.“ Wir sind sofort an Indogermanen, Matriarchate, Strings und Schwarze Löcher erinnert. Die Wissenschaft bringt den Gegenstand erst hervor; das schiere Phänomen selbst, also die Existenz von Sprachverwandtschaften, Abstammungssystemen oder Berichten, schriftlichen Quellen in Form von Comics, hat mit Wissenschaft nichts zu tun und wird erst dann Gegenstand, wenn die Wissenschaft es dazu gemacht hat. Im selben Absatz beschreibt Bahners die Öffentlichkeit, die Erfordernis wissenschaftlicher Tätigkeit ist, um die Ergebnisse durch alle und jedes überprüfbar zu machen. Diese Öffentlichkeit ist banal genug und weicht in keiner Weise von anderen Fachdisziplinen ab: „Die Mitglieder treffen sich zu jährlichen Kongressen und publizieren ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift ,Der Donaldist‘ (bis 1985 ,Der Hamburger Donaldist‘).“ Wie gesagt, banal genug. Selbst in der geschlechtsspezifisch männlich zugeordneten Namensgebung des Fachorgans weichen die Donaldisten nicht von bürgerlicher Normalität ab und insofern sind auch Forschungsbeiträge und Kongressvorträge von Donaldistinnen, die hier ihre Finger in sexistische Wunden legen, nichts Überraschendes, wie auch in anderen Fachdisziplinen und Einzelwissenschaften die Präsenz oder Sichtbarmachung weiblicher Standpunkte moniert und eingeklagt wird.

Bahners weiter im noch immer selben Absatz: „Durch Konsens der Gelehrten als Quellen anerkannt sind die Duck-Geschichten des amerikanischen Zeichners Carl Barks in der deutschen Übersetzung von Dr. Erika Fuchs.“ Es ist diese Formel „Konsens der Gelehrten“, die quasi ein Standardmodell des wissenschaftlichen Donaldismus zum Ausgangspunkt weiterer wissenschaftlicher Tätigkeiten und Forschung, zum Ausgangspunkt der Formulierung, Etablierung, Modifikation und Verwerfung von Theorien macht. Bahners geht diesen Fährten nach, indem er auf die Stadt- und Gründungsgeschichte Entenhausens eingeht und die damit verbundenen Erklärungen anderer Phänomene wie etwa das Drillingsgen oder auf die Lage von Entenhausen, wo dieses überhaupt zu suchen und von wem es bevölkert sei. Bahners führt uns dabei assoziativ, aber nicht planlos durch diesen Kosmos und zitiert die, die wesentliche oder neue Theorien vorgestellt haben, die dann aber nicht mehr den Konsens der Gelehrten bilden, sondern deren Durchsetzung oft mehr mit Moden und Zeitgeist zu tun haben. Aber bevor wir uns dem einen oder anderen Beispiel dazu zuwenden, sei noch einmal der Bahners aus der Einführung in die Disziplin selbst zitiert:

„Dieser Fokus auf Donald Duck deutet auf ein methodisches Problem des Donaldismus hin. Der Name der Wissenschaft ist doppelt missverständlich. Erstens klingt Donaldismus nach einer Weltanschauung; die Fachdisziplin müsste eigentlich Donaldistik heißen. Und zweitens ist Donald Duck nicht der Gegenstand dieses Faches. Eine Wissenschaft von einer einzelnen Person ist wohl nur als Theologie möglich.“

Bahners führt dann aus, dass die Forschung an den Stadtgrenzen von Entenhausen nicht Halt macht, immerhin gibt es verbürgte Berichte, die Auslandsreisen zum Inhalt haben, ja selbst zu anderen Planeten wird Kontakt aufgenommen. Allerdings umfassen die verbürgten Berichte von Barks in der Sprache von Fuchs nicht mehr als knapp 6000 Seiten. Bahners dazu und zu den damit verbundenen Schwierigkeiten:

„Ein futuristisches Gedankenspiel zum Vergleich: Nach einem Systemabsturz im Datenspeicher des Freiburger Instituts für abschließende Totalgeschichte (FRIAT) bleiben für Doktoranden zur deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nur 6000 Blatt aus den privaten Papieren der Familie Mann übrig – überwiegend aus dem Nachlass nicht von Thomas, sondern von Michael Mann.“

Wir sehen schon, das Buch von Bahners wird – wie alle Bücher, die auf sich halten – seinem Titel nicht gerecht, lautet er doch „Entenhausen – Die ganze Wahrheit“ und schon auf den ersten Seiten werden wir damit konfrontiert, dass die ganze Wahrheit nie erfahrbar sein wird, außer, wie Bahners mit Ablehnung insinuiert, durch theologische Verfahren. Bahners ganze Wahrheit ist also nicht die über Entenhausen, sondern – wie bei jeder Wissenschaft – die Wahrheit über uns selbst: Wir sehen, was wir sehen wollen, wir entdecken, was wir brauchen, wir erforschen, was uns Aufklärung verheißt. An dieser Stelle möchte ich aus einem Interview mit Hans von Storch zitieren, bevor wir mit Bahners Übersicht über den Stand der donaldistischen Forschung weitermachen. Das Zitat stammt aus einem Interview, das anlässlich des 35-jährigen Bestehens der D.O.N.A.L.D. geführt wurde und im Spiegel-online einsehbar ist:

„Spiegel-online: Laut Satzung ist die Duck-Forschung eines der Hauptziele des Vereins. Nach welchen Regeln wird geforscht?
Storch: Die einzige Regel war von Anfang an: Es sollte interessant sein. Wichtig ist aber auch, dass die Grundlage aller Arbeiten die Berichte von Carl Barks sind.

Spiegel-online: Berichte? Barks hat doch einfach nur Comics gezeichnet.
Storch: Wir glauben: Der gute Barks hat Mitteilungen aus der realen Welt Entenhausen empfangen, dabei hat ihm Erika Fuchs…

Spiegel-online: …die Barks’ Comics ins Deutsche übersetzt hat…
Storch: …geholfen. Sie haben also aufgeschrieben, was sie ,gesehen‘ haben.

Spiegel-online: Die beiden sind also gewissermaßen donaldistische Propheten?
Storch: Genau. Sie waren keine besonderen Leistungsträger und müssen auch nicht besonders schlau gewesen sein. Sie haben einfach ordnungsgemäß aufgeschrieben, was sie in ihren Visionen gesehen haben – unabhängig davon, ob sie das verstanden haben oder nicht. Die Aufgabe von uns Donaldisten ist es herauszufinden, was wir aus den Berichten auf jene Welt schließen können, aus der sie kommen.

Spiegel-online: Barks und Fuchs sind erst seit einigen Jahren tot. Warum haben Sie die beiden nicht einfach befragt?
Storch: Das haben wir versucht. Aber es wurde ziemlich schnell deutlich, dass beiden nicht klar war, was sie da taten. Sie waren willenlose Werkzeuge von Entenhausen. Wir wussten besser, worum es wirklich ging.

Spiegel-online: Und worum ging es Ihnen?
Storch: Für mich persönlich war immer die Frage am wichtigsten, ob die Physik in Entenhausen mit der in unserer Welt übereinstimmt. Und es stellte sich heraus, dass die meisten physikalischen Gesetze auch in Entenhausen gelten.

Spiegel-online: Die meisten?
Storch: Mit einer Ausnahme! Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Der besagt in unserer Welt, dass nichts von alleine ordentlicher wird – aber in Entenhausen geht das: Dort kann man einen zerrissenen Zettel von einer Brücke werfen – und wenig später taucht er unbeschadet flussabwärts wieder auf. Das wissen wir aus einem dieser Berichte.

Spiegel-online: Was schließen Sie daraus?
Storch: Das heißt, Entenhausen befindet sich in einer Welt, die größer ist als unsere. Denn wir leben in jenem Teilraum der Welt, in dem der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt. Also ist Entenhausen größer – oder was ganz anderes.

Spiegel-online: Sie haben 1982 zusammen mit einer Kollegin auch einen Artikel über Sex in Entenhausen geschrieben. Was haben Sie herausgefunden?
Storch: Uns war unklar, ob Sexualität in Entenhausen mit reproduktiven Funktionen versehen ist. Denn wir sehen in Entenhausen ja keine Väter und keine Mütter, sondern nur Onkel. Es gibt auf jeden Fall Eier, aus denen wohl auch die Enten schlüpfen. Aber wie diese Eier entstehen und woher sie kommen, das ist nach wie vor unklar. Möglicherweise werden sie sogar industriell gefertigt.

Spiegel-online: Und was bringen solche Forschungsergebnisse?
Storch: Wie jede gute Forschung zunächst einmal gar nichts.

Spiegel-online: Aber warum beschäftigen Sie sich dann überhaupt mit alten Comics?
Storch: Weil wir durchaus aus ihnen lernen können! In den achtziger Jahren haben wir uns zum Beispiel immer gefragt, was dieses kleine, dünne Pfadfinder-Handbuch von Tick, Trick und Track ist. Ein Buch konnte es nicht sein, denn es war allwissend. Es wusste sogar, was man tun soll, wenn sich eine Schildkröte in einen Schnabel verbissen hat.

Spiegel-online: Und was ist es?
Storch: Vermutlich ein Smartphone – was uns damals überhaupt nicht klar war. Das hat Carl Barks in den Sechzigern nicht richtig beschrieben, weil er nicht verstanden hat, was das ist.

Spiegel-online: Bringt uns diese Erkenntnis hier in Deutschland was?
Storch: Natürlich! In Entenhausen sind eine ganze Menge Erfindungen vorweggenommen worden. Es gibt auch einen Barks-Bericht, in dem ein Schiff mit Hilfe von Pingpongbällen gehoben wird. Ein paar Jahre später wurde das dann in unserer Welt auch so gemacht. Das heißt, man kann dank Entenhausen voraussehen, wohin sich unsere Welt entwickelt.“

Dieser Ausschnitt aus dem Interview zeigt verblüffend die Verwandtschaft, genauer gesagt, die formale und methodische Übereinstimmung mit allen anderen Einzelwissenschaften und Fachdisziplinen, die uns bekannt sind. Erinnert uns von Storchs Einlassung, Barks und Fuchs seien nicht besonders schlaue Leistungsträger gewesen und die Donaldisten wüssten besser, worum es wirklich ging, nicht frappierend an Mommsens Kritik an oral history? Und bestätigt nicht von Storchs Versicherung, Entenhausen würde uns zeigen, wohin sich unsere Welt entwickelt, gerade meine Behauptung, Wissenschaft würde letztlich nicht von ihrem Gegenstand, sondern von uns und unseren gesellschaftlichen Verhältnissen erzählen?

Aber zurück zu Entenhausen. Hans von Storch hat im Interview einige Forschungsbereiche angesprochen, die in Bahners’ Buch ausführlicher dargestellt werden, mit Angabe der Zitate aus den Quellen und der Zitate aus Untersuchungen und Monographien, seien sie nun aus der donaldistischen Fachliteratur oder aus anderen Veröffentlichungen – von Hilfswissenschaften oder fächerübergreifender Forschung können wir hier nicht sprechen, da der Donaldismus oder die Donaldistik noch nicht lange genug etabliert ist, um in andere Gebiete zu strahlen und sie mit ihren Ergebnissen, Einsichten und Theorien zu beeinflussen. Aber Bahners rekurriert im Apparat des Buches am Schluss, auch wenn dieser bei aller Vollständigkeit beispielhaft klein ist, durchaus auf Anregungen oder inhaltliche Bezüge und Ergebnisse in der Forschungstätigkeit aus anderen Bereichen.

In einem Kapitel über die Lage von Entenhausen, wo also diese Stadt zu finden sei, kommt Bahners auf den schon im Interview erwähnten Hinweis von Storchs zurück, dass der zweite thermodynamische Hauptsatz in Entenhausen nicht gilt. Von Storch zitiert dazu drei Berichte, in einem davon wird eine Karte zerrissen und in den Fluss geworfen und just, als die Fetzen an Gustav Gans vorbeitreiben, haben sie sich zum ursprünglichen Ganzen angeordnet. Ein anderes Beispiel wird angeführt, in dem Donald Duck im Besitz eines höchst elaborierten Baggers mit Abrissbirne (er bringt auf seinen Raupen sogar tanzschrittähnliche Bewegungen zu Wege) und als Abbruchunternehmer eine Schule einreißt. Dies geschieht, indem mit der Birne mit verschiedenen – schon erwähnten – Bewegungen des Baggers an verschiedene Stellen des Gebäudes geschlagen wird und mit einem abschließenden Berühren des Dachs das Gebäude einstürzt, wobei alle seine Bestandteile, wie Donald sein Werk kommentiert, „fein säuberlich nach Abmessung, spezifischem Gewicht und chemischer Zusammensetzung geordnet“ sich im Zuge des finalen Einsturzes wie von selbst aufstapeln. Zwar zählt nun Bahners durchaus plausible Einwände gegen die Behauptung der Ungültigkeit des zweiten thermodynamischen Hauptsatzes auf, lässt aber von Storch mit der Konsequenz davonkommen, dass Entenhausen in einem anderen Universum angesiedelt sei (und nennt dies in der Kapitelüberschrift auch noch „eine Sternstunde der Wissenschaft“).

Hans von Storch muss für diesen Gedanken nicht bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgehen, als Giordano Bruno kraft seiner unbestechlichen Logik darauf bestand, dass das Universum unendlich sei und es viele Welten geben müsse, die der unseren gleich sein. Hans von Storch braucht lediglich den Konsens der Gelehrten abrufen, wie er in einem Artikel über Multiversen in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ Nr. 5 aus dem Jahrgang 2010 populärwissenschaftlich zusammengefasst und erläutert wird:

„Erstaunlicherweise besagt die seit den 1980er Jahren dominierende Theorie der modernen Kosmologie, dass es solche Paralleluniversen wirklich gibt: Aus dem primordialen Vakuum entspringt unentwegt eine Vielzahl von Universen, jedes mit seinem eigenen Urknall. Unser All ist demnach nur eine von vielen Blasen innerhalb eines umfassenden Multiversums. In fast all diesen Universen erlauben die physikalischen Gesetze wahrscheinlich weder die Bildung von Materie in unserem Sinn noch von Galaxien, Sternen, Planeten und Leben. Nur wegen der überwältigenden Anzahl von Möglichkeiten hatte die Natur eine Chance, einmal die ,richtige‘ Kombination von Gesetzen zu treffen. Doch wie wir kürzlich entdeckt haben, müssten einige dieser anderen Universen – sofern sie überhaupt existieren – gar nicht so unwirtlich sein. Wir haben Beispiele für alternative Werte der fundamentalen Konstanten und somit für abgewandelte physikalische Gesetze gefunden, die zu sehr interessanten Welten und vielleicht sogar zu Leben führen können. Die Grundidee dabei ist: Man verändert einen Aspekt der Naturgesetze und passt andere Aspekte entsprechend an. Allerdings ignoriert unsere Arbeit das größte Abstimmungsproblem der theoretischen Physik – den kleinen Wert der kosmologischen Konstante, dank dessen unser All weder Sekundenbruchteile nach dem Urknall sofort wieder kollabierte noch durch eine exponentiell beschleunigte Expansion zerrissen wurde. Dennoch werfen unsere Beispiele für alternative, möglicherweise bewohnbare Universen die interessante Frage auf, wie einzigartig unser eigenes Universum wohl sein mag.“

Ganz entzückend in diesem Zitat ist die Formulierung der beiden Autoren (der eine, Alejandro Jenkins, forscht am MIT, der andere, Gilad Perez, am Lawrence Berkeley National Lab, beide sind also von der Scharlatanerie so weit entfernt wie die Erde vom nächsten von intelligenten Lebensformen bewohnbar gemachten Planeten), sie hätten entdeckt, dass einige dieser anderen Universen, so sie denn existierten, Leben hervorbringen könnten. Dieses „so sie denn existierten“ enthält doch – in the nutshell – alles, was über das Verhältnis von Wahrheit, Wirklichkeit und Wissenschaft zu sagen ist. Der Gegenstand wurde in einem Schöpfungsakt geschaffen, ihm wurde Leben eingehaucht und ob er in Wirklichkeit existiert, wenn er in Wahrheit geschaffen wurde, ist nicht mehr so wichtig. Ist da die Forschung des Donaldismus nicht schon einen Schritt weiter, wenn sie über Quellen zu so einem Paralleluniversum, die so genannten verbürgten Berichte von Barks und Fuchs, verfügt? Natürlich mit der so treffend formulierten Einschränkung über die ungefähr sechstausend Seiten.

Sind diese Fundamente erst einmal gelegt, kann sich eine grandiose Forschungstätigkeit entfalten, über die Bahners in der ganzen Wahrheit berichtet; wir wollen es hier einmal dahingestellt lassen und nur beispielhaft auf ein Thema eingehen, das im zitierten Interview schon erwähnt wurde, wenn auch nicht an der vorhin ausgewählten Stelle. Von Storch erwähnt dort das folgende Phänomen:

„Sehr interessant ist die Frage, was mit den Zähnen in den Schnäbeln der Ducks ist: Wenn die Enten mal so richtig stinkig sind, können wir ihre mordsmäßigen Zähne sehen. Aber wenn sie den Schnabel zum Singen öffnen, ist da nichts mehr. Die Zähne werden offenbar bei entsprechenden Stimmungen durch biochemische Prozesse erektionsartig aus dem Schnabel gedrückt. Ob das jemals eine Bedeutung für die menschliche Gesellschaft haben wird, weiß man zwar nicht – aber es ist interessant.“

Sie haben dieses Bild sicher aus Ihren Kindheitserinnerungen im Kopf. Der kleine Herr Duck erzeugt einen Laut, den Erika Fuchs mit „Grrr!“ wiedergibt, der Schnabel Donalds verzieht sich in einer wütenden Grimasse und Zähne werden sichtbar. Wolfgang Fehlmann hat im „Hamburger Donaldist“ Nr. 8/9 diesen Biomechanismus erklärt und die Theorie der Fehlmann’schen Kapsel formuliert, nach der folgendes geschieht:

„Wenn der Quackus sapiens sich in einem Zustand des erhöhten Sympaticotonus (Stress, Ärger, Wut) befindet, bewirkt der Sympaticus entweder durch adrenerge oder cholinege Innervation, wahrscheinlich aber durch cortisol-abhängige Kinine eine Vasodilatation des Ramus capsularis arteriae alveolaris. Nun ergießt sich in erhöhtem Maße Blut in die Fehlmannsehe Kapsel (in das lockere Bindegewebe), wodurch sich die Kapselwand strafft und die Venolen, welche durch selbige ziehen, werden komprimiert. Also fließt vermehrt Blut in die Kapsel bei gleichzeitig vermindertem Abfluß (Analog der Erektion). Dadurch erhöht sich der capsulare Innendruck, die äußere kollagene Wand hält dem Druck stand, die innere elastische jedoch dehnt sich (bzw. die Wand wird komprimiert, die elastischen Fasern stehen senkrecht zum Epithel) und drückt so den Zahn durch das Foramen dentis externa. Gewinnt der Parasympathicus wieder die Oberhand, so wird der Ramus capsularis arteriae alveolaris wieder komprimiert, das Blut kann wieder abfließen, der Zahn senkt sich wieder in die Fehlmannsche Kapsel. Es ist anzunehmen, dass die Gefäßmuskulatur des Ramus capsularis ein tiefes Ruhepotential hat. Dies führt zu ständigen Spontankontraktionen, welche durch Adrenalin gehemmt werden.“

Wolfgang Fehlmann zeichnete seinen Artikel mit cand. med., was die üppige Anwendung von Fachsprache erklärt. Es dauerte allerdings nicht lange, bis PaTrick Martin mit eleganter Schärfe die Fehlmann’sche Kapsel für tot erklärte und dafür die Morphoteltheorie etablierte.

Kurz gesagt, erklärt diese Theorie nicht nur das fallweise Auftauchen von Zähnen in Schnäbeln der entenförmigen Bewohnern Entenhausens, der Anatiden, sondern auch andere Phänomene, die mit Veränderungen der äußeren Körperformen zu tun haben, und erstreckt sich überdies auch auf die hundeförmigen, die kynomorphen, und die anderen Bewohner der Stadt. PaTrick Martin schreibt in einer kurzen Zusammenfassung (im Infomaterial anlässlich der Kongresse in Hildesheim und Schwarzenbach an der Saale):

„Duck ist keine Ente. Das ist (…) die Aussage der Morphoteltheorie. Das so genannte Morphotel (…) ist das Gestalt gebende Gewebe des Entenhauseners. Seine tatsächliche Körperform wird durch das Knochenskelett (das in der Regel menschenförmig ist, Anmerkung G. W.) nur ungefähr vorgegeben. Das Morphotel sorgt für eine (i. A. erbliche) Auskleidung, oft in einer tierähnlichen Form. (…) Was also auf den ersten Blick aussieht wie eine sprechende Maus oder Katze oder Hund oder Ente, ist nichts weiteres als ein Mensch, dessen Deckgewebe auf Grund rassischer, familiärer oder individueller Eigenheiten diese Form angenommen hat.“

Martin zeigt, dass die Hauptunterschiede der Bewohner Entenhausens in der Ausgestaltung des Deckgewebes, des Morphotels im Kopfbereich liegen, dazu betont er soziale Funktionen des Morphotels, das etwa die Mimik in der Kommunikation unterstreicht – womit wir bei den Zähnen im Schnabel wären. Schließlich ist eine Funktion, und nicht die unwichtigste, des Morphotels die spontane Ausbildung von Körperteilen, etwa Beinen, die sich zu Rädern verformen, um ein schnelleres Fortkommen zu ermöglichen, oder Schutzschichten von großer Elastizität, die das Überleben von Explosionen oder den Aufprall auf harten Flächen ermöglichen.

Wir sehen also, dass die Annahme des Paralleluniversums der Theoriebildung reichlich Platz einräumt, aber dabei plumpe Erfindungen ausschließt. Alles, was an Theorien aufgestellt wird, muss sich an den überlieferten Quellen, an den verbürgten Berichten orientieren und diese erklären. Die Theorie ist kein Ausfluss der Betrachtung eines Berichts, sie entsteht völlig eigenständig zum Bericht, sie verändert nicht die Realität Entenhausens und schafft sie nicht neu. Sie verändert nur den wissenschaftlichen Donaldismus, die Donaldistik; sie verändert die Sicht und die Debatten, sie bringt im Streit der wissenschaftlichen Meinungen, der öffentlichen Aussagen über den Gegenstand der Forschung neue Gewichtungen, Moden und Strömungen zum Tragen – oft gegen den Widerstand bisher befasster Forscherinnen und Forscher.

Um nun langsam zum Ende des Vortrags zu kommen, möchte ich noch einen Beitrag von PaTrick Martin erwähnen, den er am letzten Kongress zusammen mit Peter Jacobsen in Schwerin vorstellte (mittlerweile in Der Donaldist 149 nachzulesen). Hier ging es wieder darum, wo Entenhausen zu verorten sei, und wie sich die verschiedenen Phänomene erklärten, die immer wieder die Donaldistik vor Probleme stellt: etwa die berühmte Darstellung von Donald, der gleichzeitig den Kopf nach rechts und links dreht. Martin/Jacobsen überraschten die Gemeinde mit der Aussage, hier handle es um Quantenphänomene. Zähne im zahnlosen Schnabel seien ähnliche Überlagerungen, Superpositionen, wie sie Schrödinger mit seinem Bild der Katze im Karton darstellt. Erst die Messung, das Öffnen des Kartons, der makrophysikalische Eingriff in die Welt der Quantenphänomene zeitigt ein eindeutiges Ergebnis. Es braucht also keine neuen Theorien, deren Gültigkeit an ein Wirken in einem Paralleluniversum gebunden ist; es genügt, die Rätsel Entenhausens quantenmechanisch zu erklären, also mittels einer schon gut eingeführten, wohl abgehangenen Theorie. So verlieren Beine, die zu Rädern werden oder der rätselhafte vierte Neffe ihre Brisanz. Das Einzige, was zu klären bleibt, ist die Größe der Bewohner Entenhausens und die Größe der Stadt und die Größe der Ereignisse darin.

Martin/Jacobsen sagen nämlich (sie wollen ja weder Theorien noch Realitäten Gewalt antun), dass Quantenphänomene im subatomaren und atomaren Bereich auftreten, kaum mehr im molekularen. Diese Größenordnungen wären nun mit Berichten, die zweifellos im großmolekularen Bereich anzusiedeln sind, es handelt sich schließlich um Lebewesen, unvereinbar. Hier greifen Martin/Jacobsen – und bleiben noch immer im von uns bewohnten Universum – zur nächsten wohl bekannten Theorie, die unsere Welt erklären will: zur Stringtheorie. Die wiederum postuliert, dass neben unseren drei bekannten und sinnlich wahrnehmbaren räumlichen Dimensionen und der einen zeitlichen weitere Dimensionen anzunehmen sind, die aber als „aufgerollt“ oder „eingerollt“ (als kompaktifiziert) anzusehen wären. Läge nun Entenhausen, so Martin/Jacobsen, auf einer dieser kompaktifizierten Dimensionen, so wären zwei Erfordernisse erfüllt: die Existenz einer ganzen Welt (einer erforschbaren Welt, wie ich hinzufügen möchte) und deren Kleinheit, die Quantenphänomene möglich macht. Soweit Martins/Jacobsens genialer Wurf, der in PaTrick Bahners Zusammenfassung der wichtigsten Theorien zu Entenhausen noch nicht vorkommen kann.

Was aber vorkommt, ist ein Rekurs auf den Vortrag von Christian Wessely auf dem Kongress in Basel über das Entenhausener Münster (nachzulesen in Der Donaldist 145). Dabei steht eine Frage zur Diskussion, nämlich nach dem Stil des Münsters, das zwar hochgotisch aussieht, aber starke Elemente der Renaissance und des Barock aufweist. Außerdem steht es auf einem freien Platz, von dem Wessely annimmt, dass er früher von einer Klosteranlage überbaut war, worauf ja der Name Münster, also Klosterkirche hindeutet. Patrick Bahners fasst Wesselys Schlussfolgerungen so zusammen:

„Wessely bringt diesen Eklektizismus mit einer Stimmung der katholischen Reform im Frankreich des sechzehnten Jahrhunderts in Verbindung, mit einem historischen Bewusstsein, das in der gemeinsamen Vergangenheit der Religionsparteien den Boden für Kompromisse suchte. Eine in diesem Sinne vermittelnd denkende Klostergemeinschaft musste nach Ausbruch des Bürgerkriegs fürchten, zwischen den konfessionellen Fronten aufgerieben zu werden – und könnte beschlossen haben, ihr irdisches Heil im Exil in der neuen Welt zu suchen. Unter Mitnahme ihrer Klosteranlage.“

Wessely selbst zieht sein Fazit so:

„Die vorreformatorischen Eiferer hatten in Nordeuropa einerseits berechtigte Kritik an der römisch-katholischen Kirche, insbesondere im Hinblick auf die Vermischung von geistlicher und weltlicher Macht und die verwerfliche Praxis, aus den Ängsten der Menschen Kapital zu schlagen, geübt; eine Kritik, der sich auch einflussreiche Mitglieder von Orden anschlossen (so war Martin Luther selbst Augustiner-Chorherr). Andererseits konnte von den gebildeten und kunstsinnigen Gemeinschaften der großteils radikale Bildersturm der frühen Reformationszeit nicht mitgetragen werden. In Gegenden, in denen sich solches begab – meist verbunden mit Stürmen und Plünderungen auf lokale Klöster ungeachtet deren theologischer Nähe zu Anliegen der Reformatoren, mitunter unter Misshandlung oder gar Tötung von Ordensangehörigen –, hatte eine Gemeinschaft wie die oben angedachte auch die Option nicht, sich in die traditionell katholischen Länder des Südens zurückzuziehen, da dort in einer Gegenbewegung die römisch-katholische Kirche ihre Lehren weiter dogmatisierte und Abweichende unter dem Verdacht des Protestantismus standen. Unter diesen Umständen blieb nur ein Ausweichen in noch unerschlossene Gebiete, in denen dann wohl die alte Abteikirche und das umgebende Kloster so gut wie möglich wieder errichtet, zugleich aber mit wesentlichen Neuerungen ausgestattet wurde.“

Hier öffnet sich zum Abschluss meiner Ausführungen, und um den Kreis zu schließen, ein Gebiet, das der weiteren Forschung harrt. Berichte haben aus Entenhausen den Weg zu uns über Barks und Fuchs gefunden. Bahners sagt dazu in der Einleitung seiner ganzen Wahrheit:

„Barks und Fuchs werden in der donaldistischen Erkennnistheorie manchmal als Reporter charakterisiert. Besser beschreibt man sie als Medien. Wir wissen nicht, wie sie ihre Informationen aus Entenhausen erhielten, und sie wussten nicht einmal, dass sie diese Informationen erhielten. Sie ahnten nichts von ihrer medialen Veranlagung und diese Schimmerlosigkeit verbürgt die Objektivität der von ihnen übermittelten Nachrichten. Entenhausen existiert.“

Und wenn man Wessely trauen darf, war der Weg in die Gegenrichtung wenigstens einmal offen.

Quasi als Draufgabe möchte ich nun noch einige persönliche Überlegungen anbieten, die die Frage betreffen, was uns die Existenz der Donaldistik über unsere eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse sagt. Warum lassen diese Verhältnisse eine Disziplin zu, die in den Grundlagen unserer Wahrnehmung – im Ästhetischen also, ästhetisch im philosophischen wie auch wissenschaftlichen Sinn – wurzelt und sie doch zu unterlaufen scheint, wenn ich auch betonen möchte, wie anfangs erwähnt, dass Parodie dem Donaldismus fremd ist? Ich denke, dass diese Disziplin nicht zuletzt sich der Tatsache verdankt, dass die bürgerliche Gesellschaft, also unsere, in einem negativen Sinn sich vollendet, in einem negativen Sinn vollkommen zu sich kommt, und zwar dadurch, dass sie sich jeder Konkretion immer mehr entzieht, das Konkrete zur Angelegenheit der Einzelnen, der in Subjektform gepackten Indidividuen macht und sich nur auf abstrakte Rahmenbedingungen und Koordinatensysteme ohne Inhalte bezieht.

Um es an einem historischen Beispiel zu kommentieren: Die demokratische Forderung nach Gleichheit – heute wohl eine Selbstverständlichkeit – war zum Zeitpunkt, als sie ernsthaft erhoben wurde, für das Ancien Régime etwas völlig Paradoxes. Gleiches Recht für alle war ebenso wie gleiche Maßeinheiten auf der ganzen Welt unvorstellbar, ja mehr noch, für die Verhältnisse des Ancien Régimes unlogisch. Heute hat diese Gleichheit ihre revolutionäre Kraft zur Veränderung eingebüßt, ist abstrakte Möglichkeit geworden und wird nur in verzweifelten Versuchen, sie mit Leben zu füllen, abgerufen. Da werden dann Bevölkerungsgruppen gesucht – und auch gefunden –, die dieser Gleichheit zugeführt werden müssen, weil sie beispielsweise auf Grund einer körperlichen Behinderung, hohen Alters oder einfach verschiedeneer Vorlieben, die nicht von allen geteilt werden, sich in einer Position finden, nicht vollkommen gleich mit allen anderen am öffentlichen Leben teilnehmen zu können oder zu wollen. Das führt beispielsweise zu barrierefreien Zugängen zu öffentlichen Gebäuden oder zu web sites, was zweifellos dem hohen Gleichheitsideal entspricht, andererseits aber den Verweis in sich verbirgt, dass dieses Ideal Gefahr läuft, als reine Abstraktion sein Leben fristen zu müssen, gäbe es nicht beispielsweise gelbe Linien auf der ersten und letzten Stufe von Stiegen, die ein gleichermaßen gefahrloses Stiegensteigen für alle ermöglichen sollen und so Gleichheit noch einmal konkretisieren.

Möglicherweise verbirgt sich ein ähnlicher Verweis in der Existenz des Donaldismus; ein Menetekel quasi, dass die hohe Abstraktionsfähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft auf die Probe stellt. Ich möchte soweit gehen, zu behaupten, dass schon die Formulierung ihres moralischen gesellschaftlichen Standards, des Kategorischen Imperativs, nur möglich war, weil dieser Imperativ abstrakt formuliert war, keinerlei konkrete Handlungsanleitung beinhaltet und bloß auf die vernünftige, natürlich-moralische, im Sinne der Aufklärung gesellschaftlich verantwortungsvolle Tätigkeit des Individuums abstellt. Weiters möchte ich behaupten, dass in unseren gegenwärtigen Verhältnissen dieser Kategorische Imperativ auch dann mit Leben gefüllt wird – sich mit einer Konkretisierung in die gesellschaftliche Welt begibt – und dabei negativ zu sich kommt, wenn es möglich wird, dass die „Grundlage deines Handelns“, die ja „Grundlage für allgemein gültige Gesetze“ sein soll, auch und formal korrekt schierer Egoismus sein kann, der für alle gelten mag und als gesellschaftliche Tugend sich durchsetzt. Er würde Grundlage allgemein gültiger Gesetze oder ist es schon und die abstrakte Form des Kategorischen Imperativs bliebe gewahrt.

Dass eine Disziplin wie der Donaldismus möglich wurde, deutet also auf den hohen Abstrahierungsgrad unserer Gesellschaft hin, der die Gefahr in sich birgt, allzu leichtfertig mit Konkretisierungen umzugehen, sie abschätzig zu bewerten, zu verwerfen, oder sie selbst schon als Sonderfälle des Abstrakten ansieht. Vor barrierefreien Zugängen ist das Ideal der Gleichheit erfüllt und die reale Beeinträchtigung – sei sie sozialer oder körperlicher Art – verschwindet in der abstrakten Vollkommenheit. Geschichte ist zu wichtig, um sie Zeitzeugen zu überlassen, und Entenhausen existiert. Und das bedeutet, dass wir mit unseren Konkretisierungen sorgsamer umgehen müssen und uns nicht mit Barrierefreiheit begnügen, wenn wir Gleichheit diskutieren wollen. Anders gesagt: Ein Wissenschaftsbetrieb, der seine Gegenstände schafft, darf sich nicht wundern, wenn ein Gegenstand seine Wissenschaft hervorbringt und dies nicht als Parodie begreift.