Vorstellung

Über das Buch selbst möchte ich an dieser Stelle nicht viel sagen; es soll Euch überlassen sein, liebe präsumptive Leserin, lieber appetitlicher Leser, das Buch zu lesen und dazu muss ich Euch nicht vorher auf die Sprünge helfen. Auch möchte ich in keine Diskussion darüber eintreten, was ich mit meinen zwei, die mir zur Seite standen und ich ihnen, beabsichtigt habe, als wir dieses Buch schrieben. Eher möchte ich auf einen Absatz verweisen, den wir am Schluss eines Kapitels so formulierten:
„Andrerseits sollen wir ohne Subjekt und Vernunft eine neue Welt denken. Wir können das nur, indem wir die üblichen Formen der Auseinandersetzung verweigern und nicht einmal darauf vertrauen, dass wir schon irgendwie verstanden werden. Das wird Sache derer, die dieses Buch in die Hand bekommen und es sich einverleiben oder auch nicht. Wir kritisieren nicht nur nicht, wir reagieren auch auf Kritik nicht.“

Aber ein paar Worte möchte ich doch mitgeben, um Interesse zu wecken und Euch neugierig zu machen.
Ich erzähle also eine schöne Geschichte; nämlich darüber, wie wir drei, Petra, Jörg und ich, einander kennengelernt haben. Es geschah rund um die Gründung von Verein und Zeitschrift Exit!, die ich mit Interesse und auch Engagement verfolgte. Ich war zu diesem Zeitpunkt – rund um die recht häßlichen Zerwürfnisse bei Krisis – mit Robert Kurz wieder in Korrespondenz getreten, was dazu geführt hatte, dass ich mich zum ersten Seminar des neu gegründeten Vereins eingefunden hatte. Davor jedoch hatte ich schon die erste Nummer der neuen Zeitschrift gelesen und war auf einen Artikel gestoßen, der mir s angetan hatte.

Zuvor jedoch muss ich noch erklären, warum s mir dieser Artikel antun konnte. Er war übrigens von Petra Haarmann und trug den unverfänglichen Titel „Copyright und Copyleft“. Es schien sich also um eine der typischen linken Auseinandersetzungen zu handeln, die sich um vorgebliche, wohl auch vergebliche, unmittelbare Aneignung von Produktionsmitteln drehten. Und mitten drin fand ich, aber ich greife vor.
Erst muss ich noch erzählen, womit ich mich dieser Tage beschäftigte. In den seligen Tagen der Krisis, als dort noch nicht so viel, wenigstens nicht so offen und öffentlich gestritten wurde, hatte Robert Kurz den Satz (das Bonmot) formuliert, die Geschichte der Menschheit sei keine Geschichte der Klassenkämpfe, sondern der Fetischverhältnisse gewesen. Also eine Geschichte der Arten und Weisen, die Welt zu erklären und sich gleichzeitig von dieser Erklärung („hinter dem Rücken der Produzenten“, hätte Marx gesagt) anleiten und bestimmen zu lassen; dies sollte den Zugang zu einer Menschheitsgeschichte eher ermöglichen als das Klassenkampfparadigma. Ich hatte diesen Gedanken schon früher, aber anders, nicht in dieser inhaltlichen Abgrenzung formuliert. Mir war es mehr um eine kontinuierliche Geschichte zu tun gewesen, geschult an der Geschichtsschreibung der großen französischen Historiker: Duby, Ariès, Bloch und dem ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Ansatz der Annales, später relativiert, aufbereitet und verändert durch Foucault. Hier also trieb ich mein Unwesen und konnte es gut mit dem Ansatz von Kurz’ Geschichte von Fetischverhältnissen in Einklang bringen. Ja, ich betrachtete es sogar als meine Aufgabe in diesem Kreis von GesellschaftskritikerInnen, meine Überlegungen in gut aufklärerischer und historischer Tradition einzubringen.

Und nun stellt Euch mein großes Erstaunen und meine noch größere Freude vor, als in besagtem Artikel plötzlich Walter von der Vogelweide mit seinem Jubel über sein Lehen zitiert wurde: Nicht nur, dass das nicht das übliche Zitat in einem linken Diskurs war, nein, auch das Argument, das daran gebunden war, das mit dem Zitat des Gedichts untermauert wurde, war mir vertraut und traf sich geradewegs mit meinen Überlegungen zu den verschiedenen Fetischverhältnissen, wie es Kurz bezeichnet hatte. Zwar war außer dieser Einlassung von Kurz zu dem Thema bislang im Kreis von Exit! und davor von Krisis nichts publiziert worden, aber als Thema, als Anspruch war es präsent. Und nun fand ich in diesem Artikel eine vertraute Seele.
Dazu kam aber noch etwas. Ich war natürlich gespannt, wer das sein würde, als wer sich diese Petra Haarmann herausstellen würde; aber gleichzeitig hatte ich eine nicht weiter greifbare und namenlose Ahnung, wie diese Frau wohl sein mochte. Und musste.
Wer den Vogelweider zitiert, muss auf den ersten Blick erkennbar sein! Und so lungerte ich am Abend vor dem Beginn des Seminars am Eingang des Veranstaltungsgebäudes herum und betrachtete die Eintreffenden. Und dann kam eine Frau und ich wusste, das ist sie. Ich fragte einen der schon Anwesenden, ob ich recht hätte, ich hatte recht. Und später hatte ich sie auch schon angesprochen. Aber da war sie nicht mehr allein.

Robert Kurz hatte mir vor dem Seminar bei einem unserer Telefongespräche – er wusste ja, womit ich mich herumtrug und herumschlug – einen Autor angekündigt, der sich mit dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft, von Religion und bürgerlicher Gesellschaft, von Religion und Kapitalismus befasste und dazu auch schon Bücher veröffentlicht hatte und in der nächsten Exit!-Nummer einen Beitrag schreiben würde. An jenem Abend war sie also im Gespräch mit Jörg Ulrich, als ich mich aufdrängte und vorstellte. Der Rest ist die Geschichte einer großen Zuneigung. Die verschiedenen Etappen müssen hier nicht dargestellt werden. Es genügt, zu sagen, dass wir sehr schöne, gute, große Zeiten miteinander verbracht haben.

Es war das Allerbeste, dass wir nicht einfach von verschiedenen Seiten her ein Thema eingekreist hatten, das uns zusammenführen musste, nein, es kam auch eine persönliche Beziehung dazu, die bald wichtiger war als das Thema selbst, das ja schnell zum Projekt geworden war. Das ursprüngliche Thema, die Vorgabe einer Menschheitsgeschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen, womit sich die GenossInnen der Wertkritik, später der Wertabspaltungskritik vom Arbeiterbewegungs- und Klassenkampfmarxismus abzusetzen trachteten, war uns dabei längst abhanden gekommen. Unser Thema nun (durchaus auch in einem musikalischen Sinn, mit Engführungen, Variationen, Durchführungen schließlich, Seitenthemen, Reprisen und so weiter und so fort) hatte uns auf eine Reise geschickt, auf der wir alles hinter uns ließen, was vorher in der Linken vertrautes Terrain war.
So war es auch kein Wunder, dass wir zwar überall erzählten, wir würden ein Buch schreiben, eins über die Gesellschaft und über die Linke und warum die Linke die Gesellschaft nicht verändern kann und warum die Gesellschaft mitsamt ihrer Linken trotzdem sich verändern würde und dies katastrophisch im Zusammenbruch, dies also erzählten, aber uns damit begnügten, das Buch nicht zu schreiben, sondern statt dessen schon an einen Schuber dachten, der wenigstens drei Bände umfassen musste. Unser Zusammensein mit uns und unserer Sicht auf die Welt war uns genug, unsere Pläne zur Realisierung konnten warten.

Konnten nicht. Jörg wurde krank und starb und ließ uns zurück. Vielleicht ist es, um diese Leerstelle aufzufüllen, dass das Buch plötzlich geschrieben und fertig wurde. Was drin steht, erfahrt Ihr, wenn Ihr es lest. (eine Leseprobe auf der Website des Verlagshauses befindet sich hier)