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Texte zum Thema : Das Meer. Rhythmus des Lebens

 

Kollektives Gedächtnis und Wasser-Gedächtnis, Flutsturm und Ebbe im Gehirn.

 

Das Gemeinsame, das Trennende, das Verbindende und die Ambivalenz dazu: Wie auch immer, selbst im eigenen begrenzten Leben wird man periodisch damit konfrontiert und kommt zum Schluss, dass nur das Weiterlernen zählt, auch wenn das Ende offen bleiben muss.

Ernesto Illy, angesehener Universitätsprofessor für Chemie in Triest, ehe er das familiäre Kaffee-Imperium übernahm und damit eine weltweite Hochkultur des Genusses einleitete, überraschte die Zuhörer in seinen Seminaren vor auch schon etlichen Jahren mit seiner Entdeckung, im Kaffeesud gelesen zu haben. Er fand heraus, wie sich das Wasser seine Wege durch den gemahlenen Kaffee in der Espresso-Maschine bahnt. Was nicht weiter bemerkenswert wäre, hätte Illy in der Folge nicht in kleinen Flugzeugen Südamerika und insbesondere Brasilien bereist: „Ich sah die Flüsse, den Amazonas, die Verzweigungen und Verästelungen“ – so Illy in meinen Erinnerungen – „und später wurde mir klar, dass sich das selbe Muster des Wassers durch den Kaffee zieht und dass wir es in der gesamten Natur mit Fraktalen zu tun haben.“

Zur Erinnerung: Ein Fraktal zeigt die kleinste, aber selbe Struktur des Größten, also zum Beispiel die Zelle eines Baumblattes die gesamte Erscheinungsform des Blattes. Das ist eine rein wissenschaftliche Erkenntnis. Was Illy indessen gesehen hat oder vermeinte, erkannt zu haben, ist ziemlich sicher jener außerordentlichen Grenzüberschreitung zuzuordnen, die uns nach wie vor zu schaffen macht: Natur versus Kunst. Und so.

Was hat dies alles mit dem Sehen von Bildern zu tun, die das eigentlich Unmögliche festgehalten haben? – Auch hier bedarf es vielleicht einer Erklärung und meine sehr persönliche sieht so aus:           

Manchmal wäre es tatsächlich erstrebenswert, könnte man das Ultimative um einige Jahrzehnte verzögern. Aber es geht auch so. Wir müssen heute nicht so um die 250 Jahre alt werden – also den Zeitraum seit dem Beginn der Aufklärung durchleben -, um über einige Phänomene Gewissheit zu haben, auch wenn eine neue Welle der Esoterik die fundamentalen Gesetze der Erkenntnis etwas zu vernebeln droht.

Für alle, die andersgläubig sind, hier also die „bittere“ oder vielmehr ernüchternde Wahrheit: Weder gibt es ein menschlich „kollektives“ Gedächtnis, noch hat das Wasser ein solches. Die Natur zu erkennen und zu begreifen, ist immer noch die Herausforderung schlechthin; dem Wasser ist es nicht einmal egal. Es ist und tut, was seine Sache ist, ohne jede Hintergründigkeit.

Der Rest ist Interpretation und stark vereinfacht so: Besser denn je eine Generation seit Homer kennen wir „Heutigen“ das Meer, und zwar, noch ehe wir es gesehen haben. Umso ernüchternder dann oft die erste Begegnung, in hiesigen Breiten in der Regel mit dem „Mare Nostrum“, dem Mittelmeer: Allenfalls ein paar leere Muschelschalen und nicht einmal auf Sizilien noch Tunfisch.

Das Meer ist in unseren Gehirnen. Die Sicht darauf muss sich jeder erst selbst aneignen und nicht jedem gelingt das. Selbst Chemikern und Physikern erschließt sich das Naturgesetz der Fraktale nicht auf den ersten Blick, und auch hier vermögen wir meist nur zu erkennen, was wir bereits wissen. Ebenso wie wir uns Kunstwerke fast nur mit dem Wissen um das Fundamentale und die Symbolik zur Gänze erschließen können.

 Natur – Kunst – Natur – Kunst: In diesen Bildern ist der – uralte – Diskurs darüber entschieden: Sie zeigen, was kaum je in dieser Veränderlichkeit wahrgenommen werden kann: Jenen kurzen Moment, ehe schon wieder alles vorbei ist, Formen und Strukturen die in andere Formen und Strukturen übergegangen sind. Den Wimpernschlag der ewigen Hoffnung, der Augenblick möge doch noch ob seiner Schönheit verweilen.

Insofern hat die Kunst einmal mehr den imaginären Wettbewerb gewonnen.

 

Christa Karas   

Rhythmus des Lebens

 


Vielfach pulsiert der Rhythmus des Lebens. Er pulsiert im Schwingen der Neutronen und im Kreisen der Planeten um die Sonne, im Herzschlag der Lebewesen und im Wechsel derJahreszeiten. Ralf und Henry Hartl haben ihn an einem Ort aufgespürt, an dem er nur uns Menschen mit besonderer Symbolkraft geladen ist: an jener Grenze zweier Welten auf der einen Erde, die die Schwelle darstellt, über die einst alles Leben aus der Flut auf das feste Land gekommen ist - am Strand des Meeres.

Es ist die alle Inseln und Kontinente umreißende Linie, der entlang wir mit dem Wechsel der Gezeiten die Kraft des Mondes
sichtbar erleben können, jener schmale Streifen, der die Hoffnung der Gestrandeten auf dem Wasser ebenso markiert wie die Hoffnung all derer, die es zu neuen Gestaden drängt, Symbol der Rettung und des Aufbruchs und heute leider auch immer deutlicher sichtbar die Grenzlinie zwischen verschmutzten Meeren und verwüsteter Erde.


Diesen schönsten Faltenwurf der Welt haben Ralf und Henry Hartl an einem winzigen Ausschnitt mit scharfem Blick für seine unendliche Vielfalt, seinen immerwährenden Wandel und seine berauschende Schönheit erforscht. Sie untersuchten ihn zu verschiedenen Jahreszeiten und zu verschiedenen Stunden des Tages und legen mit ihren Fotografien Dokumente vor, aus denen man den schlürfenden Sog der Flut herauszuhören und ihre drängende Kraft herauszuspüren vermeint. Impressionistischen Gemälden nicht nachstehend vermitteln sie die flirrende Schönheit und die majestätische Unruhe dieses schmalen Streifens sich stets verändernder Gleichförmigkeit, sei es nun in den Details rundgeschliffener Kiesel

oder in der Totale eines Sonnenuntergangs.


Die Bilder der Brüder Hartl werden uns zu aufmerksameren, zu besseren Strandspaziergängern machen.


Günter Traxler

 

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  Ein Bad im Meer

 

Sanft kitzeln die Wellen meine Füße. Langsam steigt das Wasser über meine Knie und Oberschenkel, erreicht den Bauch und lässt mich frösteln. Ist das kalt! Ich tauche meine Arme ins Meer, bespritze mein Gesicht und lecke die salzigen Tropfen von den Lippen. Ein tiefer Atemzug, ein Warten auf den nächsten Wellenkamm und dann das Eintauchen in die perlende Gischt.

 

Entspannt lasse ich mich auf dem Wasser treiben. Kein Geräusch ist zu hören. Ich bin allein mit den türkisblauen Wellen und ein paar Möwen, die langsam über mir kreisen. Manchmal wird eine neugierig, steigt aus großer Höhe zum mir herab und fliegt dicht über mich hinweg, so nah, dass ich das Funkeln in ihren Augen sehen und sie fast mit den Händen greifen kann.

Noch habe ich keine Lust zu schwimmen. Lieber genieße ich die friedliche Stimmung und lasse mich von den Wellen wiegen. Keine Gedanken streifen durch meinen Kopf. Ich fühle, wie mich das Wasser sicher trägt und bin erfüllt von einem Urvertrauen in das Sein, dass jede Zelle meines Körpers jubilieren lässt.

 

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Bewegung in das friedliche Bild gekommen ist. Fischer versuchen mit Hilfe zweier Boote einen Fischschwarm in ein Netz zu treiben. Am Strand hat sich die ganze Familie versammelt, Söhne und Schwiegersöhne laufen mit aufgekrempelten Hosenbeinen ins Wasser und helfen mit, das Netz an Land zu ziehen. Töchter und Schwiegertöchter schleppen große Kanister herbei und gemeinsam schütten, zerren und werfen sie die silbern blitzenden und wild zappelnden Fische hinein. Aufgeregte Schreie wehen über das Wasser, Lachen zerschneidet die Luft. Das jüngste Kind sitzt auf den sonnenwarmen Steinen und breitet mit winzigen Händchen den duftigen Rock seines Kleidchens um sich aus und weiß nichts davon, dass schon in ein paar Jahren auch sein Leben von Rhythmus des Meeres bestimmt sein wird. Von Ebbe und Flut, von Zeiten des Glücks und der vollen Fischerboote und Zeiten des Hungers und der Angst, wenn die Männer ohne oder mit zu geringem Fang nach Hause kommen werden.

 

Inzwischen ist mir kalt geworden und ich fange an zu schwimmen. Gleichmäßig teilen meine Arme das mit Lichtpunkten gesprenkelte Wasser – wie weich es sich anfühlt! Das ist nicht immer so. An stürmischen Tagen peitschen die Wellen rau gegen die Haut, ebenso wie gegen die Felsen der Küste. Hoch über die Klippen führt ein einsamer Pfad, von dem man einen großartigen Blick auf die ganze Bucht hat. Besonders schön ist es dort, wenn der Wind über das Meer tobt und riesige Wellen vor sich herjagt, die sich beim Ansturm an die Felsen aufbäumen und ihre Gischt mit einem wilden Brausen über den schwarzgrauen Stein verteilen. Vor Millionen Jahren spuckte ein Vulkan Asche und Lava in den Ozean und bildete diese Insel. Seit damals donnert das Wasser an ihre Küste, formt sie täglich neu. Unermüdlich. Bis ans Ende aller Zeiten. Im Angesicht solcher Urgewalten scheint unser Kampf ums Dasein lächerlich zu sein. Was sind wir schon anderes als Gischttröpfchen im Ozean der Zeit. Das Leben rollt über uns hinweg, wie die Wellen über die Steine und wie sie werden wir rundgeschliffen, jeden Tag ein bisschen mehr, bis wir uns schließlich auflösen und aufhören zu existieren.

 

Es ist Zeit wieder an Land zu gehen. Nur zögernd gibt mich das Meer frei, umspielt meine Beine, schickt seine Wellen, die an mir zerren und versuchen mich zurück ins Wasser zu ziehen. Salzige Tropfen rinnen über meine Haut und werden von der gleißenden Sonne aufgesaugt. Meine bloßen Füße hinterlassen tiefe Spuren im feuchten Sand.

Es dauert nicht lange und sie sind nicht mehr zu sehen.

 

 

Sabine Engertsberger © 2009