DER SEPTEMBER 1956
1. Jahrgang, Heft 2
Saisonbeginn
Da sich die Wiener Philharmoniker auf einer Auslandsreise befanden, begann die neue Opernsaison erst am 4. September im Redoutensaal. Man wird allmählich des ewigen Jammerns über diese ungastliche Stätte kalten Prunkes müde, immer wieder aber ärgern wir uns über die absurde Idee, den Redoutensaal zu einer Pflegestätte Mozarts zu machen, obwohl wir im Theater an der Wien ein intimes Mozart-Theater besitzen, um das uns alle Welt beneiden müßte. Man komme uns nicht mit der faulen Ausrede der Baufälligkeit, bzw. den zu hohen Restaurierungskosten. Für ein solch kostbares, historisch unersetzliches Juwel muß man in einer Musikstadt wie Wien auch materielle Opfer bringen können. Für den Redoutensaal hat man schon mehrmals größere Geldausgaben nicht gescheut. Erreicht hat man damit gar nichts. Sollen wir uns von aller Welt vorwerfen lassen, daß wir nicht imstande sind, ein so kostbares Erbe, wie das Theater an der Wien, in dem der Fidelio uraufgeführt wurde, auch der Zukunft zu erhalten? Im Großen Haus gastierte New-York-City-Ballett zu Beginn des September mit 9 Abenden.
DER ROSENKAVALIER am 10. September
Damit begann im großen Haus die Saison und brachte ein Debüt von Herta Töpper als Oktavian. Hilde Güden war eine bezaubernde Sophie, Hilde Zadek eine verläßliche Marschallin.
DON CARLOS am 11. September
Er hätte allerdings Philipp II. heißen müssen, da Paul Schöffler dieser Figur seinen Stempel aufdrückte. Gerda Scheyrer, Ira Malaniuk, Josef Metternich waren nur „Randerscheinungen“, Karl Friedrich als Don Carlos nicht einmal das.
FIDELIO am 12. September
Es war im großen und ganzen eine gute Repertoireaufführung. Max Lorenz als Florestan war in blendender Form.
AIDA am 13. September
Diese Vorstellung unter der Leitung von Wilhelm Loibner war ein Schulbeispiel, wie es nicht sein soll.
TRISTAN UND ISOLDE am 14. September
war auch für geeichte Wagnerianer kaum zu ertragen, da mit Gertrude Grob-Prandl nur eine Riesenstimme auf der Bühne stand. Rudolf Lustig brachte es fertig, seine schlechten Leistungen in dieser Partie noch zu unterbieten.
MANON LESCAUT am 15. September
Dimitri Mitropoulos kam an diesem Abend zum ersten Mal an das Pult der Staatsoper. Mit einem Male war die Atmosphäre im Haus wie verwandelt. Sänger, Chor und Orchester legten einen lange vermißten Eifer an den Tag, sodaß man zu dem Schluß kam, daß die Krise der Wiener Staatsoper nichts weiter als eine Dirigentenkrise ist. Man kann noch so viele Sänger aus aller Herren Länder wahllos zusammentrommeln, so lange der Mann am Pulte nicht die notwendige Autorität und den unerläßlichen und kompromißlosen Einsatz zeigt, ist dem Betrieb nicht gedient. Gesellt sich aber gar noch eine adäquate, Leistung von Regisseur und Bühnenbildner dazu, dann kann es nicht mehr schief gehen. Die Inszenierung Günther Rennerts ist tatsächlich ein Meisterstück. Hier konnte man eine Übereinstimmung zwischen Inszenierung und musikalischer Wiedergabe beobachten, wie wir sie sonst nur von erstklassigen Wagneraufführungen her kennen. Allerdings gibt Wien uns auch dafür im Augenblick kein Beispiel in die Hand. Fast über Nacht wurde aus Puccinis Jugendoper ein Musikdrama. Das Publikum reagierte richtig: Es gab Jubelstürme für den Dirigenten und freundlichen Applaus für die Sänger: Carla Martinis darf die Manon derzeit zu ihren besten Partien zählen. Ivo Zidek bot überraschenderweise wenigstens eine Durchschnittsleistung.
ARIADNE AUF NAXOS am 16. September.
Es ging eine gute Aufführung über die Bühne. Zwar waren wir von der Inszenierung wenig begeistert, dafür wurde aber ausgezeichnet gesungen. Rudolf Moralt hatte einen sehr guten Tag, und das Orchester folgte ihm willig. Im Vorspiel dominierten Irmgard Seefried und Paul Schöffler. Hilde Güden sang erstmals in Wien die Zerbinetta und entfesselte einen Beifallssturm. Hilde Zadek sang in gewohnter Weise sicher und verläßlich. Josef Gostic hatte einen seiner besseren Abende. Gegen das Kostüm sollte er allerdings protestieren.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 17. September im Redoutensaal
Dabei konnten wir feststellen, daß der Dirigent Wilhelm Loibner vom Ensemble einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde.
AIDA am 18. September.
Für diese Aufführung würde man lieber eine Parte drucken lassen, statt eine Kritik zu schreiben. Leonora Lafayette, eine Farbige, in den USA geboren, mit französischem Namen, in der Schweiz engagiert brachte nicht die Internationalität, die wir gerne hätten. Jean Madeira hatte Höhenschwierigkeiten. Und über das Orchester unter Wilhelm Loibner kann man nur auf einem schwarz umränderten Blatt darstellen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 19. September
Mimi Engela-Coertse ließ als Königin der Nacht aufhorchen. Irmgard Seefried lieh ihre Künstlerpersönlichkeit der Pamina, Erich Kunz und Paul Schöffler gefielen sehr, Hans Hopf und Ludwig Weber weniger.
TOSCA am 20. September
hatte gutes Niveau. Berislav Klobucar dirigierte. Helge Roswaenge war gut disponiert, ebenso Carla Martinis. Paul Schöffler war wie immer die große Künstlerpersönlichkeit.
FIDELIO am 21. September
brachte „einen Barometertiefstand“, trotz Irmgard Seefried, Paul Schöffler und Josef Greindl. Das lag an Gertrude Grob-Prandl, die ihre gewaltigen Stimmittel einfach nicht in den Dienst einer Partie stellen kann. Es lag vor allem an einer katastrophalen Leistung von Rudolf Lustig als Florestan.
TURANDOT am 22. September
„Ein Schulbeispiel dafür, wie man Puccini nicht spielen soll!“ Das Orchester war aufreizend lustlos. Karl Friedrich erregte nur Heiterkeit. Lotte Rysanek sollte keine Liu singen. Gertrude Grob-Prandl zog sich noch am besten aus der Affäre.
BALLETTABEND am 23. September
DER ROSENKAVALIER am 27. September
brachte ein Wiedersehen mit Hilde Konetzni, die bejubelt wurde. Erika Köth war eine blendende Sophie, Christa Ludwig gefiel sehr gut als Oktavian.
PALESTRINA am 28. September, Übernahme aus dem Theater an der Wien
Die Inszenierung (Josef Witt) und die Dekoration (Robert Kautsky) blieben weitgehend gleich. Das Orchester hatte diesmal seinen „Tag“ und spielte unter Rudolf Moralts inspirierender Leitung mit Intensität und reiner Klangschönheit. Großartig wie immer in dieser Partie Julius Patzak als Palestrina. Stimmlich bestens disponiert, gestaltet er diese Rolle aus tiefstem Erleben. Karl Kamann (Borromeo) hat sich redlich bemüht, die Stimme war kräftig und ausgeruht. Allerdings würde auch jeder andere Sänger in dieser Partie vergeblich gegen die Erinnerung an Hans Hotter ankämpfen. Wir hoffen, daß es nicht bei der Erinnerung bleibt. Anny Felbermayer sang innig und schön den Ighino, während Margareta Sjöstedt der Rolle des Silla noch nicht gewachsen war, zu sehr merkt man die Anfängerin. Nichts gegen Nachwuchsförderung, aber man muß die richtigen erwischen.
Ausgezeichnet studiert und besetzt waren die Meister, weniger gut die Kapellsänger. Im Konzilakt fielen besonders Paul Schöffler und Walter Berry durch souveräne Gestaltungskraft auf. Murray Dickie brachte es fertig, den Bischof von Budoja schön zu singen, ohne auf die gewohnten komischen Wirkungen verzichten zu müssen. Duncan MacLeod ließ eine Stimme hören, deren Timbre selbst für erfahrene Stimmfachleute schwer zu identifizieren sein muß. Man hört, er sei ein Bariton. Sehr schön sang Frederick Guthrie den Papst.
Die Musikliebhaber freuten sich, daß endlich einmal etwas für sie auf dem Spielplan stand. Der Erfolg war stark und verdient.
AIDA am 30. September
Carla Martinis als Aida schien indisponiert und sang zu viele falsche Töne. Wo ist ihre gute Aida aus der Zeit des Theaters an der Wien geblieben?
Damit sind wir mit unserer Septemberrückschau zu Ende. Resümieren wir: Ehrlich, seit der letzten Saison hat sich nicht viel geändert. Der „Chef“ wurde gewechselt, aber die Opernfreunde erleben heute und täglich Seefehlners „gesammelte Werke“ (sprich: Fehlengagements und daher chronische Fehlbesetzungen). Gilt für den neuen Operndirektor der Satz: „Der durch Verträge ich Herr, den Verträgen bin ich nun Knecht“? Es wird auch im größten Haus Durchschnittsabende geben, aber ihnen muß eine entsprechende Zahl von Glanzaufführungen gegenüber stehen. Aber keinesfalls darf das Niveau so häufig wie in den vergangenen Monaten so tief sinken!
Ein Rat an den Opernchef: Hören Sie sich möglichst viele sogenannte Repertoirevorstellungen an und geben Sie den Auftrag, daß jede Aufführung auf Band aufgenommen wird! Dann werden Sie uns am besten verstehen. Aber bitte, sehen Sie sich auch den ganzen Betrieb vom Dach bis zum Keller an! Dann wird sich von selbst die sofortige Notwendigkeit Ihres Eingreifens ergeben, denn wir vertrauen auf Ihr Wort und auf Ihre Kraft zur Durchführung.