DER DEZEMBER 1956

2. Jahrgang, Heft 1

 

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 1. Dezember

Diesmal trug das Werk seinen Titel zu Recht, denn ein Ensemble von Spitzensängern sollte wohl dem anwesenden Opernchef die „Tüchtigkeit“ des Generalsekretariates vor Augen führen. Paul Schöffler, in sehr guter Verfassung, war der umjubelte Mittelpunkt. Lore Wissmann als Eva fügte sich gut in das Ensemble. Wolfgang Windgassen ist derzeit der beste Stolzing. Georgine von Milinkovic als Magdalene,  Kurt Böhme als würdiger Pogner, Murray Dickie als springlebendiger David und Erich Kunz als bekannter Beckmesser rundeten das erfreuliche Bild ab. Nur das Ersatzorchester unter Heinrich Hollreiser zweigten sich keineswegs der Höhe ihrer Aufgaben gewachsen.

TOSCA am 2. Dezember

Hier lernten wir Frans Andersson als Scarpia kennen, der ein eindrucksvoller Darsteller ist.

BALLETTABEND am 3. Dezember.

 

Aufführungen um Mozarts Todestag

DIE ZAUBERFLÖTE am 4. Dezember

Am Vorabend der 165sten Wiederkehr des Todestages von Mozart fand eine sogenannte Festvorstellung der Zauberflöte statt, die auch durch die Eurovision übernommen wurde. Wir hatten Gelegenheit mit ausländischen Fernsehteilnehmern zu sprechen, die ausnahmslos ihre tiefe Entrüstung und Enttäuschung über diese katastrophale Aufführung zum Ausdruck brachten! Heute findet man die Art der Beisetzung des größten musikalischen Genies mit Recht als sehr beschämend: Mozart in einem Massengrab des St. Marxer Friedhofes! Allzu laut wird uns immer versichert, daß in unserer Zeit eine derartige Schande nicht möglich wäre! Und dabei wurde der große Mozart im Jahre 1956 mehr geschändet als 1791! Damals wußte man vielleicht noch nicht die Bedeutung Mozarts richtig einzuschätzen, heute brüstet man sich damit, ihn als musikalisches Idol zu verehren! 1791 und 1956 hat man Mozart in einem Massengrab beerdigt. 1791 wurde nur sein Leichnam geschändet, 1956 aber sein Genius! Ausgerechnet in Wien, das nicht zu Unrecht zusammen mit Salzburg als die Hauptkultstätte Mozarts gilt. Diese „Festvorstellung“ wäre schon als gewöhnliche Repertoireaufführung indiskutabel, aber diese Zauberflöte am Todestag ihres Schöpfers zu bieten ist eine Schande, ja, ist einfach pietätlos! Diese schreckliche Inszenierung, die schlechte orchestrale Wiedergabe unter dem Dirigenten Heinrich Hollreiser, die schwache Besetzung der Hauptpartien (Wilma Lipp sehr schwach, Anny Felbermayer und Waldemar Kmentt durch das zu häufige Singen in den letzten Wochen einfach überbeansprucht und ermüdet, Kurt Böhme - wie leider immer als Sarastro ausgesprochen schlecht! Was war an dieser Zauberflöte festlich? Und diese Aufführung wurde als repräsentative Mozarthuldigung Wiens durch das Fernsehen in ganz Europa gezeigt. Mozart wurde 1956 wieder in einem Schachtgrab beerdigt, nicht in St. Marx, sondern am Opernring! Wir schämen uns diesmal, Wiener zu sein.

DIE ZAUBERFLÖTE am 5. Dezember

Sie hat uns nach der vortägigen Enttäuschung nicht interessierte.

DON GIOVANNI am 6. Dezember

Auch diese Aufführung war einer Wiener Staatsoper ausgesprochen unwürdig! Nicht einmal so ausgezeichnete Künstler wie Anton Dermota, Walter Berry und der wuchtige Komtur von Kurt Böhme – hier ist er viel besser am Platze als in der Zauberflöte – konnten den Abend retten, der in den übrigen Partien eklatante Fehlbesetzungen aufwies! Der oft zitierte Wiener Mozartstil liegt in den letzten Zügen, wie man bei dieser Vorstellung erschüttert feststellen mußte, denn auch Bühnenbild und Inszenierung sind völlig verpfuscht. Wieder stand der Mozart-Amateur Heinrich Hollreiser am Pult, vielleicht wollte man sogar eine Hollreiser-Woche veranstalten, es sah jedenfalls danach aus. Nach Mozart klang es jedenfalls kaum mehr.

 

CARMEN am 7. Dezember

Lore Wissmann bot als Micaela eine gute Leistung, Jean Madeira und Paul Schöffler waren weitere Lichtblicke des Abends. Das kann von Karl Friedrich keineswegs behaupten.

MANON LESCAUT am 8. Dezember

Carla Martinis hielt sich recht gut, von Rudolf Schock war wenig zu hören. Hervorragend wieder Walter Berry, gut die musikalische Leitung von Berislav Klobucar.

BALLETTABEND am 9. Dezember

TURANDOT am 10. Dezember

Helge Roswaenge löste als Kalaf Begeisterungsstürme aus. Gertrude Grob-Prandl war eine stimmgewaltige Turandot. Lotte Rysanek als Liu und Endre Koréh als Timur kamen kaum über den Durchschnitt hinaus.

CARMEN am 11. Dezember

FIDELIO am 12. Dezember

War eine schätzenswerte Repertoire-Aufführung, vor allem durch Rudolf Moralt am Pult. Birgit Nilsson, eine der erfreulichsten Neuengagements der letzten Monate, bewältigte ohne Mühe die Leonore. Julius Patzak  als Florestan hatte einen großen Abend. Wilma Lipp, Karl Kamann und Kurt Böhme vervollständigten den guten Eindruck des Abends.

DON CARLOS am 13. Dezember

Es war der letzte Abend des „provisorischen Staatsorchesters“. Das Spiel war so katastrophal, daß Berislav Klobucar die Verzweiflung gepackt haben muß. Elisabeth Höngen als Eboli hatte den größten Erfolg, Hilde Zadek war eine ebenbürtige Partnerin. William Dickie als Posa enttäuschte. Ivo Zidek war nicht überzeugend. Oskar Czerwenka ist, trotz  redlichen Bemühens, kein Philipp II.

TANNHÄUSER am 14. Dezember

Die Wiener Philharmoniker kehrten als Sieger heim. Man freute sich über den edlen Klang des Orchesters.

An Birgit Nilsson als Elisabeth konnte vor allem die herrlich klare Stimme erfreuen, wenngleich man feststellen muß, daß sie mehr im hochdramatischen Fach zu Hause ist. Margarita Kenney war eine jugendliche Venus. Max Lorenz hatte einen seiner ganz großen Abende. Kurt Böhme war ein ausgezeichneter Landgraf, Alfred Poell ein guter Wolfram. Rudolf Moralt war der Dirigent des gelungenen Abends.

CARMEN am 15. Dezember

Brachte zwei Umbesetzungen: Karl Friedrich statt Hans Hopf und Theo Baylé statt Paul Schöffler. Das gereichte der Vorstellung nicht zum Vorteil.

DIE ZAUBERFLÖTE am 16. und 18. Dezember

Am 16. stand mit dem Ungarn Georg Litassy einen Sarastro mit imponierender Tiefe auf die Bühne. Am 18. war Frederick Guthrie der zu baritonal klingende Sarastro. Eta Köhrer als Königin der Nacht war überfordert, Traute Richters schwere Stimme plagt sich mit der Pamina. Waldemar Kmentt war der erfreuliche Tamino.

BALLETTABEND am 17. Dezember

DIE ZAUBERFLÖTE am 18. Dezember

wurde mit der Aufführung am 16. Dezember besprochen.

SALOME am 19. Dezember

Unter dem Dirigenten Meinhard von Zallinger ging es im Orchester drunter und drüber. Die Sänger retteten den Abend so gut sie konnten. Birgit Nilsson sang zum ersten Mal in Wien die Salome, und das ausgesprochen schön. Ihr Wesen und ihre Stimme widersprechen aber dem Charakter der Partie. Sie wurde beim Tanz von Edeltraud Brexner vertreten. Elisabeth Höngen und Max Lorenz, beide ausgezeichnet disponiert, waren das Tetrarchenpaar. Marko Rothmüller blieb dem Jochanaan viel schuldig.

TURANDOT am 20. Dezember

brachte ein Wiedersehen mit Helge Roswaenge.

JEANNE D’ARC am 21. Dezember

stand nach längerer Pause auf dem Programm. Judith Holzmeister und Adreas Wolf waren Jeanne und Bruder Dominique, Michael Gielen der Dirigent.

TRISTAN UND ISOLDE am 22. Dezember

Gertrude Grob-Prandl  führte alle ihre stimmlichen Mittel ins Treffen und gab sich bei der Gestaltung der Isolde große Mühe. Max Lorenz stellte den wahren und echten Tristan auf die Bühne. Marko Rothmüller war ein guter Kurwenal, Gottlob Frick sang einen hervorragenden König Marke. Georgine Milinkovic weiß mit der Brangäne wenig anzufangen. Entsetzlich war das (un)musikalische Dirigat von Heinrich Hollreiser.

TOSCA am 23. Dezember

brachte ein erfreuliches Gastspiel mit Eugen Tobin als Cavaradossi. Paul Schöffler war ein überzeugender Scarpia. Hilde Zadek sang die Tosca mit Verstand, zu packen vermochte sie nicht. Die Glanzlosigkeit des Orchesters trotz Anwesenheit der Philharmoniker dürfte an Wilhelm Loibner gelegen sein.

FIDELIO am 25. Dezember

Margarita Kenney ist der Partie der Leonore nicht gewachsen. Ihr ist der Wechsel vom Mezzosopran zum Sopran nicht gut bekommen. Wilma Lipps Stimme scheint uns für die Marzelline zu klein, ihre Innigkeit ist aber sehr berührend. Wolfgang Windgassen weiß mit der Partie des Florestan viel anzufangen. Rudolf Moralt war der Dirigent.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 26. Dezember

Paul Schöffler sang seinen vielgerühmten Hans Sachs, Wolfgang Windgassen als Stolzing war gut disponiert. Die übrige Besetzung: Hilde Zadek, Georgine Milinkovic, Josef Greindl, Erich Kunz und Peter Klein. Rudolf Moralt war der Dirigent.

LA BOHEME am 27. Dezember

TANNHÄUSER am 28. Dezember

Hilde Konetzni sprang für die durch einen Unfall verhinderte Leonie Rysanek ein und machte den Abend zu einem außerordentlichen Ereignis. Margarita Kenney, Wolfgang Windgassen, der in sehr guter Verfassung war, Alfred Poell und Josef Greindl bildeten das Ensemble, das es neben dieser überragenden Elisabeth nicht leicht hatte.

MANON LESCAUT am 29. Dezember

AIDA am 30. Dezember

Leonie Rysanek sprang trotz starker Schmerzen für die absagende Hilde Zadek ein und sang eine großartige Aida und wurde stürmisch gefeiert. Ihre „gesunden“ Partner fielen erheblich ab.

DIE ZAUBERFLÖTE am 31. Dezember

Wurde überraschend zu einer interessanten Aufführung. Elisabeth Lindermeier aus München sprang als Pamina ein und erfreute durch eine schöne Stimme und viel Herz und Verstand. Diesmal hatte auch Wien seine Besten aufgeboten: Anton Dermota, Paul Schöffler und Erich Kunz. Mimi Coertse sang mit schöner Stimme die Königen der Nacht. Georg Litassy war Sarastro mit reiner Naturstimme. Das Orchester spielte unter Heinrich Hollreiser recht plump.

 

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