DER FEBRUAR 1957

2. Jahrgang, Heft 3

 

Wiener Opernsorgen

Es sei uns heute gestattet, ein offenes Wort zu den Problemen des derzeitigen Opernbetriebes in Wien zu sagen. Auch die stets drohende Gefahr, wieder einmal falsch verstanden zu werden, kann uns, die wir das Haus nun doch schon seit fünfzehn und mehr Jahren kennt, nicht davon abhalten, sich das von der Seele zu reden, was sie seit Wochen, ja seit Monaten ernstlich bedrückt.

Wenn wir seit Jahren tiefen Anteil nehmen am Geschehen des Wiener Opernlebens und mehrmals wöchentlich auch weniger bedeutungsvolle Alltagsvorstellungen besuchen, so wird selbst ein uns übel wollender Mitbürger – es gibt deren allzu viele – zugeben müssen, daß uns mehr mit dem Opernleben verbindet als bloße Freude am Nörgeln und Kritisieren!

Nach den unvergeßlichen Abenden im alten Haus am Ring in schweren Kriegstagen, als wir noch Furtwängler und Knappertbusch häufig am Pult der Staatsoper sahen, kamen die Jahre des künstlerischen Wiederaufbaues in dem uns so sehr ans Herz gewachsenen Theater bin der Wien. Gerade jetzt müssen wir um den Bestand dieses altehrwürdigen Hauses bangen, sodaß wir uns entschlossen haben, so viel wir nur können zu seiner Erhaltung beizutragen. Die Ära Krips und die Ära Hilbert waren trotz mancher Schattenseiten eine große Zeit, die aus der Wiener Operngeschichte nicht mehr wegzudenken ist. Die größten Künstler der deutschsprachigen Opernbühne bescherten uns unvergeßliche Abende und kamen oft und gerne in das Haus an der Wienzeile. Die größten Dirigenten erschienen am Pult, ein Hans Knappertsbusch, ein Clemens Krauss, dann auch wieder Wilhelm Furtwängler und für kurze Zeit auch Fritz Busch. Karl Böhm war wieder zurückgekehrt ebenso Rudolf Moralt. Aber auch prominente Gäste wie George Sebastian, Mario Rossi, Alberto Erede, Ferenc Fricsay führten den Dirigentenstab.

Eigentlich gab es an jedem Abend eine interessante Besetzung, es war, wie man so sagt, immer „etwas los“. Bis dann im letzten Spieljahr des Theaters an der Wien der Abstieg begann. Damals schob man das stetig absinkende Niveau auf die Vorbereitungen für die Übersiedlung ins Haus am Ring.

Wie es dann im wiederaufgebauten Haus nach einem nur zum Teil gelungenen Opernfest weiterging, ist oft genug beschrieben worden. Wir wollen hier nicht alles noch einmal aufrollen. Aber daß die kurze Direktionszeit Dr. Böhm einen dunklen Punkt in der Geschichte des Hauses hinterließ, ist heute jedem Einsichtigen klar. Daß es schließlich vor nun fast genau einem Jahr, an jenem ersten März, zu der bekannten Verzweiflungstat des Stammpublikums kam, die den Rücktritt des Operndirektors zur Folge hatte, läßt sich nur aus der vollkommen verfahrenen Situation des Opernbetriebes in der Staatsoper, die mit großen Opfern so glanzvoll wieder aufgebaut worden war, verstehen. Denn schließlich daran, daß es noch schlechter werden könnte, als es im letzten Spieljahr im Theater an der  Wien gewesen war, hatte niemand gedacht. Karl Böhm hatte dieses Kunststück durch sein Desinteresse an einer verantwortlichen Direktionsarbeit zuwege gebracht. Hatte er selbst die Geschäfte der Direktion offensichtlich viel zu leicht genommen, so hatte er für die Zeit seiner Abwesenheit, gelinde gesagt, unfähige Vertreter, die er nach ihrem eigenen Gutdünken schalten und walten ließ. Daß die gleichen Herren, die wenigstens indirekt mitschuldig sind am Sturz von Dr. Böhm noch heute mit ähnlicher Vollmacht wie vor Jahresfrist in den Räumen der Direktion regieren, ist unverständlich. Wenn man heute manchmal die Meinung hört, der Böhm-Wirbel sei inszeniert und von bestimmter Seite her gelenkt worden, wenn man heutzutage versucht, den Dirigenten als bedauernswertes Opfer seines Berufes hinzustellen und ihn mit einer Märtyrerkrone zu bekränzen, so beweist man damit nur, daß man am Kern der Sache – bewußt oder unbewußt – vorbeigeht. Daß Karl Böhm als Direktor versagt hat, müßte ihm heute bei ruhiger und leidenschaftslos Betrachtung der beiden Jahre seiner zweiten Wiener Operndirektion selbst klar sein. Daß er aber an der Wiener Staatsoper als Dirigent weiterhin wirken wird, ist begrüßenswert. Die Elektra-Aufführung am 20. Februar bewies, daß Karl Böhm bereit ist, wenigstens am Dirigentenpult sein Allerbestes zu geben.

Wie haben sich nun die Dinge seit Dr. Böhms Rücktritt entwickelt? Seine Direktionszeit ging theoretisch erst am 31. August 1956 zu Ende und seit 1. September das gleichen Jahres steht Herbert von Karajan als Künstlerischer Leiter an der Spitze des Instituts. Die künstlerische Arbeit des neuen Chefs begann aber erst im Jänner mit den ersten Proben für seine beiden für April angekündigten Premieren von „Walküre“ und „Othello“.

Man sah Karajan in den Wochen seiner Anwesenheit sehr oft in der Direktionsloge. Immerhin hatten eine Reihe von Vorstellungen, besonders was die Besetzung betrifft, wenigstens teilweise ein höheres Niveau als im vergangenen Jahr erreicht. Andererseits gab es aber auch wieder schwere Enttäuschungen vor allem durch neu engagierte Sänger und durch krasse Fehlbesetzungen. Wir sind nicht dazu berufen, der Direktion in Personalfragen etwas dreinzureden, aber wir können ihr Vorgehen in Besetzungsangelegenheiten oft einfach nicht begreifen. Ohne vorhergehendes Gastspiel oder nach einem einzigen mehr oder weniger gelungenen Abend, ja sogar nach einer geschlossenen Nachmittagsvorstellung wurden und werden Sänger engagiert. Dann gibt es Sänger, die bestenfalls Provinzniveau haben, aber sie werden in ganz großen Partien eingesetzt, und ganze Opernabende verlieren dadurch gehörig an Niveau. Wenn man einmal einen hoffnungsvollen Nachwuchssänger zur Verfügung hat, so überfordert man ihn durch Aufgaben, denen er noch nicht gewachsen ist, statt ihn langsam reifen zu lassen und ihn am Vorbild der Großen  seines Faches zu schulen. Dann wieder gibt es in ihrem eigentlichen Fach bedeutende Künstler, die regelmäßig und für jedermann offensichtlich in Partien eingesetzt werden, die ihnen einfach nicht liegen. Manche von den ganz großen Künstlern des Hauses, die schon so unendlich viel für die Oper geleistet haben, werden in  letzter Zeit zum Teil nicht eingesetzt oder bestenfalls als Notnagel verwendet, obwohl sie auch im neuen Haus, wann immer man ihnen dazu Gelegenheit gab, beweisen konnten, daß sie noch immer imstande sind, Hervorrasendes zu leisten . Müssen denn gerade wir, die wir doch selbst ausschließlich der jüngeren Generation angehören, der älteren Generation die Achtung vor den großen Künstlern der Opernbühne predigen? Müßte man diese Großen nicht eher ausnützen und der jüngeren Sängergeneration die Möglichkeit geben, von ihnen zu lernen?

Eingangs sagten wir, wir würden ein offenes Wort sprechen, auch auf die Gefahr hin, wieder einmal falsch verstanden zu werden. Heute ist es ja schon Sitte geworden, jemandem sofort böse Absichten zu unterschieben, der es wagt, seiner Meinung, die  durch ehrliche Begeisterung und jahrelange Erfahrung gebildet ist, offen Ausdruck zu verleihen. Das verantwortungsbewußte Stammpublikum hat nun einmal ihre Meinung zum Operngeschehen. Ihm liegt die Wiener Oper besonders am Herzen, also geht es ihm um die, die der Oper Ehre, Ruhm und Glanz geben, die ihr das große Kunsterlebnis vermitteln. Von ihnen will das Publikum lernen, an ihrer Kunst sich begeistern. Das hat aber nichts mit einer übertriebenen einseitigen Verehrung zu tun. Es geht hier nicht um Interessen von Einzelpersonen, sondern um viel, viel mehr! Entscheidend ist letzten Endes immer die große künstlerische Leistung. Jedem, der diese zu bieten imstande ist, gilt die treue Verehrung des Stammpublikums. Kann oder will man diese Verehrung, die wir unseren großen Künstlern darbringen, nicht verstehen? Dürfen die treuesten Besucher nicht heute um dieses Verständnis bitten? Vielleicht würden dann die Wiener Opernsorgen endlich wieder in Opernfreuden umgewandelt!

 

PALESTRINA am 1. Februar

Nach langer Zeit hörten wir wieder Hans Hotter in der Partie des Kardinal Borromeo. Er verkörpert den Kirchenfürsten mit der ganzen Kraft einer starken Künstlerpersönlichkeit und erfüllt die Partie mit seinem mächtigen Organ. Einen besseren Borromeo kann man sich kaum vorstellen. Mit Julius Patzak, dem großen Palestrina unserer Tage, Esther Rethy als innigen und ausdrucksvoll singenden Ighino, Gottlob Frick als Papstes mit erhabenem Stimmklang, Laszlo Szemere als treffend charakterisierenden Novagerio kam unter der Leitung von Rudolf Moralt eine fast festspielreife Aufführung zustande. Hans Braun, der für Paul Schöffler eingesprungen war, blieb als Morone blaß. Bei Oskar Czerwenka merkt man immer, daß er im Buffo-Fach zu Hause ist, was für den Erzbischof von Trient nicht günstig ist. Murray Dickie, Peter Klein, Walter Berry, Marjan Rus, Alfred Poell und Erich Kunz gaben die nun schon bewährten Charakterstudien, während Edmond Hurshell sich auch hier als Zeremonienmeister des Konzils in keiner Weise in das Ensemble einfügen kann. Er brüllt, brüllt und brüllt…er war der einzige, der – aber wie! – aus dem Rahmen fiel. So ein Schreihals gehört wohl nicht in das heilige Konzil, wenn auch die Gegensätze noch so hart aufeinanderprallen! Dieses Geschrei ist in einem Opernhaus auf alle Fälle falsch am Platz!

BALLETTABEND am 2. Februar

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 3. Februar

gaben Karl Kamann wieder einmal (zum wievielten Mal?) Gelegenheit für Paul Schöffler als Hans Sachs einzuspringen. Er war in ausgezeichneter stimmlicher Verfassung und spielte den liebenswürdigen Schuster-Poeten auf die ihm eigene natürliche Art. Gottlob Frick lieh sein edles Stimmaterial dem würdigen Goldschmied. Besonders eindrucksvoll war wieder seine Ansprache im ersten Akt, in der er mühelos das von den Bassisten an dieser Stelle sonst gefürchtete hohe „F“ erreichte. Murray Dickie als David und Frederick Guthrie als Nachtwächter hielten das gewohnte Niveau. Dagegen störte bei Hilde Zadek ein unangenehmes Tremolo. Karl Dönch outrierte gewaltig als Beckmesser, der sicherlich kein Hanswurst sein soll!! Karl Liebl gastierte als Stolzing. Von Helden-Tenor war nichts zu merken, von stimmlichem Glanz noch weniger. Im ersten Akt gab es einige arge Schnitzer und sogar Schmisse in Walthers Probelied, zudem war er musikalisch sehr schwankend und unsicher. Nach diesen Entgleisungen im ersten Akt gelangen aber der zweite und dritte Akt besser. Man war froh, daß er bis zum Schluß wenigstens einigermaßen durchhielt. Rudolf Moralt war der verläßliche, wagnerkundige Dirigent des Abends.

FIDELIO am 4. Februar

Der Dirigent Rudolf Kempe bewies, daß auch eine an sich ausgeleierte Repertoirevorstellung zu einem Erlebnis werden kann. Mit ihm, den wir schon vom Theater an der Wien in sehr guter Erinnerung haben, kommt ein temperamentvoller, routinierter Dirigent ins Haus. Seine Zeichengebung scheint zwar manchmal etwas übertrieben und für das Auge nicht gerade angenehm, doch Kempe weiß, was er will und versteht den richtigen Kontakt mit den Musikern zu schaffen. Auch die Sänger werden mitgerissen und wachsen über ihre sonstigen Leistungen hinaus. Gertrude Grob-Prandl war vorsichtiger und zurückhaltender mit ihren stimmlichen Mitteln und das tat gut. Anton Dermota hielt die schwierige Arie des Florestan trotz starkem Forcieren durch. Besonders hervorzuheben sind der großartige Pizarro von Hans Hotter und der prächtig gesungene Rocco von Gottlob Frick.

DER ROSENKAVALIER am 5. Februar

stand wieder unter der Leitung von Rudolf Kempe. In dieser Aufführung bewirkten seine raschen Tempi stellenweise eine zu große Verhetzung. Die Marschallin von Hilde Konetzni, unübertroffen in Auffassung und Spiel, litt im dritten Akt leider an einer Indisposition. Gut wie immer in dieser Partie Christa Ludwig als Oktavian; etwas zu soubrettenhaft. Anneliese Rothenberger als Sophie. Josef Greindl ist nicht der Lerchenauer eines Richard Strauss, weder in der Darstellung, die zu sehr auf Ironie und Farce angelegt ist, noch in der Stimme, die künstlich dunkel gefärbt wird, was aber auf Kosten des Wohlklanges und der Intonation geschieht. Ein Kabinettstück, meisterhaft in seiner Art, der Faninal von Karl Kamann. Ivo Zidek bewies neuerlich, daß er zwar Material hat, aber damit nicht umzugehen versteht. Die Stimme bleibt zu sehr im Hals stecken. Eine vortreffliche Charakterstudie lieferte wie stets der Valzacchi der Wiener Staatsoper, Laszlo Szemere!

DON GIOVANNI am 6. Februar

Im Mittelpunkt dieser guten Aufführung stand die heimgekehrte Sena Jurinac. Ihre große, ausdruckschöne Stimme, die immer mehr zum Dramatischen neigt, ihre Musikalität und ihr intelligentes Spiel erzielten wohlverdiente Beifallsstürme. Die stets verläßliche Emmy Loose sang die Zerlina, Hilde Zadek, nie eine gute Donna Anna, hatte einen geradezu katastrophal schlechten Tag. Paul Schöffler aber war wieder ganz groß, mit persönlicher Gestaltungskraft und vollendeter Stimmkultur. Der Don Ottavio ist seit Jahren Anton Dermotas beste Partie. Gottlob Frick war der stimmgewaltige und ausdrucksmäßig gleich hervorragende Komtur. Erich Kunz als Leporello gehört seit Jahren zum besten Bestand des Ensembles. Zum dritten Mal stand Rudolf Kempe am Pult. Obwohl der Kontakt mit Orchester und Chor diesmal nicht ganz stimmte, war man glücklich, wieder einen Musiker mit Intensität und Gestaltungskraft am Pult zu sehen.

Vollkommen unmöglich ist nach wie vor die Inszenierung. Das beim Opernfest-Don Giovanni so effektvolle Versinken des gesamten mittleren Stufenaufbaues wurde inzwischen auch bereits eingestellt. Ist die Bühnenmaschinerie schon verrostet? Don Giovanni ging per pedes in die Hölle und vergaß nicht einmal die Türe hinter sich zu schließen.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 7. Februar

Dieses Werk wäre ein schöner Mozart-Abend geworden, hätte ein fachkundiger Musiker den Taktstock geführt und nicht der Korrepetitor Michael Gielen. Mimi Coertse wächst erstaunlich rasch in das dramatische Koloraturfach hinein, Emmy Loose erfüllt als Blondchen alle Erwartungen. Waldemar Kmentt ist der Typ des jungen lyrischen Tenors, Gottlob Frick der prachtvollste Osmin, den man sich denken kann. Murray Dickie ist ein gut singender und lebendig spielender Pedrillo. Den beiden Veteranen des Wiener Opernhauses, Alfred Jerger und Viktor Madin gebührt ein besonderes Lob für die ausgezeichnet gestalteten Sprechrollen.

LA BOHEME am 8. Februar

In dieser Vorstellung war Victoria de los Angeles als Mimi zum ersten Mal in Wien zu hören. Durch bekannte Schallplatten ist sie für jeden Opernfreund ein Begriff. Vielleicht ist es gerade diesem Umstand zuzuschreiben, daß manche Erwartungen ein wenig enttäuscht wurden. Dennoch, gerade diese Stimme mit dem wunderbar leichten, klingenden Piano in jeder Lage, mit dem blühenden mezza-voce in der Mittellage, mit der glänzenden Phrasierung scheint für die Partie der Mimi geradezu prädestiniert. Nur die exponierten Spitzentöne klangen im Forte manchmal zu hart. Ansonsten aber blieb kein Wunsch offen. Ihr Partner Waldemar Kmentt war ihr stimmlich nicht gewachsen, die Höhe war ohne Glanz, die italienische Linie fehlte. Dagegen war Paul Schöffler in großer Form, sein Marcel war elegant und burschikos zugleich. Männlicher Charme vereinigte sich mit keckem Übermut. Walter Berry und Oskar Czerwenka vervollständigten das Männerquartett. Anneliese Rothenberger war eine zierliche, anmutige Musette. Rudolf Kempe, der Dirigent der Woche, leitete die Vorstellung exakt und schwungvoll.

FIDELIO am 9. Februar

sah abermals Rudolf Kempe am Pult. Die Besetzung war in den Hauptpartien bis auf eine Ausnahme gleich wie am 4. Februar. Aber gerade dadurch lag das Niveau wesentlich tiefer. Edmond Hurshell kann offensichtlich nichts anderes als brüllen. Daß er diesmal nicht schon beim dritten Takt, sondern erst beim sechsten heiser wurde, ändert nichts daran, daß er bei seiner derzeitigen Verfassung für ein Haus vom Rang der Wiener Staatsoper nicht tragbar ist. Vielleicht wäre mit dem Stimmaterial etwas zu machen, bei der gewaltsamen Behandlung durch seinen Träger reicht es trotz oder gerade wegen der unnatürlich groben Lautstärke für keine Partie. Gertrude Grob-Prandl ließ auch ihrem Stimmaterial freien Lauf, aber das war diesmal auch wirklich alles. Anton Dermota war auch nicht auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Es zeigt sich immer wieder, daß er mit dem Florestan seiner wertvollen Stimme keinen guten Dienst erweist. Manchmal gelingt die Arie, manchmal nicht. Man zittert immer mit dem Sänger, wenn er am Schluß aufs hohe „b“ dreimal hinauf muß.

ARIADNE AUF NAXOS am 10. Februar

In dieser Vorstellung dominierten Erika Köth mit der vollendet gesungenen Zerbinetta-Arie, sowie Sena Jurinac als Komponist und Paul Schöffler als Musiklehrer. Josef Gostic kam diesmal ohne Schmisse durch die Partie des Bacchus, Hilde Zadek als Ariadne war in keiner guten Verfassung. Die drei Nymphen (Anneliese Rothenberger, Gerda Scheyrer, Hilde Rössel-Majdan) sangen ausgezeichnet. Erich Kunz und Oskar Czerwenka waren in bester Buffo-Form. Die beiden Buffo-Tenöre Peter Klein und August Jaresch schwindelten sich auf unverschämte Weise durch ihre – zugegeben – schwierigen Rollen. Wir nehmen aber nicht an, daß Richard Strauss die Spitzentöne lediglich zum Auslassen hineingeschrieben hat! Der ausgezeichnete Dirigent des Abends war Rudolf Moralt.

LA BOHEME am 11. Februar

An diesem Abend wiederholte Victoria de los Angeles ihr Gastspiel und bezauberte besonders im dritten und vierten Akt die Zuhörer durch ihren herrlichen, subtilen Stimmausdruck. Mit einer Ausnahme – Eberhard Wächter als ausgezeichneter Marcel – hatte sie die gleichen Partner wie am 8. Februar. Waldemar Kmentt sang zum vierten Mal innerhalb von fünf Tagen, was seine stimmliche Müdigkeit begreiflich macht. An die Direktion: Hier wird  Raubbau an den jungen, hoffnungsvollen Stimmen betrieben! Man hätte auch einen anderen Tenor zur Verfügung gehabt, der dem hervorragenden Gast mehr gewachsen gewesen wäre! 

BALLETTABEND am 12. Februar

ALKESTE am 13. Februar

Schon in der Ouvertüre merkte man, daß der Dreizehnte am Kalender stand. Die ganze Aufführung war dementsprechend auf dieses Datum ausgerichtet. Orchester und Chor lieferten einander fast ununterbrochen Gefechte, die manchmal regelrechten Schlachten nahe kamen, zum Beispiel im Chor: „Ha, noch nie hat der Götter Rache…“ Leider waren auch die Solisten nicht besonders gut disponiert. Hilde Zadek in der Titelpartie gelangen einige leuchtende Spitzentöne, die Gesamtleistung blieb jedoch eher blaß. Anton Dermota forcierte stark und erreichte nicht sein gewohntes Maß, noch mehr war dies an diesem Abend bei Alfred Poell der Fall. Die schönsten Töne, die man hörte, kamen von Eberhard Wächter, aber die Partie des Boten nur ein paar Takte lang. Michael Gielen aber wußte sich in keiner Situation zu helfen. Man sollte auch Gluck nicht so schlecht und nachlässig behandeln. Die wenigen Gluck-Abende im Jahr sollten doch wenigstens ein Durchschnittsniveau erreichen.

PALESTRINA am 14. Februar

Die Vorstellung war mit Anny Felbermayer, Julius Patzak, Karl Kamann, Gottlob Frick, Paul Schöffler und Laszlo Szemere in den Hauptpartien besetzt. Anny Felbermayer hatte ihrer Vorgängerin, der sehr geschätzten Kammersängerin Esther Rethy die weiche und jugendfrische Stimme voraus, wenn sie auch noch nicht die Routine einer ausgereiften Künstlerin  besitzt. Wir können froh sein, daß wir in Karl Kamann eine so verläßliche zweite Besetzung für den Kardinal Borromeo haben und in Paul Schöffler einen in Ausdruck und Maske so großartig wirkenden Morone. Julius Patzak war gewohnt hervorragend, das übrige Ensemble war gleich wie vor vierzehn Tagen.

SALOME am 15. Februar

Rudolf Moralt dirigierte die Aufführung, in der wir Christl Goltz wieder begrüßen konnten. Die Künstlerin gestaltet die Rolle elementarer und echter als Birgit Nilsson, wozu nicht zuletzt der selbst ausgeführte Tanz beiträgt, ohne den eine Goltz’sche Salome undenkbar wäre. Aber auch in der Stimme kommt das feurige Element zum Durchbruch, sodaß wir ohne Zaudern sagen können, daß Christl Goltz heute die Salome der deutschen Opernbühne ist. Dietrich Fischer-Dieskau verabschiedete sich mit seiner Antrittspartie wieder vom Wiener Publikum, Max Lorenz (Herodes), Gottlob Frick (Nazarener), Julius Patzak (Narraboth) boten ihre bekannt ausgezeichneten Leistungen.

DIE ZAUBERFLÖTE am 16. Februar

Diese Vorstellung hatte Durchschnittsniveau und nur wenige Höhepunkte. Das musikalische Tempo war eher schleppend und wurde nur gelegentlich lebendiger. Unmöglich ist das ununterbrochene Kommen und Gehen der Orchestermusiker während der gesamten Vorstellung. Berislav Klobucar war am Pult, Georg Litassy als Sarastro sang gepflegt und stilvoll, aber eher oratorienhaft. Mimi Coertse brillierte mit sauberen Koloraturen, Traute Richter ist nach wie vor keine Pamina. Erich Kunz, der vielgerühmte Papageno, die entzückende Papagena von Anneliese Rothenberger, der noble Sprecher von Karl Kamann und der zwar wenig nach Mozart klingende, aber für seine derzeitige Verfassung gut disponierte Tamino von Hans Hopf rundeten das Bild der Besetzung ab.

FIDELIO am 17. Februar

wird heruntergespielt wie im Herbst 1945, als man nur ein paar Opern im Repertoire hatte. Konnte man sich an den vorhergegangenen Aufführungen am Dirigenten Rudolf Kempe erfreuen, so mußte man am 17. mit dem – leider – wieder heimgekehrten Heinrich Hollreiser vorlieb nehmen. Seine Leitung war gestalt- und farblos wie immer, die Tempi unmotiviert verhetzt. Die Bühne war besser in Form. Bei Gertrude Grob-Prandl hat sich allerdings wenig geändert, Anton Dermota war besonders in den lyrischen Stellen der Partie besser als letztes Mal, Paul Schöffler übernahm überraschend für Gustav Neidlinger den Pizarro und war wieder ganz große Klasse in Stimme und Erscheinung. Der Rocco war bei Gottlob Frick in den besten Händen.

DON CARLOS am 18. Februar

stand ganz im Zeichen von Gottlob Frick, den wir im Theater an der Wien schon oft als Philipp II. bewundert hatten. Die mühelose Bewältigung der schwierigen Partie, die große, schwarze, jeder Modulation fähigen Stimme, ihre Ausgeglichenheit in allen Lagen und seine wohldurchdachte Darstellung fanden nach der großen Arie den minutenlangen Dank des ganzen Hauses. Gut besetzt war die Königin mit Christl Goltz, die sich auch in dieser, nicht ihrem eigentlichen Fach entsprechenden Partie als große Künstlerin zeigt. Elisabeth Höngen spielte die Eboli mit großer Intelligenz und sang mit einem Maximum an Ausdruck. Die übrigen Rollenträger – mit Ausnahme von dem edel gesungenen Kaiser Karl V. durch Frederick Guthrie – enttäuschten sehr. Wir hatten von Hans Hopf im Theater an der Wien manch guten Carlos gehört. So aber geht es nicht! Was da an gepreßten, verschluckten und falschen Tönen produziert wurde, läßt sich auch mit einem gebrochenen Bein nicht gut entschuldigen. So kann man eine Vorstellung auch nicht mit physischem Heldenmut retten. Hans Hopf scheint nicht mehr Herr über seine Stimmittel zu sein, die von Aufführung zu Aufführung weniger frei klingen. Josef Metternich, vor wenigen Jahren noch ein geschätzter Macbeth und Carlos in der Macht des Schicksals, scheint leider einen ähnlichen Weg zu gehen. Auch bei ihm hat der stimmliche Ansatz, vor allem in der Höhe sehr gelitten. Dazu kommt bei ihm ein immer unangenehmer erscheinendes Tremolo in allen Lagen, und eine monotone Ausdruckslosigkeit nicht nur im Gesang, sondern ganz allgemein ein Fehlen jeglicher Empfindung. Kurz: ausdruckslos, vom Scheitel bis zur Sohle. Es schien als ginge es ums Brüllen um jeden Preis oder anders gesagt um ein Preis-Brüllen. Denn aller guten Dinge sind drei, und Edmond Hurshell durfte doch dabei nicht fehlen! So ein Großinquisitor! Geht der Mann zum autoritären Philipp und brüllt ihn an! Und der König muß sich dies gefallen lassen! Aber die Armen sitzen und stehen im Zuschauerraum. Berislav Klobucar dirigierte das Werk verläßlich durch, ohne jedoch die inneren Ausdrucksmöglichkeiten des Werkes voll auszuschöpfen.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 19. Februar

In dieser Vorstellung dominierten Wilma Lipp durch Herausstreichen der zarten lyrischen Linien der Partie der Konstanze und Anton Dermota mit seinem großartigen Belmonte. Emmy Loose stellte wieder ein charmantes Blondchen auf die Bühne. Lebhaft im Stimmausdruck, im Spiel nie übertrieben wieder Murray Dickie als Pedrillo. Endre Koréh als Osmin neigte leider zum Überspielen und versuchte dadurch die falschen Töne in der Höhe und eine teilweise sehr unsichere Tongebung zu überdecken.

ELEKTRA am 20. Februar

Karl Böhm kehrte aus den Vereinigten Staaten zurück und dirigierte mit überlegener Sicherheit. Orchester und Sänger ließen an diesem Abend unter seiner Führung kaum einen Wunsch offen. Es war eine Elektra, wie man sie an der Wiener Staatsoper wünschen kann. Christl Goltz war die vitale und strahlend singende Trägerin der Titelpartie, Leonie Rysanek die ebenbürtige Schwester, Elisabeth Höngen gab die meisterhaft charakterisierte Klytämnestra. Hans Hotter erfüllte den Orest mit seiner großen Persönlichkeit, war stimmlich in bester Form und gestaltete die Erkennungsszene zu einem herrlichen Erlebnis. Aegisth war wieder Max Lorenz, vorzüglich in der Zeichnung der kurzen Charakterpartie.

FIDELIO am 21. Februar

Die in diesem Monat schon abgeleierte Aufführung brachte noch einen Pizarro, Gustav Neidlinger, auf die Bühne brachte. Dieser als Alberich und Klingsor hochgeschätzte Sänger will mit Gewalt ins Heldenfach. Von einer Aufführung zur anderen aber merkt man deutlicher, daß Neidlinger keinen guten Tausch macht. Auch bei ihm wird das Forcieren zur Gewohnheit und die Strafe folgt auf dem Fuß. Anton Dermota war deutlich überfordert und kämpfte diesmal schwer mit der Höhe.

TOSCA am 22. Februar

bescherte uns als Neuheit Karl Terkal in der Partie des Cavaradossi. Hier ist er aber in keiner Hinsicht staatsopernreif. Eine von Natur aus relativ hübsche, helle Tenorstimme, mit einer in exponierten Lagen jedoch schlecht fundierten Höhe, schlechte oder ganz fehlende Phrasierung, ein grober Sprachfehler „s“ und ein gänzlich persönlichkeitsarmes, hölzern und tolpatschig wirkendes Spiel mögen für die Provinz gerade reichen, für die Wiener Staatsoper ist es zu wenig! Der mit Clemens Krauss studierte Rudolf und die schön gesungene Rosenkavalier-Sängerarie unter Hans Knappertsbusch mögen Hoffnungen für den jungen vom Tischlerhandwerk in die Oper gelangten Tenor erweckt haben, der Cavaradossi hat diese jedoch schnell wieder zerstört. Leonie Rysanek war gut disponiert, wenn man sich auch für diese Partie eine etwas hellere Stimme wünscht. Die Spitzentöne gelangen vorzüglich. Hans Hotter beherrschte als Scarpia vom ersten Auftritt an die Bühne und ließ durch sein großartiges Spiel beinahe vergessen, daß seine stimmliche Verfassung nicht gerade die beste war. Gut gezeichnete Typen stellten Hans Braun als Angelotti und Karl Dönch als Mesner. Berislav Klobucar gab zwar präzise Einsätze, war jedoch zu schwerfällig und temperamentlos.

DON CARLOS am 23. Februar

war gleich besetzt wie am 18. Februar. Die einzige Ausnahme bildete der mächtige Großinquisitor Hans Hotters, der eine beklemmende Figur darstellte. Gottlob Frick war wieder ganz groß, Christl Goltz und Elisabeth Höngen ebenso in bester Form, Hans Hopf und Josef Metternich leider nicht besser als wenige Tage vorher.

BALLETTABEND am 24. Februar

SALOME am 25. Februar

war eine Repertoirevorstellung mit passablem Niveau. Berislav Klobucar hat das Werk gut in der Hand, und es drängt sich bei einem Vergleich mit den letzten italienischen Vorstellungen des Dirigenten der Eindruck auf, es lägen ihm deutsche Opern besser als italienische. Christl Goltz ist im Augenblick die wahrscheinlich einzige Sängerin, die die Partie der Salome voll und ganz auszufüllen vermag. Es ist eine Freude mitzuerleben, wie sie an jedem Abend ihre Rolle neu erarbeitet und erlebt, mit welcher Spannung und Konzentration sie arbeitet und jeder ihrer Vorstellungen ihren Stempel aufdrückt. Elisabeth Höngen und Laszlo Szemere boten ihre guten Charakterisierungen, Anton Dermota sang den Narraboth. Der Versager des Abends war Josef Metternich. Die Mittellage, die auch in seinen besten Tagen keinen besonders edlen Klang hatte, ist rauh und durch das Tremolo häßlich geworden, und von der einst so durchschlagskräftigen Höhe bleib eine mühsame Stemmerei. Hatte der Gesang früher manches Fehlende im Ausdruck und Schauspiel verdeckt, so fällt nun sein ausdrucksloses singen und seine darstellerische Ahnungslosigkeit viel stärker ins Gewicht. Wir hoffen sehr, daß sich der Sänger bald erholen möge und wieder besseren Zeiten entgegen geht.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 26. Februar

ging vor halbleerem Haus in Szene. Die beiden Frauenpartien waren bei der großartigen Erika Köth und der sich überraschend schnell in den Rahmen des Wiener Mozartensembles einfügenden Anneliese Rothenberger in besten Händen. Anton Dermota und Murray Dickie waren ebenso in guter Verfassung. Nach Gottlob Frick, Kurt Böhme und Josef Greindl fiel Endre Koréh stark ab. Die Darstellung war schwach, stimmlich konnte er wegen seines geringen Stimmumfanges. An Michael Gielen muß man die Frage richten, ob er von den vollendet zu nennenden Mozartabenden im Theater an der Wien, von den hervorragenden Aufführungen der Salzburger Festspiele usw. nie etwas gehört hat. Ein im Mozartfach so sicherer Sänger wie Anton Dermota mußte mehrmals fast hilflos warten, bis Michael Gielen Takt für Takt mit der Begleitung nachgehinkt kam. Dieses an grobe Fahrlässigkeit grenzende Versagen des Dirigenten mußte natürlich in der Folge alle Solisten hemmen.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. Februar im Redoutensaal

Vor dem Redoutensaal gab es eine arge Enttäuschung: Hans Hotter hatte den Grafen abgesagt.. Im Kassenraum der Oper wußte man am Tage der Vorstellung bis 14 Uhr nichts davon, obwohl man schon 24 Stunden vorher nach einem Ersatz Ausschau halten mußte. Alfred Poell sprang ein und sang mit Charme und noblem Ausdruck, wie wir es von dem sympathischen Sänger gewohnt sind. Sena Jurinac, Anneliese Rothenberger, Walter Berry und Oskar Czerwenka waren sehr gute Vertreter ihres Faches, Christa Ludwig ein besonders entzückender Cherubino.

BALLETTABEND am 28. Februar.

 

Überblickt man noch einmal kurz den abgelaufenen Monat, so kann man feststellen, daß durch die Anwesenheit von einigen starken Sängerpersönlichkeiten interessante Abende zustande kamen, wenn uns auch arge Enttäuschungen und ausgesprochene Fehlbesetzungen wieder nicht erspart blieben. Es hätte ohne viel Schwierigkeiten mit einem gesunden Hausverstand in den heiligen Hallen der Direktion vieles besser sein können. Aber noch sind wir Optimisten, wir hoffen noch immer…

 

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