DER MÄRZ 1957

2. Jahrgang, Heft 4

 

ELEKTRA am 1. März

Das Orchester war besser in Form, als man es sonst unter Heinrich Hollreisers Leitung gewohnt war. Anscheinend war noch etwas von der Aufführung unter Karl Böhm zurückgeblieben, und es schien, als waltete sein Musikergeist noch über dem Klangkörper. Christl Goltz und Elisabeth Höngen hatten ihr großes Format. Elsa Matheis, die als Gast die Chrysothemis sang, hatte es nach Leonie Rysanek natürlich sehr schwer. Sie sang verläßlich, ohne jedoch die erforderlichen Höhepunkte zu erreichen, und blieb in der Gestaltung recht farblos. Hans Braun bemühte sich um den Orest. Laszlo Szemere mimte einen Aegisth, der sich seiner Darstellung nach im Stadium der Volltrunkenheit befunden haben mußte. Die kleineren Rollen waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, unzulänglich besetzt.

LA BOHEME am 2. März

Sena Jurinac war nach längerer Zeit wieder als Mimi angesetzt. Das allein war Grund genug, wieder eine Aufführung dieses Werkes zu besuchen. Sie gestaltete die Partie zu einem ergreifenden Erlebnis und stattete die Mimi mit überaus schönen und zu Herzen gehenden Tönen aus. Die Künstlerin erlebt jede ihrer Rollen mit tiefem Gemüt. Dies überträgt sich auf die Zuhörer, die sie begeistert feierten. Ihr Partner war Karl Terkal, dessen Rudolf zweifellos die einzige Partie ist, die er richtig studiert hat. Eberhard Wächter, Walter Berry und Oskar Czerwenka waren gut gelaunte Bohemiens. Nur Gerda Scheyrer fügte sich nicht in das Ensemble. Sie war ständig bemüht, Ljuba Welitsch zu imitieren. Es kam aber nichts dabei heraus. Sie blieb gänzlich farblos. Das Orchester spielte ausgezeichnet. Es ergab sich ein enger Kontakt mit dem Ensemble. Wilhelm Loibner dirigierte.

BALLETTABEND am 3. März

DIE ZAUBERFLÖTE am 4. März

war ausgezeichnet besetzt. Lisa Della Casa, in dieser Saison zum ersten Mal in Wien, sang die Pamina mit klarer und edler Stimme und spielte mit viel Charme. Die prachtvolle Erika Köth und die muntere Anneliese Rothenberger als Königin der Nacht und Papagena, waren geradezu ideal. Aber auch das Damen- und Knaben-Trio verdient ein besonderes Lob. Frederick Guthrie ist trotz seines eher baritonalen Timbres ein guter Sarastro, der die Partie mit Würde, Wärme und guter Phrasierung ausstattet. Nur die Prosastellen gerieten etwas zu pathetisch. Die Stimme von Hans Hopf klang wesentlich freier und auch viel schöner als in den vorangegangenen Carlos-Aufführungen. Sein Tamino hatte ein erfreuliches Niveau. Josef Metternich sang den Sprecher. Auch er hinterließ einen wesentlich besseren Eindruck als in den letzten Wochen. Wir freuen uns darüber! Walter Berrys Papageno gehört nun bereits zum festen Bestand und ist einem Erich Kunz in der Gesamtleistung zweifellos ebenbürtig. Chor und Orchester waren vom Dirigenten verlassen. Es spricht für unseren Klangkörper, daß die Atmosphäre der Vorstellung trotzdem gut war. Michael Gielen bewies neuerlich, daß ein sicherlich ausgezeichneter Korrepetitor noch lange keine Dirigentenbegabung haben muß.

SALOME am 5. März

Ihr drückte Christl Goltz abermals den Stempel ihrer großen Persönlichkeit auf. Ihr Partner, Josef Metternich, war als Jochanaan aber völlig blaß und farblos. Wir glauben nicht, daß Metternich ein Jochanaan ist, auch wenn er im Vollbesitz seines kräftigen, trompetenartigen Organs ist, da diese Partie nicht zu seinem eigentlichen Rollenfach gehört. So aber machten sich die Mängel um so stärker bemerkbar. In den kleineren Partien waren Elisabeth Höngen und Anton Dermota ausgezeichnet. Herbert Alsen ließ sein einst so mächtiges Stimmaterial erahnen, als er die paar Takte des ersten Nazareners sang. Laszlo Szemere scheint die Gestalt des Herodes für eine gemäßigte Abwandlung der Figur des Nero zu halten. Stimmlich wird eine Parodie daraus. Berislav Klobucar dirigierte zum vierten Mal dieses Werk, und man muß feststellen, daß der Dirigent von Aufführung zu Aufführung mehr in das große Werk eindringt. Er bestätigte die angenehme Überraschung, die seine erste Salome hinterließ. Solisten und Orchester wurden sehr sicher geführt und er entging diesmal auch geschickt der Gefahr, dem Orchester allzu freien Lauf in der Lautstärke zu lassen.

BALLETTABEND am 6. März

LA BOHEME am 7. März

Durch die Absage des nicht zur rechten Zeit in Wien eingetroffenen Rudolf Kempe kam Wilhelm Loibner wieder zur Leitung der Aufführung. Diesmal gelang sie ihm nicht so gut wie letztes Mal, die Einsätze waren schlampig, das Orchester wirkte eher desinteressiert. Das Niveau der Aufführung kam allein von der Bühne. Zu Sena Jurinac, Karl Terkal, Walter Berry und Oskar Czerwenka traten diesmal Erika Köth als kecke Musette und Alfred Poell als routinierter Marcel.

Am 8. März blieb die Oper wegen Vorbereitung zu Trionfi geschlossen.

DER ROSENKAVALIER am 9. März

stand wieder unter der Leitung von Rudolf Kempe, mit Hilde Konetzni als Marschallin, die in prächtiger Form war, mit Sena Jurinac als bewährtem Oktavian und mit Erika Köth als bezaubernder Sophie. Die drei Künstlerinnen gaben dem Abend den Glanz der Stimmen, durch den die Staatsoper einst so großen Ruhm erlangt hat und sie gaben uns neue Hoffnung für die Zukunft. Oskar Czerwenka wächst immer mehr in die Rolle des Lerchenauer hinein, während Ivo Zidek als Sänger fehl am Platze war. Ihm fehlt für die Sängerarie nicht nur jegliches Belcanto, sondern auch die Intensität des stimmlichen Ausdrucks.

 

TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CATULLI CARMINA) am 10. März

Diese mit Spannung erwartete und mit vielen Vorschußlorbeeren bekränzte Neuinszenierung der Trilogie von Carl Orff brachte bei weitem nicht die von vielen Seiten erwartete Sensation. Die Diskrepanz zwischen dem Werk und der musikalischen und szenischen Wiedergabe war beträchtlich. Orff verlangt eine stilisierte Bühnengestaltung. Die wenigen Szenen, in denen sich der Regisseur Günther Rennert von seiner realistischen Konzeption loslöste – etwa im ersten Bild der Carmina Burana oder in den Catulli Carmina – ließen erahnen, wie man die gesamte Trilogie auf die Bühne stellen sollte. Das andere ging daneben. Dazu trat die ausgesprochen schlechte musikalische Wiedergabe durch Heinrich Hollreiser. Man erwartete viel mehr. Trionfi verlangen bei der Wiedergabe, mit Rücksicht auf die reichhaltige Rhythmik, höchste Präzision und gerade die fehlte. Bereits im ersten Chor gingen die Einsätze daneben, Orchester und Bühne differierten mehr als einmal. Der Chor beherrschte seinen Part auch nicht fehlerfrei. Am besten ging es bei den Catulli Carmina, wo der Chor die Möglichkeit hatte, vom Blatt zu lesen.

Unter den Solisten ragten Wilma Lipp, Waldemar Kmentt und Karl Terkal hervor, vor allem ist ihre tadellose Phrasierung zu rühmen. Keineswegs zufrieden stellend waren die Leistungen von Hans Braun und Peter Klein. Hans Braun ist nach seiner gut gelungenen Plattenaufnahme schwer wiederzuerkennen. Er bewältigt die hohen Lagen der Partie nicht. Die Falsettakrobatik von Peter Klein unterbietet die bescheidenste Anspruchslosigkeit. Dabei hätte man für beide Partien Sänger zur Verfügung gehabt, die den zweifellos schwierigen Part bewältigt hätten: Eberhard Wächter und Murray Dickie. Gerda Scheyrer bot eine passable Leistung, die choristisch verwendeten Solisten waren durchwegs gut. Ein Sonderlob gebührt der Leistung des Balletts. Endlich gelang es auch der Choreographie von Erika Hanka, Musik in Bewegung umzusetzen. Der Seltenheit wegen verdient dieser Umstand besondere Erwähnung. Die Gesamtleistung des Balletts gab dem Abend seinen Höhepunkt. In Edeltraud Brexner als Lesbia besitzt die Wiener Oper eine Solotänzerin vom Format einer echten Primaballerina. Der Erfolg galt hauptsächlich dem anwesenden Komponisten.

 

TOSCA am 11. März

Hier konnten wir das neueste Mitglied der Wiener Staatsoper, Eugenio Fernandi, als Cavaradossi kennen lernen. Um es gleich vorwegzunehmen. Die Stimme von Eugenio Fernandi ist ebenso wenig eine Mischung von Mario del Monaco und Giuseppe di Stefano (Bildtelegraph) wie die Stimme von Ludwig Suthaus im Timbre nicht zwischen Max Lorenz und Helge Roswaenge liegt (Wiener Tageszeitung). Er besitzt aber eine strahlende Naturhöhe, hat das typisch temperamentreiche Singen, das die meisten italienischen Tenöre auszeichnet, und sieht gut aus. Es haften ihm aber auch große Schwächen an. Sie liegen vor allem in der nicht sehr ergiebigen Mittellage, der zeitweise unreinen Tongebung und im unpersönlichen Spiel. Auch sollte man dem jungen Italiener das allzu lange Aushalten exponierter Töne abgewöhnen. Die italienische Unsitte, nach einem hohen Ton mitten in einer Phrase hineinzuapplaudieren, sollte man sich in Wien nicht angewöhnen. Für eine solche Ungezogenheit haben wir nicht das geringste Verständnis. Duncan MacLeod sang zum ersten Mal den Scarpia und versagte in jeder Hinsicht. Vielleicht brauchte man einen, der die Partie um jeden Preis italienisch singt, dennoch ist es nicht zu begreifen, daß man MacLeod, der doch bereits als Angelotti nicht gerade angenehm aufgefallen ist, in einer so großen und schwierigen Partie ansetzt. Stimmliches Nichtvorhandensein und schauspielerische Harmlosigkeit gingen gepaart Hand in Hand. Wo liegen die Gründe für das Engagement eines solch drittrangigen Provinzsängers? Die größte Leistung bot Christl Goltz, die mit so viel Ausdruck, Intelligenz und Einfühlungsvermögen die Partie singt und gestaltet, sodaß man vergißt, daß ihre Hauptstärke gar nicht bei der italienischen Oper liegt. Oskar Czerwenka als Mesner war nicht gut disponiert. Dirigent der Aufführung war Berislav Klobucar, der Kontakt zwischen Bühne und Orchester ließ manche Wünsche offen.

CARMEN am 12. März

In dieser Aufführung war endlich eine große Künstlerin als Micaela zu hören. Sena Jurinac lieh dieser Rolle ihre Anmut und Schlichtheit und schuf damit das notwendige Gegengewicht zur Titelträgerin. Ihre hervorragende Leistung wurde lediglich durch einige übertriebene Fortissimotöne getrübt. Hans Hopf konnte trotz einer passablen Blumenarie, einigen gut gelungenen Spitzentönen und einem recht guten vierten Akt nicht über seine derzeitige Stimmkrise hinwegtäuschen. Ausgezeichnet war Walter Berry als Escamillo. Er ist einer der wenigen jungen Künstler, der mit seinen Mitteln hervorragend hauszuhalten weiß. Carmen war Christa Ludwig, die Anzeichen einer kleinen Übermüdung zeigte. Die Aufführung wurde von Berislav Klobucar solid, für eine Carmen fast zu solid, geleitet.

TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CATULLI CARMINA) am 13. März

Die zweite Aufführung dieses Werkes ließ diejenigen, die es bisher noch nicht wahrhaben wollten, mit grausamer Deutlichkeit erkennen, daß die Vorstellung schlecht studiert ist. Chor und Orchester waren so wenig exakt, als wäre das Werk jahrelang nicht gespielt worden. Da die Wirkung der Trionfi fast zur Gänze auf ihrem federnden Rhythmus beruht, kann man sich den Effekt ja ungefähr vorstellen. Statt Karl Terkal sang Ivo Zidek den Catulli (sogar überraschend gut), die übrigen Rollen waren gleich besetzt wie bei der Premiere.

DON GIOVANNI am 14. März

Heinrich Hollreiser wäre imstande, jede Mozart-Aufführung auf das Niveau von Bremen oder Solothurn zu drücken, wenn sich Bühne und Orchester nicht doch manchmal selbständig machten und ihn einfach nicht zur Kenntnis nähmen, wie dies erfreulicherweise im zweiten Akt dieser Vorstellung geschah. An der Spitze standen zwei große Künstlerinnen: Sena Jurinac als Elvira und Christl Goltz als Donna Anna. Christl Goltz, die mit der Donna Anna bisher immer einige Schwierigkeiten hatte, sang in ihrer derzeitigen Hochform die heikle Partie makellos und hinterließ stärksten Eindruck. Alfred Poell war ein braver, aber farbloser Don Giovanni, Anton Dermota sang stilvoll und kultiviert, leider aber hin und wieder zu tief. Zu dem Buffopaar Harald Pröglhöf und Emmy Loose trat in der wichtigen Partie des Leporello Wolfram Zimmermann aus Graz. Viele große Karrieren begannen mit Einspringen. Wir sind keine Propheten, aber mit einer annehmbaren Baritonstimme und einer einigermaßen soliden Technik allein wird es nicht gehen. Wenn man aus einer todsicheren Rolle wie dem Leporello nichts machen kann, dann dürfte nicht allein Probenmangel daran die Schuld tragen!!

LA BOHEME am 15. März

Das Ereignis dieser Aufführung war Hilde Güden, die von der Metropolitan Opera zu unserer großen Freude zurückgekehrt ist. Mit ihrem herrlichen Sopran, der auch in den höheren Lagen jeder Schattierung fähig ist, gestaltet sie das Schicksal der Mimi. Eine faszinierende und künstlerisch vollendete Leistung! Ihr Partner, Anton Dermota, wird der Partie des Rudolf nur teilweise gerecht. Der Rudolf liegt ihm zu hoch und tut seiner Stimme auf keinen Fall gut. Hans Braun, Duncan MacLeod und Gerda Scheyrer fielen dagegen stark ab. Hatte man an diesem Abend wirklich keinen anderen Partner für Hilde Güden? Wilhelm Loibner nahm sehr langsame und eher schleppende Tempi.

DIE ZAUBERFLÖTE am 16. März

War eine Repertoireaufführung, die durch Wilma Lipps Pamina eines gewissen Reizes nicht entbehrte. Wir freuen uns, daß der Künstlerin der Fachwechsel gut gelungen ist. Einst eine hervorragende Königin der Nacht, ist sie jetzt eine frische Pamina, die den Mozartstil gut beherrscht. Besonders gut gelang ihr die Arie „Ach, ich fühl’s“. Gottlob Fricks Sarastro sucht derzeit seinesgleichen! Nicht ganz den Anforderungen der großen Koloraturpartie entsprach diesmal Mimi Coertse. Die zweite Arie gelang aber noch besser als die erste, in der man die Furcht vor den exponierten Höhen mitfühlte. Hans Hopf sang wieder den Tamino, den man allerdings nicht vergleichen kann mit dem, den er knapp vierzehn Tage vorher gesungen hat.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 17. März

Karl Kamann, in zahllosen Abenden bewährt, sang den Hans Sachs – seine beste Partie – mit Meisterschaft, mit liebenswürdigem Ausdruck, mit viel Herz und liebenswertem Humor. Er hielt die schwierige Partie eisern durch und sang die Schlußansprache mit voller Kraft. Sena Jurinac war ein reizendes Evchen mit strahlender Stimme, aber einigen überlauten hohen Tönen, die nicht ganz glücklich wirkten. Wolfgang Windgassen, von weiter Fahrt zurückgekehrt, war ihr Partner und sang mit seinem schönen Timbre den Stolzing, wobei ihm besonders das Preislied auf der Festwiese ausgezeichnet gelang. Das übrige Ensemble mit Gottlob Frick, Erich Kunz, Alfred Poell und Georgine von Milinkovic befand sich auf der Höhe seiner Aufgaben. Peter Klein jedoch quälte mit der Rolle des David das Publikum, sich selbst und nicht zuletzt Richard Wagner. Heinrich Hollreiser führte den Stab. Das war aber auch alles, was er führte. Chor, Orchester und Ensemble waren mehr als einmal verlassen, größtenteils jedoch wurden sie gejagt und gehetzt, in einer Weise, die sich mit Worten nicht beschreiben läßt. In der Hinsicht ist der dritte Akt kaum mehr zu überbieten.

BALLETTABEND am 18. März

 

DER BARBIER VON SEVILLA am 18. März im Redoutensaal

Die Neuinszenierung, die stellenweise einer Revue glich, besorgte Oscar Waelterin. Besonders das Vorhangziehen der Pagen erinnerte uns an das Nummerngirl im Ronacher. Die gesanglichen Leistungen unter Mario Rossi, der die Sänger exakt und verläßlich führte, waren sehr erfreulich. Den größten Erfolg konnte Hermann Prey für sich buchen, der sich als Figaro vorstellte und die Rolle mit jugendlichem Charme und tenoral gefärbter Höhe ausstattete. Erika Köth verschwendete in reicher Fülle ihre glasklaren Koloraturen. Oskar Czerwenka war, diesmal jeder schauspielerischen Übertreibung abhold, ein prächtiger Basilio. Murray Dickie ist der beste Buffotenor, den die Staatsoper derzeit besitzt, als Almaviva überschreitet er jedoch bedenklich sein eigentliches Rollenfach. Die Höhen klangen ausnahmslos unelegant und steif. Eine gute Charakteristik gab Hilde Rössel-Majdan. Alle Solisten waren im Spiel eifrig bei der Sache.

 

DER STURM am 19. März

Viel Mühe war aufgewendet worden, man hatte in keiner Hinsicht gespart, aber man kann nunmehr mit Sicherheit feststellen, daß die Mühe vergeblich war. Es wäre zweifellos wichtiger gewesen, sich eines Werkes anzunehmen, das mehr Aufführungen erlebt (Dies war die 5. Aufführung seit der Premiere im vergangenen Jahr!). Die Solisten waren ausnahmslos in guter Verfassung, wobei besonders Christa Ludwig und Eberhard Wächter hervorragten, aber auch Anton, Dermota, Karl Kamann und Frederick Guthrie, sowie das Komikertrio Murray Dickie, Karl Dönch und Endre Koréh ihr Bestes gaben. Michael Gielen vermochte die großen Längen des Werkes nicht zu verkürzen, sondern verstärkte eher den Eindruck der geringen Dramatik von Frank Martins Musik.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 20. März

In dieser Aufführung schlug Michael Gielen den Takt. Er ist nicht imstande, bewährter Mozartsänger unfallfrei zu begleiten. Es berührt sehr merkwürdig, daß ein Institut, das ausgerechnet einen weltberühmten Dirigenten zum Leiter hat, unter einer permanenten Dirigentenkrise leiden muß. Was doch schlechte Dirigenten am Repertoire verpatzen können! Das Bühnenensemble war mit einer Ausnahme großartig. Wilma Lipp hat Persönlichkeit, Stilgefühl und Phrasierung. Ihre Konstanze ist eine echte Mozartgestalt, ihr Gesang entspricht dem typischen Wiener Mozartstil. Anton Dermota war ein vorzüglicher Belmonte, und bewies, daß man auch für eine Mozartpartie nicht unbedingt bloß eine Miniaturstimme besitzen muß. Er sang trotz des raumfüllenden, großen Stimmvolumens stellenweise sehr weich und lyrisch. Gottlob Frick ist mit seines Basses Grundgewalt und verschmitztem Humor ein idealer Osmin. Auch Emmy Loose hielt das Niveau, Peter Klein jedoch nicht. Hocherfreut konnte man feststellen, daß der Wiener Mozartstil doch noch nicht ganz umzubringen war – obwohl alles Erdenkliche dazu getan wurde. Prächtige Sänger sind noch vorhanden, es bedarf nur der Dirigenten und Regisseure, um eine neue Blüte des berühmten Wiener Mozartstils zu erreichen.

DON CARLOS am 21. März

König Philipp und Großinquisitor hätten dem Werk an diesem Abend den Namen geben sollen. Monolog des König Philipp und die anschließende Szene mit dem Großinquisitor waren nicht nur der dramatische, sondern brachten auch den gesanglichen Höhepunkt der Aufführung. Gottlob Frick sang den König so, daß kein Wunsch mehr offen blieb, er spielte ihn groß im Wollen, zermürbt als Mensch. Den Großinquisitor sang und spielte Hans Hotter mit einer überdimensionalen Überzeugungskraft. Sein mächtiges Organ strömte durch das große Haus. Christl Goltz und Elisabeth Höngen waren wieder die bewährt packenden Trägerinnen der großen Frauenrollen. Hans Hopf war in den letzten Bildern wesentlich besser als in den ersten Szenen. Manchmal scheint er für einige Augenblicke seinen Stimmapparat fest in die Gewalt zu bekommen, dann aber passiert wieder das extreme Gegenteil. Der schönen, sicher fundierten Töne waren jedoch zu wenige. Die Stimmkrise scheint leider anzuhalten. Hans Braun entgleitet die Höhe immer mehr, manche Stellen klingen ausgesprochen gequält. Das Orchester paßte sich offenbar der Bühne an: Die Szenen König-Inquisitor, König-Elisabeth waren lebendig und in ihrem Ausdruck fast italienisch zu nennen, andere Szenen, wie z. B. Carlos-Posa, Eboli-Szene, Kerkerakt waren eher zähflüssig und schwerfällig. Der Dirigent Berislav Klobucar hatte einen guten Tag.

DON GIOVANNI am 22. März

Es gab eine sehr handfeste Aufführung unter der Leitung des oft bewährten Rudolf Moralt. Birgit Nilsson bewältigte die schwierige Partie der Donna Anna, wenngleich ihr die Koloraturen einige Schwierigkeiten bereiteten. Die Stimme ist dafür doch ein wenig zu kalt und unbiegsam. Sena Jurinac forcierte leider im 1. Akt, dafür gelang ihr der 2. Akt um so besser. Emmy Loose war die gewohnt verläßliche Zerlina, Anton Dermota – in bester Form – sang seine beste Partie, den Don Ottavio. Er ist mit seiner sehr wertvollen Stimme doch in erster Linie Mozartsänger geblieben. Alfred Poell hielt leider nur bis zur Champagnerarie durch. Von Walter Berry kann man sagen, daß er in die Partie des Leporello bereits ganz hineingewachsen ist und eine gleich starke Wirkung wie mit seinem Papageno erzielt. Wuchtig, getragen und bestimmend sang Gottlob Frick den steinernen Gast. An die mißratene Inszenierung können wir uns allerdings noch immer nicht gewöhnen.

DER BARBIER VON SEVILLA am 22. März im Redoutensaal

Am gleichen Tag startete das interessante Experiment, das uns Christa Ludwig in der Partie der Rosina bescherte. Die Altfassung dieser Partie gab der Künstlerin Gelegenheit, ihr Stilgefühl und ihre große Musikalität neuerlich unter Beweis zu stellen. In dieser Fassung erhält die Rolle einen weniger puppenhaften Charakter als in der bekannten Sopranfassung. Waldemar Kmentt gefiel weit besser als Murray Dickie in der Tenorpartie. Besonders die Canzonetta sang er elegant und mit geschmeidiger Stimme. Christa Ludwig aber hat mit der Rosina eine hervorragende Partie gefunden!

TRISTAN UND ISOLDE am 23. März

Die Aufführung fand vor ausorganisiertem Hause statt, und die zahlreich hineingeratenen Wagnerunkundigen verließen meist schon nach dem ersten Akt fluchtartig das Gebäude. Die drinnen verbliebenen Musikfreunde hörten zum ersten Male Christl Goltz als Isolde. Die Künstlerin ist in Wagnerpartien in Wien eigentlich bisher nicht gut angekommen, wir hatten zumindest den Eindruck, daß ihr weder die Senta, noch die Elsa sonderlich gut liegen. Die Isolde aber liegt ihr. Sie war eine Leistung aus einem Guß. Gesang, Spiel, Ausdruck und Phrasierung erhoben ihre Isolde zu einer echten, wagnerischen Frauengestalt. Der routinierte, sichere und ausdrucksvolle Tristan des Abends war Ludwig Suthaus, der, wenn er wie diesmal sehr gut bei Stimme ist, einiges zu bieten hat: Besonders durchdachten und intelligenten Ausdruck und sehr geschickt an große Vorbilder angelehntes Spiel. Auch stimmlich hielt der Künstler alle drei Akte durch. In solcher Form findet er unsere volle Zustimmung. Die kraftvolle Persönlichkeit Hans Hotters gab der Partie des Kurwenal Leben und Seele. Die übrige Besetzung mit Georgine Milinkovic, Ludwig Weber, Hans Braun, Karl Friedrich stand nicht auf gleicher Höhe. Heinrich Hollreiser deckte die Sänger, war laut, schnell und langweilig zugleich – kurz, er war dem Werk so abträglich, wie ein Dirigent es nur sein kann.

SALOME am 24. März

Man kam zu einer Repertoirevorstellung und konnte sich immerhin einiges davon erwarten, denn man kennt ja Hans Hotter als Jochanaan. Doch jede Begegnung mit diesem Künstler führt zu überraschenden neuen Eindrücken. Stimmlich bis hinauf zu den Spitzentönen von seltener Vollendung, gestaltete er die Partie mit einer Kraft des Ausdrucks, daß der „Rufer in der Wüste“ vor uns stand, wie wir es wohl noch nie erlebt haben. Birgit Nilsson war gut bei Stimme und sang ihre Partie besonders schön. In den kleineren Rollen gab es durchwegs gute Leistungen, besonders von Gottlob Frick, aber auch von Franz Bierbach, Hilde Rössel-Majdan und Ivo Zidek (der allerdings „Gefühl“ mit „Sentiment“ zu verwechseln scheint). Elisabeth Höngen und Laszlo Szemere spielten wieder das Tetrarchenpaar. Rudolf Moralt war der gute Dirigent einer guten Aufführung, die durch die Leistung Hans Hotters unvergeßlich bleiben wird.

TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CATULLI CARMINA) am 25. März

Diese Vorstellung zeigte, daß sie überraschend schnell dem Repertoireschlendrian anheim gefallen ist. Relativ am besten hielten sich noch die Catulli Carmina, in denen sich das Ballettensemble immer besser einzuspielen beginnt und mit viel Freude, Können und Witz bei der Sache ist. Die Carmina Burana litten unter den verhetzten Tempi des Kapellmeisters Heinrich Hollreiser am meisten.

FIDELIO am 26. März

Diese Aufführung fand unter Rudolf Moralts Leitung statt. Anstelle der angekündigten Künstlern Birgit Nilsson, Hans Hotter, Ludwig Suthaus, die anscheinend von den Walküre-Proben in Anspruch genommen waren, sangen Leonie Rysanek, Hans Hopf und Karl Kamann. Das Orchester hatte leider nicht seinen Tag, Präzision war nicht der Leitstern des Abends. Leonie Rysanek sang eine kraftvolle, mit leuchtenden Spitzentönen ausgestattete Leonore, Karl Kamann seinen bewährten Pizarro. Reizend und verläßlich war das Buffopaar Emmy Loose und Murray Dickie. Hans Hopf sang nicht, er markierte bloß den Florestan, Stimme war so gut wie keine mehr vorhanden. Ludwig Weber war als Rocco angesetzt. Wir erinnern uns gerne an die schönen Abende, die er uns noch im Theater an der Wien bereitet hat. Nun müssen wir leider sagen: Ludwig Webers Stimme ist derzeit nicht staatsopernfähig. Vielleicht könnte ein richtiges Ausspannen doch noch Abhilfe schaffen. Wir wollen die gute Erinnerung an einen einst wirklich guten Sänger nicht verlieren.

CARMEN am 27. März

In dieser Aufführung stand nach mehrmonatiger Abwesenheit Jean Madeira wieder als Titelheldin auf der Bühne. Offenbar von den laufenden Walküre-Proben arg in Anspruch genommen, war sie nicht auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Ihre männlichen Partner in der von Heinrich Hollreiser geleiteten Vorstellung waren Hans Hopf und Walter Berry.

DIE ZAUBERFLÖTE am 28. März

fand als geschlossene Vorstellung für die Wiener Theatergemeinde (zum Verkauf gelangten nur Stehplätze) statt und stand im Zeichen großartiger Sängerleistungen. Lisa Della Casa als anmutige und ergreifende Pamina, Erika Köth als virtuose Königin der Nacht, Gottlob Fricks stimmgewaltiger und edler Sarastro, der stellenweise an den unvergleichlichen Alexander Kipnis erinnert, und Walter Berry als urwüchsiger, springlebendiger Papageno hoben die Aufführung weit über das gewohnte Niveau. Da außerdem Hans Hopf als Tamino einen guten Tag hatte und in kleineren Partien Frederick Guthrie als würdevoller Sprecher, Emmy Loose als oftmals bewährte Papagena besonders auffielen, hätte die Vorstellung unter einem Vollblut-Dirigenten Festspiel-Niveau erreicht. Daß dies nicht erreicht wurde, ist einzig und allein dem Kapellmeister Heinrich Hollreiser zuzuschreiben. So lieblos kann man doch das Mozart’sche Meisterwerk nicht dirigieren!

SALOME am 29. März

Die stets Höchstleistungen bietende Christl Goltz ließ auch diese Vorstellung wieder zum Erlebnis werden. Auch diese Aufführung stand wieder unter Leitung des bewährten Meisters Rudolf Moralt. Alfred Poell war gut disponiert, dennoch sind wir der Ansicht, daß der Jochanaan doch einem richtigen Heldenbariton zusteht. Es war natürlich schwer einem Hans Hotter den Jochanaan nachzusingen. Jean Madeira war diesmal die Herodias, doch sie übertrieb im Spiel und war in den höheren Stimmlagen noch nicht ganz zu Hause. Rudolf Lustig produzierte als Herodes in Krampfzuständen seine bekannten tief-baritonalen und glanzlosen Töne, die vom Singen weit entfernt sind. Ludwig Weber war leider wieder sehr schlecht. Der Dirigent war Rudolf Moralt. Als ausgesprochen positiv sei aber vermerkt, daß er nach der Vorstellung nicht vor dem Vorhang erschien. Es hat sich nämlich in letzter Zeit die Unsitte eingebürgert, daß die Kapellmeister des Hauses sich nach jeder gewöhnlichen Repertoirevorstellung vor dem Vorhang zeigen. Das hat nichts mit der Leistung eines Dirigenten zu tun, aber der musikalische Leiter erhält ohnehin seinen Applaus – wenn er ihn verdient – vor Beginn jedes Aktes. Früher kamen Dirigenten auch nur bei Premieren, Festvorstellungen oder besonderen Gastspielen vor den Vorhang. Rudolf Moralt hält sich noch an die alte gute Sitte, dafür sei ihm Dank gesagt, den anderen Kapellmeistern aber sei es ins Stammbuch geschrieben!

DIE ZAUBERFLÖTE am 30. März

TOSCA am 31. März am Nachmittag

Diese Vorstellung war in der Gesamtleistung ein Höhepunkt des Monats. Nur mit Müh’ und Not konnten wir zu einer Karte kommen, denn das Theater der Jugend und das Jugendabonnement des Stadtrates Mandl hatten die Karten verteilt. Viele Plätze – Sitz- und Stehplätze – blieben leer, jeder, der drinnen war, konnte sich davon überzeugen. Und dennoch fanden viele keinen Einlaß. Mit ein bißchen gutem Willen hätte man hier eingreifen können. So fand also eine der besten Vorstellungen des Monats hinter verschlossenen Türen statt. Aber die Jugendlichen, die ihre Karte nicht verfallen ließen, hatten wenigstens das große Glück, Helge Roswaenge noch einmal in einer Glanzpartie, noch dazu in einer vorzüglichen Disposition, zu hören. Sie gingen auch begeistert mit und konnten den großen Künstler mit seiner noch immer prächtigen Stimme und seiner hervorragenden Gestaltung bewundern. Auch seine Partner, Christl Goltz, die wieder eine große, erschütternde Leistung bot und der stimmgewaltige Karl Kamann, dessen Deutlichkeit in der Deklamation stets besonders zu rühmen ist, waren in Hochform und wurden vom – gerade für eine Nachmittagsvorstellung – ausgezeichnet spielenden Orchester unter Berislav Klobucar bestens unterstützt. Ein Opernnachmittag fast ohne Unfälle – hätte nicht der Souffleur sein Mittagsschläfchen gehalten – mit besonderer künstlerischer Potenz, wie sie sooft am Abend fehlt.

ARIADNE AUF NAXOS am 31. März am Abend

Es dirigierte Rudolf Moralt. Er erzielte mit dem Orchester eine der Staatsoper würdige Leistung. Lisa Della Casa sang zum ersten Male im großen Haus die Titelpartie und erwies sich erneut als vortreffliche Richard Strauss-Sängerin. Ihre in allen Lagen volle Stimme, ihre leicht ansprechende Höhe, ihr vorteilhaftes Aussehen und wohldurchdachtes Spiel lassen sie für diese Rolle prädestiniert erscheinen. Hilde Güden sang eine anmutige Zerbinetta und zeigte sich dieser Partie voll gewachsen. Großartig Christa Ludwig als Komponist, vortrefflich wie stets das heitere Quartett der Herren Murray Dickie, August Jaresch, Erich Kunz und Oskar Czerwenka. Hans Hopf aber machte uns leider wieder einen Strich durch die Rechnung. Er ist dem Bacchus derzeit nicht gewachsen. Es gab einen argen Kampf mit der Höhe. Wäre dieser grobe Schönheitsfehler nicht gewesen, es wäre eine ausgesprochen gute Schlußvorstellung des Monates März geworden.

 

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