DER APRIL 1957

2. Jahrgang, Heft 5

 

Zu Beginn unseres diesmaligen Monatsberichtes wollen wir voll Freude feststellen, daß man im April deutlich einen Fortschritt in der Gestaltung des Spielplanes und in der Qualität der Aufführungen unserer Oper erkennen konnte. Dies ist vor allem auf die zwei Neuinszenierungen und ihre Wiederholungsabende als auch auf einige sehr gute Repertoireaufführungen zurückzuführen. Wir hoffen sehr, daß die Wiener Staatsoper allmählich nun doch wieder zu dem wird, was sie noch vor wenigen Jahren gewesen ist.

 

TOSCA am 1. April

Leider brachte gleich der erste Tag des Monats eine der schwächsten Aufführungen der letzten Zeit. Ljuba Welitsch verkörperte die Titelpartie. Sie ließ kaum erkennen, welch große und schöne Stimme sie einmal hatte. Auch bei Berücksichtigung ihres guten Spiels bot sie eine bedauerliche Leistung. Noch weit bedauerlicher allerdings war das, was Duncan MacLeod als Scarpia wieder zum besten gab. Es ist unbegreiflich, daß man nach dem gänzlichen Versagen in dieser Partie im vorangegangenen Monat nun abermals eine so schwerwiegende Fehlbesetzung zuließ. Eugenio Fernandi zeigte als Cavaradossi dieselben Vorzüge und dieselben Schwächen, die bereits bei seinem ersten Auftreten – ebenfalls als Cavaradossi – aufgefallen waren: Die höhere Mittellage präsentiert sich von Natur aus strahlend und durchschlagskräftig, während sich in der tieferen Mittellage noch technische Schwierigkeiten zeigen. Berislav Klobucar dirigierte die von den Hauptdarstellern italienisch gesungene Aufführung zu wenig im italienisch-veristischen Stile.

 

DIE WALKÜRE am 2. April, Neuinszenierung

„Die neue Walküre in Wien“

Die Walküre endlich wieder am Spielplan der Wiener Staatsoper! Wir waren froh, dieses Werk nach fast zweijährigen Pause wieder in der Staatsoper hören zu können. Nach zahlreichen großartigen Aufführungen im Theater an der. Wien kehrte der „erste Tag“ des Nibelungen-Dramas wieder in das Haus am Ring zurück. In der alten Oper war Brünnhildens Schlachtruf zum letzten Mal am 20. Juni 1944 erklungen, in einer von Hans Knappertsbusch geleiteten Aufführung. Helena Braun hatte damals die Brünnhilde, Hilde Konetzni die Sieglinde, Julius Pölzer den Siegmund und Karl Kamann den Wotan gesungen. Die letzte Aufführung im Theater an der Wien fand vor nicht ganz zwei Jahren - am 30. Mai 1955 - unter Rudolf Moralt mit Mödl, Rysanek, Klose, Lorenz, Kamann und Frick in den Hauptpartien statt.

Die neue Aufführung versprach in jeder Hinsicht interessant zu werden, hatte sich doch Herbert von Karajan mit dieser Neuinszenierung dem Wiener Publikum als Dirigent und Regisseur eines Wagnerwerkes vorzustellen. Zwar hat Karajan vor 20 Jahren als junger Kapellmeister einen „Tristan“ in der Staatsoper dirigiert und in der vergangenen Saison mit einem Ensemble und dem Orchester der Mailänder Scala drei Aufführungen der „Lucia“ geleitet. Aber als neuer Chef des Hauses stand er nun zum ersten Mal vor der Öffentlichkeit.

Karajan hatte sich für diese Aufführung ein erlesenes Ensemble von großen Wagnersängern nach Wien bestellt. In einer Hauptpartie gab es im letzten Augenblick eine Umbesetzung. Frau Leonie Rysanek sprang für die Schwedin Aase Nordmo-Loevberg, die in Wien debütieren sollte, ein. Ihre Sieglinde, die sie erst zwei Tage vorher in Stuttgart gesungen hatte, war von großem Format. Vielleicht ist die Stimme für die jugendliche Sieglinde eine Spur zu dunkel, aber die Künstlerin gestaltet die Rolle mit vortrefflichem Ausdruck und ihr Organ erfüllt mühelos in allen Lagen das große Haus.

Ihr Partner als Siegmund war Ludwig Suthaus, der bis zum Ende des Schwertmonologs großartig bei Stimme war, dann aber vor allem am Schluß des 1. Aktes stark abfiel. War es die nicht ganz einwandfreie Stimmführung – eine übermäßige Neigung zum Portamentieren kam außerdem beim Liebeslied zu stark zur Geltung – war es die regiebedingte ungünstige Stellung ganz im Hintergrund der Bühne oder hatte sich der Künstler im stimmgewaltig gesungenen Schwertmonolog zu stark ausgegeben? Jedenfalls kam zu dem stimmlichen Manko in der letzten Szene des 1. Aktes auch eine merkliche musikalische Unsicherheit, die vor allem in einer stellenweise anhaltenden Diskrepanz zwischen dem Sänger und dem Dirigenten ihren Ausdruck fand. Die Präzision litt dadurch sehr. In der Todverkündigungs-Szene fand Suthaus wieder zu seiner starken Ausdruckskraft zurück, doch war er hier äußerst ungünstig placiert, was man ihm anmerkte, denn man konnte sehen, wie er ermüdet von einem Knie auf das andere hinüberrutschte. Jedenfalls tat ihm Karajans Regie nicht in allem gut, in der Gesamtleistung stand der Siegmund hinter seinem letzten Tristan zurück.

Zum Wälsungenpaar trat im 1. Akt Gottlob Frick mit mächtig dröhnender Stimme. Sein Hunding war verbittert und schwarz in der Zeichnung, schwarz  in der herrlich tönenden Baßstimme.

Hans Hotter als Wotan war stimmlich in guter Form, die Szene mit Fricka und der 3. Akt gelangen am besten. Hingegen war die Erzählung im 2. Akt zu sehr auf Deklamation angelegt. Hier bedeutete dem Regisseur und Dirigenten die Wortdeutlichkeit offenbar alles. Er ließ Hotter  kaum singen, sondern ihn lange Strecken hindurch fast nur sprechen, wobei dies dann vielfach zu einem „Flüstern“ wurde. Hotter kann es auch anders, wir wissen es aus Bayreuth. Zudem war die Maske aus der griechischen Mythologie entlehnt. Die hohe, für Wotan prädestinierte Gestalt Hotters glich eher einem Zeus, denn einem germanischen Göttervater. Beim Feuerzauber stand er einer Riesenstatue gleich auf dem Felsen. Ein überwältigendes Bild!

Wotans Tochter war mit strahlender Stimme und sieghafter Höhe Birgit Nilsson, in der Gestaltung dem Göttervater ebenbürtig!

Aber auch Jean Madeira hatte in der Szene mit Wotan stimmlich ganz große Momente. Ihre hohe Gestalt machte sie optisch zur idealen Partnerin Hotters, lediglich die Wortdeutlichkeit ließ bei ihr einige Wünsche offen.

Karajans Regie (unterstützt durch den Bühnenbildner Emil Preetorius) hatte einige großartige Einfälle (Kampfesszene im 2. Akt, Wegnahme des Lichtes bei dem Sichabwenden des Gottes von Brünnhilde, Feuerzauber), ging aber in einigen entscheidenden Momenten daneben (z. B. „Siehe der Lenz lacht in den Saal“, Todesverkündigung,  2. Akt als Felsenschlucht!). Musikalisch gelang der 3. Akt am besten, der 1. Akt hingegen war, abgesehen von zahlreichen Schmissen im Blech, im musikalischen Ausdruck der Wiedergabe poesiearm, anfangs im Tempo sehr rasch, dann aber wieder eher zerdehnt. Das große Erlebnis vermochte Karajan im 1. Akt nicht zu bieten und ein mäßiger 2. Akt und ein hervorragend gelungener 3. Akt konnten dafür nicht ganz entschädigen.

 

DER ROSENKAVALIER am 3. April

war eine wunderschöne Aufführung unter der bewährten musikalischen Leitung Rudolf Moralts, in deren Rahmen man Gelegenheit hatte, nach längerer Zeit wieder Lisa Della Casa als Marschallin zu hören, die die Partie klangschön sang und ihr guten Ausdruck verlieh. Allerdings scheint die Künstlerin doch noch etwas zu jung für die Partie der Marschallin. Hilde Güden, eine Idealbesetzung der Sophie und die temperamentvolle, prächtig singende Christa Ludwig waren die Partnerinnen von Lisa Della Casa. Ochs und Faninal befanden sich bei Oskar Czerwenka und Karl Kamann in besten Händen. Leider gab es auch in dieser Aufführung einen Wermutstropfen im Freudenbecher, da Ivo Zidek der zwar kurzen aber äußerst schwierigen Partie des Sängers in keiner Weise gewachsen ist.

CARMEN am 4. April

machte uns mit dem Tenor Josef Simandy nun auch auf der Opernbühne bekannt, nachdem er vorher in Wien bereits im Konzertsaal zu hören war. Leider hinterließ er diesmal keinen besonders guten Einruck, denn für einen italienischen Zwischenfachtenor, hat er zu wenig stimmliches Material und eine zu enge und stumpfe Höhe. Carmen selbst war Jean Madeira, die sehr gut disponiert war, aber wieder stark outrierte. Walter Berry gab den Escamillo routiniert und sicher, doch mußte man diesmal im Torerolied seine stimmliche Kraft vermissen. Den Höhepunkt des Abends bildete die Micaela von Hilde Güden, die man als geradezu ideale Micaela bezeichnen kann. Ihr leichter und heller Sopran steht in vorbildlich kontrastierendem Gegensatz zur Figur Carmens.

DIE WALKÜRE am 5. April 1957

Die erste Wiederholungsaufführung gestaltete sich weitaus ergreifender als die Premiere. Das Orchester, das ohne jegliche Nervosität spielte, hatte einen großen Tag und folgte willig der Führung Herbert von Karajans. Auch in der Regie wurde manches verbessert; die Sänger waren vor allem im ersten Akt weitaus günstiger postiert und konnten sich daher auch viel freier entfalten. Musikalisch geriet diesmal vor allem der zweite Akt (Vorspiel!) besonders spannungsreich. Alle Solisten – Birgit Nilsson, Leonie Rysanek, Jean Madeira, Ludwig Suthaus, Hans Hotter und Gottlob Frick – befanden sich in hervorragender Disposition und so kam eine herrliche Aufführung zustande, die würdig die Reihe großer Wagnerabende der Wiener Oper fortsetzte.

TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CATULLI CARMINA) am 6. April

Mit dem Chor, der in diesem Triptychon bekanntlich die Hauptrolle spielt, sollte wohl etwas öfter und sorgfältiger geprobt werden. Die Leistungen der Solisten waren im großen und ganzen gut. Neu im Ensemble war Mimi Coertse, die erstmals die Lesbia sang und sich dieser Aufgabe sehr gut entledigte. Hervorzuheben wäre noch unser Staatsopernballett, von dem wir wissen, daß es seit geraumer Zeit an Einsatzfreudigkeit den anderen Teilen des Ensembles nicht nachsteht.

BALLETTABEND am 7. April

LA BOHEME am 8. April

Nun sang Eugenio Fernandi auch den Rudolf und bewies in dieser Partie erneut, daß seine dramatische Tenorstimme Kraft und Glanz besitzt. Sie ist jedoch nicht einwandfrei geführt und in der Tongebung oft unrein. Alles Schwächen, die bei der Jugend des äußerst sympathischen Italieners noch ausgemerzt werden können. Der solistische Glanzpunkt der Aufführung war die Mimi von Hilde Güden. Ihre glockenreine Stimme mit dem wunderbaren Timbre ist in allen Lagen ideal durchgebildet und wird mit Geschmack eingesetzt. Eine ganz große Leistung! Sehr spielfreudig und stimmlich gut waren Walter Berry, Oskar Czerwenka und auch Hans Braun, sowie die Musette von Ljuba Welitsch. Ein Kabinettstück ganz großer Schauspielkunst war wieder der Hausherr des großen Künstlers Alfred Jerger. Berislav Klobucar dirigierte diesmal sehr temperamentvoll, wenn auch einige Stellen dennoch etwas zu langatmig gerieten.

ALKESTE am 9. April

In dieser Aufführung gab sich Michael Gielen am Dirigentenpult keinerlei Mühe, den verfahrenen Karren in Fahrt zu bringen. Dazu hatte Hilde Zadek noch mit einer Indisposition zu kämpfen und sang sich erst in der Arie „Oh, Götter ewiger Nacht“ etwas frei. Karl Kamann sang den Oberpriester. Daß man diesem so verdienten Sänger jetzt plötzlich nur Lückenbüßerpartien gibt, die ihm noch dazu nicht einmal besonders gelegen sind, ist eine sehr traurige Angelegenheit! Der glänzend disponierte Anton Dermota und die übrigen Sänger und Darsteller der kleineren Partien retteten die Ehre dieser Aufführung, die einer gründlichen Auffrischung bedurft hätte.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 10. April

Es war eine gute Repertoireaufführung. Dies ist in erster Linie Erika Köth und Anton Dermota zu danken, die ihre technisch schwierigen Partien mit allem Glanz und Nuancenreichtum ihrer Stimmen erfüllten. Auch Endre Koréh als Osmin war köstlich und ansprechend, obzwar ihm die deutsche Sprache immer noch Schwierigkeiten bereitet. Der springlebendige Murray Dickie macht durch sein helles Organ die Frohnatur des Pedrillo sehr glaubhaft. Emmy Loose spielte ein reizendes Blondchen. Michael Gielen leitete die Aufführung wenig präzise.

LA BOHEME am 11. April

Auch in dieser Aufführung sang Eugenio Fernandi den Rudolf, der sich seinem vorangegangenen und bereits besprochenen Auftreten gegenüber in dieser Partie wenig verändert hatte. Seine Partnerin war diesmal Sena Jurinac, die die Mimi zu ihren besten Partien zählen kann. Sie ist der Prototyp und das Idealbild der „deutschen“ Mimi. Dies zeigt sich auch, wenn die große Künstlerin – so wie diesmal – die Partie italienisch singt. Wir freuen uns, Gelegenheit gehabt zu haben, die beiden besten Sängerinnen und Darstellerinnen der Mimi – Hilde Güden und Sena Jurinac – so knapp hintereinander zu hören.  Es gab einen sehr interessanten Vergleich, der beide Künstlerinnen neidlos nebeneinander bestehen läßt. Hans Braun fügte sich als Marcel gut ins Ensemble, während Ljuba Welitsch leider abermals einen schwachen Tag hatte. Im großen und ganzen war es aber wieder eine recht gute Repertoirevorstellung.

BALLETTABEND am 12. April

DIE ZAUBERFLÖTE am 13. April

Der größte Impuls ging an diesem Abend vom Orchester unter der Leitung Rudolf Moralts aus. Man freute sich, nach den vorangegangenen Aufführungen Mozarts meisterhafte Musik endlich wieder gelöst und exakt wiedergegeben zu hören. Die Sänger boten ihre bekannten Leistungen. Wir wollen aus dem Ensemble die überdurchschnittlichen Leistungen von Lisa Della Casa als Pamina, Walter Berry als Papageno und Josef Greindl als Sarastro hervorheben.

DON CARLOS am 14. April

Recht gut gelang diese Aufführung. Den Hauptanteil am Gelingen dieser Vorstellung hatte Josef Greindl, der stimmlich bestens disponiert, dem König Philipp die Züge des absoluten Herrschers verlieh und diese fesselnde Opernfigur in den Mittelpunkt der Aufführung rückte. Weitere Stützen der Aufführung waren Eberhard Wächter als Posa und Christa Ludwig als Eboli. Hans Hopf in der Titelpartie hinterließ zwiespältigen Eindruck. Gegenüber den März-Aufführungen zeigte er sich jedoch stimmlich nun wieder besser. Wir wollen hoffen, daß er die schwierige Partie des Infanten wieder so gut singt, wie wir es von ihm aus dem Theater an der Wien in Erinnerung haben. Einen sehr schwachen Tag hatte die sonst verläßliche Hilde Zadek. Zu ihrem starken Tremolo in den hohen Lagen kamen auch noch zu stark forcierte und manchmal falsche Spitzentöne. Edmond Hurshell zerbrüllte die Szene Großinquisitor-König Philipp. Armer König! Berislav Klobucar war der musikalische Leiter der Aufführung, die ihre Höhepunkte im 1. Akt, in der Szene Philipp – Posa und im Königskabinett hatte (nachdem der Großinquisitor abgegangen war).

 

OTHELLO am 15. April, Neuinszenierung

„Der neue italienische Othello in Wien“

Niemand, der in der Zeit von 1945 bis zur Schließung des Theaters an der Wien ein eifriger Opernbesucher war, wird je die begeistert umtosten Aufführungen von Verdis Meisteroper vergessen können. Sie waren in der damaligen budgetarmen Nachkriegszeit ein einmaliges Erlebnis. Der Name Joseph Krips, Hilde Konetzni bzw. Maria Reining, Max Lorenz und Paul Schöffler waren mit dem „Othello“ untrennbar verbunden. Es war zwar ein deutscher „Othello“, doch die Welt durfte uns um ihn beneiden. Wie gespannt sahen wir daher der zweiten Karajan-Premiere entgegen, die uns nach fast zweijähriger Entbehrung wieder dieses Meisterwerk bringen sollte. Gespannt deshalb, weil es ein italienischer „Othello“ zu werden versprach, eine Art Bewährungsprobe der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen der Mailänder Scala und der Wiener Staatsoper, da ja nur eine einzige Hauptpartie von einer Wienerin interpretiert wurde. Man erwartete, daß mit unserem Opernchef am Pult eine rein vom orchestralen her großartige Aufführung zustande kommen würde. In diesem Punkte wurden wir - von einigen ungewohnten Tempomodifikationen abgesehen (z.B. das rasche und - im Orchester - zu laute Racheduett) - auch kaum enttäuscht.

Die Aufführung strahlte große Leuchtkraft, Prägnanz und Dynamik aus, an der alle beteiligten Künstler – Dirigent Sänger, Chor und nicht zuletzt unsere herrlichen Philharmoniker – gleichen Anteil hatten. Herbert von Karajan zwingt seinen eisernen Willen auch der Bühne auf, läßt aber andererseits auch dem einzelnen Sänger entsprechende Freiheit, wenn er beispielsweise eine Fermate aussingen will. Am sichersten beherrscht Karajan den Chor. Wir erleben einen Sturm von aufwühlender Wirkung, der musikalisch und optisch keinen Wunsch offen ließ. Die Massenszenen gelangen also sehr gut.

Weniger glücklich war Karajans Regie in der Postierung der Solisten. So wäre es besser gewesen, wenn Othello seinen Auftritt weiter vorne gesungen hätte, denn die gewiß enorme Stimme von Mario del Monaco klang an dieser Stelle stark gedämpft. Hingegen stimmen wir gerne zu, wenn die beiden Liebenden am Ende des ersten Aktes – zu den Plejaden aufblickend – dem Publikum abgewendet singen. Im dritten Akt meinten wir fast, der Beginn von Othellos Monolog wäre ins Hotel Sacher verlegt worden, so weit hinten hatte der Titelheld laut Regie zu stehen. Einwandfrei gelang der vierte Akt, auf den wir noch zu sprechen kommen werden.

Nun zu den Solisten. An ihrer Spitze stand Mario del Monaco als Träger der Titelpartie. Karajan ließ sich seinen Othello etwas kosten und verpflichtete den wohl derzeit besten Sänger Italiens für diese Rolle. Sein wohlklingender und überaus tragfähiger Tenor, der das Orchester – wenn er eben nicht geradezu ungünstig postiert ist – mühelos übertönt, war die „besonderen Preise“ wert. Daß Monaco nicht nur ein Brüller ist, hat er wohl mit dieser Partie zur Genüge bewiesen. Allerdings einen anständigen Pianoton darf man von ihm nicht erwarten. Darstellerisch war Monaco im zweiten Akt vielleicht eine Spur zu farblos, während in den letzten beiden Akte seine schauspielerischen Qualitäten ausgezeichnet zur Geltung kamen. Die Sterbeszene, in der gesanglicher Ausdruck mit ergreifendem Spiel vorbildlich vereint waren, wird wohl noch lange in Erinnerung bleiben.

Sein Partner Anselmo Colzani als Jago war eine Fehlbesetzung, denn es fehlte ihm vor allem das Metall in der Stimme und die durchschlagskräftige Höhe. Darum waren seine schwächsten Momente Credo und Racheduett, während die lyrischen Stellen (Traumerzählung) besser gelungen waren. Das Spiel war rein konventionell das eines Theaterbösewichtes. Gewiß Herr Colzani hatte gegen die in Wien unerreichten Vorbilder eines Schöffler und Hotter anzukämpfen, aber sein Kampf war in jeder Hinsicht aussichtslos. (Warum man Schöffler den Jago, der doch zu seinen Glanzpartien zählt, nicht anvertraut hatte, ist uns unverständlich!)

Leonie Rysanek sang eine ausgezeichnete Desdemona. Sie war dem Titelhelden ebenbürtig! Ihr warmer, strahlender Sopran – sie besitzt ein technisch einwandfreies piano – fügte sich vorbildlich ins italienische Ensemble. Ihr Spiel war innig empfunden und ausdrucksstark und so bildete ihre Leistung den unbestrittenen Höhepunkt der Aufführung. Den Gipfelpunkt von Frau Rysanek grandioser Leistung bildete der Vortrag des Liedes von der Weide, wie der vierte Akt überhaupt der beste der Aufführung war, hier fanden sich die kongenialen Leistungen von Mario del Monaco und Leonie Rysanek zu einer glücklichen Einheit zusammen.

Den Cassio sang Giuseppe Zampieri mit leichtem unbeschwerten Tenor, während er im Spiel manchmal etwas unbeholfen wirkte. (Ob er wohl der richtige Florestan für Salzburg sein wird?)

Anna Maria Canali wirkte bloß durch ihren optischen Eindruck und auch Frederick Guthrie enttäuschte als Lodovico diesmal ein wenig. Auch die anderen Nebenrollen hätten Kräfte der Wiener Oper studieren können; einen Vergleich hätten sie jedenfalls ausgehalten!

Zum Unterschied zu der vorangegangenen Walküre, in der die Kostüme eine mehr untergeordnete Rolle spielten, hatten wir bei Othello Gelegenheit, die Kostüme von George Wakhevitch in ihrer Farbenpracht zu bewundern. Sie paßten gut zu den wirkungsvollen Bühnenbildern Wilhelm Reinkings, die die südliche, schon orientalische Atmosphäre unter guter Ausnutzung der Lichteffekte trefflich wiedergaben. Nur in den Rahmen des dritten Aktes paßte das Kostüm des Titelhelden kaum, das mit einer Feldherren- und Befehlshaberkleidung wenig Ähnlichkeit zeigte.

Alles in allem war diese Aufführung schon eine Tat Karajans, die berechtigte Hoffnung für die kommenden Monate und Jahre der Wiener Staatsoper zuläßt. Wir wollen ihm dafür danken, und damit unsere Hoffnung für die Zukunft stärken. Mag auch noch so mancher Wunsch offen geblieben sein, so dürfte es aber doch hier am Platze sein ein Wort darüber zu sprechen, daß die Wiener Oper wahrscheinlich wirklich dieses Mannes bedurfte, um in Zukunft der Welt wieder zu zeigen, was unsere Oper noch leisten kann. Wägen wir die Licht- und Schattenseiten beider Karajan-Inszenierungen gegeneinander ab, dann werden wir neidlos anerkennen müssen, daß nun wieder ein Licht am Wiener Opernhimmel aufzuleuchten beginnt, das bereits jetzt kleinere Schatten überstrahlt. Aber wir wollen hoffen, daß diese kleineren Schatten das Licht bald nicht mehr stören. Vergessen wir aber über den illustren Gästen unsere eigenen großen Künstler nicht. Auch Herbert von Karajan soll es nicht tun, auch darum bitten wir ihn!

OTHELLO am 18., 21., 27. und 30. April

Die erste Wiederholungsvorstellung von Othello gestalte sich leider weitaus schwächer, während die folgenden Aufführungen sogar weitaus bessere Aufführungen als die Premiere selbst waren: Am 21. April und in der letzten Aufführung war Mario del Monaco besonders gut disponiert. In Laufe dieser Vorstellungsreihe wuchs auch Anselmo Colzani in seinen stimmlichen Leistungen. Das Problem jedoch, daß er dem Charakter und der Figur des Jago in keiner Weine nahe kommt, bleibt weiterhin offen. Leonie Rysanek war in allen Aufführungen hervorragend

 

DON GIOVANNI am 16. April

Für diese Aufführung stand endlich wieder ein Mozart-Dirigent am Pult. Karl Böhm setzte starke Impulse, und so fielen kleinere Schwächen der Aufführung wesentlich weniger als sonst auf. Die Besetzung der Damenpartien war recht ungleichmäßig, denn Sena Jurinac überragte ihre Partnerinnen Hilde Zadek und Emmy Loose turmhoch. Harald Pröglhöf ist auch nicht ganz der richtige Masetto für ein Wiener Mozartensemble. Paul Schöffler, Erich Kunz und Anton Dermota, drei hervorragende und seit Jahren auf’s beste bewährte Mozartsänger, schienen noch konzentrierter als sonst. Josef Greindl war ein ausdrucksstark singender, mächtiger Komtur. Eine vielbejubelte Aufführung von beachtlichem Niveau.

ARIADNE AUF NAXOS am 17. April

Sena Jurinac sang einen hinreißenden Komponisten. An einigen Stellen ließ sie sich allerdings von ihrem Temperament zu sehr zum Forcieren hinreißen, worunter ihr schönes Timbre etwas zu leiden hatte. Ihr Partner Paul Schöffler stellte wieder seinen wahrhaft meisterhaften und unübertroffenen Musiklehrer auf die Bühne. Lisa Della Casas Ariadne bereitete wieder einen großen Kunstgenuß, obgleich sie diesmal ihre Stimme nur bei ihrer großen Arie voll entfaltete. Hans Hopf war in besserer Form als man es von ihm in letzter Zeit gewohnt war. Erika Köth als Zerbinetta entfaltete an diesem Abend nicht ganz den üblichen Glanz, dennoch war ihre Leistung hervorragend. Auch die Nebenrollen konnten durchwegs das gute Niveau der Vorstellung halten. Das Orchester spielte unter Karl Böhms Leitung großartig. Besonders hervorzuheben wäre das Duett Ariadne – Bacchus.

OTHELLO am 18. April

unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere vom 15. April besprochen

KEINE VORSTELLUNG am 19. April, Karfreitag

DIE WALKÜRE am 20. April

Diese Aufführung im Zeichen herrlicher Gesangsleistungen, großer Persönlichkeiten und einer guten Orchesterleistung. In unserem neuen Walküre-Ensemble sang Martha Mödl, stimmlich bestens disponiert, erstmals im neuen Haus die Brünnhilde. Die große Künstlerin zeigte vorbildlich, wie diese schwierige Partie heute gespielt werden soll, aber Martha Mödl spielt die Brünnhilde nicht nur, sie ist schlechthin ihre Idealverkörperung. Und vor allem war sie den hohen Lagen diesmal voll und ganz gewachsen.

Gut gefallen konnte die debütierende Aase Nordmo-Loevberg, die eine technisch einwandfreie, starke und dramatische Stimme besitzt. Die für die Sieglinde erwünschte stimmliche Wärme hat sie allerdings nicht. Auch Ira Malaniuk stellte sich in einer neuen Partie vor: Ihre Fricka ist eine stimmlich und darstellerisch ansprechende, germanische Göttergestalt.

Einen ganz hervorragenden Tag hatte Hans Hotter, bei dem zu der überragenden Darstellung noch eine vollendete stimmliche Leistung kam. Mit ihm steht einer der größten Künstler unserer Tage auf der Bühne!

Auch Ludwig Suthaus war hervorragend disponiert und hielt diesmal den schwierig zu singenden ersten Akt fast bis zum für ihn gefährlichen Schluß mühelos durch. Sein stimmlicher Ausdruck verdient ein besonderes Lob.

Gottlob Frick zeigte wieder seinen imponierenden Hunding mit seinem konkurrenzlosen, rabenschwarzen Baß. 

Herbert von Karajan milderte seine in den beiden ersten Vorstellungen gezeigten Eigenwilligkeiten und leitete so gelockert und doch hinreißend diesen hervorragenden Wagnerabend.

OTHELLO am 21. April

unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere vom 15. April besprochen.

MANON LESCAUT am 22. April

Damit kam wieder der Opernalltag zu Worte, verständlich, denn man kann nicht jeden Abend Feste feiern. Berislav Klobucar war der umsichtige und verständnisvolle Dirigent des Abends. Die Regie hat noch keinen Staub angesetzt und war mit Lust und Liebe bei der Sache. Die erfreulichste Gesangsleistung war der Lescaut von Walter Berry. Hier haben wir einen jungen Künstler vor uns, der ständig an sich arbeitet und hörbar weiß, was er will. Ivo Zidek bot seine bekannte Durchschnittsleistung und bemühte sich redlich, ohne viel Wirkung zu erzielen. Seine Stimme ist im Timbre unpersönlich. Die Sängerin der Titelpartie, Carla Martinis, dürfte zur Zeit viel Sorgen mit ihrer Stimme haben, denn wieder war so manche Stelle zu tief gesungen, nur die Spitzentöne gemahnten an ihre gute Zeit und lassen doch ein bißchen Hoffnung aufkommen, daß sie sich doch wieder erholen wird.

DER ROSENKAVALIER am 23. April

sank beträchtlich unter das Niveau, das die letzte Aufführung dieses Werkes hatte. Hilde Zadeks Marschallin bleibt in Spiel und Gesang leider farblos. Dazu hatte Sena Jurinac keinen besonders guten Tag, denn ihre Stimme klang müde und in den hohen Lagen nicht ganz frei, auch Teresa Stich-Randall konnte den müden Eindruck, den dieser Abend auf das Publikum machte, nicht bessern. Ihr harter Sopran, der in exponierter Lage schrill und mitunter unangenehm wirkt, eignet sich für die Sophie denkbar wenig. Am besten gelang den drei Damen das Terzett im dritten Akt. Stilecht wie immer war der bewährte Karl Kamann als Faninal; einen routinierten Sänger gab Anton Dermota. Oskar Czerwenka brachte den Ochs zwar humorvoll, jedoch ohne besondere Sorgfalt. Am Pult waltete Heinrich Hollreiser: Seine Tempi stehen in keiner Partitur; verhetzte und verschleppte Stellen wechseln in bunter Reihenfolge. Auch Richard Strauss liegt ihm nicht!

ELEKTRA am 24. April

Diese Vorstellung wurde vom Strauss-Apostel Karl Böhm geleitet und war eine erstklassige Aufführung. Christl Goltz, Leonie Rysanek, Elisabeth Höngen, Paul Schöffler und Ludwig Suthaus bildeten ein geradezu ideales Ensemble. Das Orchester spielte prachtvoll und wir können mit Stolz sagen: Seht her, das ist die Wiener Staatsoper!

TURANDOT am 25. April

Leider erhielt man am folgenden Tag durch diese deprimierende Aufführung wieder einen gewaltigen Rückschlag. Carla Martinis ließ nur erahnen, daß sie einmal eine sehr gute Turandot gewesen war. Karl Terkal ist der Kalaf ganz und gar nicht gelegen. Einem lyrischen Tenor, noch dazu keinem erstklassigen, kann der Kalaf auch nicht liegen! Dies ist für jeden erfahrenen Opernbesucher eine Selbstverständlichkeit. Josef Greindl, sehr gut disponiert, war durch seine große Schauspielkunst als Timur der Mittelpunkt des Abends. Teresa Stich-Randall ist eine recht gute, lyrische Liu.

CARMEN am 26. April

In dieser Vorstellung sahen wir Martha Mödl in der Titelpartie. Als Künstlerin von Format meidet sie erfreulicherweise in dieser Rolle jeden Hollywood-Einschlag. Vom darstellerischen Standpunkt aus ist sie die beste Carmen des Hauses. Leider hatte sie gesanglich etwas unter der Ungleichmäßigkeit des Dirigenten Heinrich Hollreiser zu leiden. Daneben war Hilde Güden als Micaela großartig, und Hans Hopf hatte einen sehr guten Abend und konnte seine Zuhörer (vom ersten Akt abgesehen) zufrieden stellen. Besonders die letzte Szene gelang sehr gut. Seinen bisher besten Tag in dieser Saison hatte Josef Metternich, der den Escamillo zwar sehr stark forcierte, aber durch eine gut geführte und sichere Höhe großen Eindruck erzielen konnte.

OTHELLO am 27. April

unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere vom 15. April besprochen.

DON CARLOS am 28. April

Diese Aufführung stand im Zeichen großer Leistungen von Martha Mödl, Christl Goltz und Josef Greindl, die sowohl stimmlich wie auch darstellerisch voll überzeugen konnten und der Vorstellung hohes Niveau gaben. Josef Metternichs stimmkräftiger Posa litt unter zu starkem Forcieren und schauspielerischer Blässe. Hans Hopf sang einen mäßigen ersten Akt, erholte sich aber im Verlauf des Abends zusehends. Frederick Guthrie war ein herrlich und edel singender Mönch. Langsam empört Edmond Hurshell mit seinem brüllenden Großinquisitor das Stammpublikum!!! Die musikalische Leitung Berislav Klobucars war diesmal leider etwas schwerfälliger und zu temperamentlos.

TANNHÄUSER am 29. April

Aase Nordmo-Loevberg stellte sich nun auch als Elisabeth vor. Ihre schöne und große Stimme ist aber gerade für diese innige Wagner’sche Frauengestalt etwas zu kalt. Die Titelpartie sang Wolfgang Windgassen, der uns wieder einmal bewies, daß seine Stärke im Lyrischen und nicht im Dramatischen liegt. Einem schön gesungenen ersten Akt folgte ein wenig erschütternder und auch gesanglich schwacher zweiter Akt („erbarm dich mein!“). Die untadelig gesungene Romerzählung war diesmal sehr eindrucksvoll. Er bot im großen und ganzen eine sehr gute Leistung, die jedoch gerade für den Tannhäuser zu wenig packend und fesselnd blieb. Eberhard Wächter und Josef Greindl waren als Wolfram und Landgraf bestens am Platz und trugen ebenso wie Julius Patzak, der die kleine Partie des Walther wieder großartig und ausdrucksstark gestaltete, zum Gelingen eines guten Wagner-Abends bei. Stimmlich zu schwach war diesmal Margarita Kenney als Venus. Daß Heinrich Hollreiser den Anforderungen eines Wagner-Dirigenten an der Wiener Staatsoper nicht entspricht, haben wir schon hinlänglich festgestellt.

OTHELLO am 30. April

unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere vom 15. April besprochen.

 

ZURÜCK