DER MAI 1957
2. Jahrgang, Heft 6
Die Aufführungen unserer Oper standen in diesem Monat im Zeichen hervorragender und weltberühmter Dirigenten. Diese erfreuliche Erscheinung begann bereits am ersten Tag des Monats, an dem Herbert von Karajan abermals eine Aufführung seiner neueinstudierten „Walküre“ leitete, setzte sich dann mit Josef Krips, Mario Rossi, Antonino Votto und Joseph Keilberth fort und endete schließlich mit einer hervorragenden „Ariadne“ am letzten des Monats unter Karl Böhm. Es schien mit einem Schlage die Dirigenten-Krise überwunden und das Niveau der Vorstellungen auch dann wesentlich gehoben, wenn auf der Bühne nicht immer alles gerade auf das glücklichste gelang. Hoffentlich werden wir nicht nur in den diesjährigen Festwochen eine Fortsetzung in dieser Hinsicht erwarten dürfen, sondern wir hoffen auch in der nächsten Saison wieder regelmäßig wirklich bedeutende Dirigenten am Pult der Wiener Oper begrüßen zu dürfen.
DIE WALKÜRE am 1. Mai
Herbert von Karajan leitete also, wie bereits erwähnt, das Monat mit einer großartigen und festlichen Walküre-Aufführung ein. Brünnhilde war diesmal wieder Birgit Nilsson stimmlich bestens disponiert, die ihren Höhepunkt in der Interpretation des dritten Aktes erreichte. Aase Nordmo-Loevberg verbesserte als Sieglinde ihre stimmliche Leistung gegenüber ihrem ersten Auftreten in dieser Partie. Leider fehlt aber ihrer typisch nordischen Stimme jene Wärme, die gerade für die Sieglinde unerläßlich ist. Ira Malaniuk als würdige Fricka ergänzte das Damenensemble auf das glücklichste und bot ihre bisher beste Leistung in dieser Saison.
Ludwig Suthaus überraschte uns in seiner derzeitigen stimmlichen Verfassung aufs neue. Abgesehen vom Schluß des ersten Aktes, der ihm stets Schwierigkeiten bereitet, bot er eine untadelige Leistung. Wir gestehen gerne, daß wir auf Grund seines Auftretens vor einigen Jahren im Theater an der Wien die künstlerische Kapazität des Künstlers unterschätzt hatten. Wir freuen uns ehrlich über seinen Siegmund. Hans Hotter war wieder der ideale Wotan; leider mußte man sich an diesem Abend von dem großen Künstler für diese Saison verabschieden. Wir hoffen, ihn in der nächsten Saison wieder für längere Zeit in Wien sehen zu können. Gottlob Frick stellte wieder seinen markigen und gut charakterisierten Hunding auf die Bühne.
ELEKTRA am 2. Mai
Diese Vorstellung war wieder in gewohnt guter Qualität zu hören. Wie immer war Christl Goltz eine unvergleichliche Interpretin der Titelrolle. Neben ihr konnte aber auch Hilde Zadek, ausgezeichnet disponiert, gut gefallen. Zwei große Künstlerpersönlichkeiten, Elisabeth Höngen und Paul Schöffler, gaben außerdem noch ihr Bestes zum Gelingen der Vorstellung. Karl Böhm zeigte sich neuerlich als Strauss-Spezialist und erleichterte diesmal durch eine Mäßigung der Klangstärke des Orchesters den Sängern ihre Arbeit, ohne daß er die dynamische Wirkung des Werkes vermindert hätte.
OTHELLO am 3. Mai
Es fand die vorletzte Vorstellung dieser Serie mit Mario del Monaco statt. Sie zeigte den Star-Tenor in besonders guter Verfassung. Er sang nur mehr die unumgänglich notwendigen Stellen in Piano – das er ja leider nicht hat – und konnte im Monolog und Tod die Qualität seiner Plattenaufnahmen erreichen. Anselmo Colzanis Jago konnte auch diesmal nicht überzeugen, zumal auch die Traumerzählung recht schwach war, die sonst wenigstens aus seiner mäßigen Leistung etwas hervorragte. Leonie Rysanek war abermals eine großartige Desdemona und Herbert von Karajan brachte das Orchester auf das seit der Neuinszenierung gewohnte Niveau.
DER ROSENKAVALIER am 4. Mai
Diese Aufführung war von verschiedenen Seiten besonders deshalb groß angekündigt worden, weil Otto Edelmann zum ersten Mal im neuen Haus auftrat. Wir kennen den Lerchenauer von Otto Edelmann von früher und von den Münchner Festspielen und wir wußten, daß diese Partie zu seinen besten zählen kann. Dies vor allem deswegen, weil er am ehesten noch im schwereren komischen Fach zu Hause ist und natürlich als geborener Wiener den lerchenauerischen Ton leicht trifft. Stimmlich hat er, verglichen mit der Theater-an-der-Wien-Zeit, wohl etwas gewonnen, die Stimme scheint kräftiger zu sein, jedoch ist die Höhe im Klang eher eng und dünn. Die bekannte und bewährte Besetzung der übrigen Partien mit Lisa Della Casa, Sena Jurinac, Hilde Güden, Karl Kamann und Karl Terkal befand sich auf der Höhe ihrer Aufgaben. Karl Böhm war der verläßliche Dirigent des Abends. Allerdings scheint er zur Elektra eine wesentlich stärkere innere Beziehung zu haben.
SALOME am 5. Mai
In der guten Repertoirevorstellung konnte man wieder Rudolf Moralt am Pult begrüßen. Warum man diesen um die Wiener Oper so verdienten Dirigenten plötzlich viel zu wenig beschäftigt und ihn in den Festwochen im großen Haus gar nicht einsetzt, bleibt wohl ein streng gehütetes Geheimnis der Direktion. Man konnte sich an diesem Abend abermals davon überzeugen, daß er ein sehr guter Strauss-Interpret ist. Christl Goltz gestaltete die Titelpartie wieder faszinierend, obwohl die Stimme diesmal leicht ermüdet klang. Alfred Poell sprang als Jochanaan ein. Leider ist der sympathische Künstler nicht gerade die Idealverkörperung des Propheten aus der Wüste. Angenehm fiel Ivo Zidek als Narraboth auf. Diesen Sänger sollte man in kleineren Rollen einsetzen und damit eine Überforderung seines gewiß vorhandenen Materials, das aber einer richtigen Schulung bedarf, vermeiden.
OTHELLO am 6. Mai
Wir hörten Mario del Monaco das letzte Mal als Othello. Er schien uns den Abschied von ihn schwer machen zu wollen. Abgesehen von seinen Intonationsschwierigkeiten im Liebesduett, das seiner schweren heldischen Stimme nicht liegt, steigerte er von Akt zu Akt seine Leistung, die er wieder mit einem sehr gut gespielten und gesungenen vierten Akt krönte. Leonie Rysanek, die derzeit unerreichbare Desdemona, stand im Mittelpunkt stürmischer Ovationen. Anselmo Colzani konnte sich diesmal etwas verbessern, aber trotzdem muß immer wiederholt werden, daß ihm der Ausdruck für den Jago fehlt. Herbert von Karajan war voll in seinem Element. Diese letzte Othello-Aufführung in Premierenbesetzung war die beste der ganzen Serie.
FIDELIO am 7. Mai
Die Wiederkehr von Josef Krips brachte uns eine jener sicheren und geschlossenen Aufführungen, wie wir sie aus den ersten Jahren im Theater an der Wien gewohnt waren. Der Fidelio, die erste große Enttäuschung im neuen Haus, hat seit der Premiere durch zahlreiche, oft ungünstige Umbesetzungen und besonders durch Verschlampung im Orchester noch mehr gelitten. Josef Krips hat diesem unwürdigen Zustand ein Ende gesetzt. Seine musikalische Leitung war vom ersten Takt an konzentriert und dramatisch. Die sicher geführten Sänger, die jetzt erfreulicherweise ein Ensemble bilden und nicht mehr eine Ansammlung von qualitativ äußerst unterschiedlichen Kräften waren, gaben ihr Bestes. Die gastierende Inge Borkh sang die Titelpartie mit großer, aber in der Höhe nicht einwandfrei sitzender Stimme. In der Darstellung konnte sie nicht ganz überzeugen, sie fügte sich aber diszipliniert in das Gesamtkonzept der Aufführung ein. Wilma Lipp war dank ihrer innigen Stimme eine Marzelline mit herzlichem Ausdruck. Wolfgang Windgassen zeigte sich als Florestan in einer stimmlich sehr guten Verfassung. Paul Schöffler beeindruckte stimmlich und schauspielerisch in gleicher Weise. Walter Berry sang zum ersten Male den Minister. Er gestaltete die Partie intelligent und sang sehr kultiviert. Waldemar Kmentt, der ausgezeichnete Jacquino unserer Oper fügte sich sehr gut in das geschlossene Ensemble. Was aber ist in Josef Greindl gefahren? Nicht nur, daß er stark outrierte, war er auch stimmlich in keiner guten Verfassung. Über die verunglückte Inszenierung, die nur geringfügige Retuschen erhalten hatte, sah man angesichts der guten musikalischen Werte des Abends leichter hinweg.
DON CARLOS am 8. Mai
brachte Otto Edelmann nun auch als König Philipp auf die Bühne. Aber seine Stimme besitzt zu wenig dunkle Tiefe und auch zu wenig Ausdruck, um den Charakter zu zeichnen. Darstellerisch blieb er gleichfalls völlig farblos. Er brachte einen behäbigen „Edelmann“ auf die Bühne, aber keinen hoheitsvollen König. Ausgezeichnet war dagegen Martha Mödl als Eboli, deren große Arie den Höhepunkt des Abends bildete. Diese hervorragende Künstlerin ist auch eine der größten Schauspielerinnen der gegenwärtigen Opernbühne. Christl Goltz gab als Königin Elisabeth ihr Bestes, sie sang wie immer makellos, aber leider ist ihr diese Partie nicht gelegen. Ivo Zidek zeigte als Infant einige Male, daß er Besitzer einer vollen und schönen Tenorstimme ist. Leider preßte er manche Töne zu stark und hatte außerdem mit der deutschen Sprache einen schweren Kampf auszufechten. Eberhard Wächter als Posa konnte diesmal nicht vollständig überzeugen. Stimmlich forcierte er in den höheren Lagen zu stark. Berislav Klobucar zeigte diesmal ein Temperament, das man in letzter Zeit bei ihm oft vermissen mußte.
FIDELIO am 9. Mai
war eine Wiederholung der bereits am 7. in gleicher Besetzung unter Josef Krips stattgefunden und besprochenen Vorstellung.
BALLETTABEND am 10. Mai
CARMEN am 11. Mai
Martha Mödl gab der Vorstellung ihr Gepräge. Sie vermochte auf intelligente Art und Weise das Schicksal des Zigeunermädchens glaubhaft zu machen. Stimmlich war sie bestens disponiert und konnte insbesondere im Schlußduett größte Wirkung erzielen. Leider hatte sie in Josef Simandy, dessen Naturstimme keine heldischen Spitzentöne besitzt, einen viel zu blassen Partner. Josef Simandys Don José fehlt in den beiden letzten Akten jede Dynamik. Hilde Güden und Walter Berry konnten mit großartigen Leistungen aufzuwarten. Heinrich Hollreiser am Pult konnte nicht alle Feinheiten der Partitur ausschöpfen, aber bot diesmal immerhin passablen Durchschnitt.
TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CATULLI CARMINA) am 12. Mai
Wir ersparen uns diese Rezension, weil wir uns lieber die Carmina Burana konzertant unter der Leitung von Joseph Keilberth anhörten.
DER ROSENKAVALIER am 13. Mai
Karl Böhm hatte wieder die sichere musikalische Leitung inne und die charmanten Damen Lisa Della Casa, Hilde Güden und Christa Ludwig, die mit ihren Stimmen wie immer die Zuhörer erfreuten, gewährleisteten einen guten Strauss-Abend. Otto Edelmann konnte darstellerisch mit den Damen nicht Schritt halten, dazu war er viel zu plump und derb. Stimmlich war er auch schwächer als bei seinem Debüt, denn die Höhen klangen besonders halsig und eng.
DON CARLOS am 14. Mai
Mario Rossi ist ein großartiger Dirigent. Überlegene Ruhe, sicheres Stilgefühl, innere Spannung, groß angelegter Aufbau im großen wie im kleinen, alles hervorragende Eigenschaften, die Mario Rossi sein eigen nennen kann. So wurde auch dieser Abend durch das Wirken eines in Wien sehr geschätzten Dirigenten aus Verdis Heimatland geprägt. Otto Edelmann als Philipp war leider sehr farblos, sowohl in der Darstellung wie auch im stimmlichen Ausdruck. Christl Goltz aber und an diesem Abend besonders Martha Mödl gaben der Bühne, was der Bühne ist. Die Künstlerin erfüllte ihre Partie mit stärkstem, dramatischen Ausdruck und hatte ihre Stimme gut in der Gewalt. Es war ein großer Abend von Martha Mödl. Eberhard Wächter als vorzüglicher Posa und Ivo Zidek – er scheint gute Fortschritte zu machen – als passabler Carlos waren die Träger der übrigen Hauptpartien.
AIDA am 15. Mai, Gastspiel der Mailänder Scala
Wiederholung am 18., 21. und 24. Mai
Mit großer Spannung wurde die Aida als Ensemble-Gastspiel der Mailänder Scala erwartet, das am 15. zum ersten Mal stattfand. Die italienischen Sänger sind heute nicht immer ebensolche Gesangskünstler wie manche ihrer deutschen Kollegen. Vor allem die Kunst des Pianosingens scheint in den letzten Jahren in Italien oft vernachlässigt worden zu sein. In schauspielerischer Hinsicht stehen sie unseren deutschen guten – leider gibt es auch hier nur ganz wenige – Sänger-Schauspielern fast ausnahmslos nach. Die meisten Italiener produzieren nämlich nur hin und wieder einige gut studierte Gesten. Die Tempi, die sie wählen, sind häufig wesentlich breiter, als wir sie von unseren einheimischen Kräften gewöhnt sind, wenn sie italienisch Opern singen. Doch welch ein Reichtum an Ausdruck liegt in diesen Stimmen, wenn die Italiener Liebe, Haß, Heimweh, Stolz, Rache und Verzweiflung in Musik umsetzen. Und dies geschieht mit einem tüchtigen Schuß Theatralik und beinahe einem kleinen Augenzwinkern, mit dem sie sagen wollen: „Nehmt es doch nicht so ernst, wir sind ja nur in der Oper!“ Wirklich bewundern mußte man an den italienischen Gästen das vollendete Aussingen der Phrasen. Es klingt so gar nicht „gekonnt“ und niemals „einstudiert“. Man hat den Eindruck, als müßten sie so singen und als gäbe es keine andere Möglichkeit als diese vollkommene Natürlichkeit.
Den Hauptanteil am Gelingen des Abends hatte zweifellos der Dirigent Antonino Votto. (Er ist der Spitzendirigent der Sparte „Große Oper“ an der Mailänder Scala und nimmt damit unter den italienischen Maestri einen hohen Rang ein. Dies zur Belehrung von Herrn „Y“ im „Neuen Österreich“.) Unter seinen Händen entfaltete das Orchester blühenden Klang und feinste Differenzierung. Obwohl er die Aufführung fest in der Hand hatte, zeigte er den Sängern gegenüber doch die größte Rücksichtnahme, und der Orchesterklang trug auch im forte die Stimmen, statt zu decken. Kraftvolle Dynamik im Aufbau (Finale des zweiten Aktes), poetische Klangmalerei (Vorspiel zum Nilakt) und – gerade durch die langsamen Tempi unterstützt – höchste Spannung (Amneris-Szene!) machten die Aufführung zu einem tiefen Erlebnis und riefen den Wunsch wach, Maestro Votto möge auch noch andere Opern aus unserem italienischen Repertoire entstauben.
Antonietta Stella, die Aida, besitzt eine breite, leuchtende und dramatische Stimme. Sie ist jedoch in der Höhe, besonders im piano, nicht ganz sattelfest.
Eine von der dunkel timbrierten tieferen Lage bis zu den strahlenden Spitzentönen vollkommen ausgeglichenen und technisch einwandfrei beherrschte Stimme zeigte Giulietta Simionato als Amneris, die sich außerdem als stärkste Persönlichkeit des Ensembles erwies.
Franco Corelli sang den Radames etwas unausgeglichen. Nach einer schwachen Eingangsarie und einer guten Tempelszene folgte ein wirklich triumphales Finale des zweiten Aktes, in dem seine Spitzentöne über dem Ensemble leuchteten. Auch Nilakt und Gerichtsszene gelangen sehr gut, während das Schlußduett wieder die technischen Mängel seiner Stimme zeigte. Sie ist metallisch und äußerst dramatisch, aber leider nicht fähig, ein echtes Piano zu produzieren.
Aldo Protti zeigte sich als auszeichneten Amonasro. Er besitzt eine durchgebildete und wohltimbrierte Stimme, die auch mühelos das Mezzavoce- und Pianosingen bewältigt. Auch als Schauspieler wirkte er intensiver als seine übrigen italienische Kollegen.
Die beiden Bässe Nicola Zaccaria (Ramphis) und Silvio Majonica (König) hätte man nicht importieren sollen, der erster war höchstens Durchschnitt, der zweite tief darunter. Im großen und ganzen war es jedoch ein sehr bemerkenswertes Gastspiel, das einen interessanten Vergleich zwischen deutschen und italienischen Künstlern in der Interpretation italienischer Opern zuließ.
AIDA am 18. und 21. Mai
Die Aufführungen erreichten nicht ganz das Format der ersten Aida-Vorstellung
AIDA am 24. Mai
war die letzte der vier Aufführungen. Sie war, wie dies auch bei der Othello-Serie der Fall gewesen war, die beste. Maestro Antonino Votto zeigte sich in besonderer Verfassung und auch das Ensemble tat sein Bestes. Besonders Franco Corelli hatte sich gegenüber den vorangegangenen Aufführungen stark verbessert. Er sang zwar fast überhaupt kein Piano – was er ohnehin nicht kann – mehr, aber mit dem Forte-Singen erzielt er ja schließlich weit mehr Erfolg. Das Finale des zweiten Aktes, der Nilakt und die Gerichtsszene gelangen ihm ausgezeichnet. Ganz groß wieder Giulietta Simionato und Aldo Protti, in ausgezeichneter Verfassung Antonietta Stella.
ARIADNE AUF NAXOS am 16. Mai
Einen Tag nach dem Gastspiel der Italiener hatte das Wiener Ensemble Gelegenheit zu beweisen, daß es auf dem Gebiet der deutschen Oper ebenso Hervorragendes zu leisten imstande ist. Die drei Hauptrollen-Trägerinnen Lisa Della Casa, Sena Jurinac und Hilde Güden zeigten wieder ihre im Stil, musikalischer Durcharbeitung, technischer Perfektion und darstellerischer Intensität vollkommenen Leistungen. Eine gewisse, offenbar saisonbedingte stimmliche Müdigkeit war allerdings bei allen drei Damen nicht zu überhören. Josef Gostic sang den Bacchus recht gut, und das frisch-fröhliche Komikerquartett war in bester Laune. Paul Schöfflers Musiklehrer ist eine Charakterstudie von geradezu unwahrscheinlicher Schärfe. Der gütige Mann, der sich in weiser Erkenntnis seiner eigenen Kleinheit nur mehr bemüht, zwischen seinem genialen Schüler und der harten Realität der Welt eine Verbindung zu schaffen, ist so echt und tief gestaltet, daß man sagen muß, diese Leistung Paul Schöfflers gehört zum Besten, was die Opernbühne zu bieten hat. Karl Böhm leitete die Vorstellung mit Verständnis und Stiltreue und war ausgezeichnet wie immer, wenn er Werke dirigiert, die ihm liegen.
ELEKTRA am 17. Mai
Auch diese Vorstellung fand unter der bewährten Leitung Karl Böhms statt. Die Aufführung war leider etwas schwächer als die vorangegangene, da der Dirigent bis zur Szene Orest – Elektra das Orchester stark in die Breite spielen ließ und so einige Stellen (Klytämnestra – Elektra) sehr an Dynamik verloren. Die Leistungen der Sänger sind bereits bekannt, und man kann sie nur immer wieder aufs neue mit Lob bedenken, allen voran Christl Goltz und Paul Schöffler.
AIDA am 18. Mai
wurden mit der ersten Aufführung am 15. Mai besprochen
BALLETTABEND am 19. Mai
DER BARBIER VON SEVILLA am 19. Mai im Redoutensaal
Die Aufführung der Rossini-Oper hat seit der März-Premiere musikalisch wenig eingebüßt. Mario Rossi leitete sie wieder mit Schwung und wurde dabei von den Wiener Philharmonikern bestens unterstützt. Schon die Wiedergabe der Ouvertüre war ein Meisterstück. Christa Ludwig und Oskar Czerwenka waren auch diesmal wieder die Glanzpunkte der Aufführung und wurden ebenso stürmisch umjubelt wie die neu hinzugekommene Berta von Frau Kammersängerin Hilde Konetzni, die sich auch in diesem Fach erneut als Meisterin erwies. Die Titelpartie sang anstelle des angekündigten Hermann Prey der schauspielerisch sehr gewandte Karl Weber, der gesanglich aber den Anforderungen dieser Partie nicht gewachsen war. Waldemar Kmentt und Karl Dönch vervollständigten aufs beste das Ensemble. Man muß aber wieder darauf hinweisen, daß Inszenierung und Bühnenbilder ausgesprochen schlecht sind.
DON GIOVANNI am 20. Mai
Diese Oper hätte diesmal eigentlich Don Ottavio heißen müssen, denn Leopold Simoneau mit seiner klaren, durchgebildeten und technisch perfekten Stimme war unbestritten der Mittelpunkt des Abends. Der Träger der Titelpartie, Mario Petri, erzeugte ein Vakuum im Ensemble. Trotz seiner prächtigen Gewänder sah er aus wie ein Boxer oder Baseballstar. Das war aber noch nicht das Ärgste! Viel schwerwiegender war, daß er sich mit winziger, saft- und kraftloser Stimme durch die Partie flüsterte. Diesen Scala-Import hätten wir nicht nötig gehabt. Erich Kunz ist auch, wenn er sich der italienischen Sprache bedient, ein erheiternder Leporello. Hilde Zadeks Stimme ist viel zu schwer und spröde für die Donna Anna. Lisa Della Casa, im neuen Haus erstmals als Elvira zu hören, erwies sich neuerdings als Mozartsängerin von hohen Rang. Ihre große Arie war ein Höhepunkt der Aufführung. Auch die musikalische Leistung von Karl Böhm konnte an der im Grunde uninteressanten und zum Teil unter durchschnittlichen Aufführung nicht viel ändern.
AIDA am 21. Mai
wurden mit der ersten Aufführung am 15. Mai besprochen
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 22. Mai
Joseph Keilberth dirigierte zum ersten Mal im Haus am Ring, wenn man von einer Maskenball-Aufführung, die er vor etwa eineinhalb Jahrzehnten einmal einspringend übernommen hatte, absieht. Keilberth ist mehr als ein guter und solider Kapellmeister. Er findet sogleich einen ausgezeichneten Kontakt mit dem Orchester und dirigiert mit innerer Begeisterung und kraftvollem Schwung. Das Vorspiel riß die Zuhörer vom ersten Takt an mit, die Prügelszene war endlich wieder einmal nicht verhetzt und der letzte Akt war vom Vorspiel bis zum Schlußchor spannungsgeladen und wirkungsvoll aufgebaut. Es war vom Orchester aus gesehen die bisher beste Aufführung der Meistersinger im neuen Haus. Außerdem war es höchste Zeit, daß Joseph Keilberth Gelegenheit gegeben wurde, endlich ans Pult der Wiener Staatsoper zu treten. Leider strahlten die Sänger nicht den gleichen Glanz aus: Otto Edelmann sang zum ersten Mal im Haus am Ring den Hans Sachs. Leider hat seine Auffassung vom liebenswürdigen Schusterpoeten seit dem Theater an der Wien kaum an Reife gewonnen. Er überspielt die Partie zu sehr ins Komische. Man denkt sofort an Waldner oder Ochs. Aber auch stimmlich hat er kaum gewonnen. Im ersten und zweiten Akt gab er zuwenig – offenbar wollte er sparen – im dritten Akt entfaltete er sich wohl mehr, ohne aber den inneren Gehalt des Wahnmonologes und der ganzen Schusterstubenszene richtig ausschöpfen zu können. Die hohe Lage sollte bei einem Sachs wohl kräftiger und durchgebildeter sein. Gegen die für uns gewohnten Leistungen eines Paul Schöffler oder Karl Kamann mußte Otto Edelmann entschieden abfallen. Sena Jurinac, unser bekannt gutes Evchen, hatte einen ziemlich schlechten Tag. Sie dürfte übrigens nicht nur einen schwachen Tag gehabt haben, sondern die Künstlerin scheint sich derzeit leider einer Krise bedenklich zu nähern. Hans Hopf hat seine Krise offensichtlich noch nicht überwunden, denn was er diesmal als Stolzing wieder zu bieten hatte, stand in keinem Vergleich zu seinen früheren Leistungen. Man hoffte zweieinhalb Akte lang, wenigstens ein ordentliches Preislied zu hören, aber auch hier klang seine einst so strahlende Höhe wenig frei. Die Mittellage ist schrecklich in den Hals gefallen, dadurch klingt seine Stimme knödelig. Seine schauspielerische Leistung wird auch von mal zu mal salopper. Es scheint ihm offenbar eine Freude zu sein, sich wenig ritterlich, aber dafür mehr nach Art eines Fußballers auf der Bühne zu bewegen. Die beste Gesangsleistung des Abends wies, wenn man von Frederick Guthries ausgezeichnetem Nachtwächter absieht, Kurt Böhme als Pogner auf. Durch seine allerdings hell timbrierte, wuchtige Stimme und den kraftvollen Ausdruck machte er den reichen mittelalterlichen Bürger glaubhaft. Aber auch Kurt Böhme hatte an diesem Abend etwas mit der Höhe zu kämpfen. Karl Dönchs Beckmesser wird immer mehr zu einer Persiflage. Mit dem stolzen Merker hat dieser Hanswurst gar nichts zu tun! Die katastrophalste Leistung des Abends sah man in der Verkörperung des David durch Peter Klein. Er ist dieser Partie einfach nicht gewachsen. Man kann ihm nur den Rat geben, den er als David selbst dem jungen Ritter gibt: „Fangt nicht zu hoch, zu tief nicht an, als es die Stimm’ erreichen kann. Mit dem Atem spart, daß der nicht knappt und gar am Ende ihr überschnappt.“…
DON GIOVANNI am 23. Mai
war eine Reprise vom 20. Mai.
AIDA am 24. Mai
wurden mit der ersten Aufführung am 15. Mai besprochen
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 25. Mai
fanden in derselben Besetzung wie drei Tage vorher statt. In den Zeitungen konnte man lesen, daß Otto Edelmann an diesem Tage sein 50. Auftreten als Hans Sachs begehe. Diese Notiz muß offenbar auf Initiative des Sängers veröffentlicht worden sein, denn wer zählt schon die Abende mit, an denen Otto Edelmann auf verschiedenen Opernbühnen auftritt. Wie oft könnten andere große Künstler, wie etwa unser Paul Schöffler, derartige Zeitungsnotizen veröffentlichen, wenn sie in irgendeiner Partie gerade das –zigstemal zu hören sind. Abgesehen davon war die Leistung Otto Edelmanns an dem Abend noch schwächer als drei Tage vorher, hingegen war Hans Hopf stimmlich wenigstens eine Spur freier und in der Höhe durchschlagskräftiger.
DON GIOVANNI am 26. Mai
Neu im Ensemble war nur Rita Streichs mit reizender und zarter Stimme gesungene Zerlina. Ansonsten war die Aufführung leider reichlich langweilig und erhielt nur durch Lisa Della Casa und Leopold Simoneau einige Glanzlichter.
FIDELIO am 27. Mai
brachte wieder den bewährten Rudolf Moralt ans Pult, der sich wieder einmal als sicherer musikalischer Betreuer einer Repertoireaufführung erwies. Leonore war diesmal Leonie Rysanek, die technisch diese Partie mühelos meisterte und gleichzeitig durch den Ausdruck und die Schönheit ihrer Stimme bestach. Auch Anton Dermota hatte einen guten Tag und imponierte in den lyrischen Passagen. Trotzdem – wir müssen es wieder sagen – sollte man ihn in der Partie des Florestan, die seiner Stimme nur abträglich sein kann, nicht einsetzen. Otto Edelmann gefiel besser als an den vorangegangenen Abenden. Seiner Stimme kommt der Pizarro mehr entgegen als etwas der Hans Sachs. Diesmal deckte er die Spitzentöne nicht so sehr ab, sodaß die Stimme viel besser zur Wirkung kam. Darstellerisch ist er jedoch zu sehr ein Theaterbösewicht im üblichen Sinne. Kurt Böhme und Alfred Poell, Teresa Stich-Randall und Waldemar Kmentt vervollständigten das gute Ensemble.
DON GIOVANNI am 28. Mai
Das Schönste an dieser Vorstellung war das Bewußtsein, daß sich Mario Petri zum letzten Mal an der Titelpartie versuchte, zumindest in Wien. Die Champagnerarie war skandalös! Am besten konnten abermals Lisa Della Casa und Leopold Simoneau überzeugen.
ALKESTE am 29. Mai
mit Karl Terkal, Endre Koréh, Anton Dermota, Christl Goltz unter Michael Gielen. Die Aufführung wurde nicht besprochen.
LA BOHEME am 30. Mai
Der sympathische Rudolf von Eugenio Fernandi ist bereits bekannt. Er konnte mit seiner frischen und schönen Naturstimme, die allerdings einer Ausfeilung bedarf, gut gefallen. Dies konnte man mit bestem Willen nicht von der Mimi Teresa Stich-Randalls behaupten, deren Stimme in den hohen Lagen fast schrill klingt. Eberhard Wächter, Walter Berry und Kurt Böhme waren die köstlichen deutsch singenden Bohemiens. Die Musette von Ljuba Welitsch ließ abermals die einstige Stimme der Künstlerin nur erahnen.
COSÌ FAN TUTTE am 30. Mai im Redoutensaal
Leider hatte Anton Dermota mit einer Indisposition zu kämpfen. Lisa Della Casa hat sich in das Ensemble schon gut eingefunden. Sie ist etwas ernster und hoheitsvoller als ihre Vorgängerin. „Doch sag ich nicht, daß das ein Fehler sei“. Das restliche Ensemble wurde wieder von unseren hervorragenden Künstlern Christa Ludwig, Emmy Loose, Paul Schöffler und Erich Kunz gebildet. Karl Böhm und die Wiener Philharmoniker befanden sich in Hochform.
ARIADNE AUF NAXOS am 31. Mai
Karl Böhm dirigierte auch die Schlußvorstellung des Monats. Er entfaltete vor unseren Ohren den köstlichen Zauber dieser Partitur und gewährleistete einen Strauss-Abend, der der Wiener Oper zur Ehre gereichte. Auch die Solisten waren mit der einzigen Ausnahme von Hans Hopf vorzüglich. Von der einst so strahlenden Höhe des Sängers geht keine Leuchtkraft mehr aus. Man mußte wieder feststellen, daß sie matt und dumpf geworden ist. Auch darstellerisch schien er nicht besonders konzentriert. Sein Mantel interessiere ihn mehr als Ariadne. Sena Jurinac, Hilde Güden und Paul Schöffler sind aus unserem Strauss-Ensemble einfach nicht mehr wegzudenken. Hilde Zadek überraschte nach schwächeren Leistungen nun mit einer sehr schön gesungenen Ariadne. Die Stimme klang auch in den höheren Lagen frei vom Tremolo. Eine sehr kultivierte Leistung!
Der vergangene Mai läßt also die Hoffnung wach werden, daß die Dirigentenfrage nun einer Lösung zustrebt. Weniger gefiel uns in diesen vier Wochen der Sängerimport oft unzureichender Kräfte. Durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Gäste sollte man nicht einladen, wenn man für die betreffende Partie zwei oder gar drei erstrangige Künstler im eigenen Ensemble besitzt! Dieser Vorwurf trifft – um Mißverständnissen vorzubeugen – nicht das Mailänder AIDA-Gastspiel, in dem man (mit Ausnahme der beiden Bassisten) neben dem hervorragenden Dirigenten Antonino Votto noch wirklich erstklassige Sängerleistungen, wie etwa die von Giulietta Simionato oder Aldo Protti, vorgesetzt bekam. Diese AIDA-Aufführungen zählen jedenfalls zum Interessantesten und Besten, was uns die Oper in letzter Zeit brachte. Nach dem April, in dem man seit längerer Zeit wieder hintereinander hervorragende Sängerleistungen hörte, und dem Mai, in dem sich seit noch längere Zeit wieder Dirigenten von Format in unserer Oper zeigten, darf man die heurigen Wiener Festwochen gespannt sein.