DER JUNI 1957

2. Jahrgang, Heft 7

 

TRIONFI (TRIONFO DI AFRODITE/CARMINA BURANA/CARMINA CATULLI) am 1. Juni

Der Auftakt unserer heurigen Festwochen stand unter einem unglücklichen Stern. Orff’s Trionfi sind zwar zweifellos ein bedeutenden Werk, aber für die Festwochen-Eröffnung erscheinen sie doch nicht besonders geeignet. Noch dazu wenn man die Aufführung als mißglückt bezeichnen muß. Wenn man sich nicht dazu aufraffen kann, die offenbar versäumte gründliche Einstudierung des Werkes nachzuholen, dann sollte man sie – so traurig es wäre – besser ganz lassen. Was sich in den Carmina Burana, vor allem in der Schenke abspielte, spottet jeder Beschreibung. Daß einer der Solisten in Trionfo di Afrodite seinen Text nicht beherrschte wäre zu überhören gewesen, wäre es nicht ein Symbol für den herrschenden Schlendrian. Die größeren und kleineren Entgleisungen bohrten sich wie fortwährende Nadelstiche in das Fleisch jener, die wußten wie es sein sollte. Es ist erschütternd, daß auch die Catulli Carmina, die bisher sauber geboten waren, arg angekränkelt erschienen. Wenn nicht die ansprechenden Leistungen einiger Solisten – besonders die von Wilma Lipp und die des Ballettnachwuchses mit der neuen Primaballerina an der Spitze – gewesen wären, dann müßte man den Abend wohl mehr als deprimierend bezeichnen.

DIE WALKÜRE am 2. Juni

zeigte wieder Gesangsleistungen von Birgit Nilsson, Leonie Rysanek und Gottlob Frick, über die man sich nur stets aufs Neue freuen kann. Ludwig Suthaus sang diesmal mit ganz besonders starkem stimmlichen Ausdruck. Elisabeth Höngen gab zum ersten Mal im neuen Haus die Fricka. Stimmlich aufs Beste disponiert, brachte sie eine kultivierte und noble Göttererscheinung, so wie man sie als Fricka aus dem Theater an der Wien kennt, in unser neues Walküre-Ensemble. Erstmals hörte man in Wien den Wotan von Otto Edelmann. Es war selbstverständlich, daß er der hervorragenden Leistung seines Vorgängers auch nicht im geringsten nahe kommen würde. Aber Edelmann brachte es, fertig, die Erwartungen des Publikums noch zu unterbieten. Sowohl in Stimme als auch in Erscheinung hat er wenig Überirdisches an sich. Seine Stimme ist für den Wotan zu wenig kräftig und die Höhe ist eng, matt und glanzlos. Abgesehen davon sang er stellenweise sogar falsch. Stimmlichen Ausdruck vermißte man gänzlich. Besonders unangenehm machte sich dies in der Wotan-Erzählung im zweiten Akt bemerkbar. Herbert vor Karajan gelangen wieder der zweite und vor allem der dritte Akt sehr gut.

ARIADNE AUF NAXOS am 3. Juni

Man hörte unser ausgezeichnetes Ensemble unter der Leitung von Karl Böhm. Lisa Della Casa (diesmal leider etwas ermüdet) in der Titelpartie, Christa Ludwig mit ihrem hervorragend gezeichneten Komponisten und die anmutige Hilde Güden als Zerbinetta begeistern immer aufs neue. Den Bacchus verkörperte an diesem Abend Josef Gostic. Er hatte einen sehr guten Tag und so konnte er der Partie dank seiner kräftigen Stimme heldische Akzente verleihen. Den Höhepunkt des Abends bildete aber die oft gerühmte und wohl einmalige Charakterstudie Paul Schöfflers als Musiklehrer. Besonders erfreulich war auch wieder die hervorragende Schauspielkunst Alfred Jergers als arroganter Haushofmeister.

DER ROSENKAVALIER am 4. Juni

Dafür enttäuschte die Vorstellung am nächsten Tag. Hatte man zu den Festwochen keine bessere Aufführung zustande bringen können? Das ganze Jahr hatten wir bessere! Was dachten wohl die zahlreich erschienen Ausländer (nicht erschienen war das Stammpublikum) um eine Strauss-Aufführung in Wien zu hören und zu sehen. Derb und ungenau spielte das Orchester unter Heinrich Hollreiser, dem Festwochenkapellmeister der Protektion. Ohne Charme blieben auch die Leistungen den Solisten. Angefangen von Otto Edelmann, der als Selfmade-Ochs auf Lerchenau über die Bühne polterte und ebenso wenig Respekt vor der Partitur zeigte wie vor der Marschallin. Wo bleib der Liebreiz der Sophie in der Gestalt Teresa Stich-Randalls, die überdies mit einigen zu tief gesungenen Tönen die Harmonie des Terzettes störte. So war es kein Wunder, daß Ira Malaniuk, die ihren ersten Oktavian an der Wiener Staatsoper sang, in ihrer Darstellung viel zu steif blieb und stimmlich unter starker Nervosität litt und enttäuschte. Hilde Zadek sang einen guten Monolog, aber ihr fehlt das innere Erlebnis der alternden Frau. Auch sie fiel im dritten Akt stark ab. Schwacher Beifall drückte am Ende der Aufführung die Enttäuschung über diesen keineswegs festlichen Rosenkavalier aus.

OTHELLO am 5. Juni

In dieser Aufführung stellte sich Carlo Guichandut in der Titelpartie vor. Er besitzt eine baritonal gefärbte Mitteillage (vor einigen Jahren sang er ja noch Baritonpartien), eine unglaublich lautstarke und metallische Höhe, jedoch keine sogenannte schöne Stimme. Guichandut sang und spielte jedoch derart intensiv und energiegeladen, daß seine Wirkung zwar nicht so ausgeglichen, aber packender als die seines Vorgängers war. Seine stärksten Momente hatte er im zweiten und dritten Akt, während das Liebesduett weniger eindrucksvoll gelang, da ihm dafür ein wohlklingendes Timbre fehlt. Im vierten Akt neigte Guichandut leider zu starken Übertreibungen. Im ganzen gesehen eine enorme, fesselnde Leistung eines Vollblutkomödianten.

Endlich sang auch Paul Schöffler seinen weltbekannten Jago im neuen Haus. Mit seiner großen Persönlichkeit, der er dämonische Züge verlieh, beherrschte er die Bühne, sobald er sie betrat. Seine Stimme, deren Schönheit und Potential er genau kennt, setzt er überlegt und wirkungsvoll ein, um im Credo seinen Höhepunkt zu erreichen. Eine großartige, vom Verstand her kommende Leistung eines hervorragenden deutschen Künstlers.

Sena Jurinac sang eine seelenvolle und rührende Desdemona. Man hatte den Eindruck, daß sie fast unbewußt und intuitiv ihren Part durchlebte.

Herbert von Karajan vermochte es, aus den verschiedenen Auffassungen dennoch das Erlebnis von Verdis Meisterwerk als geschlossene Einheit zu vermitteln. Er hatte entscheidenden Anteil an dem großen Abend.

ELEKTRA am 6. Juni

Karl Böhm leitete unser oft erprobtes und bewährtes Ensemble und so kam abermals eine ausgezeichnete Repertoirevorstellung zustande. Erstklassig in Stimme und Darstellung war wieder allen voran die Elektra unserer Christl Goltz und der noble und ausdrucksstarke Orest Paul Schöfflers, aber auch Elisabeth Höngen als Klytämnestra und die diesmal wirklich gut disponierte Hilde Zadek als Chrysothemis hatten mit würdigen Festwochenleistungen aufzuwarten.

 

LA TRAVIATA am 7. Juni, Neuinszenierung

Nach dem Mißerfolg dieses Werkes schrieb Verdi im Jahre 1853 an einen seiner Freunde: „Die Zukunft wird zeigen, ob es die Schuld der Sänger oder meine war.“ Diese Worte fielen uns nach unserer Traviata-Premiere ein. An diesem Abend enttäuschten uns die drei Hauptinterpreten. Alle haben zwar bekannte Namen, aber es fehlt ihnen teils an Persönlichkeit, teils an technischer Vollendung ihrer stimmlichen Mittel, um einen großen Erfolg zu garantieren. Spitzensänger sind eben auch in Italien nur mehr spärlich vorhanden. Virginia Zeani, eine blendende Bühnenerscheinung, hatten wir vom vorjährigen Gastspiel in viel besserer Erinnerung. Leider konnte sie ihre damalige Leistung nicht wiederholen. Die junge Künstlerin, deren Stimmittel sich nicht verleugnen lassen, kam erst einige Tage vor der Premiere nach einer Stagione im Stoll-Theater zu London nach Wien und Ermüdungserscheinungen waren deutlich spürbar. Außer der Traviata, die sie in London etliche Male singen mußte, gab sie dort noch viermal die Lucia. Hoffentlich betreibt Frau Zeani nicht auf die Dauer solchen stimmlichen Raubbau, der meistens zu baldigem Ende der Karriere führt, wie zahlreiche Beispiele beweisen. In unserer Premiere mißlang ihr der erste Akt, der ihre stimmlichen Mängel aufdeckte. Besonders die große Bravourarie klang ziemlich schlampig und mancher Ton kam ungenau. Besser gefiel sie in den Legato-Phrasen und lyrischen Stellen der Partie, aber auch die dramatischen Ausbrüche im dritten Bilde waren zufriedenstellend. Das von ihr gewohnte Format erreichte sie erst in der Todesszene.

Ein wenig eleganter und linkischer Alfred war Gianni Raimondi. Seine Stimme ist zwar wohl durchgebildet, aber für einen guten lyrischen Sänger müßte er ein viel schöneres Timbre besitzen. Allzu sehr auf Sicherheit bedacht, vermied er Spitzentöne, wo er nur konnte und beraubte sich auf diese Weise der Wirkung eines italienischen Tenors.

Rolando Panerai (Vater Germont) ist als lyrischer Bariton Besitzer einer schönen Mittellage. Aber leider besitzt die Höhe nicht die gleiche Qualität. Sie ist dünn, teilweise sehr nasal und verwischt den sonst guten Gesamteindruck das Sängers. Die kleineren Partien waren teils mit italienischen, teils mit heimischen Sängern besetzt.

Die Inszenierung hatte man einem italienischen Regisseur – Mario Frigerio – anvertraut, der im konventionellen Stil mit vielen alten Theaterrequisiten arbeitete und dabei ganz auf die große Beleuchtungsanlage unserer Oper vergaß. Oder vermied er absichtlich das Licht, um die anscheinend nicht mehr ganz neuen Kulissen und Kostüme (Lila de Nobili) zu verdunkeln?

Herbert von Karajan dirigierte mit viel Liebe, Verständnis und Noblesse unsere Philharmoniker, deren Streicher, besonders im Vorspiel zum vierten Akt, bestens zur Wirkung gelangten. Einzelne Schwächen der Partitur konnte man schwer überhören. So ist es unverständlich, daß man die Ballettmusik – die früher immer gestrichen war – spielte, hingegen aber die wirklich gute Stretta das Alfred unter den Tisch fallen ließ (wahrscheinlich war ihr der Tenor nicht gewachsen!). Während wir manches gegen die Traviata auf den derzeitig beschränkten Spielplan einzuwenden haben, bewiesen die darauf folgenden Abende, daß das breite Publikum diese Oper besonders liebt, da sämtliche Vorstellungen – trotz hoher Preise und schlechter Zeitungskritiken – ausverkauft waren.

LA TRAVIATA am 10., 13. und 15. Juni

Die Aufführungen fanden in der Premierenbesetzung statt.

 

DER STURM am 8. Juni

OTHELLO am  9. Juni

Die Aufführung fand in der gleichen Besetzung wie am 5. Juni statt. Carlo Guichandut war noch besser bei Stimme und das kam vor allem dem Liebesduett und dem vierten Akt, den er diesmal großartig und ohne jede Übertreibung ergreifend sang, zugute. Paul Schöffler als Jago war wieder prachtvoll! Das gilt auch für Sena Jurinac und natürlich für Herbert von Karajan.

LA TRAVIATA am 10. Juni

Die Aufführung unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere am 7. Juni besprochen

WOZZECK am 11. Juni

Nach längerer Zeit wurde dieses Meisterwerk der Moderne von Alban Berg wieder aufgeführt. Auch diesmal waren Christl Goltz und Walter Berry großartig in der Erfassung und Gestaltung ihrer Partien, und ihre Leistungen gewinnen jedes Mal neue Nuancen und werden reicher an dramatischem Ausdruck. Von den übrigen Mitwirkenden kann man dies leider nicht sagen. Dies gilt besonders für Karl Dönch, der seinen Part überhaupt nicht mehr singt, sondern die Tonhöhe nur ungefähr andeutet. Wahrscheinlich verläßt er sich darauf, daß es ohnehin niemand merkt. Da irrt er aber gewaltig. Karl Böhm scheint durch das ständige Hin- und Herpendeln zwischen Wien und Deutschland sehr ermüdet. Die mangelnde Präzision und Dichte der Aufführung ging diesmal jedenfalls auf sein Konto. Zwei oder dreimal im Jahr könnte man den Wozzeck ohne weiteres zur Aufführung bringen.

DIE WALKÜRE am 12. Juni

An diesem Tag betrat das Stammpublikum die Oper sehr verärgert. Für die plötzlich erkrankte Leonie Rysanek hatte man nämlich Maud Cunitz von der Staatsoper München für die Sieglinde herbeigerufen. Dem ständigen Opernbesucher war und bleibt es unbegreiflich, warum man nicht die in Wien weilende Hilde Konetzni ersucht hatte, die Sieglinde zu übernehmen. Hatte man ihr die zugesicherte Marschallin und Tannhäuser-Elisabeth bereits vorher weggenommen, so kam jetzt noch eine dritte grobe Taktlosigkeit dieser verdienten Künstlerin gegenüber dazu

Der erste Akt der Aufführung geriet diesmal weit schwächer als sonst, weil einerseits Ludwig Suthaus stark mit der Höhe zu kämpfen hatte und weil Maud Cunitz zwar eine verläßliche Sängerin ist, für die Sieglinde aber zu geringe Stimmittel besitzt. Auch eine gewisse Wärme mußte man bei ihr vermissen. Ihre Darstellung ist wohldurchdacht, aber ein wenig blutleer. Martha Mödl begeisterte wieder durch ihre vorbildliche Erscheinung, Darstellung und ihren einmaligen gesanglichen Ausdruck. Leider war sie nicht ganz optimal disponiert. Bekannt gut, verläßlich und ansprechend sind die Leistungen von Ira Malaniuk und Gottlob Frick. Otto Edelmanns Wotan hatte sich in keiner Weise verbessern können.

Am Mißlingen das ersten Aktes konnte auch Herbert von Karajan nicht viel ändern, in den folgenden Akten konnte er jedoch manche Schwäche auf der Bühne durch das gut geführte Orchester ausgleichen. Im Großen und Ganzen gesehen war es leider die schwächste aller bisherigen Walküre-Aufführungen.

LA TRAVIATA am 13. Juni

Die Aufführung unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere am 7. Juni besprochen

 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 13. Juni, Neuinszenierung im Redoutensaal

Josef Krips, Andreas Wolf (Selim Bassa), Wilma Lipp, Emmy Loose, Waldemar Kmentt, Murray Dickie, Kurt Böhme;

Josef Gielen (Regie), Robert Kautsky (Bühnenbild) wurde nicht besprochen

 

BALLETTABEND am 14. Juni

LA TRAVIATA am 15. Juni

Die Aufführung unter Herbert von Karajan wurde mit der Premiere am 7. Juni besprochen

MANON LESCAUT am 16. Juni

Die Aufführung brachte das mit großer Spannung erwartete Auftreten des Startenors Giuseppe di Stefano. Der Sänger ist sowohl in Stimmführung und Phrasierung, als auch in Spiel und Ausdruck beispielgebend, seine Stimme schien aber im ersten und zweiten Akt etwas belegt. Auch hätten die dramatischen Stellen des dritten Aktes mehr Lautstärke vertragen. Im vierten Akt dagegen sang sich Giuseppe di Stefano vollends frei und hatte hier seine stärksten Momente. Einen sehr schwachen Tag hatte Carla Martinis als Manon, die fast ausnahmslos alle hohen Töne zu tief sang. Man muß daher leider sagen, daß ihre derzeitige stimmliche Verfassung kaum mehr als staatsopernreif zu bezeichnen ist. Eine erstklassige Leistung vollbrachte wieder der diesmal italienisch singende Walter Berry, der von mal zu mal auch in seinem stimmlichen Ausdruck wächst. Glauco Curiel debütierte als Dirigent der Aufführung und zeigte eine beschwingte und temperamentvolle Hand, die der Aufführung des Werkes zum Vorteil gereichte. Er hinterließ einen sehr guten Eindruck.

Übrigens war bei dieser Aufführung auch Herr Martinis zu hören. Allerdings nicht auf der Bühne, sondern im Parkett, 5. Reihe, wo er als Claqueur für seine Gattin in Erscheinung trat, da er bei offener Szene den Applaus für sie begann. Ja, Takt in nun einmal nicht jedermanns Sache!

LA TRAVIATA am 17. Juni und 20. Juni

Hier löste die Türkin Leyla Gencer Frau Zeani als Violette in La Traviata ab. Gleich ihrer Vorgängerin blieb auch bei ihr mancher Wunsch offen. Frau Gencer besitzt eine spröde, sehr dunkel gefärbte, nicht allzu große Stimme, die in der tiefen Lage wenig Substanz hat. Ihre Höhen klangen ziemlich forciert. Allerdings besitzt die Sängerin ein schönes Piano, das sie auch geschickt einzusetzen wußte. Ihre Darstellung war ebenfalls spröde, entbehrte aber nicht eines gewissen Reizes. Die übrigen Sänger waren die der Premiere, zeigten aber leider keine Leistungssteigerung. Herbert von Karajan dirigierte wieder mit viel Liebe.

ELEKTRA am 18. Juni

Man hörte zum zweiten Mal in den Festwochen eine hervorragende Aufführung unter Karl Böhm mit den erstklassigen Sängerleistungen von Christl Goltz, Elisabeth Höngen und Paul Schöffler. Auch Hilde Zadek hatte einen guten Tag und wurde so der Chrysothemis gerecht. Aegisth war Laszlo Szemere, trefflich gezeichnet und gesanglich recht gut, wenn seine Stimme auch jedes Glanzes entbehrt.

CARMEN am 19. Juni

Die interessanteste Aufführung der, Festwochen versprach diese Carmen unter Herbert von Karajans Leitung zu werden. Sie war auch in der Tat in ihrer Geschlossenheit der beste Abend dieser drei Wochen. Karajan  liegt diese Musik sehr, er besitzt das nötige Temperament dafür, um sowohl die Chöre präzise und packend zu führen, als auch das Orchester zu wahrer Vollkommenheit zu entfalten. Dabei vernachlässigt er aber auch die Solisten nicht und deckt sie nie, so wie er dies manchmal bei Othello und Walküre getan hatte. Von den vier Werken, die Karajan bisher in unserer Oper dirigierte, ist ihm die Carmen mit Abstand am besten gelungen.

Auf der Bühne hatte Hilde Güden das Beste zu bieten. Sie vermag das unschuldige und naive Wesen der Micaela vorbildlich zu verkörpern und auch stimmlich war sie unübertrefflich. Besonders das Duett im ersten und die Arie im dritten Akt gestaltete sie zu Höhepunkten des Abends.

Don José war Giuseppe di Stefano, der den ersten und zweiten Akt hervorragend interpretierte. Er ist ein großartiger Schauspieler und besitzt eine sehr gut durchgebildete Stimme. In den dramatischen Ausbrüchen des Schmuggleraktes vermißte man dann leider die stimmliche Kraft, die er nicht besitzt. Hier muß er, so wie auch in der Schlußszene, seinen stimmlichen Mitteln entsprechend, den Schwächling spielen. Im vierten Akt zeigt seine Stimme bereits kleine Ermüdungserscheinungen. Der Don José dürfte ihm etwas zu viel sein, wenn er auch im Großen und Ganzen eine sehr gute, ausgeglichene Leistung bot.

Carmen selbst war Jean Madeira, gut disponiert, die von Akt zu Akt stimmlich mehr zu bieten hatte.

Als Escamillo konnte man George London feiern, nachdem er ein Jahr die Wiener Oper gemieden hatte. Es ist sehr traurig, daß dieser große Künstler, der seinen Weltruhm letzten Endes der Wiener Oper zu verdanken hat, in dieser Saison nur an fünf Abenden zu hören war. Im Torero-Lied, das er, wie stets, vorbildlich sang und spielte, schien sein stimmlicher Umfang etwas kleiner als sonst. Im dritten und vierten Akt wuchs er jedoch mehr und mehr und war in Darstellung und Stimme in gleicher Weise hervorragend. Eine wirklich ausgezeichnete Aufführung, der wahre Anstellschlachten vorausgegangen waren!

LA TRAVIATA am 20. Juni

Diese Aufführung unter Herbert von Karajan hatte dieselbe Besetzung wie am 17. Juni

TANNHÄUSER am 21. Juni

Diese Aufführung bildete den absoluten Tiefpunkt der Festwochen! Sie erinnerte uns an die schlimmsten Tage unserer Oper, denn dies war der schlechteste Tannhäuser, den wir je hörten! Heinrich Hollreiser unterbot seine Leistung vom 29. April, da er schon einmal bei einer solchen Aufführung am Pult stand! Bereits in der Ouvertüre waren die einzelnen Orchesterstimmen stark auseinander gekommen. Dieser Umstand wiederholte sich im Laufe des Abends noch etliche Male. Abgesehen von diesen Entgleisungen wurde diese herrliche Musik so langweilig und fad gebracht, daß man beim Zuhören stark mit dem Schlaf zu kämpfen hatte.

Wilhelm Ernest, in Düsseldorf engagiert, gab die Titelpartie. Weder seine Erscheinung ist vorteilhaft, noch verfügt er über die geringsten schauspielerischen Fähigkeiten. Er besitzt weder ausreichendes Stimmaterial, noch ein schönes oder wenigstens nicht unangenehmes Timbre. Stimmlicher Ausdruck oder gute Phrasierung ist ihm ebenfalls fremd. Als Tannhäuser kann man in Wien nicht einen Sänger gastieren lassen, den von der Direktion wahrscheinlich noch niemand in einer größeren Partie gehört hat. Von George London ist bereits aus der Volksoper bekannt, daß er für den Wolfram ungeeignet ist. Dieser bedeutende Sänger ist sowohl auf Grund seiner Erscheinung, als auch seiner stimmlichen Voraussetzungen niemals ein deutscher Minnesänger. Seine herrliche, für den Wolfram eben schon zu markige Stimme gehörte aber trotzdem zum Erfreulichsten dieses skandalösen Abends. Aase Nordmo-Loevberg zeigte wieder ihre große und technisch gut sitzende Stimme, die für die Elisabeth aber zu kalt bleibt. Ira Malaniuk, eine sehr gute Schauspielerin mit vorbildlichem gesanglichen Ausdruck, hatte diesmal einen großen Kampf mit ihrer Stimme auszufechten. Die Höhe bereitete ihr große Schwierigkeiten. Von Kurt Böhme weiß man, daß er wenig Tiefe besitzt. Jetzt scheint er es auch mit der Höhe schwer zu haben. Edmond Hurshell trug das Seinige zum Mißlingen des Sängerkrieges bei: Sein Schreien zeigte wenig Ähnlichkeit mit mittelalterlichem Minnegesang. Das Beste des Abends war Anton Dermotas schön und edel gesungener Walther. Die Inszenierung erweist sich bei jeder Aufführung als unerträglicher!

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 22. Juni

Herrlich wie am ersten Tag war diese Aufführung nach langer Pause wieder in Szene gegangen. Vom düster drohenden Keikobad-Motiv am Beginn bis zum strahlend verklärten Finale war die Aufführung wie aus einem Guß und unsere Philharmoniker spielten unter der feurigen, ganz dem Werke dienenden Leitung von Karl Böhm den schweren Orchesterpart mit unüberbietbarem Glanz. Unüberbietbar sind auch die Leistungen der Damen Leonie Rysanek, Christl Goltz und Elisabeth Höngen, bei denen sich Stimme, Persönlichkeit und Ausdruck zu einer Synthese des künstlerisch Vollkommenen verbindet. Neu im Ensemble war Paul Schöffler, der die Partie dem Vernehmen nach vor ungefähr 20 Jahren zum letzten Mal sang. Der diabolische Jago, sadistische Scarpia und gütig-menschliche Hans Sachs unserer Staatsoper fügte der Unzahl seiner großen Leistungen eine neue hinzu. Sein Barak war der gute Mensch schlechthin – die grundmusikalische, kultivierte stimmliche Gestaltung ist bei Paul Schöffler ja eine Selbstverständlichkeit. Hans Hopf hatte einen besonders guten Tag und erinnerte im Glanz seiner Spitzentöne an seine besten Zeiten. Kurt Böhme war der stimmgewaltige und ausdrucksstarke Geisterbote des hervorragenden Ensembles, das diese Vorstellung ohne Gäste und Sensationen zu höchstem Niveau erhoben hatte.

DER ROSENKAVALIER am 23. Juni

Von einer festlichen Aufführung war diese, die Festwochen abschließende Vorstellung leider weit entfernt. Nur der sicheren und stilechten Leitung von Rudolf Moralt war zu danken, daß die Aufführung noch das Durchschnittsniveau erreichte. Vielleicht wären doch einige Festwochenaufführungen besser ihm anvertraut worden! Wiener Rosenkavalier-Tradition vertraten diesmal nur die bestens disponierte Hilde Güden und Karl Kamann mit einer trefflichen Charakterisierung des Neuadeligen. Völlig aus dem Rahmen fiel Ira Malaniuk als Oktavian. Sie konnte mit ihrer dunklen, tief grundierten Stimme, mit schwacher Höhe kaum die Anforderungen der Partie erfüllen. Zur Gestaltung der Rolle fehlte es ihr auch an Charme und jeglichem Humor; ihre Gesamtleistung ist leider in keiner Weise mit unseren bewährten Oktavian-Darstellerinnen (Sena Jurinac oder Christa Ludwig) zu vergleichen. Otto Edelmann suchte dagegen durch Übertreibungen im Spiel stimmliche Unzulänglichkeiten zu überdecken, was ihm in Anbetracht des sonntäglichen Publikums auch, am Applaus gemessen, gelang. Hilde Zadek als Marschallin und Anton Dermota, mit einer mit großem Stimmaufwand gesungenen Sängerarie, konnten wenigstens zum größten Teil befriedigende Leistungen bieten. Schade, daß die Festwochen nicht bereits einen Tag früher mit der Frau ohne Schatten endeten!

CARMEN am 24. und 26. Juni

Herr Kapellmeister Heinrich Hollreiser stand am Pult der ausgezeichnet besetzten Aufführungen (Solisten ident mit derjenigen vom 19. Juni), womit man weder den Solisten noch dem Publikum einen Dienst erwiesen hat. Gerade nach Karajans Interpretation ist dies besonders schrecklich. Die unexakten Einsätze stifteten einiges Unheil. Für diese Glanzbesetzung hätte man wirklich einen anderen Dirigenten auftreiben können, wenn schon Karajan nicht mehr anwesend ist. Hilde Güden ist eine derzeit wohl unerreichte Micaela. Giuseppe di Stefano, dessen Blumenarie wohl für immer im Ohr bleiben wird, Jean Madeira und George London wurden begeistert bejubelt.

BALLETTABEND am 25. Juni

CARMEN am 26. Juni

wurde mit der Aufführung vom 24. Juni besprochen.

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 27. Juni

Es war eine grandiose Aufführung unter der Leitung von Karl Böhm, wozu auch die einmaligen Leistungen unseres berühmten Strauss-Ensembles beitrugen: Leonie Rysanek, Christl Goltz, Elisabeth Höngen und Paul Schöffler. Es war ein Abend, der zu den besten unseres Hauses zählte, wenn man von einigen Unzulänglichkeiten der Inszenierung absieht. Hans Hopf gebührt ein besonderer Dank, daß er die Aufführung trotz einer schweren Indisposition ermöglicht hat.

MANON LESCAUT am 28. Juni

Die sommerliche Hitze und die durch den Saisonschluß bedingten Ermüdungserscheinungen hinterließen ihre Spuren. Glauco Curiel fehlte an diesem Abend die innere Spannung. Er nahm sehr langsame Tempi und störte manche Feinheit durch überlauten Orchesterklang. Auch Giuseppe di Stefanos Stimme erschien etwas müde, wodurch er mit den Spitzentönen Mühe hatte. Carla Martinis hatte abermals viele Intonationsschwierigkeiten zu bekämpfen.

DON GIOVANNI am 29. Juni

Für den absagenden Josef Krips setzte man ursprünglich Heinrich Hollreiser an, holte aber dann – Gott sei Dank – Rudolf Kempe, womit man Mozart einen großen Dienst erwies. Er wurde entsprechend begrüßt und dirigierte überlegen und mit größtem Verständnis für die Sänger einen frischen Don Giovanni George London versöhnte in Stimme und Erscheinung die durch Mario Petri beleidigten Augen und Ohren. Sena Jurinac und Leopold Simoneau rechtfertigten erneut ihren Ruf als stilvolle Mozartsänger. Otto Edelmann als Leporello hingegen stellte einen viel zu derben Leporello dar, dessen Stimmtimbre für die Rolle viel zu hell ist, wobei die Höhe noch sehr gepreßt klang.

TRISTAN UND ISOLDE am 30. Juni

Saisonschluß mit Wagner. Soweit so gut! Offenbar hielt man in der Direktion nicht viel von der Qualität der Aufführung, denn man verschenkte das halbe Haus an arme hilflose Sonntagsbesucher!.

Im Geist befand sich das Orchester bereits auf Urlaub und konnte durch Heinrich Hollreiser, der unverständlicherweise bei der Kritik so beliebt ist, nicht zu einer Höchstleistung animiert werden. Und wir werden uns nie an die Arroganz und Präpotenz gewöhnen, mit der Herr Hollreiser dieses Werk auf provinzielles Niveau herabdrückt.

Souverän in Stimme und Gestaltung zeigte sich Christl Goltz. Je öfter man sie als Isolde zu hören bekommt, desto stärker verdichtet sich der Eindruck, daß ihre Interpretation ganz großes Wagnerformat hat. Wolfgang Windgassen, sicher und solid in den ersten beiden Akten, überraschte im dritten Akt durch bei ihn ungewohnte Intensität der Darstellung und war auch stimmlich ausgezeichnet. Ira Malaniuk, Karl Kamann und Kurt Böhme, die sonst allezeit Verläßlichen, zeigten leider ernste Anzeichen von Saisonmüdigkeit.

 

RÜCKBLICK AUF DIE Saison 1956/57

Der neue Künstlerische Leiter der Wiener Staatsoper stand am Beginn seines ersten Arbeitsjahres einer Situation gegenüber die man sich nicht deprimierender vorstellen kann.

1. Es gab kein Ensemble mehr, sondern nur noch eine Menge engagierter Sänger von unterschiedlicher Qualität.

2. Es fehlten große Dirigenten.

3. Es gab nur fünf staatsopernreife Inszenierungen Der „Rosenkavalier, Elektra, Ariadne auf Naxos, Manon

Lescaut und Der Sturm.

4. Künstlerisch vollkommen unzureichende Kräfte hatten langjährige Vorträge mit einer großen Anzahl von Abenden pro Saison.

5. Es gab keinen ständigen Regisseur.

6. Das Repertoire war von niederschmetternder Eintönigkeit.

7. Disziplin und Freude an der Arbeit waren Fremdworte geworden. Die Aufführungen waren in künstlerischer und technischer Hinsicht lustlos und schlampig, daher hatte

8. das Stammpublikum keinen Kontakt mit dem neuen Haus gewinnen können und mied es. Daher wurden

9. die leeren Häuser mit Organisationen und Vereinen aller Art künstlich gefüllt. Dieses unwissende, neue Publikum verhielt sich teils sehr schläfrig, teils lärmend und drückte somit die Stimmung unter den absoluten Nullpunkt, sodaß hinter der schönen Fassade des Hauses nichts Schönes mehr zu finden war.

Der neue Mann an der Spitze des Hauses arbeitete mit demselben schwerfälligen Apparat weiter, den ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte. Die gleichen Herren, deren Versagen die größte Schuld am Abstieg der Oper trug, blieben mit anderen Titeln versehen auf ihren gutgepolsterten Stühlen sitzen.

Eines brachte der neue Künstlerische Leiter, neben seinem Namen und seiner Persönlichkeit, mit: Mehr Geld! Seine Arbeit sollte im Frühjahr 1957 beginnen,

Der erste September, der normalerweise alle Opernfans im Hause sieht, die sich auf die neue Spielzeit freuen, interessierte diesmal nur die Ballettspezialisten unter ihnen, da während der ersten neun Tage des neuen Spieljahres ein Gastspiel des New-York-City-Ballettes stattfand, während sich die Philharmoniker noch auf Auslandsreisen befanden.

Ein typischer Repertoire-Rosenkavalier eröffnete dann den Reigen der eigentlichen Staatsopernvorstellungen.

Dimitri Mitropoulos bewies wenig später, mit seinem Manon Lescaut-Gastspiel, daß die „Krise der Wiener Staatsoper nichts weiter als eine Dirigentenkrise ist“.. wie wir damals im Monatsbericht feststellten.

Künstlerisch wertvoll war im Monat-September nur noch die Übernahme des Palestrina, der eine würdige Staatsopernvorstellung darstellte.

Der Oktober brachte die üblichen Repertoirevorstellungen und den sattsam bekannten Tannhäuser-Skandal. Rückblickend können wir feststellen, daß die „Galerie“ damals Recht behalten hat und die Versuche einer (gelinde gesagt) unobjektiven Berichterstattung, aus dem Krach eine kriminelle Affäre zu machen, fehlgeschlagen sind.

Die Carmen mit einigen Schönheitsfehlern (Dirigent und Escamillo!) war die November-Premiere.

Fast interessanter war jedoch die plötzliche Wandlung, die mit den bisher ziemlich desinteressierten Staatsopernmitgliedern auf der Bühne und im Orchester vorging, als der Herbert von Karajan zum ersten Male in der Saison in der Direktionsloge auftauchte. Der konzentrierte Einsatz aller Mitwirkenden war fast bestürzend.

Die Amerikareise der Wiener Philharmoniker trübte im November und Dezember die Stimmung ganz beträchtlich und nahm einer großartig besetzten Meistersinger Aufführung, am 1. Dezember, in der Paul Schöffler den Sachs seines Lebens sang, viel von ihrer Wirkung.

Interessant war das erste Gastspiel des Tenors Eugen Tobin.

Auch im Jänner gab es Repertoire-Betrieb. In positiver Hinsicht fiel eine Aida am 22. Jänner aus dem Rahmen, die uns damals recht gut vorkam. (Wir hatten zu diesem Zeitpunkt das Gastspiel der Mailänder Scala mit dem gleichen Werk noch nicht gehört!).

Fischer-Dieskau sang zum ersten Male in der Wiener Oper und begeisterte als Figaro-Graf, gefiel als Wolfram und enttäuschte als Jochanaan. Ferner gab es Gastspiele von Karl Liebl, Gustav Neidlinger, Anneliese Rothenberger, Eugen Tobin und Marko Rothmüller.

Hans Hotter kehrte wieder und drückte gleich der ersten Februar-Vorstellung, dem Palestrina, den Stempel seiner kraftvollen Künstlerpersönlichkeit auf. Rudolf Kempe entriß einige Vorstellungen dem Repertoireschlendrian, und Victoria de Los Angeles gefiel als Mimi. Eine ausgezeichnete Elektra dirigierte Dr. Böhm.

Trionfi waren die März-Premiere, sie fielen nicht eben triumphal aus. Die Besetzungen der einzelnen Vorstellungen begannen sich zu verbessern, die Anwesenheit des Künstlerischen Leiters wirkte sich aus. Eugenio Fernandi, der sympathische neue Tenor, stellte sich vor.

Im Gedächtnis haften blieb eine gute Salome am 24. März, in der Hans Hotter einen grandiosen Jochanaan sang.

Herbert von Karajan dirigierte und inszenierte die beiden April-Premieren: Die Walküre und Othello.

Litt die Walküre-Premiere unter der grenzenlosen Nervosität aller Mitwirkenden (Karajan eingeschlossen!), so war die Othello-Premiere dank der hervorragenden Leistung von Leonie Rysanek und des Gastspiels von Mario del Monaco (und trotz des schwachen Jagos) ein großer Erfolg.

„Gäste kamen und Gäste gingen“ war die Devise der letzten drei Monate, „es ist ein gutes Ding, das Gold!“

Die Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala bestand ihre Bewährungsprobe mit dem großartigen Aida-Gastspiel unter Antonino Votto.

Neben dem Opernchef selbst, machten Karl Böhm. Joseph Keilberth, Josef Krips, Mario Rossi und Antonino Votto den Mal zu einer Art Dirigentenkonkurrenz.

Dieser kurze Rückblick zeigt deutlich, wie es Karajan gelungen ist, die Staatsoper wieder interessant zu machen. Das Engagement von ausländischen Gästen brachte frischen Wind in die langweiligen Vorstellungen und spornte auch die Wiener Sänger an, jeden Abend ihr Bestes zu geben. Die Nachteile des Gastier-Systems sind natürlich nicht zu übersehen: Der Spielplan richtet sich nach Fahr- und Flugplänen und die Aufführungen erhalten zeitweise stagionemäßigen Charakter. Natürlich sollen die gastierenden Ausländer stets nur der allerersten Garnitur angehören, was bei Mario Petri, Colzani, Raimondi, Panerai usw. nicht der Fall ist. Mittelmäßige Kräfte haben wir im eigenen Ensemble auch. Abzulehnen ist auch die Besetzung kleiner und kleinster Partien mit importierten Sängern, wir haben genug Künstler hier, die für erste Partien nicht zu verwenden sind, aber in kleinen Partien richtig eingesetzt, wie so oft bewiesen wurde, sehr brauchbar sind.

Der nächste Schritt müßte die Bildung eines wirklichen Ensembles sein. Einerseits fehlen noch immer große Vertreter in einzelnen Fächern - wir haben z.B. keine wirklich erstklassige Altistin vom Format Elena Nikolaidis andererseits sind an der Staatsoper derart viele Sänger engagiert, die selten oder gar nicht singen, sondern nur am Ersten die Gage holen; sodaß eine kräftige Reduktion hier dringend geboten erscheint. Die Vorarbeiten dazu müßten in der kommenden Saison einsetzen.

Der Aufbau des Repertoires geht weitgehend folgerichtig vonstatten. Man möchte nur wünschen, daß das Hauptaugenmerk auf deutsche Opern gelegt wird. Der „Chef“ hat sicherlich, der während seiner langjährigen Scala-Tätigkeit empfangenen Eindrücke wegen, eine starke Vorliebe für alles Italienische mitgebracht, die vom Publikum nicht immer hundertprozentig geteilt wird. Wir sind schließlich in Wien, die Staatsoper soll das erste Ensemble für die deutsche Oper haben und auf diesem Gebiet führend sein. Dies gilt besonders für Wagner, dessen Werke selten (durchschnittlich dreimal monatlich) auf dem Spielplan stehen, und – natürlich von Walküre abgesehen – sehr lieblos behandelt werden, ferner für Mozart, der durch das Fehlen des Theaters an der Wien und mangels guter Inszenierungen in eine Aschenbrödel-Rolle gedrängt worden ist. Wir hätten den Chef lieber einen Figaro, als eine Traviata dirigieren gehört!

Ungelöst ist bis jetzt die Frage des „kleinen Hauses“ geblieben. Die vorgeschlagene Lösung mit der Übersiedlung der Volksoper ist jedoch als sehr gut zu bezeichnen. Repertoiresorgen gäbe es keine, wir hätten genug Opern von Händel bis Orff, von Mozart bis zu den Konversationskomödien von Richard Strauss, deren Kulissen in den Depots verstauben und für die das Theater an der Wien die ideale Aufführungsstätte bildet. Das Volksopernorchester bietet unter guten Dirigenten erfahrungsgemäß anständige Leistungen und den Chor könnte man außerdem manchmal zur Verstärkung des Staatsopernchores verwenden, der für einige Werke (speziell Die Meistersinger von Nürnberg, Tannhäuser, Turandot“, Aida, Fidelio) zu schwach ist. Sänger hätten wir genug, nicht für zwei, sondern sogar für mehrere Häuser. Dann könnte man die Volksoper Herrn Dr. Prawy überlassen, der beweisen soll, daß das Aufführen von Musicals einem dringenden Bedürfnis entspringt (wie die Presse so verdächtig einhellig behauptet) und soll mit keiner anderen Subvention als dem Kulturgroschen rechnen können, wie es auch im Raimundtheater getan wird.

Einen Regisseur, einen Chordirigenten (Pitz!) und einen Choreographen ersten Ranges hat die Staatsoper bisher auch noch nicht gefunden, noch weniger einen wachsamen Abendregisseur, der Unfälle verhindert und mit den Gästen probt. Klar erkennbar war jedoch bereits im letzten Monat das vom .Künstlerischen Leiter zur Überwindung der Dirigentenkrise ausgedachte Konzept. Die kommende Saison wird bereits die Nutzanwendung der heuer gesammelten Erfahrungen bringen.

Wenn dann noch ein Ensemble mit großen Künstlern in den tragenden Rollen dazukommt, interessante Gäste ersten Ranges auf der Bühne erscheinen, (wir vermissen noch schmerzlich Astrid Varnay, Jussi Björling, der sich derzeit wieder in Hochform befindet, sowie Leonard Warren oder Cesare Siepi) und man wirklich gute Inszenierungen bietet, dann worden wir die zweite Phase des Wiederaufstieges unserer Oper erleben. Daran wird das widerliche Gekläffe verschiedener Kreise nichts ändern, die nichts anderes im Sinn haben, als die Atmosphäre zu vergiften und Leute, die kein eigenes Urteil haben, aufzuhetzen.

Die Intrigen und Kabalen, für die Wien leider immer ein guter Nährboden war, werden unserem Künstlerischen Leiter wohl manchmal die gute Laune verdorben. Aber er ist der seltene Fall eines Künstlers, der nicht durch Ausnutzung seiner guten Beziehungen, nicht durch Fädenziehen hinter den Kulissen und nicht durch Protektion finanzieller oder politischer Kräftegruppen, sondern nur durch seine Persönlichkeit als Mensch und Künstler und seine Leistungen als Musiker zu dem hohen Rang emporgestiegen ist, den er jetzt innehat. Unterirdische Flüsterpropaganda und die schwere Mühe der Herrn Journalisten, die mit tief gefurchten Mienen über ihren schmutzigen Artikeln brüten, worden ihm nicht schaden. Auch in Wien gilt die Leistung noch mehr als leeres Gerede. Das Wiener Publikum weiß die Arbeit zu würdigen, die in dieser Saison geleistet wurde. Es hat erkannt, daß Karajan der einzige ist, der die Wiener Oper wieder zu dem machen kann, was es war:

ZUM BESTEN OPERNHAUS DER WELT!

 

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