SALZBURGER FESTSPIELE 1957

2. Jahrgang, Heft 8/9

 

Von den Salzburger Festspielen wird von den verschiedenen Gattungen der Besucher verschiedenes verlangt. Sensationen wünschen die abgebrühten, notorischen Festspielreisenden, Uraufführungen die Komponisten, Dichter, Kritiker und Snobs, Klatsch die Journalisten, Atmosphäre die durchreisenden Touristen. Während diejenigen „Musiknarren“, die es zwei Monate in Wien ohne Oper nicht aushalten, nichts als ein würdiges Programm und gute Aufführungen erwarten. Alle sind in diesem Sommer auf ihre Rechnung gekommen.

Die neue künstlerische Leitung der Festspiele überzeugte neben der seriösen und wirklich salzburgerischen Programmgestaltung vor allem durch das Engagement von Musikern großen Formats, während doch im allgemeinen Dirigenten, die zu Schlüsselstellungen gelangt sind, es vorziehen, Fest- oder Opernspielpläne in erster Linie auf sich selbst abzustimmen. Die gegenteilige Tendenz trat – so wie zuvor schon in Wien – so jetzt auch in Salzburg, erfreulicherweise in Erscheinung.

Auf ihre Rechnung gekommen sind aber auch einige unserer hochwohllöblichen Herrn Journalisten, die das vorgeschriebene Plansoll an Anti-Karajanhetze mit Feuereifer erfüllten. Originell ist es, wie sie sich dabei widersprechen. Da aber neben Touristen, Snobs und Kritikern auch noch einige Musikfreunde die Festspiele zu besuchen pflegen, die spaßeshalber dann auch die Kritiken lesen, mögen sich unsere Professionsmiesmacher nicht wundern, wenn sie zumindest von der letztgenannten Besuchergruppe nicht mehr ernst genommen werden.

Viel diskutiert wurde heuer in Salzburg um den Bau des neuen Festspielhauses. Man mag zu diesem Projekt eingestellt sein wie man will - ein abschließendes Urteil darüber kann man im Augenblick wohl überhaupt noch nicht geben.

 

FIDELIO am 26. Juli, Premiere, und 6. August

Wenn die Eröffnungspremiere der heurigen Salzburger Festspiele einen zwiespältigen Eindruck hinterließ, so lag dies vor allem daran, daß der Dirigent Herbert von Karajan dem Regisseur Karajan einige Konzessionen machte, die sich zum Schaden des Werkes auswirkten. Den dramatischen Aufbau des ersten Aktes vermochte die Regiekonzeption jedoch geschlossen und intensiv zu vermitteln: die Felsenreitschule, von dem ausgezeichneten Bühnenbildner Helmut Jürgens mit sparsamen Mitteln in einen Gefängnishof verwandelt, gab dem Schauplatz jene heroische Atmosphäre, die auf einer geschlossenen Bühne - wie wir schon häufig bei verschiedensten Inszenierungen feststellen mußten - mit dem allergrößten Aufgebot von Kulissen und Statisten nicht zu erreichen ist. (Als übrigens seinerzeit Fidelio im Grazer Schloßhof gespielt wurde, überstürzte sich die Kritik vor Begeisterung, während dasselbe Beginnen in Salzburg in Grund und Boden kritisiert wurde.) Unterstützt wurde der starke Eindruck des Bildes noch durch eine überaus gelungene Beleuchtungstechnik (erste Szene und besonders der Auftritt der Leonore!) und eine sehr geglückte Bewegungsregie (Auftritt des Pizarro!). Der zweite Akt ist auf der Riesenbühne der Felsenreitschule schwer realisierbar. Doch gelang die Kerkerszene noch besser als das Finale, dessen abruptes Hereinbrechen allzu sehr gezaubert erschien, was durch den völlig unverzeihlichen und vor allem unmotivierten Strich des beginnenden Finale, der jeden Liebhaber und Kenner lähmend schockieren mußte, noch verstärkt wurde. Der offenbar angestrebte Zweck, nämlich eine lückenlose Bindung des Finales an die Leonorenouvertüre, wurde ohnehin nicht erreicht, da es sich das Publikum doch nicht nehmen ließ, traditionsgemäß zu jubeln. Wesentlich einfacher und natürlicher wäre es sicher gewesen, Chor und Statisten während des Vorspieles hereinströmen zu lassen.

Musikalisch waren die Aufführungen makellos: die straffe, dramatische, in starken Steigerungen Spannung schaffende und in den lyrischen Ruhepunkten gelöst atmende Beethoven-Interpretation Herbert von Karajans ließ wirklich keinen Wunsch offen. Auch Karajan gelang durch die Harmonie seines betont exakten und andererseits doch gefühlvollen Musizierens der erste Akt ganz besonders gut.

Christl Goltz als würdige Trägerin der Titelpartie erschien viel weicher und fraulicher als wir sie bisher erlebt haben. Stimmlich war sie bei der Premiere in allerbester Verfassung und ihre dramatische, metallische Stimme füllte den weiten Raum mühelos. Die tiefe menschliche Anteilnahme und der starke Ausdruck im Stimmlichen und Darstellerischen machen sie zu einer berufenen Salzburger Interpretin dieser herrlichen Partie.

Sena Jurinac als herzliche und innige Marzelline, konnte den herrlichen Klang ihrer Stimme in der Felsenreitschule besonders vorteilhaft entfalten.

Paul Schöffler sang den besten Pizarro, den wir je von ihm hörten. Wir hatten immer den Eindruck, daß ihm diese Partie eigentlich weniger liege, als manche andere seiner großartigen Opernfiguren – wir geben gerne und freudig zu, daß wir uns hier getäuscht haben. Die souveräne Kunst Schöfflers macht aus jeder Partie eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Studie!

Die Besetzung der Partie des Rocco mit dem in jeder Hinsicht farblosen Otto Edelmann ließ uns das Fehlen der Gold-Arie weniger bedauern, als es vom musikalischen Standpunkt aus gerechtfertigt gewesen wäre.

Waldemar Kmentts Jacquino war wie immer verläßlich und ansprechend.

Große Überraschung rief die Leistung von Giuseppe Zampieri hervor, der in Volumen und Timbre der Stimme gänzlich anders als im Wiener Othello erschien. Offenbar konnte er sich durch besonderen Fleiß gut in das Festspielensemble einfügen. Zampieris Stimme wirkte diesmal ziemlich dramatisch und erinnerte im Timbre der höheren Mittellage entfernt an den unvergessenen Torsten Ralf. Die deutsche Aussprache, die gerade beim Singen Beethoven’scher Musik einwandfrei sein sollte, bereitete ihm als Ausländer unverkennbare Schwierigkeiten. Fehl am Ort war Nicola Zaccaria, dessen stimmliche Qualitäten die Berufung nach Salzburg kaum rechtfertigen. Noch dazu war seine Diktion miserabel. Walter Berry, der diesmal den zweiten Gefangenen sang, wäre als Minister um Klassen besser gewesen als der Italiener.

So hatte besonders der zweite Teil des Abends Schwächen, die eigentlich nicht notwendig gewesen wären und die manchmal die ansonsten herrliche musikalische Darstellung des Fidelio, der bei den Salzburger Festspielen nicht oft genug gespielt werden kann, unangenehm störten.

 

Den Kern der Festspiele bildeten – so wie es dem Charakter dieser Institution entspricht – auch heuer wieder die Mozartabende, die im Laufe der Jahre trotz verschiedener Besetzungsänderungen und zu den erlesensten Standardaufführungen der Wiener Staatsoper und der Salzburger Festspiele geworden sind.

 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 3. August

Die Wiedergabe genoß heuer besondere Vollendung, vielleicht gerade deshalb, weil man dieses Werk durch eine besonders interessante Besetzung und Inszenierung neu zu beleben versuchte.

Der stärkste Eindruck ging nicht von dem prachtvollen Sängerensemble oder der gewohnt sicheren und souveränen musikalischen Leitung durch Karl Böhm aus, sondern von der einmaligen Inszenierung, die Günther Rennert mit der Unterstützung der phantasievollen Bühnenbildnerin Ita Maximowna geschaffen hat. Nach der langen Reihe bereits in Routine erstarrter Schuh-Inszenierungen (mit obligater Neherscher Redoutensaal-Treppe), die nur einmal durch eine merkwürdige barock-schwülstige Hlawa-Graf-Inszenierung unterbrochen wurde, hat dieser „Tolle Tag“ endlich eine in Farbe, Stimmung, Bewegung und Gestaltung gleich faszinierende Realisierung gefunden.

Gleich das erste Bühnenbild überraschte: es zeigte ein richtiges Dienerzimmer - mit vielen Ecken und Winkeln und mit den Fenstern auf den Gang - in dem sich Figaro verzweifelt bemühen muß, einen Platz für sein Ehebett auszumessen. Vornehm und von damenhafter Eleganz war das Zimmer der Gräfin im zweiten Akt, unvergeßlich die subtile Tönung des Saales mit den rosa Vorhängen und ein wahrer Irrgarten voll überraschender Auftritts- und Versteckmöglichkeiten die Szenerie des vierten Aktes.

In diesem herrlichen Rahmen bewegt sich die Regie Günther Rennerts mit hundert neuen Nuancen und Einfallen, logisch entwickelter Gliederung und hinreißendem Temperament.

Das Ensemble, zusammengesetzt aus Künstlern, die darstellerisch ebensoviel wie stimmlich zu geben imstande sind, war mit Hingabe bei der Sache. Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau zeichneten sich durch die Überlegene Beherrschung und Führung ihrer Stimmen, durch den Aufbau der Phrasen, den Ausdruck in Stimme und Gestik und ihre charmante humorvolle und herzliche Gestaltung des Grafenpaares aus.

Irmgard Seefried und Erich Kunz, Wiens und Salzburgs Standarddienerpaar kam die neue Linie der Regie am meisten zugute. Sie waren beide wesentlich ernster als sonst, und Figaro und Susanne erhielten dadurch über alles Buffo- und Soubrettenartige hinaus Seele und Menschlichkeit. Irmgard Seefrieds Rosenarie geriet wieder als ein Meisterstück gepflegter Vortragskunst.

Christa Ludwig wächst von Jahr zu Jahr mehr in den Stil des Mozartensembles im allgemeinen und besonders in die Gestalt des Pagen hinein – stimmlich blieb auch bei ihr kein Wunsch offen.

Eine intelligent gezeichnete Charakterstudie stellte Murray Dickie mit seinem augenrollenden Intriganten Basilio dar.

Ausgezeichnet waren auch die Darsteller der kleineren Rollen: Sieglinde Wagner, Anny Felbermayer, Alois Pernerstorfer und Erich Majkut.

Diese Aufführung – ein Triumph der neuen Festspielleitung – hatte allerhöchstes Niveau und eine Ensembleleistung größten Formats, die als Beispiel bester künstlerischer Zusammenarbeit gelten darf, auf zuweisen.

 

COSÌ FAN TUTTE am 8. August

Diese Aufführung im Hofe der Residenz bereitete einen ungetrübten Genuß. Oscar Fritz Schuh, Caspar Neher und  Karl Böhm garantierten dafür mit einer seit Jahren ständig verbesserten und ausgefeilten typischen Mozart-Interpretation, die schließlich nicht zu unrecht Weltgeltung erreichte und damit zu einem Grundpfeiler der Salzburger Festspiele geworden ist. Unsere Wiener Opernsänger gewährten einen stilsicheren Abend, an dem die Stimmen wahre Triumphe feierten.

Im Mittelpunkt des heiteren Spiels stand Paul Schöfflers Alfonso, der mit seiner über den Dingen stehenden Weisheit nicht nur Verwirrung unter den Liebesleuten anzustiften wußte, sondern sich als Drahtzieher des Komplotts auch der Abendregie annahm: Als durch den Wind die Perücken der Damen zu verrutschen drohten, rettete er mit Noblesse die Situation.

Mit bezauberndem Charme verkörperten Irmgard Seefried und Christa Ludwig Fiordiligi und Dorabella. Man wird weit und breit kaum Sängerinnen finden können, die mit solcher Beseeltheit und mit solchem Stilgefühl Mozarts verspielte Melodien zu singen vermögen.

Die Liebhaber, die den Worten des Alfonso nicht glauben wollten, wurden von Anton Dermota als großartiger Ferrando, dessen Belcanto schlechthin vollendet ist, und den zu vielen Späßen neigenden Erich Kunz ideal dargestellt.

Rita Streich fügte sich als Despina mit ihrer kleinen, klaren Stimme mit viel Geschmack in das hervorragende Ensemble.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 2. August

Weit weniger als die beiden bereits besprochenen Mozartabende gelang diese vom Vorjahr übernommene Vorstellung, die schon deshalb unter keinem günstigen Stern stand, weil Oscar Fritz Schuh in diesem

Sommer mit vielen Inszenierung belastet war. Man muß ihm den Vorwurf machen, viel zu wenig Zeit für die Entführung verwendet zu haben, denn man merkte herzlich wenig von einem Gesamtkonzept. So gereichte diese sogenannte Festspielaufführung dem Duo Oscar Fritz Schuh und Caspar Neher zu keiner besonderen Ehre.

Für Josef Krips, der nach dem Don Giovanni in Wien nun auch diese Salzburger Aufführung absagen mußte, sprang dankenswerterweise Joseph Keilberth ein, der leider das Niveau, des Abends auch nicht ganz zu einer wirklich festlichen Salzburger Aufführung heben konnte. Für Mozart ist Keilberths Hand doch etwas zu schwer und so klang die brillante Musik ein wenig zu herb.

Erika Köth sang die schwierigen Arien der Konstanze mit Bravour und meisterte mit bestechender Sicherheit die gefürchteten Koloraturen. Auch ihre Mittellage scheint kräftiger geworden.

Nicolai Geddas Belmonte wirkte in Darstellung und Stimme, die zwar richtig behandelt, aber keinen Glanz und Ausdruck besitzt, gleich farblos.

Kurt Böhme gefiel sich in der Rolle eines Possen reißenden Osmin. Weniger gefiel er allerdings diesmal dem Publikum, konnte er doch damit über seine derzeitigen stimmlichen Mängel, die nun auch in der Höhe zu Tage treten, kaum hinweg täuschen.

Murray Dickie, ein lebhafter und mit frischer Stimme singender Pedrillo, bestärkte seinen guten Eindruck als ausgezeichneter Buffotenor, den er nun seit Jahren hinterläßt.

Blondchen war Lisa Otto mit besonderem musikalischem Empfinden und mit einem hörbaren hohen E! Als festlich durften an diesem Abend nur die Eintrittspreise bezeichnet werden, für deren Höhe man in Wien mehrere des öfteren bessere Entführungen hören kann.

 

ELEKTRA am 7. August

Richard Strauss, dessen Name in jedem Salzburger Festspielprospekt in geeigneter Form vertreten sein soll, war heuer im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen nur jene Strauss-Opern, die intimeren Rahmen verlangen, gepflegt wurden, mit Elektra vertreten, dessen monumentaler Charakter geradezu nach einer Naturbühne verlangt. Die Wahl dieses Werkes erschien daher für Salzburg sehr günstig und geeignet, zumal Gustav Vargo aus dem Rahmen der Felsenreitschule einen vorzüglichen Schauplatz für dieses leidenschaftliche Drama schuf: In der Mitte der Bühne wurde ein riesiges Tor postiert, vor dem sich im wesentlichen der gesamte Handlungsablauf konzentrierte. Herbert Grafs Regie glitt manchmal allerdings von dieser Konzentration ab, besonders wenn sich Orest mitten in der Erkennungsszene von Elektra abwenden muß, um über die ganze Bühne zu seinem Diener zu gehen. Ansonsten ist die Postierung der Sänger und die Leitung ihres Spiels aber sehr geglückt. Die Darsteller agieren sehr eindrücklich und manchmal sogar überaus naturalistisch, was das ungebändigte Temperament, welches das ganze Werk beherrscht, noch unterstreicht.

In Dimitri Mitropoulos trafen die hervorragend spielenden Wiener Philharmoniker auf einen Dirigenten von höchstem Format. Mitropoulos’ Art zu dirigieren – er tut dies ja bekanntlich stets auswendig – hat etwas Magisches an sich; mit seinen Händen, mit denen er jede Gefühlsnuance auf das Orchester zu übertragen weiß, umspannt er förmlich das ganze Orchester.

Neu für das Wiener Publikum waren Inge Borkh als Titeltragödin und Lisa Della Casa als ihre Schwester Chrysothemis. Inge Borkh ist in ihrer äußeren Erscheinung zunächst etwas ungewohnt. Sie trägt, wie es zu ihrer Art und auch zu ihrem Wesen besser paßt, blonde Haare. Leidenschaft ist ja auch wirklich nicht – wie oft fälschlich angenommen wird – an dunkles Haar gebunden, auch nicht, wenn diese Leidenschaft in höchster Ekstase ihre Gipfel findet. In der Darstellung ist die Elektra Inge Borkhs ungeheuer glaubhaft und überzeugend. Besonders wie sie zu fesseln versteht, wenn sie „allein, endlich allein“ auf der Bühne steht, ist große Schauspielkunst. Gesanglich hält sie die Partie gut durch, wenn ihre Stimme von Natur aus auch nicht ganz so hochdramatisch ist, wie man es von anderen hervorragenden Elektra-Darstellerinnen im Ohr hat. Aber dennoch wird diese Stimme allen dramatischen Ausbrüchen gerecht und vermag dabei besonders die gefühlvoll und mehr lyrischen Stellen sehr überzeugend zu bringen.

Jean Madeira erfüllte die Klytämnestra mit der ganzen Fülle ihres großen, dunklen Organs, das in allen Lagen –nunmehr auch in der Höhe – sicher fundiert ist. Die Darstellung wuchs weit über den konventionellen Rahmen hinaus und vermochte durch die meisterhafte Charakterisierung zu packen und zu erschüttern. Ein Symbol des Lasters in der hohen von Gewissenspein geplagten Gestalt.

Die Chrysothemis verlangt eine besonders warme Stimme, sie sollte aber auf jeden Fall wärmer als die ihrer Schwester sein. Lisa Della Casa brachte zwar überraschend große Intensität der Dramatik mit, aber gerade in dieser stimmlichen Wärme hatte ihr Inge Borkh einiges voraus. Schauspielerisch ist ihre Chrysothemis wohlüberlegt und harmonisch. In dieser Hinsicht kamen die schwesterlichen Gegensätze gut zum Ausdruck –aber im Gesamtbild um eine Nuance zu farblos und blaß.

Neu in diesem Elektra-Ensemble war auch Kurt Böhme, der sich, wie vorauszusehen war, in der Maske des Orest als Fehlbesetzung erwies. Denn weder ist Böhmes Stimmumfang nach oben hin groß genug, um eine Baritonpartie – und noch dazu eine höher gelegene – zu singen, noch bringt er den stimmlichen Ausdruck mit, der für die Erkennungsszene, eine der fesselndsten und schönsten Opernszenen überhaupt, von unbedingter Notwendigkeit ist. So kurz die Partie des Orest ist, so schwer ist sie bekanntlich zu singen und darzustellen. In der Darstellung enttäuschte uns denn Kurt Böhme auch beinahe noch mehr: Zu wenig Persönlichkeit, wenig Ergriffenheit und keine Erschütterung.

Dem Aegisth verlieh Max Lorenz – in besonders dramatischer stimmlicher Verfassung – heldentenorale Akzente. Damit harmonisch verbunden war, wie immer bei diesem großen Künstler, vollendete Schauspielkunst. So stand die heurige Strauss-Aufführung Salzburgs im Zeichen hervorragender schauspielerischer und gesanglicher Leistungen und einer enormen Orchesterentfaltung.

 

FALSTAFF am 10. August, Premiere

Nach dem Ensemble der Wiener Staatsoper, das seine größten Erfolge mit Così fan tutte und Hochzeit des Figaro errang, zeigte die Mailänder Scala, daß sie ein ähnlich erlesenes Ensemble wie das befreundete Wiener Institut besitzt. Es ist allerdings auch möglich, daß Herbert von Karajans eiserne Arbeitsdisziplin hier ein ungewöhnliches Ereignis zustande brachte, das man den Italienern eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Nachdem wir diese Aufführung gehört haben, ist uns auch klar, warum diese geschlossene, durchdachte, erlebte und empfundene Aufführung in Italien so merkwürdig zwiespältige Kritiken hatte: Sie ist für italienische Begriffe einfach zu gepflegt und zu dezent. Klamauk und Possenreißerei, auf italienischen Opernbühnen sehr beliebt, fehlten vollständig. Mag sein, daß sie in diesem Sinne unitalienisch war, jedenfalls war sie großartig und sicherlich ganz im Sinne Verdis! Das ist Import, den wir brauchen, das ist Vollendung, wie wir sie immer erhofften!

Welch ein Werk, welch eine Aufführung! Verdis geistsprühendes Alterswerk, dessen kostbare Partitur mit einer geradezu traumwandlerischen Sicherheit wiedergegeben wurde, hatte all seine charakterisierende polternde Derbheit, die selbst in Fonds Eifersuchtsausbrüchen überall merkbare Ironie, die schwebende Schönheit der Elfenmusik und die humorvolle Grazie, die die Gestalten Shakespeare lebendig macht. Die Wiener Philharmoniker spielten mit einer selbst bei ihnen seltenen Vollkommenheit – jeder einzelne ein Virtuose auf seinem Instrument, ein Künstler in seinem Miterleben!

Tito Gobbi war ein ausgezeichneter Vertreter der Titelpartie, ein gravitätisch wuchtiger, doch gleichzeitig pfiffiger und verschmitzter, geld- und liebeshungriger Sir John, mit voluminöser Stimme und witziger Akkuratesse im Vortrag.

Die lustigen Weiber von Windsor hatten in der hinreißend komisch daherwackelnden und dienernden Giulietta Simionato eine ideale Mrs. Quickly, die mit ihrem dunklen satten Alt dem fröhlichen Ensemble der Damen eine vorbildliche Grundlage gab, und in Elisabeth Schwarzkopf eine silberstimmige, in Erscheinung, Spiel und Gesang in gleicher Weise bezaubernden Alice. Anna Moffo stattete ihre Nanetta mit herrlichen gehauchten Pianotönen aus und Anna Maria Canali sang eine charmante Meg Page.

Rolando Panerai konnte als Ford wesentlich besser gefallen als in jenen Partien, in denen wir ihn bisher hörten. Er wurde der anspruchsvollen Partie in jeder Hinsicht gerecht.

Luigi Alva sang den Fenton geschmackvoll und kultiviert

Der baumlange Mario Petri (hier besser am Platz als bei Mozart!) und der kleine Renato Ercolani stellten ein hinreißend komisches Gaunerpaar, Tomaso Spartaro gab einen gespreizten Doktor Cajus.

Die Bühnenbilder von G. Bartolini-Salimbeni hatten Geschmack und Atmosphäre.

Die Inszenierung hatte so viel Charme, Humor und Einfälle, die Bewegungsregie war so gelöst und einfallsreich, der Humor bei aller nötigen Drastik doch so dezent und subtil, daß man wohl anerkennend feststellen muß, daß Karajan nicht nur in musikalischen Belangen Überdurchschnittliches zu leisten imstande ist!

In Anbetracht der so unzufriedenen Falstaff-Kritiken in „Bildtelegraph“ und „Neuer Kurier“ drängt sich uns die Frage auf, wann und wo die Herren Redakteure Löbl und Schneiber schon so hervorragende Aufführungen dieser Oper genossen haben, daß dieser großartige Abend sie nur so wenig befriedigen konnte? Um nämlich die Aufführung eines solchen Standardwerkes der Opernliteratur, wie es der Falstaff ist, mit Recht sehr abfällig kritisieren zu können, müßte man vorher wohl zumindest weit bessere Aufführungen erlebt haben! Wir selbst, die „Älteren“ von uns eingeschlossen, nehmen 17 Jahre am Leben unserer Oper teil und haben nur eine einzige Falstaff-Aufführung gesehen und gehört, die mit dem Falstaff Karajans verglichen werden kann: Das Mailänder Gastspiel unter Mario Rossi mit Mariano Stabile in der Titelpartie. Hatte Herr Schneiber in Graz Gelegenheit, einen Falstaff zu hören, der so überragend war, daß die Salzburger Aufführung ihn nun so skeptisch stimmt? Oder nahm Herr Löbl schon während seiner Volksschulzeit an den Aufführungen unter Toscanini teil? Wir sind überzeugt, auf diese Fragen keine Antworten zu bekommen, obwohl sie immerhin sehr aufschlußreich sein müßten!

 

DIE SCHULE DER FRAUEN

war das bei den Salzburger Festspielen bereits obligat gewordene moderne Werk.

Rolf Liebermanns „Moliere-Oper“ dürfte das bisher beste Werk des Schweizer Komponisten sein. Die originelle Idee, Moliere in seinem Stück selbst mitspielen zu lassen, und die turbulente Handlung inspirierten Liebermann zu einer Fülle musikalischer Einfälle. Die Musik ist meist nur episodenhaft und es fehlt ihr der große Bogen, was allerdings vom Komponisten aus beabsichtigt sein dürfte.

Nicht ganz im Sinne dieser Musik ist die unfranzösische hölzerne Regie, für die Oscar Fritz Schuh zeichnet. Ähnlich langweilig sind auch die Bühnenbilder Caspar Nehers: Die grazilen Barockfiguren müssen vor zwar transparenten, aber sehr eintönigen und grauen Hauswänden ziemlich muffig anmutende Luft atmen.

George Szell dirigierte mit leichter Hand die prächtig spielenden Philharmoniker, während Ernst Märzendorfer ein kleines Ensemble leitete, das die Partie des Moliere begleitete.

Von den Darstellern überragte Anneliese Rothenberger alle anderen bei weitem. Vom verliebten Backfisch bis zur leidgeprüften Frau findet sie stets die rechte Stimmtönung. Eine wirklich großartige Leistung!

Ihr Vormund Arnolphe wurde von Kurt Böhme mehr schlecht als recht dargestellt. Diese Partie kann man nicht nur heruntersingen! Ein französischer Kaufmann ist kein Bierkutscher! Allerdings geht das häufig mangelnde Fingerspitzengefühl zum Großteil auch auf das Konto der Regie.

Nicolai Gedda überraschte mit einem schön gesungenen Horace.

Walter Berry bot als Moliere eine regelrechte Prachtleistung. Großartig, wie er einige Male in seinem Stück für abwesende Mitwirkende einspringt, einmal als Diener, einmal als altes Weib und zum Schluß als Onkel aus Amerika mit Liebesgabenpaketen. Walter Berry spielte alle vier Rollen mit großer Beweglichkeit und Gelenkigkeit.

Christa Ludwig gab die dumme Georgette mit puppenhafter Steifheit und konnte dafür Lachstürme ernten.

Der lang anhaltende Beifall dankte in erster Linie den Mitwirkenden.

 

Der diesjährige Salzburger Festspielsommer hatte also auf dem Opernsektor ein enormes Programm aufzuweisen, das vor allem durch die Geschlossenheit der Aufführungen, zum größten Teil auch in künstlerischer Hinsicht begeistern konnte. Freilich ist dieses Monsterprogramm mehr auf die durchreisenden Touristen und Ausländer abgestimmt, um jedem Fremden bei möglichst kurzem Aufenthalt möglichst viel zu bieten. Vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen und damit auch von dem der Musik-Kenner und -Liebhaber war das Programm allerdings manchmal zu überladen. So fanden zum Beispiel, von anderen Veranstaltungen abgesehen, gleich zwei Opernpremieren an einem Abend statt!

Da es aber die neue Festspielleitung verstand, die Besetzungen für die einzelnen Opernabende so einzurichten, daß die Salzburger Atmosphäre unter diesen Umständen nicht zu leiden, ja im Gegenteil manche Aufführungen gegenüber den vergangenen Jahren eine viel größere Geschlossenheit aufzuweisen hatten, ist gegen das riesige Programm nichts einzuwenden. Wenn der neue künstlerische Leiter seinen begonnenen und manchmal vorderhand erst angedeuteten Weg beibehält, dann kann man den Salzburger Festspielen der kommenden Jahre eine große Zukunft prophezeien!

 

HERBERT VON KARAJAN BEI DER PRESSEKONFERENZ AM 12. AUGUST 1957

„Ich vermisse den positiven Blick in die Zukunft! Was bis jetzt gemacht wurde, ist die Reportage der Zerstörung!“

 

Weiteste Kreise diskutieren bereits über die Differenzen, die es zwischen Herbert von Karajan und der Presse gibt. Bei der Lektüre der Zeitungen erhält der Außenstehende unweigerlich den Eindruck, daß der Künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele und der Staatsoper Wien alles tut, um die Herren Journalisten vor den Kopf zu stoßen, sie zu brüskieren und – auf den Einfluß seiner Persönlichkeit bauend – sie als unerwünscht abzutun und sich von ihnen in beleidigender Weise zu distanzieren.

Diese Darstellung entspricht nicht der Wahrheit! Nun, der Umstand, daß Zeitungsberichte nicht immer die Tatsachen referieren, ist so bekannt und häufig, daß es sich kaum lohnen würde, sich eingehend damit auseinander zusetzen. Hier aber geht es nicht um Wahrheit und Unwahrheit verschiedener Behauptungen, hier geht es um ein ganz entscheidendes Problem. In ihm sind auch alle die Einzelheiten mit eingeschlossen, die wir in vorangegangenen Nummern  des „Merker“ zur Sprache gebracht haben. Aus diesem Grunde sehen wir in dieser Pressekonferenz auch nicht nur eine Zusammenkunft zwischen Herbert von Karajan und der vor den Kopf gestoßenen Presse, die in den Zeitungsberichten nur beiläufig erwähnt wird und über die man von „unsachlichen“ Angriffen des Künstlerischen Leiters gegen die Presse redet. Wir verstehen absolut, daß man in Journalistenkreisen kein Interesse daran hat, Einzelheiten zu referieren, sondern daß man im Gegenteil geflissentlich darüber hinweg geht. Um so interessanter erscheint es uns, darüber eingehend zu sprechen, nicht sosehr wegen der Themen, die dabei diskutiert wurden, sondern darum, weil diese Konferenz so schlaglichtartig die geistige Haltung und die derzeitige Situation charakterisiert, daß ihr entscheidende Bedeutung zugemessen werden kann.

Das Thema der Konferenz bildete die Frage nach der Sendung, dem künstlerischen Weg Salzburgs, also dem Weg und dem Ziel, die den Festspielen gegeben worden sollen.

 

Herbert von Karajan eröffnete die Diskussion mit „umgekehrten Vorzeichen“. Er ersuchte die Presseleute, diesmal Vorschläge zu machen. Er wolle diese Vorschläge der Journalisten entgegennehmen und darauf selbst entgegnen, oder wenn nötig, sie kritisieren.

 

Diesen einleitenden Worten folgte zunächst eine lähmende Stille. Wir nahmen an, daß in diesem Schweigen ein peinliches Betroffensein liege, so eine Art von Selbstbetrachtung und ein Sich-Besinnen. Der Protest eines Schweizer Redakteurs, der ziemlich aufgebracht feststellte, daß es nicht Aufgabe der Presse sei, Vorschläge zu machen, belehrte uns dann rasch eines Besseren. Man hatte also gar nicht verstanden, daß Herbert von Karajan nicht aus einer Laune heraus diesen Modus gewählt hatte, sondern damit etwas Entscheidendes sagen und feststellen wollte: Er wollte damit offenbar dokumentieren, wie wenig Kritik wert sei, wenn sie nicht von dem Gedanken an ein Ziel getragen ist, das konkret vor dem Auge des einzelnen Kritikers steht. Denn dieser kritisiert doch, um des künstlerischen Gehaltes, der Erreichung des künstlerischen Zieles willen ...oder nicht? Und dieses „oder“ erhielt in dieser Stille ein sehr bedenkliches Übergewicht.

 

Die Fragen, die schließlich auftauchten, trugen zunächst gleichfalls vorwiegend negative Vorzeichen. Sie lauteten kurz notiert:

1. Die italienische Oper paßt nicht in den Salzburger Rahmen.

2. Die Konzertprogramme sind aus der Kiste zusammengestellt und zu konventionell.

3. Es gibt in Salzburg kein „Publikum“.

4. Es ist bei den Salzburger Festspielen dem Ballett nicht Rechnung getragen worden.

5. Im neuen Festspielhaus wird man alles spielen können, nur leider keinen Mozart.

 

Es erscheint uns nicht uninteressant, daß der Referent einer Hamburger Zeitung sich dabei zu dem Einwurf veranlaßt fühlte, daß er mit der Art dieser Formulierungen nicht konform gehe, daß er, der hier nicht zu Hause sei, das beglückende künstlerische Ereignis empfinde und nun staunend hören müsse, daß man hier alles schlecht finde, vom Publikum bis zum noch nicht fertigestellten Festspielhaus. (Beschämt, aber ehrlicher Weise, können wir hierzu nur sagen: Bravo Hamburg!)

 

Diese angeführten Fragen beantworteten sich teils aus der darauf folgenden Debatte, teils beantwortete sie Herr von Karajan selbst. Kurz zusammengefaßt ergab sich dazu folgendes:

1. Salzburg, das an und für sich weitgehend italienische Einflüsse zeigt, ist sicher auch der Rahmen für italienische Aufführungen, die selbstverständlich eine besondere Auswahl verlangen.

2. Bei den Konzertprogrammen hat sich immer wieder,  auch auf allen Gastspielreisen der Philharmoniker gezeigt, daß immer die gleichen Programme verlangt werden; es hat sich ferner erwiesen, daß auch hier in Salzburg Oratorien einen schlechten Verkauf aufweisen. Trotzdem erklärte Herbert von Karajan, daß er ungeachtet dessen, jedes Jahr ein Oratorium zur Aufführung bringen wolle.

3. Daß die Publikumsfrage sehr brennend geworden ist, ist allgemein bekannt. Herbert von Karajan vertrat dabei den Standpunkt, daß Salzburg eben nicht Bayreuth oder Ansbach sei. Wer nach Bayreuth geht, geht dorthin um Wagner zu hören, wer nach Ansbach geht, ist ein Freund und Kenner Bachs, wer aber durch Gesellschaftsreisen nach Salzburg kommt, geht nicht um des Programmes willen ins Festspielhaus, sondern deshalb, weil er eben nun beispielsweise Donnerstag in der Stadt ist, und weil die Eintrittskarte in dem Reiseticket mit inbegriffen ist.

4. Die Ballettfrage scheiterte bis jetzt an rein sachlichen Schwierigkeiten. Die großen internationalen Ballette haben ein festes Repertoire, damit wollen sie fünfmal in der Woche auftreten. Die Ballettproben würden eine ausgesprochene Überlastung des Philharmonischen Orchesters darstellen, die ohnehin bereits gegeben ist und die man in diesem Jahre durch Gastspiele der Berliner Philharmoniker bis zu einem gewissen Grad steuern konnte. Außerdem würde ein Ballett eine große Forderung an das Budget stellen, und erfahrungsgemäß zeigen Ballettabende einen schlechten Verkauf. Trotzdem wird Herbert von Karajan bemüht sein, hier eine befriedigende Lösung zu suchen.

5. Die Behauptung eines Wiener Kritikers, die sich auf die angebliche Feststellung von Experten stützte, daß im neuen Festspielhaus Mozart nicht gespielt werden könnte, erwies sich nach konkreter Befragung als eine „Zeitungsente“. Glücklicherweise wurde sie diesmal nicht niedergeschrieben und der betreffende Journalist hatte Gelegenheit den „glorreichen“ Rückzug anzutreten.

 

Für die Programmgestaltung der Salzburger Festspiele unter besonderer Devise wurden als weitere Vorschläge erbracht:

Der Barockmusik weiteren Raum zu geben, opera seria und opera buffa, Cesti („Il pomo d’oro“), Pergolesi, Cimarosa mit einzubeziehen und Gustav Mahler in die Konzertprogramme aufzunehmen.

Ferner wurde gefordert, einen Kartenvorverkauf durch die Gewerkschaft zu organisieren, um so einem breiteren Publikum Zutritt zu verschaffen, die moderne Musik mehr zu Wort kommen zu lassen und der Gefahr vorzubeugen, daß Salzburg eine Filiale Wiens werde und der spezifischen künstlerischen Note Salzburgs Rechnung zu tragen.

 

In diesem Zusammenhang beteiligte sich auch der Vertreter unserer Redaktion an der Debatte. Die Redaktion des „Merken“ ist der Meinung, daß bis zu einem gewissen Grad Salzburg und Wien sich immer überschneiden werden, daß es aber der Rahmen und die Atmosphäre Salzburgs seien, die den Zauber und den subjektiven Reiz ausmachten, die uns die Festaufführungen in dieser Stadt als ebenso einmalig aufsuchen und erleben lassen, wie wir Wagner in Bayreuth finden. Wir glauben ferner, daß es keiner Organisation bedarf, um dem Publikum, das tatsächlich aus Idealismus und nur um des künstlerischen Ereignisses willen, in die Festspielstadt kommt, den Zutritt zu ermöglichen, denn es hat sich erwiesen, daß der „wirkliche“ Festspielbesucher sich rechtzeitig seine bescheidene Karte zu sichern weiß, daß er ein Jahr lang für dieses Ereignis spart und daß der, der dieses Opfer nicht zu bringen bereit ist, auch nicht das Recht zu einem Besuch der Aufführungen hat. Außerdem ist es ein offenes Geheimnis, daß derjenige, der mit Begeisterung und Fanatismus dabei sein will, letzten Endes immer einen Weg findet, um auch wirklich hinein zu kommen

Wir freuen uns, dazu sagen zu können, daß Herbert von Karajan persönlich für diese Worte dankte und hinzufügte, daß auch er so gewesen sei und mit dem Fahrrad nach Bayreuth fuhr, um Toscanini dirigieren zu hören.

 

Und nun kommen wir zu dem entscheidenden- Punkt dieser Pressekonferenz, der – wie eingangs erwähnt – uns wichtig genug erscheint, ausführlich darüber zu referieren, und unseren Bericht unter den hierbei erfolgten Ausspruch Herbert von Karajans zu stellen.

Karajan forderte den Kritiker des „Wiener Kurier“, Herrn Herbert Schneiber auf, eine  Erklärung darüber abzugeben, wie er dazu komme, in seiner Zeitung zu schreiben, daß Professor Eduard van Beinum nicht wegen eines Herzinfarktes, sondern wegen Streitigkeiten mit dem Berliner Philharmonischen Orchester das Konzert abgesagt habe. Herr Schneiber verweigerte die Antwort unter dem Hinweis, daß diese Pressekonferenz kein Forum für eine solche Erklärung darstelle und daß er Herrn von Karajan nur persönlich diese Auskunft geben könne!

Zur Ehre dieses „Forums“ sei gesagt, daß nicht nur wir Herrn Schneiber vorhielten, daß, wer den Mut habe, etwas öffentlich zu behaupten , auch den Mut haben müsse, es öffentlich zu kommentieren, sondern,  daß auch andere Stimmen diese Erklärung forderten, sodaß der Leiter des Salzburger Pressebüros Mühe hatte, den Tumult zu unterdrücken und die Ruhe wieder herzustellen.

Wir haben es Monate hindurch erlebt, wie die Berichterstattung der Presse sich Methoden bedient hat, die man nur als unfair bezeichnen kann. Wir haben es erlebt, wie man der Galerie huldigte, weil es einem in den Kram paßte, als der Böhm-Skandal akut war, wie man dann nicht verabsäumte, kurz darauf eine Wendung um 180 Grad zu machen, weil das Konzept sich inzwischen geändert hatte, wie man sich nicht scheute, die Galerie anläßlich des Lustig-Krawalls durch Schauergeschichten zu diffamieren, weil sich damit so herrlich Schlagzeilen schinden ließen wie oft Unsachlichkeit, ja Unwissenheit bei Kritiken uns einfach fassungslos machten, wie man Gerüchte lancierte, um damit diesem oder jenem Prominenten etwas am Zeug zu flicken.

 

Nach dem allem können wir es nur als eine Großtat bezeichnen, daß Karajan zu dieser Art von Presseberichten mutig und eindeutig Stellung genommen hat.

 

Karajan führte aus, daß es der Kritik unbenommen sei, ihr negatives oder positives Urteil nach eigenem Gutdünken zu sprechen. Aber er verwahrte sich entschieden gegen die Reportage der Gerüchte, der frei erfundenen und unwahren Nachrichten, die von Schadenfreude und dem Wunsch zu stören und zu zerstören genährt sind. Er verbat es sich, in den Zeitungen drei- und viermalig geänderte Besetzungen zu lesen, während er eine solche überhaupt noch nicht festgelegt hat! Er erklärte, daß er immer zu einer Zusammenarbeit bereit sei, die im positiven Geist erfolgt, denn nur dies sei ein gedeihlicher Boden. Er stellte fest, daß er für seinen eigenen Vorteil die Presse nicht brauche. Er sei Leiter der Wiener Oper, und Österreich könne stolz darauf sein, ein Kulturbudget zu besitzen, um das uns alle Staaten beneiden, ein Budget, über das man in England jubeln würde! Er habe seine Befugnisse und er könne nur nochmals feststellen, daß das Haus am Ring voll sei. Wenn die Presse ihre Einstellung nicht ändert, nicht dem Aufbau, sondern der Zerstörung dient, werde er sich zurückziehen. Unter diesen Umständen brauche er die Presse nicht.

 

Das also waren die „unsachlichen“ Angriffe Herbert von Karajans. Wir können dazu nur aus vollem Herzen „JA“ sagen. Es liegt eine neue Saison vor uns, eine Saison, die dem begonnenen Wiederaufstieg unseres Hauses dienen soll. Der Künstlerische Leiter hat bewiesen, daß er nicht gewillt ist, seine Arbeit durch Intrigen stören zu lassen und genug Kraft und Persönlichkeit besitzt, ihnen Widerstand entgegen zu bringen.

 

Wenn wir beim Verlassen des Presseklubs dann die Bemerkung hörten: „Nun dann wird ihn die Presse eben abschießen“,  dann erübrigt dies wohl jeden weiteren Kommentar. Zu dieser Bemerkung kann man wirklich nur mit Abscheu „Pfui Teufel“ sagen.

 

Diese eineinhalbstündige Konferenz hat uns mehr als deutlich gezeigt, worum es geht, und unsere Leser und Freunde werden daraus ersehen, warum wir uns der Mühe unterzogen haben, darüber so ausführlich zu berichten. Sie gibt uns auch den Anlaß dazu, in der kommenden Saison nicht einen Augenblick lang darauf zu vergessen!

Es gibt wohl kaum schärfere Kritik, als die von der Galerie her geübt wird, und von diesem Standpunkt werden wir auch nicht abgehen, aber wir werden ganz entschieden ihr dort entgegentreten, wo sie nur mehr Mittel zum Zweck wird, Werkzeug in Machtkämpfen, Gerüchtemacherei statt Bericht, kurz zu dem, was Karajan so treffend charakterisierte, ZUR REPORTAGE DER ZERSTÖRUNG!

 

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