DER OKTOBER 1958

3. Jahrgang, Heft 11

 

Einleitend muß festgestellt werden, daß dieser Monat einer äußerst zwiespältigen Eindruck hinterließ, obwohl die Programmzusammenstellung  im Oktober durchaus ansprechend war: Richard Strauss stand mit sechs Abenden an der Spitze, gefolgt von Puccini (fünf), Mozart und Verdi (je vier), Hindemith und Wagner (je drei), Beethoven, Bizet und Orff (je zwei). Diesmal lag es also an der Ausführung.

Die großen „Kanonen“, die uns den September über zur Verfügung standen, waren bereits wieder weitergezogen  sie haben großen Eindruck gemacht und uns viel Schönes geschenkt. Zwangsläufig sind große Künstler, die international stark gefragt sind, um eine Klasse besser, als solche, die uns zur Hauptsache in diesem Monat zur Verfügung standen. Und naturgemäß machte sich dieser Unterschied an den Aufführungen bemerkbar. Wir unterziehen also nicht diesen völlig natürlichen Zustand einer Kritik, sondern die Tatsache, daß sich der Wechsel zwischen Gala-Premiere und typischer Repertoire-Vorstellung so abrupt abspielte. So ließ man im Maskenball unmittelbar nach Birgit Nilsson eine Durchschnittssängerin singen, die in Wiesbaden schöne Erfolge hat, aber eigentlich für die Wiener Oper nicht das erwünschte Format mitbringt. Man stellte einen griechischen Rohmaterialbariton ohne jede Schulung und Routine nach Ettore Bastianini auf die Bühne und läßt in weiterer Folge eine von Mitropoulos einstudierte Aufführung von Michael Gielen übernehmen - das kann ja nicht gut ausgehen.

Man weiß genau, daß die Siegfried-Brünnhilden rar sind und verpflichtet lieber uninteressante Gäste, statt Frau Goltz öder Frau Borkh, die zu unseren Ensemblemitgliedern zählen, zu ersuchen, die Partie zu studieren, die beide (schon der Persönlichkeit wegen) besser singen würden als Marianne Schech aus München. Man setzt einfach irgendeine Oper an, und wenn man feststellt, daß man eine Rolle nicht besetzen kann, holt man sich von irgendwoher einen Gast. Die große Linie ist ja da - die Spitzenaufführungen stehen. Aber diejenigen,  die Kleinarbeiten leisten müssen, eben diejenigen versagen seit Jahren, seit Jahrzehnten. Wenn in der Staatsoper in der nächsten Saison irgendwo gespart werden müßte, so hier - nicht etwa bei Gobbi, bei der Tebaldi oder bei di Stefano.

Man fragt sich weiter, warum man sich noch immer die vergreisten Comprimarii anhören muß, die sich zweifelsohne in den vergangenen Jahrzehnten ihre Verdienste um die Wiener Oper erworben haben. Aber bei einem Sänger nimmt eben einmal die Stimme ein Ende und man muß solche Sänger in Pension schicken, wenn man nicht haben will, daß sie einem nach einem bestimmt arbeitsreichen Leben im Dienste der Staatsoper schrecklich auf die Nerven gehen. Warum wurden solche Verträge wiederum verlängert?

Warum wurden Verträge verlängert, ja Sänger dieser Gattung noch neu hinzuengagiert, die, wenn sie überhaupt Staatsopernniveau haben, nur in einer oder bestenfalls zwei Partien anzuhören sind? Sie bilden bloß eine Belastung, weil sie, um ihre Gage abzudienen, eben angesetzt werden müssen. Wir haben außer diesen noch immer genug Sänger, die der Wiener Oper würdig sind. Aber deren Repertoire ist manchmal zu klein. Es wird sich aber kaum jemand im Generalsekretariat finden, der genug Phantasie hat, um sich vorstellen zu können, welche Rollen welchen Sängern noch liegen können.

Der Probenmangel in der Wiener Staatsoper ist bereits sprichwörtlich. Was die Philharmoniker betrifft, sehen wir das ein - sie bringen, wenn es nötig ist, auch ohne Proben Aufführung von Niveau zustande. Nie jedoch werden wir begreifen, warum Substituten nicht proben können! Und Substituten sind fast an jedem Abend im Orchester sicht- und vor allem hörbar. Denn kaum ist in der Oper eine Vorstellung angesetzt, die nur eine mittlere Orchesterbesetzung erfordert, spielt man schon munter im halbleeren oder für alle möglichen Organisationen und Kommissionen ausverschenkten Redoutensaal. Dieser Zersplitterung der Kräfte, die sowohl den Spielplan schwer belasten, sollte man endlich einen Riegel vorschieben. Es hat fast den Anschein, als benütze man den Redoutensaal noch künstlich zur Vergrößerung des Defizits. Man möge dort fünfmal im Jahr Così fan tutte spielen, wenn eine richtige Inszenierung mit Bühnenbildern, die es möglich machen, diese Oper am Ring zu spielen, nicht zustandegebracht wird. Ansonsten verwende man den Redoutensaal in der Ballsaison täglich und sonst fallweise für Bankette und Empfänge.

Diese Gedanken drängen sich förmlich auf, wenn man die Aufführungen des Oktober durchgeht. Denn vieles, was geschah, war absolut nicht notwendig.

 

MATHIS DER MAHLER am 1. Oktober

Es begann mit diesem Werk, von Heinrich Hollreiser nur relativ exakt dirigiert und gar nicht gestaltet. Nur Otto Wiener als Mathis machte den Abend interessant, bei dessen sicherem und stets klangschönem Singen man erst bemerkte, wie unmenschlich schwierig und hoch gesetzt diese Partie ist. Statt Karl Liebl sprang der aus Graz bekannte Robert L. Charlebois ein, der sich wacker hielt, und, obwohl seine Stimme nicht gerade außergewöhnlich schön und edel ist, doch die ständige Besetzung stimmlich übertraf und darstellerisch durchaus erreichte. Wolfgang Etterer, ebenfalls aus Graz fiel als Riedinger besonders unangenehm auf. Die übrige war die gleiche wie an den Hindemith-Abenden.

MADAMA BUTTERFLY am 2. Oktober

Es bedeutete in dieser Aufführung wie sonst immer, wenn Dimitri Mitropoulos Giacomo Puccini dirigiert, ein Fest für die Freunde effektvoller Theatermusik. Mit dem Heben des Taktstockes verwandelt sich der geniale Orchesterleiter in ein Bündel geballter Energie, dem sich das Orchester trotz seiner oft plötzlich auftauchenden Einfälle stets willig unterordnet. Wie weiß der Dirigent mit angespannter Konzentration kraftvolle Steigerungen herbeizuführen, um gleich darauf in zartesten Lyrismen zu schwelgen! Es gibt niemals auch nur eine Sekunde Leerlauf! Bei ihm ist alles interessant, aufregend, wenn auch eigenwillig. So war auch diesmal Butterfly ein großes Musikdrama, das ungemein fesselte. Leicht haben es die Sänger dabei nicht, denn Dimitri Mitropoulos fordert ihnen mit elastisch-federnden Gesten das Letzte ab. So entlockte er unserer Sena Jurinac Töne, die den Hochdramatischen unseren Hauses schlaflose Nächte bereiten könnten. Möge an diesem Abend auch in den Spitzentönen einiges hart geklungen haben, ist Sena Jurinac doch eine an Ausdruck und Gefühl nicht zu überbietende Cho-Cho-San. Giuseppe Zampieri und Eberhard Wächter, beide nobel und kultiviert, waren die Stichwortbringer. Einen neuen Onkel Bonzo, Carlo Palangi, setzte man an, von dem man nur abgehackte Töne vernahm und der mehr durch dekoratives Raffen seines Gewandes auffiel. Er bewies, daß die Comprimarii auch im Süden nicht besser als bei uns sind.

EIN MASKENBALL am 3. Oktober

An diesem Abend war alles noch eitel Glanz und Wonne. Unter der feurigen Leitung von Dimitri Mitropoulos sangen Birgit Nilsson, Erika Köth, Jean Madeira, Giuseppe Zampieri und Ettore Bastianini. Jeder Sänger und die Leistungen wurden bereits ausführlich gewürdigt und das Zusammenwirken dieses Spitzenensembles war in dieser Vorstellung besonders vorbildlich.

DIE ZAUBERFLÖTE am 4. Oktober

Man sieht den Namen Josef Krips am Theaterzettel und beginnt bereits zu zweifeln, ob es auch wahr sei und richtig, er sagte auch diese Zauberflöte ab. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Entweder er will ein weltreisender Stardirigent sein – dann muß er sich aber an schnelles Disponieren gewöhnen. Oder aber, er neigt zu Seßhaftigkeit und gründlicher Vorbereitung – dann muß er schon längere Zeit in Wien Aufenthalt nehmen. Angesetzt werden – absagen, angesetzt werden – absagen – das folgt bei Josef Krips wie die Träne auf die herbe Zwiebel. Wir können uns nicht vorstellen, was er eigentlich will. Die Aufführung leitete also in sicherer und bewährter Weise Berislav Klobucar, der in Erika Köth, Wilma Lipp, Anton Dermota und Erich Kunz erfahrene und stilvolle Mozartsänger zur Verfügung hatte. Ausgezeichnet gefielen auch die drei Damen (Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Georgine Milinkovic), während der lächerliche Monostatos von Fritz Sperlbauer absolut kein Staatsopernniveau hatte. Man müßte sich ernstlich um einen jungen, talentierten Tenorbuffo umsehen, der Peter Klein wenigstens halbwegs vertreten kann, wenn er irgendwo sonst singt. Der Sarastro war ein Gast: Johannes Kathol. Er verfügt über eine baritonal gefärbte Stimme, der für den Sarastro das nötige Volumen fehlt. Eberhard Wächter sang den Sprecher mit Ausdruck und Würde.

LA BOHÈME am 5. Oktober

Endlich wieder ein deutsch gesungener italienischer Opernabend am Programm! Nach einem Trommelfeuer, das die Fachpresse für die deutsche Sprache in der letzten Zeit veranstaltete, hätte man angenommen, die Oper werde an diesem Abend gestopft voll sein. Doch weit gefehlt! Das Publikum strömte nicht in hellen Scharen herbei, und in den Logen sah man manche Freikartenbesitzer. Große Leistungen boten an diesem Abend interessanterweise nur jene Künstler, die auch mit italienisch gesungenen Rollen großen Erfolg haben. Also dürfte die Sprache letzten Endes für die Künstler (sofern sie Sprachentalent haben, was zu einem Sänger von Format schließlich gehört) gleichgültig sein. Sena Jurinac sang die Mimi ausdrucksvoll, beseelt und mit dramatischer Fülle der Stimme. Neben ihr brillierte Eberhard Wächter als Marcel, in Stimme, Spiel und Erscheinung eine Idealgestalt, wie man sie sich kaum mehr echter vorstellen kann. Wilma Lipp fand für die Musette im vierten Akt zu Herzen gehende Töne. Rudolf war Karl Terkal. Sagte man einst, daß der Rudolf zu seinen besten Rollen zähle, muß man jetzt feststellen, daß er eine seine weniger schlechten Rollen sei. Ein bedenklicher Prozeß ist mit dieser entwicklungsfähigen Naturstimme vorgegangen! Früher bereitete es ihm nicht die geringste Schwierigkeit, ein C zu singen, es war sogar sein bester Ton. Jetzt geht bereits einige Takte vor der exponierten Stelle ein Beben durch seinen ganzen Körper (nicht nur durch seinen) und er beginnt drauflos zu forcieren. Ein Sänger der Marke Wiener Staatsoper wird der unbeholfene Karl Terkal nie und nimmer! Dadurch verlor auch dieser Abend viel an Geschlossenheit, denn der Tenor ist schließlich in Boheme ziemlich wichtig. Auch Berislav Klobucar fehlte es manchmal an Feingefühl. Die Linie des sogenannten heimischen Ensembles vertraten Harald Pröglhöf und Endre Koréh.

EIN MASKENBALL am 6. Oktober

Der zweite Renato der Neueinstudierung war an diesem Abend Kostas Paskalis, ein bildschöner Mann aus Athen. Er ist talentiert und mit echtem Bühnentemperament begabt. Vorläufig ist es ihm aber noch nicht gelungen, die Kunst des Singens wirklich zu erlernen. Es ist nur das Rohmaterial vorhanden. Seinem dunklen, männlich klingenden Organ fehlt es an Tiefe. Die Mittellage trägt gut, aber die meisten Sorgen bereitet dem jungen Mann und damit auch dem Hörer die Höhe, in der er ungefähr die Tonhöhe anpeilt und das mühsam Erreichte dann mit Wucht herausstößt. Hat er Glück, dann kommen riesige, kraftvolle Töne zustande, hat er Pech (meistens hat der Pech!), dann sind sie rauh und falsch und beleidigen des Hörers Ohr. Dimitri Mitropoulos schien der Sänger aber sehr zu gefallen, denn er begleitete ihn mit aller Sorgfalt und erschien auch allein mit ihm vor dem Vorhang. Birgit Nilsson ist in die Partie der Amelia völlig hineingewachsen und behandelte ihre stählerne Stimme in souveräner Primadonnenart. In besonders guter Verfassung zeigte sich auch Giuseppe Zampieri. Die lyrischen Stellen des Riccardo waren Musterbeispiele von stilvollem und kultiviertem Gesang. Erika Köth und Jean Madeira sangen sicher und schön.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 7. Oktober

Über diesem Werk waltet ein Verhängnis. Ist der Dirigent gut, fehlt es an der Besetzung. Ist die Besetzung gut, läßt der Dirigent zu wünschen übrig. Heinrich Hollreiser bemüht sich ja in dieser Saison wesentlich mehr und an diesem Tag besonders, hat auch seine gewisse, ihn so unsympathisch machende Präpotenz ein wenig gedämpft. Aber sein Bemühen zeitigt nicht immer Erfolge. Speziell Wagner-Opern wachsen ihm besonders leicht über den Kopf. Ihm selbst über den Kopf und uns zum Hals heraus wächst der Schusterpoet Otto Edelmanns, doch das weiß ja schon bald jeder, außer ihm selbst und seiner näheren Umgebung. Ludwig Weber sprang als Pogner ein. Man konnte den einst kraftvollen Sänger an diesem Abend nur mehr bedauern. Nun zu den erfreulicheren Eindrücken der Vorstellung. Die bezaubernde, innige, wunderschön singende Eva von Elisabeth Grümmer und Erich Kunz, dessen Singen nach Karl Dönchs Tätigkeit wie Belcanto wirkte. Er blödelt natürlich in der herkömmlichen Beckmesser-Weis ist aber wesentlich weniger aufdringlich. Anton Dermota ist dem David längst entwachsen und mußte sich mit einzelnen Stellen, die er früher spielend sang, kräftig plagen. Wolfgang Windgassen würde es gut tun, wenn er einmal zwei Wochen auf Urlaub ginge. Die Wagner-Aufführungen wären zwar in ganz Europa zum größten Teil lahm gelegt, aber er müßte sich einmal gründlich erholen. Seinem Stolzing fehlte auch diesmal, wie in Bayreuth, stimmliche Frische, und nur das Preislied auf der Festwiese machte Eindruck. Eberhard Wächter ist ein Kothner unter den Kothnern, wie Demel unter den Bäckern – wir meinen stimmlich. Seine seiner Persönlichkeit angepaßte Auffassung konnte er in Bayreuth spielen, wo die Meistersinger allesamt würdiger und nicht zur Karikatur verzerrt sind. In Wien nimmt er sich neben seinen Meistersingerkollegen aus wie ein um einige Jahrhunderte zu spät zur Welt gekommener Wolfram. Um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, übernahm Norman Foster den Nachtwächter. Fleißig ist er ja, das muß man ihm lassen.

EIN MASKENBALL am 8. Oktober

Mit dieser Aufführung verabschiedete sich Dimitri Mitropoulos und machte uns wahrhaftig den Abschied schwer. Wieder enthüllte sich die Schönheit der Oper in wunderbarer Weise, und man wagt es nicht, daran zu denken, wie das Werk jetzt von den Hauskapellmeistern mißhandelt werden wird. Es fällt einem so schwer, nach Meisterdirigenten wieder biedere Handwerker zu hören – schwerer als früher, wo man überhaupt solche Vergleichsmöglichkeiten (speziell im italienischen Fach) nicht hatte. Leider ist nicht jeder Tag Sonntag… Nach Ettore Bastianini (Kostas Paskalis zeigte sich gegenüber seinem Debüt geringfügig verbessert) mußte nun auch Birgit Nilsson ersetzt werden. Liane Synek übernahm die undankbare Aufgabe, einen Weltstar zu ersetzen. Man billigt ihr begreifliche Nervosität zu, und sie sang die Partie höchstwahrscheinlich auch zum ersten Mal Italienisch. Trotzdem muß man feststellen, daß sich ihr schlanker Sopran nur in der Mittellage wohl fühlt. In der Höhe klingt er steif, die Obertöne schwingen nicht und die bei der Amelia erforderliche dunkle dramatische Tiefe will sich auch nicht recht einstellen. Sie ließ zeitweise durch Ausdruck aufhorchen. Die zweite Arie ging aber wieder sehr über ihre Kräfte. Darstellerisch blieb sie konventionell, aber sie mag sich trösten: Sie war lange nicht die schlechteste Amelia, die wir im neuen Haus (in der alten, schäbigen Inszenierung) hörten. Erfreulich waren wieder die kultivierte Gesangskunst Giuseppe Zampieris, die blitzenden Koloraturen von Erika Köth und Jean Madeiras kraftvolle, dunkle Stimme. Das Publikum feierte aber besonders den Abschied nehmenden Dimitri Mitropoulos.

DON GIOVANNI am 9. Oktober

Diese Aufführung war Durchschnitt, wie es so das Repertoire mit sich bringt. Heinrich Hollreiser begann recht gut, hatte aber mit dem ersten Finale seine liebe Not und verlor im zweiten Akt noch an Spannkraft. Auf der Bühne spielte Eberhard Wächter, imposant und elegant in Gesang, Spiel und Erscheinung, die erste Geige. Gleich ihm ist die Donna Anna von Elisabeth Grümmer zu nennen, die besonders in der schwierigen zweiten Arie eine Probe ihrer erlesenen Gesangskunst gab. Die sympathische Künstlerin bereicherte die Besetzungen dieses Monats nicht unwesentlich, schade, daß sie so wenig im großen Haus und so oft im Redoutensaal zum Zuge kam, wo sich die Vorstellungen praktisch „unter Ausschluß der Öffentlichkeit“ abspielen. Rita Streich, eine zierliche Zerlina, die optisch mehr als stimmlich beeindruckte, Gerda Scheyrer, Erich Kunz, Ludwig Weber, Waldemar Kmentt und Ljubomir Pantscheff stellten die übrige Besetzung.

CARMEN am 10. Oktober

Dirigent dieser Aufführung war Pierre Monteux. Der alte Herr vermochte mit einem Minimum von äußerer Bewegung Stimmung herzustellen und Atmosphäre zu erzeugen. Sein Bizet floß in breitem Strom dahin und hatte Leuchtkraft und Farbe. Er strich das Ballett, was bei der einfallslosen Choreographie kein großer Verlust ist, und machte einen Strich im großen Duett Carmen-Don José im vierten Akt auf, was kein großer Gewinn war. Die musikalische Seite des Abends lag also in besten Händen. Wesentlich bedenklicher war es, daß er sich mit den Sängern kaum abgab und – man sollte es nicht glauben – blitzartig ging die von Herbert von Karajan in dieser Oper eingeführte Zucht und Ordnung in Verlust. Der Chor war undiszipliniert, die Sänger der kleineren Rollen begannen sofort, sich hervorzutun und zu brüllen (anstatt zu singen), wobei lediglich Lotte Rysanek genügend kräftiges Material für diesen Vorgang hatte. Jean Madeira vibrierte derart vor Sinnlichkeit, daß sie auf exaktes und sauberes Singen vergaß. Sena Jurinac sang ihre Arie sehr schön und mit viel Gefühl. Über den neckischen Auftritt und das sehr lyrische Duett mit Don José ist sie stimmlich und als Persönlichkeit längst hinaus, obwohl sie neben dem imposanten George London, der aber auch erst in der zweiten Strophe des Toreroliedes zur vollen Stimmkraft fand, noch die ausgeglichenste Leistung zu verzeichnen hatte. Nicola Filacuridi ist auch als Notnagel (für den erkrankten Giuseppe di Stefano) kein Sänger für die Wiener Staatsoper, obwohl er gut aussieht und über eine gewisse darstellerische Intensität verfügt, die aber sehr reißerisch gefärbt ist. Seine Stimme ist zwar kräftig, aber ausgesprochen unschön und fängt bei stärkerer Beanspruchung beängstigend zu tremolieren an.

FIDELIO am 11. Oktober

Herbert von Karajan dirigierte an diesem Tag statt des ursprünglich angesetzten Oedipus Rex und Petruschka einen Fidelio. Er hatte die Kraft, den Geist und die Leidenschaft, im Verein mit einem herrlich disponierten Philharmoniker-Orchester eine nicht eben glanzvolle Besetzung (Martha Mödl, Wilma Lipp, Giuseppe Zampieri, Hermann Uhde, Otto Edelmann, Kurt Böhme, Waldemar Kmentt, Karl Terkal und Ljubomir Pantscheff), in der zudem auch die meisten Sänger (Lipp und Kmentt ausgenommen) nicht eben bestens disponiert waren, zu einem höchst eindrucksvollen Abend zu gestalten. Persönlichkeit!

CARMEN am 12. Oktober

Besprechung wie am 10. Oktober.

TOSCA am 13. Oktober

Der hervorstechendste Eindruck dieser Tosca war das ungeheure Stimmvolumen Hans Hotters, der eine stimmliche  Kraft entfaltete, wie wir eine solche an unseren unzähligen Opernabenden kaum erlebt hatten. Sogar vom Te Deum, in dem es die größten Stimmen nicht ganz leicht haben, ging keine einzige Note verloren. Doch nicht nur die Stimme allein beeindruckte, sondern auch ihre Führung, ihr Ausdruck, selbst in der für Hotter wahrscheinlich ziemlich ungewohnten italienischen Sprache, und die selbstverständliche Souveränität, mit der er sich die für ihn neue  Inszenierung zu eigen machte - er stand in der prunkvollen Kirche und dem eleganten Saal, als wären sie für ihn eigens entworfen. Selbst nach Tito Gobbi beeindruckt diese schon so oft gesehene Schauspielstudie,  der er immer neue Nuancen abzugewinnen weiß: ein eleganter Teufel  in Menschengestalt, scheinheilig, verlogen und brutal, dabei aber noch immer groß, selbst im Bösen.

Giuseppe Zampieri befand sich als Cavaradossi in sehr guter Disposition. An dieser Partie bemerkt man besonders, wie seine Stimme gewachsen und breit geworden ist.

Inge Borkh gefiel in der Titelrolle wesentlich besser als zuletzt vor einem Jahr - erstens sieht sie mit den schönen Kostümen ausgezeichnet aus und zweitens gefiel sie auch stimmlich durch eine recht ausgeglichene Darbietung. Es fiel nur auf, daß sie kein Piano hat, und Schwelltöne à la Tebaldi braucht man von ihr natürlich auch nicht zu erwarten. Doch sie sang die Tosca so gut, wie eine deutsche Sängerin sie eben singen kann. Darstellerisch übte sie größte Zurückhaltung und scheute sich offenbar, einen der in dieser Partie zahlreich zu findenden Effekte anzuwenden. Sie kommt ja vom Schauspiel her und bemüht sich offenbar besonders um das Unterspielen, was aber bei veristischen Opern nicht ganz glücklich erscheint. Ein gewisser Vigilio Carbonari sang den Mesner. Er hat eine kleine, helle Stimme und spielt die Rolle ungefähr à la Kunz, einen mit kleinen Schrittchen dahertrippelnden, armen, kleinen Mann. Wenn Dönch nicht im Lande ist, haben wir keinen Mesner. Warum um alles in der Welt lernen die Herren Kunz oder Czerwenka die winzige Rolle  nicht in Italienisch? Über die Italiener schimpfen, ja; etwas tun, um sie unnötig zu machen, nein. Dazu sind wir wieder zu bequem. Merkwürd’ger Fall.

Herbert von Karajan stand an Pult, hatte die Aufführung jederzeit in der Hand, zeigte Elan und Temperament und vergaß über aller Dramatik nicht, daß Sänger und keine Maschinen auf der Bühne stehen. Das war eine simple Repertoire-Aufführung an einem Montag-Abend.

Wohl uns! Es geht uns wirklich gut, obwohl wir so schwer zufriedenzustellen sind.

ARIADNE AUF NAXOS am 14. Oktober

Diese Aufführung dirigierte Michael Gielen. Der junge Musiker, der bestimmt sehr gescheit und sehr fleißig ist, erinnert uns immer an einen eben ausgelernten Chirurgen, dem man einen Blinddarmdurchbruch auf den Tisch legt und zu dem man sagt: Schneiden Sie zu! Selbst das größte Chirurgentalent muß jahrelang an Leichen üben und wahrscheinlich dann noch jahrelang Beine eingipsen oder Rißwunden nähen, bevor man ihn über ein Magengeschwür läßt. Bei Dirigenten ist die Lehrzeit genau so lang – doch man nimmt das nicht zur Kenntnis. Ein junger Dirigent hat in der Provinz zu lernen und nicht an der Wiener Staatsoper. Und wenn er keine Stelle in der Provinz bekäme (wie dies offenbar bei Michael Gielen der Fall ist) dann hat er erst recht nichts an der Wiener Oper verloren. Das Vorspiel wurde in flottem Tempo absolviert, die Oper selbst geriet eher langweilig – die „gefährlichen“ Längen zeigten sich. Sena Jurinac war der Stern des Abends. Erika Köth konnte ihre Normalform nicht ganz erreichen, besonders im Vorspiel wirkte sie unkonzentriert, brillierte aber dann mit der großen Arie. Die Titelpartie war mit Gertrude Grob-Prandl, die gut ein Drittel ihres Stimmvolumens verloren hat und deshalb jetzt – Gott sei Dank – etwas verhaltener singt, besetzt. Ihre stumpfen, ins Ungefähre geschleuderten Spitzentöne sind aber noch immer eine Zumutung an den Hörer. Als Bacchus gastierte Walter Geisler, den wir als Kaiser in guter Erinnerung haben. Der Bacchus scheint ihm etwas zu hoch zu liegen und die Höhe wird steif und nicht ganz sicher. Alfred Poell war mit gutem Gelingen als Musiklehrer zu hören. Erich Kunz, Oskar Czerwenka und Peter Klein sangen die fröhlichen Stammitglieder des Komödiantenquartetts, das durch einen Gast aus Düsseldorf, Willy Brockmeier, dessen Buffo ungewöhnlich unschön klingt, der aber beim Blödeln wacker seinen Mann stellte, ergänzt wurde.

SIEGFRIED am 15. Oktober

Nach längerer Pause hatte man wieder Siegfried in den Spielplan aufgenommen, doch die Vorfreude wurde durch eine eher mittelmäßige Aufführung stark getrübt. Sogar im Orchester wollte unter Herbert von Karajans Leitung nicht alles so klappen, wie man es bisher gewohnt war: einige Mittelstimmen im Holz standen zwar in der aufgeschlagenen (!) Partitur am Pult, waren aber leider nicht zu hören, und manchmal ließ auch die sonst bewährte Präzision Wünsche offen (ohne Probe?).

Das Singen gegen den Vorhang im ersten Akt geschieht fast nur zum Leidwesen des Hörers, besonders wenn Wolfgang Windgassen, der Siegfried für ganz Europa, nicht bei Stimme ist! Beim Schmelz- und Schmiedelied ist dieser Sänger überfordert, auch in guter Verfassung.

Ausgezeichnet wieder der Mime von Peter Klein, am köstlichsten in den Momenten des Sinnens und der selbstgefälligen Zufriedenheit. Seinen Bruder Alberich sang wie immer (und hoffentlich noch recht oft) Gustav Neidlinger mit bezwingender Stimmstärke.

Ausgesprochen schön gesungen waren Gottlob Fricks Fafner und Wilma Lipps Waldvogel.

Im dritten Akt dominierte das Götterpaar überlegen in der ersten Szene, wohl einer der musikalisch stärksten des gesamten Ringes. Ein Fest der Stimmen! Jean Madeira als Erda und besonders Hans Hotter als Wanderer, der seine Partie plattenreif sang.

Von der Schlußszene gibt es wenig Erfreuliches zu berichten. Wolfgang Windgassen hatte auch hier nicht zu seiner gewohnten Form gefunden. Und als Brünnhilde aus einer bereits vorher angekündigten Indisposition erwacht war, mußte man erkennen, daß man es bestenfalls mit einer Schmalspur-Ausgabe zu tun hatte. Grundlegend besser scheint Marianne Schech auch an guten Tagen nicht zu singen: ohne Tiefe, mit wenig durchschlagskräftiger  Höhe, mit einer nichtssagenden Mittellage und ebensolchem Spiel. Als der Vorhang fiel, dürften Siegfried und Brünnhilde ein erlösendes „Wotan sei Dank!’ gesagt haben, womit auch die  Stimmung im Hause, trotz des Beifalls, bestens charakterisiert ist.

TANNHÄUSER am 16. Oktober

In diese Aufführung ging man mit den allerärgsten Befürchtungen, doch der Abend war gar nicht so arg, wie man ursprünglich angenommen hatte. Rudolf Moralt zeigte sich seiner Aufgabe (abgesehen vom Einzug der Gäste, bei dem der Chor ständig hinter dem Orchester nachhinkte und bei dem sich die Trompeten noch irgendwo in der Mitte dazwischen befanden) im großen und ganzen gewachsen. Traute Richter und Gertrude Grob-Prandl können ja als Elisabeth und Venus nicht gerade zu Jubelstürmen hinreißen, aber sie verdarben an diesem Abend auch nichts. Wilhelm Ernest gefiel wesentlich besser als bei seinem ersten Tannhäuser-Gastspiel. Vor allem muß man den Umstand erwähnen, daß er die Partie völlig ohne Schmiß bewältigte. Sogar die „Nachtigall, die mir den Lenz verkündet“ und die „Erbarm dich mein“-Rufe hatte er, wenn auch nicht schön oder edel, so doch einigermaßen sicher. (Man ist nach Karl Liebls skandalreifen Tannhäusern offenbar schon sehr milde gestimmt und froh, wenn ein Sänger wenigstens alles hat). Von Gestaltung oder gar Erlebnis konnte in der seiner Interpretation natürlich auch nicht die Rede sein. Eberhard Wächter und Anton Dermota ragten unter den Minnesängern heraus. Gottlob Frick war ein würdiger, stimmstarker Landgraf.

MATHIS DER MALER am 17. und 21. Oktober

Beide Aufführungen standen vor allem unter dem Eindruck von Paul Hindemith als Dirigenten. Die Frage, ob der Komponist gerade immer der beste Interpret seiner eigenen Werke sei, ist sehr heikel und wird dementsprechend unterschiedlich beantwortet. Abgesehen davon, daß dies oft Geschmacksache ist, ist die Frage ganz allgemein kaum zu beantworten. Auch Paul Hindemith hatte bei der Lötung eigener Werke in Wien bisher nicht immer die glücklichste Hand. Diesmal aber konnte man mit Fug und Recht und freudig „ja“ sagen. Das Bemerkenswerte an der Leitung seines Werkes war weniger die, eher selbstverständliche, Beherrschung der Partitur, sondern das über die puren Noten Hinausgehende, die Art, in der er wie selbstverständlich dämpfte, was vielleicht etwas zu hart, belebte, was vielleicht etwas zu kalt ausgefallen war und dergestalt dokumentierte, daß nicht der die Absicht des Schöpfers unbedingt treffen muß, der sich sklavisch an das Gedruckte hält. Beachtlich war weiter seine Ruhe und Sicherheit, mit der er jederzeit über die von ihm gerufenen Geister gebot. Allerdings darf auch nicht verschwiegen werden, daß auch er nichts daran zu ändern vermochte, daß die ersten Bilder kalt und unzugänglich wirken, daß eine mitreißende Wirkung – bis auf wenige Ausnahmen – eigentlich erst von 6. Bild ausgeht. Der Schluß des sechsten Bildes rief dann auch einen Begeisterungssturm hervor: am ersten Abend wurde die Umbaupause durchapplaudiert.

Mathis war Otto Wiener. Dieser kurze Satz sagt eigentlich alles. Er traf das schlichte selbstlose Wesen des um Wahrheit und Erkenntnis ringenden Künstlers und er gab der schweren Gesangspartie alles. Liane Synek, die der Komponist uns nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, war eine glatte Enttäuschung. Sie mit der Erstbesetzung zu vergleichen, wäre ein schlechter Scherz. Von einem leichten S-Fehler und starker Wortundeutlichkeit abgesehen, bot sie auch rein stimmlich, vor allem wegen einer ziemlich scharfen und unsicheren Höhe, bestenfalls Mittelmäßiges. Auch fehlte ihr darstellerisch alles, was die Ursula über das bloß Gutbürgerliche hinausheben soll. Großartiges leistete wieder einmal Wilma Lipp als Regina. Auch ihr Vater, Anton Dermota ließ stimmlich nichts zu wünschen übrig. Karl Liebl, wieder als Erzbischof von Mainz, bewies, daß diese zu seinen besseren Partien gehört, wobei ihm seine Sprachdeutlichkeit sehr nützt. Die weitere Besetzung ist bestens bekannt: Oskar Czerwenka als Riedinger, Laszlo Szemere als Capito, Margarita Kenney als Gräfin outrierend und schrill und Edmond Hurshell als Pommersfelden stimmlich und auch darstellerisch holprig und unkultiviert. Kein weiteres Wort werde über die Inszenierung verloren! Die Verfassung des Chores, vor allem des Soprans ist auch traurig

FIDELIO am 18. Oktober

Lediglich Durchschnittsniveau hatte dieses Werk, das unter der Leitung Rudolf Moralts stattfand. Dieser hatte im ersten Akt Schwierigkeiten, den Kontakt zwischen Bühne und Orchester aufrechtzuerhalten, wußte aber dafür mit einer gut gespielten Leonoren-Ouvertüre zu entschädigen. Inge Borkh ist eine Künstlerin, die den Besucher zu fesseln versteht. Sie betonte in der Darstellung der Titelrolle mehr das liebende Weib als die heroischen Züge der Gestalt, und darauf zugeschnitten war auch ihr Gesang, da ihr die ausdrucksvollen lyrischen Stellen besser gelangen als die dramatischen Ausbrüche. Anton Dermota überraschte mit einem erstklassig gesungenen Florestan. Seine schöne Stimme hat an heldischen Akzenten dazugewonnen, was besonders in der Arie zur Wirkung kam. Besonders erfreulich erschien es uns aber, daß er die Partie ohne Ermüdungserscheinungen bis zum Schlußduett durchhielt. Gustav Neidlinger verzichtete diesmal auf forciertes Brüllen, und so kam einem erst zum Bewußtsein, daß seine kraftvolle Stimme eigentlich schön ist. Die oberen Register klingen allerdings manchmal trocken und steif. Sena Jurinac sang auch mit einer Leonorenstimme den kleinen Part der Marzelline vorzüglich. Sonst sind noch die Herren Otto Edelmann, Waldemar Kmentt und Alfred Poell zu erwähnen.

LA TRAVIATA am 19. Oktober

Diese Aufführung, für deren musikalische Leitung man Alberto Erede verpflichtet hatte, bewies wieder einmal, daß diese Oper für große Sänger geschrieben ist. Der feinfühlige, differenziert musizierende, doch immer temperamentvolle Dirigent konnte auch mit den Wiener Philharmonikern keine Wunder wirken, denn zwei der drei Hauptrollensänger kamen da nicht mit. Friedl Pöltinger, die kurz vor der Vorstellung aus Graz eintraf, um statt Teresa Stich-Randall einzuspringen, brachte für die Violetta keinerlei Voraussetzungen mit. Darstellerisch kaum durchschnittlich, konnte sie dieses Manko auch nicht durch ihre kleine, in der Höhe zum Tremolieren neigende, mit Soubrettenkoloratur ausgestattete Stimme ausgleichen. Somit scheiterte von vornherein die Ballszene mit dem darin enthaltenen dramatischen Ausbruch. Die Bravourarie im ersten Akt wurde noch dazu durch Nervosität beeinträchtigt. Verhältnismäßig brav war sie in der Schluß-Szene. Man hatte sich ja von ihr nicht sehr viel erwartet. Der etwas berühmtere Kollege im Tenorfach, Nicola Filacuridi, war, es möge ihr zum Trotz gereichen, um kein Haar besser. Sein halsiges Kraft-Singen war für die Belcantopartie, sein sportives Auftreten für den Typ des Alfred nicht sehr geeignet. Wir können nur hoffen, daß Film und Television sich wieder seiner bemächtigen. Die italienischen Opernhäuser werden ihn kaum vermissen und wir schon gar nicht. Wir wollen ja schließlich nur die italienischen Spitzensänger, Durchschnitt und darunter haben wir selbst. Voll am Platz war nur Eberhard Wächter, der seine Partner haushoch überragte und mit stilvollem Gesang und durchdachter Gestaltung beeindruckte. Wenn alle Sänger an diesem Abend sein Niveau erreicht hätten, wäre Alberto Erede sicherlich noch mehr zur Geltung gekommen.

DIE ZAUBERFLÖTE am 20. Oktober

In dieser Aufführung war deutlich zu hören, daß manche kostbare Sängerkehle unter dem rauhen Herbstwetter zu leiden hatte. Doch das Stilgefühl und Verständnis für Mozarts Werk halfen bei Erika Köth über etwas beeinträchtigte Durchschlagskraft in der Mittellage, bei Anton Dermota über eine merkbare Indisposition und bei Elisabeth Grümmer darüber hinweg, daß ihre Höhe nicht ganz so rein und klar wie sonst klang. Doch welche Poesie strahlte trotz allem etwa das Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ aus, auch ein Verdienst von Erich Kunz und dessen stetem Da-sein. Aus dem ausgeglichenen Ensemble ragte diesmal Gottlob Frick heraus, der seine an Qualität derzeit unübertreffliche Baßstimme mit Gefühl einsetzte und in die „Heiligen Hallen“ bis zum tiefsten Grund vordrang. Rudolf Moralt waltete am Pult umsichtig und verläßlich seines Amtes, wenn man stellenweise auch mehr Spritzigkeit gewünscht hätte.

MATHIS DER MALER am 21. Oktober

unter Paul Hindemith wurde zusammen mit der Aufführung vom 17. Oktober besprochen.

ELEKTRA am 22. Oktober

Inge Borkh sang wieder ihre groß angelegte klassische Partie, die sie stimmlich durchaus durchhielt und durchdacht gestaltete. Hilde Zadeks Stimme klang in der Partie der Chrysothemis wenig eindrucksvoll. Als katastrophal muß man Georgine Milinkovic bezeichnen, die für die Klytämnestra überhaupt nichts mitbrachte. Es fehlt ihr die klare Diktion. Man versteht keines ihrer Worte. Sie hat keine Tiefe und wenig Mittellage und darstellerisch ist sie mehr als konventionell. Paul Schöffler und Max Lorenz gaben als Orest und Aegisth ihr Bestes. Dirigent war Heinrich Hollreiser, der streckenweise unglaublich zog und dehnte und so die Sänger, die mit dem Riesenorchester sowieso zu kämpfen haben, schwerstens beeinträchtigte.

MADAMA BUTTERFLY am 23. Oktober

Heinrich Hollreiser am Pult – leere Stehplätze auf der Galerie!. Einen vorzüglichen Abend im Stimmlichen gewährten wieder Sena Jurinac und die Herren Giuseppe Zampieri und Eberhard Wächter. Man konnte trotzdem nicht recht froh werden, langweilte sich und vermißte die gewohnten Spannungen. Das geht natürlich auf das Konto von Heinrich Hollreiser, der bewies, daß er keine Beziehungen zu Giacomo Puccini habe. Zu wem hat er eigentlich Beziehungen? Mit dem Auge an der Partitur haftend, gab er mit der rechten Hand den Takt an, während er die linke kaum zu etwas anderem als zum Umblättern gebrauchte. Es klang monoton und lang – sehr lang. Jahrelang haben wir die italienische Oper unterschätzt und mißachtet. Daran waren wohl in erster Linie Dirigenten wie Hollreiser schuld. Mittlerweise haben wir allerdings bei den meisten Werken erfahren, wie sie wirklich klingen sollen.

CATULLI CARMINA/CARMINA BURANA am 24. Oktober

An diesem Abend mußte man wieder einmal laut wehklagen über das, was von den Trionfi übrig blieb. Den dritten Teil jemals wieder aufzuführen, wird offenbar überhaupt nicht mehr gedacht. So schade es an und für sich ist, muß man das an Hand der nun einmal obwaltenden Umstände nicht nur begrüßen, sondern schmerzgepeinigt auch für die Carmina Burana wünschen. Die Catulli Carmina, in denen das Ballett die Stellung hält, die szenisch äußerst gut gelungen sind und in denen auch der Chor nicht allzu oft aus den Fugen gerät, weil er nämlich die Noten offen in der Hand halten darf, sind als Repertoirevorstellung von Mittelmaß angängig. Wenn auch die Solisten, Liselotte Maikl und Ivo Zidek, nicht so vortrefflich sangen, wie jene auf der Bühne (wie immer Edeltraud Brexner, Richard Adama, Erika Zlocha usw.) tanzten, der positive optische Eindruck behielt die Oberhand. Bei den Carmina Burana war der szenische Eindruck von vornherein zwiespältig. Um den niederschmetternden akustischen Eindruck wettzumachen, könnte er auch mit den traumhaftesten Einfällen nicht sein. Es ist völlig zwecklos, auf Einzelheiten einzugehen. Von „Floret silva“ an wurde es ständig ärger, selbst Peter Klein setzte unsicher ein. Der Chor schwamm besonders in der Schenke, und knapp vor Schluß gab es nicht nur arge rhythmische Verzerrungen, sondern auch harmonisch falsche Klänge. Ilona Steingruber, die den bisher einzigen Fels in der Brandung, Wilma Lipp, ersetzen sollte, war, solange sie piano sang und keine exponierten Höhen zu meistern waren, erträglich. Es ist jedermann bekannt, was diese beiden Einschränkungen bei dieser Partie bedeuten, und das Ergebnis war auch dementsprechend. Hans Braun zog sich relativ gut aus der Affäre. Die einzigen jedenfalls, die bei dieser Aufführung vollkommen entsprachen, ja durch Gesangskultur bestachen, waren die sechs Wiener Sängerknaben. Der Dirigent war Heinrich Hollreiser.

DER ROSENKAVALIER am 25. Oktober

hatte gutes Wiener Opernniveau. Rudolf Moralt schien diese Opern viel Freude zu machen. Er sorgte für eine wohlausgewogene, lebendige Aufführung, die starken Widerhall beim Publikum fand. Großartig waren Hilde Konetzni (Marschallin) und Sena Jurinac, der unvergleichliche Oktavian. Beide Künstlerinnen gehören zu der seltenen Kategorie von Sängern, die die Rolle tatsächlich erleben und ihr ganzes Gefühl in ihre Stimme legen. Mit diesen beiden kam Rita Streich nicht mit. Sie war eine niedliche Sophie, hatte aber große Mühe, mit ihrer zierlichen Stimme das Haus zu füllen. Nicht in den Rahmen seiner Umgebung fügte sich Otto Edelmann als Ochs. Obwohl er den Dialekt der Rolle vorzüglich beherrscht, gefiel sich der Sänger noch in starken selbstgefälligen Übertreibungen, die in starkem Widerspruch zu der diskreten und wienerisch anmutenden Schauspielkunst der Damen stand. Ist es denn wirklich notwendig, daß Otto Edelmann andauernd Grimassen schneidet, ständig mit dem Kopf wackelt, sich in den Vordergrund spielt, an die Rampe eilt und sein „Leopold, mir gengan!“ in den Zuschauerraum brüllt? Dieses faustdicke Auftragen mag vielleicht der amerikanischen Mentalität entsprechen, doch ein Österreicher sollte im Wiener Opernstil besser Bescheid wissen. In stimmlicher Hinsicht fehlt ihm für die Partie die füllige Tiefe. Hätte er nur ein Drittel so gut phrasiert, wie auf seiner Plattenaufnahme, dann wären wir wenigstens einigermaßen zufrieden gewesen. So ging es uns wie Sophie, die sich an Ochs nicht gewöhnen kann. In den Nebenrollen gefielen Anton Dermota und Hilde Rössel-Majdan.

SALOME am 26. Oktober

In dieser Aufführung war Alberto Erede zum ersten Mal in Wien als Dirigent einer deutschen Oper zu hören. Leider enttäuschte er auf diesem Gebiet. Die Eleganz und subtile Orchesterbehandlung, die er in italienischen Opern zeigen konnte, wich einem dicken, wenig differenzierten einzigen Forte. Die Farben waren zwar da, aber sehr dick aufgetragen, und die schillernden Instrumentationseffekte der Strauss-Oper mußte man mehr ahnen als hören. Inge Borkh sang die Salome stimmlich nicht ganz ausgeglichen. Neben wunderschönen, strahlenden breiten Tönen hörte man heisere, belegte, stecken gebliebene, vor allem in den Szenen mit Narraboth und Jochanaan im ersten Teil der Oper. Im Schlußgesang zeigte sie trotz der erdrückenden Klangfülle im Orchester beachtlich viel Durchschlagskraft. Ihre Darstellung war recht dezent, doch zeigte sie einige neue, ungewohnte Nuancen. Der Tanz wurde von der attraktiv aussehenden Künstlerin sehr wirksam und ausdrucksmäßig überzeugend gebracht. Auf der Bühne gab es an Erfreulichem noch einen schön gesungenen Narraboth von Anton Dermota und einen ausgezeichneten Pagen von Margareta Sjöstedt zu hören. Man könnte Frau Sjöstedt, wenn es so etwas gäbe, fast den Titel der besten Episodensängerin der Staatsoper verleihen. Ihre frische junge Stimme unterschied sich beträchtlich von dem, was man von der Bühne sonst noch hören mußte. Die übrige Besetzung bestand aus Sängern, die sich große Verdienste um die Wiener Oper erworben haben, und wir ehren und schätzen sie deshalb, auch wenn sie keinen guten Tag haben. Doch diesmal war das Zuhören alles andere als ein Vergnügen und Georgine Milinkovic, Julius Patzak (dem der Herodes eigentlich nie besondere Freude gemacht hat) und Paul Schöffler sollten, bei aller Wertschätzung ihrer Persönlichkeit, solche derartig anspruchsvolle Rollen eigentlich lieber nicht mehr singen.

CATULLI CARMINA und CARMINA BURANA am 27. Oktober

Diese Vorstellung war in den Gesangspartien wie am 24. Oktober besetzt, mit einer Ausnahme: Mimi Coertse sang in Catulli Carmina sehr sicher die Lesbia. Auf der Bühne blieb alles beim alten. Die Carmina Burana waren im Gesamteindruck, vor allem chorisch, wesentlich besser als drei Tage vorher. Es kam nur zu wenigen rhythmischen Verschiebungen. Auch des Textes schien man sich besser zu entsinnen. Es wäre also nahe liegend, daraus die Lehre zu ziehen, in Zukunft vielleicht doch Proben abzuhalten, und es nicht dem Dirigenten, wer es auch sei, zu überlassen, während der Aufführung mit letzter Kraft das Äußerste zu verhüten, nach dem Motto: Es wird schon nix passieren! Es ist schon zuviel passiert. Gesanglich war Peter Klein besser und sicherer, Hans Braun aber merklich schlechter, Ilona Steingruber genau so schlecht (haargenau die gleichen Schmisse!) wie am 24. Auch diese Vorstellung wurde von Heinrich Hollreiser geleitet.

DER ROSENKAVALIER am 28. Oktober

In dieser Reprise wurde die Sophie mit Emmy Loose umbesetzt, was der Vorstellung nicht sehr gut tat. Sie ist in dieser Partie reichlich überfordert. Im Aussehen konnte man ihr die Sophie noch knapp glauben, nicht aber stimmlich. Dazu muß man bemerken, daß Emmy Loose auch in jüngeren Tagen keine gute Sophie war. Hilde Konetzni und Sena Jurinac wiederholten die Glanzleistungen des ersten Abends und Otto Edelmann zeigte sich stimmlich etwas verbessert. Der schwungvolle Leiter war wieder Rudolf Moralt.

TURANDOT am 29. Oktober

Unsere Turandot ist ein Jammer. Die verstaubte, tote Inszenierung, die absolut nicht auf die Bühne paßt, weil sie der Theater an der Wien-Bühne angemessen und daher für das Haus am Ring viel zu klein ist, macht nicht einmal Eindruck, wenn die musikalische Gestaltung Format hat. Auch das war an diesem Abend nicht der Fall. Es wird uns ewig ein Rätsel bleiben, nach welchen Gesichtspunkten die Übersiedlungen der Repertoireopern aus dem Theater an der Wien auf den Ring überhaupt erfolgt sind. Es hat den Anschein, als habe man die ältesten und schäbigsten herausgesucht, wie Hoffmanns Erzählungen, Maskenball und eben Turandot. Diesmal dirigierte Michael Gielen und zeigte sich dem Werk nicht gewachsen. Das Orchester bildete eine Geräuschkulisse, und wenn man dem Chor zuhört, hat man den Eindruck, damals müsse im Reich der Mitte eine permanente Hungersnot geherrscht haben. Es wäre höchste Zeit, daß sich auch der Chor am Wiederaufbau der Wiener Staatsoper beteiligte und mit Stimmen aufgefüllt werde, statt mit Flüsterern, die nichts als Blattsingen können. Bezeichnend ist, daß Hermann Uhde als Timur den besten Eindruck hinterließ. Er spielte einen echten, lebenden Menschen und wußte sich von der herkömmlichen Schablone weit zu entfernen. Erfreulicherweise klang seine Stimme wieder etwas kräftiger. Turandot ist die beste Partie von Gertrude Grob-Prandl. Die Höhe hat sie sicher, und durch den Substanzverlust ihrer Stimme hat auch ihre Schreitechnik etwas von ihrer Aufdringlichkeit verloren. Eugene Tobin zeigte sein Material mit der ihm eigenen Großzügigkeit. Das schwerste Rätsel, das er als Kalaf zu lösen hat, ist allerdings weder „die Hoffnung“ noch „das Blut“ noch „Turandot“, sondern „Wie behandle ich mein Material richtig“? Wenn er dieses Rätsel lösen sollte, könnte es ihm gelingen, beim Vortrag von „Keiner schlafe“ das Auditorium wirklich nicht einzuschläfern. Teresa Stich-Randall sang die Liu-Arie des ersten Aktes sehr schön, im dritten traten aber wieder ihre Schärfen zutage. Im Ministerterzett (Waldemar Kmentt, Erich Majkut, Harald Pröglhöf) dominierte diesmal der zuerst Genannte durch seine Musikalität.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 30. Oktober

Statt des ausgefallenen Sängerkrieges auf der Wartburg und der erkrankten Salome wurde schließlich in letzter Stunde Mozarts Singspiel angesetzt, das somit als Lückenbüßer, nach monatelanger Verbannung in den Redoutensaal, hier am Ring zur Aufführung kam. Rudolf Moralt war der wenig ambitionierte Dirigent der Aufführung, in der Mimi Coertse eine zufrieden stellende Konstanze sang. Die Künstlerin sollte nur ihre Höhe genauer kontrollieren. Anton Dermota, der Partie des Belmonte längst entwachsen, bestach durch seine hohe Musikalität und Gesangskultur. Weit weniger gefiel das zweite Paar Blonchen-Pedrillo, von Emmy Loose und Erich Majkut. Emmy Loose spielt, wie immer wieder festzustellen ist, in allen Partien Papagena. Ihr Herumtänzeln und keinen Augenblick stillstehen stört empfindlich. Man könnte meinen, die Schuhe zwickten sie. Erich Majkut, mit Othellogesten agierend, ist musikalisch in dieser Partie nicht sattelfest („Auf zum Kampfe“). Lichtblick der Aufführung war der Osmin von Gottlob Frick, der immer aufs Neue begeistert. Erstaunlich wie der Künstler diese Partie mit vielen Nuancen liebenswert macht. Gesanglich ist er wohl ohne Konkurrenz auf der deutschen Opernbühne. Den Selim Bassa spielte Alfred Jerger, der auf der Galerie fast unverständlich blieb. Ob man diesem einst gefeierten Sänger eine besondere Ehre erweist, wenn man ihn in einer schauerlichen Kostümierung, die an den Kalafatti im Prater erinnert, über die Bühne schreiten läßt, um eine Sprechpartie, in der wir einst Curd Jürgens und Albin Skoda bewunderten, nicht ausfüllen zu können?

ARIADNE AUF NAXOS am 31. Oktober

Sena Jurinac war der Stern des Abends. Wie immer trat zu ihrer idealen schauspielerischen Leistung eine vollendete stimmliche Beherrschung der Partie. Mimi Coertse sprang für die erkrankte Rita Streich ein und konnte sich einen schönen Erfolg holen. Im Vorspiel, das von Zerbinetta ziemlich viel Mittellage verlangt, bleib sie allerdings völlig farblos und war kaum zu hören. Die Arie sang sie dann ausgezeichnet, zwar mehr lyrisch wie Hilde Güden (funkelnde Erika Köth-Koloraturen gab es keine zu hören), um dann nach dem kräftigen Applaus erst so richtig, von Nervosität befreit, loszulegen. Hervorragend gelangen das heikle „hast du sie so verschieden geschaffen“, das Duett mit Harlekin hinter dem Häuschen und die Ensembleszenen mit den Komikern – alles in allem eine viel versprechende Leistung, die bestimmt noch ausgefeilt werden kann. Paul Schöffler war mit gutem Gelingen als Musiklehrer zu hören. Erich Kunz, Oskar Czerwenka und Peter Klein sangen die fröhlichen Mitglieder des Komödieantenquartetts, das an diesem Abend durch den in jeder Hinsicht unauffälligen Kurt Equiluz ergänzt wurde.

 

DAS ALTE LIED!

Leitartikel

Können Sie sich noch an Augias erinnern? Jenen König der griechischen Sage, der dreißig Jahre lang seinen riesigen Stall nicht ausmisten ließ, und an Herkules, der mit diesem Schmutz an einem einzigen Tag aufräumte? Hin und wieder fühlt man sich versucht, den Stoßseufzer „Herkules, schau oba!“ loszulassen. Aber Herkules hört nicht darauf, hat von seiner irdischen Tätigkeit endgültig genug und überläßt ähnliche Anstrengungen der Nachwelt. Wäre dem nicht so, könnten wir unseren Leitartikel erfreulicheren und interessanteren Themen widmen.

Nun kommen wir in medias res. Wir sind uns bewußt, daß die Redaktion des Merker weit entfernt von herkulischer Stärke ist. Über sie breitet keine Partei die schützenden Schwingen, keine Bank steht als Finanzier hinter ihr und keine einflußreiche Persönlichkeit unterstützt sie. Eines allerdings haben wir dadurch den anderen voraus: das Charakterbild des Merker schwankt nicht „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt“. Wir kleinen Leute fühlen uns niemandem verpflichtet oder verantwortlich, außer der Geltung der Wiener Oper.

Wir sehen uns bereits seit Jahr und Tag gezwungen, des öfteren zu Gerüchten, Stimmungsmachereien sowie Übergriffen der Tagespresse gegen die Leitung des Hauses am Ring Stellung zu nehmen. Es macht uns zwar keinen Spaß, ständig dasselbe zu predigen. Nun aber ist die bewußte Entwicklung in ein Stadium gelangt, das durch die gegebenen Umstände bedenklich erscheint.

Zu dem Zeitpunkt nämlich, wo es offiziell bekannt wurde, daß die Budgetberatungen für das nächste Jahr laufen, beginnen sich die Seitenhiebe und Sticheleien zu massieren und die Gerüchte intensivieren sich. Dem naivsten Gemüt wird klar, daß nun langsam die Trommel gerührt werden soll, um jenen sattsam bekannten Wirbel zu schlagen, der einstens im Mai sogar einem Gustav Mahler das Leben sauer gemacht haben.

Nicht daß wir uns im Unklaren darüber wären, daß es eine alte und doch immer neue Geschichte ist, daß, während der Eine schmiedet der Andere Sudel braut! Genau so gut wissen wir, daß sich von alters her im Trüben gut fischen läßt, und darum wollen wir die Linien ganz klar abstecken. Heute schon – wir wissen warum!

Wir wissen, wie es bisher gemacht wurde, und wir ahnen, wie es weiter gemacht werden soll, denn die Gelegenheit ist günstig und die Vorarbeit geleistet:

Karajan zerstört die Wiener Oper!

Karajans Neunte Beethoven - ein Tennismatch in 4 Sätzen!

Karajan vernichtet das Wiener Ensemble!

Karajans Tosca - eine Symphonie in drei Akten!

Karajan für die Oper verschwenderisch mit Geld, aber spärlich mit aufbauendem Geist!

Karajans Falstaff eine Schlagerparade!

Karajan läßt nur die Sänger in Wien singen, die bei Columbia in Vertrag stehen!

Die Wiener wollen nichts von diesen Italienern wissen!

Karajans Verdi-Requiem - großes Theater!

Karajans Verdi-Requiem - erhabene Langeweile!

Karajan kann die Achse mit Mailand nicht halten!

Das nur als unvollständige Kostprobe der endlosen Reihe, und des alten Starenliedes wird kein Ende, im Gegenteil!

Das hat mit Kritik nichts mehr zu tun. An ihre Stelle ist längst die Polemik getreten. Nachdem schon einmal österreichische Verhältnisse und das Wiener Opernleben zum Gegenstand eines deplacierten Artikels in der „Times“ gemacht worden waren, wurde nun abermals in einem ausländischen Blatt Gift verspritzt. Diesmal allerdings nicht durch einen ausländischen Korrespondenten, sondern durch einen Österreicher, dessen Elaborat auf der Achse Wien-Salzburg-München oder genauer gesagt, dort beheimateter Zeitungen (Für wie blöd hält man eigentlich seine Leser?) in dieser sonst allgemein anerkannten Münchener Zeitung lanciert wurde. Es ist richtig, daß eine gewisse Wiener Presse durch das, was sie in den letzten Monaten auf ihrer Kulturseite dem Druck überantwortete, bei seriösen und informierten Kreisen ihre Glaubwürdigkeit und „ihr Gesicht“ eingebüßt hat. Aber deshalb nun die Wühlarbeit von außen herum zu versuchen, ist ein äußerst dubioses Vorgehen. Würden die Journalisten der Sportseite sich etwas Derartiges einfallen lassen, würden sie wahrscheinlich bei der ersten besten Gelegenheit als Opfer der Volkswut im Stadion ihren Geist aushauchen. Aber wer in Kultur macht, hat es wesentlich einfacher, er wendet sich ja an einen Leserkreis, der immer noch glaubt, daß Ohrfeigen keine Argumente seien. Nun aber ist es genug; auch dem Gutmütigsten geht nach und nach der Humor aus. Wir geben daher diesen Herren einen guten Rat: Pfeifen Sie ihre Pressekampagne ab, sonst könnte es sein, daß auch andere diese Methoden zu den ihrigen machen. Es wäre für die Öffentlichkeit bestimmt  nicht uninteressant und langweilig zu hören, wie dieser oder jener Kulturredakteur wurde, oder wie hoch sein Gehalt ist, ob es den Leistungen entspricht oder nicht maßlose Verschwendung darstellt? Oder welche Vorbildung und Fähigkeitsnachweise dieser oder jener mitbringt und auf welche und wie alte Erfahrungen er sich stützen kann. (Wer diesen oder jenen Kreisen nahe steht, kommentiert dies ohnehin durch entsprechende Ausrichtung der Kritiken!

Vielleicht sollte sich mancher auch lieber mehr mit eigenen Belangen befassen als mit dem Privatleben des Künstlerischen Leiters.

Völlig unbegreiflich erscheint es, wieso es einen Rezensenten geben kann, in dessen doch bestimmt unbestechlicher Seele der Gedanke auftaucht, daß just der einzige Mann in der Staatsoper (wir meinen Herrn Mattoni),  der – vom Staate unbezahlt – mehr arbeitet, als alle bezahlten Generalsekretariatsmitglieder zusammengenommen, käuflich sei. Denn daß hier das Sprichwort: „Wie der Schelm denkt, so ist er!“, nie und nimmer angewendet werden sollte, das ist uns bewußt!

Wenn wir die täglichen Anti-Karajan-Beilagen aber immer nur auf gewissen Kulturseiten finden und das üppige, frei von jeder Objektivität wuchernde Gemecker verfolgen, drängt sich uns die Frage auf: „Wohin rollst du, Äpfelchen?“

Haben sich die Herren überhaupt schon einmal Gedanken gemacht,  was mit der Wiener Staatsoper geschähe, wenn es Karajan zu bunt würde und er seinen Hut nähme?

Darüber hinaus wenden wir uns gegen einzelne Personen, die als Hetzer im Hintergrund aus persönlichem Ehrgeiz oder erwartetem Vorteil für das eigene Ego fungieren, sei es Aspiranten auf die Direktionsstühle am Ring oder Ensemblemitglieder, die wohl vom Geld der Staatsoper leben (und nicht gerade elend), die sich aber nicht scheuen, mit der einen Hand ihre Gage zu nehmen und mit der anderen Steine aufzuheben. Wenn damit nicht Schluß gemacht wird, werden wir uns eines Tages genötigt sehen, Namen zu nennen! Für diesmal wollen wir es bei der allgemeinen Formulierung  „Miesmacher hinaus“ bewenden lassen. Wem irgend etwas an der Wiener Staatsoper nicht paßt, dem bleibt immer noch die Möglichkeit, seinen Vertrag zu kündigen. Wenn es sein muß, ist jeder zu ersetzen. Bleiben aber muß die ungestörte Aufbauarbeit, bleiben muß das errungene Niveau des Hauses. Und um dabei bestehen zu können, hat jeder einzelne Künstler, gleichgültig, ob er einen großen oder einen kleinen Namen trägt, alle Hände voll zu tun, um an sich selbst zu arbeiten, zu lernen und zu studieren. Ansonsten ist kein Platz für ihn an diesem Haus.

Der Grund unserer Stellungnahme hat mit der Person Herbert  von Karajans  nichts zu tun. Wir haben absolut nicht die Absicht, einem Personenkult Vorschub zu leisten (wie man uns so gerne in die Schuhe schieben möchte), noch sind wir in Gefahr, in blinde Ekstase zu verfallen. Wenn uns etwas an den Entscheidungen und Leistungen des Künstlerischen Leiters mißfiel, haben wir es stets deutlich vermerkt. (Wer es nicht glauben will, lese in den vergangenen Nummern des Merker aufmerksam nach!) Niemals aber hat es um persönliche Sympathien und Antipathien zu gehen. Hier wird die Stellung des einzelnen Künstlers und die Parteinahme für ihn bedeutungslos, denn die Frage von Besetzungen ist in diesem Blickwinkel gesehen nur mehr untergeordnet. Es geht einzig und allein darum, daß Herbert von Karajan das Haus aus seinem tiefsten Niedergang herausgeführt und innerhalb von zwei Jahren zum ersten Institut der Welt gemacht hat! Ob sein Vorgehen unserem Dafürhalten entspricht, ob er hier oder dort Unrecht oder Recht getan hat, ob er selbst uns begeistert oder ob wir etwas „gegen ihn haben“, ist uninteressant. Wichtig ist nur, daß er dieses Niveau geschaffen hat. Entscheidend ist, daß seine Arbeit nicht gestört oder zerstört wird. Und nicht zu leugnen bleibt der Umstand, daß nur er für die Wiener Staatsoper unersetzlich ist.

Der Stammbesucher, dem dies mehr gilt, als Sentiments und Ressentiments, fühlt sich versucht, an manchen Abenden Othello zu zitieren: „Allzu groß ist mein Glück, und ich muß beben vor Götterneid!“, wobei der Neid weniger göttlichen als allzu menschlichen Ursprungs ist, und es an der Zeit wäre, dafür Sorge zu tragen, daß nicht eines Tages irgend jemand sich unter dem Jagowort: „Mein Gift tut seine Wirkung!“ brüsten könnte!

Wir leben in einem Land, dessen vorherrschende Bedeutung auf dem Kultursektor liegt. Auf dem Gebiet der Musik ist Österreich Großmacht, und wer hier unterminieren will, ist in unseren Augen ein Saboteur.

Die österreichische Bundesregierung ist umsichtig und sachlich genug, um zu wissen, was sie der Bedeutung der Wiener Oper schuldet und wie sie sich bei der Bewertung der im Haus am Ring vollbrachten Leistungen und den entsprechenden Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Budget zu verhalten hat. An den verantwortlichen Stellen läßt man sich gottlob nicht von einer „gewissen“ Presse beraten, denn sie und ihre Art sind dort wohl bekannt.

Daß man auch in der Staatsoper und vor allem in der Bundestheaterverwaltung sparen könnte, ist evident. Unbegreiflich erscheint uns, warum man das bisher so konstant ignorierte. Der Beamtenapparat ist der umfangreichste, den es auf diesem Gebiet in der ganzen Welt gibt. Das stellte immerhin schon vor Jahren ein Erich Kleiber fest und weigerte sich, eine solche Belastung mitzuschleppen! Sicherlich läßt sich nicht sehr erfolgreich operieren mit Beamten, deren Arbeitsweise und Arbeitsgebiet nichts gemein hat mit normaler kaufmännischer Tätigkeit, sondern eher eine fast barocke Skurrilität  eines Herzmanovsky-Orlando aufweist. Und schließlich kann ein Organisationsteam, das sogar 1954 bis 1956 jämmerlich versagt hat und nicht einmal dem damaligen provinziellen Niveau gewachsen war, auf keinen Fall den Ansprüchen eines Opernhauses von internationalem Rang anno 1958 gerecht werden. Darum weg damit! Das hieße, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und gleicherweise Geld sparen und Unruheherde eliminieren! Wir haben ferner Gagenempfänger, die fast nur dann in der Oper gesehen worden, wenn sie ihren Gehalt abholen, und obendrein für die bezahlten Gelder keine Leistungen ausweisen! Hier müßte endlich radikal durchgegriffen werden.

Noch immer blüht die Dienstsitz-Wirtschaft; das Freikartenunwesen wäre längst dafür reif, energisch gestutzt zu werden. Die Nachfrage nach Karten ist groß genug!

Wir brauchen auch keine Regisseure, die keinerlei Können dokumentieren und nur deshalb noch immer diesen Posten bekleiden, weil sie vorzeitig ihre Stimme verloren haben! Die Staatsoper ist kein Versorgungsinstitut, auch nicht für entlassene Burgtheaterdirektoren:

Wir weisen weiters neuerlich darauf hin, daß die Drimmel-Aktion - so gut gemeint sie auch ist - dennoch weit davon entfernt ist, wirklichen Erfolg zu zeitigen. Fast jeder der Jugendlichen, der seinen Opern-Stehplatz geschenkt bekommt, zögert kaum, sich eine wesentlich teurere Karte für Elvis Presley oder ein Fußballmatch zu kaufen. Stehplatzbesucher wird man aus Begeisterung, und Begeisterung ist immer bereit, persönliche Opfer zu bringen. Die Wiener Oper besuchen zu können, ist eine Ehre, und dazu braucht man nicht geschoben und gedrängt zu werden. Wer es aber nicht fühlt, der wird es auch nicht erjagen. Die Ausgaben für diesen Plan sind daher nicht gerechtfertigt!

Vor zwei Jahren bemerkte Herbert von Karajan auch zu den Angriffen, die der Merker gegen gewisse Personen und Umstände an der Wiener Staatsoper richtete, „man könne nicht alles in Grund und Boden verreißen, das sei destruktiv.“ Wir nehmen an, daß er inzwischen selbst feststellen konnte, daß die angekreideten Mißstände nicht zu Unrecht schärfstens kritisiert wurden, sondern vielmehr auch radikal bereinigt gehört hätten, auch wenn ihm dies persönlich und seiner bekannt fairen Art widerstrebt. Wien und der Direktionssessel am Ring haben seit jeher als heißer Boden gegolten, und die noch nicht liquidierten Mißstände sind Hürden, die immer wieder aufs Neue genommen werden müssen. In den nächsten drei Jahren werden solch widrige Begleitumstände Karajan hoffentlich nicht mehr die Arbeit erschweren! Früher hatte man auf der Galerie, die Mahler als Herz der Oper bezeichnete, keine Möglichkeit, öffentlich mitzureden. Erst als die Katastrophe perfekt war, blieb als Protest das Pfeifkonzert. Jetzt aber ist es anders, jetzt hat das Stammpublikum eine Stimme und es wird sie zu gebrauchen wissen, mit allen Rechten und Freiheiten, die ihr in einem demokratischen Land zustehen.

Wir wollen Sauberkeit, und wir werden uns nicht scheuen, auf alles hinzuweisen, was diesem Gedanken zuwiderläuft. Wir werden die Augen offenhalten und alles in unserer Macht Stehende dazu beitragen, daß die Dunkelmänner auswandern, die Intriganten Fersengeld  geben, die Nachtalben ihren Sudel selber schlucken und die Jagos am eigenen Gifte ersticken, damit endlich einmal das geflügelte international gebrauchte Worte „Die Wiener Hexenküche“ seine Berechtigung verliere. Auf daß wir ohne Seufzer und nur mit Genugtuung sagen können: „Herkules, jetzt schau oba!“

 

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