DER NOVEMBER 1958

3. Jahrgang, Heft 12

 

Er war zum größeren Teil den Ballettvorstellungen vorbehalten war und wies nur vierzehn Opernabende auf. Wenn wir von ihnen nicht voll befriedigt waren, so muß dazu gesagt werden: Am Spielplan lag es diesmal nicht, mit zwei Pfitzner-, zwei Strauss- und vier Mozartabenden, vier Italienern, einem Beethoven und einem Strawinsky-Abend war er absolut nicht als Lückenbüßer gedacht oder mißbraucht, Über „den unbegreiflich tief-geheimnisvollen Grund“ sollten sich einmal einige Verfechter des sogenannten heimischen Ensembles und Vertreter der zweiten Garnitur-Propaganda den Kopf zerbrechen.                             

Immerhin auch bei strengem Maßstab bleiben der großartige Palestrina, Strawinsky am Pult bei Oedipus Rex,  Erede als Leiter des Rigoletto und ein guter Fidelio. Positiva, die gegenüber den Abenden, die Durchschnitt und vereinzelt noch weniger boten, einen Niveauausgleich und eine Ehrenrettung bedeuteten. Und trotz scharfer Kritik dürfen wir nicht vergessen, im Jahr 1955 und 1956 hätten wir dieselben Vorstellungen als Aufschwung, ja als Fest angesprochen, so arm waren wir damals, und so reich sind wir heute, daß wir uns solche Unzufriedenheit, aus gutem Grund, leisten können.           

 

PALESTRINA am 1. November

Die Vorstellung leitete Rudolf Moralt. Julius Patzak sang die Titelpartie. An diesem Tag war wieder einmal das merkwürdige Phänomen festzustellen, daß gute Palestrina-Vorstellungen kennzeichnet, nämlich, daß man beglückt feststellt, wie kurz eindreiviertel Stunden sein können. Es war allerdings auch ein Dreigestirn auf der Bühne, das im ersten, wie im dritten Akt, mit jeder Phrase, jedem Wort und der kleinsten Geste bewundernde Andacht zu erwecken wußte. Unser lieber, verehrter Julius Patzak, Inbegriff eines Musikers, der für uns mit der Gestalt des Palestrina eins geworden ist, der mit seiner kostbaren Stimme im leisesten Pianissimo das Haus füllt, brachte außer dem, was ihn selbst ohne Singen groß macht, auch eine vortreffliche Disposition mit, die vor allem in der Messe staunend aufhorchen ließ. Hans Hotter, als Borromeo sein Gegenpol, war wahrhaft gewaltig großartig, ob er ihn beschwor, mit ihm haderte, ihn beklagte und schließlich ob seiner Begnadung verehrte, immer blieb Hans Hotter gleich überzeugend, mitreißend, erschütternd. Sena Jurinac, die wir lange als Ighino schmerzlich vermißten, sang nicht nur inniger als je, man muß sie gesehen haben, in Gang und Gebärde, in der Wandlung des um den geliebten Vater bangenden, bedrückten Knaben zum jubeln beglückten Sohn. Allein die Phrasierung der Frage. „Freust du dich denn nicht?“ war ein Meisterstück. Der zweite Akt als harter Kontrast (Uneinigkeit Äußerlichkeit, Machtkampf und Intrigenspiel), vermochte im Gesamteindruck künstlerisch nicht gleichwertig zu bestehen. Nicht nur, daß, so scheint es, die Partie des Zeremonienmeisters nicht vollwertig zu besetzen ist. Carlo Schmidt wollen wir eilig wieder vergessen, er ist nicht  besser und nicht sicherer als Edmond Hurshell. Nicht nur, daß Hans Hotter anfangs den, im übrigen wie immer treffend charakterisierenden, Laszlo Szemere an die Wand sang, und Hans Helm als Gast einen in jeder Hinsicht farblosen Grafen Luna abgab, auch Paul Schöffler vermochte nur durch seine hohe Darstellungskraft stimmliche Schwierigkeiten zu retuschieren. Vortrefflich besetzt war der Bischof von Budoja mit Peter Klein, und zwar vortrefflich auch in sängerischer Hinsicht.

ELEKTRA am 2. November

war – was kein Opernabend sein sollte und ein Strauss-Abend schon gar nicht sein darf – vollkommen uninteressant. Ein Blick in den Zuschauerraum überzeugte, daß das Stammpublikum den Verlauf des Abends vorausgeahnt hatte. Nicht nur die Stehplätze waren äußerst schütter besetzt, auch die Seitensitze von Balkon und Galerie (wo auf den billigsten Plätzen das am besten informierte Publikum zu finden ist), gähnte vor Leere. Die Schuld daran traf natürlich Heinrich Hollreiser, der in langsamstem Tempo einen dicken, undurchsichtigen und jeglicher Farbe entbehrenden Orchesterbrei erzeugte. Die Sänger waren dadurch ziemlich gehandicapt. Elisabeth Höngen, Paul Schöffler und Max Lorenz bewiesen in ihren Partien einmal mehr ihre große künstlerische Intelligenz und Inge Borkh zeigte Intensität der Gestaltung und eine kraftlose, müde, offenbar durch Indisposition gehemmte Stimme. Der Gast aus Berlin, die Chrysothemis Gladys Kuchta, ist in jeder Beziehung als durchschnittlich zu bezeichnen. Schauspielerisch blieb sie farblos. Die schlanke, helle Stimme war in den höheren Lagen unsicher geführt und so wurde das Erreichen der Spitzentöne zu einem Glücksspiel.

EIN MASKENBALL am 3. November

Was Vater Josef Gielen inszeniert, muß offenbar Sohn Michael Gielen dirigieren. Das war bei Johanna auf dem Scheiterhaufen der Fall, bei Ariadne auf Naxos und nun auch bei Ein Maskenball. Wir flehen zum Himmel, daß uns allfällige Rosenkavaliere oder Carmen und Tannhäuser erspart bleiben mögen. Das einzige Stück auf das Michael Gielen an der Staatsoper einigermaßen wirksam Einfluß nehmen könnte, nämlich Carl Orffs Trionfi, gibt man ihm intelligenterweise nicht. Dabei könnte man ihm füglich nur dieses Stück anvertrauen, weil hier hartes, maschinenmäßiges Taktschlagen genügt, und sich in diesem Falle der Effekt von selbst einstellen würde. Aber nach einem „Meister“ gleich der „Zauberlehrling“, nach einem Mitropoulos gleich den Michael Gielen – das geht denn doch nicht. Und warum spielt man überhaupt Maskenball bzw. drischt ihn ab, wenn keine Besetzung dafür vorhanden ist? Denn von dem erstrangigen Ensemble der ersten Vorstellungen blieben nur der kultivierte Giuseppe Zampieri, der sehr schön in die schwierige Partie des Riccardo hineingewachsen ist, und Erika Köth, die aber schließlich auch einmal etwas anderes hätte singen können. Die Besetzung der kleineren Partien ist allerdings auch gleich geblieben, aber von dieser wieder war auch ohnehin nur Ljubomir Pantscheff erwähnenswert. Als Amelia gastierte Liane Synek. Sie zeigte im zweiten Akt einige gute Momente, konnte aber wegen ihrer messerscharfen Höhe, dem geringen Einfühlungsvermögen in ihre Partie und zu ihren Partnern, keinen befriedigenden Gesamteindruck erzielen. Hilde Rössel-Majdan sang die Ulrica. Ihre Leistung kann am treffendsten mit brav bezeichnet werden, was zugleich alles mit einschließt, was sie von der vollen Erfüllung dieser Partie trennt. Kostas Paskalis war Renato. Ein Natursänger, derzeit noch ohne Tiefe und ohne untere Mittellage. Außerdem brauchte der attraktive junge Mann ca. zwei Akte lang, um sich einzusingen – dies vorher zu besorgen, mangelt ihm anscheinend Zeit, oder Fleiß – dafür distonierte er dann innerhalb dieser Zeitspanne. Aber er singt die Rolle nach Ettore Bastianini. Mut hat er, das muß man ihm lassen!

OEDIPUS REX und DER WUNDERBARE MANDARIN am 4. November

Als nach dem einleitenden, tänzerisch gut wie immer gestalteten, musikalisch straff von Michael Gielen geleiteten Wunderbaren Mandarin Igor Strawinsky ans Pult trat, um seinen Oedipus Rex zu dirigieren, schlug ihm schon sehr herzlicher Antrittsapplaus entgegen, der sich beim Erscheinen des Meisters vor dem Vorhang am Schluß des Abends noch verstärkte – Ausdruck der Freude darüber, daß das Wiener Publikum nun auch diesen großen Komponisten persönlich kennenlernen durfte, der mit der Kraft seiner Individualität die Musik unserer Zeit mitgeformt hat und dessen Stilwandlungen die Wandlung der Formen in der modernen Musik nach sich zogen.

Zum Dirigenten ist er allerdings weniger berufen. Man erfuhr über seinen Oedipus nichts Neues. Das interessierte Orchester, der disziplinierte Männerchor und die  Solisten, unter denen Martha Mödl und Waldemar Kmentt durch ihre Intelligenz hervorragten, die Herren Gottlob Frick und Oskar Czerwenka gewohnt sicher sangen und Kurt Equiluz durch Musikalität auffiel, sahen sich natürlich größeren Schwierigkeiten gegenüber, als unter einem Berufsdirigenten, der noch dazu, wie der Leiter dieser Einstudierung, wirklich berufen ist. Wie groß diese Schwierigkeiten waren, konnte man unschwer an Endre Koréh (Kreon) hören, der vollkommen in den Orchesterfluten unterging, obwohl doch allgemein bekannt ist, daß er die Töne wie riesige erratische Blöcke aus seinem Brustkasten herauszuschleudern pflegt. Aber schließlich war man letzten Endes deshalb in die Oper gegangen, um dem Komponisten Strawinsky seine Reverenz zu erweisen. Die  Entdeckung eines neuen Dirigenten war keineswegs beabsichtigt. Das stand nur in der Tagespresse. Die Absicht ist leider allzu klar und bezeugt: Die Kritiken haben in Wien derzeit zwar keinen Sinn mehr, doch dafür einen Zweck.

PALESTRINA am 5. November

An diesem Abend sang Murray Dickie den Bischof von Budoja. Hermann Uhde bestach als des Königs von Spanien Orator weniger stimmlich, als ausdrucks- und darstellungsmäßig: Nicht nur ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, der auf die Kleriker herabsieht, ein Feuerkopf, der sie mit Berechnung und Lust gegeneinander ausspielt, und der die Ermahnungen Morones leicht spöttisch, mit Wippen auf den Zehenspitzen beantwortet. Er offenbarte auch einige Schwächen jener, die an diesem Abend nicht sonderlich aufgefallen waren. Am deutlichsten wurden die Grenzen seines Gegenspielers des Lothringers (Erich Kunz) klar. Treffend in seiner geraden Bärenhaftigkeit, nur leider sprachlich und in kleinen Nuancen auch gesanglich nicht ganz korrekt, Otto Edelmann als Madruscht. Wacker hielt sich Erich Majkut (Abdisu), etwas rauh Marjan Rus (Avosmediano), nicht sehr profiliert, aber korrekt Harald Pröglhöf (Brus). Unter den kleinen Chargen fiel Hugo Meyer-Welfing deutlich ab. Den Papst sang Gottlob Frick, und zwar sehr schön. Unter den Meistern wirkte Anton Dermota sehr vorteilhaft. Als Kapellsänger war Norman Foster zu hören. Anny Felbermayer war sicher, aber nicht mehr, und Margareta Sjöstedt wuchs nicht über sich hinaus. Karl Kamann war zu dem, was ihm sonst für den Borromeo fehlt, stark indisponiert und kam mit Mühe über die Distanz. Julius Patzak schonte sich zuerst ein wenig und war erst ab seiner großen Soloszene wieder der alte. Auch das Orchester, vor allem das Holz im ersten Akt, leistete sich wesentlich mehr Schnitzer, sodaß auch Rudolf Moralt die geschlossene Leistung des ersten Abends diesmal nur im dritten Akt erreicht.

TURANDOT am 6. November

Ein die Geduld und die Nerven mordender Abend für den Zuhörer. Das Übel nahm seinen Ausgang vom Pult her, an dem Michael Gielen wie ein musikalischer Buchhalter waltete, ohne jede innere Beziehung zur Musik. Kein Wunder, daß die Professoren im Orchester lieb- und lustlos, mit wahrhaft chinesischem Gleichmut ihre Parts herunterspielten. Auch großes Pressegeschrei macht eben noch keinen Dirigenten! Statt der absagenden Inge Borkh sang die Titelpartie Carla Martinis, nur mehr ein Schatten ihrer selbst, wie wir mit Bedauern neuerlich feststellen mußten. Die Mittellage wurde dünn und substanzlos, die Tiefe wird nur mehr gesprochen, die Spitzentöne werden zu tief angesetzt, jeder einzelne, ohne Rücksicht auf die musikalische Phrase und dann unbarmherzig hinaufgeschleift, bis die Tonhöhe annähern erreicht wird. Dem Zuhörer läuft es dabei kalt über den Rücken. Emmy Loose sang die Liu, gleichfalls dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen. Joao Gibin als Kalaf fiel durch die gute Erscheinung auf und dadurch, daß von seiner Stimme kaum etwas zu hören war. Schade um das zweifellos schöne, vorhandene Material, das durch Einsatz in dramatischen Partien wie nun einmal auch der Kalaf eine ist, mißbraucht wird. Hans Braun begann gleich mit einem falschen Ton, es blieb aber trotz der kurzen Partie nicht der einzige. Niveau hatten allein auf weiter Flur nur Hermann Uhde als Timur und das Ministerterzett (Murray Dickie, Waldemar Kmentt und Harald Pröglhöf).

RIGOLETTO am 7. November

Hörenswert machte diesen Abend Alberto Erede als Leiter unseres Meisterorchesters. Er brachte nicht nur die feinsten Nuancen der Partitur zur Geltung, er war gleichzeitig den durchwegs jungen Solisten auf der Bühne ein treuer Helfer. Unter ihnen hatte Giuseppe Zampieri einen schwachen Tag aufzuweisen, denn für den Herzog bringt er nun einmal wenig Voraussetzungen mit. Der Stimme mangelt es für diese Partie an dem zündenden Funken, der den Knalleffekt vermittelt, an der charmanten Geschmeidigkeit, an diesem gewissen, einschmeichelnden Etwas. Darstellerisch ist der sympathische, bescheidene junge Sänger schon gar nicht in der Lage, den Verführer glaubhaft zu machen. Er wirkt eher, als wäre er der ihn umgebenden Damenwelt zum Opfer gefallen. Die beste Leistung bot Mimi Coertse als Gilda, die die schwierige Arie „Caro nome“ sicher bewältigte, und im Duett mit Rigoletto zu überzeugen wußte. Kleine Unsicherheiten waren ein Zeichen von verständlicher Nervosität, die damit abgebucht werden können. Kostas Paskalis in der Rolle des Rigoletto verkörperte diese Partie mit dem ihm eigenen Theaterinstinkt. Leider hat er seine Stimmittel nur unzureichend in der Gewalt, neben machtvollen Fortetönen in den höheren Lagen, schienen wieder Leerläufe in den tiefer gelegenen Stellen des Parts auf, und das unkontrollierte Fortesingen wirkte auf die Dauer ermüdend. Hermann Uhde lieh seine starke Persönlichkeit dem Monterone, dem Fluch hingegen nur wenig Stimme. Die Besetzung der übrigen kleinen Partien wollen wir schamhaft verschweigen. Mit Recht wurde der Dirigent mehr gefeiert als die Solisten.

FIDELIO am 8. November

In dieser Aufführung erwachte Rudolf Moralt. Ebenso rätselhaft, wie uns das desinteressierte Taktschlagen dieses guten Dirigenten manchmal vorkam, von dem wir früher oft sehr schöne Abende hörten, erscheint uns seine Leistung an diesem Abend rätselhaft gut. Hier gab es dramatische Intensität und groß angelegte Phrasen, Gefühl und echtes Temperament, das Rudolf Moralt nur einmal – im DuettO namenlose Freude“ – durchging und zu einem Tempo führte, mit dem die Sänger nicht mehr mitkamen, was aber durch eine schön gesteigerte Dritte Leonoren-Ouvertüre und ein gut aufgebautes Finale wieder wettgemacht wurde. Und man fragt sich mit Recht: Warum ist Rudolf Moralt nicht immer so? Die Zurücksetzung gegenüber anderen Dirigenten, die klassenmäßig oft wesentlich schlechter sind, die Beschränkung seines früher weit gespannten Repertoires würden sich dann wie von selbst aufhören – wenn man sich auf ihn verlassen könnte. Anton Dermota, der sich anfänglich mit dem Florestan sehr geplagt hat, ist nun gesanglich in die Partie vollkommen hineingewachsen. Man hörte nicht nur eine prächtig gesungene Arie, auch die Kerkerszene und das Finale waren mit Kraft und Wohlklang erfüllt. Inge Borkh ist eine kluge und zur Gestaltung berufene Sängerin, auch wenn sie – wie diesmal – stimmlich nicht bestens disponiert ist und mit den Spitzentönen ihre Not hat. Wilma Lipp ist eine Marzelline mit Gefühl und ohne jede Soubrettenhaftigkeit. Otto Edelmann sang den Rocco, eine seiner guten Partien mit kräftigem Organ. Paul Schöffler, ein Pizarro mit Persönlichkeit, Hermann Uhde, ein repräsentativer Minister und Murray Dickie, ein ausgezeichneter, gegen früher darstellerisch wohltuend gedämpfter Jacquino, ergänzten die Besetzung dieses schönen und würdigen Beethoven-Abends.

ARIADNE AUF NAXOS am 9. November

Die Aufführung leitete anstelle Michael Gielens Rudolf Moralt, der sich an diesem Abend wieder von seiner besten Seite zeigte und wie immer, wenn er in Stimmung ist, den übrigen „Hausdirigenten“ um Klassen überlegen ist. Das ersatzgeschwächte Orchester folgte ihm willig und bescherte einen musikalisch schönen Strauss. Das Vorspiel auf dem Theater verdankte der Besetzung Paul SchöfflerSena Jurinac starken Eindruck und hohes Niveau, gegen das der weitere Verlauf des Abends, von der Bühne her gesehen, beträchtlich abfiel. Gertrude Grob-Prandl als Ariadne blieb kalt, monoton, man möchte fast sagen maschinell im Gesanglichen, nicht vorhanden im Darstellerischen. Walter Geisler sang Bacchus, ohne auch nur ein Halbgott zu sein. Den Unsterblichen verzeiht man keine bürokratischen Gesten und rauhes, halsiges Singen! Zerbinetta wurde von Carol Lorain – woher der Fahrt sie kam, stand nicht auf dem Zettel – gesungen. Sie war eine im Aussehen aparte, schlanke Zerbinetta, die bis zur Mitte ihrer schwierigen Arie tapfer durchhielt und dann vorzeitig vor der vielen „Müh und Plag“ kapitulierte. Das launige Quartett war Murray Dickie, Kurt Equiluz, Erich Kunz und Oskar Czerwenka anvertraut, wobei die outrierte Komik des letzteren beinahe schon einem „Brettl“ als der Opernbühne angepaßt wirkte. Das Fazit des Straussabends: ein Lob dem Orchester unter Rudolf Moralt.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 10. November

Weniger Lob gebührt dem Dirigenten Rudolf Moralt für diese Vorstellung. Mit ihr verdiente er sich fürwahr den „Orden der Lustlosigkeit“, die überdies von dem gesamten Ensemble Besitz ergriffen hatte. Als einzige Entschuldigung dafür mag vielleicht die überalterte und schon bereits in drei Häusern abgespielte Inszenierung gelten. Trotzdem ist ein derartiges, allgemeines Desinteresse nicht verzeihlich. Mimi Coertse schien übermüdet, Waldemar Kmentt konnte sich erst gegen Ende des Abends frei singen, Ludwig Weber hatte einen schwarzen Tag. Als einziger Pluspunkt kann ihm zugute gehalten werden, daß er wenigstens in der Trinkszene das Publikum aus seiner Lethargie zu reißen vermochte. Selbst Murray Dickie wirkte indisponiert und Emmy Loose schwach. Mit einem Wort: absoluter Nullpunkt!

BALLETTABEND am 11. November

BALLETTABEND am 12. November

EIN MASKENBALL am 13. November

Edith Lang aus Hamburg sang die Amelia. Weder die Erscheinung noch die Darstellung von Edith Lang sind wirksam. Die in der Mittellage angenehme Stimme wird in der Höhe leider unsicher. Das C der Arie gelang nur mit viel Mühe. Elisabeth Höngen, die die Ulrica sang, bringt zwar sehr wohl die nötige Persönlichkeit und den nötigen Ausdruck hiefür mit, leider jedoch nicht die erforderliche stimmliche Substanz, speziell in der Tiefe.

DON GIOVANNI am 14. November

Dieser Abend stand im Zeichen des Titelhelden Eberhard Wächters, einem Giovanni, der im Begriffe ist, die Welt zu erobern. Sena Jurinac als Donna Anna schenkte der Partie die dramatische Fülle ihrer Stimme, die allerdings diesmal belegt klang. Gerda Scheyrer als Elvira sang den ersten Akt passabel, um im zweiten mit der gestrichenen Arie zu kapitulieren. Wilma Lipp war eine typisch wienerische Zerlina, mit Liebreiz und Ausdruck in Spiel und Gesang. Lustig und voller Späße der Leporello von Erich Kunz. Waldemar Kmentt mißlang die erste Ottavio-Arie. Er stolperte über die Piano -Passagen. Ludwig Weber als Komtur konnte wenigstens streckenweise (Friedhofszene) gefallen. Musikalisch: Es spielte das Substitutenorchester unter der Leitung von Heinrich Hollreiser! Kommentar überflüssig!

BALLETTABENDE vom 22. bis 28. November

DIE ZAUBERFLÖTE am 29. November

Rudolf Moralt war der umsichtige Leiter dieser Aufführung, die wie immer vor ausverkauftem Haus gespielt wurde. Während auf der Galerie sehr viele Schulklassen zu sehen waren, beherrschten die Ausländer Parkett und Logen. Die Stimmung an diesem Abend war nicht besonders. Vielleicht hat Teresa Stich-Randall als Pamina dazu beigetragen. Warum die Sängerin ausgerechnet in dieser seelenvollen Partie angesetzt wird (warum überhaupt!!) ist unbegreiflich, da sie weder darstellerisch, noch gesanglich befriedigt und auch optisch nicht gerade eine Idealpamina ist. Bezüglich der Pamina sind wir von den anderen hauseigenen Künstlerinnen wie Lisa Della Casa, Elisabeth Grümmer, Wilma Lipp, Sena Jurinac, Hilde Güden und Irmgard Seefried sehr verwöhnt. Wahrscheinlich gefällt sie dafür den „italienfeindlichen“ Kritikern der Boulevardpresse um so mehr, die ganz übersehen, daß Teresa Stich-Randall auch Ausländerin ist. Aber bei Amerikanern ist man nicht prüde! Mimi Coertse überraschte durch eine gut gesungene Königin der Nacht, die auch die zweite Arie mit den halsbrecherischen Koloraturen gut meisterte. Gottlob Frick überzeugte als Sarastro gesanglich vollkommen. Anton Dermota war der kultiviert singende Tamino, der sich an diesem Abend recht plagte, Eberhard Wächter ein idealer Sprecher, Peter Klein endlich wieder der Monostatos und Erich Kunz begeisterte wieder als Papageno.

DON GIOVANNI am 30. November

In dieser Aufführung brillierte wieder Eberhard Wächter in seiner Glanzpartie. Er legte sich ein besonders schönes A ein und fand wieder ein paar neue Nuancen – etwa das erstaunte Flüstern, wenn sich die Rächer demaskieren. Er ist der seltene Fall eines Sängers, den man in einer Rolle unzählige Male hören und sehen kann, ohne daß man den Wunsch nach Abwechslung in der Besetzung empfindet. Er ist immer interessiert und darum immer interessant. Rudolf Moralt, der routinierte Dirigent der Aufführung, hatte zwei Sänger auf der Bühne, die langsame Tempi lieben. Teresa Stich-Randall machte etwa aus der ersten Arie ein langweiliges, larmoyantes Gebilde und sang auch sonst, abgesehen von der ihr gut liegenden zweiten Arie, scharf und spitz. Otto Edelmann wanderte mit behaglich breitem Schritt über die Szene, war völlig humorlos und musikalisch sehr unsicher. Er brachte den Beginn des 1. Akt-Finales ins Wackeln, und in der ersten Szene des zweiten Aktes hörte man den Souffleur bis auf die Galerie hinauf. Ferner befand er sich einige Male haarscharf unterhalb der richtigen Tonhöhe. Immerhin muß man ihm konzedieren, daß er die richtige Art Stimme für den Leporello hätte, aber man muß um mehr musikalische Sauberkeit und weniger Schlamperei bitten. Was Rudolf Moralt bei diesen beiden Sängern an Zeit verlor, brachte er bei deren Kollegen wieder ein. Etwa bei der ohnehin schwierigen Elvira-Arie, bei der der ansonsten guten Gerda Scheyrer auch prompt die Luft wegblieb. Irmgard Seefried sprang statt Emmy Loose als Zerlina ein. Es ist unverständlich, warum diese intelligente, musikalische und kultivierte Sängerin nicht endlich das Fach wechselt und die Elvira singt. Sie kann, weil sie das steife, soubrettenhafte Singen der Kopftöne so gewöhnt ist, kaum mehr eine breite Legatophrase bilden, ohne daß sich Schärfen oder Tremolo-Erscheinungen einstellen. Gottlob Frick sang den Komtur mit voluminösem Organ. Waldemar Kmentt zeigte sich gegenüber anderen Vorstellungen erfreulich verbessert. Nur ist eben seine Stimme typisch deutsch und klingt für die italienischen Mozartpartien farblos. Carlo Schmidt ist trotz des italianisierten Namens kein Südländer. Dem Akzent nach scheint er eher aus Ungarn zu stammen und hat auch die für ungarische Sänger charakteristischen Sprachschwierigkeiten. Ob er deutsch, ob er italienisch singt, man versteht kein Wort. Er hat keine Höhe und keine Tiefe, und man wäre fast versucht zu sagen, er habe statt der Mittellage ein Loch. Sie trägt nämlich überhaupt nicht. Die rauhen, rohen Töne poltern aus seinem umfangreichen Brustkasten. Wir waren immer der Ansicht, daß die pensionsreifen Comprimarii durch junge Kräfte ersetzt werden sollten. Aber die Jungen haben, wie man bei Edmond Hurshell und Carlo Schmidt hört, weniger Stimme als verdiente Sechziger. So war es nicht gemeint. Und ein Masetto an der Wiener Oper muß auch singen können, nicht nur sich auf der Bühne urwüchsig  benehmen und die schwarzen Locken schütteln!

 

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