DER DEZEMBER 1958

4. Jahrgang, Heft 1

 

Man kann nicht darüber hinweg, daß sich zwischen den verschiedenen Aufführungen der Wiener Staatsoper manchmal ein Klassenunterschied abzuzeichnen beginnt. Und man muß feststellen, daß die jungen Sänger, die erst im Neuen Haus – und erst in der Ära Karajan – zur Spitzenklasse vorgestoßen sind oder sich durch klugen Fachwechsel Neuland erschlossen haben, den Opernalltag durch profilierte Leistungen bereichern. Ähnliches tun viele der Stammsänger des Hauses ebenfalls und die meisten der in den letzten Jahren neuengagierten Sänger – nicht nur die Spitzen-Italiener – sondern auch typisch deutsche Sänger wie Anneliese Rothenberger, Gré Brouwenstijn oder Otto Wiener. Aber eine Reihe der aus den Tagen des Theaters an der Wien übernommenen Sänger befindet sich auf dem absteigenden Ast. Das gilt nicht nur für die großen Künstler der alten Schule, von denen man schon seit einiger Zeit leider weiß, daß sich die Zeit, die ihnen gegeben war, nun dem Ende zuneigt und die man trotzdem mit aller gebotenen Ehrfurcht hört und zumindest der Persönlichkeit wegen würdigt. Unter denen, die immer schlechter werden, befinden sich merkwürdigerweise auch einige Sänger, die noch gar nicht so alt sind, wie man auf Grund ihres stimmlichen Verfalles annehmen muß, und bei denen auch keine organische Sache das stimmliche Müdewerden nach sich zog. Um Beispiele zu nennen: Es sind vor allem Teresa Stich-Randall und Hilde Zadek, Gertrude Grob-Prandl, Emmy Loose, Dagmar Hermann, Carla Martinis, Georgine Milinkovic, die an manchen Abenden die Grenze des dem Publikum der Wiener Staatsoper Zumutbaren beträchtlich unterschreiten. Dazu gehört aber auch der völlig indiskutable Karl Liebl und die Katastrophenneuengagements Edmond Hurshell, Karl Weber, Norman Foster und Carlo Schmidt. Dazu gehören die alten Episodisten Meyer-Welfing und Schweiger ebenso wie Endre Koréh und Rosette Anday. Es ist nicht einzusehen, warum die hier erwähnten nicht etwa durch ein paar junge Stimmen der Volksoper ersetzt werden können. Das ständige Publikum der Wiener Staatsoper könnte wohl mit Fug und Recht zu Beginn des Jahres 1959 endlich eine kleinere Kündigungs- und Pensionierungswelle erwarten. Wir nehmen an, daß in solchen Fällen gleich die Gewerkschaft oder die Presse mobilisiert werden würde, aber diesen Strauß müssen die Verantwortliche eben einmal ausfechten. Die Gewerkschaft hört ja diese Sänger nie, die Presse relativ seltener (wenn sie nicht persönlich mit den Erwähnten befreundet oder bekannt sind) und das Publikum dauernd. Wir glauben deshalb, daß diesbezüglich zuerst auf das Publikum Rücksicht genommen werden müßte.

Ähnliches ist auch über die Dirigentenfrage zu sagen. Wir verlangen keineswegs wie unvernünftige Leute von der Presse, daß Karajan die ganze Saison über in Wien sitzt, achtzig Abende im Jahr dirigiert und ununterbrochen mit den Sängern arbeitet, wie in seiner Aachener Zeit. Diese Chance hätte die Wiener Staatsoper in den Jahren 1947 bis 1950 gehabt, als Karajan halbe Jahre lang in Wien verbrachte und Zeit hatte, für ein Konzert 50 Proben zu machen. Im Jahre 1956 ging Karajan eben unter anderen Voraussetzungen und mit völlig anderen, zum Teil  auch durch seine internationale Tätigkeit völlig veränderten Maßstäben, an seine Wiener Tätigkeit heran. Und die Vorwürfe, die ihm die weiter oben erwähnten unvernünftigen Leute machen, können ihn nicht treffen. Die Zeiten haben sich geändert – er ist eben jemand geworden. Für Kleinarbeit ist seine Zeit zu kostbar, und wir können immerhin froh sein, in seinem Imperium an führender Stelle stehen zu dürfen. Aber nach dem Dirigenten Karajan, wenn nicht gerade Mitropoulos, Böhm oder Kempe in Wien weilen, klafft ein Abgrund, der nach Rudolf Moralts Tod noch unüberbrückbarer geworden ist. Es dürfte kaum möglich sein, Rudolf Kempe oder Karl Böhm länger an Wien zu binden, als sie ohnedies von selber hierbleiben sie sind für Repertoiredirigenten einfach zu gut. Wolfgang Sawallisch lehnte es ab, in Wien nach Karajan Zweiter zu sein (er hätte sich da bestimmt nichts vergeben!) und ist lieber Chef in Wiesbaden oder Köln. Bitte sehr, jeder ist seines Glückes Schmied. Lovro von Matacic findet wieder den Wiener Boden zu heiß für längeren Aufenthalt. Schade!

Das italienische Repertoire dürfte in einigen Jahren bei Glauco Curiel, wenn er mehr Opern studiert hat, ganz gut aufgehoben sein. Der typisch slawische Gefühlsmusiker Berislav Klobucar, der eben aus diesem Grund in seinen Leistungen schwankend ist, was nicht nur wir sondern auch Fachleute (d.h. berühmtere Berufskollegen, nicht Kritiker) finden, sollte ebenfalls immer genügend Chancen vorfinden. Der Rest ist Schweigen. Aber es muß doch noch irgendwo Dirigenten geben, denen es möglich ist, in einem Jahr fünf oder sechs Monate in Wien zu bleiben, die vielseitig sind und doch gut genug für die Wiener Oper. Wir denken da in erster Linie an den „deutschesten“ aller italienischen Dirigenten Mario Rossi, der wahrscheinlich gerade deshalb in Italien durchaus nicht in der ersten Reihe steht. Er hat sein RAI-Orchester Turin und könnte das sehr gut mit einer Wiener Operntätigkeit verbinden, denn in der Oper ist er unseres Wissens kaum in international bedeutenden Veranstaltungen hervorgetreten. Wir wollen ihn auch weniger für Verdi und Puccini als für Mozart und Richard Strauss. Die Verbundenheit mit diesen beiden Komponisten hat er in verschiedenen Konzerten auf das Schönste dokumentiert. Da wäre der junge Heinz Wallberg, von dem wir in Konzerten einen guten Eindruck gewonnen haben. Wir sähen ihm gerne das deutsche Fach von Entführung bis Trionfi anvertraut. Man müßte sich nur beeilen, bevor der Bremer Chefdirigent international zu bekannt ist. Und bei einer gründlichen Suche ließen sich höchstwahrscheinlich auch noch andere Dirigenten finden. Wir wären nicht einmal einem Engagement des amerikanischen Reißer-Dirigenten Lorin Maazel abgeneigt. Man kann ungefähr ahnen, was der junge Mann für eine Carmen oder Traviata hinknallen würde. Maazels Tun ist oft überspannt und egoistisch, aber nie uninteressant. Und vielleicht stieße er sich im Repertoire die Hörner ab, was der von ihm interpretierten Musik auf die Dauer nur gut tun könnte.

Und auch hier gilt von den anderen, hier nicht Erwähnten: Hinaus ins feindliche Leben! Denn die Tendenz in Wien ist sehr merkwürdig. Ist jemand, und sei er noch so schlecht, länger als zwei Jahre hier engagiert, wird er meist  geduldet, und es findet sich immer jemand, der den Staatsopernunwürdigen verteidigt und preist und alle anderen beschuldigt, das verdiente Ensemblemitglied hinauszuekeln. Und jeder Erfolg in St. Pölten, Gelsenkirchen usw. wird zum Triumph umgedeutet und dem bösen Staatsopernchef vorgeworfen, was für ein Genie er verstieße. Wir haben das in jüngster Vergangenheit mit Karl Terkal erlebt. Und Karl Friedrich singt nun schon seit 1938 an der Staatsoper, ohne daß eine Notwendigkeit hierzu gegeben wäre usw. Sind die allenfalls Gekündigten so gut, wie es die freundliche Presse behauptet, dann werden sie rasch ein anderes Engagement finden. Sind sie es nicht, kann man auch nichts machen.

 

IN MEMORIAM RUDOLF MORALT

Als in den Dezembertagen die schwarze Fahne an unserem Staatsoperngebäude hochgezogen wurde, ging die Kunde von Mund zu Mund, daß Rudolf Moralt, eine der Stützen unseres Hauses einem Herzschlag erlegen ist. Aufrichtige Trauer und Bestürzung ergriffen die Musikfreunde in Wien, die in Moralt den Operndirigenten kannten, der immer da war und mit seiner großen Routine manche Vorstellungen aus dem täglichen Repertoirebetrieb zu einem kleinen Fest machte. Wir denken besonders an seine Wagner- und vor allem an Strauss-Interpretationen. Ihnen galt seine ganze Liebe. Die Lücke, die er hinterläßt, wird nicht leicht zu füllen sein. Sein Publikum wird ihn nie vergessen.

 

FIDELIO am 1. Dezember

wurde statt des vorgesehenen Mathis der Maler gegeben. Christl Goltz war in der Titelrolle nach längerer Pause wieder in Wien zu hören, schien aber leider nicht bestens disponiert zu sein und wirkte müde und abgespannt. Dafür hatte Anton Dermota als Florestan einen prachtvollen Abend. Er ist nun stimmlich in die Partie völlig hineingewachsen. Schade, daß seine Prosa nicht gleichwertig ist. Gustav Neidlinger begann als Pizarro gut, verfiel aber im Laufe des Abends in sein obligates Forcieren. Gottlob Frick sang einen ausgezeichneten Rocco, Teresa Stich-Randall eine unerfreuliche Marzelline mit scharfer Sirenen-Stimme, Waldemar Kmentt Jacquino. Musikalischer Leiter war Heinrich Hollreiser. Es gab eine Anzahl von Unfällen, und erst bei der Dritten Leonoren-Ouvertüre bemerkte man, daß die Wiener Philharmoniker wieder heimgekehrt waren. Diese können sie nämlich beinahe allein spielen.

OTHELLO am 2. und 5. Dezember

Beide Aufführungen standen unter Herbert von Karajans Leitung, wobei der zweite Abend auch orchestral die größere Gesamtwirkung erreichte. Es erweist sich, daß auch Karajan die ersten zwanzig Minuten zu kämpfen hat, wenn er in eine ungeprobte Aufführung einsteigt, ehe er das Orchester zur Konzentration gezwungen hat. Und so gab es am zweiten Abend den rasanteren und exakteren Sturm, noch mehr dramatische Wucht und noch mehr feingesponnene Schönheit der breiten lyrischen Phrasen.

Sena Jurinac ist immer eine Desdemona von herber Anmut, keuschem Gefühl und seelenvoller Innigkeit. Rein stimmlich war sie ebenfalls am 5. Dezember besser. Genauso Carlos Guichandut, der am 2. einige Zeit brauchte, bis er sich eingesungen hatte. Er sang wie häufig den Auftritt nicht hundertprozentig richtig. Am 5.12. hatte er einen der besten Abende, die wir in Wien von ihm hören konnten, und sein hitzige Temperament trug das seine zur Eindringlichkeit der Leistung bei. Paul Schöffler, der erste Jago, sang die Partie mit dem ganzen Einsatz seiner großen Persönlichkeit und seiner letzten stimmlichen Reserven.

An Aldo Protti, dem Jago der zweiten Aufführung, lernten wir eine neue Seite kennen. Wir hatten bisher keine Gelegenheit, ihn anders denn als typischen „Brüller“ zu hören und vernahmen mit Erstaunen, daß er –sogar an Tito Gobbi gemessen – ein ausgezeichneter Sänger ist, der seine riesige, schöne Stimme souverän einzusetzen versteht und dessen starke, kraftvolle, Höhe einen umreißen kann. Darüber hinaus  sang er auch noch eine recht kultivierte Traumerzählung. Großer Mime ist er leider keiner. Er beschränkte sich darauf, mit versteckt-schadenfroher Miene auf der Bühne dekorativ umherzustehen, wobei er allerdings keinen Moment irgendwie unangenehm auffiel, sondern einen recht guten Eindruck hinterließ. Es ist eben schwer. Noch vor einigen Jahren hätte uns Protti mehr beeindruckt, mittlerweile haben wir durch Tito Gobbi die italienische Idealinterpretation kennengelernt, und kommen immer wieder auf diese zurück.

Giuseppe Zampieri als optisch und stimmlich gleich erfreulicher Cassio, Frederick Guthrie, zu dessen besten Rollen der Lodovico allerdings nie zählte und Hilde Rössel-Majdan rundeten den Eindruck der beiden schönen Verdi-Abende in durchaus positiver Weise ab.

ARIADNE AUF NAXOS am 3. Dezember

Erstmals in dieser Saison hatte das bisher meist arg mißhandelte Werk staatsopern-würdiges Niveau. Ausschlaggebend für den Erfolg des Abends war, daß in der Titelrolle eine Künstlerin von Format eingesetzt werden konnte. Christl Goltz war bei ihrer ersten Wiener Ariadne stimmlich bestens disponiert und wußte überlegenes Stilgefühl und das für die Partie eigentlich erforderliche dunkle dramatische Timbre richtig einzusetzen. Sie zeigte sich durch ihr Temperament und leisen Hang zur Karikatur auch für die Primadonna des Vorspiels prädestiniert und so konnte sie mit Recht den größten Teil des Beifalls auf sich beziehen. Als Zerbinetta gastierte Ruth-Margaret Pütz aus Hannover, die mit kleiner, aber sauber geführter und hübscher Stimme mit einer recht gut gesungenen Arie überraschte, nachdem sie im Vorspiel nicht vorhanden gewesen war. Aber das ist auch schon anderen Koloratursopranen passiert, speziell wenn sie nicht dramatisch, sondern eher soubrettenhaft wirken. Walter Geisler überzeugte auch diesmal als Bacchus nicht. Man hörte kaum einen Ton, der nicht gepreßt kam. Großartig gestaltete wieder Sena Jurinac den Komponisten. Von einem zum anderen Tag verwandelte sich die liebende Desdemona in den schwärmerischen Künstler. Stimmlich erschien sie allerdings naturgemäß etwas ermüdet. Das teilweise umbesetzte Komikerquartett hielt sich wacker. Murray Dickie glänzte mit der Höhe, Ljubomir Pantscheff sorgte für eine solide Baß-Grundierung, Kurt Equiluz erwies sich wieder als brauchbarer Comprimario und Erich Kunz steuerte Humor bei. Der wendige Tanzmeister von Peter Klein und Karl Dönch als Musiklehrer ergänzten die musikalisch sehr gute Aufführung unter Rudolf Moralts Leitung.

HOFMANNS ERZÄHLUNGEN am 4. Dezember

Man hörte ihn wieder; und bald wird unter den Mitarbeitern des Merker das Los entscheiden müssen, denn freiwillig findet sich keiner mehr, der diese Oper besucht. Die Besetzung erinnerte an die Böhm-Ära. Über Carla Martinis erübrigt sich jede Kritik. Sie ist ja menschlich wirklich ein trauriger Fall, aber als Sängerin ist sie untragbar. Edmond Hurshell versuchte zwar mit einigem Erfolg, seine Stimme etwas ökonomischer als sonst einzusetzen, was aber nichts an seinem rauhen und häßlichen Stimmtimbre ändert und abermals die Tatsache bestätigt, daß er für jede Hauptrolle ungeeignet ist. Er sollte lieber nach Kiel zurückkehren. Erfreulich waren lediglich Anton Dermota (bestens disponiert) als Hofmann, Ira Malaniuks schön gesungene Giulietta und Peter Klein in den glänzend charakterisierten Buffopartien.

OTHELLO am 5. Dezember

unter der Leitung von Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung am 2. Dezember besprochen

DER ROSENKAVALIER am 6. Dezember

ist das Zugstück des Neuen Hauses geworden, und auch diese Aufführung übte ihre Anziehungskraft auf das Publikum aus. Nur die Marschallin von Hilde Zadek wächst nicht nur in die Partie nicht hinein und ersetzt Gefühl durch Larmoyantsein, Damenhaftigkeit durch Affektiertsein, sondern wird auch stimmlich immer schlechter und durch eine unruhige flackernde (im Piano) oder scharfe Höhe (im Forte) an den schönsten Stellen stört den Eindruck ganz empfindlich. Diese Aufführung litt noch dazu unter der derben und lieblosen Stabsführung von Heinrich Hollreiser. Die beste Leistung des Abends bot zweifellos Anneliese Rothenberger als stimmlich, wie darstellerisch gleich liebreizende Sophie. Auch Ira Malaniuk hat sich als Oktavian stark verbessert. Sie singt und spielt viel leichter und gelöster. Ganz sattelfest scheint sie allerdings nicht zu sein, denn sie zog sich um eine Szene zu früh um und verzehrte das Frühstück bereits im Mariandl-Kostüm. Trotzdem muß man sich ernstlich fragen, wozu es eigentlich Abendregisseure und Inspizienten gibt, die schließlich dafür bezahlt werden, daß sie solche, durch die Nervosität der Künstler bedingten Irrtümer, verhindern. Ludwig Weber sprang als Ochs ein und konnte seine Leistung nach einem schwachen Beginn im ersten Akt im Laufe des Abends verbessern. Gustav Neidlinger stellte einen stimmgewaltigen, gut charakterisierten Parvenü auf die Bühne. Anton Dermota sang eine schöne, heldische italienische Arie und Hilde Rössel-Majdan und Laszlo Szemere stellten das bewährte Intrigantenpaar.

EIN MASKENBALL am 7. Dezember

Michael Gielen wurde durch die gute Stimmung im Hause und teilweise große Leistungen auf der Bühne zu einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich schwungvollen Orchesterleitung angespornt, was aber prompt wieder zum Verhetzen sämtlicher Finali und zu einiger Unsicherheit in den Ensemblestellen führte. Nach der musikalisch großartigen Premiere hätte kein Mensch angenommen, daß das Werk noch eine ebenbürtige Besetzung finden könnte. Doch gelang das durch die Besetzung des Liebespaares mit Gré Brouwenstijn und Giuseppe Zampieri, während der absagende Eberhard Wächter durch den großartigen Aldo Protti vergessen gemacht wurde. Aldo Protti ist – ebenso wie die Premierenbesetzung Ettore Bastianini – in erster Linie Sänger. Seine Stimme besitzt zwar nicht ganz die vollendete, ebenmäßige Schönheit von Ettore Bastianinis Stimme, er ist aber wesentlich dramatischer und mitreißender als sein jüngerer Kollege und kann fehlendes Bühneblut durch das rein Stimmliche kompensieren. Dazu kommt eine unglaubliche Sicherheit in den hohen Lagen und der stets richtige Einsatz des riesigen Organs. Beide Arien waren großartige Beispiele hinreißenden italienischen Gesanges, wobei die zweite noch um eine Spur besser gelang. Gré Brouwenstijn ist ebenso wie ihre Vorgängerin Birgit Nilsson (was dazwischen in der Partie der Amelia zu hören war, zählen wir nicht) darauf angewiesen, sich die italienische Partie mit viel Klugheit und Stilgefühl zu erarbeiten. Sie hat in diesem Fall den Vorteil einer schmiegsameren lyrischeren Stimme, die weniger kalten Glanz und strahlendes Metall hat und daher seelenvoller und inniger klingt. Gré Brouwenstijn, in allen ihren Rollen Schauspielerin, ja Gestalterin von Format, gewann auch damit der Partie der Amelia die beste Seite ab. Giuseppe Zampieri ist nunmehr ein Riccardo, auf den wir mit Recht stolz sein können. Besonders das Liebesduett und die große Arie im letzten Akt zählen zum Schönsten, was wir dem jungen Künstler bisher verdanken.

BALLETTABEND am 8. Dezember

RIGOLETTO am 9. Dezember

war wieder ein großer Abend des derzeit in Höchstform befindlichen Aldo Protti. Hier entfaltete er auch eine entsprechende darstellerische Aktivität, so daß man von einer vollendeten Besetzung der Titelpartie sprechen kann. Gesanglich dürfte er hier wohl derzeit konkurrenzlos sein. Was besonders für die Arie und das anschließende Duett zu gelten hat. Giuseppe Zampieri zeigte sich gegenüber seinen früheren Auftritten in der Partie des Herzogs stark verbessert und bot, von Einzelheiten abgesehen, eine gesanglich sehr ansprechende Leistung. Mimi Coertse begann die Gilda nach Art eines deutschen Koloratursoprans, ohne die nötige ausgefeilte Präzision, wie sie eine derartige Auffassung der Partie verlangt, annähernd zu erreichen. Dann schaltete sie auf dramatisch um, wobei sie scharf und überfordert klang. Hier wäre Festlegen auf eine Auffassung und genaues Studium derselben an Hand bewährter kollegialer Vorbilder dringend zu empfehlen. Ludwig Weber entspricht figürlich und darstellerisch völlig den Vorstellungen, die man sich von Sparafucile macht, hatte stimmlich aber nur einige schöne tiefe Töne zu bieten. Die Maddalena Dagmar Hermanns gefiel sich in der Darstellung billiger Erotik, stimmlich war sie unscheinbar. Von den Comprimarii konnte lediglich Kurt Equiluz als Borsa befriedigen. Die übrigen (Dorothea Frass, Berta Seidl, Norman Foster, Karl Weber, Hans Schweiger) lagen tief unter dem langjährigen Durchschnitt. Berislav Klobucar war der am Erfolg oder Mißerfolg einzelner Szenen des Werkes gleich unbeteiligte Leiter.

FIDELIO am 10. Dezember

Der angekündigte Mathis der Maler fiel wegen einer Erkrankung von Oskar Czerwenka ins Wasser. Da das nun schon zum zweiten Mal vorkommt, könnte man die Partie einmal umbesetzen – eventuell mit Alois Pernerstorfer oder mit Otto Edelmann, wenn er wieder nach Hause kommt. Es war somit ein Fidelio mit Mathis-der-Maler-Besetzung und diejenigen, die bei Paul Hindemith die besten gewesen wären, waren dies natürlich auch im Fidelio, nämlich die innige herzliche Wilma Lipp und Otto Wiener, der zum ersten Mal in Wien den Pizarro sang und neben einer gediegenen gesanglichen auch eine interessante schauspielerische Leistung zu bieten hatte. Liane Synek ist uns als ehemalige Galeriekollegin sehr sympathisch. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß sie trotz heißen Bemühens keine Sängerin für ein erstrangiges Institut sein kann. Sie zählt zu den Stars von Wiesbaden. Das hat sie sich hart erarbeitet. Versuche, an große Bühnen vorzudringen, würden sie überfordern. Ihr Partner Karl Liebl ist eine einzige Zumutung. Seit Rudolf Lustigs Florestan ist niemand mehr in dieser Partie so skandalös schlecht gewesen. Da man ihn nun bereits auch von der Met eliminiert hat (der für ihn in dieser Saison vorgesehene Lohengrin wurde mit einem gewissen Brian Sullivan umbesetzt) ist es höchste Zeit, ein gleiches auch bei uns zu tun. Leider haben wir wieder einmal gegen die Fachwelt recht behalten. Dafür mußte der ausgezeichnete Florestan Anton Dermota den Jacquino, dem er natürlich längst entwachsen ist, singen. Daß er schwamm, ist in diesem unerhörten Fall verzeihlich, daß er die Partie überhaupt übernommen hat, ein Wunder. Ludwig Weber, Alfred Poell und Karl Terkal trugen auch nicht dazu bei, das Niveau der erbärmlich schlecht besuchten, stimmungslosen Aufführung zu heben, der Heinrich Hollreiser vom Pult her den Rest gab. Auch im Orchester bemerkte man ein Kommen und Gehen wie noch nie und als besonders interessant ist zu vermelden, daß der Professor an der Pauke dort selbst Schreibarbeiten erledigte. Vielleicht verfaßte er während der Kerkerszene die Wunschliste an das Christkind.

LA TRAVIATA am 11. Dezember

Diese Vorstellung präsentierte sich als Repertoire-Vorstellung in des Wortes übelster Bedeutung. Der Chor sang schlampig und desinteressiert. Berislav Klobucars Bemühungen um eine saubere Interpretation ließen sich nicht realisieren und Claude Heather, ein statt Aldo Protti, der statt des absagenden Eberhard Wächter vorerst angesetzt war, einspringender Vater Germont aus Berlin erschien völlig farblos in der Darstellung und die Stimme war durchschnittlich unschön. Die Titelrolle in der Interpretation von Teresa Stich-Randall ist nur als skandalös  zu bezeichnen. Nicht nur, daß sie mit wasserstoffblonden Stoppellocken und stereotypem Glamourlächeln im Handumdrehen aus der Oper eine Schnulze, aus der gefühlvollen Phrase Leierkastenmusik und aus italienischer Lyrik amerikanisches Schmalz machte, nicht genug, daß sie Gestaltung restlos schuldig blieb, muß auch ihr Singen als Zumutung bezeichnet werden. Wir sind hier nicht in der Provinz, wo die Leute dankbar darauf warten, was ihnen der amerikanische Star aus seinem Überfluß vorwerfen wird. In Wien kennt das Publikum auch die Traviata gut genug, um mit Grimm feststellen zu müssen, wie ungeniert und überheblich die Sängerin die Koloraturen zu ihrem Gunsten verschmiert, die Spitzentöne allenfalls andeutet, wie willkürlich sie mit dem Tempo verfährt, wie abrupt sie die Gesanglinie unterbricht, um nach Luft zu schnappen, wie präpotent sie annimmt, daß sie sich einfach alles erlauben kann.

FIDELIO am 12. Dezember

Diese Aufführung war schon weit besser gelungen. Gré Brouwenstijn, die Trägerin der Titelrolle, ist eine Persönlichkeit von Format. Ihre Stimme hat zwar keineswegs das in dieser Rolle gewohnte Heldensopranformat, doch hatte sie auch stimmlich einiges zu bieten, wenn sie nur nicht zu viel piano singt. Da fängt sie nämlich zu tremolieren an. Wilma Lipp und Anton Dermota, Paul Schöffler und Gottlob Frick gaben unter Rudolf Moralts Leitung ihr bestes. Aus dem Rahmen fiel der allzu betuliche Jacquino von Erich Majkut.         

DER ROSENKAVALIER am 13. Dezember

Diese Vorstellung dirigierte Rudolf Moralt. Das war immer seine stärkste Oper und es sollte auch sein letzten Abend sein. Der Orchesterpart hatte Glanz, Farbe und Schwung. Statt des permanent absagenden Oskar Czerwenka (soll noch einmal einer sagen, der Sänger fände an der Wiener Staatsoper keine Chancen vor!) hörte man einen jungen, etwas buffomäßigen Sänger aus Frankfurt. Ludwig Welter, der eine tragfähige Stimme mit recht guter unterer Mittellage (vom tiefen C hörte man allerdings nichts mehr), aber weniger guter Höhe verfügt – aber welcher Ochs, außer früher Ludwig Weber, hatte die Höhe schon? Ludwig Welter hat die Partie auch darstellerisch sehr gründlich (und offenbar mit einem guten Regisseur) durchgearbeitet. Er machte ihn auf ländlich-bieder und behaglich, sein Akzent paßt dazu. Er dürfte demnach aus Bayern stammen und wirkt, was bei deutschen Ochsen, selbst bei einem Künstler wie Josef Greindl, offenbar unvermeidlich ist, niemals ordinär, niemals plump und selten derb. Das war einmal eine angenehme Überraschung! Das fließende Parlando, mit dem unsere Wiener Sänger Wilma Lipp, Sena Jurinac und Otto Wiener brillierten, bereitete ihm allerdings Schwierigkeiten. Er fand im ersten Akt die gerade hier notwendige Lautstärke nicht schnell genug. Sena Jurinac singt nun offenbar den Oktavian zur Abwechselung noch lieber als früher, wo sie dauernd die selben paar Rollen abhaspeln mußte. Sie war mit Charme und Spielfreude bei der Sache und die in der letzten Zeit erworbene breitere, dramatischere Mittellage kommt der mehr im Mezzofach liegenden Partie ebenfalls sehr entgegen. Wilma Lipp, die wienerisch-charmante Sophie, schien stimmlich ein wenig überanstrengt. Hilde Zadek war die Marschallin. Margarita Sjöstedt legt die Annina allzu dezent an. Da muß man schon zeitweise mehr mit der Stimme heraus. Außerdem ist sie vielleicht im Timbre zu hell.

DIE WALKÜRE am 14. Dezember

Sie hat allen wahren Musikfreunden einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Denn hier ereignete sich

etwas, selbst bei guten, ja großen Aufführungen Seltenes: das völlige Verwachsen der Künstler mit den Rollen und die völlige, ideale Verflechtung der menschlichen Stimme mit den Stimmen des Orchesters. Der Schluß des dritten Aktes mit Hans Hotter und Martha Mödl erwuchs unter dem großartigen, an diesem Abend ganz besonders inspirierten Herbert von Karajan zu solch vollkommener einmaliger Tiefe und Schönheit, daß man nur mit angehaltenem Atem zu hören wagte.

Zur Vollendung des schönen Abends trug es bei, daß der erste Akt, der bisher noch nie ganz überzeugt hat, denselben großen Eindruck machte, was wahrscheinlich auf die dominierende Persönlichkeit von Gré Brouwenstijn, die zum ersten Mal die Sieglinde gestaltete, und auch darauf zurückzuführen ist, daß der immer dramatischer werdende Wolfgang Windgassen in den Siegmund ebenso hineinwächst, wie in die anderen Partien des Ringes, wo das schon länger geschehen ist. Ira Malaniuk, die die Szene der Fricka mit starker Spannung interessant machte, der stimmlich hervorragende Gottlob Frick und ein überraschend sicheres und auch gut klingendes Walküren-Ensemble standen auf der Höhe ihrer Aufgaben.

Nach dieser wunderbaren Walküre denkt man mit Schauder daran, mit welcher  Routine und indolenten Beiläufigkeit sonst Wagners Werke (und nicht nur bei uns) abgespielt werden - eine solche Aufführung wiegt Dutzende von gerade noch unfallfreien Repertoire-Aufführungen auf. Nach Überwindung aller Probleme des Technischen und Annäherung der Aufführung an das nahezu ideale Maß des Vollkommenen eröffnet sich dem Hörer doch erst die ganze Schönheit und Kraft eines großen Werkes.

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 15. Dezember

Gerda Scheyrer erinnerte als Giulietta immer noch sehr an ihre Operettenperiode. Ivo Zidek hatte einen schlechten Abend und mußte sich sehr plagen und könnte sich außerdem mit der Aussprache mehr Mühe geben. Der Niklaus von Dagmar Hermann und die vier Tenorbuffopartien in der Interpretation unseres lieben Hugo Meyer-Welfing waren gänzlich indiskutabel. Helga Jung, eine Elevin, war als Olympia zu hören, erwies sich aber als nicht sehr gut aufgezogene Puppe. Sie hat technisch noch viel zu lernen. Material besitzt sie und bemühte sich auch anerkennenswerterweise um saubere Intonation, was man von den meisten ihrer Vorgängerinnen nicht behaupten kann. Paul Schöffler fasziniert als Darsteller, wann immer er die Bühne betritt. Unter Einrechnung aller seiner Verdienste und Vorzüge kann man aber nicht sagen, daß er stimmlich gut war. Michael Gielen ratschte das Stück herunter, ohne ein bißchen romantisches Gefühl oder gallischen Sprit zu zeigen. Eines von beiden muß ein Hofmann-Dirigent aber haben, denn sonst wird er robotermäßig. Aber bei diesem ‚Hofmann’ ist schon alles egal. Die einzige Sängerleistung von Niveau an diesem Abend war Wilma Lipp als Antonia.

JOSEPHSLEGENDE und OEDIPUS REX am 16. Dezember

Die Josepfslegende hätte Rudolf Moralt dirigieren sollen, doch am Mittag setzte der Tod den harten Schlußpunkt hinter ein arbeitsreiches Leben. Zum Gedenken an den treuen Diener der Wiener Oper spielte das Orchester unter der Leitung von Herbert von Karajan Mozarts Maurerische Trauermusik. Dann erst wurde dem Bühnenbetrieb sein Recht, und die Vorstellung begann unter Berislav Klobucar mit der Josephslegende.

Nach der Pause dirigierte Heinrich Hollreiser Oedipus Rex und das recht gut und sicher, wenn auch nicht sonderlich inspiriert. Martha Mödl war wieder hervorragend als Jokaste, während Waldemar Kmentt erst gegen Ende ganz aus sich herausging. Überraschend unsicher war Gottlob Frick, wesentlich unsicherer und außerdem stimmlich unzulänglich Endre Koréh. Hinreichen exakt und recht gut bei Stimme war Oskar Czerwenka, in jeder Hinsicht vortrefflich in seiner kleinen Partie Murray Dickie. Erik Frey störte als Sprecher durch pathetisches und nicht immer deutliches Ablesen der Texte.

ARIADNE AUF NAXOS am 17. Dezember

Der Leckerbissen für Feinschmecker, der diese Oper nach des Komponisten Willen sein soll, wurde an diesem Abend zu einem gröblichen Eintopf. Feinheiten verlangt man von Michael Gielen sowieso nicht mehr, aber auch mit seiner von manchen Kritikern so hervorgehobenen Korrektheit war es diesmal nicht weit her. Der Gast-Komponist Arlene Slater-Stone, die mit Wärme und Herz eine füllige, dunkle Stimme hören ließ, schien unter Lampenfieber zu leiden und war manchmal um Zehntelsekunden zu spät daran. Auch ihre tieferen Lagen bedürfen einer Politur. Mimi Coertse konnte der Zerbinetta im Vorspiel kein Leben einhauchen, aber das müßte mit öfterem Singen der Partie noch kommen. Auch in der Oper selbst schien sie, zum Unterschied von ihrem Debüt, diesmal ziemlich zaghaft. Möglicherweise fühlte sie sich indisponiert. Die Ariadne war neben der Elsa eigentlich immer eine der besten Rollen von Hilde Zadek. Leider kann sie auch darin nicht mehr befriedigen. Die Stimme wird kehlig, verliert an Festigkeit und hat ab G ein ganz gehöriges Tremolo aufzueisen. Man versuchte, in Ivo Zidek einen hauseigenen Bacchus zu finden, wird aber weiter suchen müssen. Es fehlt ihm für die schwere Partie vor allem das Heldisch-Durchschlagskräftige und der Gott wurde in seiner Darstellung zu einem furchtsamen Reisenden. Die kleinen Rollen waren zufriedenstellend besetzt. Aber das nützte nicht mehr viel. Denn wer die Ariadne-Aufführungen unter Clemens Krauss und Karl Böhm im Ohr und Herbert von Karajans Aufnahme zu Hause hat, wird sich mit Michael Gielen als Strauss-Dirigent nie abfinden können.

EIN MASKENBALL am 18. Dezember

Alexander Sved war an diesem Abend in seiner ehemaligen Glanzpartie als Renato zu hören und ließ mit einigen Tönen, ja Phrasen (besonders in der intensiv gesungenen ersten Arie) ahnen, wie gut er einmal gewesen sein mag. Im Verlaufe des Abends verließ ihn leider die Kraft. Darstellerisch befleißigte er sich offenbar des Stils der k. u. k. Hofoper Budapest. Er wirkte manchmal direkt karikaturistisch. Lieselotte Maikl, der die Kostüme zu eng waren, sang einen sauberen Oskar (sogar italienisch, womit ihr der Schmiß, den sie durch Deutschsingen in eine französische Carmen hineingebracht hatte, verziehen sei). Mit Persönlichkeit beherrschte Elisabeth Höngen bei dieser Vorstellung ihre Szene. Harald Pröglhöf sang als Silvano um Klassen besser als sein Vorgänger Karl Weber und Ljubomir Pantscheff war ein stimmkräftiger Verschwörer. Sein Kollege Norman Foster wirkte eher humoristisch und ist die Ursache, wenn die beiden Intriganten nun im „Opern-Volksmund“ nur mehr Tom & Jerry heißen.

DIE ZAUBERFLÖTE am 19. Dezember

Diese Aufführung hatte es gut. Sie stand unter der Leitung eines hervorragenden Dirigenten. Im Zeichen Rudolf Kempes und seiner eleganten, durchdachten, stilvollen Auffassung der Mozartoper stand dieser Abend. Sari Barabas von der Münchner Staatoperette, die als Königin der Nacht gastierte, verfügt über eine flackernde, unschöne Stimme, die für die Partie auch kaum genügend Volumen hat. Die Intonationsschwierigkeiten in der zweiten Arie waren nicht zu überhören. Wilma Lipp, Anneliese Rothenberger, Anton Dermota, Erich Kunz, Hans Hotter, Gottlob Frick und Peter Klein waren ein wirkliches Ensemble, wie wir uns es wünschen.

MADAMA BUTTERFLY am 20. Dezember

Diese Oper ist eine der konstant besten Aufführungen des Repertoires. Das Dreigestirn Sena Jurinac, die die Herzen der Hörer wieder mit ihrer erlebten Darstellung und ihrem unbeschreiblichen Ausdrucksvermögen im Sturm gewann, Giuseppe Zampieri, dessen Stimme ständig an Volumen und (im Liebesduett!) an Intensität des Ausdrucks zunimmt und Eberhard Wächter, der noble Konsul, der seine Prachtstimme mit ebensolcher Noblesse einsetzt, gewährleistet immer höchstes Niveau, made in Vienna. Rudolf Kempe, den wir an der Wiener Oper gar nicht oft genug hören können erwies sich als ausgezeichneter Puccini-Dirigent, dessen Butterfly zwar nicht so dramatisch wie die von Herbert von Karajan oder Dimitri Mitropoulos ist und der doch liebevoll die zarten Farben der Partitur malt und eine blühende, lebendige Interpretation zeigte.

SIEGFRIED am 21. Dezember

Deprimiert kam man zu dieser Aufführung, denn Hans Hotter war erkrankt und mußte durch Gustav Neidlinger ersetzt werden, der in den ersten beiden Akten stimmlich recht gut war, und dessen Organ erst bei den Wala-Rufen Unebenheiten aufzuweisen begann. Ansonsten entspricht sein gemütliches Wesen (er lacht dauernd!) eben nicht dem Wanderer, der in unserem Bewußtsein in der hohen Gestalt Hans Hotters verankert ist. Aber alle anderen Mitwirkenden bemühten sich offenbar, dem Publikum dieses Handicap vergessen zu machen. Unter Herbert von Karajans meisterlicher Leitung bot auch das Orchester eine Meisterleistung, und wir können dankbar einen seit 1942 an unserer Oper nicht verzeichneten Fall eines nahezu schmißfreien (von einer kleinwinzigen, kaum merkbaren Unebenheit abgesehen)  Siegfried-Hornrufes vermerken.

Die größte Freude hatten wir diesmal an Martha Mödl, denn die große Künstlerin befand sich in so glänzender stimmlicher Verfassung, wie wir sie in Wien  überhaupt noch nicht gehört haben. Und sie bewältigte die Schwierigkeiten dieser ihr weniger liegenden Partie nicht nur, die Stimme klang auch so schön, frisch und ausgeruht, wie schon lange nicht. So konnte man nicht nur das herrliche dunkle Timbre der Mödl-Stimme bewundern, sondern auch feststellen, daß sich die Künstlerin viel weniger anstrengte als sonst und beim Singen ganz ruhig stand, während sie doch sonst stets mit dem ganzen Körper arbeitete.

Wolfgang Windgassen, der Siegfried schlechthin, war wieder eine Idealverkörperung der Partie und beeindruckte durch stimmliche Kraft und stets wachsende innere Intensität.

Peter Klein als Mime und erstmalig Alois Pernerstorfer als Alberich waren die hervorragenden Nibelungen, Wilma Lipp und Gottlob Frick souveräne Vertreter ihrer Stammpartien. Marga Höffgen, die zum ersten Mal die Erda sang, schien des Mikrophon-Singens ungewohnt und überdies schlecht placiert, was sich aber  bis zur Rheingold-Premiere  entscheidend ändern sollte.

TOSCA am 22. Dezember

Zur Feier von Giacomo Puccinis Geburtstag erschienen die Wiener Philharmoniker im Frack und bereiteten unter Berislav Klobucars Leitung eine schöne, das Angedenken des Meisters des Verismo ehrende Aufführung. Gré Brouwenstijn, als Tosca von erregender Intensität im Darstellerischen und die Partie auch stimmlich völlig ausfüllend, hatte den glänzend disponierten Giuseppe Zampieri der neben den herrlich gesungenen Arien vor allem durch ein schier endloses, spektakuläres „Vittoria“ erfreute, und Paul Schöffler zu Partnern, der nicht nur durch seine souveräne, durchdachte und scharf charakterisierende Darstellung (die auch im zweiten Akt wohltuend dezent blieb) begeisterte, sondern auch durch seine stimmliche Kraft, besonders im Te Deum. Hans Braun war ein guter Angelotti und da Karl Dönch auch wieder einen ausgezeichneten Mesner sang, wären nur der diesmal völlig unsichere, schwimmende Sängerknabe und der immer mehr outrierende Erich Majkut als nicht ganz würdig zu bezeichnen.

 

DAS RHEINGOLD am 23. Dezember

Wieland Wagner hat, das kann man jetzt nach seinem nunmehr siebenjährigen Wirken schon feststellen, dem Werk Richard Wagners zu einer Renaissance verholfen und neue Perspektiven eröffnet. Besonders der Ring erscheint lebendiger denn je durch die neuen Himmel, die sich über Wagners mythische Lande spannen, durch die schlichte Menschlichkeit, die die Götter und Helden neu gewonnen haben. Und Wieland Wagner hat somit alle, die sich mit dem Inszene-Setzen Wagnerscher Werke befassen, vor die Alternative gestellt, entweder Neu-Bayreuth mehr oder weniger gut zu kopieren, oder eben altmodisch zu bleiben. Denn gleich weit wie Wieland Wagner ins Neuland vorzustoßen und doch gleichzeitig etwas Neues, Persönliches zu schaffen, das ist noch keinem gelungen. Selbst Günther Rennert, wohl einer der größten schöpferischen Regisseure des europäischen Musiktheaters (und nur im alten Europa wird um die Erneuerung desselben gerungen) bezeichnet sein Interesse am Ring als rein handwerklich und mit der Inszenierung der Tetralogie an der Hamburgischen Staatsoper erloschen.

Wenn es nun gelungen ist, an der Wiener Staatsoper mit den bisher inszenierten drei Teilen des Ring des Nibelungen etwas Eigenes, durchaus Selbständiges zu schaffen, so ist der Wiener Staatsoper dadurch etwas ganz Entscheidendes geglückt, nämlich etwas, dessen Fehlen von vielen dazu mehr oder weniger Berufenen der Staatsoper ständig bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit angekreidet wird: Die Grundlagen zu einem eigenen Stil. Und das ist Herbert von Karajan zu danken.

Hätte Wieland Wagner in Wien den Ring gemacht, dann wäre dieser doch für immer Wieland Wagners Ring gewesen und niemals der der Wiener Staatsoper. Und so ist vielleicht gut, daß den Ring in Wien kein Routineregisseur macht, sondern ein großer Dirigent, der die Bewegung nur aus dem Musikalischen heraus entwickelt. Und die zuerst nicht (auch von uns nicht!) gutgeheißene Wahl des alten Bayreuther Bühnenbildners Emil Preetorius hat vielleicht doch ihr Gutes. Er ist das Fundament der Tradition, in der auch Wieland Wagner aufgewachsen ist und die auch die Basis für die junge Kühnheit des Wielandschen Regiewerkes abgibt.

Von der Ellipse Bayreuths, vom licht- und farberfüllten Raum zurückzukehren zu kompakterer Bühneneinrichtung mit  dem riesigen Felsen der Walküre, erschien uns noch bei der Premiere derselben als Rückschritt. Aber schon beim Siegfried haben wir gesehen mit welcher kühnen modernen Farbenglut sich auch diese szenische Einrichtung erfüllen läßt, wie machtvoll und groß etwa die Erda-Szene des Siegfried schon wirkt. Und so ist die aus den schiefen Ebenen – den gleichen Elementen wie in Walküre und Siegfried –großräumig aufgetürmte Spielfläche des zauberhaft romantischen Rheingoldes durchaus überzeugend in der Anlage. Rheingold gewinnt durch die wogende grüne Ausleuchtung der Szene auf dem Grund des Rheins überhöhtes Naturerlebenen, das dem breiten, weichen Es-Dur-Strom der musikalischen Einleitung wunderbar entspricht. Walhall erhebt sich ebenso feierlich und mächtig wie das glänzende Motiv. Leider ist die Götterburg nur vom Parkett und bestenfalls von den Logen im ersten Rang aus sichtbar. Und so ähnlich wie die vulkanische rot-schwefelige Nibelheim-Höhle hätten wir uns eigentlich auch Mimes Höhle im Siegfried vorgestellt, nur mit einer anderen Hintergrundprojektion. Aber damit ist nicht gesagt, daß sich – nach der hoffentlich baldigen Komplettierung des Ringes – diese kleineren Unebenheiten nicht beheben lassen. Das geschieht in Bayreuth jedes Jahr.

So zufrieden wie mit der rein räumlichen Gestaltung konnte man auch mit der Führung der Sänger sein, die ganz natürlich, immer logisch und wohltuend wenig merkbar erfolgte. Wenn es einen Einwand gibt, dann ist es der, daß die Rheintöchter nicht unbedingt hätten schwimmen müssen. Aber die Rheintöchterszene ist gefährlich. Auch  wenn sie sitzen oder ruhig stehen ist man nicht glücklich mit ihnen. Es ist schade, daß man sie nicht wie den Waldvogel oder Erda von der Bühne verbannen kann. Und hier sind wir schon bei den Hauptargumenten angelangt, die sich gegen die Kostüme von Preetorius richten. Sie erscheinen mehr als die Bühnenbilder etwas altmodisch: besonders die Rheintöchter hätten keine Schwänze haben müssen. Ein silbernes Trikot hätte, da es sich ohnedies um schlanke, wohlgebaute Ballettänzerinnen handelt, völlig genügt. Auch die Riesen sind altväterlich gekleidet. Gegen die – allerdings konventionelle – Gewandung der Nibelungen bestehen aber keine Einwände. Besonders Mime wirkt sehr gut in seiner wurzelhafte Verkrümmtheit und Zottigkeit. Und Wotan und Fricka sehen sogar sehr gut aus. Bei der Gewandung Donners ist ein Schimmer von Unlogik festzustellen: Die Naturgottheiten Loge, Freia und Froh erscheinen ganz natürlicher in lockeren, antikisierenden Gewändern; warum schließt man Donner, der doch ebenfalls diesem Kreise angehört, davon aus und gibt ihm ein strenges, hochgeschlossenes, germanisches Gewand?

Der Dirigent Herbert von Karajan spielte die Musik des Rheingold, wie wir sie noch nie gehört haben. Vollendet ausgewogen in den Dimensionen, frei und natürlich fließend die Motivgruppen mit stärkster Kraft zusammenballend und entladend, spornte er das Orchester zu einer Meisterleistung an, die selbst bei den Philharmonikern nicht alltäglich ist, wenn von einer Serie von Hörnerschmissen in der Einleitung und einem krassen, unerklärlichen Patzer der Kontrabaßtuba abgesehen wird, obwohl der zuständige Musiker die heikle Stelle vor Beginn der Aufführung unzählige Male geprobt hatte.

Hans Hotter, der Wotan mit menschlichen Schwächen, aber auch mit der großen Kraft des Geistes zu deren Überwindung, faszinierte auch mit seiner vollkommen beherrschter und gebändigter Riesenstimme. Der stimmlich wie körperlich gleich geschmeidige, unruhige, spöttische und dabei absolut wortdeutliche und herrlich singende Loge von Wolfgang Windgassen war die zweite dominierende Erscheinung auf der Bühne. Ihnen zunächst müssen gleich die Nibelungen Peter Klein, der auch hier überragende Mime, und der wilde, gut charakterisierte und ausgezeichnet gesungene Alberich von Alois Pernerstorfer genannt werden. Ira Malaniuk und Gré Brouwenstijn sangen die Göttinnen Fricka und Freia ebenso vorzüglich wie ihre unsichtbar bleibenden Kolleginnen: die dunkelstimmige, ausdrucksvolle Marga Höffgen (Erda) und das ideal stimmschöne und aufeinander abgestimmte Rheintöchtertrio Wilma Lipp, Sena Jurinac und Hilde Rössel-Majdan. Unter den Riesen dominierte eindeutig Gottlob Frick als Fafner, dessen Stimme ebenso schwarz ist wie sein Hunnenzopf und ebenso groß wie seine Gier nach Gold. Oskar Czerwenka war die einzige schwache Besetzung des Abends, denn er wurde mit dem hochliegenden Fasolt nur mit größter Mühe fertig. Eberhard Wächter brachte das Kunststück zuwege, innerhalb eines halben Jahres seine vierte Wagnerpartie neu zu singen, die ihm allerdings weniger liegt als die drei in Bayreuth erarbeiteten. Der Donner verlangt manchmal stimmliche Kraftentfaltung im Sinne von „loslegen“ und dafür ist Wächters kostbare Stimme nicht geschaffen. Waldemar Kmentt war ein ausgezeichneter, hellstimmiger Froh und bewies wieder einmal, daß seine Stärke im deutschen und nicht im italienischen Fach liegt.

Als der Jubel nach dem festlichen Abend nicht enden wollte, brachte Herbert von Karajan sogar die Techniker vor den Vorhang, obwohl sich der für die Lautsprecher Verantwortliche nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatte. Der Beleuchtungstechniker hat allerdings seine schwere Aufgabe ausgezeichnet gelöst und, ohne auf Kalanag-Zaubereien zurückgreifen zu müssen, die Leistungsfähigkeit des Apparates deutlicher als je unter Beweis gestellt.

 

DER ROSENKAVALIER am 25. Dezember

Diese traditionsgemäß am Christtag angesetzte Oper wurde zur großen Freude des Publikums von einem Klassedirigenten, Karl Böhm, geleitet. Unter ihm musizierten die Wiener Philharmoniker prächtig und alle Schönheiten der Partitur erstrahlten im Feiertagsgewande. Zwei besondere Lieblinge des Wiener Opernpublikums, Sena Jurinac und Hilde Güden, standen als Oktavian und Sophie auf der Bühne, die mit bezauberndem Charme und stimmlichen Glanz wohl die typischsten Vertreterinnen der beiden liebenswerten Gestalten sind (man denke nur an die reizende Konversation im zweiten Akt „Ich kenn ihn schon recht wohl, mon Cousin…“). Hilde Zadek war die Marschallin. Otto Wiener, der sich in jeder neuen Rolle als Gewinn für unsere Staatsoper erweist, sang den Faninal mit prächtiger Höhe und absoluter Wortdeutlichkeit und spielte sehr temperamentvoll den ehemals kleinen, neureichen Mann, der dauernd in der Sorge schwebt, auf dem ungewohnten glatten Parkett nur ja keinen Fauxpas zu begehen, wenn er nicht, sei es Freude, sei es aus Zorn, in Rage gerät. Köstlich z. B. die Stelle im zweiten Akt, wo er dem erschütterten Haushofmeister begeistert wegen der neu gewonnenen fürnehmen Verwandtschaft auf die Schulter drischt, weil er sonst niemanden bei der Hand hat, dem er seine Freude mitteilen könnte. Ihm gegenüber wirkte Kurt Böhme, der sich bemühte, durch derbes Geblödel, das aber bei einem Teil des Publikums ankam, seine stimmlichen Mängel zu verdecken, polternd und primitiv.

DIE ZAUBERFLÖTE am 26. Dezember

Diese feiertägliche Oper stand unter der musikalischen Leitung des berufenen Mozartdirigenten Karl Böhm, der manchmal breiter und in der Ouvertüre wuchtiger wirkte, aber dann mit vollendetem Stilempfinden einen schönen, ausgeglichenen, echt wienerischen Opernabend leitete. Die Besetzung brachte neben Mimi Coertse nach längerer Zeit wieder Irmgard Seefried. Die Pamina ist eine der wenigen Partien ihres Repertoires, die sie (neben Kleopatra, Micaela, Fiordiligi und Eva) noch singen muß, denn hier hat sie eine ganz und gar lyrische Partie vor sich, an die sie ihr merklich verdunkeltes Timbre und ihre schwerer gewordene Stimme angleichen kann. Es ist nur ungewohnt, daß sie viele ihrer früher berühmten Piano-Stellen jetzt im Forte singt. Von Übertreibung hielt sie sich im allgemeinen (bis auf das gar zu soubrettenhafte „Weib und Mann“…im Duett mit Papageno) frei. Ihre Prosa ist leider noch immer unglücklich. Es ist am besten, man spricht sie wie Wilma Lipp oder Elisabeth Grümmer ganz schlicht und einfach. Walter Kreppel sang trotz seines für die Partie etwas zu hellen Timbres die Arien des Sarastro mit wunderschön strömender, breiter Stimme. Seine Prosa ist gut und sein vornehmes und stattliches Aussehen verstärkt den guten Eindruck, den man bisher von ihm gewinnen konnte. Vom Damen-Trio befriedigte nur Hilde Rössel-Majdan, denn Elisabeth Höngen liegt die zweite Dame zu hoch und Hilde Zadek sang sehr schlecht. Mozartsängerin war sie ja nie. Emmy Loose hat sich in jahrelanger Papagena-Tätigkeit eine seltene Fertigkeit darin erworben, wirklich mit geschlossenen Füßen wie ein Spatz zu hüpfen. Wir zweifeln aber daran, ob das der tiefere Sinn des Federkleides von Papageno und Papagena ist. Sie sollen doch höchstwahrscheinlich Naturmenschen (mit der Betonung auf Menschen) symbolisieren und nicht vergrößerte Spatzen oder Paperln. Anton Dermota mit einem schön gesungenen Tamino, der derzeit in stimmlich ausgezeichneter Verfassung befindliche, urwienerische Erich Kunz und Eberhard Wächter waren die übrigen Ensemblemitglieder am zweiten Weihnachtsfeiertag.

LA TRAVIATA am 27. Dezember

Man hatte also die Erholung, die diese Traviata nach der vorangegangenen bildete, dringendst nötig, und diese Vorstellung wurde zu einem großen persönlichen Erfolg für Hilde Güden und den Abend zu einem außergewöhnlichen machte. Im ersten Akt brannte sie ein Feuerwerk virtuoser Koloraturen ab. Mit einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit präsentierte sie am laufenden Band technische Kunststücke. In den nachfolgenden Akten wußte sie der Rolle rührenden Ausdruck zu verleihen, ohne jemals auch nur im Entferntesten sentimental zu werden und ihr vollendet geformter Gesang blühte in schöner Reinheit in den Duetten mit Giuseppe Zampieri, unserem Standard-Alfred, der sich begreiflicherweise an diesem Abend weit wohler fühlte, als am vorhergegangenen, und Eberhard Wächter. Es ist nicht einzusehen, warum die kleinen Rollen nicht einmal mit frischen, jungen Stimmen besetzt werden könnten. Der Chor brauchte einen Mann im Frack, der ihm auf der Bühne den italienischen Text einbläst. Unser löblicher Opernchor ist offenbar mit einer Fremdsprache geistig überfordert! Alberto Erede erwies sich wieder als ganz hervorragender Verdi-Interpret. Er dirigierte schwungvoll und feinsinnig. Der Jubel des begeisterten, ausverkauften Hauses, das sich seine Traviata-Vorstellungen immer so wünschte, galt auch ihm.

TOSCA am 28. Dezember

Diese Aufführung litt unter der unzulänglichen Leistung von Hilde Zadek, die weder darstellerisch noch derzeit stimmlich das für die Partie notwenige Primadonna-Format mitbringt. Aber unser „Ensemblemitglied“ steht ja unter Denkmalschutz. Gnade Gott einer armen, womöglich noch italienischen Gast-Tosca, wenn sie jemals auch nur halb so schlecht zu sein wagte! Giuseppe Zampieri, den die ach so objektive Wiener Presse noch immer manchmal als „Tenorino“ apostrophiert, sang seine Partnerin jedenfalls glatt an die Wand und wurde zum Helden des Abends. Seine Arien waren wieder makellos schön gesungen. Der Scarpia von Hans Hotter wuchs zur dominierenden Persönlichkeit auf der Bühne. Stimmlich schien er – trotz großer Kraft beim Te Deum – belegt und konnte sich leider nicht freisingen. Berislav Klobucar gefiel durch zügige Tempi und Verständnis für die Sänger. Am Ende der Vorstellung feierte man nicht Floria Tosca, sondern fast demonstrativ Mario Cavaradossi.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 28. Dezember im Redoutensaal

war eine Aufführung dieser Oper, die sich von den sonstigen Redoutensaal-Vorstellungen angenehm abhob. Karl Böhm leitete mit Kultur, Schwung und feiner Detailmalerei diese Aufführung. Es wurde italienisch gesungen und das bewirkte, wegen der dazu notwendigen Konzentration auf den Text, ein fast völliges Abrücken von den im Figaro (besonders im deutschsprachigen) üblichen en-suite-Blödeleien, denen besonders Irmgard Seefried und Paul Schöffler häufig zum Opfer fallen. Diesmal wurde also dezent gespielt und auch sehr schön gesungen. Besonders Erich Kunz, der einen sehr lebendigen, aber dabei durchaus menschlichen und sogar ein wenig überlegen-fädenziehenden Figaro auf das Parkett des Saales stellte, (Günther Rennerts Regie wirkt bei ihm noch deutlich nach), befand sich in hervorragender stimmlicher Verfassung. Außerdem bewies er in der Arie „Non piu andrai“ ein hohes Maß von Geistesgegenwart, als ihm plötzlich der Text entfiel und er munter italienisch improvisierte. Sena Jurinac, die doch sicher lange keinen Cherubino mehr gesungen hat, war in dieser Rolle so vollendet, als hätte sie ihn vorige Woche zum letzten Mal kreiert. Elisabeth Höngen, Lieselotte Maikl sowie Oskar Czerwenka, Peter Klein und Ljubomir Pantscheff wurden ihren Stammrollen aufs beste gerecht. Die Gräfin wurde von Teresa Stich-Randall gegeben, die die Partie ebenso lächelnd-picksüß aufzog wie immer und deren Gefühle ebenso zuckerlrosa wirkten wie ihr Schlafrock, der merkwürdig genug vom sonstigen Graugrün, Graublau, Beige und Rosenholz der Neher’schen Farbenscala abstach, wie auch vom papageifarbigen Susannenkostüm.

MADAMA BUTTERFLY am 29. Dezember

Dieser Abend wurde von Berislav Klobucar (Butterfly ist eine seiner besten Opern) in bewährter Weise geleitet. Alles Andere wie bei der Rezension am 20. Dezember.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 30. Dezember

Nach längerer Pause stand wieder diese Wagner-Oper im Programm und versprach mit der Besetzung – Gustav Neidlinger als Sachs und Karl Liebl als Stolzing – kein erhebender Abend zu werden. Am Aufführungstag selbst stand statt Karl Liebl bereits Walter Geisler am Programm, und knapp vor der Aufführung wurde als Sachs Otto Wiener angekündigt, was die Aufführung doch interessant machte. Berislav Klobucar mußte plötzlich diese Oper übernehmen, sicher ein großes Wagnis für den im deutschen Fach wenig routinierten Dirigenten. Der Kontakt zwischen Bühne und Orchester war aber im großen und ganzen gut und in der Prügelfuge, in der ein anderer sogenannter erster Dirigent des Hauses ständig seine liebe Not hat, gab es kein Malheur. Gewiß muß Berislav Klobucar noch in diese für ihn neue Aufgabe hineinwachsen, aber der Beginn war zufrieden stellend. Otto Wiener, dessen Einspringen bereits nach der Verlautbarung vor dem Vorhang lauten und ehrlichen Beifall auslöste, bot wieder eine ausgezeichnete Leistung. Er ist immer da, weiß seine kräftige Stimme richtig einzusetzen und seine Wortdeutlichkeit könnte vielen Sängern als Beispiel gelten. Neben Otto Wiener kamen großartig auch seine beiden Bayreuther Meistersinger-Kollegen Hans Hotter als Pogner (eine Persönlichkeit, wie wir heute wenige auf der Opernbühne haben – fast ein nach Nürnberg herabgestiegener Wotan!) und Eberhard Wächter zur Geltung. Walter Geisler war im ersten Akt erschreckend unsicher. Er konnte keinen Blick vom Dirigenten wenden und fand erst im Laufe des Abends mit ihm Kontakt. Schauspielerisch war er für uns zu zackig und steif. Walter Geisler machte in Bayreuth in dieser Partie im Sommer 1957 einen recht guten Eindruck (daran wird sicher die berühmte Akustik des Festspielhauses und die Hand des Regisseurs Wieland Wagner mitgeholfen haben) und wir können über seinen Stolzing erst ein endgültiges Urteil abgeben, wenn er diese Partie noch ein weiteres Mal nach Probenarbeit singt. Anton Dermota war der sehr reife David mit seinen besten Momenten in der Schusterstube, Karl Dönch der passable Beckmesser in guter stimmlicher Verfassung und Irmgard Seefried ein gesanglich bis auf scharfe Spitzentöne recht gutes Evchen (an ihre seinerzeit gesungenen Evas vor mehreren Jahren darf man natürlich nicht denken), das den Opernbesucher leider durch betont kindliche Art nervös macht. Hilde Rössel-Majdan sang die Magdalena. Stark abgefallen sind wieder einige Chargensänger, so der Nachtwächter Norman Foster, der eine Zumutung an die Wiener darstellt, ferner die „Meistersinger“ Hugo Meyer-Welfing (dessen Agieren auf der Bühne bereits zu Wagners Lebzeiten als veraltet gegolten haben würde) und Hans Schweiger.

DIE ZAUBERFLÖTE am 31. Dezember

Dieses Werk, das als heiterer Übergang ins neue Jahr angesetzt war, stand unter der musikalischen  Leitung des berufenen Mozartdirigenten Karl Böhm. Am Sylvester brachten schon die humorvollen Einlagen von Papageno Erich Kunz eine Bombenstimmung ins Haus. Sogar das Orchester und Karl Böhm mußten über seine Spaßetteln schmunzeln. Aber ganz nebenbei gab es auch noch ausgezeichnete Gesangsleistungen, so von der seelenvollen Wilma Lipp und von Anton Dermota als heldischem Tamino und der reizenden Papagena der Anneliese Rothenberger. Mimi Coertse hatte als Königin der Nacht einen guten Abend und der einspringende Sarastro Endre Koréh bemühte sich. Daß er nicht mehr die Stimme von anno dazumal besitzt, wissen nicht nur wir, sondern auch er. Hans Hotter macht selbst eine kleine Rolle zur tragenden. So ist auch der Sprecher ein Meisterstück dieses großen Gestalters der Opernbühne. Peter Kleins Monostatos weiß man immer dann besonders zu würdigen, wenn er auf Gastspielreisen ist und durch irgend jemand ersetzt werden muß. Doch wir wollen ihn auch diesmal preisen. Heiter und beschwingt, in bester Laune verließ man nach diesem schönen, von echter Heiterkeit erfüllten Abend die Wiener Staatsoper am letzten Tag des Jahres 1958.

 

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