DER FEBRUAR 1959
4. Jahrgang, Heft 3
Der zweite Monat des Jahres in der Wiener Staatsoper gelang etwas besser als der Jänner. Das ist vor allem auf die Tätigkeit zweier Dirigenten zurückzuführen, nämlich den bereits aus dem Vorjahr bekannten und geschätzten Glauco Curiel, der ein hochtalentierter, temperamentvoller und bescheidener Dirigent, eben ein typischer guter Operndirigent ist.
Der zweite wertvolle Zuwachs war Lovro von Matacic, der sich gleich an seinem ersten Abend nach fünf Minuten den notwendigen Kontakt mit der Bühne und den nötigen Respekt das Orchesters verschafft hat. Er ist ein Dirigent der alten Schule mit eher langsamer Tempi, die aber sehr viel Spannung haben und vor allem: Er ist ein so korrekter Einsatzgeber, wie wir schon lange keinen mehr erlebt haben. Der Wiener Tätigkeit Matacics und seiner Zusammenarbeit mit dem Orchester ist also mit Spannung entgegenzusehen, speziell dann, wenn er einmal bei deutschen Opern, besonders Wagner und Strauss, eingesetzt wird, denn das ist sein eigentliches Fach, das er überall sonst dirigiert.
Im Übrigen konnte man die Relativitätstheorie auf Opernverhältnisse angepaßt anwenden: Sowohl Meinhard von Zallinger als auch Berislav Klobucar dirigieren einen relativ besseren Wagner und Strauss als Heinrich Hollreiser. Dafür ist Heinrich Hollreiser etwa in der „Entführung“ wieder relativ besser als Michael Gielen. Und so weiter. Aber das sind müßige Späße. Unsere Aufführungen haben nicht relativ, sondern absolut gut zu sein!
Merkwürdigerweise waren die beiden ersten Monate des Jahres 1959 an den meisten Opernhäusern Europas sehr schlecht. Die Münchner, Stuttgarter und Düsseldorfer Opernfreunde murren über ihr Repertoire. In Italien ist gar nichts los. In Rom singen hauptsächlich Sänger der alten Garde: Lauri-Volpi, die Caniglia und die Pederzini (das muß wirklich kein Vergnügen sein). Die Scala Milano sieht sich von einem Totalstreik der Spitzensopranistinnen bedroht. Nicht nur die Tebaldi und die Callas bleiben der „Stagione lyrica“ heuer fern, sogar die Stella und die Cerquetti. Auch Leonie Rysanek hat in letzter Minute ihre zwei Premieren abgesagt. Die Scala hat keine „Troubadour“-Leonore. Es ist direkt zum Lachen. (Nachdem Sena Jurinac die Partie abgelehnt hatte, hat man sie Astrid Varnay angeboten). Ganz abgesehen davon ist das Repertoire heuer so langweilig wie noch nie. Und jetzt fragt man sich erstaunt: Wo sind die Sänger? Windgassen hielt sich in Spanien auf und kam total außer Form zurück. Tebaldi, Simionato, Monaco und Gobbi sind in Japan. Offenbar der neueste Anziehungspunkt! Da Sänger keine Zeit haben, Urlaub zu machen, verbinden sie das Angenehme mit dem Nützlichen und lassen sich in die ganze Welt engagieren, um dabei zu reisen und neue Landschaften und Städte kennenzulernen. Das ist für die Sänger erfreulich, für ihr treues Publikum bedauerlich.
Dabei hatten wir im Februar einige wirklich schöne Aufführungen und das Durchschnittsniveau ist höher als anderswo.
SALOME am 1. Februar
An diesem Abend unter Berislav Klobucar zeigte Christl Goltz wieder ihre faszinierende, intensive Salome-Interpretation. Paul Schöffler sprang statt Hans Hotter als Jochanaan ein, zeigte sich aber, ebenso wie Ludwig Suthaus als Herodes nicht in bester Verfassung. Elisabeth Höngen weiß mit ihrer scharf gezeichneten Herodias stets aufs Neue zu beeindrucken.
MADAMA BUTTERFLY am 2. Februar
Es ist eine der besten Aufführungen, die wir derzeit auf dem Spielplan haben. Es ist immer aufs Neue interessant, die großartige Sena Jurinac in der Titelrolle zu bewundern. Wie diese Künstlerin an jedem Abend das Schicksal der Butterfly formt und mit ihrer Stimme die Gefühlsskala einer liebenden Frau und Mutter ausdrückt, ist stets ein Erlebnis für die Hörer. Neben ihr gefiel der nobel agierende und herrlich singende Eberhard Wächter, während Giuseppe Zampieri als Pinkerton sehr schwache Abende hatte und –deutlich indisponiert – beinahe unhörbar blieb. In gut gestalteten Nebenrollen hörte man Hilde Rössel-Majdan, Peter Klein und Harald Pröglhöf. Karl Weber war einmal seinem Können entsprechend eingesetzt und gefiel als Yamadori.
Herbert von Karajan dirigierte, nach Überwindung einiger kleinerer Unkorrektheiten im ersten Akt, eine herrlich konzentrierte und intensive Vorstellung.
Es gab viel Jubel für Sena Jurinac, die unvergleichliche Butterfly unserer Tage, die selbst würdige Herren in Parkett und Logen zum Weinen bringt.
LA TRAVIATA am 3. Februar
Unter Glauco Curiels schwungvoller Leitung sang Mimi Coertse ihre erste Wiener Traviata. Sie wird in die Partie noch mehr hineinwachsen, zeigte aber schon beim ersten Mal Gesang mit Gefühl und Empfindung, besonders in den lyrischen Phrasen des zweiten Aktes. Ihr Debüt wurde allerdings etwas beeinträchtigt, einerseits durch die derzeit schlechte Verfassung ihres Partners Giuseppe Zampieri (der unvernünftigerweise in 14 Tagen eine ganze Serie von Verdi-Requiems in Israel gesungen hat, was sich jetzt bemerkbar macht), andererseits durch die unüberbietbare Meisterleistung von Ettore Bastianini als Germont. Dieser Sänger ist ein Phänomen. Ohne einen Tropfen Bühnenblut steht er auf der Bühne und das fehlende Temperament stört meistens gar nicht. Er steht da und singt. Und sein Timbre ist so wunderschön, die Ausgeglichenheit der Stimme so vollendet, daß man manchmal tatsächlich mit offenem Munde zuhört. Etwa mit welcher Leichtigkeit er ein G nimmt, als gehöre es zum Alltäglichen, daß ein hohes G ebenso rund, voll und schön klingt wie die Mittellage!
OPERNBALL am 4. und 5. Februar
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 6. Februar
Nah dem großen Opernball hatte man eine kleine Oper angesetzt. Diese hatte trotzdem sehr viel Stimmung, jedenfalls wesentlich mehr, als eine im Redoutensaal. Heinrich Hollreiser war im allgemeinen Herr der Lage und musizierte recht flüssig. Nur beim Quartett war er mit den Sängern uneins. Wilma Lipp ist eine hervorragende Konstanze, besser, als sie in ihrer Koloraturperiode je gewesen ist. Die Koloratur ist geläufig, die Höhe bombensicher und die schöne Mittellage und fein ziselierte Gesangslinie der Künstlerin kommen den lyrischen Teilen der Partie ganz besonders entgegen. Rudolf Schock, der einmal ein vortrefflicher Belmonte war, ist dies nur mehr in seinem eleganten, sicheren Auftreten. Stimmlich quält er sich bereits mit dieser Partie. Sein Organ klingt gestemmt und gepreßt. Mit seinem Hang zum Zwischenfach dürfte er sich schon ernsthaften Schaden zugefügt haben. Emmy Loose, ein sicheres, routiniertes Blondchen, das in der Höhe nicht mehr ganz sattelfest ist, hatte zwei neue Partner. Kurt Equiluz scheint eine gute zweite Besetzung für den Pedrillo zu werden. Die Ensembles sang er kultiviert und musikalisch, bei der Arie „Auf zum Kampfe“ übernahm er sich allerdings, denn er legte los, als habe er mindestens das Material von Franco Corelli. Das ging natürlich nicht gut aus, und die Nachwirkungen hörte man in Form von einigen Kratzern noch beim Ständchen. Routine und besseres Einteilen der stimmlichen Mittel können hier helfen. Ludwig Welter, der gastierende Osmin, stellte nach seinem Ochs nun wieder eine köstliche, humorvoll gezeichnete Type auf die Bretter und sang die Partie, abgesehen von den ganz tiefen Tönen, die er nicht hat, sehr schön und stilvoll. Ein Engagement dieses Sängers wäre dringend nötig und könnte uns einiger Sorgen entheben.
DON GIOVANNI am 7. Februar
Nach langer Zeit sang Paul Schöffler die Titelpartie. Mit großer Künstlerpersönlichkeit, verbunden mit seiner Erscheinung berückte er nicht nur die Frauenherzen auf der Bühne, sondern auch die des ausverkauften Hauses, das ihm nach der Champagnerarie, die er rasant und wahrhaft atemberaubend vortrug, stürmische Ovationen bereitete. Nicht dieselbe Wirkung erzielte er mit dem Ständchen. In den Rezitativstellen war deutlich hörbar, daß er schon lange die Partie nicht gesungen hatte. Sein treuer Diener war Walter Berry, der einen vollsaftigen und wunderschön gesungenen Leporello auf die Bühne stellte. Sena Jurinac sang eine dramatische Donna Anna. Ihre Stimme klang nur manchmal scharf in den oberen Regionen. Gerda Scheyrer bemühte sich als Elvira sehr. Die Arie auszulassen ist ihr schon zur Gewohnheit geworden. Routiniert neckisch war Emmy Loose als ewig junge Zerlina. Rudolf Schock bewies, daß er Mozart technisch hervorragend singen kann (weniger einwandfrei ist derzeit seine Stimme). Gottlob Frick stellte sein herrliches Organ dem Komtur zur Verfügung. Glauco Curiel war musikalisch für den Mozartabend verantwortlich. Zwar litt sein Kontakt mit der Bühne mitunter (1. Akt Komturszene), aber man spürte, daß er mit dem Herzen bei der Sache war und der Partitur starke Akzente gab. Zum Unterschied von anderen Hausdirigenten, die Don Giovanni meistens zu einer faden Angelegenheit machen, war seine Interpretation zügig und interessant.
JULIUS CAESAR am 8. Februar
Es wurde in Kreisen des interessierenden Opernpublikums oft darüber debattiert, welche Oper Heinrich Hollreisers schlechteste sei. Wagnerianer finden, dies sei der Tannhäuser, Mozart-Fanatiker glauben der Figaro sei es und Straussianer plädieren für den Rosenkavalier. Seit der Caesar-Premiere wissen es alle: Heinrich Hollreisers schlechteste Leistung ist der Caesar und so ist auf diesem Gebiet endlich eine Einigung festzustellen. Hoffentlich wird es ihm verwehrt, auf dieser seiner „Neueinstudierung“ sitzen bleiben zu dürfen. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber bei uns gibt es diesbezüglich keine Selbstverständlichkeiten, denn sonst hätte man Edmond Hurshell längst aus der Caesar-Besetzung eliminierten müssen. Es mag merkwürdig erscheinen, daß zuerst über Achillas gesprochen wird, aber Edmond Hurshell war in der Aufführung der einzig Störende auf der Bühne. Irmgard Seefried wächst mehr und mehr in die Kleopatra hinein und erweist sich in der gesanglich so schwierigen Partie stets als Künstlerin von Format. Daß sie eine solche ist, hatten wir in den Jahren ihrer lieblichen Soubretten-Rollen schon ganz vergessen. Gott sei Dank scheint sich da eine Wendung vorzubereiten. Eberhard Wächter erscheint in der Titelpartie noch nicht ganz ausgeglichen. Merkwürdig unsicher ist gleich sein Auftritt (die Spitzentöne in „Nun bau aus Palmen“ sind nicht gerade triumphal!) und die „Manen des großen Pompejus“ liegen ihm zu tief. Hervorragend singt er ab der „Jäger“-Arie, und seine große Szene am Meer wird mehr und mehr zum Höhepunkt der Aufführung. Gottlob Frick übernahm endlich wieder den Ptolemäus. Er hatte einen Riesenerfolg bei denen, die bisher nur Oskar Czerwenka gehört hatten. Aber diejenigen, die ihn vom Theater an der Wien her kannten, hatten eigentlich fast noch mehr Grund zur Freude. Denn er imponiert nicht nur durch die Schönheit seiner schweren, dunklen Stimme, sondern ist darüber hinaus wesentlich mehr als früher auf Linie und Ausdruck bedacht. Seine große Arie hatte den stärksten Applaus des Abends. Anton Dermota und Ira Malaniuk sangen mit Stilgefühl die nicht eben dankbaren römischen Trauerweiden.
BALLETTABEND am 9. Februar
TANNHÄUSER am 10. Februar
Diese Vorstellung war ein äußerst uneinheitlicher Abend. Berislav Klobucar dirigierte. Diese Oper wird er sich noch gründlich erarbeiten müssen, da hilft der gute Wille und der zweifellos vorhandene volle Einsatz nichts. Er war sogar sehr exakt, außer beim Einzug der Gäste. Da allerdings schwimmt unser Chor immer, einerlei wer dirigiert. Den von einem Kollegen (Heinrich Hollreiser) ererbten Tannhäuser-Brei vermochte er sogar in gut hör- und auseinanderhaltbare Stimmen zu zerlegen. Aber es fehlte das Gleichgewicht der Stimmen untereinander. So erhielt die Musik manchmal etwas unerträglich Leierndes. Beispielsweise gleich im Vorspiel: Die Hörner bliesen das Pilgermotiv mit voller Wucht, aber die begleitenden, sinnlichen Violinfiguren waren leider ebenso laut und ebenso derb – M-tatatatata, M-tatatatata – der Musikfreund wird sich’s vorstellen können. Außerdem war er manchmal, besonders in der Venusbergmusik und im Vorspiel zum dritten Akt, so fürchterlich laut, daß es einem vom Sitz fegte. Ungeeignete Dirigenten können aus italienischen Opern Schnulzen machen. Deutsche Opern werden in diesem Falle zu Schinken. Auf der Bühne dominierte die Venus von Martha Mödl. Sie hat die Partie bisher bei uns nicht singen können, weil sie die gemischte Bayreuther Fassung nicht gelernt hatte. Nun studierte sie diese für Stuttgart und jetzt kann sie die Partie Gott sei Dank auch bei uns singen. (Es hätte allerdings schon früher einem von unseren unzähligen Beamten einfallen können, sie um das Umstudieren der Partie zu ersuchen, sie hätte es sicher auch für Wien getan). Martha Mödl ist als Venus ganz anders als alle ihre Kolleginnen. Sie erscheint nicht als Verführerin und nicht als Circe. Ihre Haltung ist statuarisch. Der Ausdruck liegt in der Stimme. Stimmlich war sie ausgezeichnet. Die Partie liegt ihr sehr gut. Maud Cunitz als Gast sang wie immer: laut, mit Tremolo. Selbst wenn man das Timbre ihrer Stimme nicht verträgt, hat man Maud Cunitz von der Antonia bis zur Sieglinde schon unzählige Male gehört. Ein riesiges Repertoire hat sie. Das muß man ihr lassen. Wenn doch auch nur eine unserer Staatsopernsängerinnen in so vielen Rollen stets einsatzbereit wäre! Aber das war bei uns immer so und wird sich nicht ändern. Aber da sind vielleicht nicht einmal die Sänger selbst schuld. Trotz zahlloser „hoher Direktionsbeamter“ macht den Besetzungsplan ein unbedeutender, kleiner Mann in der Regiekanzlei, der nicht die Persönlichkeit ist, Künstler auf benötigte, in ihrer Reichweite liegende Partien hinzuweisen, das ist klar. So bleibt es bei der alten Leier. Die Sänger singen ihre alten Rollen bis das Publikum unruhig wird. Und ist eine Partie gerade unbesetzbar, holt man eben irgend einen Gast. Wolfgang Windgassen befand sich in deprimierend schlechter Verfassung. Nicht nur, daß ihm jede stimmliche Kraft fehlte, sang er auch noch über weite Strecken um den Bruchteil eines Tones zu tief. Ein paar Wochen Urlaub müßten dem sichtlich überanstrengten Sänger sehr gut tun. So bleiben Eberhard Wächter, hervorragend wie immer in der Partie des Wolfram, der gute Landgraf Kurt Böhmes und Anton Dermota, der stimmgewaltige Walther. Etwas wenig für einen Wagnerabend, will uns scheinen!
DER ROSENKAVALIER am 11. Februar
Ohne Zweifel ist Sena Jurinac der Rosenkavalier. Die große Künstlerin, die mit so viel Herz und Empfindung die Wirren des von den Frauen geliebten jungen Grafen verkörpert, spielt und singt mit angeborenem, unvergleichlichem Charme. Sie weiß im ersten Akt die überschwengliche Leidenschaft zur reifen Marschallin glaubhaft zu machen. Man spürt förmlich bei der Überreichung der silbernen Rose die aufflammende echte Liebe zu Sophie und fühlt mit ihr, wenn sie etwas unsicher und betreten der Marschallin unter die Augen tritt. Dazu kommt noch, daß sie in der Mariandlszene nie der Versuchung unterliegt, zu überspielen, sondern diese bruchlos in das Gesamtporträt des Octavian einfügt. Man konnte auch verstehen, daß Octavian sich für Sophie entschied, denn Anneliese Rothenberger, die in allerletzter Minute für Wilma Lipp einsprang, war ein ganz reizendes, junges Mädchen, deren silberklarer, heller, schwebender Sopran ideal zu der schweren samtenen Stimme von Sena Jurinac paßt. Eine Idealbesetzung des Octavian und der Sophie in Zusammenklang und Erscheinung! Hilde Zadek als Marschallin hat es sehr schwer, sich in dieser Rolle in Wien durchzusetzen, in welcher seelenvolle Sängerinnen größte Triumphe feierten. Ihr Bemühen sei ausdrücklich erwähnt, aber die Stimme dringt nicht in die Tiefen der Herzen. Oskar Czerwenka war in Wort und Spiel ein Ochs nach unserem Geschmack. Er versteht die Gestalt derzeit wie kein zweiter. Es muß aber an seinem Gesang liegen, daß er, wie er kürzlich in einem Fernsehinterview erklärte, in Berlin und anderswo nicht verstanden werde. Hört man nämlich seinem Gesang zu, dann erkennt man deutlich seine Schwächen, die sich in einer flachen Höhe und einer kaum hörbaren Tiefe äußern. Noch einen Einspringer gab es an diesem Abend. Alexander Fenyves aus Graz sang den Faninal mit sehr wenig übrig gebliebener Stimme und mit großen Gesten aus einer anderen Opernepoche. Mit der Arie des Sängers plagte sich Ivo Zidek, ohne imponieren zu können. Die musikalische Leitung hatte Heinrich Hollreiser, der diesmal zur Abwechslung den ersten Akt zerdehnte. Im zweiten und dritten Akte konzentrierte er sich auf die Sänger und hatte damit wenigstens Teilerfolge. Feinschmecker kamen nicht auf ihre Rechnung, aber man ist bei diesem Dirigenten froh, wenn wenigstens die Übereinstimmung mit der Bühne zustande kommt.
DIE WALKÜRE am 12. Februar
Dieser Abend brachte eine Glanzleistung von Hilde Konetzni als Sieglinde. Da zu ihrem großen darstellerischen Einfühlungsvermögen noch eine hervorragende stimmliche Disposition trat, hinterließ die Künstlerin einen unvergeßlichen Eindruck. Ein vorzüglicher Partner war ihr Jon Vickers, dessen jugendliche Heldenstimme doch beim Siegmund von allen seinen Rollen am besten eingesetzt ist. Als Wotan gastierte Sigurd Björling, der die Partie des Göttervaters mit kraftvoller Stimme und ohne irgendwelche Ermüdungserscheinungen durchhielt. Seine metallische, hell timbrierte Stimme ist bis zum Ende des dritten Aktes zu Ausbrüchen fähig. Er ist aber auch in der Lage, lyrische Stellen Mezzavoce zu singen. Darstellerisch war er guter Durchschnitt. Die Brünnhilde lag bei Martha Mödl in den besten Händen. Die geistige Erfassung und Durchdringung der Partie ist einmalig. Bei Ludwig Webers Hunding ahnte man, wie großartig er einmal in dieser Partie gewesen ist. Ira Malaniuk sang wieder eine dramatische und energische Fricka. Eine Überraschung in positivem Sinne brachte Meinhard von Zallinger, der zwar der Aufführung kein großes Format verleihen konnte, aber doch sauber und relativ unfallfrei dirigierte.
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 13. Februar
Mit Sehnsucht erwarten wir den Tag, an dem der Hoffmann in die Volksoper übersiedelt. Kein Mensch wird ihm eine Träne nachweinen. Man erträgt einfach den Anblick der Adolf Rott-Robert Kautzky-Romantik nicht mehr. Die Aufführung war so ermüdend und langweilig, daß sich kaum eine Hand zum Applaus regte. Bei den gebotenen Sängerleistungen sehr verständlich! Wenn Edmond Hurshell indisponiert die vier Baritonpartien singt, kann sich Jedermann vorstellen, was dabei herauskommt. Das Publikum, das auf die Diamantenarie mit tödlichem Schweigen reagierte, tat recht daran. Weiters sang Nassja Berowska-Heger eine indiskutable Antonia. Die Sängerin ließ im Vorjahr recht gute Anlagen erkennen, mit denen es heuer vorbei zu sein scheint. Die Höhe war so schrill, daß es einen vom Sitz hob. Muß das in der Wiener Oper sein? Lichtblicke waren (relativ betrachtet) Helga Jungs verbesserte Olympia, Ira Malaniuks blendende Bühnenerscheinung als Giulietta und Peter Kleins skurrile Gestalt. Ivo Zidek sang in der Titelpartie unausgeglichen. Neben schönen Tönen hörten wir auch viele halsige Töne. Ludwig Weber hatte als Crespel einen guten Tag. Am Pult stand Michael Gielen, in dessen Brust angeblich zwei Seelen wohnen – die des Dirigenten und die des Komponisten. Wenn er sich nach der Ära des Taktschlagens für den zweiten Beruf entschiede, wäre der Oper und dem Publikum geholfen. Vielleicht auch ihm.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 14. Februar, Premiere,
am 16. und 20. Februar Wiederholungen
Es ist immer die Frage, ob man ein in der letzten Zeit entstandenes Werk als geschrieben von einem „modernen Komponisten“ oder von einem „zeitgenössischen Tonsetzer“ bezeichnen muß. Wir wollen im Falle von Francis Poulenc und seinen Karmeliterinnen den goldenen Mittelweg beschreiten und das Stück das Werk eines zeitgenössischen Komponisten nennen.
Es ist interessant, daß die aufregendsten und wirklich modernen Musikstücke alle schon zwanzig bis vierzig Jahre alt sind. Die Meister von damals sind tot oder alt und abgeklärt. Keinen gibt es mehr, der aufhorchen läßt durch die Kraft eines jungen Talentes, keinen, dessen Musik begeistert oder abstößt. Es gibt keine großen Würfe mehr, genauso wenig wie handfeste Skandale, denn wenn heutzutage ein Skandälchen stattfindet, so hauptsächlich deshalb, weil das aufgeführte Werk nichts wert ist - nicht etwa, weil es zu modern ist. Und solange es keine wirklich großen, modernen Werke gibt, ist es völlig sinnlos, einem so gut gemachten und so gekonnten Stück nachzusagen, es sei eine „Puccini-Imitation“. Hier ist eine starke, interessante Theatermusik, die das als Sprechdrama höchst unangenehme Stück überhöht und - in einigen Szenen klärt und verklärt. Und das ist mit Können und Geschmack. Das Problem der menschlichen Angst, ein Problem, mit dem jeder auf seine Weise fertig werden muß, ist jetzt aktueller denn je. Glücklich diejenigen, die sich dabei an ihren Glauben klammern können. Wir ziehen die Vertonung dem Sprechstück vor, da die Musik ganz andere Möglichkeiten des Ausdrucks als das gesprochene Wort hat. Und die Musik hilft, den Schrecken (Todesszene der Priorin, Schluß-Szene) zu verwandeln in Teilnahme.
Zur Inszenierung dieses Werkes an der Staatsoper konnte man aus vollem Herzen ja sagen. Dem Team Margarethe Wallmann und Georges Wakhevitch ist eine Ideallösung der Bühnengestaltung gelungen Wakhevitch stellte mit ein paar grauen Mauern, die von Bogen unterbrochen werden, ein im besten Sinne modernes Bühnenbild hin, das dabei eine Art kalte Schönheit hatte (etwa in der großen Szene Blanche-Constance, wo der Farbendreiklang grau-braun-blau der Szene Atmosphäre gab) oder, so wie im Schlußbild, etwas faszinierend Modernes ausstrahlte – es erinnerte in der Art an Modigliani oder Dali. Diesen Rahmen füllte Margarethe Wallmann mit einer dichten, intensiven Inszenierung, wo sogar jede Choristin und jeder Statist Profil hatte. Unterstützt wurde sie freilich durch Persönlichkeiten großen Formats.
Die Hauptrollenträgerinnen: Irmgard Seefried, Elisabeth Höngen, Christl Goltz und Anneliese Rothenberger könnte man – so wie sie sind – auf die Sprechbühne verpflanzen. Sie würden dort möglicherweise alle Schauspielerinnen mühelos vergessen machen.
Irmgard Seefried war endlich einmal wieder die Seefried von früher, die Seefried, deren erstes Evchen die Oper in einen Taumel der Begeisterung stürzte, die Seefried, die nahezu unsingbare Hindemith-Motetten auswendig hinlegte, daß man aus dem Staunen nicht herauskam. Und das alles wurde abgelöst durch einen typischer Fall von Steckenbleiben. In der letzten Zeit zeichnet sich sowohl im Liedgesang, als auch auf der Bühne eine grundlegende Änderung ab. Schon die Kleopatra zeigte wieder die Künstlerin, die begeistern kann, und noch mehr war dies bei der Blanche der Fall. Ganz abgesehen davon, daß Frau Seefried eine ausgewachsene Zwischenfachspartie stimmlich vorzüglich meisterte, konnte sie auch die Rolle in vollen Einklang zu ihrer Persönlichkeit bringen. Die Blanche, ein überzüchtetes, neurotisches, weltfernes, ja hysterisches Kind einer dekadent gewordenen Gesellschaft, kann man als ätherisches Zitter-Häschen spielen. Man kann sie aber sehr gut auch so spielen: das Zittern verbergend hinter Härte und dann um so mehr wirkend im Ausbruch. Von einer Fehlbesetzung zu sprechen, wie manche Rezensenten, ist völliger Nonsens, und die Partie mit Anneliese Rothenberger besetzen zu wollen, noch mehr.
Denn Anneliese Rothenberger ist die ideale Constance, ergreifend in ihrer gelösten Heiterkeit und inneren Ruhen. Gerade diese Partie hätte bei der Besetzung mit irgendeiner Durchschnittssoubrette sehr leicht etwas Süßliches bekommen können. Aber die Soubrette Anneliese Rothenberger geht den Rollen auf den Grund und hat mehr Persönlichkeit, als es in ihrem Fach an der Tagesordnung ist.
Elisabeth Höngen bot mit der alten Priorin eine Meisterleistung, die wohl einmalig dastehend ist in ihrer beklemmenden Echtheit. Und dem abgebrühtesten Opernbesucher, der schon viele große Erlebnisse von der Bühne her hatte, nicht zuletzt durch Frau Höngen selbst, rinnen kalte Schauer über den Rücken und manche Einzelheiten (das zitternde Trommeln mit den Fingern an der Stuhllehne etwa) lassen einem den Atem stocken. Frau Höngen ist eine von den wenigen, die das verwaiste Eis- und Dorsch-Fach am Burgtheater ausfüllen könnten!
Großartig ist auch die Gestaltungskraft von Christl Goltz, die diesmal hart, statuarisch, eiskalt, voll Verachtung war. Um so stärker wirkte ihr Ausbruch in der Szene mit dem Beichtvater. Hilde Zadek, Margareta Sjöstedt, Rosette Anday und die ausgesuchten Choristinnen fügten sich nahtlos in die Inszenierung ein.
Die Herren Alfred Poell, Ivo Zidek, Anton Dermota und Alois Pernerstorfer hatten stimmlich und darstellerisch gleich ausgefeilte, vorzügliche Episodenrollen zu bieten.
Überrascht hat diesmal Heinrich Hollreiser, der das Werk präzise und sicher einstudiert hat und es wirkungsvoll und dramatisch dirigierte.
Die Wiederholungsaufführungen zeigten immer stärkeres Hineinwachsen der Künstler in ihre Rollen und gleichbleibend starkes Interesse des Publikums.
DON CARLOS am 15. Februar
eine Aufführung, die uns nach gemachten schlechten Erfahrungen mit dieser Oper als Repertoirestütze sehr gut vorkam. Glauco Curiel dirigierte gut, straff und sicher, und die breiten Phrasen hatten leuchtende Schönheit. Paul Schöffler hat den König Philipp, der ihm stimmlich und ausdrucksmäßig sehr gut liegt, dankenswerterweise italienisch studiert und wurde durch seine Künstlerpersönlichkeit zum Mittelpunkt der Vorstellung. Sena Jurinac klang an diesem Abend etwas überanstrengt. Trotz einiger Schärfen in den Höhen erscheint sie uns aber immer wieder als Idealgestalt der Elisabeth. Kitsa Damassioti, die wieder als Eboli gastierte, hatte mit ihrer hellen, kräftigen Mezzostimme und guter Höhe einen schönen Erfolg zu verzeichnen. Trotzdem wird sich die Wiener Oper um einige ständige Ensemblemitglieder, die Amneris, Carmen, Azucena usw. singen können, umsehen müssen.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 16. Februar
Die Aufführung wurde mit der Premiere am 14. Februar besprochen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 17. Februar
Hätte jede unserer Repertoireaufführungen solches Niveau, dann wären wir hoch zufrieden. Unter Berislav Klobucars sicherer Führung verdienen vor allem Walter Berry, ein gefiederter Naturbursche, Wilma Lipp, eine mehr und mehr an Ausdruck gewinnende Pamina, Mimi Coertse als Königin der Nacht, die auch diesmal die Rachearie vorzüglich sang, Eberhard Wächter als Sprecher und Peter Klein als tänzerisch beweglicher Mohr größtes Lob. Nach längerer Zeit kam wieder Josef Greindl in das bewährte Mozartteam und sang mit sehr viel Intelligenz und Ausdruck einen würdevollen Sarastro. Stets aufs Neue ist man von seiner Gestaltungskraft und Persönlichkeit beeindruckt. Der einzige Künstler, welcher zwar in Spiel, Stil und Erscheinung durchaus in den Rahmen paßte, und dennoch abfiel war Rudolf Schock als Tamino. Er plagte sich fürchterlich mit dem Part und vor allem seine oberen Register klangen dünn und zugeschnürt. Man hatte einfach das Gefühl, der Künstler wolle zwar, doch die Stimme nicht. Schade um den ausgezeichneten Mozartsänger. Die Stimmung im vollen Haus, das größtenteils mit Jugendlichen besetzt war, war ausgezeichnet und es gab viel Beifall auf offener Szene und an den Aktschlüssen.
MADAMA BUTTERFLY am 18. Februar
Die Aufführung war in der Besetzung und den Leistungen weitgehend mit der vom 2. Februar ident. Nach Herbert von Karajan übernehm Glauco Curiel diesen Abend und war etwas langsamer als seine Vorgänger, bot aber eine geschlossene Gesamtleistung, nur ließ er manchmal dem Orchester zu viel Raum. Es wäre von Vorteil, wenn sich der begabte Dirigent daran gewöhnte, den Sängern Einsätze zu geben. Das ist nun einmal außerhalb Italiens üblich.
AIDA am 19. Februar
Dieser Aufführung fehlte der Glanz südländischer Stimmen. Es wurde zwar italienisch gesungen, aber die Sprache war auch das einzige, was an eine italienische Aida erinnerte. Zu deutsch waren in Darstellung und Gesang Christl Goltz und Jon Vickers. Christl Goltz, deren vitales Bühnentemperament uns schon oft zu begeistern vermochte, tat des Guten zuviel. Sie gibt der Aida ein Übermaß an Bewegung und ihre erhobenen Arme erinnerten uns an die von Furien gehetzte Elektra. Ebenso fehlt ihrer Stimme das Leidenschaftlich-Erregende, das die Partie verlangt. Die Träne in der Stimme besaß auch ihr Partner Jon Vickers als Radames nicht. Seine baritonal gefärbte Mittellage kommt eher dem Wagnerfach entgegen als dem italienischen Zwischenfach. Seine Spitzentöne besitzen zwar Durchschlagskraft und leuchtendes Metall, aber seine Art des Singens ist nicht die der Verdischen Helden. Über Eva Tammasy’s Amneris bleibt nicht viel zu sagen, außer, daß man sie auf Grund ihrer italienischen Sprachkenntnisse engagiert hatte. Auch eine Einstellung! Kostas Paskalis sang den Amonasro mit verbesserter Gesangstechnik, doch seiner Stimme fehlt es für diese Partie an Mark und dramatischer Kraft. Walter Kreppel gefiel als Ramphis. Er sang mit Würde und schön, wenn auch für die Partie etwas zu heller Stimme den Oberpriester. Am Pult stand Lovro von Matacic, der rasch Kontakt mit unserem Orchester gefunden hat. Er dirigiert breit und etwas langsam, doch mit zahlreichen Spannungsmomenten, jedenfalls in Übereinstimmung mit dem Gesangsstil der Solisten.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 20. Februar
Die Aufführung wurde mit der Premiere am 14. Februar besprochen.
BALLETTABEND am 21. Februar
AIDA am 22. Februar
Nicola Zaccaria bewies als Ramphis als einziger echter italienischer Sänger, daß auch nicht alles Gold ist, was vom Süden kommt. Mitunter sang er ganz schön falsch. In der Finsternis der Adolf Rottschen Nilgestade überraschte an diesem Abend ein neuer Regie-Einfall, der ein bezeichnendes Licht auf den Abendregisseur warf. Die Wachen erschienen vor Amonasros Flucht, traten ehrfürchtig vor Amonasro zurück und blickten sehnsüchtig in die schauderhaften Kulissen. Der Chor und Endre Koréh als König sangen wie gewohnt, das heißt nicht übermäßig gut. Ansonsten war die Besetzung mit der Aufführung vom 19. Februar ident.
TOSCA am 23. Februar
Wegen einer Halsentzündung mußte Lovro von Matacic diese Vorstellung absagen und Berislav Klobucar trat ans Pult. Der junge, ambitionierte Musiker war zwar zu stürmisch mit seinem Fortissimo am Ende des ersten Aktes, was die Wirkung des Te Deums abschwächte, der zweite und dritte Akt hingegen gelangen ihm ausgesprochen gut. Hier hatte er den richtigen Kontakt mit den Sängern gefunden. Interessant machte den Abend Walter Berry als Scarpia. Es ist erstaunlich, wie der junge Künstler die Partie stimmlich bereits erarbeitet hat. Man freut sich mit ihm, wenn er seiner männlichen Stimme im ersten Akt freien Lauf lassen kann und horcht mit Genuß auf die gesanglich feine Nuancierung, mit der er im zweiten den Scarpia ausstattet. Natürlich steht seine Darstellung noch nicht im vollen Einklang mit seiner großartigen Gesangsleistung, denn besonders bei den Fortestellen im zweiten Akt gewinnt noch der Sänger Walter Berry über den Schauspieler Walter Berry die Oberhand. Aber das wird sicher noch kommen. Hilde Zadeks Stimme ist bekanntlich nicht besonders für Puccinis Frauengestalten geeignet, aber man muß anerkennen, daß sie diesmal von Übertreibungen sowohl in der Darstellung als auch im Gesang Abstand nahm und dadurch einen besseren Eindruck als letztes Mal hinterließ. Das Gebet klang ohne Schluchzer bedeutend schöner und sie war auch im dritten Akt durchaus passabel. Ihr Partner war wieder Giuseppe Zampieri, der keinen guten Abend hatte. Seine Stimme klang matt und müde. Seine derzeitige stimmliche Verfassung sollte den Herrn des Besetzungsbüros zu denken geben. Vielleicht würden sie ihn dann nicht Tag für Tag schonungslos ansetzen. Es wäre jammerschade um diese schöne Tenorstimme, die dringend einer Schonung bedarf. In den kleinen Rollen gefiel Oskar Czerwenka durch seinen köstlichen Humor als Mesner, während Karl Weber als Angelotti unbedeutend wie immer war.
LA TRAVIATA am 24. Februar
In dieser Vorstellung wurde unseren jungen Sängern eine Chance gegeben, die sie auch prompt zu nützen wußten. In einer lebendigen und mit Schwung und Elegance von Glauco Curiel geleiteten Aufführung, der – man kann es nicht genug betonen – einen großen Gewinn für unser Haus bedeutet, boten Mimi Coertse und Kostas Paskalis bemerkenswerte Leistungen. Die junge Sopranistin hatte ganz hervorragende Momente, besonders im zweiten Akt und in der Schluß-Szene, in denen sie in den Pianostellen große Linie hatte. In der Bravourarie klangen ihre dramatisch angelegten Fortetöne forciert und nicht ganz rein. Auch schien sie es eilig zu haben, um über die gefürchteten Klippen zu kommen. Ebenso überraschte im angenehmen Sinne Kostas Paskalis, dessen weiche Stimme dem Vater Germont sehr entgegen kommt. Zwar verfiel er zu Beginn des Duettes mit Violetta zweimal in seine Unart, hohe Töne hinaufzuschleifen, aber er besann sich eines besseren und sang den weiteren Verlauf des Duettes schön. In seiner großen Arie, die er ein wenig gedehnt, aber sehr geschmackvoll vortrug, fiel vor allem sein gekonnter Übergang vom Mezzavoce ins Pianissimo auf. Giuseppe Zampieri sang zwar sehr kultiviert, man konnte aber auch diesmal nicht überhören, daß seine Stimme angegriffen ist. Der Gesamteindruck des Abends war ein erfreulicher, denn die junge Generation gab kräftige Lebenszeichen von sich, was zu schönen Hoffnungen berechtigte.
DER ROSENKAVALIER am 25. Februar
In dieser Aufführung gab es in den Hauptrollen zum 11. Februar keine Veränderungen, auch über die Gesangsleistungen ist nichts umwälzend Neues zu berichten. Es begeisterten wieder Sena Jurinac und Anneliese Rothenberger. Neu war Rudolf Christ als Sänger, der auch nicht mehr Erfolg als Ivo Zidek hatte. Sein hell klingender Tenor klingt steif in den Höhenlagen und hat keinen Schmelz für die Belcanto-Arie. Alfred Poell war ein guter, wienerischer Faninal. An Stelle von Laszlo Szemere verrichtete Peter Klein die Intrigantengeschäfte mit Eleganz und Witz. Heinrich Hollreiser schenkte seine Aufmerksamkeit den Solisten und hatte für das unter ihm musizierende Orchester keine Zeit. Wir verlangen von einem Rosenkavalierdirigenten schon etwas mehr.
TANNHÄUSER am 26. Februar
Diese Aufführung erwies sich als höchst bescheidener Abend. Stimmung und Niveau lagen nahe beim absoluten Nullpunkt. Einzig und allein Walter Kreppel, der würdige Landgraf mit schöner Stimme und Eberhard Wächter, der Wolfram mit vollendeter Phrasierung und edlem Organ, füllten ihre Partien vollkommen aus. Als Tannhäuser hörte man wieder einmal einen provinziellen Gast. (Man kann nur hoffen, daß der Endpunkt dieser Reihe jetzt endlich erreicht ist). Wo Hasso Eschert aus Mannheim das Singen gelernt hat, ist nicht recht erfindlich. Daß er es nicht erlernt hat, mußten wir feststellen (sofern wir das nicht schon bei seinem Bacchus, mit dem er vor längerer Zeit als Gast aufwartete, gemerkt hatten). Das war aber noch nicht die Ursache dieses Tannhäuserfiaskos, denn hauptschuldig daran ist seine Stimme, die dort aufhört, wo ein normaler Tenor seine Mittelage hat. Wer noch zum Überfluß einen Blick auf die Bühne warf, konnte merken, daß er auch darstellerisch außer leerem Pathos nichts zu bieten hatte und daß er barfuß von Rom zurückkehrte. Hoffentlich hat er sich dabei nicht auch noch verkühlt! Traute Richter war mit einer Ausnahme, sie trug Schuhe, diesem Tannhäuser eine ebenbürtige Partnerin. Sie traf zwar annähernd die richtige Tonhöhe, dafür hörte man von ihr Tremolo in allen Lautstärken und Variationen. In solcher Umgebung brauchte auch Ira Malaniuk einige Zeit, um ihr gewohntes Niveau zu erreichen. Julius Patzak (Walther) hatte leider keinen guten Tag, gehörte aber dessen ungeachtet zum besseren Teil der Besetzung. Edmond Hurshell und Hugo Meyer-Welfing störten angesichts solcher Tatsachen auch nicht mehr sonderlich. Unter der Leitung von Heinrich Hollreiser ging es bei Chor und Orchester wieder recht munter zu. Man war schon überrascht und erfreut, wenn er es unter zu Hilfenahme seines Taschentuches zuwege brachte, daß bei einem Ensemble alle gleichzeitig aufhörten.
CARMEN am 27. Februar
Diese Oper ist zeitweise eine sensationelle Galavorstellung, zeitweise ein sehr niveauloser Repertoirefüller. Die glückliche Mitte, nämlich eine wirklich interessante Repertoirevorstellung von Format, trat an diesem Abend in geradezu idealer Weise ein. Lovro von Matacic ist ein Dirigent der breiten, ausgeschwungenen Phrase. Er gab der Carmen Farbe und Feuer und den alles umspannenden großen Bogen. Regina Resnik war eine überraschend gute Carmen. Vor allem die musikalische Gestaltung verdient höchstes Lob, denn sie war sehr durchdacht, sehr korrekt und elegant. Die ehemalige Sopranistin Regina Resnik hat ein sehr klangvolles, tiefes Register, das sie mit Genuß einsetzt. Die Höhe ist allerdings im forte manchmal etwas scharf, die Stimmbehandlung aber so vorzüglich, daß dieser Unstand kaum auffällt. Sie ist eine hochintelligente Sängerin. Darstellerisch hatte sie sich eine wohltuend dezente und überlegte, sehr salonmäßige Auffassung der Carmen zurechtgelegt. Sie wirkte durch raffinierte Kühle und gleichgültige Verachtung mehr als manche dick aufgetragene Sex-Carmen. Jon Vickers, den sie angeblich entdeckt und ihm dadurch den Weg zur internationalen Karriere bereitet hat, befand sich in ganz hervorragender stimmlicher Verfassung. Seine breite, baritonale Mittellage ist derart schön, daß man ihm das Loch in der oberen Mittellage verzeiht, um so mehr als es fast unerklärbar ist, wieso ein technisch so versierter Sänger überhaupt ein solches Loch haben kann. Die dramatischen Ausbrüche des dritten und vierten Aktes schleuderte er mit mitreißendem Glanz und strahlender Kraft ins Haus. Und das Sympathischste an ihm ist: Er läßt sich niemals durch seine Riesenstimme zum Brüllen verleiten, wie viele seiner Tenorkollegen. Er singt grundmusikalisch und seine Phrasen sind mit Gefühl gebaut. Außerdem ist er ein guter und intensiver Darsteller und denkt sich bei allem, was er tut, etwas. Wir können glücklich und froh sein, daß wir diesen Tenor rechtzeitig erwischt haben! Da hat die Direktion einmal einen guten Griff getan, zu dem man ihr von Herzen gratulieren kann. Sena Jurinac, die für die liebliche Micaela fast eine zu starke Persönlichkeit ist (das völlige Ausgeliefertsein des schwachen Don José an Carmen verliert so etwas von seiner Logik), sang mit Jon Vickers im ersten Akt ein wunderbares Duett. Es ist fast unfaßbar, daß zwei so schwere Stimmen in so blühender Leichtigkeit geführt werden können. Auch die Arie gestaltete Sena Jurinac mit der ihr eigenen Innigkeit und Wärme. Walter Berry legte einen stimmgewaltigen, eleganten Escamillo hin. Sein Torerolied ist ein Elementarereignis (er hat nämlich auch die Tiefe für den Anfang, die man sonst meist vergeblich sucht! Aber wir glauben nicht, daß es nötig ist, so viel Stimme zu geben Wir haben immer Angst um unsere Klassesänger – denn wir wollen sie möglichst lang hören). Da auch die Comprimarii (Lotte Rysanek, Hilde Rössel-Majdan, Alfred Poell, Ljubomir Pantscheff, Murray Dickie und Harald Pröglhöf, mit einem besonderen Bravo für die beiden Schmuggler) durchaus zufriedenstellend sangen, stand der allgemeinen Zufriedenheit nichts mehr im Wege. Wir sind unbescheiden genug, das Niveau dieser Aufführung für die meisten (Umfaller gibt es immer) unserer Repertoirevorstellungen zu fordern. Wie sich zeigt, geht es ja! Guter Geschmack, sicheres Management, Interesse und Arbeit. Das ist das Geheimnis. Leider wird das Niveau so oft von Fehldispositionen oder der Salzamt-Atmosphäre getrübt. Schwach war nur eines an der Aufführung: Leider wieder einmal der Chor, er sang auch diesmal deutsch, alle Solisten in französischer Sprache.
DON GIOVANNI am 28. Februar
Eine merkwürdige Aufführung dieser Oper beschloß den Reigen der Vorstellungen. Zu der vorzüglichen Männerbesetzung Eberhard Wächter, Erich Kunz, Josef Greindl, Anton Dermota und Ljubomir Pantscheff sollten anfangs Hilde Zadek, Traute Richter und Emmy Loose kommen. Dann trat eine Änderung ein. Claire Watson (München-Frankfurt-London) sollte die Anna und Wilma Lipp die Zerlina singen. Als man zur Oper kam, sah man, daß auch Traute Richter durch eine Dame namens Montserrat Caballé ersetzt worden war. Jetzt war man schon ehrlich neugierig. Zu guter Letzt ließ sich noch irgendjemand vor dem Vorhang entschuldigen. Der ankündigende Beamte sprach aber so leise, daß man nicht verstehen konnte, wer. (Es könnte sich sowohl um Anton Dermota als auch um Josef Greindl gehandelt haben, denn beide sangen manchmal kräftig zu tief). Es ist betrüblich für diejenigen unserer Repertoiresängerinnen, die Anna und Elvira singen (und die zum Teil anwesend waren): Claire Watson Stimme ist jung, hell und schlank, aber doch sehr kräftig. Die Technik ist guter Durchschnitt (Piano hat sie keines), und die Höhe wirkt manchmal ein bißchen scharf. Aber sie wurde mit den Schwierigkeiten der Partie (bis auf einen musikalischen Schmiß im Maskenterzett) sicher fertig. Und das will bei der Donna Anna etwas heißen. Montserrat Caballé, eine vollkommen Unbekannte, wirkte ein wenig wie eine Sopranausgabe der hier kürzlich als Gast gehörten Teresa Berganza. Die beiden Stimmen sind im Timbre ähnlich – Tiefen gut, Mittellage schlank und beweglich, Höhe ein wenig gläsern – aber technisch vorzüglich durchgebildet. Man hatte den Eindruck, Montserrat Caballé werde mit der schwierigen Arie spielend fertig. Leider hatte diese Elvira kein Tröpfchen Bühnenblut, sichtlich auch wenig Routine, vielleicht ist sie eine Anfängerin. Auch ihr ist ein krasser Patzer anzukreiden. Sie verpaßte ihren Auftritt im Quartett des ersten Aktes und sang vor Schreck das nächste Rezitativ vollständig falsch. Trotzdem vermochten die beiden Damen sehr zu interessieren. Gute Annas und Elviras sind selten. Wilma Lipp vertrat als Zerlina das heimische Ensemble auf das allerbeste und die Herren, allen voran Eberhard Wächter und Erich Kunz waren mit vollem Stimmeinsatz, Können, Stilgefühl und (zum Teil!) Temperament bei der Sache. Heinrich Hollreiser am Pult hatte einen rabenschwarzen Tag. Die sowieso nur kleinen Chorszenen waren Schwimmfeste. Er brachte sogar das Finale des ersten Aktes völlig durcheinander und hinderte sogar einen Erich Kunz daran, zu singen, wie er wollte.