DER MÄRZ 1959

4. Jahrgang, Heft 4

 

Beim  Resümee der Staatsopernaufführungen des Monats März gelangt man neuerdings zu einem zwiespältigen Resultat. Es gab eine Reihe von Abenden, die als Freudenbecher angesprochen werden konnten. Neben strahlendem Glanz fehlten auch Schandflecken nicht. Allerdings sind die Ärgernisse in Anbetracht der vom Chef des Hauses für die kommende Saison bekannt gegebenen Pläne, leichter verdaulich geworden. Über eines muß sich Herr von Karajan klar sein: je mehr er sein Publikum mit Festen verwöhnt, um so empfindlicher wird es auf Enttäuschungen reagieren. Wenn allerdings das gehalten wird, was uns für 1959/60 versprochen wurde, werden wir uns die berühmte wienerische Raunzerei abgewöhnen müssen. Vorläufig hat sie noch Nahrung neben den berechtigten „Hosiannas“!

Im März standen beispielsweise einer glanzvollen Premiere (Cavalleria rusticana und Der Bajazzo unter Lovro von Matacic und zwei wahrhaft festlichen Aufführungen unter Karajan Rheingold und Die Walküre) zwei absolut indiskutable Palestrina-Aufführungen, zwei Fidelio-Abende, die an unwürdiger musikalischer Leitung krankten, sowie eine umstrittene Ballettpremiere gegenüber. Die Reihe ließe sich im Aufzählen der Gegensätzlichkeiten noch länger fortsetzen. Sie macht es unmöglich, durch den Monatsbericht einen geschlossenen Eindruck zu vermitteln. Es spiegelt sich darin deutlich das wider, was die Wiener Staatsoper in diesen vergangenen Wochen darstellte: das, was sie sein kann, und das, was sie in Wirklichkeit gottlob nicht ist, aber auch nicht einmal scheinen dürfte. Daß diese  Schatten der Vergangenheit endgültig verscheucht würden, ist unser innigster Wunsch. Bei den unerhörten Möglichkeiten, die Wien derzeit unter der Leitung eines Karajan zur Verfügung stehen, absolut kein leerer Wahn.

 

DIE ZAUBERFLÖTE am 1. März

Diese Mozartoper ist überraschenderweise zu Berislav Klobucars bester Leistung geworden. Diese Oper braucht einen Dirigenten von Herz und Gemüt und das ist er zweifellos. Durch die zahlreichen Vorstellungen ist hier das Ensemble nun richtig zusammengeschweißt, sodaß alles wie am Schnürchen klappt und die einzelnen Leistungen nie stärker schwanken, als das Niveau es tragen kann, ohne abzusinken. An diesem Abend gewährleistete die Besetzung Wilma Lipp, Anton Dermota, Josef Greindl, Erich Kunz, Anneliese Rothenberger, Paul Schöffler und Peter Klein einen Abend mit Laune und Können.

LA BOHEME am 2. März

Dieses Werk wird jetzt sehr selten gespielt. Es ist fast schade um diese Zugoper, zumal die Bühnenbilder recht hübsch sind und die Regie ansprechend. Unangenehm berührten die bei den deutschen Textfassungen, die nebeneinander auf der Bühne zu hören waren. Wir empfinden dies noch refombedürftiger als eine deutsch-französische oder deutsch-italienische Mischaufführung! Da für nächste Saison ohnedies nur eine italienische Neuinszenierung (Andrea Cheniér) vorgesehen ist, könnte man ruhig eine italienische Neueinstudierung der Boheme herausbringen und damit auch dieser Oper einmal zu ein paar Galavorstellungen verhelfen. Die Volksoper, die eine eigene alte Boheme besitzt, könnte dafür mit einer deutschsprachigen Volksausgabe ihr Programm bereichern. Dem Niveau einer solchen Volksausgabe kam diese Staatsopern-Boheme verdammt nahe, obwohl sie für einen ganz gewöhnlichen Abonnement-Montag sehr viel Stimmung hatte, die in erster Linie von dem Paar Eberhard Wächter (Marcel) und Anneliese Rothenberger (Musette) ausstrahlte. Eberhard Wächter sang und agierte mit einer Hingabe, die einer Galavorstellung würdig gewesen wäre und Anneliese Rothenberger überspielt den Auftritt nicht so, wie wir es etwa von Ljuba Welitsch und Irmgard Seefried gewohnt waren und kommt dadurch auch am Anfang nicht so an, fesselt aber von dem beschwingt vorgetragenen Walzer ab durch Charme und Heiterkeit und im vierten Akt durch inniges Gefühl. Das seriöse Paar Lotte Rysanek und Karl Terkal hat viel Stimme, weniger Technik. Schauspielerisch war die sehr um Nuancierung bemühte Mimi besser als ihr Rudolf. Oskar Czerwenka, der bei der sonst schön gesungenen Mantelarie besser die Schaljapin-Schluchzer unterlassen hätte und Hans Braun vervollständigten das animierte Boheme-Quartett. Berislav Klobucar dirigierte den passablen Repertoireabend mit viel Gefühl.

CARMEN am 3. März

An diesem Abend gab es die Wiederholung der aus dem Vormonat bekannten und gebührend gewürdigten Carmen-Vorstellung unter Lovro von Matacic, in der Besetzung Regine Resnik, Sena Jurinac, Jon Vickers und Walter Berry, sowie Hilde Rössel-Majdan, Lotte Rysanek, Alfred Poell, Murray Dickie, Harald Pröglhöf und Ljubomir Pantscheff. Die Hauptdarsteller waren stimmlich nicht ganz so hervorragend disponiert wie in der ersten Aufführung (27. Februar). Um so mehr schienen sie jedoch zusammengewachsen und zu einem Ensemble im schönsten Sinne des Wortes verschmolzen, was beweist, daß nicht dauernde Anwesenheit und fester Drill ein Ensemble erzeugen, sondern vielmehr die freiwillige, intensive Zusammenarbeit echter Künstlerpersönlichkeiten, was nur von „Oben“ her durch gute Ratschläge und sichere Führung unterstützt werden muß. (Persönlichkeiten haben nämlich für Stadttheater-Drill nichts übrig.) Undenkbar wäre die schöne Vorstellung jedoch ohne einen Dirigenten vom Format Lovro von Matacic gewesen, der eine glühende, sinnliche, packend-dramatische und farbige Interpretation der Carmen-Musik bot.

MADAMA BUTTERFLY am 4. März

Dieser Abend litt unter der Diskrepanz zwischen der musikalischen Auffassung Glauco Curiels und der Interpretation durch Gerda Scheyrer. Dem jungen Italiener fehlt es an der nötigen Routine, denn sonst hätte er die Oper nicht so dramatisch und ohne Rücksicht auf Gerda Scheyrer, die ja kein dramatischer Sopran ist, dirigieren dürfen. Natürlich mußte sie bei entfesselten Klangmassen, bei denen sich eine Sena Jurinac wohl fühlt, versagen. Hier hätte der Dirigent ihr ein Helfer sein müssen, auch wenn es auf Kosten der dramatischen Auslegung gegangen wäre. Gerda Scheyrer bot eine wohldurchdachte, mit lebendigen Zügen versehene  schauspielerische Leistung und hatte naturgemäß in den lyrischen Stellen der Partie mehr Teilerfolge als in den dramatischen, wo deutlich die Überbeanspruchung der Stimme zutage trat. Die übrigen Rollen waren mit den bewährten Kräften besetzt: Giuseppe Zampieri als Pinkerton, Eberhard Wächter als Sharpless, Hilde Rössel-Majdan als Suzuki und Peter Klein als Goro. Ein ebenfalls zufrieden stellender Repertoireabend.

BALLETTABEND am 5. März

LA TRAVIATA am 6. März

Diese Aufführung war eine mäßige. Glauco Curiels Leitung war bemüht Stimmung zu geben. Ermanno Lorenzi sang den Alfred mit farbloser und sicher geführter Stimme, unreif und dieser Partie noch nicht gewachsen. Claude Heater bewältigte den Vater Germont mit einem Maximum an Stimmaufwand und einem Minimum an Ausdruck. Auch darstellerisch konnten beide Sänger nicht überzeugen. Mimi Coertse zeigte gute Momente, doch verfiel sie des öfteren ins Forcieren und tat damit den exponierten Höhen erheblichen Schaden. Ein Repertoireabend, wie er für Wien nicht mehr in Frage kommen sollte!

FIDELIO am 7. März

Diese Oper kam in einer, vom musikalischen Standpunkt aus gesehen, nur sehr durchschnittlichen Aufführung zustande. Es fehlte der große Atem für Beethoven. Meinhard von Zallinger ist für unsere Begriffe ein im Routineleben der Oper erstarrter Dirigent, der dank seiner langjährigen Tätigkeit sich viel Erfahrung angeeignet hat. Aber mehr als das, wäre zu viel von ihm verlangt, wie wir auch diesmal wieder deutlich zu hören bekamen. Auf rasch genommene Tempi („Heil sei der Tag“) folgten abrupt gedehnte, in denen keinerlei Spannkraft enthalten war und die nur Langeweile hervorriefen. Jeder Kenner unseres Meisterorchesters weiß, daß unsere Herren Professoren solche Dirigenten nicht ganz ernst nehmen. Daher war es für die Eingeweihten nicht sehr verwunderlich, daß es diesmal an der nötigen Einsatzbereitschaft und Präzision im Orchester fehlte. Auf der Bühne klangvolle Namen wie Martha Mödl (Leonore), Anton Dermota (Florestan), Paul Schöffler (Pizarro) und Josef Greindl (Rocco), die je nach Tagesverfassung mit im Grunde genommen guten Gesangsleistungen aufwarteten. Ausgesprochen schwach hingegen war Anny Felbermayer als Marzelline, von der man das Gefühl hatte, daß sie gar nicht vorhanden war. Schade, daß sie nicht das halten konnte, was sie vor einigen Jahren noch zu versprechen schien. Aber auch Alfred Poell als Minister war diesmal nicht im Bilde. Beim Anblick der Holzmeister-Bühnenausstattung denkt man unwillkürlich mit Unbehagen an das neue Festspielhaus in Salzburg. Hoffentlich gelingt’s besser als jene katastrophale Inszenierung, mit der er die Ehre hatte, die Wiener Oper zu eröffnen, und wir den Ärger!

 

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 8. März, Neuinszenierung

Kein Wort mehr gegen die guten alten Blutopern! Wie schon bei Madame Butterfly und Tosca erzielte die von Künstlern großen Formats erarbeitete Neuinszenierung der unzertrennlichen Opernzwillinge jene nachhaltige Wirkung, die einer völligen Rehabilitierung gleichkommt. Seit wir die Oper besuchen, was nun schon lange der Fall ist, sind wir zu den beiden Stücken nur gegangen, wenn uns eine besondere Besetzung (etwa Alexander Sved in jüngeren Jahren als Tonio, Set Svanholm als Canio oder Helge Roswaenge, besonders wenn er beide Tenorpartien sang) förmlich dazu trieb. Jetzt erst können wir die beiden Werke voll würdigen. Es sind Stücke, wie sie die Opernbühne immer gebraucht hat und immer brauchen wird.

Es wird ein bloßer Zufall gewesen sein (an höhere Planung glauben wir bei dem Glücksfall dieser Inszenierung leider nicht), daß sich die szenische Gestaltung der beiden Einakter wunderbar aneinanderfügte und ergänzte, allen, die sich für Opern interessieren, zeigend: Seht her, so etwas kann man aus den so geschmähten veristischen Opern machen. Und so sahen wir Cavalleria rusticana in einem wirksamen naturalistischen Bühnenbild, das in großem italienischen Stil von Nicola Benois gebaut war. Da sahen wir Bauernkostüme in schönen Farben, die sofort die Assoziation von Sonne und blauem Himmel hervorriefen und die Atmosphäre schufen, die wir uns vorstellen, wenn wir an „Sizilien“ denken. Und in dieser Cavalleria rusticana fanden wir lebendige, blutvolle Menschen auf der Bühne vor.

Wie anders im Bajazzo! Keine Spur mehr von jahrhundertealten Traditionen. In dem von Jean Pierre Ponelle mit großartigem Einfühlungsvermögen hingestellten Bühnenbild, einem finsteren Proletenviertel, treiben sich Nichtstuer und Faulenzer herum, dem dolce far niente huldigend.

Und in diesem Kontrast von Verismo und Neoverismo haben die beiden Regisseure Wolf-Dieter Ludwig (Cavalleria) und Paul Hager (Bajazzo) zwei an sich ausgezeichnete Inszenierungen zu einem sich in vollkommener Weise ergänzenden Theaterabend geformt, der sich gänzlich unerwartet zu einer Art von großem theatralischem Ereignis auswuchs.

Daß es zu einem solchen kam, ist großteils das Verdienst des Dirigenten Lovro von Matacic,  der nach seiner Carmen und der Aida versprochen hatte, in diesen veristischen Opern einschlug wie eine Bombe. Der Dirigent hat in bemerkenswert wenig Abenden den Kontakt mit dem Wiener Ensemble gefunden, was zu einer schönen Zusammenarbeit auf der Bühne und zu idealem Einverständnis mit den. Herren des Philharmonischen Orchesters führte. Dem Chor ließ er seine besondere Sorgfalt angedeihen und brachte ihn zu einer gelungenen Leistung. So entstand die dramatische Theatermusik in ihrer ganzen zupackenden Kraft und ihrer glühenden Sinnlichkeit.

In beiden Opern standen Sing-Schauspieler mit Ausdruckskraft und der Fähigkeit zu intensiver Gestaltung auf der Bühne.

Christl Goltz war eine hinreißende Santuzza, die Verzweiflung und Haß glaubhaft machen konnte. Sie war auch gesanglich ganz vortrefflich mit dem stählernen Glanz ihrer hochdramatischen Stimme. Walter Berry legte einen Kraftlackel von Alfio hin und sang trotz größten Stimmaufwandes stets mit Ausdruck und einem natürlichen Gefühl für die Schönheit der Phrase. Ideale Randfiguren waren Georgine Milinkovic (Mama Lucia) und Lotte Rysanek (Lola), ebenso charakteristisch gezeichnet wie die Hauptrollen. Der einzige, der seine Rolle nur sang und nicht lebte, war Giuseppe Zampieri. Er sang allerdings sehr schön und überraschend dramatisch. Darstellerisch liegt ihm freilich der Alfred oder Pinkerton besser als der vitale Dorf-Casanova Turiddu. Im Ausdruck gelang ihm der Abschied von der Mutter wirklich gut, in dem sich Angst und Reue mit vorgespielter Trunkenheit zu einer wirklich fesselnden Szene verbanden.

Achtung auf Jon Vickers! Mehr als seine gesamten meist sehr lyrischen Rollen an der Covent-Garden, ja mehr als seine Bayreuther Partien wird dieser Canio den jungen Tenor an die Spitze bringen, und man kann nur hoffen, daß unsere Direktion einmal rasch genug reagiert und den Künstler hier festbindet. Der Canio rückte alle seine Vorzüge in helles Rampenlicht: seine metallische Riesenstimme, der die Partie hervorragend liegt, Intelligenz und Musikalität und die Persönlichkeit, welche die Gestalt des unglücklichen heruntergekommenen Komödianten mit Leben und Intensität erfüllt.

Aldo Protti sang einen Prolog, wie er selten zu hören ist: mit breiter, weicher, ausgeglichener Stimme und einer Höhe, die den Hörer geradezu umwirft. Der Beifall des Publikums war dementsprechend grenzenlos! Interessanterweise und ganz im Gegensatz zu manch anderer Partie formte Protti auch die Rolle wirklich zu einem Menschen – er war in den Szenen mit Nedda fast beklemmend unheimlich und in der Commedia dell’arte von zwielichtigem Temperament. Überrascht hat in jeder Hinsicht Wilma Lipp. Sie spielte eine filmreife, gesund ordinäre, lebensechte, leichtfertige Schöne. Bei dieser Nedda kam das Gefühl nicht vom Herzen, sondern eindeutig von den Sinnen her. Auch stimmlich wirkte sie neu und interessant durch das Bruststimmen-Forcieren in der italienischen Manier, was dazu führte, daß sich die stimmliche und die Rollen-Auffassung völlig deckten. Der einzig normale Mensch in dieser leicht anrüchigen Umgebung ist der junge Silvio, den man durch einen blauen Monteuranzug schon rein äußerlich als braven Burschen gekennzeichnet hat. Eberhard Wächter, der Noble und Vornehme, fand sich, ganz abgesehen von einer Demonstration edelsten Schönsingens, überraschend gut in die realistische Atmosphäre. Er war ein Wolfram in Blue Jeans!). Murray Dickie war ein idealer Beppo und ergänzte das hervorragende Ensemble, das es, wie man öfters liest, in Wien gar nicht mehr geben soll. Und im Zusammenwirken aller im Commedia dell’arte-Spiel fanden sich die Stile zu dem, auf das es schließlich bei jeder Opernregie ankommt: Zur Wahrheit, die im Spiel begründet liegt.

 

FIDELIO am 9. März

In dieser Aufführung (ursprünglich waren zuerst Tannhäuser und dann Don Carlos angesetzt) stand Heinrich Hollreiser am Pult, der ebenfalls einen zerfahrenen und in den Tempi willkürlich waltenden Eindruck hinterließ. Gerade Beethovens Werk sollte man nicht den Händen der Nur-Routiniers des Taktstockes anvertrauen, dazu war der große Meister mit unserer Stadt zu sehr verbunden. Neben Martha Mödl, die sich auch diesmal als Schauspielerin großen Formates erwies, begeisterte Hans Hotter als Pizarro. Wenn der dominierende Heldenbariton unserer Tage die Bühne betritt, dann steht die Figur, in diesem Falle der Tyrann Pizarro, fest umrissen und lebendig vor uns. Ein Künstler, der die Opernbühne zu beherrschen weiß und mit immer neuen Nuancen das Publikum in seinen Bann zieht. Julius Patzak, der unvergleichliche Florestan der Salzburger Festspiele, zeigte der jüngeren Generation mit seiner stilvollen und tief empfundenen Kerkerarie, warum die langjährigen Opernbesucher diesen Künstler so sehr schätzen und lieben. Daß die Zeit an der Stimme des Sängers nicht spurlos vorübergegangen ist, muß als Lauf der Welt bezeichnet werden. Das Publikum weiß dies zu respektieren. Da auch die anderen Rollen befriedigend besetzt waren (mit Ausnahme der Marzelline von Else Liebesberg), wäre man beeindruckt gewesen, hätte nicht Heinrich Hollreiser am Pult gestanden. Wiens Operntradition ist zu groß, als daß wir solche Leistungen zur Kenntnis nehmen könnten.

OTHELLO am 10. März

An diesem Abend dirigierte wieder Herbert von Karajan. Es ist schwierig, über diese Vorstellung Neues zu berichten, denn Othello war von Anfang an die Vorstellung mit dem höchsten Durchschnittsniveau,

dessen geringfügige Schwankungen stets nur durch Stimme oder Persönlichkeit des Jago-Darstellers gekennzeichnet waren. An diesem Abend hörte man Aldo Protti, der anfangs an die Wiener Staatsoper offenbar mit der Absicht kam, den Wienern seine Riesenstimme möglichst lautstark vorzuführen. Jetzt hat er bereits gelernt, daß man die Wiener mit Gesangskunst und Phrasierung ebenso schnell, wenn nicht schneller, für sich gewinnen kann und erweist sich mit jedem seiner Abende mehr als hervorragender Sänger. Nur das gehauchte Piano des „Era la notte“ macht ihm gelegentlich Schwierigkeiten. Man muß aber feststellen, daß er  als Gestalter des Jago nicht über die Rampe dringt. Carlos Guichandut, hörbar indisponiert, ließ sich vor dem dritten Akt entschuldigen, hielt aber tapfer durch. Wunderbar war wieder Sena Jurinac, die Desdemona voll herber Lieblichkeit und intensivem Gefühls. Sena Jurinac und Herbert von Karajan haben uns im vierten Akt ganz neue Eindrücke von der Schönheit der Melodie gegeben. Die Dramatik der anderen Akte kam dabei nicht zu kurz.

LA TRAVIATA am 11. März

An diesem Abend kehrte Hilde Güden von der Met wieder als Violetta an ihr Stammhaus zurück. Ein Grund zur Freude, welche sich auch in stürmischem Beifall für die Künstlerin äußerte. Blendend in Erscheinung, technisch vollendet in Stimmführung, war sie eine faszinierende Traviata, die nach der Bravourarie selbst von den Wiener Philharmonikern demonstrativ Beifall erhielt. Leider hatte man ihr den Anfänger Ermanno Lorenzi, einen mehr als inferioren Partner als Alfred zur Seite gestellt. Er zitterte vor Aufregung, so daß der Zuschauer beim Trinklied Angst hatte, das Glas in seiner Hand würde sich selbständig machen. Seine dünne Stimme enthält kein definierbares Timbre und wirkt in der Höhe wie ein Faden. Vater Germont – Eberhard Wächter, bewies in Spiel und Stimme abermals den Grandseigneur. Glauco Curiel dirigierte lebhaft und schwungvoll.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 12. März

Schon die erste Wiederholung sorgte dafür, daß wir vor Seligkeit nicht übermütig werden. Christl Goltz und Aldo Protti mußten wegen einer schon vor Jahresfrist abgeschlossenen Aida durch Margarita Kenney und Kostas Paskalis ersetzt werden. Eberhard Wächter, der Luxus-Silvio wurde aus unerfindlichen Gründen durch Claude Heater vertreten und schließlich prangte vor Beginn auf dem Programm dann noch ein roter Zettel, der wegen Erkrankung der Sänger Giuseppe Zampieri und Walter Berry, die Herren Karl Terkal und Edmond Hurshell ankündigte. Dem Stammbesucher stand dabei der Angstschweiß auf der Stirn, und er erwartete eine Riesenpleite. Daß es gottlob nicht dazukam, erschien wie ein Wunder. Margarita Kenney war stimmlich als Santuzza wesentlich besser, als es ihre in letzter Zeit vorangegangenen Leistungen erwarten ließen, wenn ihr auch die nötige Durchschlagskraft fehlte, was den feurigen Dirigenten Lovro von Matacic zwang, einige Gänge zurückzuschalten. Er konnte so erst beim Bajazzo ganz aus sich herausgehen und seine fulminante, dramatische Kraft zeigen. Karl Terkal sang italienisch (!), war recht sicher und stimmkräftig, was sich besonders beim Trinklied auswirkte. Edmond Hurshell kam als Alfio immerhin über die Distanz und zeigte ebenso wie Karl Terkal Spuren von Probenarbeit. Die beiden neuen Baritone im Bajazzo hielten sich tapfer. Die Stimme von Kostas Paskalis ließ außerdem wieder durch Weichheit und Klangschönheit aufhorchen und er kam auch mit der Höhe gut zurecht. Claude Heaters undefinierbares Timbre stört in einer veristischen Oper weniger als bei der Verdi’schen Kantilene. Die Hauptwirkung des Abends kam allerdings von Jon Vickers und Wilma Lipp, die darstellerisch und stimmlich ihre Partien gleich großartig ausfüllten, worin sie von Murray Dickie auf das beste unterstützt wurden.

OTHELLO am 13. März

An diesem Abend hatte die musikalische Leitung der Vorstellung Rudolf Kempe über und bewies dabei abermals sein meisterliches Können. Er zeigte eine sehr werkgetreue Auffassung, eine rücksichtvolle Begleitung für die Sänger und blieb – ohne die Karajan’sche Farbenprächtigkeit zu erzielen – trotzdem nichts schuldig und nie uninteressant. Auch diesmal war Carlo Guichandut die hartnäckige Indisposition anzuhören, gegen die er aber mit festem Willen ankämpfte. Sena Jurinac bot für Aug und Ohr eine makellose Desdemona. Paul Schöffler bezwang, dank seiner großen künstlerischen Persönlichkeit, auch ohne volle Stimmfülle, die Herzen des Publikums.

DER ROSENKAVALIER am 14. März

stand unter der musikalischen Leitung von Rudolf Kempe. Seine Stabführung ließ alle Register der Klangschönheit in unserem Orchester aufleuchten, und bescherte uns einen herrlichen, wienerischen Rosenkavalier, in dem der ganze Reichtum dieser Musik ausgeschöpft wurde. Sena Jurinac in der Titelpartie, glänzend disponiert und in blendender Spiellaune hatte Hilde Güden (Sophie) zur Partnerin, die obgleich nicht in bester Tagesverfassung, dokumentierte, daß sie auch dann noch sämtliche Konkurrentinnen in dieser Partie zu distanzieren weiß. Die profillose Marschallin Hilde Zadeks hingegen fiel stark ab und Oskar Czerwenka als Ochs griff zu dem oft versuchten und wie meistens fehlgeschlagenen Mittel, seine derzeit geschädigten Höhen durch outriertes Spiel vergessen machen zu wollen. Das Verdecken gelang nicht, dafür litt die Darstellung darunter. Alfred Poell sang den Faninal ohne sonderlich gefallen zu können, und Karl Terkal bezeugte die sagenhafte Schwierigkeit der Sängerarie mit einem Bombenschmiß.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 15. März

Es ist weder recht noch billig, daß sich die Wiener Staatsoper bemüßigt fühlt, eine Generalprobe für ein Gastspiel in Tokio, das noch dazu kein offizielles, sondern durchaus ein Privatmanagement ist, abzuhalten! Man muß schon sehr bitten! Auf der Bühne gab es teilweise schöne Leistungen. Erich Kunz, der charmante Figaro ist derzeit stimmlich in allerbester Verfassung. Wir kennen ihn schon sehr lange und haben ihn eigentlich noch nie so gut, kräftig (besonders in den tieferen Lagen) und abgerundet singen gehört. Paul Schöffler sang ausgezeichnet (wenn man von der letzten Phrase der großen Arie absieht) und vertrat seine etwas skurrile Auffassung des Grafen mit der Kraft seiner Persönlichkeit. Die Damen Rita Streich und Margareta Sjöstedt sangen sauber und spielten gepflegt – nicht mehr. Ausgezeichnet in den kleineren Rollen Peter Klein (wie immer!) und Oskar Czerwenka, der diesmal hoffen ließ, daß er seine Krise offenbar doch langsam wieder überwinden wird, Ljubomir Pantscheff, Anny Felbermayer und Georgine Milinkovic. Teresa Stich-Randall sang die Gräfin wie gewohnt – mit vogelhafter Steife im Piano und steif (wenn auch mehr vogelhaft) im Forte. Mit brauner Filmschminke und Glamourlächeln kommt man allerdings der Gräfin darstellerisch nicht bei. Heinrich Hollreiser ging nach der  Devise „der Karajan ist sehr schnell und doch gut, ich bin noch schneller und werde noch besser sein!“ vor. Wir haben noch nie einen so schnoddrigen, eiskalt herunter geratschten Mozart erlebt, bei dem die Sänger (soweit sie die Stimmen dazu hatten) in den Finalszenen brüllen mußten und im übrigen hörbar nach Luft schnappten. Die Art, mit welcher Seelen- und Lieblosigkeit Mozarts zauberhaftes, geniales Werk hier behandelt wurde, jagt dem Zuhörer Schauer über den Rücken, und ein kaltes Grausen packte den, der dabei das selbstzufriedene Gesicht des Mannes am Pult erblickte, der wahrscheinlich noch glaubt, er sei weiß Gott wie genial in seiner „Auffassung“ gewesen.

LA TRAVIATA am 16. März

In dieser Aufführung, die gleichfalls unter dem sicheren und musikalischen Dirigenten Glauco Curiel stattfand, zeigte wieder Hilde Güden ihre große Gesangskunst und immer wachsendes Einfühlungsvermögen in die Partie, wobei besonders die innigen lyrischen Phrasen des zweiten Aktes wie geschaffen scheinen für ihre glänzende Silberstimme. Giuseppe Zampieri ist auch wieder „da“. Er hat seine schwache Periode überwunden, und seine Stimme klingt weich und schön wie eh und je. Claude Heater ist kein Sänger für lyrische Verdipartien. Es ist sonderbar mit den amerikanischen Sängern. Sie haben oft die merkwürdigsten Stimmtimbres. Claude Heater fehlt die dunkle Weichheit einer italienischen Stimme, für dramatischere deutsche Rollen ist sie auch wieder zu hell und hart. Er kann höchstens ein „Dauerbrandofen“ werden, der alles singt und in keiner Rolle so recht begeistert. Darstellerisch blieb er in der Konvention stecken. Er war weder ein gefühlvoller Vater, wie die Italiener, noch ein Herr von Format wie etwa Eberhard Wächter. So mußte er auch der Figur einiges schuldig bleiben.

PALESTRINA am 17. März

Pfitzners Werk kann nicht im landläufigen Sinne als Repertoireoper angesprochen und behandelt werden. Sein Gehalt und das erforderliche große Ensemble verhindern dies. Es gibt daher auch in deutschsprachigen Landen ganze drei Opernhäuser, die imstande sind, eine würdige Wiedergabe zu vermitteln. Unter ihnen nimmt Wien die Vorrangstellung ein und damit eine Verpflichtung, die an diesem Abend sehr schmählich außer Acht gelassen wurde. Bange Ahnungen weckte schon vor Beginn ein Blick in den Orchesterraum, der belehrte, daß eine Reihe von Substituten dort Platz genommen hatte, und bereits mit den ersten aufklingenden Takten bestätigten sich diese Befürchtungen. Was Meinhard von Zallinger hier demonstrierte, war ein Pfitzner, wie ihn keiner kennt, so als leite der Dirigent den ersten Palestrina seines Lebens. Silla schwamm durch sein Liebesliedchen und seine Selbstgespräche, denn Margarita Sjöstedt, durch die unsichere Zeichengebung des Dirigenten verwirrt, hing mit ihren Einsätzen in der Luft und placierte, bis zum Auftritt Ighinos, kaum einen richtigen Ton. In der Folge führten Sena Jurinac (Ighino), Julius Patzak (Palestrina) und Hans Hotter (Borromeo) einen heroischen Kampf gegen den musikalischen Meuchelmord am Komponisten. Bei der Meisterszene wurde es musikalisch noch dunkler wie auf der Szene. Die Herren hatten nicht geprobt und sangen dementsprechend. Das Solo des Engels, Teresa Stich-Randall anvertraut, bereitete dem Ohr des Zuhörers höllische Qualen. Im zweiten Akt war dann die künstlerische Inflation nicht mehr aufzuhalten. Edmond Hurshell als Zeremonienmeister, vom ersten Ton an heiser, quälte sich schreiend bis ans Ende der Partie. Erich Majkut machte aus der rührenden Figur des Abdisu einen lächerlichen Popanz und sogar Peter Klein wurde von dieser progressiven „Götterdämmerung“ angesteckt und verzeichnete den Bischof von Budoja völlig. Dafür leistete Laszlo Szemere als Novagerio sich jene Töne, die nur dem Bischof zugestanden wären. Paul Schöffler schenkte dem Morone die Kraft seiner Persönlichkeit und wenig Stimme, so daß im Gespräch der Kardinäle Hans Hotter der ebenbürtige Partner fehlte. Oskar Czerwenka als Madruscht hätte sich einiges Augenrollen und Händeringen ersparen können – dies besorgte ohnedies das gequälte Stammpublikum im Haus. Walter Berry als Erzbischof von Prag und Erich Kunz als Lothringer waren Lichtblicke. Der Chor betätigte sich solistisch in dem er Einsätze abstotterte, von Regie war bei ihm keine Rede. Der dritte Akt erhielt durch Gottlob Frick, Sena Jurinac, Hans Hotter und den unvergleichlichen Julius Patzak wieder Format. Das Orchester hingegen fand bis zum Schluß nicht zu Pfitzner. Hätten doch unsere Wiener Philharmoniker – Besitzer der handschriftlichen Palestrina-Partitur die ihnen Pfitzner schenkte! – wenigstens den Mut gehabt, entgegen den Intentionen des Dirigenten das zu spielen, was in den Noten steht! So begrüßte Meinhard von Zallinger vor dem zweiten Akt ein Zischkonzert, in das sich dann vor dem dritten sogar Pfiffe mengten. Diesem desolaten Abend setzte dann noch das Abonnementpublikum die Krone auf, das durch Husten, Unruhe und Unaufmerksamkeit seine Unreife für das Werk bezeugte.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 18. März

Diese Vorstellung leitete Berislav Klobucar. Margarita Kenney wiederholte als Santuzza ihre akzeptable Leistung, bleib aber darstellerisch mit mürrischem Blick und larmoyanter Miene wieder einiges schuldig. Daß der Dorfcasanova Turiddu dabei Reißaus nimmt, wirkt sehr verständlich. Im Duett mit Alfio legte die Sängerin sich ein C ein, das dann auch prompt daneben ging. Karl Terkal zeigte in der Sicilliana die stärkste Wirkung und zeigte im weiteren Verlauf nicht mehr dieselbe musikalische Sicherheit. Walter Berry imponierte durch gewaltigen Stimmeinsatz. Jon Vickers, Wilma Lipp, Kostas Paskalis und Claude Heater gaben im Bajazzo ihr Bestes und Berislav Klobucar führte den Abend ohne Zwischenfälle zu Ende.

PALESTRINA am 19. März

Dieselbe Besprechung wie am 17. März.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 20. März

Drei Aufführungen nach der Premiere (!!) wimmelte es bereits von Verfallserscheinungen. Der Chor tat, als wäre Lovro von Matacic’ Mühe, die er sich mit ihm gab, bereits vergessen und wackelte und zitterte sich durch die Cavalleria. Das Orchester klang laut, derb und undifferenziert. Edmond Hurshell fiel diesmal wieder stark ab. Giuseppe Zampieri zeigte sich verbessert, wußte dem Trinklied aber neuerlich nicht mehr abzugewinnen. Nur Christl Goltz war unverändert wie bei der Premiere. Im Bajazzo war Antonio Annaloro als Canio zu hören, ein gut aussehender Sänger, mit gut geführter und geschickt eingesetzter Stimme, die aber ab der höheren Mittellage nur geringes Volumen hat. Darstellerisch war er übertrieben. Wilma Lipp, Aldo Protti und Eberhard Wächter gaben ideale Interpreten ab. Besonders Wilma Lipp war in einer unwahrscheinlich guten Verfassung. Es nahm einem fast den Atem. So weit, so gut, doch kann dies alles nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Wiener Staatsoper bei ihrem derzeit hohen Niveau nicht unmittelbar nach einer umjubelten Neuinszenierung sich sozusagen durchzuwursteln beginnen darf, so daß der Eingeweihte nur mit Zittern und Bangen den Abend übersteht. Und unser Chor hätte es verdammt nötig zu beweisen, daß auch Choristen Künstler sein können und sollten daher auch den Intentionen eines Hauskapellmeisters zu folgen gewillt sein!

DIE ZAUBERFLÖTE am 21. März

In dieser Aufführung zeigten sich die Herren ihren Kolleginnen klar überlegen. Waldemar Kmentt ist ein ausgezeichneter Tamino mit junger, kräftiger Stimme, die nur derzeit in der Höhe nicht ganz ausgeglichen ist – was sich aber wieder geben wird. Auch im Spiel ist er frisch und natürlich und seine Prosa klingt für einen Sänger erstklassig. Josef Greindl, der Sarastro mit Persönlichkeit und breiter, strömender Baßstimme, sowie der die kurze Sprecherszene durch seine Gestaltungskraft zum Mittelpunkt der Aufführung machende Hans Hotter vertraten die Priesterschaft auf das nobelste. Peter Klein und seine lebhaften Lebkuchenmännchen von Sklaven glänzten wieder durch ihre Charakterisierungskunst. Erich Kunz, in bester Laune und Disposition, bekämpfte seine Feinde mit Schlauheit und Glöckchenspiel. Mimi Coertse schien indisponiert und war als Königin der Nacht nicht so gut wie sonst. Teresa Stich-Randall sang die Pamina, die zu ihren besseren Partien gehört und Emmy Loose macht die Papagena, auch wenn sie einspringt, Spaß. Die drei Knaben waren den drei Damen stimmlich ziemlich überlegen.

AIDA vom 22. März

Ein Repertoireabend wie wir ihn uns wünschen. Er war von geradezu festlichem Glanz überstrahlt, von mitreißender Stimmung getragen, die sogar die unglückliche Inszenierung, mit ihrer Atmosphäre mordenden Finsternis vergessen ließ. Birgit Nilsson, von weiter und triumphaler Fahrt zurückgekehrt, zeigte mit ihrer Aida, daß sie nicht nur in Mailand gesungen, sondern auch bedeutend zugelernt hat. Ihre Stimme hat nicht nur in der Tiefe gewonnen, auch die Höhen entbehren nun weitgehend der nordischen Kühle, blühen förmlich auf und tragen mit müheloser Leichtigkeit über jedes Orchestertutti hinweg. Auch im Spiel erscheint die Sängerin erfüllt von einer bezwingenden herzlichen Innigkeit und künstlerischen Vollkommenheit. Jon Vickers sang den Radames seines Lebens. Kaum eine Spur von dem noch kurz vorher von ihm gehörten Falsettieren. Ein ägyptischer Feldherr, dem kein Kollege deutscher oder angelsächsischer Zunge derzeit Konkurrenz ansagen kann. Daß der Künstler in Wien während seines Gastspieles solche Fortschritte gemacht hat, freut uns ganz besonders! Mit Hans Hotter stand wieder ein fürstlicher Amonasro auf der Bühne, ein Beherrscher der Szene, eingefügt und sich einfühlend in jede musikalische Nuance, in jede kleinste Geste des Zusammenspiels mit seinen Partnern. Georgine Milinkovic als Amneris hatte unter diesen Meistern einen schweren Stand, doch gab sie alles, was sie zu geben hatte, und dies ist anerkennenswert! Gottlob Frick und Frederick Guthrie erfüllten ihre Partien mit bester Leistung. Die Stabführung Lovro von Matacic hatte die Kraft des großen Atems, geballte Dynamik und beglückende Intensität.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 23. März

In dieser Aufführung gab es einige Umbesetzungen. So übernahm nun Berislav Klobucar den musikalischen Part. Er untermalte sehr gekonnt und sicher die Gespräche der Klosterinsassinnen und ließ keineswegs den Premierendirigenten vermissen. Zum ersten Mal sang Emmy Loose die Schwester Blanche. Sie hatte sich sehr viel Mühe gemacht, diese Partie einzustudieren, wofür ihr Dank gebührt. Schauspielerisch wirkte sie überzeugend, aber auch in stimmlicher Hinsicht überraschte sie angenehmerweise. Zwar entbehrten einige Spitzentöne der Leuchtkraft, doch sei dies mit begreiflicher Nervosität entschuldigt. Der dritte Solist der neu in die Aufführung kam, war Claude Heater, der in der Partie von Blanches Vater wohl am Platz war. Wie bei der Premiere feierte wieder Elisabeth Höngen als Priorin einen großen persönlichen Triumph. Der Gesamteindruck war gleich gut, wie bei der Premiere und dafür sei allen Beteiligten Lob gezollt.

BALLETTABEND am 24. März

SALOME am 25. März

Diese Oper war eine mit viel Vorfreude erwartete Vorstellung, die dann bestätigte, daß angekündigte Feste des öfteren nicht stattzufinden pflegen. Die Programmvorschau sagte aus unerfindlichen Gründen als musikalischen Leiter Lovro von Matacic an, obwohl es der hohen Regiekanzlei nicht verborgen geblieben sein konnte, daß Lovro von Matacic aus künstlerischen Gründen sich die Übernahme von Strauss- und Wagnerabenden für die nächste Saison vorbehalten hatte. Wozu also dann das Publikum enttäuschen und den Dirigenten als Absager deklassieren? Eine weitere Absage erfolgte durch die Erkrankung von Birgit Nilsson. Damit war die Stimmung des Besuchers bereits gedämpft, als er das Haus betrat. Es geschah im Verlauf des Abends nichts Entscheidendes, das sie wieder hätte heben können. Christl Goltz bot als Salome ihre gewohnt große Leistung, obwohl sie nicht in bester Tagesform war. Ihre Darstellung neigt allerdings nach und nach zum Überspielen. Eine sich neben dem Kopf des Jochanaan am Boden wälzende Salome bewegt sich an der Grenze des Ästhetischen, ein hektisches Ausspielen dieser Szene aber kommt dem Überschreiten bedenklich nahe! Hans Hotter schenkte dem Jochanaan alles, was sie einmalig macht. Seine stimmliche Verfassung erreichte nicht ganz die Höchstleistung, die wir von ihm kennen. Elisabeth Höngen zeichnete ihre Partie eindringlich und gekonnt und an Max Lorenz als Herodes vermißten wir diesmal, was uns sonst immer an ihm begeistert: den unbedingten Willen zur künstlerischen Leistung. Berislav Klobucar am Pult bemühte sich brav und redlich. Was die musikalische Leitung einer Salome darüber hinaus erfordert, blieb er uns schuldig.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 26. März

Die Aufführung stand ebenfalls unter Berislav Klobucars Leitung. Irmgard Seefried sang die Blanche, stimmlich hervorragend, darstellerisch nun wesentlich gedämpfter als in der Premiere. Besonders eindrucksvoll wieder Elisabeth Höngen als Priorin. Mit Recht war sie der stürmisch umjubelte Mittelpunkt des Abends. Dazu Christl Goltz, Anneliese Rothenberger, Hilde Zadek, Anton Dermota, Ivo Zidek und Claude Heater. Ein außergewöhnlicher Repertoireabend, ebenfalls einer von denen, wie wir erwarten, daß sie in dieser Qualität „chronisch“ werden.

KEINE VORSTELLUNG am 27. März, Karfreitag

EIN MASKENBALL am 28. März

Auch dieser Abend krankte an der Absage Birgit Nilssons. Sie wurde durch Claudia Parada aus Milano ersetzt, und diese Sängerin nahm sich auf unserer Bühne und im Wiener Ensemble ungefähr so aus, wie ein Autofahrschüler, der eben die Führerscheinprüfung bestanden hat und nun beim Rennen von Ventimiglia startet. Einen solchen Stempel von Todesangst trug auch ihr Auftritt, der total daneben ging, sodaß der darauf folgende Akt eine Katastrophe befürchten ließ. Dem war jedoch nicht so. So unschön einige Töne der exponierten Lagen klangen und sosehr sie manches Ensemble störten, muß der Sängerin zugestanden werden, daß sie sich tapfer hielt und durchschlug. Dabei bewies sie hohes Maß an Musikalität, das versöhnlich stimmte. Ein zwiespältiger Eindruck, eine zwiespältige Leistung, aber keine absolut negative. Aldo Protti als Renato ließ seinem Riesenorgan freien Lauf und bestach durch diese stimmgewaltige Dramatik. Ettore Bastianini konnte auch er nicht vergessen machen. Überraschend und erfreulich gut und gelöst diesmal Giuseppe Zampieri als Riccardo, dessen wunderschönes Timbre in nobel geführten Phrasen bestens zur Geltung kam. Liselotte Maikl als Oskar bewältigte den schwierigen Part sauber und mit Geschmack, doch ohne Brillanz. Aber wie viele Sängerinnen singen einen brillanten Oscar? Die Ulrica Hilde Rössel-Majdans hat nicht die überzeugende Kraft, die hier einer Altistin abgefordert wird, behielt jedoch das solide Niveau. Lovro von Matacic gab Verdi was Verdis ist: die starken Kontraste, überschäumende Lebensfreude und fatalistische Düsternis, die musikalische Ironie mit diabolischem Lustspielton neben der Tragik, die bestrickende Leichtigkeit neben leidenschaftlichem Furioso und über dem Verhängnis die Verklärung. So erstand vom Orchester her voll und ganz die Ursprünglichkeit, das Unmittelbare, das Vehemente der Musik

DAS RHEINGOLD am 29. März

DIE WALKÜRE am 30. März

Mit diesen beiden Vorstellungen bekamen wir einen Vorschuß auf einen kompletten Ring.

Das Rheingold bestätigte wieder den Eindruck der vorangegangenen Aufführungen: Es ist eine der geschlossensten, stilvollsten und am besten durchgearbeiteten Wagneraufführungen es derzeit gibt. (Nicht nur bei uns!). Zwei großartige Gestalten dominierten auf der Bühne: Gerhard Stolze als Loge und Hans Hotter als Wotan. Einer großen Linie verhaftet und doch feinziseliert im Detail formen die beiden Künstler ihre Rollen: Mit dem kalten Feuer einer hohen künstlerischen Intelligenz der eine, mit der warmen Menschlichkeit des Erlebens der andere - zusammengewachsen im klugen Konzept der Regie.

Widerpart der beiden großartigen modernen Wagnersänger war wieder Alois Pernerstorfer als Alberich, der von Mal zu Mal eindringlicher und intensiver wird. Unter den übrigen Ensemblemitgliedern muß wohl Peter Klein, der virtuos-raffinierte Mime-Darsteller, als erster genannt werden. Eberhard Wächter macht sich den Donner mit dem steten Wachsen seiner Stimme immer mehr zu eigen. Leider ist „Donner, der Herr“ bei seiner Szene schlecht (weil zu hoch auf dem Felsen und zum Singen gegen den Rundhorizont gezwungen) placiert. Fafner und Fasolt wurden von Gottlob Frick (mit orgelnder Riesenstimme) und dem erfreulich verbesserten Oskar Czerwenka gesungen. Waldemar Kmentt, der ausgezeichnete Froh, und Gerda Scheyrer (als Freia ebenfalls gut), hatten ihre antikisierenden Gewandungen abgelegt und erschienen wie die Kollegen, bis zum Halse hochgeschlossen, auf „germanisch“.

Die Damen Ira Malaniuk und Marga Höffgen boten intensive Interpretationen der Fricka und Erda, und das zum Teil neu besetzte Rheintöchter-Trio (Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan) überraschte durch blitzsauberes, ausgefeiltes und gut abgestimmtes Singen und hielt sich nach der Premieren-Luxus-Besetzung sehr ehrenvoll. (Wenn nur alle zweiten Besetzungen immer so gut ausfielen!).

Die Walküre hatte im erste Akt bei den ersten Aufführungen unter Herbert von Karajan manchmal etwas merkwürdig Starres, was uns eigentlich immer unerklärbar war. Im Nachhinein könnte man fast annehmen, die Besetzung des Siegmund sei daran schuld gewesen, denn schon die Besetzung mit Brouwenstijn-Windgassen, zwei modernen Wagnersängern, gab dem ersten Akt Bedeutung und Profil. In der jetzigen Vorstellung waren die Wälsungen (zum ersten Male unter Karajan) mit Hilde Konetzni und Jon Vickers besetzt. Und dabei ergab sich das vollkommene Verschmelzen zweier Personalstile, zweier Auffassungen zu einem: Zu einem großen Erlebnis. Hilde Konetzni, die Sängerin, die ihr Herz in jede ihrer Phrasen legt und mit der breiten Fülle ihrer mächtigen Stimme den Eindruck ganzer Scharen von Sieglinden aus der Erinnerung fegt, und Jon Vickers, der Sänger mit der voluminösen, strömenden Heldenstimme, der hochintelligent aufbaut und mit Geist und Kraft zu überzeugendem Ausdruck vordringt, gestalteten einen erster Akt, wie wir ihn so überzeugend und hinreißend noch selten erlebt haben. (19 Vorhänge!)

Hans Hotter, der Gott mit dem menschlichen Herzen, sang einen herrlichen zweiten Akt. Im dritten hatte er einen kleinen Schwächeanfall, was aber für die Gesamtleistung völlig unwichtig war. Birgit Nilsson entfaltete, von schwerer Erkrankung genesen, wieder die sieghafte Kraft ihrer metallischen Heroinenstimme, deren edles Metall wohl einzigartig ist. Ira Malaniuk imponierte mit einer hoheitsvollen, ausgezeichnet gesungenen Fricka. Gottlob Frick füllte den Hunding wieder voll aus.

Herbert von Karajans Rheingold ist einmalig und unwiederholbar schön. Auf den strömenden Naturmotiven baut sich das Riesengebäude der Tetralogie mit solcher Logik, mit derartiger Selbstverständlichkeit auf, daß man jetzt schon ehrlich gespannt darauf wartet, unter diesen Voraussetzungen endlich einen kompletten Ring in Wien hören zu können. Man versank an beiden Abenden im schimmernden Wohlklang der philharmonischen Streicher. Die Kollegen beim Blech hatten leider sehr schwache Abende. Man verzeiht den Herren des philharmonischen Orchesters sowieso vieles. So vergaß man angesichts der naturhaft-romantischen Hörneruntermalung bei  „..gold’ne-Äpfel wachsen in ihrem Garten...“ fast die vorausgegangenen Serienschmisse in der wogenden Orchestereinleitung, beim golden aufzuckenden Schwertmotiv (im Rheingold) fast das wie üblich verwackelte Lindwurm-Motiv in der Alberich-Szene. Doch peinlich und wirklich sehr traurig war der Fortissimo-Posaunen-Schmiß, der die phantastisch aufgebaute Schlußapotheose des Rheingoldes empfindlich störte. Und als peinlich empfanden wir es auch, daß man in der Walküre vor jedem Erklingen des Walhall-Motives zittern und beben mußte. Blechbläser sind auch nur Menschen, das sehen wir ja ein. Aber diesmal geschah schon mehr Unheil, als einem Orchester vom Range unserer Philharmoniker gestattet ist.

Der Jubel konzentrierte sich daher auf den Dirigenten und die Sänger. Und die Sprechchöre, die nach dem zweiten Akt Jon Vickers, der seinen letzten Abend in dieser Spielzeit hatte, vor den Vorhang riefen, erinnerten uns lebhaft an unsere Anfänge auf der Galerie, wo die Svanholm- und Lorenz-Anhänger um die Vorherrschaft ihrer Idole ihre Stimmkraft einsetzten. Heute kann offenbar nur ein Heldentenor zum Sprechchor animieren: in Jon Vickers ist ein solcher gefunden!

LA BOHEME am 31. März

Diese Aufführung fand ihren Mittelpunkt in der wie immer zauberhaften Mimi Hilde Güdens, der Anton Dermota als Rudolf zur Seite stand, mit einer überraschend guten Arie im ersten Akt Erfolg hatte, aber trotzdem nicht verleugnen konnte, daß ihm Puccini nicht liegt. Alles übrige (Gerda Scheyrer als Musette, Oskar Czerwenka und Hans Braun – mit Ausnahme Eberhard Wächters, der auch diesmal großartig in Form war - ) sowie der Dirigent Berislav Klobucar boten wieder nur Repertoireleistungen.

 

Bevor wir den Schlußpunkt setzen, sei nochmals Bilanz gemacht. Fazit: Wir haben wohl mitunter ein Repertoireniveau, das anderswo sogar als Festival angesprochen werden könnte. Dies aber söhnt nicht aus, sondern vergröbert im Gegenteil die Sünden, denn daß die Wiener Staatsoper „kann“, ist erwiesen, dann bliebe als Erklärung für ein Versagen nur mangelnden künstlerischer Ernst und Wille! Dagegen aber gibt es ein Mittel: Man halte die Unzulänglichen von uns fern, wir haben der Fähigen genug!

 

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