DER APRIL 1959
4. Jahrgang, Heft 5
Der wettermäßig so launische und wendische April erwies sich im Jahre 1959 in der Wiener Staatsoper von bemerkenswerter Beständigkeit. Wenn die Redaktion des Merker aus romantischen Gemütern bestünde, hätte sie einstimmig beschlossen, um den Beginn dieses Monatsberichtes einen Lorbeerkranz oder eine Blümchengirlande zu zeichnen, um ihn damit schon rein optisch von den vorhergegangenen zu unterscheiden, denn: In diesem April 1959 gab es keinen schwachen Abend!
Es war natürlich nicht so, daß es keine Absagen, Einspringer oder schwächere Besetzungen gegeben hätte. Aber immerhin behaupteten Persönlichkeiten auf der Bühne das Niveau auch gegen farblosere Dirigentenleistungen, die übrigens sehr spärlich waren. Und Persönlichkeiten am Dirigentenpult kompensierten schwächere oder indisponierte Sänger. So gab es - bei einem interessanten vielseitigen Programm mit viel Mozart und Strauss, mit einem Drei-Viertel-Ring und mit prächtigen italienischen Abenden - ein Durchschnittsniveau von hier bisher nie erreichter Höhe.
Daß man anderswo auch nur annähernd Gleichwertiges nicht bieten kann, ist ohnedies hinlänglich bekannt.
BALLETTABEND am 1. April
DER ROSENKAVALIER am 2. April
Drei Heimkehrer gab es in dieser Aufführung: Lisa Della Casa, Otto Edelmann und Wilhelm Loibner. Mit Lisa Della Casa, einer der großen Sing-Schauspielerinnen, betrat endlich wieder einmal eine Marschallin von Format die Bühne der Wiener Oper. Immer überzeugender gestaltet die Künstlerin den Übergang von der liebenden Frau zu der aus Liebe Verzichtenden. Und es begeistert immer aufs Neue, wie Lisa Della Casa die große Dame bleibt – in jeder Bewegung, in jeder Situation, in jeder Nuance. Die schwebende, silberne, instrumentale Strauss-Stimme trägt die strömende Melodie und läßt sie glanzvoll aufblühen. Hilde Güden, die bezaubernde Sophie, die mit einer neuen, silbergrauen Perücke noch hübscher aussah als sonst und mit ihrem kultivierten Charme herrlich sang, stellte die zweite Glanzbesetzung des Abends dar. Herta Töpper war ein solider Oktavian, der aber gegenüber den beiden großartigen Sopranistinnen etwas humor- und glanzlos wirkte. (In München gefiel sie uns wesentlich besser!). Otto Edelmann sang einen sehr guten Ochs, dem er (außer im dritten Akt) Übertreibungen fernzuhalten wußte. Es mag offenbar mit der Anwesenheit des Chefs in der Direktionsloge zusammenhängen, daß er im ersten Akt mit jener subtileren Gesangsleistung aufwartete, die auf seiner Schallplattenaufnahme zu erkennen ist und die wir bisher auf der Bühne von ihm noch nicht gehört hatten! Da er sich auch in guter stimmlicher Verfassung befand und ein (schon lange nicht mehr gehörtes) Forte-F (beim „Heu“) sang, konnte man mit seinem Ochs wohl zufrieden sein. Gustav Neidlinger erfüllte Faninals Palais am Hof mit seiner voluminösen Riesenstimme, und es ist nicht ausgeschlossen, daß man ihn in den „zwölf Häusern auf der Wieden“ auch noch gehört hat. Eugene Tobin mußte vor den Schwierigkeiten der Sängerarie kapitulieren. Wilhelm Loibner schien sich sehr zu freuen, wieder in Wien zu sein. Darüber, daß er gerade mit einem Rosenkavalier anfangen durfte, am meisten. Denn dieser ward ihm noch nicht oft zuteil. Unter den Mitarbeitern des „Merker“ befinden sich Rosenkavalier-Spezialisten, die die Oper mehr als fünfzig, sechzig, ja achtzigmal gehört haben und selbst diese hatten Wilhelm Loibner bisher vermieden. Nun haben sie ihn erlebt! Ausgerechnet. Wilhelm Loibner verstand sich aber mit dem Orchester recht gut und „verbrach nichts wider die Tabulatur“, wenngleich die lyrischen Stellen etwas spannungsarm gerieten und er beispielsweise bei der Chor-Szene des zweiten Aktes derart ins Rennen kam, daß nur der Aktschluß ihn aufhalten konnte. Man dürfte aber Wilhelm Loibners Rückkehr nicht zum Anlaß nehmen, die Suche nach einem richtigen „Ersten“ als Rudolf Moralt-Ersatz einzustellen. Lovro von Matacic ist doch hiefür um eine Klasse zu gut!. Wir plädieren nach wie vor für Heinz Wallberg. Aber man wird sich beeilen müssen, denn sonst ist er zu bekannt und folglich nicht mehr auch sechs oder sieben Monate zu haben!
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 3. April
Diese Opern hörten wir in der teilweise geänderten Besetzung Christl Goltz, Margareta Sjöstedt, Rosette Anday, Karl Terkal und Walter Berry, wobei nur Christl Goltz und Walter Berry wirklich dramatische, stimmlich und darstellerisch gleich intensive Gestalten auf die Bühne stellten. Margareta Sjöstedt, die sonst eine vielseitig verwendbare und sichere Sängerin für kleinere Rollen ist, wußte der Lola, einer Partie, aus der man etwas machen kann, absolut kein Profil zu geben. Rosette Anday überspielte die Mutter Lucia in dem gleichen Maß, in dem sie ihre stimmliche Sicherheit schuldig blieb. Karl Terkal verunzierte die Sicilliana mit einem Schluchzer, der in einem falschen Ton sein unrühmliches Ende fand. Er sollte sich mehr auf Linie konzentrieren.
Auch im Bajazzo gab es neue Sänger. Eugene Tobin in der Titelrolle überraschte sehr, denn in dieser Partie war weniger von seinen sonstigen technischen Unsauberkeiten und Unsicherheiten zu hören. Auch darstellerisch konnte er befriedigen, wenngleich er – was besonders in der Schlußszene auffiel – bei weitem nicht an die Persönlichkeit von Jon Vickers heranreicht. Mimi Coertse sang und spielte mit vollstem Einsatz, wobei sie stimmlich solange gut wirkte, als sie vom Forcieren Abstand nahm. Wenn sie selbst sich überfordert, was sie bei einer derart tragfähigen und starken Stimme eigentlich gar nicht nötig hätte – klingt die Stimme kehlig, scharf und unsauber. Schauspielerisch hatte sie sich eine tragbare Auffassung der etwas unfeinen Nedda-Gestalt zurechtgelegt. Aldo Protti hatte selbstverständlich mit seinem phänomenalen Prolog und seiner ausdrucksvollen Gestaltung des primitiven Triebmenschen den Löwenanteil am Gelingen des Abends. Claude Heater ist eine immerhin passable zweite Besetzung des Silvio. Lovro von Matacic’ Interpretation dieser veristischen Musik ist getragen von einer bacchantischen Sinnenfreude, die hinreißend wirkt. Das Orchester leistete ihm willig in jeder Nuance Gefolgschaft, der Chor hingegen war nicht immer auf der Höhe.
EIN MASKENBALL am 4. April
Das war wieder einmal ein Maskenball! Die schwierigen Partien des Werkes stellen an die Sänger die allerhöchsten Anforderungen, denen aber alle diejenigen, die an diesem Abend auf der Bühne standen, auf ihre persönliche Weise gerecht wurden. Interessant war die erste Bekanntschaft mit Gianni Poggi auf Wiener Boden. Seine Stimme ist technisch bestens geschult, klingt schön, wenn auch nicht edel (man wurde an diesem Abend mit Staunen gewahr, was für ein herrliches Timbre doch unserer von der italienfeindlichen Presse oftmals so schnöde behandelte Hausitaliener Giuseppe Zampieri hat), sicher, jedoch nicht brillant. Schauspielerisch ist er nicht mehr als routiniert. Von Gianni Poggi geht jedoch ein Eindruck von so unbedingter Sicherheit und Ruhe aus, daß man eine ganz eigene Art von Sympathie für ihn empfindet. Er spaziert in die Inszenierung herein, die er noch nie zu Gesicht bekommen hat und fühlt sich sofort wie zu Hause. Er steht mit dem Rücken zum Dirigenten (den er wahrscheinlich auch erst kurz vor der Vorstellung kennen gelernt hat) – und trifft seine Einsätze mit tödlicher Sicherheit. Er ist ein Tenor, ohne Nerven und steht in jedem Moment souverän über der Sache. Er ist sicher der richtige Mann dafür, in unserer winterlichen Saure-Gurken-Zeit für Niveau zu sorgen! Es fehlt ihm allerdings eines: die künstlerische Größe und die echte, edle Erregung des Künstlers, die die Schöpfung des toten Meisters erst belebt. Von solchem Format hingegen ist Eberhard Wächter; nur artet die Erregung in dieser Vorstellung – besonders am Anfang – fast schon zu einer Nervenkrise aus. Eberhard Wächter ist nicht der Sänger, der sich wie seine italienischen Kollegen dekorativ hinstellt und wie – Ettore Bastianini – die Melodie in sein dunkles Samt-Timbre hüllt, oder – wie Aldo Protti – seine Stimme über die Rampe rollen läßt, daß es den Hörer fast von seinem Platz schwemmt. Es drängt ihn zur Gestaltung – er muß formen. Dazu ist die erste Renato-Arie weniger geeignet. Diese typische Gesangsnummer geriet denn auch ein klein wenig übersteigert, ja zerhackt. Doch im Verlauf des Abends, als er immer sicherer wurde, wuchs er in seine Aufgabe hinein. Ausdruck und Gestaltungskraft traten schon im zweiten Akt als bestimmendes Moment hervor und der dritte gelang hervorragend. Nach dem dramatisch bewegten Duett mit Amelia folgte eine packende, durchgeformte und erlebte Gestaltung der Arie und ein intensives Rache-Terzett. Wenn einige obergescheite Kritiker und Kommentatoren allerdings finden, er sei um Klassen besser als alle Italiener miteinander und es sei ihm bitteres Unrecht geschehen, weil er die Premiere nicht bekommen hätte, so müssen wir uns dagegen wehren, obwohl wir annehmen, daß Eberhard Wächter sowieso zu vernünftig ist, um sich von solchen Tendenzmeldungen aufputschen zu lassen. Es wird keinem Ettore Bastianini einfallen, Eberhard Wächter den Giovanni oder Wolfram wegzusingen, und es ist daher absolut nicht einzusehen, warum es beim Renato umgekehrt der Fall sein soll. Wir finden die Möglichkeit, die verschiedensten Stimmen und Persönlichkeiten in dieser Rolle hören und sehen zu können, außerordentlich interessant und instruktiv. Wir haben beim Renato Gelegenheit, die schönste (Ettore Bastianini) und die mächtigste (Aldo Protti) italienische Stimme mit unserem Staatsopern-Wunderkind zu vergleichen. Und daß Eberhard Wächter in diesem illustren Kreise – auf seine eigene, persönliche Art natürlich – als gleichberechtigt mitwirken kann, ist eher ein Grund für ihn und uns, sehr stolz zu sein, nicht jedoch für erbärmliche Polemiken. Über der Debatte stand das Stimmphänomen Birgit Nilsson mit einer eindrucksvollen, hinreißenden Amelia. Diese Künstlerin ist von einem unwahrscheinlichen Fleiß. Wie viel intensive Arbeit steckt dahinter, ehe aus der nordischen Heldinnenstimme auch die schmiegsame, in vornehmen Phrasen geformte Stimme einer Primadonna wurde! Die große Arie und besonders das Liebeduett mit Gianni Poggi waren großartig gesungen. Hilde Rössel-Majdan ist eine sehr gute Ulrica geworden. An großen Vorbildern geschult und sorgfältig gesungen, stellt sie ebenso wie der bewährte Oskar von Liselotte Maikl den typischen Fall einer durchaus würdigen Leistung eines Ensemblemitgliedes dar, die dann auch im großen Rahmen ansprechend bleibt. Das ist das Niveau, das man von einer Wiener Staatsopernaufführung verlangen muß. Und wie man sieht, geht es ja! Die Herren Harald Pröglhöf, Endre Koréh und Franz Bierbach waren in den kleinen Partien zu hören, wobei Endre Koréh seinen Vorgänger Norman Foster weit übertraf. (Er hatte nur Mühe, sein freundliches Hunnengesicht in die nötigen Intriganten-Falten zu legen.) Lovro von Matacic dirigierte einen hervorragenden Verdi voll Temperament, Farbe, Sinnlichkeit und üppigem Orchesterglanz.
DAS RHEINGOLD am 5. April
Wieder dominierte das Orchester. Man hatte den Eindruck, als bemühten sich unsere Philharmoniker besonders, die Sünden, die sie beim Rheingold des vorigen Monats begangen hatten, wieder gutzumachen. Sie spielten mit Hingabe, und so kam es unter der Leitung von Herbert von Karajan zu einer imposanten, klanglich herrlich ausgewogenen und machtvoll gesteigerten Wiedergabe des Werkes. Zu den bereits des öfteren gebührend gewürdigten Leistungen von Hans Hotter als Wotan von größtem Format und von Ira Malaniuk (die diesmal durch eine Indisposition nicht ihre gewohnte Form erreichte), Gottlob Frick, Peter Klein, Eberhard Wächter, Gerda Scheyrer, Marga Höffgen und des sicher und sauber singenden Rheintöchtertrios Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan traten neben Gottlob Frick als Fafner und den mit Schwierigkeiten in der Höhe kämpfenden Fasolt Oskar Czerwenkas einige neue Sänger: Otakar Kraus als Alberich wirkte zwar in unserem modernen Wagner-Ensemble darstellerisch ein wenig pathetisch, erwies sich aber als guter Sänger mit einer großen, in einigen Lagen sogar sehr schönen und männlichen Stimme. Eugene Tobin sang einen guten Froh und Robert L. Charlebois gelang das große Kunststück, sich nach Windgassen und Stolze als Loge mit Anstand zu behaupten. Seine Stimme ist besonders in der Mittellage kräftig und tragfähig, er singt sicher und musikalisch und konnte auch darstellerisch überzeugen. Man fragt sich mit Erstaunen, warum dieser Sänger über Graz nicht hinauskommt, wo er doch um eine Klasse besser ist als beispielsweise die Herren Liebl, Lechleitner, Eschert usw. (Vielleicht fehlt es ihm an der nötigen Ellenbogenhärte, um sich durchzusetzen. Auch das braucht ja ein Sänger). Das könnte sich die Staatsoper zunutze machen und Herrn Charlebois engagieren – denn wer sonst soll in der nächsten Saison Aegisth und Herodes singen, wer den Kardinal im Mathis der Maler und den Tambourmajor? Den Novagerio? Über seine Charakterrollen hinaus hat Charlebois ein ziemlich großes Repertoire und würde wahrscheinlich, wenn er als Siegmund, Tannhäuser, Bajazzo oder Don José einspränge, mehr Niveau haben als einige rasch herbeigeholter Tenorkollegen.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 6. April
In dieser Aufführung beider Werke gab es diverse Absagen. So kam es dazu, daß sich Aldo Protti – nicht gern, aber der Wiener Staatsoper zuliebe doch – mit dem Alfio für den Prolog einsang. Mit seiner Riesenstimme bewältigte er die Partie schier mühelos, selbst dort, wo der an sich ja hervorragende Walter Berry zu forcieren anfängt. In Christl Goltz hatte er eine intensive, dramatische Partnerin. Karl Terkal war als Turiddu nicht übermäßig gut bei Stimme und sang unsauber. Margareta Sjöstedt ist eine stimmlich gute Lola, wirkt jedoch lange nicht so wie Lotte Rysanek, und Rosette Anday hätte sich die Pensionierung wirklich schon ehrlich verdient. Aldo Prottis großartiger Tonio, der eine stimmlich und darstellerisch gleich meisterhafte Studie ist, bildete auch den Mittelpunkt der Bajazzo-Aufführung, in der der Provinz-Tenor Antonio Annaloro nicht ohne Intensität, aber mit einem Hang zum Schmierenkomödiantischen die Titelrolle gab. Stimmlich ist er mit der ein wesentlich schwereres Organ verlangenden Partie überfordert. Mimi Coertse hat sich in der Partie der Nedda, abgesehen von einigen forcierten und daher heiseren Stellen in der Szene mit Tonio, gut zurechtgefunden und ist stimmlich und ausdrucksmäßig überzeugend. Claude Heater, der als Silvio ganz gut ist, und der ausgezeichnete Beppo von Murray Dickie vervollständigten die Besetzung des Abends. Der Chor sang in Cavalleria trotz der feurigen und dabei die Unterstützung der Sänger auf der Bühne keinen Augenblick vernachlässigenden Leitung Lovro von Matacic’ höchst unkorrekt und war erst im Bajazzo auf der Höhe seiner Aufgabe.
ARIADNE AUF NAXOS am 7. April
Wir hatten in dieser Saison schon mehrmals halbleere Vorstellungen dieser Oper. Diese Aufführung war jedoch ausverkauft und hatte die nötige Stimmung. Kein Wunder am Pult stand Joseph Keilberth, der meisterhafte Straussdirigent und die Damen Lisa Della Casa, Irmgard Seefried, Hilde Güden, Anneliese Rothenberger waren angesetzt. Der Dirigent wurde leider von dem nicht in bester Besetzung antretenden und ziemlich unkonzentrierten Orchester im Stich gelassen. Es ist wirklich schwer, das turbulente Vorspiel ohne Proben so hinzulegen, wie es sich gehört. So klang das Vorspiel unschön und unedel. Die Oper selbst gelang dann besser – abgesehen von der ekstatischen Steigerung beim Auftritt des Bacchus, die Joseph Keilberth groß anlegte, die aber stecken blieb. Am schönsten war das Duett und das in silbernem Klang verhauchende Finale. Auch auf der Bühne war es ziemlich verschlampt. Vom Regisseur Josef Gielen war nichts zu erblicken, obwohl er ja eigentlich nominell noch immer Chefregisseur ist, und die Beleuchter zeichneten sich nicht aus. Die schlechte Beleuchtung der Sänger macht nichts aus, wenn Gertrude Grob-Prandl die Titelrolle singt, aber Lisa Della Casa wollen wir schon genauer sehen können! Sie ist ein Bild von einer Ariadne, nobel und dezent in der Gestik, stark im Ausdruck und souverän im Einsatz der klaren, schönen Stimme. Hilde Güden verblüfft immer wieder durch das Phänomen einer lyrisch gesungenen Zerbinetta-Arie. Der Verstand sagt einem, daß es so etwas gar nicht geben kann – aber man hört und staunt. Hilde Güden singt, womit sich Koloratursoprane schon geplagt haben, mit selbstverständlicher Sicherheit. Im übrigen ist sie die charmanteste Zerbinetta, die wir derzeit kennen. Irmgard Seefried sang, nachdem einige anfängliche Manieriertheiten überwunden waren („Ich kann mich nicht beruhigen!“) einen hervorragenden Komponisten. Groß und edel in Stil und Ausdruck gelang vor allem „Musik ist eine heilige Kunst“. Anneliese Rothenberger führte mit süßer Stimme das Nymphenterzett an, dessen übrige Mitglieder sich nicht mit Ruhm bedecken konnten. (Gerda Scheyrer ist für die Partie längst zu dramatisch. Warum setzt man sie immer wieder an?). Ernst Kozub – ein statt des erkrankten Ivo Zidek gastierender Bacchus, kämpfte zwar auch mit der hohen Lage der Partie, ließ aber wenigstens eine schöne Mittellage hören und hatte Stil und Ausdruck. Hans Hermann Nissen, der als Musiklehrer einsprang, erwies sich noch immer als Sänger von Format. Neben dem eleganten Peter Klein (als Tanzlehrer) konnten sich vom Komikerquartett merkwürdigerweise am besten die Tenöre, der nette, freundliche Murray Dickie und der sichere Kurt Equiluz halten. Karl Weber, der zum ersten Mal den Harlekin gab, hat das Timbre eines ausgesungenen Operettentenors. Adolf Vogel ist nicht mehr beweglich genug für seine Partie. Trotz der oben geschilderten Mängel war diese Aufführung die erste Ariadne dieser Saison, die Staatsoper-Niveau hatte.
SIEGFRIED am 8. April
Dieser Abend wurde von einem Ereignis überschattet, das selbst alte und ergraute Opernbesucher nur selten erleben konnten und das wegen seiner Seltenheit hier ausdrücklich gewürdigt werden muß. Wir hörten einen absolut technisch einwandfreien und ungeschmissenen Hornruf. Dem Unbekannten mit den eisernen Nerven, der mit souveräner Überlegenheit und mit der Sicherheit eines Hornisten auf französischem Instrument, aber mit dem blühenden, weichen, romantischen Klang eines deutschen Hornes blies, was im kräftigen Forte ebenso schon klang wie im verhauchenden Piano unseren innigsten Dank! Überhaupt klang das Orchester an diesem Abend wieder herrlich.
Auf der Bühne dominierte Birgit Nilsson, die wieder einmal ihre einzigartige Brünnhilde sang. Sie entfaltete die ganze Kraft und den wunderbaren Glanz ihrer herrlichen Stimme.
Wolfgang Windgassen war als Siegfried gut disponiert, wir haben ihn aber auch schon stärker gehört. Am schönsten sang er die Schlußszene des dritten Aktes.
Gustav Neidlinger und Peter Klein waren in ihren oft gewürdigten Glanzpartien wieder hervorragend.
Die Unsichtbaren: Anneliese Rothenberger (ein neubesetzter und sehr guter Waldvogel), Hilde Rössel-Majdan (eine ausdrucksvolle Erda) und Gottlob Frick (ein überzeugender Fafner) schlossen sich würdig ihren Kollegen auf der Bühne an.
Fehlt nur noch der Wanderer. Aber der fehlte wirklich im Zusammenspiel der Kräfte und Persönlichkeiten. Otto Edelmann gab ihn. Wir wollen davon absehen, daß er kein Wanderer ist. Wir wollen hier nur von seinem Gesang sprechen, der noch weniger überzeugte. Ein Wanderer kann nicht sparen und sich schonen! Wir stimmen mit Herren Edelmann darin überein, daß das Heldenbaritonfach schwierig, aufreibend und anstrengend ist. Aber er muß es ja nicht singen! Wer zwingt ihn denn dazu? Einen Wanderer, der sich mit größter Schonung durch die Partie schwindelt, brauchen wir wirklich nicht. Beim Kezal oder Waldner strengt er sich nicht an - wäre er dabei geblieben!
Sogar Herbert von Karajan, der Formende und Gestaltende, gab es auf, hier irgendwie wirken zu wollen und schlug bei den Stellen des Wanderers nur den Takt. (Wir wünschen ihm, daß er sich über Edelmann genauso geärgert hat, wie wir alle miteinander, denn er hat ihn als Helden-Bariton lanciert. Geschieht ihm recht!). Dafür wuchs er im dritten Akt nach der Verwandlung, über sich hinaus. Die Schlußszene war von jener brennenden Intensität, die schon fast beängstigend wirkt, weil sie den Hörer bannt und verzaubert. Selbst der Größte hat solche Momente nur manchmal – sie bleiben eine kostbare Erinnerung für jeden Freund der Musik.
FIDELIO am 9. April
Endlich stand wieder einmal ein richtiger und echter Musiker am Pult, um unseren Fidelio zu übernehmen: Joseph Keilberth. Wir, die wir in den letzten Monaten in der Oper nur Heinrich Hollreiser und Meinhard von Zallinger dieses Werk malträtieren gehört hatten, atmeten auf. Mit seiner frischen Art, das Orchester zu packen, war er der umjubelte Mann des Abends. Seine Interpretation war groß angelegt, dramatisch, im Tempo ausgewogen, gipfelnd in der fulminanten Leonoren-Ouvertüre. Auch unsere Wiener Philharmoniker schienen sich zu freuen, nach Routiniers und Taktschlägern unter einem Dirigenten zu spielen, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Daß der Abend dennoch nicht zur reinen Freude wurde, dafür sorgten diesmal die Solisten. Mehr als enttäuschend war Martha Mödl in stimmlicher Hinsicht. Sie stand in ständigem Kampf mit ihrer Höhe. Keiner der Spitzentöne wollte gelingen. Der unprofilierte Pizarro Gustav Neidlingers, dessen Stimme im Forte wenig Resonanzfähigkeit zeigt und Otto Edelmann, dessen Stimmvolumen dem Herbst gegenüber geringer geworden ist, waren wieder zu hören. Warum man Gottlob Frick, der doch ein echter Baß ist, den Minister singen ließ, eine Aufgabe, der er sich bestens zu entledigen wußte, ist ein Rätsel. Anton Dermota sang einen guten Florestan. Wir haben ihn allerdings schon besser gehört. Anneliese Rothenberger und Murray Dickie gefielen am besten. Schade, wenn endlich ein Könner den Fidelio übernimmt, haben die Solisten nicht ihren besten Tag. Schwacher Applaus für die Sänger und viel Jubel für Keilberth spiegelten richtig die Stimmung des Publikums wider.
DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 10. April
Berislav Klobucar ist weniger hart und grell als Heinrich Hollreiser, hat aber dafür – besonders in den Szenen der Constance und in den Zwischenspielen – mehr Wärme und Gefühl. Unter seiner Leitung sangen die Damen Irmgard Seefried, Elisabeth Höngen, Christl Goltz und Anneliese Rothenberger ihre durchdachten und erlebten Frauengestalten. Neben dem ausgezeichneten Anton Dermota gab es einige Umbesetzungen der kleineren Rollen, zum Beispiel einen Gast aus Köln,Alfred Weikenmeier als Chevalier de la Force, der gerade nicht sehr eindrucksvoll war. Claude Heater demonstrierte mit dem Marquis seine emsigen Bemühungen, ins Repertoire einzusteigen.
RIGOLETTO am 11. April
stand unter der musikalischen Leitung von Ernst Märzendorfer, dem ein ausgezeichneten Sängerensemble zur Verfügung stand. Aldo Protti, der Träger der Titelrolle, ist hier in seinem Element. Er kann „loslegen“ und die ganze Pracht seiner Stimme entfalten, die sich so herrlich für dramatische Ausbrüche eignet. Auch darstellerisch glaubt man ihm den besorgten Vater und haßerfüllten „Buffone“. Gianni Poggi spielte den Herzog bestechend bieder. Es ist schwer, ihn für einen kalten Frauenverführer oder auch nur für einen armen Studenten zu halten, eher drängt sich einem das Bild eines lieben und netten Onkels auf. Er singt die Rolle jedoch mit sehr schöner, kräftiger, in der Höhe überzeugend sicherer Stimme und gleicht damit den Mangel an Gestaltungskraft weitgehend aus. Hilde Güden war eine seelenvolle Gilda. Sie führte ihre Stimme mit viel Gefühl für Stil, Linie und Phrasierung und legte Spitzentöne hin (Stretta!), um die sie jeder Koloratursopran beneiden könnte. Walter Kreppel sang einen guten und sicheren Sparafucile. Seine tanzende Schwester war Georgine Milinkovic. Edmond Hurshell sang den Monterone – so stand es zumindest im Programm. Wir konnten von Singen jedoch nicht viel hören und fanden ihn fehl am Platze. Ernst Märzendorfer gelang es, während des ersten Aktes Verdis Geist gänzlich vom Orchester fernzuhalten. So litt z. B. die Begleitung von „Caro nome“ unter chronischer Langeweile. Überhaupt waren die lyrischen Stellen bar jeder Stimmung. Die dramatischen klangen laut und hart, aber wenigstens exakt. Von Italianità keine Spur! Uns ist, trotz Triumphgesängen der Presse, zu deren besonderen Lieblingen Ernst Märzendorfer aus unerklärlichen Gründen zählt, der wesentlich weniger routinierte Glauco Curiel im italienischen Fach lieber!
DIE WALKÜRE am 12. April
Wir hatten die Glanzaufführung dieser Oper vom Vormonat noch immer viel zu sehr im Ohr, um diese Aufführung als mehr als eine durchschnittlich gute Repertoireaufführung zu empfinden. Allerdings ist das vielleicht zum Teil auf den Wotan von Otto Edelmann zurückzuführen. Obwohl ihm die Walküre noch besser liegt als der Siegfried, ist er zum Ausgleich dafür viel mehr in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt, was für das Auditorium recht ermüdend wird. Wieder sang er seinen Part gemütlich, ohne irgendwelche Dramatik, mit mittelmäßig starker und mittelmäßig schöner Stimme und fast ohne Nuancen. Das ist für den Wotan denn doch zuwenig und macht sich besonders bemerkbar, wenn Martha Mödl die Brünnhilde singt und in ihm keinen ebenbürtigen Partner hat. Über ihre Brünnhilde ist schon so viel gesprochen und geschrieben worden, daß wir nur hervorheben wollen, mit welch voller Kraft, Eindringlichkeit und stimmlicher Intensität sie die Partie gestaltete. Wolfgang Windgassen, dem die Partie des Siegmund bekanntlich nicht so liegt wie manche andere, war diesmal, besonders im ersten Akt, großartig disponiert. Nach einigen kleinen Intonantionsschwankungen am Beginn steigerte er sich immer mehr und seine Spitzentöne nahm und hielt er kräftig und sicher. In den zweiten Akt ist er noch nicht so hinein gewachsen. Er liegt ihm offenbar etwas zu tief. Hilde Konetzni ergriff wieder durch ihre hinreißende Sieglinde. Die Hochform, in der wir sie in den vergangenen Aufführungen hörten, erreichte sie aber erst im zweiten Akt. Ira Malaniuk sang eine vornehme Fricka und auch der stimmgewaltige Hunding Gottlob Fricks ist schon bekannt und oft gewürdigt worden. Die größte Freude für den Wagnerianer war diesmal wahrscheinlich die musikalische Leitung von Joseph Keilberth. Der Aufbau des Riesenwerkes ist imposant, groß gesteigert und voll Spannung. Der Klang des Wagnerorchesters ist immer klar und durchsichtig und doch vermag er jenen mystischen Klang hervorzuholen, den wir heute bei manchen Interpreten des ‚Ringes’ vermissen.
CARMEN am 13. April
Wir hörten eine zweisprachige Aufführung, bei der außer dem rasch herbeigeholten Einspringer Nicola Filacuridi auch noch Hilde Güden französisch sang. Da sie die Partie auch deutsch kann, hätte sie sich schon der deutschsprachigen Majorität anschließen müssen, um eine gewisse – relative – Einheitlichkeit herzustellen. Mit der Carmen muß wirklich etwas geschehen. Das vernünftigste ist wohl, den Chor doch auch einmal zum Erlernen des französischen Textes zu zwingen und die Oper nur dann zu spielen, wenn wirklich eine erstklassige Besetzung zusammengestellt werden kann. Auf der Bühne dominierten gesanglich und in der Rollenauffassung Hilde Güden mit ihrer hervorragend gesungenen Micaela und der stimmgewaltige Walter Berry, der für den Escamillo auch das sichere Auftreten und die nötige Überlegenheit hat. Nicola Filacuridis an sich gutes Stimmaterial wird barbarisch behandelt und entbehrt jeglicher Klangschönheit. Obwohl dem Sänger eine gewisse Intensität und voller Einsatz nicht abgehen, bleibt der Eindruck zwiespältig. Ira Malaniuk ist eine charmante und schöne Frau, der die Partie auch stimmlich gut läge, wenn…ja wenn. Sie ist eben keine Carmen. Die Partie liegt sogar außerhalb ihres Bereiches. Sie sollte sie in Wien lieber nicht singen. Diese Rolle haben Sängerinnen von Format schon oft nicht glaubhaft machen können. Es ist deshalb wirklich besser, wir beschränken die Ansetzung dieser Oper auf Zeiten, wo Giulietta Simionato, Jean Madeira oder Regina Resnik zur Verfügung stehen. Etwaigen Neuentdeckungen möge man Tür und Tor öffnen. Es würde sicher einmal interessant sein, die junge Fiorenza Cossotto zu hören. Sie hat das Zeug dazu, einmal eine weltberühmte Spitzengagenempfängerin zu werden. Um so erfreulicher wäre es, wenn sie auch noch jung und daher wesentlich billiger an der Wiener Oper sänge. Das Orchester befand sich unter Lovro von Matacic’ feuriger und dramatischer Direktion in blendender Musizierlaune und entschied den Kampf der Sprachen deutlich zu Gunsten von – George Bizet.
JULIUS CAESAR am 14. April
Aus Anlaß der Wiederkehr des zweihundertsten Todestages von Georg Friedrich Händel brachte die Oper eine würdige Aufführung dieses Werkes, die durch drei Künstler besonderes Niveau erhielt. Irmgard Seefried war die gesanglich vollendete und schauspielerisch wohldurchdachte Kleopatra. Eberhard Wächter in der Titelpartie sang großartig. Er ist in diese Gestalt seit der Neuinszenierung, in der er noch nicht restlos überzeugte, hineingewachsen und gebannt lauscht man seiner Prachtstimme. Als Ptolemäus setzte Gottlob Frick seinen dunklen, schönen Baß voll ein und erntete nach seiner Arie stürmischen Beifall. Ira Malaniuk sang die Cornelia, eine Partie, die nicht viel hergibt. Anton Dermota war anfänglich sehr unsicher und Edmond Hurshell ist in der Partie des Achillas nach wie vor eine Zumutung. Leider ist die musikalische Leitung des Werkes weiterhin unzufriedenstellend. Nach Heinrich Hollreisers Versager stand diesmal der versierte Wilhelm Loibner am Pult, der wahrscheinlich (in Wien auf jeden Fall) dieses Werk zum ersten Mal leitete und nicht immer Kontakt mit der Bühne hatte. Wir hoffen inständig, daß eine Dirigentenpersönlichkeit sich des Werkes annimmt.
RIGOLETTO am 15. April
Die einzige Umbesetzung in dieser Aufführung war die Partie der Maddalena, die an diesem Abend bei Jean Madeira gesanglich und darstellerisch in den besten Händen war. Ihr Kostüm war freigiebig dekolletiert. (Sie konnte sogar den gemütlichen Herzog etwas auf Touren bringen). Die restliche Besprechung ist gleich wie am 11. April.
TANNHÄUSER am 16. April
Berislav Klobucar hat sich seit seinem ersten Tannhäuser im großen Haus nicht unwesentlich verbessert. Bei dieser Aufführung konnte er besonders in den schwungvollen, jugendlich-romantischen Teilen des Werkes – so im Septett des ersten Aktes, im Vorspiel des zweiten und in der Hallenarie und dem nachfolgenden Duett – schöne Teilerfolge erzielen. Auch war die Aufführung klanglich ausgewogener als beim ersten Mal. Ludwig Suthaus kämpfte sich mit Mühe durch die beiden ersten Akte, was für das Ohr des Hörers bei Gott nicht angenehm war, wartete jedoch in dem ihm besser liegenden Dritten mit einer guten Rom-Erzählung auf. Diese nur teilweise passable Leistung wurde jedoch größtenteils durch seine Kollegen wettgemacht, denn in dieser Aufführung standen mehrere Persönlichkeiten von Format auf der Bühne. Zunächst waren zum ersten Mal die Damen wirklich gut besetzt. Christl Goltz war eine Elisabeth mit ruhiger edler Gebärde, zurückhaltend, gedämpft und verinnerlicht. Zum ersten Mal sahen wir eine Elisabeth, die nicht ihren Mantel ausgebreitet hatte und mit flatternder Fledermausgeste hereinrauschte. Da mußte wohl erst Christl Goltz kommen um zu beweisen, daß man Glück und Freude auch anders ausdrücken kann! Die Partie ist stimmlich sehr schwer. Sie verlangt neben der Tragfähigkeit eines dramatischen Soprans und dessen fülliger Mittellage auch die helle Lieblichkeit einer lyrischen Stimme für einzelne Teile des zweiten Aktes. Bewundernswert war das Stilgefühl und die technische Beherrschung, mit der Christl Goltz mit ihrer Stimme von fast schon hochdramatischem Kaliber die Elisabeth ausfüllt. Eine interessante Beobachtung konnte man sowohl bei ihr als auch bei der Venus Martha Mödls machen. Beide Damen spielten in jenem knappen, statuarischen Stil, den das stilisierte Bühnenbild als einzige Möglichkeit vorschreibt und den der Regisseur Josef Gielen so gar nicht angewendet hat! Er füllte ja geistreicherweise ein stilisiertes Bühnenbild mit guten alten Operngesten und Aufmärschen an, die da hineinpassen „als wie der Pontius ins Credo“. Der Intelligenz von Christl Goltz und Martha Mödl blieb es vorbehalten, gegen das Regiekonzept auftretend, die einzige Möglichkeit herauszufinden, in der man sich in diesen Kulissen halbwegs mit Würde bewegen kann. Auch bei Martha Mödl hörte man eine überzeugende Gesangsleistung. Eberhard Wächter, ein durchaus moderner Darsteller des Wolfram, ist sparsam in der Geste und um so ausdrucksvoller im edlen Gesang. Der Bayreuth-geschulte Josef Greindl vervollständigte als Landgraf die Besetzung der Persönlichkeiten. Wir nehmen an, daß es eine Weile dauern wird, ehe wir eine neue Tannhäuser-Inszenierung bekommen können. Wir schlagen deshalb vor, die Aufführung optisch etwas zu erbessern. Dazu müßte folgendes unternommen werden: Die Aufführung gehört statt auf ein viereckiges Podium auf eine Scheibe. (Wenn schon Bayreuth-Imitation, dann wenigstens eine gute). Die Gassen im ersten und dritten Akt gehören weg. Sie sind sinnlos, weil kein Mensch sie zum Auf- oder Abtritt benützt. Die Kugelbäume à la Giotto gehören weg. Der Rundhorizont allein genügt. Im zweiten Akt sollten alle Sternchen, Quastchen und Knöpfchen, die dem Bühnenbild das Aussehen des Wiener Postsparkassengebäudes verleihen, abmontiert werden. Außerdem sollte man statt der roten Plüschsessel glatte aus Holz aufstellen. Alle roten Mäntel und Gürtel gehören durch weiße oder blaue ersetzt. Die Minnesänger sollten neue Kostüme in weiß oder blau bekommen, ebenso der Landgraf. Die Pagen müßten anders kostümiert sein. Der dritte Akt kann so bleiben wie der erste, wenn er etwas einfallsreicher ausgeleuchtet wird. Die Choristen sollten zum Schluß weiße und nicht graue Kutten tragen. Außerdem gehört die Schlußapotheose anders beleuchtet (bei Apotheosen ist es nie stockfinster!). Unser neu engagierter Regisseur Wolf-Dieter Ludwig könnte sich da einmal drüber machen.
ARABELLA am 17. April, Übernahme aus Salzburg, Wiederholungen am 22. und 24. April
Eines der Hauptereignisse der Salzburger Festspiele war die hinreißende Wirkung der Neuinszenierung von Arabella, die man bis dahin sehr geschätzt, doch auch tiefer eingestuft hatte, als vieles andere von Richard Strauss. Damals ereignete sich der seltsame Fall, daß der abgebrühte Opernbesucher immer wieder mit den Tränen kämpfte. Da wir das Werk auch bis dahin schon ziemlich gut gekannt haben, konnte also nicht die Musik an jenem Zustand schuld gewesen sein, sondern nur die Aufführung. Genauer gesagt: die Besetzung mit der einmaligen Identifikation dreier Sänger mit ihren Rollen, von Lisa Della Casa, Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau. Und es war zu vermuten, daß jegliche Besetzungsänderung der Aufführung etwas von ihrem unvergleichlichen Zauber nehmen würde. Was dann auch prompt der Fall war.
Szenisch hat sich die Inszenierung durch ihre Übernahme nach Wien sogar nicht unwesentlich verbessert. Auf der Bühne der Staatsoper ist mehr Platz als auf der engen des Festspielhauses und so wirkt besonders das Ballbild luftiger und locker, aber doch gleich dicht in der Personenführung. Die Regie von Rudolf Hartmann erwies sich also auch in Wien als dezent, sicher und eben richtig. Auch akustisch hat die Einstudierung im Haus am Ring dazugewonnen. Unter Joseph Keilberths schwungvoller, schmiegsamer und eleganter Leitung, die Herz und Gefühl ebenso hatte wie Temperament und Glanz, spielte das Philharmonische Orchester mit erlesener Klangpracht, und die Stimmen der Sänger schwangen viel edler und schöner durch den Raum als im engen Schlauch des Festspielhauses. (Wir empfinden es schleierhaft, warum gegen das neue Festspielhaus derart polemisiert wird. Die Akustik kann nur besser werden!)
Lisa Della Casa war wieder die beglückende Interpretin der in unzähligen Facetten schillernden Frauengestalt. Sie hat die verspielte Heiterkeit der jungen Dame ebenso wie den Ernst des um sein Glück kämpfenden Menschen, die Leichtfertigkeit und Grausamkeit ebenso wie die tiefe Verzauberung und ebensoviel Stolz wie Liebe. Ihre Stimme schwebt blühend über dem schimmernden Strauss-Orchester.
Anneliese Rothenberger spielt das liebende Mädchen in Hosen voll Anmut, Charme und Innigkeit. Die Intensität und das Versinken des bezaubernden Persönchens wirkt einfach hinreißend. Sie vermag es, ihrer süßen, hellen, mädchenhaften Stimme noch immer ein wenig mehr an Gefühl, an Ausdruck, an Hingabe zu schenken, als man im Augenblick gerade erhoffen kann. Man hat fast den Eindruck, daß sie vor ihrer Stimme ihr Herz über die Rampe wirft.
Ira Malaniuk ist eine mit viel Humor und Charme gezeichnete gräfliche Mama, die ihre traumhaften Kleider (von Erni Kniepert stammen die wunderschönen Kostüme) so souverän über die Bühne trägt, wie sie sich in den Walzer des zweiten Aktes stürzt, von dem es scheint, er sei extra für Gräfin Waldner komponiert.
Mimi Coertse war eine ungemein sichere, stimmgewaltige Fiakermilli. Sie knallte ihre Jodler und Koloraturen ins Auditorium, wie wir es noch nie von einer Fiakermilli gehört haben. (Wir waren in Wien immer schüchterne Soubrettenstimmchen gewöhnt!).
Elisabeth Höngen fügte sich mit einer großartigen Studie als Kartenaufschlägerin würdig in dieses Superensemble der Damen.
Bei den Herren wurde man wesentlich nüchterner. Es ist klar, daß – momentan – jeder Mandryka nur ein Surrogat für Fischer-Dieskau sein kann. (Leider hat inzwischen George London seine Mitwirkung in der Festwochenaufführung abgesagt. In vier oder fünf Jahren werden wir ja dann auch schon Walter Berry und Eberhard Wächter zur Verfügung haben, die in ihrer Art wahrscheinlich auch hinreißend sein werden).
Carlos Alexander jedoch ist ein auf etwas filmische Weise gut aussehender, eleganter und bühnenwirksamer Mandryka, der mit einer an sich eher lyrischen, an verschiedenen Stellen kraß überforderten Stimme singt. Seine Geschicklichkeit in der Anpassung des Melodienbogens an sein Material ist allerdings höchst beachtlich. Einer, der das Werk nicht sehr gut kennt, könnte wirklich den Eindruck haben, es gehöre so. Der erfahrene Straussianer kann jedoch nicht umhin, die Routine als fast als Durchschwindeln zu bezeichnen. Als Notnagel zog er sich jedoch gut aus der Affäre, obzwar er auch im Spiel am Anfang zu glatt, zu verbindlich, zu wenig schwer, zu wenig Herr war. Im zweiten und dritten Akt wirkte er dafür wieder beleidigender als es gut und nötig ist. Aber wozu die vielen Worte, es ist sowieso nur ein Gast. (Daß ein Engagement von Fischer-Dieskau nicht gelungen ist, scheint gerade kein Ruhmesblatt für unsere Manager zu sein!)
Gegen den zweiten Gast des Abends, Howard Vandenburg, kann man viel weniger sagen, obzwar er viel schlechter war. Er rettete immerhin die Premiere. Wo sind die Zeiten, als Herr Vandenburg im Theater an der Wien als Lohengrin gastierte und als kommende Tenorhoffnung galt? Das Material ist sehr vielversprechend gewesen, aber der Sänger ist in seiner Entwicklung völlig stecken geblieben. Allerdings muß man noch hinzufügen, daß die Premiere der schwächste Abend war, und er sich bis zur dritten Aufführung ziemlich verbessert hatte. Der Matteo ist überhaupt schwer zu besetzen. Unsere beiden „Verhinderten“: Waldemar Kmentt zog eine Japan-Tournee mit dem ihm weniger liegenden Don Ottavio und dem Basilio (!!) vor. (Wenn man ihm letztere Partie in Wien anböte, möchten wir seine Empörung hören!) Ivo Zidek erkrankte an einer Rippenfellentzündung.
Musterbeispiele von guten, soliden Besetzungen waren hingegen Otto Edelmann als Waldner und Karl Terkal als Elemer. Hier sind die beiden Sänger gut und richtig am Platz, so etwas können sie im Rahmen der Wiener Staatsoper singen. Otto Edelmann ist in dieser Partie sogar ausgesprochen sympathisch und humorvoll. Harald Pröglhöf, verläßlich wie immer, und Karl Weber, der ebenfalls so wie immer war, ergänzten die Besetzung, die sich in den geschmackvollen, zartfarbigen Bühnenbildern von Stefan Hlawa sehr wohl zu fühlen schien.
Der Beifall brach bereits nach dem Duett Arabella-Zdenka im ersten Akt spontan los und steigerte sich zu Ovationen vor allem für die Damen Della Casa und Rothenberger und den Dirigenten Joseph Keilberth am Ende der Aufführung.
SALOME am 18. April
Nach der Absage von Karl Böhm leitete Berislav Klobucar sehr umsichtig die Vorstellung. Christl Goltz bot ihre gewohnt gute gesangliche Leistung. Leider nimmt das Überspielen bei dieser Partie immer mehr überhand. Diesmal wälzte sie sich sogar auf dem Silberteller mit dem Haupt des Propheten herum. Großartig gelang gesanglich und darstellerisch der Herodes von Ludwig Suthaus. Jean Madeira war die mondäne Herodias mit prachtvoller Tief. Leider mangelt es ihr dafür an Höhe. Sie leistete sich bei der Stelle „Ich will nicht haben, daß sie tanzt!“ einen Bombenschmiß. Carlos Alexander gefiel diesmal als Jochanaan weit mehr als im Herbst. Vor allem war er besser hörbar. Die kleinen Partien sangen Margareta Sjöstedt (Page) und Anton Dermota (Narraboth) gut. Das teilweise neu besetzte Judenquintett (Peter Klein, Fritz Sperlbauer, Kurt Equiluz, Murray Dickie und Viktor Madin) war von unterschiedlichem Niveau. Ganz hervorragend sang und spielte Peter Klein. Josef Greindl setzte seine Persönlichkeit für die Partie des ersten Nazareners ein. Beim Aufgehen des Vorhanges war es auf der Bühne noch stockdunkel und erst als Narraboth sein „Wie schön ist die Prinzessin heute Abend“ sang, ließ man den Mond aufgehen. Wo war wieder einmal der Abendregisseur?
FIDELIO am 19. April
In dieser Aufführung gab es eine interessante Begegnung mit einer für Wien neuen Sängerin, der in Hamburg wirkenden Siw Ericsdotter. Die Sängerin bringt für die Titelrolle die ideale Erscheinung mit. Sie ist groß und schlank, mit herbem, ernstem Gesicht. Die Stimme ist groß und tragfähig, metallisch und etwas kühl. Bis zum B („Töt erst sein Weib!“ sang sie hervorragend) ist die Stimme schön ausgeglichen. Die beiden H klangen jedoch etwas zu tief und ziemlich steif. Darstellerisch wirkt sie ruhig und verhalten, und so war der Gesamteindruck ein sehr einnehmender. Irmgard Seefried tut sich mit der Marzelline schon ziemlich schwer, sang jedoch mit Gefühl und Ausdruck. Einen hervorragenden Abend hatte Ludwig Suthaus, der die für schwere Stimmen besonders gefährliche Florestan-Partie mit Spannung und Ausdruck erfüllte. Edmond Hurshell kam als Pizarro wenigstens über die Distanz. Bei diesem Sänger ist man schon darüber froh. Otto Edelmann und Hans Braun waren als Rocco und Minister zu hören, Murray Dickie sang einen guten Jacquino. Es fiel auf, daß jeder der Sänger seine eigenen Striche und Textänderungen anbrachte. Daß dies ohne größeren Unfall abging, ist ein Wunder. Man müßte dieses Kapitel einmal näher beleuchten! Wieder dirigierte Joseph Keilberth einen packenden, intensiven und spannungsgeladenen Fidelio und wurde mit dem Orchester nach der Dritten Leonoren-Ouvertüre gebührend umjubelt.
ELEKTRA am 20. April
Diese Elektra war eine hervorragende, ja eine Galaaufführung. Sie war auch dementsprechend voll, und es herrschte große Stimmung. Karl Böhm, herzlich begrüßt, wie alle Dirigenten von Format, die an das Pult der Wiener Staatsoper treten, dirigierte mit jugendlichem Feuer, und der Abend hatte ein Höchstmaß von Dramatik und echt Strauss’scher Farbenpracht. Christl Goltz war wieder die eindrucksvolle, wilde, glühende Elektra, die durch den Kontrast zu Lisa Della Casa noch mehr wirkte. Lisa Della Casa macht aus der Chrysothemis eine Gestalt von klassischer Ruhe und gebändigtem Gefühl. Um so ausdrucksvoller wirkt sie dann im Ausbruch von Verzweiflung oder Freude. Stimmlich brachte sie es fertig, die Partie bis auf einige ganz wenige Töne zu singen. Obwohl sie fast nie in Versuchung kam zu schreien, was bei der Chrysothemis ganz außergewöhnlich ist, überglänzte ihr wunderschöner Sopran mühelos das Orchester. Herrlich war das Duett der beiden Schwestern unmittelbar vor Elektras Tanz. Jean Madeira ist dann am besten, wenn sie ihre Sexbomben-Masche nicht anwenden kann. Da konzentriert sie sich nämlich aufs Singen, und die tief liegende Partie der Klytämnestra kommt ihr dabei sehr entgegen. Ausdruck und Spiel sind überzeugend. Ludwig Suthaus und Kurt Böhme zeigten als Aegisth und Orest Format und waren auch stimmlich bestens disponiert, sodaß es einen ganz großen Erfolg und viele Vorhänge gab.
EIN MASKENBALL am 21. April
Selbst Ulrica wäre es schwer gefallen für diese Vorstellung den richtigen Abenddirigenten zu prophezeien: In der Vorankündigung standen Josef Krips und Michael Gielen, im Wochenspielplan Lovro von Matacic, am Pult erschien dann der immer verläßliche Berislav Klobucar, dem nun die undankbare Aufgabe zufiel, anstelle der Absagenden die Vorstellung zu leiten. Nach einigen Schwierigkeiten in der Ouvertüre, der sowohl die nötige Leidenschaft wie auch gewisse Glanzlichter fehlten, fand er Kontakt mit Orchester und Bühne und entledigte sich seiner Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. Nicht einmal Jean Madeiras bitterböse Blicke konnten ihn irritieren, als er die von ihr (nicht vom Komponisten) stammende Fermate am Schluß der Arie nicht beachtete und ungerührt – aber partiturgerecht – weiterging. Nun zu den Solisten: Claudia Paradas Amelia war uns schon bekannt, der Eindruck fast ebenso zwiespältig, wie bei ihrem Debüt und im zweiten Bild, vor allem wegen der mangelhaft geführten Kantilene, fast schlecht zu nennen. Diesmal lagen aber keine mildernden Umstände wegen Einspringens vor! Der dritte Akt war mittelmäßig, der letzte Akt aber schön gesungen. Vielleicht wäre es der Sängerin doch möglich, den zweiten Akt technisch ordentlich durchzuarbeiten, damit man nicht sofort einen schlechten Eindruck gewinnt, der sich dann im Laufe der Aufführung als durchaus nicht voll berechtigt herausstellt. Jean Madeira vermochte in der tiefen Lage zu begeistern, in der höheren zu gefallen. Liselotte Maikl gewinnt zusehends mehr Sicherheit in den schwierigen Passagen des Oscar und führte prachtvoll das Ensemble im zweiten Bild. Gianni Poggi (anstelle von Eugene Tobin) war wieder der Riccardo und gefiel durch seine sichere, kultivierte Stimmführung, seine große Bühnenroutine und sein sympathisches Auftreten. Dasselbe läßt sich von Aldo Protti sagen, dessen Stimmgewalt immer auf Neue verblüfft. Die kleinen Partien waren ausreichend besetzt. Die Aufführung hinterließ besonders durch die prachtvoll gesteigerten Finali den guten Eindruck befriedigender Repertoirevorstellungen, wie wir sie uns wünschen.
ARABELLA am 22. April
wurde mit der Premiere am 17. April besprochen.
WOZZECK am 23. April
Da soll noch einmal einer sagen, die Wiener Philharmoniker können keine moderne Musik spielen! Sie können, wenn sie wollen. Aber sie wollen eben nur, wenn sie von einem Werk überzeugt sind. Und beim Wozzeck sind sie das. So kam es zu einer der orchestral besten Aufführungen, die wir bisher hören konnten, voll Konzentration, Dichte, Ausdruck und instrumentaler Feinheiten. Man denke doch an das derb-stampfende Nachspiel der Schenkenszene, das übergeht in den hauchzarten Summchor der schlafenden Soldaten, das unheimliche Glitzern und Flirren, mit dem die düstere Moorlandschaft und das schwarze Wasser in dem Wozzeck versinkt, fast fühlbar gemacht werden, das sich aufbäumende tutti H nach der Mordszene und die synkopierte cool-jazz der Café-Szene und vor allem an das erschütternde Zwischenspiel zum letzten Bild, in dem ein Großer das Gefühl des Hörers unmittelbar anspricht. Das ist moderne Musik! Obwohl sie vierzig Jahre alt ist! Walter Berry und Christl Goltz sind zweifellos die idealen Sing-Schauspieler für den Wozzeck und die Marie. Die beiden Künstler faszinieren immer wieder durch Gesang und Darstellung. Peter Klein und Laszlo Szemere wirkten verdienstvoll in den beiden Tenorpartien. Als Doktor war ein Gast aus Graz zu hören und wir müssen konstatieren, daß der Grazer Gast besser ist als die Wiener Originalbesetzung: Wolfram Zimmermann war der Doktor, der zum Unterschied von Karl Dönch, der nicht einmal die Tonhöhe annähernd richtig anschlägt, die Partie sang. Das kann man nämlich auch! Er sang mit einer kräftigen Baritonstimme, die nur in der Höhe nicht sehr ergiebig zu sein scheint, aber klug im Baßbuffofach eingesetzt wird, wo das ja nicht so wichtig ist. Man könnte fast in Versuchung kommen, sich Wolfram Zimmermann in verschiedenen, schwer zu besetzenden kleineren Partien, etwa als Achillas, Avosmediano, Mesner, Masetto, Bitterolf, usw. vorzustellen. Er könnte jedenfalls mühelos die Herrn Edmond Hurshell, Norman Foster und Carlo Schmidt ersetzen. (Wir werden noch in den Verdacht kommen, einen Graz-Komplex à la Schneiber zu haben, aber einzelne Grazer Sänger wären wirklich recht brauchbar!).
ARABELLA am 24. April
wurde mit der Premiere am 17. April besprochen.
DIE ZAUBERFLÖTE am 25. April
Mit Recht hat sich Leontine Price die Pamina für ein Wiener Gastspiel ausgesucht. Warum soll sie immer nur die Bess und die Aida singen? Nun hat die Wiener Staatsoper eine ganze Galerie hervorragender Paminen. Daß sich Leontine Price in dieser Zauberflöte trotzdem so behaupten konnte, spricht für sie, ihr Können und ihre Persönlichkeit. Zuerst ist das wilde Timbre, die gewisse Träne in der Stimme, die allen Negersängern eigen ist, ein klein wenig fremd für das Ohr des Mozart-Fanatikers, der in dieser Partie an glattere Stimmen gewöhnt ist. Doch nach einigen Minuten merkt man das nicht mehr und ist über den kultivierten, gefühlvollen Gesang begeistert. Die Prosa geriet allerdings etwas süßlich, wie das bei Amerikanerinnen nun einmal üblich ist. Rudolf Schock dürfte – nach dem in den höheren Lagen angegriffenen Organ zu schließen – am Rande einer Stimmkatastrophe stehen. Dabei ist er doch ein ausgezeichneter Techniker! Wenn man es trotzdem schon hört, ist das sehr bedenklich. Walter Berry sang einen bezaubernden Papageno mit klug gebändigter Stimme und voll von eigenen, lustigen Einfällen. Walter Kreppel ist zwar nicht dem Timbre nach, doch durch seine Gesangslinie, durch seine Ruhe und durch seinen Stil für seriöse Baßpartien wie geschaffen. Peter Klein und Eberhard Wächter boten Meisterleistungen in ihren kleinen Partien. Mimi Coertse singt merkwürdigerweise die wesentlich schwierigere zweite Arie der Königin, wahrscheinlich weil ihr das Dramatische besser liegt, um einiges bravouröser als die erste, bei der nicht immer alles sitzt. Liselotte Maikl, die Damen Gerda Scheyrer, Elisabeth Höngen, Georgine Milinkovic und drei bezaubernde Sängerknaben vervollständigten die Besetzung dieses schönen, echt wienerischen Mozartabends, an dem Joseph Keilberth am Pult stand und Kraft und Gefühl gleicherweise walten ließ. Er hat eine wunderschöne, lebendige Zauberflöte mit blühendem Klang gemacht, obwohl er bei unseren Boulevardblättern gerade nicht „modern“ ist. Weiß Gott, was für Maßstäbe diese Herren anlegen und was für Gründe für einen Verriß einer großen Leistung maßgeblich sind!
EIN MASKENBALL am 26. April
Ein gesellschaftlicher Fauxpas ereignete sich an diesem Abend im letzten Akt: Dem Pagen Oscar fiel die Maske aus der Hand, der galante Aldo Protti hob sie zuvorkommend – auch in Hosen die Dame respektierend – auf, und bedachte nicht, daß dies kaum die Aufgabe des Freundes des Fürsten gegenüber einem Pagen sei. Restliche Besprechung wie am 21. April.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 27. April
Und wieder Mozart! Diesmal gab es Günther Rennerts herrlichen Figaro im großen Haus unter Karl Böhms Stabführung. Der „tolle Tag“ spielte sich in bester Stimmung ab, die Mozart’sche Poesie kam aber erst im vierten Akt ganz zur Geltung. Vorher klang das Orchester manchmal zu laut und zu dick. Einige Sänger hatten in dieser Inszenierung noch nicht gesungen, und es spricht für Günther Rennert und seine Regie, daß es trotz fehlender Proben zu keinem Durcheinander kam. Die Regie ist eben so durchdacht und logisch und dem Bühnenbild so angepaßt, daß der natürliche Weg auch immer der richtigste ist. Wenn man das doch von allen anderen Inszenierungen des Hauses auch sagen könnte! Figaro war diesmal Walter Berry, der im ersten Akt stimmlich und darstellerisch sehr zurückhaltend, fast zu zurückhaltend blieb. Vielleicht hat es ihn nervös gemacht, daß er einen Figaro im großen Rahmen in Wien noch nie gesungen hat. Im zweiten Akt taute er jedoch auf und dann stand wieder der Walter Berry auf der Bühne, den wir gewöhnt sind: Heiter und liebenswürdig, immer persönlich und eigenständig, mit schön geführter Stimme und kräftigem Bühnentemperament. Irmgard Seefried hatte im vierten Akt mit der Rosenarie ihren Höhepunkt. Eberhard Wächter, unser stimmgewaltiger, bei allem Temperament doch immer nobler Standard-Graf hatte diesmal in Lisa Della Casa eine besonders schöne, charmante, stilvolle Gräfin, mit herrlichem, ausgewogenem und glanzvollem Mozartgesang. Margareta Sjöstedt sang wieder einen netten Cherubino mit hübschem, hellem Mezzo. Elisabeth Höngen ist eine derart charmante Marzelline, daß man sich nur über Dr. Bartolo wundern kann, warum er diese Perle nicht 25 Jahre vorher geheiratet hat. Anny Felbermayer, Peter Klein und Harald Pröglhöf wirkten verdienstlich in kleinen Rollen. Endre Koréh und Erich Majkut kamen jedoch nicht ohne stimmliches und darstellerisches Outrieren aus.
BALLETTABEND am 28. April
AIDA am 29. April
Eine gute Aida ist doch etwas Herrliches! Diese Vorstellung war wirklich ein Ereignis, das seine besonderen Preise durchaus verdiente und jedem, der sie nicht gehört hat, kann leid darum tun. Außerdem war dieser Abend dazu angetan, verschiedenen Ensemble-Theorien den Todesstoß zu versetzen. Es gibt nicht bald eine mehr zusammengestoppelte Aida als diese. Sopranistin aus USA, Alt und Bariton von der Scala Milano, der Radames kam von der Pariser Oper und die beiden Bässe, von denen einer debütierte und wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben italienisch sang, sind Deutsche und der Dirigent ist Jugoslawe. Und wer die Probenverhältnisse an der Wiener Oper kennt, wird wissen, daß sich die Sänger wahrscheinlich nicht mehr als „Guten Tag“ gesagt haben. Und doch standen sie auf der Bühne, als seien sie miteinander aufgewachsen. Doch ordneten sich die vielfältigen Personalstile einem Gedanken unter: Dem Format der Aufführung. Interessant! Eines gehört natürlich dazu: Format bei allen. Und das war vorhanden. Lovro von Matacic dirigierte seine bisher beste Aida. Er ließ die Melodie strömen und rollte das große Finale wie einen bunten Zauberteppich vor uns auf. Er hatte die kraftvolle, große Steigerung ebenso wie zarte, subtile Naturschilderung, Farbe, Linie, Temperament und Stil. Leontine Price, von der wir letztes Jahr noch sagten, sie singe die Aida hervorragend, ihre Stimme habe aber nicht das richtige Kaliber dafür, hat dieses mittlerweile bekommen. Die Stimme strömt frei und sicher, voll von Herzensgüte und Gefühl, Kraft und Kultur. Darstellerisch ist sie ebenso überzeugend. Die Sklavin Aida wirkt jeden Augenblick königlich. Und das alles ohne große Gesten, aber mit allerfeinster Charakterisierung. (Wir würden sie gerne als Nedda, Butterfly, ja sogar als Salome wieder sehen!). Giulietta Simionato, die Große, die Einmalige, zog alle Register ihrer einzigartigen Orgelstimme. Und in welchem Stil sie dabei singt, mit welcher Feinheit der Phrasierung, mit welchem Ausdruck! Wenn andere Sängerinnen schluchzend auf den Knien herumrutschen, macht sie eine einzige Handbewegung und die Szene hat Profil. Welch eine Persönlichkeit! Welch eine Stimme hat dieser Dimiter Usunow! Es ist natürlich eine Naturstimme. Sie wird immer schöner, je mehr sie beansprucht wird, immer strahlender, je höher die Partie wird, immer frischer, je länger die Oper dauert. In der Gerichtsszene hatte man das Gefühl, er sei eben erst eingesungen! In der Phrasierung kann er freilich übertroffen werden, nicht nur von Italienern, sondern etwa auch von Jon Vickers, kaum aber in der mitreißenden Kraft seines Gesanges. Wohl haben auch wir bemerkt, daß er den ganzen Abend über nicht einmal versucht hat, einen Piano-Ton zu singen. Aber das macht nichts aus. Es war auch nicht störend, daß er den Brustkasten aufblies, die Arme von sich streckte und die Muskeln an den Beinen spielen ließ wie ein Mister Universum. Er tat es mit einem gewissen Geschmack – und schließlich kann er sich’s leisten. Am eindrucksvollsten war jedoch die „Celeste Aida“, die doch sonst von kultivierten auf-Linie-Sängern wie Carlo Bergonzi weit besser gemeistert wird als von Naturstimmen. Aber Dimiter Usunow hat es eben. Was für eine Stimme für Othello und des Grieux, Cheniér und Kalaf, Bajazzo und Don José! Wir hoffen, Dimiter Usunow bald wieder zu hören! Aldo Protti sang einen stimmgewaltigen, souveränen Amonasro. Walter Kreppel war wieder als würdevoller Ramphis zu hören. Ludwig Welter tat sich bei seinem Debüt schwer. Es ist keine Kleinigkeit, aus der Provinz kommend in eine solche Aufführung einzusteigen. Er wird sich bessern. Solch frenetische Jubelstürme wie an diesen Abend hat das Haus nur selten erlebt (die Umbaupausen nach Nil- und Gerichtsszene wurden durchapplaudiert!).
DON GIOVANNI am 30. April
Eine schöne Vorstellung hörte man zum Abschluß des ereignisreichen Monats. Karl Böhm dirigierte feinnervig, stil- und temperamentvoll und Eberhard Wächter überbot sich in der Titelrolle selbst. Stimmlich und darstellerisch beginnt er immer mehr die Gestalt einer Idealbesetzung anzunehmen. Otto Edelmanns eigentlichem Fach wäre der Leporello ja zuzuzählen, doch stört sein in dieser Partie besonders unkorrektes Singen – sowohl in Bezug auf Takt, als auch auf Tonhöhe. Außerdem fehlt ihm für Mozart einfach die Kultur. Rudolf Schock (mit einem Schmiß!) und einer mühsam durchgestandenen zweiten Arie, die doch sonst sein Glanzstück war, stellte seine schlechte Verfassung neuerdings unter Beweis. Wie wird das beim Bayreuther Stolzing enden? Josef Greindl (Komtur) und Harald Pröglhöf (Masetto) standen auf der Höhe ihrer Aufgaben. Die Damen sangen ausgezeichnet. Lisa Della Casa war als Elvira zu hören, in einer wesentlich dramatischeren Auffassung, vornehm, schön und mit edlem Gesang. Irmgard Seefried sang die Zerlina kultiviert, besonders die Arien und das Duett mit Giovanni. Als Donna Anna hörte man einen Gast, Ingrid Bjoner aus Düsseldorf. Es spricht nicht für unsere Ensemble-Annas Hilde Zadek und Teresa Stich-Randall, daß nun schon die zweite gastierende Sängerin glatt um eine Klasse besser ist! (Claire Watson war die Erste.) Die junge Dame hat neben den Vorzügen eines guten Aussehens und echten Theatertemperaments auch noch eine etwas nordisch-kühle, aber beherrschte und im forte glanzvoll aufstrahlende Stimme mit Tendenz zum dramatischen Sopran aufzuweisen. So stellen wir uns zum Beispiel eine gute Repertoiresängerin vor! Vielleicht könnte man Ingrid Bjoner auch noch in anderen Partien zu hören bekomme. (Chrysothemis oder Tannhäuser-Elisabeth etwa!).