DER JUNI 1959

4. Jahrgang, Heft 7

 

EREIGNISREICHER JUNI        

Von allen Seiten strömten sie herbei: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen!“ Und die Wiener Staatsoper  bot ihnen gastlich Platz. Es ist fast schon so, daß die Wiener selbst in der Fremdenverkehrssaison nur nach Anstellschlachten in das Haus hineinkommen. Verkaufen könnte man allerdings die Karten für drei Häuser. Es ist klar, daß die Rechnung des Finanzministers aufgegangen ist, der Karajan nicht aus besonderer Sympathie und auch nicht seiner blauen Augen wegen ein so enorm hohes Budget bewilligt hat. Karajan hat einen nicht nur von den Sängern, sondern auch vom Programm her hochinteressanten Festwochenmonat geliefert, und dem Wiener „Festwöchner“ half nur allerschärfste Kalkulation dazu, sein persönliches Programm zwischen Tristan und Wozzeck, di Stefano und Bastianini,  Simionato und Nilsson auszubalancieren und sich dazwischen noch um Karten anzustellen.

Die Ausländer werden sich nicht schlecht gewundert haben, wie schnell Wien wieder an die Spitze vorgestoßen ist. Die üblichen Wermutstropfen im Freudenbecher waren natürlich vorhanden: Größtenteils kamen sie von den aus den Königreichen Hilbert und Böhm übernommenen „Ensemblemitgliedern“, von ein paar schlechten Inszenierungen (Don Giovanni, Die Frau ohne Schatten, Aida und Rigoletto) und von einigen krassen Fehldispositionen. So setzte man den ersten Rosenkavalier, den Karajan in Wien hätte dirigieren sollen, ausgerechnet in die Probenzeit zum Tristan und zum Verdi-Requiem, sodaß Karajan wahrscheinlich über Edelmanns Absage heilfroh gewesen ist und diese zum Anlaß genommen hat, den Abend in einen Figaro umzuwandeln. Roboter ist er trotz seiner immensen Arbeitswut ja schließlich auch keiner. Und daß die Wiener Staatsoper sich gar nicht ernsthaft bemüht, eine wirklich in jeder Hinsicht gute Besetzung der

Frau ohne Schatten auf die Bühne zu bringen, ist schon mehr als blamabel. Wäre Karl Böhm Operndirektor geblieben, hätten wir wahrscheinlich zweimal im Jahr die Oper besucht: Einmal bei Wozzeck und einmal bei der Frau ohne Schatten. Und es sieht fast wie Sabotage aus, daß ausgerechnet eine der beiden Böhm’schen Glanzpunkte auf einmal nicht ordentlich zu besetzen ist. Irgend jemand wird sich schon finden, der sagt: „No seht’s! Nicht einmal eine Frau ohne Schatten bringen die jetzt mehr zusammen!“

Das ist nun einmal so in Wien. Ohne Ärger geht es nicht. Heuer sind wir mit den Wagneraufführungen zufrieden gewesen, dafür fiel Richard Strauss zum Teil flach. Wir sind wirklich neugierig, ob eine Kombination aller unserer (wie man zugeben wird, nicht gerade bescheidenen) Wünsche – aber wir sind schließlich in Wien – einmal gelingen wird.

 

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 1. Juni

Mit diesem Werk begann die Wiener Oper den Juni und der Komponist Francis Poulenc hatte zum ersten Male Gelegenheit, die erstklassige Aufführung seines Werkes zu sehen, in der unter der Stabführung von Heinrich Hollreiser (der langsam schon wieder schlechter, weil derber und lauter wird) Elisabeth Höngen, Christl Goltz, Irmgard Seefried und Anneliese Rothenberger ihre profilierten und persönlichen Leistungen boten.

MANON LESCAUT am 2. Juni

In der dritten Manon-Aufführung dieser Saison in der bekannten Besetzung Antonietta Stella, Giuseppe di Stefano, Walter Berry, bot die Darstellerin der Titelrolle eine Leistung, die sie besonders im vierten Akt, der ihr bisher am wenigsten zu liegen schien, zu einer wahrhaft kongenialen Partnerin Giuseppe di Stefanos machte. Plötzlich wußten wir, was uns in den beiden ersten Vorstellungen gefehlt hatte: Manon starb hier wirklich einen qualvollen Tod und die Angst vor diesem Sterben, der letzte sich aufbäumende Wille zum Leben, das langsame Hinüberdämmern, all das schenkte uns die Künstlerin Antonietta Stella in einer Vollendung, die mit Giuseppe di Stefanos Persönlichkeit zu einer glücklichen Einheit verschmolz. Dazu war ‚il tenore’ in bester stimmlicher Verfassung, die Spitzentöne hatten unvergleichlichen Glanz. Der Ausdruck schien an die Grenze des Möglichen gerückt. Giuseppe di Stefano ist der ‚Sänger der Verzweiflung’; (man denke nur an sein Zusammenbrechen über den Leichen von Manon und Carmen.) Prächtig wieder Walter Berry als Lescaut, am Pult Francesco Molinari-Pradelli, der in gewohnt sicherer Art Orchester und Bühne fest in der Hand hatte.

WOZZECK am 3. Juni

Alban Bergs aufwühlendes Seelendrama stand an diesem Abend auf dem Programm und wieder beeindruckte das Orchester am meisten, das spielte, als würde es überhaupt nichts anderen tun als Berg aufzuführen. Und die Kombination des edlen, süßen, warmen Klanges der Wiener Philharmoniker mit dieser abgründigen, pessimistischen, erbarmungslos harten und geheimnisvoll flimmernden Musik ist immer aufs neue faszinierend. Walter Berry und Christl Goltz beherrschten als Sänger und als Persönlichkeiten die Bühne. Man wird an den beiden Sängern, die man in ihren Rollen jetzt auch schon ziemlich oft gehört hat, immer wieder neue Nuancen, neue Akzente, neue aus dem Augenblick geschaffene Ausdruckssteigerungen bewundern können – das beste Zeichen wirklich großen Formates. Die Herren Peter Klein, Laszlo Szemere, Murray Dickie, Marjan Rus und Harald Pröglhöf assistierten den Hauptrollenträgern mit gewohnter Sicherheit und der gastierende Wolfram Zimmermann bewährte sich in der Partie des Doktors wieder außerordentlich gut. Karl Böhm war der hervorragende Dirigent dieser hochinteressanten Aufführung.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 4. Juni

war ein schöner Abend. Neu ins altbewährte Ensemble trat George London, der sich gut in die Inszenierung einfügte, schauspielerisch manchmal aber nicht ganz der Herr aus altem Adel war. Christa Ludwig, die unter Karl Böhms Leitung wieder die altvertraute, schlichte Fassung der zweiten Cherubinarie sang, ist manchmal schon zu sehr im Rosenkavalier befangen und dem ‚fanciullo’ entwachsen. (Cherubino darf doch beim Liebesgeständnis an die Gräfin nicht so handgreiflich werden! Wo bleibt da die gute Sitte!) Elisabeth Schwarzkopf sang ihre unvergleichliche Gräfin. Irmgard Seefried und Erich Kunz waren stimmlich hervorragend disponiert, vergaßen aber im letzten Bild auf die schauspielerische Zucht. Karl Böhm dirigierte die beiden ersten Akte sehr beschaulich, doch immer auf Anmut und Leichtigkeit bedacht. Dann straffte er das Tempo und das letzte Bild geriet etwas verhetzt. Aber schön war er trotzdem, dieser Figaro! Nicht einmal der eifrigste Verfechter des „Ensemblegedankens“ konnte an jenem Abend Grund zur Klage finden!

EIN MASKENBALL am 5. Juni

Ohne überheblich werden zu wollen, müssen wir anfangs gleich feststellen: Diese Aufführung wird jedem ein unvergeßliches Erlebnis bleiben! Drei italienische Prachtstimmen und ein italienischer Klassedirigent waren die Stützen des Abends. Der Riccardo Giuseppe di Stefanos wird in die Wiener Operngeschichte eingehen. An diesem Abend gesellte sich zu seiner schon bekannten konkurrenzlosen darstellerischen Leistung eine so glückliche stimmliche Tagesverfassung, daß jede Kritik vor dieser Künstlerpersönlichkeit verstummen muß. Hier verbindet sich in einem Sänger das, was die verständigen Wiener Opernliebhaber  schon immer richtig zu schätzen wußten und dementsprechend auch mit frenetischem Beifall bedachten. Eine herrliche Stimme, technisch durchgebildet bis ins verhauchende Pianissimo, in restlosem Einsatz, und ein intensiv durchgeistigtes Spiel mit einem „non plus ultra“ an Ausdruck. Unsere Generation darf sich glücklich schätzen, diesen Sänger hören und sehen zu dürfen. Neben ihm auf der Bühne zu bestehen gelang seiner Partnerin Antonietta Stella hervorragend. Ihr frauliches ergreifendes Spiel krönte eine makellose stimmliche Leistung. (Hätte nur jede Sopranistin so sicher gesungene Spitzentöne!) Auffallend der gekonnte Einsatz eines echten Gefühlsatmens beim Singen. Diese Amelia ist eine vollendete Leistung. Wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen in anderen Partien. Rein darstellerisch mußte er abfallen, das wußten wir. Doch er ist der Stehbariton! Seine männlich-edle, weiche Stimme, die sich erst in der hohen Lage richtig wohl fühlt, fließt wie Balsam. Sie ist so schön, daß der Mangel an schauspielerischem Einsatz einem nicht sehr abgeht. Die große Arie gelang herrlich. Es war Ettore Bastianinis bester Abend in Wien. Rita Streich fiel bei dieser Glanzbesetzung mit ihrem Oscarino ab (lobenswerterweise schenkte sie sich diesmal das überflüssig eingelegt hohe d im Ballakt). Jean Madeira als Ulrica scheint in einer stimmlichen Krise zu stecken. Noch dazu ist sie sehr bemüht, in der tiefen Lage Giulietta Simionato zu kopieren, was ihr jedoch kaum (in der Höhe überhaupt nicht! ) gelingen dürfte. Ansonsten war sie nur auf Effekt ausgerichtetes Spiel bedacht. (Gott sei Dank! hat Ulrica wenig Gelegenheit ‚sexy’ zu sein!). Francesco Molinari-Pradelli war der versierte Leiter der Aufführung, vielleicht weniger in der Präzision, als in der sicheren Verbindung von Bühne und Orchester, mit schwungvollem italienischen Brio.

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 6. Juni

Welch himmelhoher Unterschied! Diese Aufführung dirigierte Karl Böhm. Er meisterte alle Klippen dieses äußerst schwierigen Werkes mit Kraft und Elan. (Aus der Orchesterleistung besonders hervorzuheben ist das von Herrn Brabec meisterhaft gespielte Cellosolo im zweiten Akt). Als Kaiserin zeigte sich Maud Cunitz aus München. Sie geizte hier nicht mit schrillen und zumeist etwas zu tief gesungenen Tönen. Elisabeth Höngen stand ihr als Amme zur Seite. Sie vermag jederzeit stimmlich auf der Höhe, dieser Partie immer neue, interessante Züge zu verleihen. Als Kaiser sah man Walter Geisler. (Man sah ihn, hören konnte ihn auch das geübteste Ohr nur selten.) Das Färberpaar bildeten Christl Goltz und Paul Schöffler. Stimmlich beherrschte Christl Goltz jederzeit die Bühne. Wenn sie sich einige darstellerische Übertreibungen abgewöhnen könnte, würde ihre Färberin eine vollendete Leistung sein. Paul Schöffler bot eine ausgezeichnete Charakterstudie. Leider war im Schlußquartett von ihm fast nichts mehr zu hören, was aber teilweise Schuld des Dirigenten war. Edmond Hurshell hat auch als Geisterbote nichts auf der Bühne der Wiener Staatsoper verloren. Dringendst notwendig wären drei neue Wächter der Stadt. Die übrigen „Stimmen“ quälten sich recht und schlecht bis zum Ende durch. Trotzdem gab es nach der Aufführung herzlichen Beifall. Man ist froh, wenn man das gewaltige Werk wieder einmal hört. Doch ist gerade bei einem so selten gespielten, kostbaren Stück eine hundertprozentig erstklassige Aufführung unbedingt nötig. Es geht nicht an, daß sich die Frau ohne Schatten progressiv verschlechtert.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 7. Mai

Über die Absage des Rosenkavaliers unter Karajan mit Schwarzkopf , beide erstmals in Wien, auf den wir uns seit  einem vollen Jahr gefreut hatten, verärgert, besuchten wir  diese  Ersatzvorstellung. Schon nach einer halben Stunde war der Ärger verflogen, denn ein unaussprechlich schöner, in jeder Form vollendeter Abend war das Pflaster auf die schmerzende Wunde. Herbert von Karajan, dem die bestens aufgelegten Musiker auf jede kleinste Anweisung schnellstens folgten, war ein Mozartdirigent par excellence. Nach einer revolutionär raschen Ouvertüre gab es orchestrale Feinheiten am laufenden Band. Die Spannung der Aufführung ließ keine Sekunde nach! Auf der Bühne überboten sich Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin, Hilde Güden als Susanna und Christa Ludwig als Cherubino an Aussehen, Charme und Stimmkultur. Welchen der drei Künstlerinnen man an diesem Abend die Krone reichen wollte, bleibt letzten Endes dem Geschmack jedes einzelnen überlassen. Figaro war wieder Erich Kunz, der, wie zumeist in Chef-Aufführungen, auf seine Spaßetteln verzichtete und dadurch noch mehr Wirkung als üblich erzielte. George London sang mit seiner schweren dunklen Stimme den Grafen, dem er seine stattliche Erscheinung und herrisches Gehaben schenkte. Bewundernswert das Stilempfinden des Künstlers, seine Nuancierung und Wortdeutlichkeit in dieser Rolle. Da die Nebenrollenträger ebenfalls einen ausgezeichneten Tag hatten, war man so animiert, daß man nach dem Fallen des „Eisernen“ am liebsten sitzen geblieben wäre, um noch einmal den „Tollen Tag“ vom Anfang an zu bewundern, der für einige Stunden den verschobenen Rosenkavalier vergessen ließ.

CARMEN am 8. Mai

Herbert von Karajan ließ am ersten Abend die Musik Bizets leuchten, funkeln und sprühen. Giuseppe di Stefano, der Tenor, der eigentlich gar keiner sein dürfte, weil er so intelligent, so gefühlvoll, so stark im stimmlichen wie im mimischen Ausdruck ist, der auf der Bühne aussieht wie ein Star aus Cinecittà und der ganze Scharen von jugendlichen Liebhabern und romantischen Helden aller Theater an die Wand zu spielen vermag, ist seit dem Vorjahr weit dramatischer geworden, was sich darin auswirkte, daß sein blühendes Piano in der Blumenarie und im Duett einem etwas strapaziert klingenden Forte gewichen ist. Die Zeiten des Nemorino sind vorbei, Andrea Cheniér Bajazzo und Radames fordern ihren Tribut. Einesteils ist es schade um den süßen, weichen Goldglanz des lyrischen di Stefano, andererseits: wer singt schon im dritten und vierten Akt Carmen mit derartigem Ausdruck, mit solch mitreißender, packender Kraft? Wir sind glücklich, ihn lyrisch erlebt zu haben (Edgardo!) und freuen uns über jeder seiner großen Abende. Hilde Güden sang In beiden Abenden die Micaela feinziseliert, schön geformt, nobel und wohllautend. Hermann Uhde war ein Toreador, der fast eher die hervorragende Figur eines echten Matador als  die eines Opernsängers sein eigen nennt. Er spielte einen eleganter, bleichen Granden mit großer Geste und Persönlichkeit. Stimmlich hatte er immerhin alles, wenn auch hier der Glanz fehlte. Jean Madeira bot ihre gewohnt gesungene und gespielte Carmen. Überraschungen hat sie keine zu bieten. Die Damen Lotte Rysanek, und Hilde Rössel-Majdan (wir haben beide schon besser gehört) und die Herren Ljubomir Pantscheff, Murray Dickie und Harald Pröglhöf bildeten die weitere Besetzung des ersten Abends. Norman Foster sang einen derart katastrophalen Morales, daß selbst durch das Parkett ein Raunen des Schreckens ging.

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 9. Juni

Wir haben es ja gleich gesagt – und uns teilweise in Widerspruch gegen die öffentliche Meinung auf der Galerie gesetzt – das Werk ist sicher nicht schuld, wenn die Holländer-Premiere daneben ging. Das bewiesen die ausgezeichneten Gesangssolisten. Birgit Nilsson, die eine Senta sang, wie wir sie wirklich noch nie gehört haben, mit strahlendem Stimmglanz, kluger Nuancierung (Ballade!) und mitreißender dramatischer Kraft. Otto Wiener ist natürlich kein dämonischer Holländer wie Hans Hotter oder George London. Aber er macht aus dem Fehlen des Dämonischen sehr klug eine eigene Auffassung. Sein Holländer ist müde, verzweifelt, resignierend - und damit Hand in Hand gehend, verinnerlichter und stiller, als wir ihn gewöhnt sind. Stimmlich hatte er nicht seinen besten Abend. Karl Böhms Holländer-Schau machte ihm im ersten Akt stark zu schaffen, doch wuchs er im Verlaufe des Abends, um im dritten Akt, besonders durch seine eiserne Höhe, starken Eindruck zu machen. Gottlob Frick ist ein biederer, gemütlicher Daland, der die Partie spielt, wie sie wahrscheinlich gemeint war und auch musikalisch gestaltet ist. Die unangenehme Beimischung von Geldgier und Kupplertum ist dem damals als Dramatiker unroutinierten Wagner sicher völlig unbewußt hineingeraten. Gottlob Frick singt und spielt die Rolle jedenfalls mit gutem Gelingen auf sympathisch. Wolfgang Windgassen, der stilvolle Erik, der in der larmoyanten Partie angenehm ruhig und nobel wirkte, war gleichfalls neu. Es blieb Karl Böhm. Wagner sollte er in Wien (Meistersinger allenfalls ausgenommen) lieber nicht dirigieren. Dieser Genuß bleibe Berlinern und New Yorkern. Wir haben von seinem laut-langweiligen, zerdehnten, völlig verbauten Holländer mehr als genug. Wie werden sich alle jene, die sagen, aus der Musik sei nicht mehr herauszuholen, wundern, wenn sie einmal (hoffentlich bald!) Joseph Keilberth hören!

JULIUS CAESAR am 10. Juni

Heinrich Hollreiser dirigierte sorgfältig und brachte mit dieser Aufführung seinen bisher relativ besten Caesar zustande. Idealfall ist allerdings noch lange keiner erreicht! Das Orchester klingt immer noch zu klobig. Er kehrte wieder zum Cembalo als Continuo-Instrument zurück (sein Kollege Wilhelm Loibner hatte es irrtümlich mit dem Klavier vertauscht), was Händels Musik gut tat. Die technische Verstärkung des Cembalos ist aber etwas zu stark. Auf der Bühne stand wieder das gewohnte Team. Die Kleopatra zählt zu Irmgard Seefrieds besten Rollen. Ira Malaniuk war wie immer eine schöne, tragische Cornelia. Eberhard Wächters Cäsar war so ausgezeichnet, daß nicht einmal mehr das häßliche Kostüm, zu dem er bei seiner großen Szene (‚Aus der Brandung Gefahren…’) verurteilt ist, störte. Gottlob Frick, bestens disponiert, sang seine schwierigen Koloraturen meisterlich. Anton Dermotas Sextus kämpfte ein wenig mit den ganz tiefen Tönen. Gut wie immer in der kleinen Rolle des Nirenus Harald Pröglhöf. Der „Beitrag Amerikas zu den Wiener Festwochen“ (wie man im Amerikahaus unter einem Bild des Sängers in der Auslage lesen kann) Edmond Hurshell war wie nun schon gewohnt ist, nicht staatsopernreif. Fünf Takte sang er, der Rest war ein heiseres Geschrei. Vielleicht findet sich doch an der Staatsoper jemand Anderer, der diese Rolle studiert?

ELEKTRA am 11. Juni

In dieser Aufführung zeigte Karl Böhm, was er bei Richard Strauss zu leisten vermag. Er leitete die glänzend disponierten Wiener Philharmoniker (sieht man von ein paar „Umfallern“ bei den Bläsern ab) konzentriert, ausdrucksstark und mit dem nötigen Feuer. Dafür wurde er vom Publikum mit reichem Beifall bedacht. (Man kann daraus erkennen, daß das Publikum keineswegs gegen ihn eingestellt ist, sondern seine Leistung am richtigen Platz zu würdigen versteht.) Die Bühne beherrschte, wie immer, Christl Goltz als Elektra. Stimmlich einwandfrei, gab sie, was sie zu geben hatte. Als Chrysothemis war Lisa Della Casa eingesetzt. Obwohl sie dieser sich nach dem Leben sehnenden Tochter Agamemnons mit leicht geführter, strahlender Stimme überzeugende Züge verleihen konnte, sind wir froh, daß sie die Partie nicht oft singt. (Sie muß sich sehr anstrengen). Eindrucksvoll wie gewohnt, Elisabeth Höngens Klytämnestra. Darstellerisch großartig und auch stimmlich verbessert zeigte sich Hermann Uhde als Orest. Blieb nur als einziger schwacher Punkt: Max Lorenz, der Aegisth. Er wird bei jüngeren Opernliebhabern einen schlechten Eindruck hinterlassen und sich bei der älteren Generation einen äußerst dürftigen Abgang schaffen. „Sic transit gloria mundi…“ Von einigen Mängeln (bei den Mägden) abgesehen, kann man diesen Abend beruhigt zu den geglücktesten Reprisen des Hauses zählen.

TOSCA am 12. Juni    

Blut und Tränen, Weihrauch und Schießpulver, Kerzenschimmer und Sternenglanz, der Marmor der alten Dome und Paläste, das tiefe Blau des italienischen Himmels, das Dröhnen der Glocken und das Rasseln der Trommeln, das alles ist so schön hineinverwoben in unsere so völlig geglückte, im besten Sinne opernhafte Tosca-Inszenierung. Und die Wirkung, etwa die ungemein eindrucksvolle Steigerung des Te Deums wird erweitert und vertieft durch den düsteren, bösen, dramatischen Scarpia von George London. Am diesem sang Renata Tebaldi das Gebet Lebens. Man müßte darüber eine eigene Seite voll Lobeshymnen schreiben, über ihre Kultur, ihren Geschmack, ihre Phrasierung. Ihre Mittellage ist allerdings nicht so glatt, so vollendet wie im letzten Jahr, was man an einigen Stellen, besonders des ersten Aktes merkte. Eugenio Fernandi,  der wieder Heimgekehrte, hat seine Phrasierung etwas verbessert, nicht aber seine Technik. Es ist wirklich bei einer so großen Stimme nicht nötig, in der Höhe derart zu forcieren. Herbert von Karajan, der Dramatiker, reißt das Letzte aus den Sängern heraus. Seine Tosca-Interpretation ist von packender Eindringlichkeit, vitaler Kraft und von mitreißendem Elan erfüllt.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 13. Juni

Sechs Tage nach der eingeschobenen Aufführung gab man wieder dieses Werk. Diesmal stand Karl Böhm am Pult. Er, der Mozartspezialist, dirigierte stellenweise wienerischer, verzärtelter und verspielter, aber dafür nicht so spannungsgeladen  wie sein Vorgänger. (So z. B. gab es einige tote Punkte in den Ensembleszenen des zweiten Aktes). Die Besetzung war fast die gleiche. Das traumhafte Damenterzett Elisabeth Schwarzkopf, Hilde Güden und Christa Ludwig stand wieder im Mittelpunkt der allgemeinen Begeisterung, ebenso unser Erich Kunz. An Stelle Georges Londons war Eberhard Wächter als Graf zu hören, der von London kommend, stark die Hilfe des Souffleurs in Anspruch nehmen mußte. Sonst wäre über ihn zu berichten, daß er außer seiner Prachtstimme auch die nötige Spiellaune mitbrachte.

 

TRISTAN UND ISOLDE  am 14. Juni  Neuinszenierung, Wiederholung am 18. Juni

Wenn in den letzten Jahren die Rede auf eine hervorragende musikalische Interpretation des Tristan kam, war unter den Diskutierenden immer einer, der verklärte Augen bekam und mit dem scheu geflüsterten „Aber Karajans Bayreuther Tristan 1952 hättet ihr einmal hören sollen!“, die Debatte beendete. Diese Legende wurde nun endlich für Wien zu einer sehr realen Tatsache. Es hat eine Weile gedauert, aber „gut Ding will eben Weile haben“. Und so haben wir auch einen großen Tristan im großen Haus erwartet. Herbert von Karajan ist der einzige Wagner-Regisseur, bei dem man nicht jede Diskussion mit der stehenden Redewendung: „Schon Wieland Wagner hat in Bayreuth gezeigt, daß ...“ beginnen muß. Karajan hat eine eigene Linie.

Die Aufführung war ein Ereignis. Sie war noch mehr. Sie brachte viele Musikfreunde dazu, das Werk neu zu entdecken und zu erarbeiten. Der Abend stellte nicht nur an die Interpreten sondern auch an das Publikum Anforderungen. Bei einem guten Publikum soll man das ja verlangen und auch voraussetzen dürfen.

Karajan hatte – wie immer – ein fest umrissenes Konzept, das er – ebenfalls wie immer – konsequent und man könnte fast sagen „unbarmherzig“ durchführte. Zu jedem Konzept muß man Stellung nehmen: man kann dafür oder dagegen sein. Die Karajan’sche Tristan-Interpretation aber muß man – unabhängig von der persönlichen Einstellung dazu – als großartig bezeichnen. Was der Regisseur-Dirigent damit aussagen wollte, wird erst am dem Ende des dritten Aktes voll verständlich. Wenn der Zuschauer alle drei Akte miterlebt hat, werden die Einwände, die er gegen einzelne Details in den einzelnen Akten erheben könnte, gegenstandslos. Es stimmt, daß in Tristans großzügig aufgebautem Schiff im ersten Akt manchmal etwas zuviel Bewegung herrschte, daß die Liebesszene ziemlich weit im Hintergrund placiert war, und das Orchester daher sowohl Kurwenals „Heil dir, Tristan“ als auch Tristans „Oh Wonne voller Tücke“ einfach wegfegte. Es ist richtig, daß im dritten Akt das Motto der Regie „nur keine Leichenhaufen“ gewesen zu sein schien und sie daher den sterbenden Kurwenal ins Meer versinken und Melot gar nicht erst auftreten ließ. Derlei kritische Einwände gäbe es natürlich noch mehrere (wo nicht!), aber die widerlegen sich von selbst, wenn Karajans Grundidee verstanden wird.

Er hat konsequent versucht, das Tristan-Isolde-Erlebnis herauszuheben, zu entrücken, zu verklären und zu dem, was es letzten Endes auch ist, zu machen: zum Mysterium. „Tristans Liebe - Isoldens Liebe“, streift hier den letzten Hauch einer glorifizierten Ehebruchsgeschichte ab. Eingehüllt in Unvergänglickeit, in Denken und Fühlen wächst sie ins Zeitlose und ewig Gültige, losgelöst vom Geschehen um und neben sich.

In der Verwirklichung dieser Idee erzielte der zweite Akt den geschlossensten Eindruck. Hier verschwimmt der Raum und die Liebesnacht wird zur zeitlosen Glückseligkeit, das Paar Tristan und Isolde, von Nachtnebeln umschlossen wie von weltweiter Einsamkeit, träumt seinen großen Traum vom Weltenreich der Nacht, in dem „die Liebe, die ewig Lebende“ nicht endet.              

Und darüber breitete sich der Strom der herrlichen Tristan-Musik, wunderbar nachempfunden, beginnend mit den noch merkwürdig unfertig wirkenden Liebes- und Liebestrankmotiven des Vorspiels, die erst zu leben und zu atmen beginnen in der heißen, wilden Umklammerung der Instrumentation, bis zur aufpeitschenden Fieberphantasie, von ritterlichem Glanz zur ekstatischen Trunkenheit, zu maßloser Verzweiflung und edler Verklärung. Musik, so groß in den Dimensionen, daß sie nur ganz große Interpreten wie zum Beispiel Herbert von Karajan und die Wiener Philharmoniker überhaupt anrühren dürfen.

Die Sänger auf der Bühne erwiesen sich als würdige Partner. Birgit Nilsson, vom Stimmphänomen zur gestaltenden und empfindenden Künstlerin vorgedrungen, überglänzte mit ihrem strahlenden Heldensopran selbst Wagners fieberndes Orchester. Wolfgang Windgassen, in den beiden ersten Akten von nobler, ritterlicher Haltung und schöner Phrasierung, steigerte sich in einen gewaltigen, intensiven und erlebten dritten Akt hinein, der zwar nicht mehr so glatt und schön gesungen ist wie in früheren Jahren, an Ausdruck und Überzeugungskraft dafür viel dazu gewonnen hat. Otto Wiener war Kurwenal - nicht der Diener, sondern der Freund, nicht der Gefolgsmann, sondern der Ritter. Der Künstler hat damit eine Gestalt von echter menschlicher Ausstrahlung geschaffen. Gottlob Frick erfüllte die Partie des König Marke mit dem Wohlklang seiner herrlich strömenden Baßstimme. Ein intelligenter, scharf gezeichneter Melot war Hermann Uhde. Anton Dermota sang den Seemann, und Murray Dickie war der ausgezeichnete Hirt. Nicht ganz auf der Höhe des übrigen Ensembles stand Hilde Rössel-Majdan. Sie hatte zeitweise Schwierigkeiten in der Höhe, und auch an der persönlichen Ausstrahlung mangelte es. Doch war sie beim momentanen Brangänenmangel als durchaus gut zu bezeichnen. Am besten gelangen ihr die Wachtrufe im zweiten Akt.

Emil Preetorius entwarf die großzügigen Bühnenbilder, die nur, ebenso wie die Kostüme, mehr Farbe vertragen hätte. Diese kam erst durch die Beleuchtung und die Musik.

Die Begeisterung im übervollen Haus war groß und echt.

 

OTHELLO am 15. Juni

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Unter diesem Motto stand der mit großer Vorfreude erwartete Abend. Wir hatten Tito Gobbi als Jago und Renata Tebaldi als Desdemona vielleicht in unserer Erinnerung so verklärt, daß wir enttäuscht sein mußten. Oder wollten die beiden Weltstars nur beweisen, daß auch sie nur Menschen sind und keine perfektionierten Superstars? Jedenfalls enttäuschten sie uns an diesem Abend. Tito Gobbi schien nicht gut bei Stimme zu sein. Mehrmals drehte er den Rücken zum Publikum, um sich zu räuspern. Außerdem schien er den Jago längere Zeit nicht gesungen zu halben, denn auch in musikalischer Hinsicht war er nicht sattelfest. Enttäuschend vor allem sein Vortrag des Credos, bei dem es ihm vor allem an stimmlicher Kraft fehlte. Renata Tebaldi hatte Schwierigkeiten mit der Höhe, die außerdem etwas scharf klang und die uns für sie im zweiten und dritten Akt fürchten ließ. Im vierten Akt allerdings versöhnte sie mit einem vollendet gesungenen Lied von der Weide und einem traumhaften Ave Maria. Das Timbre, der Goldglanz ihrer Stimme kam hier zur schönsten Entfaltung. Wild war der Mohr Carlos Guichanduts, wild war auch sein Gesang. Stellenweise vermißte man an seiner Riesenstimme den metallischen Klang, der eher ins Blecherne umschlug. Leider hat der Sänger auch immer dieselben Gesten, sodaß diese bei wiederholtem Sehen monoton wirken. Giuseppe Zampieri sang einen kultivierten Cassio.

Herbert von Karajan am Pult begann mit einem Orchestersturm, den er auch stellenweise beibehielt um die verschiedenen Sängerschwächen zu kaschieren, über die er selbst nicht glücklich war, das konnte man deutlich bemerken. Das Publikum hatte zuviel erwartet und reagierte mit einem nicht die übliche Othello-Lautstärke erreichenden Beifall.

DON CARLOS am 16. Juni

Jeder Aufführung dieser Oper steht im Schatten jener unvergeßlichen Salzburger Festspielaufführung, die Aug’ und Ohr derart verwöhnte, daß man unwillkürlich den Maßstab noch höher als sonst schraubt. So konnten wir auch diesmal nicht restlos begeistert das Haus verlassen, obwohl doch immerhin drei der Hauptrollen mit den gleichen Künstlern, wie in der Salzburger Inszenierung besetzt waren, von denen in erster Linie Giulietta Simionato als Eboli und Ettore Bastianini als Posa beeindruckten. Giulietta Simionato, die in ihrem Fach auf einsamer Höhe stehende Künstlerin, riß das Publikum mit „O don fatale“ zu Beifallstürmen hin. Interessant, wie diese Sängerin mit sparsamster Gestik das Wesen der Eboli prägte! Ettore Bastianinis Stärke liegt nicht in der Charakterisierung, sondern nur in seiner weichen Samtstimme. Für solchen Wohlklang eines Baritons nimmt man dann auch einige vor allem im ersten Akt (Duett) zu tief gesungene Töne in Kauf. Daran mag aber auch Eugenio Fernandi mit seinem chronischen Distonieren schuld gewesen sein. Der Tenor behandelt sein zweifellos vorhandenes Material auf grausame Weise. Die Spitzentöne brüllt er derart heraus, daß man ständig um die Stimmbänder des Sängers bangt. Grausam behandelt er auch die Zuhörer, weil er zumeist um eine Spur zu tief ansetzt. In darstellerischer Hinsicht bot er rein gar nichts. Nur mit nervösen Zuckungen und Gliederverrenkungen kann man Don Carlos nicht glaubhaft auf die Bühne stellen. Wir sind längst keine Provinzbühne mehr, wo man aus lauter Freude über lang gehaltene Fermaten auf das übrige notwendige Format eines Tenors verzichtet. Ein Beispiel echten Künstlertums gab Paul Schöffler als Don Philip. Jeder Auftritt, jede Geste ist überlegt, durchdacht und wirkt dadurch äußerst überzeugend. Dazu kam noch, daß der Künstler gut bei Stimme war und mit Ausnahme von einigen kraftlosen Tönen in der Autodafé-Szene eine erstklassige stimmliche Leistung bot. Christl Goltz überraschte durch eine vom italienischen Gesangsstil beeinflußte Elisabeth sehr. Sie zwang ihre von Natur aus für dramatische Rollen geeignete metallische Stimme zur italienischen Kantilene und gefiel besonders in der stilistisch einwandfrei gesungenen Arie im letzten Bild. Ihr Gesamteindruck war ein hervorragender. (Dem konnte auch der letzte verunglückte Ton nichts anhaben). Hermann Uhde erwies sich wieder einmal als intelligenter Singschauspieler. Sein Großinquisitor ließ die Macht der Inquisition ahnen. In den kleinen Rollen mißfielen vor allem Norman Foster als stimmschwacher Mönch und Hugo Meyer-Welfing, der wie immer Heiterkeit bei seiner kleinen Szene auslöste. Am Pult stand Antonio Votto, ein Dirigent der großen Erfahrung und langjährigen Routine. Am Anfang hing das Orchester ein wenig nach, aber in den Ensemble-Szenen wußte er voll und ganz zu überzeugen. Bemerkenswert ist das Gedächtnis des Künstlers, der alle Opern auswendig dirigiert. Er ist ein Professor, dem man zwar kein besonderes Temperament nachsagen kann, der aber jederzeit Herr der Lage ist.

ARABELLA am 17. Juni

war die geglückteste Strauss-Aufführung der ganzen Festwochen. Zur schönen, geschlossenen, schwungvollen Dirigentenleistung von Joseph Keilberth und dem herrlichen Spiel der Wiener Philharmoniker, die so weich, so süß, so schön spielten, wie es sicher kein anderes Ensemble zustande bringt, trat die schlechthin ideale Interpretation der Damen Lisa Della Casa und Anneliese Rothenberger, die in Stimme und Gestaltung ihresgleichen suchen. Dazu kam zum ersten Mal ein guter Matteo: Ivo Zidek, der mit der gefürchteten Höhenlage der Partie ohne weiteres fertig wurde, gut aussah und auch sonst auf der Bühne bestens zur Wirkung kam. Der Mandryka von Carlos Alexander hat durch die Begegnung mit Edmond Hurshell sehr gewonnen. Wenn man Carlos Alexander mit Dietrich Fischer-Dieskau vergleicht, scheint es, daß ihm die Partie ebenso zu groß ist wie Dietrich Fischer-Dieskaus ungarischer Mantel. Im Vergleich zu Edmond Hurshell ist er natürlich ein Gott. Elisabeth Höngen hatte diesmal einen neuen Gemahl bekommen. Kurt Böhme ist kein gemütlicher, witziger Waldner, sondern die Partie bekommt auf einmal einen gewissen Hintergrund. Die Umrisse eines verpfuschten Lebens werden sichtbar, die ganze Jämmerlichkeit einer Spielerexistenz. Das paßte ausgezeichnet zur ebenfalls ernsteren Auffassung von Elisabeth Höngen. Mimi Coertse und Karl Terkal waren ausgezeichnete, Karl Weber und Dagmar Hermann weniger gute Episodisten.

TRISTAN UND ISOLDE  am 18. Juni

unter der Leitung von Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung am 14. Juni besprochen

OTHELLO am 19 Juni

In der zweiten Aufführung zeigten sich die Hauptrollenträger stark verbessert und damit stellte sich auch wieder der Jubel des Publikums ein, das am Schluß besonders Tito Gobbi stürmisch feierte. Tito Gobbi war in schauspielerischer Hinsicht die Erfüllung der Partie. Er spann die teuflischen Intrigen mit lachendem Gesicht, elegant und schmiegsam in der Bewegung, kurz gesagt: der Jago eines Vollblutkünstlers. Auch stimmlich war er fast so faszinierend wie im vergangenen Jahr. Nur einige kraftlose Momente, die interessanterweise wieder im Credo  hörbar wurden, zeigten, daß der Künstler eine anstrengende Saison hinter sich hat. Renata Tebaldi sang konzentrierter, reiner und sicherer als wenige Tage zuvor. Zu bekritteln wären nur die im forte genommenen Höhen des zweiten Aktes, die doch unsere Sopranistinnen (Sena Jurinac und Leonie Rysanek) Piano singen. Dies möge man nicht als Wiener Snobismus ansehen, denn der Name Renata Tebaldi setzt doch die höchsten Ansprüche voraus! Carlos Guichandut wuchs an diesem Abend über sich selbst hinaus. Das Timbre seiner Stimme ist nicht für jedermanns Ohr gefällig, doch seine diesmal richtiger eingesetzten Trompetentöne waren von mitreißender Wirkung. Die Rohkraft seiner Stimme sucht tatsächlich ihresgleichen. Giuseppe Zampieri sang an beiden Abenden einen kultivierten Cassio, nur sollte man doch endlich sein Kostüm erweitern. Er ist ihm längst entwachsen. Frederick Guthries Lodovico war am ersten Abend besser als der mit Stoßlauten operierende Ende Koréh, der die Rolle dann übernahm. Antonino Votto dämpfte das Orchester, doch leider etwas unpräzise, was den ersten Akt betrifft. Im Racheduett ließ er den Stimmen freien Lauf. Der dritte Akt gefiel uns von ihm am besten, während der vierte etwas zu schleppend und spannungslos dirigiert wurde.

RIGOLETTO am 20. Juni

In dieser Vorstellung dominierten zwei große Sänger. Hilde Güden brillierte mit ihrer herrlichen, hier schon oft gerühmten Gilda und brachte es zuwege, ihre an und für sich grandiose Leistung in dieser Rolle noch zu steigern. Kein Wunder, denn der Rigoletto des Abends hieß Ettore Bastianini. Stimmlich in allerbester Verfassung, wirkte er auch im Spiel weitaus gelöster als bei seinem Debüt im Herbst. Er wird jedem, der ihn an diesem Abend hören konnte, lange in Erinnerung bleiben. Ettore Bastianini singt traumhaft schön und das ‚As’ am Schluß der Stretta war wieder von einer Intensität, die das Publikum zu einem Beifallssturm  hinriß. Wenn er noch einige Schwierigkeiten in der Arie beseitigen könnte, würde er in dieser Partie bald konkurrenzlos sein. Als Herzog ließ sich Eugenio Fernandi erstmalig in Wien „bewundern“. Was ist aus dieser vor zwei Jahren so vielversprechenden Stimme geworden? Eugenio Fernandi hat ein Engagement an die Met  einer gründlichen Ausbildung seiner – jedenfalls vorhanden gewesenen – Stimmittel vorgezogen. Die Folgen sind nicht ausgeblieben und zur Zeit in Wien hörbar. Im Duett mit Gilda sang er hinunter und nach der Canzone wagten nicht einmal seine zahlreichen weiblichen Anhänger einen Applaus. Im Spiel beschränkte er sich auf einige neckische Posen, die kindisch und manchmal geradezu peinlich wirkten. Das soll ein Verführer gewesen sein? Er benahm sich eher wie ein Gymnasiast, der die erste Liebe seines Lebens erlebt. Nach Hollywood-Art ganz auf Liebe eingestellt und Übertreibungen nicht abhold, war sexy-Maddalena Jean Madeira. Stimmlich war sie, ebenso wie ihr Bruder Sparafucile (Walter Kreppel) zufrieden stellend. Dirigent Antonino Votto – wie gehabt: langsam und bedächtig – nur net hudeln.

BALLETTABEND am 21. Juni

COSÌ FAN TUTTE am 21. Juni im Redoutensaal

Innerhalb einer Woche gelangte im Redoutensaal viermal diese Oper zur Aufführung, wobei neben den in allen Aufführungen gleich bleibenden Sängern Christa  Ludwig, Erich Kunz und Paul Schöffler, als Fiordiligi Elisabeth Schwarzkopf, Lisa Della Casa und Teresa Stich-Randall, als Despina Emmy Loose und Rita Streich und als Guglielmo Leopold Simoneau und Anton Dermota alternierend eingesetzt waren. An diesem Abend war ein Höhepunkt der Wiener Festwochen und die seit Jahren schönste Così-Aufführung (wie viele Così-Liebhaber feststellten!). Die gute Laune auf der Bühne übertrug sich sofort auf die Zuhörer und so stand die Aufführung unter einem wahrhaft glücklichen Stern. Elisabeth Schwarzkopf in der Partie der Fiordiligi an allen Opernbühnen der Welt ohne Konkurrenz, überbot an diesem Abend ihre bisherige Hochform und machte uns den Abschied bis zum Herbst schwer. Ihr vollendeter Gesang und ihre in jeder Szene überzeugende schauspielerische Leistung rissen das Publikum zu stürmischen Ovationen hin. Christa Ludwig war ihre ebenso bezaubernde, wie gesanglich ausgezeichnete Schwester Dorabella. Rita Streich sang eine nette Despina und das Herrenensemble ließt ebenfalls keinen Wunsch offen. (Anton Dermota, Paul Schöffler und Erich Kunz). Karl Böhm war der meisterhafte musikalische Leiter dieser Prachtaufführung, die uns lange in Erinnerung bleiben wird!

AIDA am 22. Mai

Herbert von Karajan begann diese Saison mit einer Aida und beschloß damit auch wieder seine Tätigkeit. Besonders viel Glück hat er ja bei den Besetzungen teilweise nicht gehabt. Im Herbst war es die schwache Form di Stefanos, diesmal ein Riesenschmiß von Renata Tebaldi, die die Aufführungen aus dem Gleichgewicht brachten. Da die Tebaldi schon bei Othello mit der Höhe zu kämpfen hatte, war der gelernte (und stets mit Recht mißtrauische) Opernbesucher neugierig, wie es ihr wohl bei Aida gehen werde. Es begann sehr schön: ein ausdrucksvolles, schön gesungenes „Ritorna vincitor“, eine ausgezeichnete Szene mit Amneris und ein guter Triumphakt. Doch das Unheil schreitet schnell. Sie schmiß das C in der Nilarie, wurde nervös und verhaute die Schlußphrase der Arie noch vollständig. Sie sang nicht einmal annähernd richtig. Auch im Verlauf der Duette mit Amonasro und Radames gab es noch einige grelle und scharfe Höhen. Sie konnte sich erst wieder im Schlußduett erfangen. Diesmal hat sie wirklich enttäuscht. Sie wurde aber von Publikum recht nobel behandelt. Eugenio Fernandi war im Triumphakt am besten. Neben einigen schönen Phrasen bot er auch wieder viel häßlich Gebrülltes. Tito Gobbi scheint die Partie des Amonasro nicht zu liegen. Erstens verlangt diese eine dunklere, dämonischere Klangfarbe und außerdem erreichte der temperamentvoller Gobbi in der statuarischen Stehpartie auch nicht die gleiche Wirkung wie in seine komödiantischen Meisterleistungen. Blieb Giulietta Simionato, der Fels in der Brandung. Die königliche Altistin! La Giulietta divina!

Gottlob Frick und Ludwig Welter sangen die beiden Baßpartien.

Karajan dirigierte die Aida sehr schnell, sehr dramatisch, sehr lebendig. Im Nilakt schien aber auch der Mann mit den eisernen Nerven allerdings etwas nervös zu werden, was ja kein Wunder war.

DER ROSENKAVALIER am 23. Juni

In dieser Aufführung konnten sich auch die eifrigsten Gegner des sogenannten „Stardirigententums“ davon überzeugen, daß unser Hauskapellmeister Heinrich Hollreiser hier, wie bei so vielen anderen Opern, vollkommen fehl am Platz ist. Er zerstörte mit seinem rücksichtslosen Dreinschlagen so viel, daß uns das Zuhören weh tat. Großartig disponiert zeigte sich Lisa Della Casa als Marschallin. Hilde Güden als Sophie erreichte ihren stimmlichen Höhepunkt erst im dritten Akt. Lore Wissmann aus Stuttgart war als Octavian nach mehr als zwei Jahren wieder einmal in Wien zu hören. Stimmlich ausgezeichnet, bot sie auch darstellerisch mehr als wir eigentlich erwartet hätten, doch bleibt sie natürlich gegenüber den gewohnten und liebgewordenen Darstellungen – wie von Sena Jurinac und Christa Ludwig – zurück. Kurt Böhme als Ochs konnte stimmlich restlos überzeugen, sollte aber sein Spiel nicht zu sehr übertreiben. Es schlägt manchmal schon leicht ins Lächerliche um. In kleineren Partien erfreuten Alfred Poell, Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein. In der Partie des Sängers bemühte sich Anton Dermota. Einige Comprimarii des Rosenkavalier-Ensembles gehörten wirklich nicht mehr auf die Bühne. Wenn es einmal wirklich gelingen sollte, nebst einem anderen Dirigenten auch richtig singendes Gesinde im Hause des Feldmarschalls anzustellen, stünde einer restlos begeisternden Rosenkavalier-Aufführung bestimmt nichts mehr im Wege. Wir hoffen, daß dieser Fall in der nächsten Saison endlich eintreten wird.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 24. Juni

Diese Cavalleria- Aufführung stand wieder im Zeichen von Giulietta Simionatos großartiger Santuzza, in der sich Demut und Haß, flehendliches Bitten und wilder Aufschrei, tiefes Gefühl und vitaler Ausbruch zu einer immens fesselnden Studie verbinden. Giuseppe Zampieri war noch in der prachtvollen Verdi-Requiem-Verfassung. Er sang wunderschön und kultiviert. (Die Stimme unseres „Zamperl“ hält schon etwas aus! Mindestens fünfmal sang er schon so schlecht, daß man bereit war, ihn abzuschreiben – und immer wieder fing er sich und wurde besser als vorher.) Auch Walter Berry zeichnete sich wieder aus, von gelegentlichem, kaum bemerkbarem zu hoch Singen abgesehen. Er müßte für seinen Alfio, wenn es so etwas gäbe, unbedingt einen Nebenrollen-Oscar bekommen.

Im folgenden Bajazzo mit der Standard-Besetzung Mimi Coertse, Eugene Tobin, Eberhard Wächter war man besonders auf den neuen Tonio Ettore Bastianinis gespannt. Die drei großen italienischen Baritons, wie wir so oft zu hören glücklicherweise Gelegenheit haben, sind nicht in allen ihren Rollen gleichmäßig und für den interessierenden Hörer ist es fast wie  eine interne Konkurrenz: Tito Gobbi, Aldo Protti, Ettore Bastianini. Wer ist der beste Jago, der beste Renato, der beste Amonasro… Wir dachten gleich, daß es einen besseren Tonio als Aldo Protti nicht geben kann, aber Ettore Bastianini der sich mit der Gunst des Wiener Publikums auch bereits den verwienerten Namen „Basti“ erworben hat, war auf seine Art ausgezeichnet. Besonders natürlich im Belcanto-Prolog, bei dem das As zwar nicht so schön war wie sonst, dessen Schluß-F aber ein Ton von Wälseruf-artiger Länge und prunkvoller Tonfülle war. Auf der Bühne zeigte er sich recht agil und beweglich (einen flic-flac wie Aldo Protti schlug er allerdings nicht). Wer weiß, ob nicht durch einen guten Regisseur in einer so naturalistischen Rolle (bei den romantischen Helden steht er ja nur) nicht plötzlich auch eine schauspielerische Leistung herauszuarbeiten wäre? Der Gerard könnte vielleicht in dieser Beziehung interessant werden. Antonino Votto dirigierte eine breite, klangschöne Cavalleria mit einem sehr guten Intermezzo, zum Bajazzo fehlte ihm aber das Temperament. Der Chor war ebenfalls nicht im Bilde.

DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 25. Juni

Diese Aufführung dirigierte Meinhard von Zallinger. Er war nur laut und man hatte zeitweise den Eindruck, als zerfiel das Werk unter seinen Händen. Als Kaiserin zeigte sich Maud Cunitz aus München um eine Nuance besser disponiert, obwohl sie auch hier nicht mit schrillen und zumeist etwas zu tief gesungenen Tönen geizte. Restliche Besprechung siehe Aufführung am 6. Juni.

DON GIOVANNI am 26. Juni

Wie gewohnt bot auch diesmal wieder Eberhard Wächter in der Titelrolle eine ausgezeichnete Leistung. Immer wieder freut man sich über die herrliche Stimme, das intelligente, intensive Spiel und auch über die Ernsthaftigkeit, mit der der Künstler ständig an sich arbeitet. Sehr gut disponiert war Erich Kunz als Leporello, der auch im Spiel zu seinen alten Gags immer noch ein paar neue findet. Lisa Della Casa sang sehr schön die Donna Elvira, doch wird man das Gefühl nicht los, daß sie sich speziell in dieser Rolle nicht recht wohl fühlt. Teresa Stich-Randall hielt sich als Donna Anna überraschend gut, vor allem im zweiten Akt. Die Spitzentöne freilich sind messerscharf. Den Don Ottavio sang Leopold Simoneau. Nur selten kann man diese Partie so ausgezeichnet hören. Zu wunderschöner Stimme gesellt sich hier erlesenste Gesangskultur und mit Recht erntete der sympathische Künstler stürmischen Applaus. Hilde Güdens Zerlina ist entzückend in Spiel und Gesang und ohne Übertreibung und Exaltiertheit. Stimmgewaltig donnerte Gottlob Frick den Komtur und gut war Ljubomir Pantscheff als Masetto. Heinrich Hollreiser am Pult schlug Takt – wirklich nur Takt und das erschütternd unpräzise. Selbst unser so versiertes Don-Giovanni-Ensemble stieg des öfteren aus! Fast konnte man Wetten abschließen, wer jeweils früher fertig sein würde: Sänger oder Orchester. Nicht eben häufig war ihr Musizieren in dieser Aufführung ein gemeinsames. Und Mozarts Geist entfloh in für diesen Dirigenten unerreichbare Sphären.

AIDA am 27. Juni

Da ging es in dieser Vorstellung schon etwas beschaulicher zu. Antonino Votto liegt die Oper sehr. Sie gehört zum Besten, das wir von ihm hören konnten. Die großen Chorszenen haben ihren durchdachten Aufbau, die Melodie strömt und die Dramatik kommt nicht zu kurz. (Gerichtsszene!). Die Sänger (die Besetzung war gegenüber dem Abend am 22. Juni unverändert) waren fast durchwegs besser bei Stimme. Renata Tebaldis Nilarien-C war zwar nicht sehr schön, aber sie hatte es immerhin. Außerdem wendete sie wesentlich mehr piano an. Tito Gobbi klang stärker und voluminöser. Eugenio Fernandi brüllte allerdings fast noch mehr. Die stärkste Leistung des Abends kam natürlich wieder von der Pharaonentochter Giulietta Simionato.

BALLETTABEND am 28. Juni

CARMEN am 29. Juni

Jean Madeira in der wie gewöhnlich gesungenen und gespielten Titelrolle (Überraschungen hat sie keine zu bieten) stellte die Verbindung von der Aufführung am 8. Juni zu dieser Aufführung dar, bei der einige illustre Gäste im Haus waren. Das Publikum staute sich vor der Feststiege, als die Begum Aga Khan in Begleitung von Sophia Loren, Maurice Chevalier und Carlo Ponti das Theater betrat. Die Begum trug altrosa Duchesse und eine herrliche Perlenkette. Die allgemeine Aufmerksamkeit erregte Sophia Lorens Hutmodell, eine flaumige weiße Kugel. Maurice Chevalier trug Brillen und wirkt schon ziemlich bejahrt. Sein charmantes Lächeln hat er aber noch immer. „Wenn die Katz, d.h. der Chef aus dem Haus…“ usw. Die Comprimarii boten eine neue Attraktion und sangen deutsch, die vier Hauptrollenträger französisch (oder was man halt so nennt.) Nicola Filacuridi sang einen schrecklichen, absolut staatsopernunwürdigen Don José. Er besitzt eine der häßlichsten Stimmen, die wir kennen und spielt wie ein Schmierenkomödiant. Ettore Bastianini stand diesmal nicht mit düsterer Miene auf der Bühne, sondern machte ein freundliches Gesicht und spielte einen flotten, leutseligen Torero mit Römerfrisur. Stimmlich war er, abgesehen vom wirkungslosen Torerolied, das ihm offenbar zu tief liegt, ausgezeichnet, besonders in dem kurzen, gefühlvollen Duett des vierten Aktes. Wo sich andere mit der Höhe zu plagen beginnen, fühlt sich Ettore Bastianini gerade erst so richtig wohl. Hilde Güden sang die Micaela fein ziseliert, schön geformt, nobel und wohllautend. Die übrige Besetzung des Abends bestand aus Liselotte Maikl, Margareta Sjöstedt, Peter Klein, Harald Pröglhöf wieder Norman Foster (in Deutsch noch schlechter!) und Ljubomir Pantscheff. Das Publikum kam auf seine Rechnung, als Sophia Loren zärtlich die Wange ihres Gatten Carlo di Ponti tätschelte, in musikalischer Hinsicht freilich nicht, denn Bizets Musik wurde von dem diesmal auf hektisch geschalteten Heinrich Hollreiser erbarmungslos zerdroschen, zerhackt, verhetzt und unkenntlich gemacht. Als die illustren Gäste das Haus verließen, stauten sich die Bewunderer derselben vor der Prunkstiege. Um so schneller leerte sich der Zuschauerraum.

TOSCA am 30. Juni

Diese Aufführung, die eine ereignisreiche Saison beschloß, dirigierte Antonino Votto. Der Professor hat ein Konzept, das er konsequent durchführt. Er macht den ersten Akt langsam und lyrisch, was nach Herbert von Karajan einigermaßen fremdartig anmutet und legt auch später mehr Wert auf breites Ausschwingenlassen der Phrase, anstatt auf geballte Dramatik. Und als er bei den Schlußphrasen dramatisch werden wollte und sie doppelt so schnell nahm, als man erwartet hatte, stieg prompt das Orchester aus. Er mag sich trösten. Auch Dimitri Mitropoulos erging es einmal bei der Tosca nicht anders. Tito Gobbis Persönlichkeit beherrschte die Bühne in dieser Saisonschluß-Tosca. Er spielte den Wolf im Schafspelz, den Kavalier mit dunklen Absichten. Stimmlich ist er aber nicht so wie im vergangenen Jahr. Es scheint ihm an Kraft zu fehlen. Renata Tebaldi und Eugenio Fernandi waren auch an diesem Abend wieder zu hören, wo Erich Kunz einen schauspielerisch gar nicht wie gewohnt übertriebenen und stimmlich sehr korrekten Mesner sang. Auch der Saisonschlußaufführung wohnte die Begum mit Begleitung bei, erregte aber wesentlich weniger Aufsehen, als beim ersten Mal – offenbar, weil die Aufführung wesentlich besser war.

 

Der Monat Juni beendete ein interessantes Jahr in der Geschichte der Wiener Staatsoper. Es gab viel zu hören und viel zu sehen, und wenn uns auch nicht alles gefallen hat, so denken wir immer daran, wie es noch vor drei Jahren war. Und wir freuen uns besonders darüber, daß wir wieder anspruchsvoll sein dürfen.

 

RÜCKBLICK AUF DIE SAISON 1958/1959

Erschöpft und müde absolvierte die Garde des Stehplatzes den Opernbesuch am 30. Juni 1959, der eine recht aufregende Saison abschloß. „Gott sei Dank, daß ich endlich meine Ruhe habe“, denkt so mancher. Aber bald wird es ihm langweilig, und er fängt an, sich auf die Festspiele zu freuen. In diesem Zustand zwischen bereits halb überwundener Saisonschluß-Müdigkeit und des leisen Nagen einer neu erwachenden Musikhungers ist es an der Zeit, Bilanz über die verflossene Saison zu machen und darüber nachzudenken, was man als bleibende Erinnerung bewahren wird, was man am liebsten rasch vergißt, was gut und was schlecht war, was bleiben muß und was sich ändern sollte.

In der Saison 1958/59 gab es überwiegend gute Abende. Die Zahl der glanzvollen, sogenannten Galaabende, ist nicht unwesentlich angestiegen, und die wirklich indiskutablen Vorstellungen fanden hauptsächlich in den Monaten Jänner und Februar 1959 statt, wo sie außer den Abonnenten und natürlich den Mitarbeitern des Merker, die ja überall dabei sein müssen, wahrscheinlich niemand gehört hat. Und hier müssen wir gleich einhaken, denn zwei Monate der Fehldispositionen, der erstarrten Routine, der Farb- und Glanzlosigkeit darf es an der Wiener Oper nicht mehr geben.

Einige Sänger, die in der heurigen Saison stark „eingeschlagen“ haben, wie Otto Wiener, Walter Kreppel, Aldo Protti und Gerhard Stolze, haben erfreulicherweise ihre Bindung an Wien vertieft. Nicht so gelungen ist dies leider mit Jon Vickers, der nur für sechs Wochen kommt. Dabei war gerade er eine der wichtigsten Neuerwerbungen, der in seinem dreimonatigen Engagement eine stattliche Anzahl interessanter Abende zu bieten hatte.

Unsere Preisverteilung:

Wir müssen unbedingt einige Sänger und Sängerinnen nennen, die in einzelnen Rollen so großartig waren, daß die Redaktion des Merker einstimmig fand, daß sie als einmalig und besonders rühmenswert bezeichnet werden müssen und vom Wiener Publikum für lange Zeit dankbar im Gedächtnis bewahrt werden sollten:

Die Damen LISA DELLA CASA und ANNELIESE ROTHENBERGER in der Arabella-Premiere am 17. April

ELISABETH SCHWARZKOPF als Fiordilligi in Così fan tutte am 21. Juni

LEONTYNE PRICE als Aida am 29. April

ELISABETH HÖNGEN als Priorin in den Gesprächen der Karmeliterinnen, Premiere am 14. Februar

BIRGIT NILSSON als Siegfried-Brünnhilde am 31. Mai

ALDO PROTTI als Tonio im Bajazzo am 8. März

GIUSEPPE DI STEFANO als Riccardo im Maskenball am 5. Juni

GERHARD STOLZE als Loge im Rheingold am 25. Jänner

JON VICKERS als Canio im Bajazzo am 8. März

 

DIE WALKÜRE am 14. Dezember 1958 war unserer Meinung nach schönste Aufführung des Jahres (nach reiflicher Erwägung!) mit Karajan-Mödl-Brouwenstijn-Malaniuk-Hotter-Windgassen-Frick. Ein Wagner-Abend von solcher Intensität und Geschlossenheit ist einmalig dastehend.

 

Ansonsten wird für die nächste Saison ziemlich viel beim Alten bleiben, was wir nicht mehr gerne sehen: Die Verwaltung zum Beispiel, die mit dem Wiederaufstieg der Wiener Staatsoper organisatorisch ganz und gar nicht mitgekommen ist. Muß den Herren in der Bundestheaterverwaltung wirklich der kleine Mann den Vorschlag machen, für die Galaabende im Herbst und Frühsommer die Abonnements restlos aufzuheben und einen allgemeinen Kartenverkauf in dieser Zeit zu veranstalten?  Bei den Galavorstellungen gibt es auch Galapreise, die ohne Murren bezahlt werden, denn sie sind gerechtfertigt. Nicht gerechtfertigt ist hingegen der Modus, daß die Abonnenten etwa Manon Lescaut mit der Stella und di Stefano mit einer 25% (oder noch höheren!) Abonnementsermäßigung hören, während der schäbige Kartenrest zu besonderen Preises (Durchaus zu Recht im Prinzip!) verkauft wird. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit? Unsere biedere Verwaltung steht den Anforderungen einer Welt-Oper eben hilflos gegenüber! Es wäre fast nötig, daß sich Herr von Karajan oder seine recht Hand Mattoni auch noch um den Kartenverkauf kümmern!

Die Pläne für die kommende Saison klingen vielversprechend. Sicherlich werden wir nicht mit allem glücklich sein und Gelegenheit zum „Raunzen“ finden.

Eines haben wir aber mit Befriedigung feststellen können: Karajan hat sich überall durchgesetzt! Die Leistung hat gesiegt!. Karajan, der Gentleman, braucht keine großen Reden und nur wenige Pressekonferenzen. Er ist Manns genug, kleine Nadelstiche von Berufsintriganten nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Er hat das fertiggebracht, was wahrscheinlich kein anderer sonst gekonnt hätte: Wiens Oper ist wieder Weltoper.

 

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