SALZBURGER FESTSPIELE 1959
4. Jahrgang, Heft 8/9
KARAJAN
Ein Interview
Dieses Interview hat uns, wie sich der geschätzte Leser ungefähr vorstellen kann, Nerven gekostet, und es dauerte ein Jahr, bis es nach diversen Vorbereitungsaktionen endlich so weit war.
Wir verzichten deshalb darauf, Karajans Lebensgeschichte zu erzählen – erstens kennt sie sowieso jeder und zweitens liegt sie in der Staatsoperndirektion hektographiert auf. Es wäre im Falle Karajan auch ziemlich unwürdig, wenn man nach dem Schema F begänne: „Schon als Wunderkind“, „Schon damals bildete sich ein Talent in der Stille“, „Der alte Ober Franz im Café Bazar weiß folgende nette Geschichte über den Gymnasiasten Karajan zu erzählen.“
Wir beschränken uns darauf, die Fragen, die wir Herr von Karajan stellten und seine Antworten wörtlich wiederzugeben. Es entsteht daraus ein klares Bild der vielfältigen Probleme, denen der Chef der Wiener Staatsoper gegenüber steht.
Haben Sie die Wiener Staatsoper (und damit Hand in Hand die Salzburger Festspiele) schon immer als erstrebenswertes Ziel betrachtet?
Das ist doch klar! Wenn man hier geboren und aufgewachsen ist und vier Jahre auf der vierten Galerie der Staatsoper verbracht hat ...
Haben sich Ihre Ansichten über die prinzipiellen Fragen der Leitung eines Opernhauses seit Ihren Anfängen in Ulm und Aachen geändert?
Selbstverständlich. Seit dem letzten Krieg sind die Ansprüche des Publikums in einem derartigen Maße gestiegen, daß man unbedingt damit rechnen muß. Jeder will alles sehen.– Man kann seinen Friseur auf Mallorca treffen! – so will auch jeder Musikfreund alles und Alle hören. Dadurch hat sich eine gänzlich andere Art der Musikpflege herauskristallisiert. Das Resultat davon ist eben jetzt an der Wiener Staatsoper zu hören. Natürlich gibt es noch Leute, die den alten verkalkten Ideen nachtrauern und das Ensemble beweinen, das es in dem Sinne, wie es oftmals jetzt hingestellt wird, überhaupt nie gegeben hat. Ich denke an meine Galeriezeit zurück. Die Jeritza hat pro Saison sechs Wochen in Wien gesungen. Piccaver hat ungefähr die Hälfte seiner Abende abgesagt. Ich habe in vier Jahren einmal Caruso und einmal Schaljapin hören können und das nicht etwa in Vorstellungen mit einem Spitzenensemble. Sie waren richtige Gäste in einer normalen deutschsprachigen Aufführung. Ich möchte es den Wienern nicht mehr zumuten, ein Ensemble vorgesetzt zu bekommen, in dem z.B. eine Sängerin alles singt. Es gibt heute natürlich keinen Caruso und keinen Schaljapin mehr, aber die Wiener haben doch die Ersten jedes Faches für sechs bis zehn Abende pro Saison in Wien und jeder Spitzensänger kann vom Wiener Publikum gehört werden.
Sind Sie mit dem in Wien bereits Erreichten zufrieden?
Aber nein, sicher nicht! Wir müssen natürlich zuerst das große Repertoire vervollständigen und schwächere Inszenierungen verbessern und ausfeilen. Wir bringen z.B. im Winter eine italienische Boheme, deren dritter Akt neu gemalt und bei der die ganze Einstudierung aufgefrischt wird. Erst wenn alles das getan ist, haben wir Zeit, uns mit anderen Dingen zu befassen, die über das Repertoire hinausgehen. Allerdings bin ich nicht dafür, daß das stehende Repertoire allzu riesig wird, denn dann ist es schwer auf einem gleichmäßig hohen Niveau zu halten. Wir können uns aber jetzt schon Ausnahmefälle wie Falstaff und Die schweigsame Frau leisten, die kaum mehrfach zu besetzen sind, und diese ein- der zweimal im Jahr präsentieren.
Besetzungs- und Ensemblefragen bieten sicher die größten Schwierigkeiten im Opernbetrieb. Was sagen Sie dazu?
Es ins ist wesentlich einfacher, große Stars zu finden, als gute zweite Besetzungen und gute Hauskapellmeister. Und das zweite Fach ordentlich zu besetzen, macht überhaupt die allergrößten Schwierigkeiten. Könnten wir einmal junge Sänger dafür finden, bekommen diese gleich in Düsseldorf oder sonst wo die Hauptrollen, die wir ihnen noch nicht geben können. Wir wissen ganz genau, was uns da alles fehlt, aber das Fehlende zu finden, das ist die große Schwierigkeit, und nur allzu oft ist ein Erfolg in dieser Beziehung eine reine Glückssache. Wie z.B. im Falle Fritz Wunderlich, der hier in Salzburg einen großen Erfolg hatte, natürlich auch in Wien singen wird, und den wir in Zukunft enger an Wien binden wollen.
Sind Sie von der Idee des „Alleinverantwortlichen“ abgekommen oder ist es nur Zeitmangel, daß Sie nicht mehr alles selbst inszenieren?
Ich bin absolut nicht davon abgekommen. Aber ich habe z.B. beim Mord im Dom das Konzept der Regie schon gesehen und es hat mir sehr gut gefallen. Warum sollte da nicht jemand Anderer inszenieren? Es ist absolut nur Zeitmangel, wenn ich nicht alle meine Neuinszenierungen selbst mache. Ich würde mich, wenn ich bis dahin nicht gestorben bin, besonders für Boris Godunow, Pelleas und Melisande, Troubadour, Fidelio und Don Giovanni interessieren. Dazu kommt immer wieder die Auffrischung stehender Inszenierungen, wie z.B. der Meistersinger.
Es herrscht manchmal große Aufregung über Ihre Striche. Warum haben Sie im dritten Akt Tristan in Wien, im Fidelio-Finale in Salzburg gestrichen?
Der Fidelio-Strich ist nicht von mir, sondern von Richard Strauss. Ich habe überdies noch nie eine Fidelio-Inszenierung gesehen, in der der Chor bei „Heil sei dem Tag“ von der alten Opernschablone wegkam. Außerdem haben wir uns bemüht, das Schlußbild und die Leonoren-Ouvertüre nahtlos aneinander zu binden. Wenn nach der verbindenden Ouvertüre immer applaudiert wird, erhebt sich die alte Frage nach dem Grund, warum sie überhaupt gespielt wird. Übrigens habe ich eine andere Lösung des Fidelio-Finales in Vorbereitung, die ich aber noch nicht verrate. Was den dritten Akt Tristan betrifft, habe ich noch nie eine Inszenierung gesehen, die die Melot-Szene glaubhaft machen konnte. Der Strich erfolgte auch hier aus Regie-Gründen.
Sind Sie der Ansicht, daß eine Zusammenarbeit à la Achse Wien-Mailand auch mit anderen Opernhäusern möglich sein könnte?
Ich glaube nein. Das hätte keine Zukunft. Ich wüßte nicht, was wir von anderen Opernhäusern noch für uns Wichtiges bekommen könnten.
Glauben Sie nicht, daß die Wiener Oper ein kleines Haus braucht und sind Sie mit dem derzeit dafür verwendeten Redoutensaal einverstanden?
Natürlich braucht die Wiener Oper ein kleines Haus, und wir werden den Redoutensaal solange verwenden, bis wir etwas Besseres haben. Man soll seine Bedeutung nicht unterschätzen, er dient doch zur teilweisen Ablenkung des Publikums – besonders des Ausländer-Zustroms in den Sommermonaten – und gibt uns außerdem die Möglichkeit, alle unsere Soprane zu verwenden. Dieses Fach ist ja stark besetzt und die großen Sängerinnen würden kaum für längere Zeit nach Wien kommen, wenn sie nicht vollbeschäftigt wären. Wenn uns irgend jemand allerdings eines Tages das Theater an der Wien schenken würde, wären wir glücklich und würden es mit Dank nehmen. Soll doch einmal jemand eine Liste anlegen! Ich zahle auch etwas dazu.
Pflegen Sie Kritiken zu lesen?
Soweit sie mich betreffen – nein. Ich lese nur das, was sich auf die Wiener Oper und ihre Linie im allgemeinen bezieht.
Sind Sie der Ansicht, daß Salzburg unbedingt alljährlich eine Uraufführung bringen muß oder wäre die Aufführung eines bereits bekannten modernen Werkes wie z.B. der Johanna auf dem Scheiterhaufen nicht ebenfalls interessant?
Nach der Vanessa und der Julietta haben es die Leute schon gemerkt, wie schwierig es ist, da etwas Passendes zu finden. Es kommt nur mehr sehr selten vor, daß ein modernes Werk mir gleich etwas sagt, wenn ich die Partitur zum ersten Mal in die Hand nehme, wie zum Beispiel der neue Henze, den ich letzte Saison in Berlin gemacht habe. Gerade die Johanna auf dem Scheiterhaufen wäre für Salzburg durchaus aktuell. Es muß keinesfalls eine Uraufführung um jeden Preis stattfinden. Übrigens ist die Aufführung moderner Musik in Salzburg, auch in Konzerten, in erster Linie eine Probenfrage. Ich habe für den schon erwähnten Henze, einem Zwanzig-Minuten-Stück, in Berlin vier Proben gemacht. Das konnte ich mir leisten, weil die Symphonie, die nachher gegeben wurde, auf der Amerikatournee mit den Berliner Philharmonikern vierzigmal auf dem Programm stand und wenig Proben brauchte. Aber in Salzburg, wo das Orchester stark beansprucht ist, könnte man es eben nur so mache: wie bei einem modernen Musikfest, wo sich die Dirigenten mit Mühe und Not zweimal durch das Programm durchschaufeln können. Das ist natürlich nicht angängig. Leider muß ich noch hinzufügen, daß der Ruf nach dem zeitgenössischen Werk häufig von jenen Leuten ausgeht, die sagen, solche alten Schinken wie den Tristan oder den Fidelio sollte man heutzutage überhaupt nicht mehr aufführen. Da kann man gar nichts mehr sagen, hier hat jede Diskussion ein Ende. Ich vermisse leider allzu oft den Respekt vor dem Kunstwerk!
Wie beurteilen Sie die Akustik des neuen Festspielhauses?
Gute Akustik ist heute kein großes Problem mehr. Ich war in dem neuen Festspielhaus in Vancouver, wo man eine hervorragende Akustik herausbekommen hat, ohne sich überhaupt besonders den Kopf darüber zu zerbrechen. Das kann man heutzutage schon perfekt, und es wird sicher auch in Salzburg klappen.
Denken Sie daran, für künftige Festspiele Barockopern auszugraben?
Eigentlich ist ja schon der Orpheus eine Ausgrabung. Natürlich nicht in der Fassung, die wir spielen. Aber wenn man die Originalfassung, die über drei Stunden dauert, genommen hätte, und immer noch eine Arie und immer noch ein Ballett gekommen wären, hätte es passieren können, daß das Publikum nicht hineingegangen wäre. Es ist so eine Geschichte mit den „Ausgrabungen“. Man müßte, um eine Barockoper wie den Pomo d’oro wirklich interessant zu machen, die barocke Aufführungspraxis neu beleben. Man müßte die damals so beliebten Pferdeballette einbauen und zu diesem Zweck die ganze spanische Hofreitschule nach Salzburg kommen lassen, man müßte Feuerwerk und Wasserspiele verwenden. Da würde eine Inszenierung auf ungefähr 1,5 Millionen Schillinge kommen, und außerdem kenne ich keinen Regisseur, der so wie seinerzeit Charell, imstande wäre, ein solches Massenaufgebot zu bewegen. Wenn einer käme und sagte: „Ich möchte dieses oder jenes Werk so oder so aufführen und stelle mir das so oder so vor.“, könnte man schon darüber sprechen. Allerdings wäre eine solche Aufführung dann doch nichts anderes als eine barocke Show, und es erhebt sich die Frage, ob der musikalische Wert einer solchen Oper dem Aufwand adäquat ist. Die Stücke sind vielleicht gar nicht zu Unrecht vergessen!
Sie bringen mit der Verkauften Braut zum ersten Mal eine „kleinerer“ Oper, eine von jenen, die bisher eigentlich eher an der Volksoper gegeben wurden. Werden Sie das fortsetzen, wenn ja, mit welchen Werken?
Wir haben die Verkaufte Braut ganz bewußt als einen wichtigen Teil des folkloristischen Repertoires ausgewählt und werden zur Spielplanauflockerung auch in Zukunft kleinere Opern herausbringen. Für mich wäre da – ich habe auch schon mit Dr. Rennert darüber gesprochen – besonders der Wildschütz interessant. Die Fledermaus, (die sich mehrere unserer Sopranstars so wünschen, Anm.d.Red.) erfordert eine teure Ausstattung um zu wirken. Wir werden sie aber wahrscheinlich doch einmal bringen und zwar dann, wenn wir anfangen werden, auch im Juli zu spielen. Ein Anfang wurde ja im Redoutensaal bereits gemacht. Durch den Publikumszustrom aus dem Ausland, der sich ja immer mehr in den Sommer verlagert, werden wir über kurz oder lang die Saison verlängern müssen.
Am Ende der 25 Minuten steht die Frage, die das Publikum wohl am meisten interessiert: Gefällt es Ihnen –trotz alledem – in Wien?
Aber natürlich, sonst wäre ich ja gar nicht mehr da! Ich bin doch frei!
SALZBURGER ZWISCHENAKT
Wenn man auch in vielen Zeitungen lesen kann, Salzburg habe jede Atmosphäre verloren und sei ein Festspielort unter vielen, lasse man sich doch nicht von solchen Zweckmeldungen mürbe machen. Für viele Reporter bedeutet „Atmosphäre“ nichts anders als Kaffeehausklatsch. Und da sich die in Salzburg mitwirkenden Künstler heutzutage lieber im Grünen ein Haus mieten, um im Kreise der Familie doch so etwas wie einen Urlaub zu verbringen (was man in keiner Festspielstadt so gut kann wie eben in Salzburg), das ergrimmt die Klatschkolumnisten. Denn diese glauben, die Sänge rund Dirigenten hätten nichts anderes zu tun, als im Café Bazar zu sitzen und Geschichten zu erzählen.
Man muß den grimmen Journalisten allerdings zugute halten, daß der Beginn der Festspiele heuer recht bescheiden war: Die Amerikareise Herbert von Karajans rächte sich. Die beiden Mozartopern waren teilweise ja recht gut. Die Zauberflöte wäre sicher auch besser und gerechter beurteilt worden, wenn sie nicht am Beginn gestanden wäre – denn dafür war sie musikalisch zu wenig „Ereignis“. Wenn man, so wie wir, mitten in den Festspielhochbetrieb hineinplatzt, sieht man allerdings das Ganze aus einer etwas verschobenen Perspektive. Aber auch für das Publikum begannen die Festspiele erst – wie es sich eigentlich auch chronologisch gehört hätte – mit der „Chef-Oper“.
Karajan präsentierte heuer einen musikalisch vollendeten Orpheus. Dann hörte man die so lange unbeachtet gebliebene Schweigsame Frau, in einer szenisch wie musikalisch hervorragenden Wiedergabe. Diese beiden Werke sind echte Salzburger Stücke, sie interessieren den Snob ebenso wie das breite Publikum. Die Zauberflöte stellte vom Szenischen her die vorangegangenen Inszenierungen ohne Mühe in den Schatten, reichte aber musikalisch kaum über eine gute Wiener Repertoirevorstellung hinaus, was auch ziemlich schwierig sein dürfte. Così fan tutte, heuer leider fast immer in dem schrecklichen Karabinierisaal, der sich noch schlechter als der Wiener Redoutensaal dazu eignet, wurde in der nun schon erstarrten, fast museumsreifen Inszenierung von 1942 gegeben.
Konnte man sich an den beiden erstgenannten Aufführungen begeistern, die beiden Mozart-Opern aber immerhin noch gutheißen, so müssen die übrigen Programmpunkte als schon sehr fragwürdig bezeichnet werden. Was soll ein durchschnittliches Gelegenheitswerkchen wie Die Welt auf dem Mond, noch dazu in einer auf möglichst billig gearbeiteten Aufführung bei den Salzburger Festspielen? Man hätte Haydn, sofern er das überhaupt nötig hat, mit einer festlichen Aufführung eines Oratoriums besser ehren können.
Ein weit ärgerer Fehlschlag war allerdings heuer wieder die zeitgenössische Oper, obwohl die ziemlich degoutante Julietta noch um ein Wenig besser wirkte als die vorjährigen Perversitäten. Die Mitarbeiter des Merker, die sich hauptsächlich aus den Jahrgängen zusammensetzen, die sich nach 1945 die moderne Musik erst erarbeiten mußten, sind weit davon entfernt, „reaktionär“ und „verkalkt“ zu sein. Wir erinnern uns mit Vergnügen daran, daß es wahre Konkurrenzen gab, wer als erster alle Bartok-Streichquartette, sämtliche Symphonien von Martinu oder das gesamte Oevre von Alban Berg gehört hatte. Mangelnde Modernität fällt also bei uns weg. Aber wir können uns nicht mehr anders helfen, als klipp und klar festzustellen, daß man aufhören muß, lächerliche Opernparodien in Salzburg aufzuführen.
Auf zwei Dinge konzentrierte sich das allgemeine Interesse: Auf das neue Festspielhaus und auf die Person des neuen Festspielpräsidenten. Das Haus erscheint uns ja um einiges wichtiger. Bei einem Besuch konnte man feststellen, daß es im Rohbau recht gut wirkt. Wir können uns nicht erklären, warum derart gegen das Gebäude polemisiert wird. Jede Aufführung im jetzigen Festspielhaus leidet unter der schrecklichen Akustik in diesem langgezogenen „Schlauch“. Und Regisseure und Bühnenbildner sehen sich auf der winzigen Bühne, die nur als schlechter Witz bezeichnet werden kann, vor die größten Probleme gestellt.
Die Salzburger Festspiele haben einen künstlerischen Leiter. Dessen Hauptaugenmerk gilt der Oper und den großen Konzerten, also dem, was an Salzburg am interessantesten ist. Und das ist in den vergangenen drei Jahren bei Herbert von Karajan in guten Händen gewesen. Wir finden einen Festspielpräsidenten eigentlich total unnötig- die technische Lösung der mit den Festspielen verbundenen Probleme ist ohnedies Aufgabe des Generalsekretärs und soll es weiter bleiben, selbst wenn die Presse Herrn Dr. Nekola nicht leiden kann. Die Honneurs beim Eröffnungsakt wird doch der Landeshauptmann oder sonst jemand machen können! Wir finden sogar die diversen Vorstände, Direktoren und Beiräte total unnötig. Und sollten die Herren Paumgartner, Einem, Schuh, Neher, Lothar und so weiter auch darob beleidigt sein, so werfen wir die Frage auf, was – bitte schön – die Genannten eigentlich schon geleistet haben? Die Erfolge der Festspiele waren die ihrigen nicht, sondern die der Sänger und der verantwortlichen Dirigenten, ob diese nun Furtwängler hießen oder Karajan heißen. Und für Fehlschläge auf dem Gebiet des Sprechstückes und der zeitgenössischen Oper stehen sie ja sowieso nicht gerade. Da will es dann keiner gewesen sein.
ORPHEUS UND EURYDIKE am 10. und 22. August in der Felsenreitschule
Der Orpheus wurde in der gleichen Fassung wie 1948, allerdings diesmal in italienischer Sprache gespielt. Auch die Inszenierung durch Oscar Fritz Schuh und Caspar Neher in der Felsenreitschule blieb die gleiche. Die Aufführung wirkte musikalisch noch elementarer und noch größer angelegt, als in Herbert von Karajans erstem Salzburger Sommer, was wohl zum Teil durch die Stimmen bedingt schien. Wunderbar war die
feierliche Schönheit, die die Wiener Philharmoniker der edlen Musik gaben, hinreißend war die dramatische Kraft, mit der Karajan in den Furienszenen faszinierte und Wirkung erzielte. In den Toten- und Furienchören zweigte sich der Wiener Staatsopernchor von der besten Seite. Wir haben ihr schon seit Jahren nicht mehr so klangschön und ausgewogen erlebt. Hier war auch die Wirkung der Regie am größten, besonders dort, wo sie wahrscheinlich gar nicht von Schuh ist: in der präzise-choreographischen Bewegung der roten und schwarzen Furien in den steinernen Gängen des Felsens. Das Elysium wirkte danach etwas ärmlich, was nicht allein am Raum liegt (da könnte man schon einiges machen!), sondern, an allzu wenig Bewegung (wo blieb das Ballett?) und an der (zum wievielten Male bei Neher eigentlich!) stumpfen Ärmlichkeit der Kostümierung. Die Not der Nachkriegsjahre ist schließlich vorbei. Man hätte auch dem Hades und dem Elysium etwas barocken Prunk vergönnen können. Daß Neher kann, wenn er muß, bewies er mit den schönen, weißen Kostümen für das höfische Schlußballett, dessen Wirkung aber wieder durch die fürchterlich „schiachen Perchten“ aufgehoben wurde. In Zusammenarbeit mit Ita Maximowna, Herrn Nomikos (von dem die Kostümentwürfe der Elektra vor zwei Jahren stammten!) oder Herrn Wakhevitch hätte die Inszenierung noch weit wirkungsvoller sein können. So ertappte man sich einige Male dabei, daß man gar nicht auf die Bühne sah, sondern allein die Musik auf sich wirken ließ, was aber nicht Sinn und Zweck einer Opernregie ist. Die Choreographie von Yvonne Georgi bewies, daß sie mit ihren Evolutionen in Wien beträchtlich überschätzt wurde. Sie offenbarte durchschnittliche Ideen und durchschnittliche Beherrschung der ihr anvertrauten Tänzer, unter denen sich immerhin Könner wie Edeltraue Brexner und Richard Adama befanden.
Im Orpheus faszinierte die einmalige Giulietta Simionato, die Sängerin, die sich auf der Bühne kaum bewegt und die doch immer alles richtig macht, die mit der Kraft und Schönheit ihrer phänomenalen Orgelstimme ebenso begeistert wie durch ihre durchdachte und gefühlvolle Phrasierung. Ihr zur Seite stand Sena Jurinac, wohl eine der innigsten, seelenvollsten Stimmen der heutigen Zeit, die das Schwebend-Befreite des seligen Geistes ebenso gut traf wie Verzweiflung und Glück. Graziella Sciutti sang mit klarer, heller Stimme und viel Stilgefühl die Arien des Eros.
Der Eindruck dieser Aufführung war ein gewaltiger. In unseren Vorstellungen war noch dazu prachtvolles Wetter. Man zog zu den Gesängen der seligen Geister das Rolldach zurück, und ein herrlicher Sternenhimmel wölbte sich über dem grauen Stein. Allerdings hörte man auch die Grillen des Mönchsberges ungebührlich laut zirpen. Aber damit muß man eben rechnen, wenn man neben schöner Musik gleichzeitig auch noch gute Luft genießen darf.
DIE SCHWEIGSAME FRAU im Festspielhaus
Das hätten wir nicht gedacht. Wir hatten immer insgeheim angenommen, die Schweigsame Frau sei doch ein schwächeres Werk und deshalb solange nicht gespielt worden. Das gibt es ja auch bei Strauss. (Die Oper wird derzeit nur an Felsensteins Ostberliner Komischer Oper gespielt, erlebte eine Nachkriegsaufführung in München, die sich aber nicht auf dem Spielplan hielt, und eine Aufführung im Salzburger Landestheater. Das ist alles!) Man achtete deshalb das Beginnen einer Neuinszenierung als Erfüllung einer Ehrenpflicht gegenüber Richard Strauss und versprach sich nicht übermäßig viel davon.
Da haben wir uns aber tüchtig getäuscht! (Wir geben das freimütig zu und tun nicht so, als hätten wir immer gewußt, welch einen Schatz es da zu heben gab, wie es andere tun!). Auch wenn man die Wirkung der großartigen Aufführung abzieht, bleibt noch immer genug übrig. Da entwickelt sich schon im Vorspiel aus beschaulicher Ruhe das tolle Durcheinander heraus, das Sir Morosus und seine Nöte mit den lärmenden Mitmenschen auf das Feinste charakterisiert. Da hört man einen spritzigen, wirbelnden, turbulenten ersten Akt mit großartig gebauten Ensembles, einen im ersten Teil eher lyrischen, stimmungsvollen, zweiten Akt - um so stärker wirkt dann der große Krach als Höhepunkt und dessen leises Verklingen. Der dritte Aufzug bringt mit der gespielten Gerichtsverhandlung den Gipfel der Intrige und das Happyend für alle Beteiligten.
Gespielt wurde hervorragend - von dem gut aufgelegten Orchester unter der schwungvollen, feurigen, delikaten und begeisterten Leitung von Karl Böhm ebenso herrlich wie auf der Bühne.
Es ist vielleicht nicht sehr galant, von der Oper Die schweigsame Frau zuerst den männlichen Hauptrollenträger ausführlich zu würdigen, aber die Persönlichkeit des großen Hans Hotter rechtfertigt dieses Vorgehen. Hotter hat im Laufe eines reichen Künstlerlebens meistens ernste Rollen gespielt - Intriganten, Götter, düstere Bösewichte. Welch eine Fülle von subtilem Humor hat der Künstler trotz alledem! Der alte Sir Morosus ist keine habgierige, geprellte Don Pasquale-Figur mehr, sondern wie ihn sein Barbier charakterisiert: „ein Herz von Wachs, eine Seele von Gold ... nur mit den Ohren, da haptert’s“. Seit er mit der Pulverkammer eines Schiffes in die Luft geflogen ist, verträgt er keinen Lärm mehr und beklagt sich bitter über die „schrecklichen Glocken“ und seine dauerredende Haushälterin. Und als sein Neffe Henry mit einer ganzen Theatertruppe einziehen, enterbt er ihn und schickt seinen Barbier auf die Suche nach einer schweigsamen Frau. Diese findet sich in Aminta, Henrys Frau. Die liebenswürdige Dame führt sich auf das beste und bescheidenste ein. Um so größer ist das Entsetzen über die tobende Furie, die dann die Galionsfiguren von den Wänden wirft, alles umstellt, schreit und lärmt. Sie treibt den armen Sir zum völligen Zusammenbruch, und er ist heilfroh, als er entdeckt, daß er gar nicht verheiratet ist und sein vieles Geld doch seinem Neffen vererben kann. „Wie schön ist die Musik, doch am schönsten, wenn sie vorbei ist ....“ Hans Hotter spielt den stolzen Sir, der fast ein komödienhafter Holländer ist, ebenso überzeugend wie das Rührend-Schüchterne eines etwas bejahrten Liebhabers, die Verzweiflung des Geprellten ebenso großartig wie den gutmütig Verzeihenden und Resignierenden. Dazu ist er stimmlich bis in die schwärzesten Baßtiefen hervorragend und interessanterweise in der Aussprache sehr deutlich. Die Rolle, die so fern von dem liegt, was er eigentlich normalerweise spielt, hat ihm sichtlich die allergrößte Freude gemacht.
Hilde Güden in der Titelrolle singt die immens schwierige Partie, daß man aus dem Staunen nicht herauskommt. Ihr schwebender, silberheller Sopran bewegt sich scheinbar ohne jede Mühe in den exponierten Höhen (die Partie geht bis zum F!) und führt die Ensembles mit unbeirrbarer Sicherheit. Auch darstellerisch hat die charmante Frau Kammersängerin viel zu bieten: Sie spielt die Primadonna der Truppe ebenso wie das innige, bescheidene Mädchen, sie rauscht mit großer hysterischer Geste über die Bühne und entpuppt sich zuletzt als bezaubernde Schwieger-Nichte. Sowohl bei Hilde Güden als auch bei Hans Hotter ist bemerkenswert, wie nobel und dezent sie immer wirken. Bei einer anderen Besetzung der beiden Hauptrollen hätten sehr viele von den Feinheiten und damit sehr viel von der Wirkung verloren gehen können. Da hat man mit der Besetzung einmal eine sehr glückliche Hand gehabt!
Der Drahtzieher der Intrige, Meister Pankratius Schneidebart, der Figaro, Dampfplauderer und springlebendige Schwindler mit anderer Leute Heiraten, war bei Hermann Prey in den besten Händen. Seine schöne, lyrische, helle Baritonstimme wirkt ebenso sympathisch wie sein frisches, witziges und elegantes Spiel. Bei diesem Sänger dürfte eine Art Wien-Komplex vorliegen, den er zu seinem eigenen Nutz und Frommen und nicht zuletzt zu dem der Wiener Staatsoper bald zu überwinden trachten sollte. Wie gut könnten wir Herrn Prey (trotz Wächter, Berry und Bastianini) in Wien brauchen! Einen durchschlagenden Erfolg hatte auch der Tenor Fritz Wunderlich dessen frische, junge, gut geführte Stimme ein so schönes Timbre hat, wie wir es in den letzten Jahren bei deutschen lyrischen Tenören gar nicht mehr anzutreffen gewohnt waren, denn diese haben zumeist Stilgefühl und künstlerische Intelligenz, aber meist kein Timbre. Karl Dönch war als Komödiantenchef Vanuzzi in seinem Element, parodierte mit Würde einen Pfarrer, wobei er einige unbeschreibliche Gesichter zog, und einen Notar, der wie ein fleischgewordener Paragraph wirkte. In solchen Rollen ist Dönch an seinem Platze, aber um Himmelswillen nicht als Alfonso oder Monostatos! Auch Alois Pernerstorfer erwies sich als blendender Schauspieler mit viel Freude an der diesmal nicht „wienerischen“, sondern „Londoner Maskerad“ und spielte einen betrunkenen Seemann ebensogut wie einen Musiklehrer, der zu einer Arie von Monteverdi geziert und mit großer Klaviertiger-Geste das Pianoforte schlägt. Hetty Plümacher, die stimmlich nur gerade passabel war, gab die köstliche Studie einer Unschuld vom Lande, in herbstem Münchnerisch, während Pierette Alarie weder stimmlich noch darstellerisch überzeugte, Josef Knapp hingegen nur als Schauspieler. (Die drei letztgenannten müßten wirklich nicht nach Wien übersiedeln, da hätten wir zu Hause bessere Kräfte.) Georgine Milinkovic gab eine großartige Tratschen von Haushälterin mit dem beziehungsreichen Namen „Witwe Zimmerrein“, man ist direkt versucht, sie mit dem Prädikat „riegelsam“ zu belegen.
In dem witzigen Bühnenbild Theo Ottos führte Günther Rennert die Sänger, daß es eine reine Freude war. Es ist ihm gelungen, mit dieser Schweigsamen Frau noch seinen eigenen Figaro zu überbieten und das will schon etwas heißen. Er spezialisiert sich offenbar immer mehr auf die „kleinen Dinge“ und erreicht damit immer größere Wirkung. Die Gruppierungen, die er mit den von Erni Kniepert fröhlich-bunt gewandeten Künstlern bildet, erinnern fast an die von Giorgio Strehler und seinem Piccolo Teatro. Besonders gelang die Szene im ersten Akt, in der der Barbier die Intrige ersinnt. Wenn er vom Geld des Sir Morosus erzählt, sinken die Komödianten geistesabwesend auf die Stufen nieder und starren mit glänzenden Augen vor sich hin .... um dann plötzlich wieder einen wirbelnden Haufen zu bilden, über den sich, an einer Balustrade hängend oder auf einem Sessel balancierend, Meister Schneidebart erhebt, sodaß es aussieht, als zappelten die übrigen Akteure wie Marionetten an seinen Fingern. Das kann man gar nicht schildern, das muß man gesehen haben.
Wir hoffen sehr, daß das Wiener Publikum diesen großen Festspielerfolg auch bald in Wien bewundern wird können.
DIE ZAUBERFLÖTE am 18. August im Festspielhaus
Günther Rennert gelang es ebenso wie in Wien, die mit Abstand beste Zauberflöte seit Jahren zu inszenieren, diesmal in Zusammenarbeit mit Ita Maximowna, die die klug der Bühne angepaßten, feinen, zartfarbigen Bühnenbilder, die hauptsächlich auf Schleier gemalten Prospekte und die prachtvollen Kostüme schuf. Die Aufführung ist stärker stilisiert als die in Wien, sie ist nicht so pathetisch in den Priesterszenen, nicht so charmant-verspielt (wir denken hier besonders an Wakhevitchs bezaubernd-naive Märchentiere in der Flötenszene), aber die Wirkung ist um so geschlossener. Außerdem hat Rennert immer wieder neue Ideen. So läßt er Papagena und Papageno, sobald sie sich gefunden haben, auf einer Leiter in ein Vogelnest klettern. Er läßt – etwas Neues – die Königin der Nacht mit einer ganzen Armee in den Tempel eindringen. Eigentlich ganz logisch, nur mit den drei Damen und Monostatos wird sie kaum so schwarzen Plänen nachgehen. Ganz neu wirkt auch die Sprecherszene, in der die drei Tore einmal nicht symmetrisch angeordnet sind. Der große Sarastro kommt in einem mit Löwen gespannten Triumphwagen auf die Bühne gefahren. So gibt es eine Fülle liebenswürdiger Details. Man möchte die Herren und Damen Kritiker, die die Wiener Zauberflöte verrissen haben und jetzt die ganz andersgeartete Salzburger Zauberflöte ebenfalls verreißen, am liebsten fragen, wie sie sich eine Zauberflöte-Inszenierung eigentlich vorstellen? Da wüßte wohl keiner eine Antwort. Uns, die wir uns als Publikum fühlen und noch nicht zu Kritikern herabgesunken sind, gefällt die Inszenierung jedenfalls sehr gut,
Dagegen wissen wir eigentlich nicht, warum uns die Aufführung musikalisch so kalt ließ. George Szell ist ein ausgezeichneter Dirigent, kultiviert, geschmackvoll und – besonders in den Papagenoszenen – von altösterreichischem Charme. Walter Berry sang einen naiven Naturburschen mit Herz und Humor und Hans Hotter einen edlen, würdigen Sprecher. Die Königin der Nacht wurde von Erika Köth gesungen, die sich
in guter, jedoch nicht in Spitzenform befand. Kurt Böhme war ein stattlicher Sarastro mit schöner Prosa, leider ohne die erforderliche Tiefe und dunkle Klangfarbe. Den Tamino sang Leopold Simoneau, dessen gepflegte Stimme ihm Forte, das er selten anwendet, einen wunderbaren metallischen Glanz bekommt, worauf er aber unmittelbar in sein berühmtes Kopfton-Pianissimo fällt. Tatsache ist freilich, daß ihm richtiges, schönes, volles Mezzavoce fehlt. Das ist sehr schade, denn es beeinträchtigt seine ansonsten ausgezeichnete Leistung, auch darstellerisch. Nur mit der deutschen Prosa tat er sich schwer. Nicht jeder Tenor ist ein Sprechtalent wie Nicolai Gedda.
Lisa Della Casa war an dem Abend, an dem wir sie hörten, offenbar durch einen Ischiasanfall zu statuarischer Haltung verurteilt, was sie aber durch eine wundervolle Gesangsleistung, bei der man wieder einmal die Schönheit ihrer Stimme und den Geschmack und die Kultur ihres Vortrages bewundern konnte, kompensierte. Graziella Sciutti sang und spielte Papagena, die drei Damen (Friederike Sailer, Hetty Plümacher und Sieglinde Wagner) waren korrekt, die Sängerknaben nicht immer. Robert L. Charlebois und Alois Pernerstorfer sangen die besten Geharnischten, die wir seit langem gehört haben. Dafür waren die Priester (Erich Majkut und Alfred Jerger) und der Monostatos (Karl Dönch) indiskutabel. Sie wären es sogar bei Repertoirevorstellungen gewesen.
COSÌ FAN TUTTE am 16. August im Karabinierisaal
Schade um die bezaubernde Oper! Es ist nicht einzusehen, warum gerade sie nicht – weder in Wien noch in Salzburg – je neu gemacht wird. Alle anderen Mozartopern hat man schon mehrere Male neu inszeniert, was teils glückte, teils mißlang. Aber bei keiner anderen Oper gab es diese Stagnation, diesen Denkmalschutz, diese Museumsreife. Wenn man sie seit 1942 alljährlich einige Male gesehen und gehört hat, kann man die ewig gleichen Witze, die spiegelverkehrten Aktionen auf der winzigen Bühne nicht mehr mit ansehen.
Bei den Damen gebührt Christa Ludwig die Palme, die bezaubernd sang und spielte. Irmgard Seefried schien etwas angestrengt, was sich bei den Arien am stärksten auswirkte, sang aber mit dem ihr eigenen Stilgefühl und musikalischer Sicherheit. Graziella Sciutti war eine ganz entzückende Kammerzofe, hatte aber stimmlich keinen guten Abend. Die Stimme klang manchmal direkt spitz. Vielleicht singt sie zuviel. Nicolai Gedda war mit Abstand der beste unter den Herren, sang geschmackvoll und spielte mit Humor. Rolando Panerai, der voriges Jahr einen solchen Erfolg in der Partie des Guglielmo gehabt hatte, zeigte sich leider erheblich verschlechtert. Die Stimme klang häufig grob und steif und im Ausdruck outrierte er manchmal. Karl Dönch erwies sich als völlige Fehlbesetzung. Er übertrieb zwar anerkennenswerter Weise nicht so wie als Monostatos, blieb aber eben dadurch völlig farblos – fast so farblos wie seine jeden Timbres entbehrende Stimme.
Karl Böhm sorgte vom Pult her für stimmungsvolles Musizieren. Das war aber zu wenig, um viel Stimmung zu erzeugen.
Mit Così fan tutte muß etwas geschehen. Jetzt sind wir endlich soweit. Wenn eine Inszenierung auf symmetrisches Agieren der beiden Paare aufgebaut ist und die beiden Damen oder Herren – je nachdem –
sich hintereinander bei der Türe hereinquetschen müssen, weil sie nebeneinander keinen Platz haben, hört sich der Spaß auf. Oder will man vielleicht allen Ernstes behaupten, die Sänger seien in Salzburg dicker als
die Wiener Standardbesetzung.
DIE WELT AUF DEM MONDE
Wer das Stück in Wien im Schönbrunner Schloßtheater gesehen hat, wird es nicht wiedererkennen. Das macht aber fast gar nichts, weil die Welt auf dem Monde eines von jenen Stücken ist, die man nur einmal zu sehen braucht. Die Salzburger Aufführung, die sehr sauber von Bernhard Conz – der freilich nicht gerade ein Operndirigent für die Salzburger Festspiele ist – dirigiert wurde, spielte sich in ebenso sauberer Nylon-Bühnenbildern von Heinrich Wendel ab, der eine Kreuzung von Wieland’scher Scheibe und Neher’scher Treppe, eben eine Wendel-Treppe schuf und die Sänger mit hübschen Kostümen in kalten, klaren Farben wie weiß, schwarz, violett und türkis ausstattete, von denen sich nur der rote Samtfrack des Kavaliers Ernesto abhob. Für die „Mondbewohner“ gab es bizarre Blättergewänder.
Der Stern dieser Welt war auf dem Monde war zweifellos Anneliese Rothenberger, die ihren schwierigen, koloraturgespikten Part souverän meisterte. Oskar Czerwenka, der in dieser gemütlichen Baßbufforolle voll und ganz am Platz ist, war stimmlich und darstellerisch gleich ausgezeichnet. Von den übrigen Darstellern verfügten die für eine Zofe im Typ etwas zu herbe Mezzosopranistin Cora Canna Meijer und der Stehbariton Ernst Gutstein, an den wir uns noch aus seiner Akademiezeit gut erinnern, wenigstens über schöne, recht gut geschulte Stimmen. Was Caesare Curzi, Dodi Protero und Ferry Gruber nach Salzburg verschlagen hat, weiß die Mondgöttin Luna allein
Unter den vier Scholaren, die größtenteils mit Mitgliedern des Salzburger Landestheaters besetzt waren, entdeckten wir auch den allseits bekannten und beliebten Studenten-Billeteur von der Prunkstiege der Wiener Staatsoper, Herrn Karel Caslavieski.
Die Regie Georg Reinhards war ebenso durchschnittlich wie die Choreographie von Erich Walter. Ist da ganz Bielefeld in Salzburg zu Gast gewesen? Wenn ja, warum?
JULIETTA
Das war die unvermeidliche, alljährliche Weltaufführung, die uns heuer das Billigste vom Billigen bescherte.
Oper semiseria in vier Akten, nach Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O“. Text und Musik von Heimo Erbse.
Herr Erbse ist vor zwei Jahren in Salzburg ansässig geworden, nicht zuletzt wahrscheinlich vom Beispiel Gottfried von Einem animiert, der ja auch „automatisch“ in Salzburg uraufgeführt wurde. Auch im Falle Erbse genügte dann die zweifellos schwierige Bearbeitung nicht etwa von Kleist, sondern der zuständigen Direktoriumsmitglieder zu einer Welturaufführung. Vorher war Heimo Erbse vielen Musikfreunden nur durch
Rundfunk-Aufführung seines Klavierkonzertes bekannt, das aber weniger durch seine Substanz im Gedächtnis haften blieb, als dadurch, daß es von dem Pianisten Hans Bohnstingl interpretiert wurde, was unweigerlich etwas lustig wirken mußte. Dabei fehlt es Herrn Erbse nicht etwa an handwerklichem Können. Er scheint seine Lektion brav gelernt zu haben. Es fehlt ihm ganz einfach an Persönlichkeit und an Geschmack. Er nahm die Grundgedanken der Kleist’schen Novelle und kittete sich einen Text zusammen, der sich anhört, wie eine schlechte Verdi-Übersetzung. Den umgibt er mit einer unauffälligen Musik, von der nur die ausgesprochen parodistischen Nummern – wie das Septett „Nun le-he-ben Sie wohl, nun le-he-ben Sie wohl, adieu, adieu, auf Wiedersehn ...“, das sich wiederholt, bis das Publikum unruhig wird, oder eine karikierte italienische Arie – überhaupt Eindruck machen: den eines schlechten Schlagers à la „Försterliesl“ nämlich. Diesen Ohrwurm konnte man auch nicht vergessen, nachdem man ihn einmal gehört hatte.
Es erhebt sich nur die Frage, inwieweit es einem Herrn Erbse gestattet ist, sich über die gute alte Oper, die er als Kunstform mit seinen Opus auch nicht zugrunde richten wird, lustig zu machen. Die italienische Arie wäre etwas für einen Tiefenpsychologen: Denn aus ihr sprich der blanke gelbe Neid auf die Repertoireopern, über die die Fachleute lächeln und in die das Publikum geht. Die schwindsüchtige Traviata wird noch ihr hektisches Leben führen, wenn die mühsam exhumierte Marquise bereits wieder im Erbbegräbnis deren von Falckenberg ruht. Samt dem mysteriösen Kindlein, um das sich die ganze Geschichte dreht.
Die Aufführung war viel zu gut. Antal Dorati (der angeblich der sechzehnte Dirigent sein soll, dem man das Stück angeboten hat!) stand souverän über der Sache und erwies sich als Musiker mit Temperament und Geschick. Die Titelpartie, die in einer fast unsingbar hohen Lage geschrieben ist, meistens Rita Streich mit hübscher Stimme, die zur allgemeinen Überraschung auch in der Mittellage viel Durchschlagskraft zeigte. Auch darstellerisch tat sie, was ihr möglich war, jedenfalls mehr, als die Rolle überhaupt hergibt.
Der immens vielseitige Walter Berry schaltete erstaunlich rasch von seinem humorvoll-herzigen Papageno auf den rauhbeinigen Krieger um, der vom Recht des Stärkeren brutal Gebrauch macht, aber dann – was wahrscheinlich nicht bei vielen Militärs geschieht – darob Skrupel bekommt. Auch Berrys Prachtstimme wurde kraftvoll und doch stets beherrscht eingesetzt. Elisabeth Höngen hat mit der Amme Babett, die Herr Erbse höchstpersönlich erdachte, eine fürchterlich platte, billige und kitschige Partie erhalten. Die große Künstlerin konnte einem leid tun. Sieglinde Wagner und Rudolf Knoll waren als Eltern Juliettas konventionell „etepetete“. Für Juliettas Bruder hatte man Gerhard Stolze bemüht, der einen skurillen, komplexbeladenen, linkischen „Grenzfall“ darstellte. Weiters wirkten noch Alois Pernerstorfer, Erich Majkut und Alfred Jerger mit.
In den Dekorationen von Caspar Neher, die hier nicht so störten wie sonst, führte Oskar Wälterlin geschickt Regie, die Choreographie leitete weniger geschickt Yvonne Georgi.
Und was haben wir jetzt davon? Niemand errang Triumph oder Anerkennung. Man wird Salzburg wegen seiner „Modernität“ bald nur noch auslachen!