DER SEPTEMBER 1960

5. Jahrgang, Heft 10

 

DIE OPERNSAISON BEGANN

In der Wiener Staatsoper und brachte im September ein Spiegelbild des Staatsopernjahres: wie es ist und wie es sein sollte; wie es nicht sein dürfte und wie es sein könnte. Hier hatten wir die für die Wiener Staatsoper unter Karajan so charakteristische Mischung zwischen internationaler Weltklasse, nicht dazu passenden Rudimenten aus früheren Jahren, überhasteten und daher noch unpassenden Gastspielen und Neuengagements – und eine neue Dirigentenmisere: Wie wenn wir an Heinrich Hollreiser und Wilhelm Loibner nicht genug hätten, fanden sich prompt, wie wir es vorausgesehen haben, die Herren Erich Märzendorfer und Hans Swarowsky am Pult der Staatsoper ein, um ihre mit massivster Presseunterstützung errungenen Ämter anzutreten. Und die Presse wird ihr Wirken gar nicht in voller Tragweite miterleben können, weil sie ja nur Repertoire dirigieren und somit nur vorzugsweise das Abonnementpublikum unter ihnen zu leiden hat. Und natürlich die Mitarbeiter des Merker.

Wir konzedieren der Operndirektion, daß es unmöglich ist, das Niveau des die Saison eröffnenden Ring des Nibelungen, die italienische Galabesetzung der Premiere von Macht des Schicksals oder der Andrea Chénier durch 300 Abende im Jahr durchzuhalten. Und daß die Erkrankung von Leontyne Price und Otto Wiener eine schwierige Lage mit sich brachte, verstehen wir auch. Wir können uns allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß sämtliche Direktionsmitglieder mit dem Angeln nach dem bestimmt ausgezeichnet dotierten Posten des Generalsekretärs der Oper so beschäftigt sind, daß sie das Repertoiremachen den Routiniers in der Regiekanzlei überlassen, die dieses Geschäft natürlich unter den Aspekten von 1954-1956 ausüben. Wie anders wäre sonst die wirklich gänzlich unnötigen Gastspiele eines Herrn Polke oder einer Frau Curtin zu erklären? Die Traviata hätte man sicherlich auch Mimi Coertse singen lassen können, wenn man sich schon nicht aufraffen kann, Wilma Lipp, die die Partie auch schon italienisch studiert hat, ein paar Proben zu gewähren – und schließlich hätte Giuseppe di Stefano ja nicht unbedingt den Alfred singen müssen. Im übrigen: Wir haben jetzt genug eigenen Verdi auf dem Spielplan, um des Scala-Abfalls der Pappe-Inszenierungen von La Traviata und Rigoletto leicht entraten zu können. Vielleicht könnten wir den Kram zurückgeben und etwas Vernünftigeres dafür eintauschen, etwa Giorgio Strehlers Matrimonio Segreto-Inszenierung oder des verstorbenen Cantelli hochgepriesene Così fan tutte, was den Spielplan unseres Hauses etwas beleben würde. Wir sehen nämlich nicht ein, warum im Redoutensaal Opern unter Ausschluß der Öffentlichkeit gegeben werden, die man ebenso gut, ja besser im großen Haus spielen könnte. Aber das Durchwursteln ist seit jeher eine Wiener Spezialität. Vielleicht würden auch bei Auflassung des Redoutensaales einige Beamte ein nettes Pfründlein verlieren? Oh gesegnete Tradition!

 

DER RING DES NIBELUNGEN

DAS RHEINGOLD am 1. September

DIE WALKÜRE am 3. September

SIEGFRIED am 5. September

GÖTTERDÄMMERUNG am 8. September

Wir finden, es war eine vernünftige Disposition und zwar aus drei Gründen:

1./ Es war ein festlicher Beginn – es wurde nicht „so irgendwie" angefangen, wie dies bisher meist geschah.

2./ Es erleichtert ein ordentlicher Ring den Übergang vom Festspielsommer zum Repertoiregetriebe.

3./ Ein Wiener „Herbst-Ring" liegt, was das Ensemble betrifft, gerade richtig zwischen Bayreuth und den traditionellen beiden Londoner Ringen vor Saisonbeginn und den Wagner-Aufführungen der amerikanischen Herbst-Saisonen.

Wir hatten also zur Verfügung, was im Wagner-Fach gut und teuer ist, mit Ausnahme eines repräsentativen Gibichungen-Geschwisterpaares, das wir aber bei einigem Weitblick im eigenen Ensemble aufzutreiben durchaus in der Lage wären.

Die Philharmoniker erwiesen sich nach arbeitsreichem Sommer in prächtiger Form und Spiellaune, was nicht ganz ohne Proben abgegangen sein dürfte. Herbert von Karajan war wieder ein kraftvoller, überlegener Ring-Dirigent, der die diversen musikalischen, technischen, handwerklichen und nicht zuletzt gedanklichen Probleme diese Riesenwerkes meisterte, als habe er 36 Mann Orchester und eine Zweieinhalb-Stunden-Oper vor sich. Es ist unglaublich, welche Reserven von Kraft und Konzentration dieser Dirigent hat und mit welcher Meisterschaft er allen Ebenen des gewaltigen Werkes gerecht wird. Wir erinnern uns gerne der gewaltigen, von großem edlen Pathos erfüllten Aufführungen von Walküre und Götterdämmerung unter Furtwängler und Knappersbusch. Rheingold und Siegfried haben wir aber nie so gehört wie unter Karajan. (Diese Abende können sich nämlich ganz schön ziehen, wenn man sie pathetisch macht!) Wir erinnern uns keines so fließend-romantischen und doch dabei glasklaren, spannungsreichen und Kontraste schaffenden Musizierens.

Auf der Bühne kann man deutlich das Wachsen des Ringes und das Wachsen des Regisseurs Karajan an ihm beobachte, das in der Götterdämmerung einen Höhepunkt erreicht hat. Es wären nun, da der Ring steht, etliche kleine Verbesserungen, besonders an den Kostümen, vorzunehmen. Und vor allem sollte man den ersten Akt Siegfried direkt auf den Bühnenboden und nicht auf einen Aufbau stellen. Da hätten es die Sänger leichter.

Die im wahrsten Sinne des Wortes überragende Figur in der Tetralogie schuf Hans Hotter. Es ist schwierig, über seinen Wotan und Wanderer etwas Neues auszusagen, die Konsequenz zu beschreiben, mit der die Figur vom ersten Erklingen des Walhall-Motivs im Rheingold bis zum gefaßt-resignierenden Abgang im dritten Akt Siegfried gestaltet ist. Und der Gestaltung adäquat ist die dunkle Stimme, deren Modulationsfähigkeit immer neu überrascht.

Birgit Nilsson hat sich ehrlich und mit Fleiß die Brünnhilde erarbeitet und imponierte wieder durch die geballte Kraft ihres leuchtend-dramatischen Soprans – wenn sie auch nicht ganz so mühelos sang wie etwa bei der Götterdämmerungs-Premiere im Juni vergangenen Jahres.

Wolfgang Windgassen bemühte sich redlich. Manchmal fehlte es ihm an Stimmstärke – er hat natürlich wieder einmal zu viel gesungen. Seit der Zeit, als er begann, Wagner zu singen hat er sich sehr geändert. Wir erinnern uns, wie glatt und mühelos, fast wie Tamino, er in seinen ersten Wagner-Jahren sang, und es ist interessant zu beobachten, wie das Wachsen des Ausdrucks, das bei ihm ja sehr stark merkbar ist, die Stimme angreift, sie herber und rauher macht. Nur stört das nicht, wenn er sich in guter Form befindet. In schwächerer Verfassung sind mühevolle und manchmal nicht ganz saubere Ansätze nicht zu überhören – aber es ist natürlich müßig, davon überhaupt zu reden, wenn Windgassen alle wesentlichen Aufführungen des Ring des Nibelungen allein bestreiten muß. Man wünscht es ihm, daß sich die Herren Vickers oder Uhl in absehbarer Zeit über den Siegfried stürzen, andererseits kann man keinem Sänger dieses mörderische Fach wünschen. Regine Crespin sang die Sieglinde mit Bayreuth-Erfahrung, gut durchdacht und sauber. Es kam allerdings wenig über die Rampe, zumal sich Windgassen ja auch mit dem Siegmund nicht gerade leicht tut. Und interessant: Wenn nichts von der Bühne ausstrahlt, wird Karajan sofort kammermusikalisch. Und so gab es einen ersten Akt Walküre wie bei Karajans ersten Wiener Opernabenden. Mit dem Auftritten von Hans Hotter und der mitreißenden Rita Gorr (Fricka) wuchs der Abend aber zu harter dramatischer Wucht.

Mittel- und Höhepunkt des SIEGFRIED war diesmal nicht das Waldweben (die Holzbläser wirkten wie infiziert vom obligat unsicheren Horn und sogar die blühende Soloklarinette rutschte einmal ein bißchen ab), sondern eine prachtvolle Wala-Szene und ein hymnisch-jubelndes Schlußduett, das allerdings von Birgit Nilsson eher im Alleingang gesungen wurde.

In der GÖTTERDÄMMERUNG sang Gottlob Frick, der sich schon als Fafner und auch als Hunding bestens bewährt hatte, einen prachtvollen Hagen. Die beiden anderen Bewohner der stolzen Halle am Rhein, Carlos Alexander und Paula Brivkalne, waren nicht vorhanden. Ein Detail ist übrigens allen Italiener-Hassern bisher entgangen, nämlich die goldene Adlerfeder, die als Kopie eines in Italien aufgefundenen Schmuckstückes aus der Völkerwanderungszeit ein wesentlichere Dekorationselement der Halle ist. Welscher Tand sogar in der Gibichungenhalle! Hoffentlich stammt das Stück wenigstens von Goten oder Langobarden.)

Auch in der Götterdämmerung fiel wieder die ausgezeichnete Verfassung von Alois Pernerstorfer auf, der seine bisher besten Alberich sang. Die Mannenchöre sind am Beginn immer unsicher und finden sich erst im Mittelteil des Chores. Um so besser war das Orchester, das mit Trauermusik und Schlußgesang (im Verein mit der prachtvollen Birgit Nilsson) Großartiges leistete.

Was uns noch auffiel: Textliche Unsicherheiten bei den Sängern. Bei dem sonst sehr guten Peter Klein zum Beispiel, um bei dem ansonsten großartigen Loge von Gerhard Stolze zu einer fatale Situation am Schluß des RHEINGOLD zu führen, die er aber souverän meisterte. Weiters gab es eine interessante, mit Riesenstimme sehr schön gesungene und vortrefflich phrasierte Rheingold-Fricka und Waltraute von Rita Gorr, sehr gute Leistungen der Rheintöchter (im Rheingold Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel Majdan, in der Götterdämmerung mit Gundula Janowitz, Margareta Sjöstedt, Hilde Rössel-Majdan ) und passable Walküren. Aus dem Nornen-Trio ragte Christa Ludwig eindeutig heraus. Die Götterpartien im Rheingold waren mit Anton Dermota (Froh) und Eberhard Wächter (Donner) besetzt.

CAPRICCIO am 2. September

Eine Reprise des kostbaren Operntestamentes, das uns Richard Strauss vererbte, erfreute uns zu Saisonbeginn deshalb besonders, weil Karl Böhm durch Proben wieder alten Premierenglanz heraufbeschworen hatte. In unbestechlicher Präzision konnte er den betörenden Einakter in wunderbarer Klangschönheit mit unseren Philharmonikern musizieren, die, wie fast immer bei Strauss, ihr Bestes gaben. Das Zwischenspiel mit seiner vertrauten Hornmelodie (ein Sonderlob dem Hornisten) und die folgende Spiegelszene sind wirklich nach Strauss’ eigenen Worten der schönste Abschluß eines theatralischen Lebenswerkes.

Wesentlichen Anteil an der Vollkommenheit der Schlußszene hatte allerdings die Künstlerpersönlichkeit von Elisabeth Schwarzkopf, die mit Abstand beste Leistung des Abends. Ihre Gräfin wird durch den absoluten Triumph im Gesanglichen, verbunden mit einer von Charme und Geist durchdrungenen Darstellung, und nicht zuletzt durch die edle Schönheit ihrer Erscheinung zum unvergeßlichen Erlebnis. Wie viele großartige Frauengestalten hat uns diese Frau schon geschenkt und doch wünschen wir uns noch zwei Straussrollen von ihr, die durch ihre hohe Darstellungskunst bestimmt zu einem einmaligen Erlebnis werden würden: Ariadne und Arabella. Paul Schöffler, als La Roche ein ähnlich großes Erlebnis wie die Schwarzkopf, gab der Figur wieder sprühendes Leben aus der reichen Erfahrung seines Künstlerlebens und vermochte durch seine die Bühne beherrschende Persönlichkeit die Grenzen zwischen Rolle und Interpretation fast gänzlich zu verwischen. Stimmlich wußte er geschickt über manch schwierige Stellen der Partie hinwegzutäuschen – der wissende Routinier, auf der Bühne ergraut. Anton Dermota als Flamand, Schöfflers langjähriger Bühnenkollege, war bestens disponiert und sang seinen bisher besten Musiker mit warmer, schmelzreicher Stimme. Wenn er nur manchmal etwas freundlicher dreinschauen würde! Der Dichter Walter Berry, noch immer etwas „saftig" in der Darstellung, kostete jede Note dieser Prachtpartie in vollen Zügen aus („Ich fürchte, er komponiert mich!"). Weniger zufrieden war man schon seit der Premiere mit Christl Goltz als Clairon, die ihre Partie zwar mit Zurückhaltung singt, aber doch keinesfalls das ideale Timbre dafür mitbringt. Außerdem würde die Altfassung dieser Partie einen wesentlich besseren Gegensatz zum hellen Sopran der Gräfin darstellen. Ebenso macht hier Hermann Uhde der Parlandostil wesentlich mehr Schwierigkeiten als beispielsweise der Gunther. Er weiß wohl, warum er die „Rezitative" nicht mag! Das italienische Sängerpaar war durch Ermanno Lorenzi und besonders Rita Streich nicht gerade aufregend vertreten. Peter Klein und Alois Pernerstorfer machten aus ihren Nebenfiguren interessante Gestalten aus Fleisch und Blut.

„Capriccio ist kein Stück für’s Publikum", meinte schon Richard Strauss selber nach Fertigstellung des Werkes, und die sehr geringe Dichte auf dem Stehplatz bestätigte diese Worte. Als Leckerbissen für musikalische Feinschmecker wird es aber stets seine dankbaren Zuhörer finden.

DIE WALKÜRE am 3. September

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des RING DES NIBELUNGEN am 1. September besprochen

DON GIOVANNI am 4. September

Trotz der, gemessen an der Salzburger Festspielaufführung, gar nicht so stark geänderten Besetzung erwies sich dieser Abend als echtes Repertoire. Die Hauptschuld daran trägt nach wie vor die unmögliche, immer mehr und mehr Grauen erregende Inszenierung samt Kostümierung der Hauptdarsteller. (Die guten Kostüme für Donna Anna und Zerlina müssen von den Sängerinnen der Eröffnungsvorstellung des Hauses wahrscheinlich mit Gewalt durchgedrückt worden sein, sie sehen gar nicht nach Caspar Neher aus). Eine Neuinszenierung des Werkes wäre dem Ansehen der Wiener Oper sehr förderlich – schließlich kann man eine der Hauptstützen des Repertoires nicht in dieser Form darbieten.

Leontyne Price (Donna Anna), Elisabeth Schwarzkopf (Donna Elvira), Eberhard Wächter und Walter Berry demonstrierten besten, stilistisch und stimmlich gleicherweise vollendeten Mozartgesang. Gottlob Frick als stimmgewaltiger Komtur erwies sich der Salzburger Festspielbesetzung eindeutig überlegen. Irmgard Seefried sang die Zerlina sehr schön und ziemlich diszipliniert. Kostas Paskalis ist ein recht guter Masetto. Karl Böhm am Pult hatte gegen die Unaufmerksamkeit des Orchesters, der Sänger und des Chores zu kämpfen, die offenbar der Ansicht waren, sie könnten es ohnehin. Aber natürlich ist er ein Mozartdirigent von hoher Qualität und verstand es, sich durchzusetzen. Der schwache Punkt in der Besetzung war Anton Dermota, der prompt die Chance verpaßte, sich als ungerechtfertigt benachteiligt gegenüber einer schwächeren Salzburger Besetzung feiern zu lassen (Nerven hat er nie gehabt). Er kämpfte bei den Arien mit jedem Ton und jeder Tonhöhe und die Luft ging ihm noch schneller aus als sonst.

SIEGFRIED am 5. September

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des RING DES NIBELUNGEN am 1. September besprochen

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 6. September

Der glanzvolle Beginn der Spielzeit wurde durch die Karmeliterinnen kurz unterbrochen. Nach fünf Opernfesten bracht dieser Abend eine gediegene Ensembleleistung. Berislav Klobucar dirigierte die ermüdende Partitur mit Hingabe und Präzision und leitete die Sänger sicher, sodaß die übertriebene Lautstärke des Souffleurs, den man auf der Galerie deutlich verstand, fehl am Platz war. Die beiden Schwestern wurden von Emmy Loose und Anneliese Rothenberger aufopfernd gespielt und – vor allem von letzterer – wunderschön gesungen. Die Priorin von Elisabeth Höngen ist eine profilierte Gestalt, die stark beeindruckt. Hilde Zadek stellte die Therese glaubhaft dar und hat in dieser Rolle auch stimmlich etwas zu bieten. Christl Goltz als Mutter Maria bemühte sich mit Erfolg, ihre stimmlichen Vorzüge kommen allerdings in großen dramatischen Partien weit mehr zur Geltung. Einzig Rosette Anday als Johanna beeinträchtige stimmlich das Damenensemble. In den (vom Libretto vernachläßigten) undankbaren Partien des Marquis und Chevalier de la Force waren Alfred Poell und Ivo Zidek erfolgreich. Anton Dermotas Beichtvater verdient Anerkennung als ausgezeichnete Charakterstudie. Die Comprimarii Erich Majkut, Alois Pernerstorfer und Ljubomir Pantscheff füllten ebenfalls ihre Rollen aus. Im ganzen eine schöne Ensembleleistung, die aber vom Publikum kühl aufgenommen wurde.

ANDREA CHÉNIER am 7. und 18. September

Nun ist die glanzvolle Schlußpremiere der vorigen Saison ins Repertoire eingegangen. Renata Tebaldi und Franco Corelli wurden durch Antonietta Stella und Carlo Bergonzi abgelöst, und damit hat auch der Festglanz dem Alltag in der Aufführung Platz gemacht, allerdings einem sehr gehobenen Alltag, den man anderenorts noch als umjubeltes Festival feiern würde. (Wie sind wir doch verwöhnt!). Freilich, an diesen ersten Abenden war Antonietta Stella stimmlich nicht sonderlich in Form und versuchte fälschlicherweise, wie bei den meisten Sängern üblich, dies durch betontes Spiel zu kaschieren, was dann auch – wie meistens – nicht in Intensität, sondern in Übertreibung ausartet. Carlo Bergonzi ist ein grundmusikalischer Tenor, nicht eine Nuance, die aus dem Orchester kommt, bleibt von ihm unbeachtet, er wird seinem Part gerecht mit der Präzision eines Instrumentalisten, und er singt ausgeglichen, mit guter Stimme, er gibt alles und schenkt sich nichts. Was ihm fehlt, ist die Ausstrahlung der großen Persönlichkeit, und einem Corelli nachzusingen, ist wohl auch keine dankbare Aufgabe. Bergonzi ist kein blendender Chénier, aber ein ehrlicher, der es sich zur Verpflichtung macht, alles zu geben, was er zu geben imstande ist. Glanzpunkt im Ensemble: Ettore Bastianini, groß in Form und in toller Fahrt, war sein Gerard neuerlich ein Kabinettstück. Unser Meisterorchester war an beiden Abenden groß „da", hier herrschte volle Premierenstimmung. Am Pult stand Lovro von Matacic.

GÖTTERDÄMMERUNG am 8. September

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des RING DES NIBELUNGEN am 1. September besprochen

AIDA am 9. September

Als Radames bot Carlo Bergonzi gleich zu Beginn eine große Überraschung, die „Celeste Aida" war großartig und überzeugend gesungen und brachte ihm spontanen Beifall ein. Auch im weiteren Verlauf des Abends hielt er gutes Niveau und zeichnete für eine solide Leistung. Leontyne Price, für Wien als Aida bereits ein Begriff, rechtfertigte durchaus diesen vorauseilenden Ruf, hatte aber dann das Pech, während der Nilarie mit einem Belag auf der Stimme kämpfen zu müssen, meisterte dieses Handicap jedoch mit virtuoser Technik. Allerdings sang Frau Price in musikalischer Hinsicht einigermaßen eigenwillig. Die Sängerin betont nun in dieser Partie ihre eigenen Tempi, die sie durchzusetzen versucht, nicht nur beschleunigend, was aus Atmungsgründen zu verstehen wäre, sie ritardiert auch dort, wo sie es für richtig hält, und dies sogar in Ensemblestellen. Giulietta Simionato ist nach wie vor die Amneris unserer Tage, auch dann, wenn sie nicht in Höchstform ist. Der Mittellage fehlte diesmal stellenweise die Durchschlagskraft, die wir von dieser Stimme gewöhnt sind. Sie begeisterte trotzdem oder erst recht, wenn man so sagen will. Jedenfalls erfuhr die große Leistung dadurch keinen Abbruch. Ettore Bastianini ist und bleibt der klangschönste Amonasro weit und breit, den –fern aller Wildheit – Kultur und Wohllaut auszeichnen. Gottlob Frick lieh dem Ramphis Stimmgewalt, obgleich sich diesmal hin und wieder rauhe Töne einschlichen. Ein besonderes Lob gebührt an diesem Abend unseren Streichern. Willy Boskovsky saß am ersten Pult und war in Geberlaune. In Wien ist man den einmaligen Streicherklang bereits gewöhnt, diesmal schwelgte man trotz allen Verwöhntseins. Besonders schön gelang daher auch an diesem Abend das Vorspiel, außerdem gefiel uns der prächtig gesteigerte Aufbau des Triumphaktes und der intensive Atmosphäre ausstrahlende Nilakt dieser Aufführung, musikalisch geleitet von Lovro von Matacic.

DER ROSENKAVALIER am 10. September

An Karl Böhms Stelle hätten wir den Philharmonikern (oder deren Substituten) in jeder Pause derartige Standpauken gehalten, daß sie dieselben einige Zeit nicht vergessen hätten. Es geht nicht an, daß sich die Philharmoniker Akademieschüler ins Orchester mitnehmen, um sie während der Vorstellung zu unterweisen. Nichts gegen die Philharmonikersöhne im Allgemeinen, aber wenn sie, wie an diesem Abend der junge Rühm, den Wiener Bläserstil revolutionieren, dann sollten sie dem traditionsreichen Orchester zunächst fernbleiben. Die bei Strauss so wichtigen „picksüßen Hölzeln" spielten an diesem Abend so steif und grell, als gehörten sie der Band von Woody Hermann an. Es war eine Schande.

Auf der Bühne präsentierte sich – mit einige hervorragenden Ausnahmen – das Ensemble der Deutschen-Grammophonaufnahme und das dürfte so ziemlich auch die einzige Hilfe gewesen sein, die Irmgard Seefried bei ihrem ersten Oktavian für sich buchen konnte. Der erste Eindruck war, daß die Stimme für den Oktavian im Volumen ziemlich klein ist. (Wo sind doch die Stimmen der Schwarzkopf und Jurinac, die ja vom gleichen Fach herkommen, hineingewachsen!). Nach jahrelangem Gedrosseltwerden blühte aber die Stimme sehr schön und klangvoll, das Musikalische war überhaupt tadellos. Nur szenisch wollte einiges nicht passen, das ständige Zupfen a là Susanne am Häubchen und Schürzchen, die Fechtszene im zweiten Akt (dieser Rofrano fuchtelt wirklich mit dem Spadi!) und eine gewisse herablassende Schnippichkeit. (..."Sie kennt ihn schon recht wohl..." usw.. Der auf den ersten Blick in Sophie verliebte junge Mann wird keinesfalls die junge Dame in dem Ton abgefertigt haben: „Kennt Sie mich, ma Cousine?"). Oder „...Die Fräulein mag ihn nicht" geriet auch etwas zu kammerzöfchenhaft. Dafür sang sie die von den meisten Mariandln so grauenhaft verzerrte Melodie „Es ist ja eh alles eins..." mit normaler Oktavianstimme, was ordentlich wohltat. Im ganzen betrachtet, ist die Leistung sehr hoch einzuschätzen, und bei dem latenten Okatvianmangel wird Frau Seefried vielleicht einmal Gelegenheit haben, die Partie bei einer auswärtigen Premiere oder Stagione mit einem namhaften Regisseur durchzuarbeiten. Elisabeth Schwarzkopf ist ein Traum von einer Marschallin, von aufwühlender, moderner Gestaltungskraft. Rita Streich bildet in ihrer derzeitigen Form, mit dünner, aber belegter Stimme, stereotypem Lächeln und viel Schminke kaum ein Plus in einer Staatsopernaufführung. Kurt Böhme war nicht nur entsetzlich aufdringlich, sondern auch stimmlich äußerst schwach. Erich Kunz bewährte sich als geschickter, drastischer Faninal und Anton Dermota plagte sich mit dem Sänger.

TRISTAN UND ISOLDE am 11. September

Ernst und feierlich, dramatisch, von heißer Glut erfüllt, rauschend und fiebrig in den chromatisch zusammengeballten Akkorden ist die Tristan-Musik und so war sie auch in der Interpretation der Philharmoniker unter der Leitung von Herbert von Karajan.

Auf der Bühne standen der Welt Standard-Wagnersänger, und es erwies sich, daß sie nach einem „Ring" alle ein wenig der Ruhe bedurft hätten, anstatt, da sie nun schon einmal alle beieinander sind, einen Tristan sozusagen noch darüberzustreuen.

Birgit Nilsson ist eine schwächerer Verfassung eigentlich am wenigsten anzumerken. Man hört nur eine gewisse Schärfe in den Spitzentönen heraus. Die Londoner Sentas, der Wiener Ring, Tristan und Tristan-Schallplatten sind wahrscheinlich auch für eine Heldensopran vom Kaliber einer Nilsson zuviel. Daß Hilde Rössel-Majdan die Partie der Brangäne nicht gerade zu ihren Spitzenleistungen zählen kann, ist bereits bekannt. Immerhin hat sie, z.B. in den Wachtrufen, schöne Momente.

Wolfgang Windgassen steigerte sich in einen intensiven und eindrucksvollen dritten Akt hinein, der allerdings wahrscheinlich keine Minute länger hätte dauern dürfen. Ihm zur Seite stand der auch in Wien schon erprobte Kurwenal von Gustav Neidlinger, der sich in der Zeit, in der wir ihn nicht hörten, eine eher gemäßigte Gesangslinie zugelegt hat, die er auch diesmal einhielt. Die Zeit des offenen Losdröhnens ist offenbar für ihn auch schon vorbei. Gottlob Frick war der würdige Marke mit kraftvollen Baßtönen. László Szemere, ein intelligenter Sänger ohne Stimme, hielt sich in der Partie des Melot überraschen gut, doch erhebt sich die Frage, wozu wir eigentlich Hermann Uhde engagiert haben, wenn er seine besten Rollen, Gunther und Melot, nicht singt. Für Philipp, Pizarro, Escamillo, aber auch Capriccio-Grafen doch sicher nicht!

EIN MASKENBALL am 12. September

wurde wieder einmal eines der Feste, die jetzt in Wien so ohne viel Aufhebens des öfteren gefeiert werden – und wie sehr sich das Stammpublikum an seine Hausitaliener schon gewöhnt hat, erkennt man am besten, wenn man sich vorstellt, was sich vor viereinhalb Jahren bei einer solchen Vorstellung (bei der Stehplatzkasse und beim Bühnentürl) abgespielt hätte.

Das Herrenteam dominierte etwas; Kunststück! Giuseppe di Stefanos mitreißende Gestaltung des Riccardo ist ja bestens bekannt und mehrfach gerühmt worden, und stimmlich ließ er selbst für seine Verhältnisse – und man vergleicht ihn nun einmal immer mit seinen schärfsten Konkurrenten, seinen eigenen Schallplatten – kaum einen Wunsch offen. Ettore Bastianini, der sich das Herz des Wiener Publikums in vielleicht noch weiterem Maß erobert hat, weil er nicht nur öfter hier, sondern überdies noch sehr verläßlich ist, bringt es fertig, als Renato immer noch besser zu werden, zumindest was das gesangliche betrifft.

Bei den Damen ging von Giulietta Simionato die größte, eine geradezu kraftgeballte Wirkung aus. Als Ulrica zeigt sie ganz besonders, daß man lebensecht und dabei wirksam sein kann, ohne das kleinste Mätzchen anzubringen und jemals zu übertreiben; und die Stimme – die bleibt ein Wunder. Antonietta Stella erfreute mit einer wohldurchdachten Amelia, beherrschter Stimme, die nur in den höchsten Spitzenregionen nicht immer ganz klar bleibt, und einer dankenswerten Einsatzfreude. Sie war sehr gut, begeisternd war sie nicht. Auch in den Nebenpartien waren die Herren die besseren, was sie mit den weniger dankbaren Aufgaben deutlich machten. Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff als Verschwörer und Harald Pröglhöf als Seemann. Als Oscar zeigt Rita Streich wieder einiges aus ihrer Mätzchenkiste, wenn auch etwas gemäßigter als sonst. Stimmlich vermochte sie nicht zu überzeugen, immerhin verpatzte sie nichts – und das war wegen des Gesamteindruckes sehr wichtig. Die musikalische Leitung hatte Berislav Klobucar. Er wurde schon beim Hereinkommen bezischt, was wir in jedem Falle (sogar bei Zallinger und Hollreiser) ausgesprochen ungezogen finden, auch wenn er sich nicht mit Ruhm bedecken konnte.

AIDA am 13. September

Die mittlere der drei AIDA-Aufführungen im September war ein wahres Prachtstück. Herrliche, bestens disponierte Sänger, einfach himmlisch spielende Philharmoniker – was wollte man mehr? Selbst die scheußliche Inszenierung konnte man vergessen. Schon das Vorspiel klang so prächtig, daß das Publikum auf die üblichen Huster beim Pianissimo vergaß. Nach den vielen Wagner- Abenden machte es Herbert von Karajan sichtlich Freude, sich wieder einmal in Verdi „hineinzulegen". Die Piani klangen süß, doch nie süßlich, die Forte-Stellen kräftig, doch nie hart oder grell, der dramatische Aufbau war klar herausgearbeitet: Es war sozusagen das Musterbeispiel einer idealer Aida-Interpretation, ohne je lehrhaft zu wirken.

Man hatte den Eindruck, daß sich die Sänger unter seiner Leitung wohl fühlten, da sie auf seine Hilfe rechnen konnten. Merkbar war dies schon bei der „Celesta Aida". Carlo Bergonzi hat ja nicht gerade die ideale Stimme für den Helden. Es fehlt ihr am Metallklang und an Tiefe. Er singt sicher, seine Höhen sitzen einwandfrei, aber er ist nicht im geringsten aufregend. Diesmal war er aber „erste Klasse". Er sang vor allem mit Ausdruck und Intensität, zwei Dinge, mit denen er sonst sehr sparsam umgeht. Aber unter Leitung des Chefs ging es scheinbar nicht anders!

Giulietta Simionatos Amneris und die Aida von Leontyne Price wurden schon oft gerühmt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Idealinterpretinnen der Rollen befanden sich auch in idealer Stimmverfassung. Simionatos Höhepunkt war wieder die Gerichtsszene, die Price überbot sich selbst im Nilakt: sowohl ihre Arie (mit einem prächtigen, im Piano angesetzten hohen C) als auch ihre Duette mit Amonasro und Radames – besser geht es nicht mehr. Ettore Bastianini war ein ausdrucksvoller und schön singender Äthiopierkönig. Und zwar schön singend, ohne je zu forcieren (das soll ihm einer nachmachen). Auch schauspielerisch war er da, schön langsam gewöhnt er sich den „Stehbariton" ab. Frederick Guthrie sang den König, als Ramphis war Nicola Zaccaria diesmal sehr gut, stimmgewaltig und intonationsrein. Selbst die gefürchtete Höhe in der Tempelszene gelang – mit Orchesterunterstützung – einwandfrei. Einzig aus dem Rahmen fiel Erich Majkuts Bote. Sein Agieren in der Art eines Epileptikers ist einfach skandalös!

Ein besonderes „Danke schön" gehört dem Oboisten, der das Solo im Nilakt blies. So schön hört man es nur selten. Großer Jubel im ausverkauften Haus!

DER ROSENKAVALIER am 14. September

Statt der angekündigten Hochzeit des Figaro überreichte Oktavian seiner Sophie die silberne Rose und das geschah zur Freude der Opernfreunde, denn die Besetzung der Mozart-Oper versprach manch „Sticheliges". Nun, die Ersatzvorstellung des Rosenkavalier erfreute trotz der Improvisation und ließ manche Nörgler verstummen. Karl Böhm dirigierte mit überlegenem Können, spielte den ersten Akt breiter aus als sonst, was durchaus zu der Resignation der Marschallin von Hilde Konetzni paßte. Hilde Konetzni ist für ihre große Operngemeinde eine legendäre Gestalt in dieser Rolle. Man spürt das schlagende Herz der Künstlerin, man sieht die Tränen in ihren Augen und vergißt darüber, daß letzten Endes die Zeit an der Stimme nicht spurlos vorüber gegangen ist. Doch die meisten der Anwesenden hören Frau Konetzni mit der Erinnerung an zahllose unvergeßlich Abende, und der warme Applaus am Ende des ersten Aktes bewies, daß die Dankbarkeit und die Anhänglichkeit des hiesigen Publikums kein leerer Wahn ist. Ihr Oktavian war Christa Ludwig, die sich in dieser Rolle immer mehr und mehr in den Vordergrund spielt. Sieht man von den Mariandl-Szenen ab, für welche sie nicht den natürlichen Humor mitbringt und dieses Manko durch Übertreibung im Spiel auszugleichen versucht, ist sie heute einer der besten Quinquins, die auf Opernbühnen zu sehen sind. Elegant ist nicht nur ihr Spiel, elegant ist auch die Beherrschung ihres samtenen Mezzos, der füllig und weich durch das Haus fliest. Schade, daß sie Rita Streich als Sophie zur Partnerin hatte, denn der trockene und spröde Ton der Sopranistin wollte nicht zu Christa Ludwig passen. Rita Streich’s großangelegter Publicityfeldzug im deutschen Illustriertenwald nimmt eine unerwartete Wendung. Die hochgeschraubten Erwartungen der Gelegenheitsbesucher werden bei weitem nicht erfüllt, und so macht sich laute Enttäuschung bemerkbar. Den Ochs sang Oscar Czerwenka, glaubhaft in der Maske, saftig im Spiel. Würde man letzteres auch auf seine Stimme beziehen können, dann wäre er vielleicht wirklich der Welt bester Ochs, wie man uns ständig einreden will. In gesanglicher Hinsicht nämlich gibt es zuviel Einwände, angefangen von dem gestemmten „Selbstverständlich empfangt mich Ihro Gnaden", bis zur unhörbaren Tiefe. Außerdem fehlt es ihm von Natur aus an dem nötigen kraftvollen Volumen für den „schlechten Kerl". Noch ist die Stimme primär auf der Opernbühne und nicht der Schauspieler allein, wobei wir nochmals betonen möchten, daß Herr Czerwenka ein ausgezeichneter Schauspieler ist. In den Nebenrollen hörte man Anton Dermota als Sänger, der die belcanteke Arie mit heldischen Tönen sang, die ihm außerdem viel Mühe bereiteten, Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein als treffliches Intrigantenpaar, Erich Kunz als urwienerischer Faninal, dem nur die Höhenluft der Partie ganz liegt und Judith Hellwig. Das Orchester, das nicht in Standardbesetzung auftrat, hielt sich gut, mit Ausnahme des Gekratzes des ersten Geigers am Ende des ersten Aktes, das viel an Stimmungen nahm. Trotz allem was das eine Ersatzvorstellung mit Niveau, die ausnahmsweise den Umbesetzern ein gutes Zeugnis ausstellte.

AIDA am 15. September

Nach Lovro von Matacic und Herbert von Karajan dirigierte nun Alberto Erede die Aida. Wir kennen Erede bereits von vielen Vorstellungen als ausgezeichneten Dirigenten des italienischen Repertoires. Wir waren daher nicht enttäuscht, daß ihm der erste und zweite Akt nicht ganz so gelungen, wie wir das von ihm gewöhnt sind. Durch allzu breite Tempi fehlte die Spannung und einige Stellen wirkten daher ermüdend. Ließ auch der zweite Akt in dieser Hinsicht noch Wünsche offen, so konnten jedoch der dritte und vierte Akt voll befriedigen. Für die Sänger der Hauptrollen ist es natürlich nicht leicht, dreimal in einer Woche derart anspruchsvolle Partien zu singen. Um so bewundernswerter ist die Leistung von Leontyne Price, der nicht die geringste Ermüdungserscheinung anzumerken war. Mühelos wird sie allen Anforderungen ihrer Rolle gerecht und fesselt durch makellose Stimmführung und ausdrucksvolle Gestaltung. Giulietta Simionato war ihr ebenbürtig. Carlo Bergonzi hatte es nicht leicht, sich neben zwei so grandiosen Künstlerinnen zu behaupten. Wenn ihm auch manches zu einem idealen Radames fehlt – im Triumphakt konnte er nicht durchdringen – war seine Leistung im großen und ganzen sehr gut, im Schlußakt war er sogar ausgezeichnet. Obwohl Ettore Bastianini nicht ganz über die Durchschlagskraft verfügt, die die Partie des Amonasro stellenweise verlangt, bringt er die lyrischen Stellen dank seiner wohllautenden Stimme bestens zur Geltung. „Pensa che un popolo..." haben wir noch nie schöner gehört. Der Ramphis Walter Kreppels fügte sich würdig diesem Spitzenensemble ein, was man von Erich Majkut nicht behaupten kann. Warum will er sich mit dem Boten in den Vordergrund spielen? Hier handelt es sich schließlich nicht um einen sterbenden Othello. Ohne Herrn Majkut über Gebühr wichtignehmen zu wollen: das ist nicht nebensächlich, hier gehört endlich etwas unternommen.

EIN MASKENBALL am 16. September

Der Wermutstropfen auch in dieser sonst ausgezeichneten Aufführung hieß Berislav Klobucar. Er dirigierte das Werk lieblos und ungewöhnlich schnell herunter, fand lange nicht den notwendigen Kontakt mit den Sängern und ließ jegliche Verinnerlichung, deren die Maskenball-Musik sehr wohl fähig ist, gänzlich vermissen. Schon beim Vorspiel, das ohne jedes Espressivo musiziert wurde, stellten sich die Philharmoniker auf die unter mäßigen Dirigenten stets zu hörende „Routinearbeit" um. Am meisten litt Giuseppe di Stefano unter dem fehlenden Einfühlungsvermögen Klobucars mit der Bühne. Sein Riccardo steigerte sich ab dem Liebesduett in eine grandiose stimmliche Verfassung, Arie und Sterbeszene ließen manch verwöhnte Pippo-Anhänger aufhorchern: Hier betörte aller Schmelz dieser kostbaren Stimme das Ohr, jede Note war makellos ausgesungen, das Finale eine großartige Pianodemonstration. Antonietta Stella sang die Amelia zwar etwas kühl, doch bis zum hohen B makellos. Leider ist die exponierte Höhe (H, C) ohne Glanz und Durchschlagskraft und wirkt wie einer anderen Stimme zugehörig. Schade! Denn ihre Mittellage und Tiefe sind von außergewöhnlichem Wohllaut. Ettore Bastianini merkte man an einigen Stellen deutlich an, daß er in letzter Zeit zu oft singt. Fünfmal in einer Woche als Renato und Amonasro angesetzt zu werden, muß auch bei Bastianinis Prachtorgan Spuren hinterlassen. Giulietta Simionato bewies aufs Neue, daß sie die einzige Ulrica von Format ist und mühelos Höhen und Tiefen der Partie meistert. Nur Rita Streich gab sich mit ihrer Partie nicht zufrieden und legte sich im Ballakt wieder ihre sattsam bekannten unnötigen Koloraturen ein. Sie täte besser, am Schluß des „E scherzo..." ihre Stimme dem zauberhaften Piano di Stefanos anzupassen. Oft genug hat sie ja schon mit ihm zusammen gesungen. Ansonsten, ein „Oscarino". Verläßlich wie immer Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff als Verschwörerpaar.

FIDELIO am 17. September

Oh, wie so trügerisch ist oft der Beifall des Publikums! Wer nämlich nach dem Applausometer die Qualität der Aufführung beurteilt hätte, wäre zu dem Trugschluß gelangt, einer Glanzaufführung der Wiener Oper beizuwohnen. Wer Ohren hatte – von den Augen ganz abgesehen, denn sie wurden teilweise durch den Meininger Hoftheaterstil einiger Darsteller gewaltsam geschlossen – ging deprimiert aus dem Hause. Wir fanden die Vorstellung für eine der langweiligsten Beethoveninterpretationen, die wir in den letzten Jahren vorgesetzt bekamen. Die Substituten wirkten müde und hatten – deutlich hörbar – schon lange Zeit keinen Fidelio gespielt. Sogar bei den Streichern war dies zu bemerken und nicht nur bei den Hörnern. Hans Swarowsky, der zwar in seinen pädagogischen Vorträger ständig seine weitaus berühmteren Kollegen kritisiert und selbst weit unter deren Können steht, dirigierte mit großer Gestik, ohne daß dadurch der Langeweile Einhalt geboten wurde. Alles plätscherte einfach dahin. Hie und da wurde dies durch eine Swarowsky’sche Kunstpause unterbrochen. Die Titelrolle spielte mit bekannter Energie Christl Goltz. Weniger Energie verwendete sie auf die Gesangslinie. Zuviel Zwischentöne unterboten den üblichen Standard der Künstlerin. Anton Dermota sang mit Kraft eine gute Arie, womit das heldische Metall seiner Stimme verbraucht war, was ihm in den darauf folgenden Szenen einen gequälten Ausdruck verlieh. Als Pizarro holt man Rolf Polke aus Graz, und seiner Leistung nach dürfte die steirische Hauptstadt 1000 km von uns entfernt und nicht ein Sprungbrett nach Wien sein. Er brachte außer seiner riesigen Figur gar nichts für den Pizarro mit. Seine Stimme ist butterweich und ohne jede Ausdruckskraft. Die Szene mit Rocco, den Walter Kreppel sehr gut sang, entbehrte nicht einer unfreiwilligen Komik. Bei seinem Auftrag zum Mord sang er dieses Wort in einer Weise, als ob er in einem Schumannlied den Mond zu besingen hätte. Die kleineren Rollen besetzte man mit verdienstvollen Sängern, die anscheinend aus Dank für Ihre Tätigkeit am Institut eingesetzt wurden. Dies geschah allerdings nicht zum Vorteil des künstlerischen Niveaus, das – im gesamten gesehen – durchaus niedrig war. Hätte der Komponist mit den Worten Florestans „Was hast Du für mich getan" die Frage an die Direktion gerichtet, dann wäre keine Antwort treffender gewesen, als Leonores Ausspruch „Nichts, gar nichts". Das Publikum applaudierte begeistert und unkundig, was beim Fallen der Zwischenvorhänge besonders störend wirkte.

ANDREA CHÉNIER am 18. September

wurde mit der Aufführung am 7. September besprochen

BALLETTABEND am 19. September

LA TRAVIATA am 20. September

Welcher Opernfan geht in Wien gerne in eine Traviata? Wir können ruhig behaupten: Niemand! Denn zweieinhalb Stunden einen verstaubten Antiquitätenladen, häßliche Gartenkulissen und ein grabähnliches Sterbezimmer vor sich zu sehen, geht einem stark auf die Nerven. Sind aber noch dazu der Dirigent (Berislav Klobucar) und die Sängerin der Titelrolle unzureichend, um dieses optische Manko wenigstens akustisch wettzumachen, dann bleibt nur gähnenden Langeweile. Phyllis Curtin wäre der Erscheinung nach eine ideale Violetta, leider nicht stimmlich und schon gar nicht als Persönlichkeit. Ihre Leistung wurde von Akt zu Akt schwächer, die Stimme ist klein und ohne ansprechendes Timbre, flackert und ist einem wirklichen Forte nicht gewachsen. Eine gute Traviata steht und fällt mit der Trägerin der Titelpartie. Ihr muß es gelingen, dem Publikum diese gewiß nicht leicht darzustellende Figur nahezubringen. Frau Curtin ist dies nicht gelungen. Man lasse den Vorhang sofort über diese Sängerin fallen.

Kostas Paskalis sang einen guten Vater Germont. Zahlreichen schönen Phrasen standen leider auch einige sehr rauhe und distonierende Spitzentöne gegenüber, die den Gestaltungseindruck trübten. Zweifellos liegt ihm z.B. der Alfio weitaus besser als der nur auf Belcanto eingestellte Vater Germont. Sein Sohn Alfred war der eigentliche Grund warum man sich diese Aufführung antat. Er hieß Giuseppe di Stefano. Er allein brachte mit Leidenschaft und bewegten Ausdruck Leben auf die Bühne und sang mit vollem Einsatz. Allerdings kommt seine Stimme jetzt eher einem Alvaro entgegen als einem Alfred, er ist dieser Partie stimmlich schon etwas entwachsen. So lagen seine Höhepunkte naturgemäß im großen Finale, hier allerdings war seine Gesamtpersönlichkeit erdrückend. Eine betörend schöne Flora mit reizvoller Stimme war Gundula Janowitz. Über die zahlreichen Comprimarii wollen wir lieber den Mantel des Schweigens decken: die Erwähnung der Namen Dorothea Frass, Karl Weber, Hans Schweiger und Hugo Meyer-Welfing dürfte einesteils genügen, ist andererseits schon zuviel der Ehre für diese Leistungen.

SALOME am 21. September

Nach der Aufführung, die unter der „Leitung" von Ernst Märzendorfer stattfand, hatte man das beruhigende Gefühl, daß es in dieser Saison nicht mehr schlechter kommen könne. Beginnen wir mit den wenigen positiven Aspekten des Abends: Walter Berry sang zum ersten mal den Jochanaan und hinterließ, abgesehen von einigen rauhen Höhen, einen sehr guten Eindruck. Auch darstellerisch wußte er zu fesseln. Er zeigte uns mehr den eifernden und fanatischen als den schon fast im Jenseits stehenden Propheten. Christl Goltz hatte nicht ihren besten Tag, sie ist und bleibt aber unsere Standardsalome. Der Narraboth von Karl Terkal war annehmbar gesungen, die Aussprache übergehen wir schweigend. Von Herodes (Max Lorenz) sei erwähnt, daß er am meisten überzeugte, wen man ihn nicht hören konnte (was oft der Fall war), während Jean Madeira als seine Gattin ihre sattsam bekannte Privatfassung dieser Rolle sang. Das Juden-Quintett und besonders Karl Weber als Nazarener erregten unbändige Heiterkeit. Von Ernst Märzendorfer ist zu berichten, daß er einen neuen Geschwindigkeitsrekord für die Salome aufstellte und nur Eingeweihte nach Vergleichen mit früheren Aufführungen feststellen konnten, daß es sich bei dem Tanz der Salome um einen Tanz handelte – aus der Musik konnte man das nicht einmal erraten. Nun hat sich also Herr Märzendorfer doch hereingeraunzt! Da sind wir aber froh! Wir möchten nur gerne wissen, wer ihn und ähnliche „Neuerscheinungen" protegiert.

DIE ZAUBERFLÖTE am 22. September

Die erste Zauberflöte der Saison – es werden sicherlich noch mehrere folgen, denn derzeit gibt es keine Oper im Repertoire, die man leichter besetzen kann – erwies sich fast besser, als die Salzburger Festival-Aufführung. Das Orchester unter Berislav Klobucar kennt seinen Mozart, und so hatte man den Eindruck eines homogenen Zusammenspiels, in welches sich der Gast des Abends, Richard Holm, als Tamino geschmackvoll einfügte. Zwar hat der Tenor keine ausgesprochene Mozartstimme, für die ihm die Weichheit fehlt, doch weiß der intelligente Künstler dies geschickt zu kaschieren. Wilma Lipp hatte als Pamina das Niveau, welches man in Salzburg in dieser Partie so sehr vermißte. Mit dieser hellen und immer mehr an Süße gewinnenden Stimme reiht sie sich in die erste Reihe der Mozartsängerinnen ein. Ihre ungezwungene Natürlichkeit der Darstellung entspricht der Idealvorstellung einer Pamina. Als Vogelfänger begeisterte Walter Berry das ganze Haus. Sein Charme und sein frohes Spiel rissen das Publikum wiederholt zu Beifallstürmen hin. Daß er stimmlich eine makellose Leistung bot, braucht wohl nicht eigens erwähnt zu werden. Das ist bei Berry selbstverständlich. Als Gegenpole standen sich Mimi Coertse und Walter Kreppel gegenüber, wobei nicht nur in ideeller, sondern auch in gesanglicher Hinsicht Walter Kreppel eindeutig siegte. Imposant war seine Erscheinung und imposanter noch sein Vortrag, der „Heiligen Hallen", welcher ihm verdientermaßen den größten Beifall des Abends einbrachte. Bei Frau Coertse wollte es in der ersten Arie nicht richtig klappen. Die exponierte Höhe der Arie erreichte sie mit Zittern, dafür erklangen aber bei der Rachearie ihre Koloraturen weitaus besser. Die drei Damen in der Zusammenstellung Gerda Scheyrer, Christa Ludwig und Hilde Rössel-Majdan sind konkurrenzlos, während die drei Sängerknaben mehr als schüchtern und zaghaft wirkten. Deplaciert war einzig und allein Otto Edelmann als Sprecher. Ihm fehlt der Sinn für den Text, den er mit wienerischer Färbung gemütlich und jovial vortrug. Emmy Loose und Peter Klein ergänzten mit Standardleistungen das Ensemble.

 

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 23. September, Neuinszenierung

Es ist ganz klar, daß in der Oper weder von der Handlung noch von der Regie unbedingt Realistik und Logik verlangt wird. Doch gerade das Textbuch zur Macht des Schicksals stellt neben dem Troubadour so ziemlich die höchsten Ansprüche an die Phantasie auch des aufnahmebereitesten Publikums. Uns scheint es, daß im Troubadour die Musik in ihrer genialen Knalligkeit, die sich aber (siehe Karajans Platten-Aufnahme!) durchaus auch modern-psychologisch auswerten läßt, wenn die Stimmen nicht ausreichen, die Brüche des Textes überbrückt, so leidet in der Macht des Schicksals auch die Musik unter einer gewissen Zwiespältigkeit. Der reife Verdi bringt selbst die naive Musikzierfreude nicht mehr auf, deren es bedürfte, um das groteske Textbuch durchgehend zu formen, und so wirkten einige Szenen ungewollt wie eine Parodie einer großen Oper, besonders diejenige, die fast der Höhepunkt war, die Rataplan-Szene.

Margarethe Wallmann ist diesmal das Malheur passiert, daß das Publikum herzlich, wenn auch gutmütig über einige Schlacht- und Genre-Szenen lachte. Wir wissen allerdings – das müssen wir freimütig gestehen – nicht, wie sie es hätte besser, ja selbst nur anders hätte machen sollen. Auch Georges Wakhevitch hinterließ mit seinen Bühnenbildern einen zwiespältigen Eindruck. Er konnte nur als Bühnenmaler, nicht aber als Architekt befriedigen – die Szene vor der Klosterpforte und die Einkleidung Leonores blieben grau und tot und wenig gegliedert. Da gefielen uns schon die kühn hingemalten Landschaften, das vornehme Zimmer bei den stolzen Vargas oder die Klostersuppen-Szene mit einem Patio von phantastischer Tiefenwirkung weit besser, sogar der ins Surrealistische abgebogene Zwischenvorhang, der ja nicht gerade ideal zu Verdis Musik paßt.

Dimitri Mitropoulos herrschte am Pult und riß mit der Ouvertüre die Hörer von den Stühlen. Aber er stellte auch wieder alle seine sonstigen Vorzüge unter Beweis: den klaren Aufbau, die monumentalen Steigerungen, die dramatische Spannung (die das Werk sehr nötig hat!) und das große Gesamtkonzept, in das die Sänger ebenso eingemauert sind, wie irgendein x-beliebiger Kontrabaß im Orchester.

Es spricht für die Künstlerschaft der so oft beneideten und aus diesem Grund geschmähten italienischen Stars, daß sie sich so – man möchte fast sagen brav! – einfügten. Die beiden beherrschenden Männerrollen sind eigentlich unsingbar. (Wir wissen das von der Theater an der Wien – Premiere mit Lorenz Fehenberger-Hans Braun!). Heldenstimmen sind ebenso überfordert wie lyrische überbeansprucht.

So hatten weder Giuseppe di Stefano noch Ettore Bastianini ihren allerbesten Abend. Beiden passierte das Malheur eines rauhen Kratzers in den Arien, beide hatten viel Mühe – aber beide vermochten auch sehr viel Schönes zu bieten: Di Stefano mit seinem herrlichen Timbre, seiner Persönlichkeit und Einsatzbereitschaft, Bastianini, dem die Partie des stolzen Granden auch sonst sehr gut liegt, mit weichem Baritonschmelz. Wir sind gespannt, ob die Leistungen dieser beiden italienischen Wunderstimmen etwa durch Franco Corelli-Aldo Protti überboten werden kann; diese Besetzung werden wir ja sicher auch zu hören bekommen.

Antonietta Stella hat ein derart dunkles Timbre, daß die Höhe (die in dieser Partie nicht sehr exponiert und daher sicher gesungen war) irgendwie aufgesetzt wirkte. Auch eine gewisse Weichheit in der Mittellage fehlt ihr absolut. Nichtsdestoweniger war sie als Leonore di Vargas sehr gut, sang mit Ausdruck und spielte mit Anteilnahme – soweit es ihrem eher etwas kühlen Naturell, dem aktive Partien besser liegen als leidende, entspricht.

Die „show" stahl, wenn man so sagen kann Giulietta Simionato mit der Randfigur der Preziosilla und sie tat dies mit absolut künstlerischen Mitteln. (Wer weiß, ob dies ihre Rollennachfolgerinnen auch tun werden – die Partie verführt zum Klamauk.) Die Simionato freute sich sicherlich sehr darüber, wenn sie einmal nicht sterben oder verzichten muß, wenn sie auf der Bühne herumspringen und ihre hohen und tiefen Spitzentöne fröhlich über die Rampe schleudern kann. Wer ihr die Partie in dieser Fassung nachsingen kann, ist uns unerfindlich.

Walter Kreppel als Pater Guardian und zum Teil auch Karl Dönch als Fra Melitone standen auf der Höhe ihrer Aufgaben.

In erfreulich guter Form befand sich der Chor, der blitzsauber sang – er hat offenbar seinen Tiefpunkt schön überwunden. Nur so weiter, bitte!

Auch das Orchester spielte, wie ja immer unter Mitropoulos, als ginge es ums Leben und widerlegten so die Mär, die Wiener Philharmoniker setzten einem harten Willen des Mannes am Pult geschlossen einen ebenso harten Willen entgegen. Wenn der Dirigent Format hat und seine Sache richtig vorzubringen weiß, fügen sie sich so diszipliniert, wie es nur möglich ist. Sie tragen offenbar hierin einer gewissen sehr nützlichen Internationalisierung und Modernisierung Rechnung, die sich auch sonst, etwa in der Aufnahme von modernen Werken ins Repertoire oder einer teilweisen kleinen Verhärtung des Klanges (immer dort, wo es am Platz ist!) dokumentiert.

Das Publikum ließ sich von dem Phänomen einer Verdi-Oper, trotz aller intellektuellen Einwände und gefühlsmäßig ganz richtig, in den Bann schlagen und reagierte mit dementsprechenden Beifallsstürmen.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 27. und 30. September

Von den Wiederholungsaufführungen sind nicht viele Änderungen zu melden, es sei denn, man wolle gewisse tagesbedingte Formschwankungen bei den am meisten beanspruchten Herren Giuseppe di Stefano und Ettore Bastianini vermerken, wobei man fast anzunehmen geneigt ist, Ettore Bastianini wachse wie beim lange nicht so dramatischen Renato erst in die Partie hinein.

 

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 24. September

Etwas mehr an Spannung und Stimmschönheit hätten die beiden Reißer ruhig vertragen können.

In der CAVALLERIA sang Christl Goltz eine wilde Santuzza, wobei diesmal manch ungenau angesetzte Töne störten. Ihr Partner Karl Terkal als Turiddu bemühte sich sehr. Schade, daß er noch immer nicht dabei ist, seinen S-Fehler zu korrigieren. Was einem Corelli gelingen konnte, sollte doch einen Terkal anspornen. Sein Material müßte ihn dazu verpflichten. Kostas Paskalis war ein im Aussehen und im Gesang feuriger Alfio. Welch ein Fortschritt gegenüber seinem ersten, in griechischer Sprache gesungenen Alfio!

Im darauf folgenden BAJAZZO interessierte vor allem Carlo Bergonzi mit seinem ersten Wiener Canio. In der Maske eines in die gefährlichen Jahre gekommenen Komödianten, dem sein Leben ohne Nedda nichts bedeutet, vermochte er, der Figur neue Aspekte abzugewinnen. In stimmlicher Hinsicht gefiel vor allem wieder seine Musikalität, sein gepflegtes Singen und last but not least seine Kultur, die dem Sänger niemals zum Forcieren verleitet. Liebhaber von knalligen Spitzentönen kommen bei ihm nicht auf die Rechnung. Das ist aber doch nicht das Entscheidende, und für uns ist der stets geschmackvolle Tenor ein jederzeit gern gesehener Gast. Um ihn herum tollten auf der Bühne Mimi Coertse als Nedda (mit verschleierter Stimme), Kostas Paskalis, der mit bewundernswerten Einsatz auch den Tonio sang und Ermanno Lorenzi als Beppo. Der Tiefpunkt des Abends hieß wieder einmal Karl Weber (Silvio). Selten noch hat man an der Wiener Staatsoper eine solche „Stimme" gehört, die gar keine ist. Weder Timbre, noch irgend eine Farbe ist an ihr zu bemerken. Der Komponist schrieb nun einmal eine Oper für schöne Stimmen und einer solchen kann man Karl Weber wahrlich nicht rühmen.

Am Pult stand Berislav Klobucar, der wie immer sehr liebevoll mit seinen Sängern umging. Eines Tages wird er sicherlich einsehen, daß das Orchester nicht darunter leiden darf, denn der heutige Hörer verlangt von einem Operndirigenten mehr als nur tadellose Begleitung oder Rücksichtnahme auf die Sänger. Übrigens gelang ihm der Bajazzo weit besser als die Cavalleria.

MADAME BUTTERFLY am 25. September

Eine Repertoirevorstellung, die mehrfache Wiener „Debüts" beinhaltete. Leontyne Price als Butterfly, Giuseppe di Stefano als Pinkerton und Lovro von Matacic als Dirigenten der Puccinioper. Zweifellos hat die Butterfly der Price großes Format, wenn diese Partie auch noch keine volle Erfüllung für sie bedeutet. Auch sie wird noch in diese Rolle hineinwachsen und mit ihr verwachsen müssen. Was Gestaltung und inneres Erleben betrifft, so wurden wir in den letzten Jahren mit Vollkommenheit so überschüttet, daß wir ein mehr als kritisches Publikum bei Beurteilung der Darstellung der Butterfly geworden sind. Frau Prices Auftritt und die ersten Szenen im üblichen Stil, „klein und zierlich, nippesfigürlich" gebracht, kommen daher in Wien nicht mehr voll an. Dann allerdings fand Leontyne Price sich in einem großartig gesungenen Duett wieder, dem ein sehr leidenschaftlich gesungener zweiter und ein dramatisch gestalteter dritter Akt folgte. Eine großartige Butterfly schlechthin, aber noch keine vollkommene.

Giuseppe di Stefano war der Mann des Abends, zur Zeit ist er voll und ganz der italienische Tenor, wie wir ihn uns wünschen oder besser gesagt erträumen: ein Idealfall gesanglich und darstellerisch, mit vollem Einsatz, ja geradezu mit Hingabe, die keine Wünsche offen läßt. Zu diesem Duo gesellte sich die sehr schön gesungene Suzuki der Hilde Rössel-Majdan und Kostas Paskalis Bemühen um den Konsul. Die Comprimarii wollen wir bewußt vergessen, um uns die Freude an dem schönen Abend nicht versalzen zu lassen. Von der oft so kritisch beurteilten Musik Puccinis haben wir bereits erfahren, daß sie eines großen Dirigenten bedarf, um ihre Geltung zu unterstreichen, wie uns Mitropoulos und Karajan eindeutig bewiesen. Auch Lovro von Matacic holte aus der Partitur Feinheiten heraus, die nur unter meisterlicher Stabführung zu Gehör kommen. Glanzstück war das Zwischenspiel vom zweiten zum dritten Akt. Matacics Art, vom leidenschaftlichen Gefühl ausgehend zu interpretieren, gab keiner der gefährlichen Süßlichkeiten Raum, allerdings schwelgte der Dirigent so sehr mit dem herrlich spielenden Orchester, daß er streckenweise (z.B. ab dem Terzett des dritten Aktes) den Solisten auf der Bühne allzu viel zumutete. Aber auch für Matacic war es ja die erste Butterfly in Wien, und zu seiner ausgezeichneten Leitung des Werkes wird sich sicherlich bei folgenden Aufführungen auch weiteres „Dämpfen" gesellen.

BALLETTABEND am 26. September

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 26. September im Redoutensaal

Wir glauben, keine Übertreibung auszusprechen, wenn wir behaupten, was Elisabeth Schwarzkopfs Marschallin und Fiordiligi, Birgit Nilsson als Brünnhilde, Sena Jurinac als Oktavian – das ist Anneliese Rothenberger als Konstanze. Von Mal zu Mal wuchs die Sängerin in diese Partie hinein und stellte nun akustisch wie optisch eine Leistung auf die Bühne, die unüberbietbar scheint, eine Kostbarkeit, die der Kenner und Liebhaber gesehen haben muß. Anton Dermota ließ sich von dieser Partnerin zu seiner besten Leistung steigern und mitreißen, für den Zuhörer zur reinen Freude. Ludwig Welters Osmin, sehr ausgeglichen und klangschön gesungen, springlebendig dargestellt, gesellte sich würdig dazu, während – wie nun leider schon üblich geworden – das Buffopaar immer ein wenig abfällt. Emmy Loose hielt zwar Niveau, was sie seit 1940 gelernt und nie vergessen hat. Die Zeit und der Mozartstil sind mittlerweile aber um ein Beträchtliches weitergewandert. Erich Klaus, Gast aus Graz, hatte den Pedrillo übernommen, für Graz ausgezeichnet, gewiß, aber wir in Wien stellen eben Ansprüche, wir können es uns ja leisten! Über Lovro von Matacic als Entführungs-Dirigenten berichteten wir schon eingehend. Dem wäre nur hinzuzufügen, daß dieser Abend auch musikalisch besser gelungen war, als die vorangegangenen in der vorigen Saison. Unsere Philharmoniker lieferten ein wahres Gustostückerl zu dem sich nur sagen läßt: Welche Wonne, welche Lust. Warum kann man nicht eine renovierte Entführung als Repertoireausgleich hin und wieder im großen Haus spielen?

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 27. September

wurde mit der Premiere am 23. September besprochen.

ELEKTRA am 28. September

Am besten wäre es, über diese Vorstellung den Mantel des Schweigens zu breiten. Niveau hatte die Aufführung nicht. Man sollte ein Werk wie Elektra nur geben, wenn man einen geeigneten Dirigenten zur Verfügung hat. Warum setzt man es nicht an, wenn Karl Böhm oder Dimitri Mitropoulos im Lande sind. So plätscherten die Strauss’schen Orchesterfluten unter der trockenen Leitung von Hans Swarowsky lustlos dahin. Daß auch die Philharmoniker ihr Pensum ohne große Ambition herunterspielten, wundert uns in einem derartigen Falle nicht. Von den Solisten zeigte sich Christl Goltz stark verbessert. Die Elektra liegt ihr mehr als die Salome. Auch Hilde Zadek hatte einen guten Abend. Die Stimme klingt frischer und ausgeruht. Dagegen fiel die Klytämnestra Jean Madeiras stark ab. Mit Sex allein kann und soll man diese Rolle nicht gestalten, wenn die Stimme in keiner Lage voll anspricht. Oscar Czerwenka sang Orest. Wir haben schon bessere Vertreter dieser Partie gehört. Seine Auffassung ist viel zu derb und zu plump, um einen edlen Griechen glaubhaft zu machen. Max Lorenz als Aegisth – wie immer. Sowohl Salome als auch Elektra bedürfen einmal einer gründlichen Endstaubung und Umbesetzung.

MADAME BUTTERFLY am 29. September

So hoch die Wellen der Begeisterung für die Aufführung am 25. September schlugen, so seicht und bald am Tiefpunkt angelangt war die Stimmung des Publikums an diesem Abend. Die Vorstellung mußte wegen einer Absage von Don Giovanni eingeschoben werden, um Leontyne Prices Auftritt zu gewährleisten. Da aber ein Unglück selten allein kommt, erkrankte noch am gleichen Tag Frau Price, die die Hauptrolle singen sollte. Nun war guter Rat teuer. Wer sollte bei erhöhten Preisen Cho-Cho-San singen? Unserer Meinung nach natürlich das Ensemblemitglied Gerda Scheyrer. Aber Protektion oder einflußreiche Manager vereitelten dies, und Phillis Curtin, die schon als Violetta einen Mißerfolg zu verzeichnen hatte, bekam die Chance, neben di Stefano zu singen. Ihre Stimme ist viel zu klein und wäre wohl in der Staatsoper als Papagena oder Esmeralda am Platz. Dazu kam noch, daß die junge Sängerin die Rolle nicht einmal textlich beherrschte. Stellenweise war sie kaum hörbar und, in den dramatischen Stellen kamen höchstens Piepser aus ihr heraus. Ihre Schauspielkunst erschöpft sich in skurrilen Handbewegungen, die von einem keep-smiling illustriert werden. Von einem Erleben der Rolle war nicht die Rede. Kein Wunder, daß Giuseppe di Stefano auch bald das Interesse an seiner Partnerin verlor und die Intensität seines Gesanges nachließ. Wer konnte ihm das wirklich verübeln? Wenn jemand in den Wald ruft und kein Echo zurückschallt, gibt er ja auch auf. Kostas Paskalis sah sich veranlaßt Frau Curtin zur Hilfe zu kommen und sang daher seinen Part im zweiten Akt derart pppp, sodaß man ihn auf den Rängen kaum hören konnte. Am Pult stand die letzte Neuerwerbung der Oper, Professor Hans Swarowsky. Wenn jemand behaupten will, daß er ein Puccini-Dirigent ist, dann behaupten wir Courts-Mahler gehöre zu klassischen Literatur. Von einem Musikdrama war nichts zu verspüren, im Gegenteil, man dachte an Lehars Land des Lächelns, nur fiel dem Zuhörer das „Immer nur lächeln" furchtbar schwer.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 30. September

wurde mit der Premiere am 23. September besprochen.

 

HANS WEIGEL SCHREIBT AMOK

Der Neunmalkluge und die Pressefreiheit

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 10

Anlaß zu diesem Leitartikel war Weigels „Kritik" über DIE MACHT DES SCHICKSALS, die die Überschrift „Die Wallmann und der Krawallmann" trug.

Der Feldherr kannte seine Pappenheimer, Wien kennt seinen Weigel. Bisher hatte ihn das Burgtheater, nun bekam ihn die Oper - in der Kulturspalte der Kronen-Zeitung. Einmütig gedachten alle der größten deutschen Schauspielerin der letzten Jahrzehnte (Käthe Dorsch, Anmerkung), deren Handlungsweise seinerzeit nicht von allen Seiten für richtig befunden, dafür aber jetzt umso mehr gutgeheißen wird. Es sei hier nicht einmal so sehr der Ohrfeige, weil viel zu wenig, gedacht als vielmehr der Tatsache des vorherigen Überstreifens des Handschuhs. Herrn Weigel bleibt nur zu hoffen, daß die diesmal Betroffenen nicht einmal mit Handschuh in dieses Gesicht schlagen wollen. Schließlich wird es Zeit, daß auch der Letzte verstehen lernt, was wir an der Pressefreiheit haben. Bis zur letzten Konsequenz hätten wir es ohne Weigel vielleicht nie erfahren. Es geht daher auch nicht an, daß ein engstirniges Publikum behauptet, die derzeitige Wiener Musikkritik hätte einen Weigel ebenso dringend nötig gehabt, wie die Wiener Festwochen einen Hilbert – aber man muß die Leute reden lassen – Presse- und Gedankenfreiheit gehen ja Hand in Hand, nicht wahr? Und schließlich, die misera plebs redet nur, Herr Weigel schreibt, das hat er ihr voraus.

Und auch die Erkenntnis Herrn Weigels sind weit voraus der Meinung und dem Glauben der niederen Menge. Ehemals dachten wir, wir hätten ein Burgtheater, das eine Krisenzeit durchzumachen hat, weil es zwischen Tradition und Fortschritt seine Entwicklung suchen muß. Herr Weigel klärte uns darüber auf, daß wir nur eine Schmiere haben. Nun dachten wir, daß wir eine Oper von großem internationalem Rang hätten. Seit Herrn Weigels Kritik an der Macht das Schicksals wissen wir es besser. Er belehrte uns darüber, daß alles weg müsse, nur Chor und Orchester dürften bleiben. Atmen wir auf – wenigstens etwas. Im ersten Augenblick dachten wir schon, wir müßten ein Autodafé veranstalten und dürften keinen Stein auf den anderen lassen, wenn wir etwas auf unsere Kultur halten.

Wien und das internationale Publikum waren der Meinung, in Giulietta Simionato die Altistin unserer Zeit zu sehen. Herr Weigel revidierte diesen Irrtum – die Simionato ist nur eine „Krawattlaltistin". Ohne Pressefreiheit wäre unsere Musikwelt ewig in einem beschämenden Irrtum befangen geblieben! (*)

Aber wir verdanken Herrn Weigel noch viel mehr. Bisher galt Dimitri Mitropoulos als Spitzendirigent – erschütternd, wenn man bedenkt, daß erst Herr Weigel kommen mußte, um uns endlich klarzumachen, was dies doch für ein „Krawallmann" wäre.

Wie gut, daß wenigstens Giuseppe di Stefano ein „brauchbarer Tenorist" ist. Am Horizont der musikalischen Götterdämmerung zeichnet sich hiermit der Schein einer Morgenröte ab.

Nehmen wir die Chance wahr, begraben wir auch unseren Glauben, daß Ettore Bastianinis Stimme eine einmalige Erscheinung sei, werfen wir auch diesen „staubtrockenen" Sänger zur großen Entrümpelung.

Es bleiben immerhin der Chor, das Orchester, ein brauchbarer Tenorist, Herr Weigel und die Pressefreiheit. Und die große Hoffnung, daß Wien doch noch einen Chef finden könnte, der „wenigstens das Format" eines Schalk habe.

Bis wir ihn finden, könnten wir in der Oper vielleicht Ionesco spielen oder ein Stück von Hans Weigel. Das ist wenigstens ein Ausweg aus der großen Blamage, Millionen in ein Nichts investiert zu haben, mehr als das, in einen Fleck auf der Ehr, in eine Schildbürgerei der Musikstadt Wien.

Schicken wir Mahnrufe aus in die ganze Welt, warnen wir die Leute davor, hierher zu kommen, wo wir ihnen Steine statt Brot servieren, bitten wir sie, sie sollen es uns verzeihen. Wir ahnten es ja nicht, wir wußten ja nicht, wie sehr wir uns an der Kunst versündigt haben. Aber sie, die Fremden, wußten es auch nicht – das ist die einzige Entschuldigung, die wir vorbringen können.

Nun aber gestehen wir es ein, Hans Weigel und die Pressefreiheit haben uns die Augen geöffnet. Nie mehr soll nun in der Wiener Staatsoper Belcanto gesungen werden, das den „Texanern" auf der Galerie und im Stehparterre soviel Freude machte, in ihrem verderbten Geschmack, den die Tradition und das Erbe vieler Jahre dort weitergegeben und verwurzelt hat. Und Gedankenfreiheit hin und Gedankenfreiheit her, verbieten wir den Gedanken die unbotmäßige Meinung, Herr Weigel habe sich ein Hausverbot verdient – wo bliebe da die Pressefreiheit!

Wir brauchen keine Stars, über deren Nichtigkeit wir nun informiert wurden, keinen Karajan und keinen Mitropoulos, keine Simionato und keinen Bastianini und kein Stammpublikum. Wir brauchen selbst unsere bisherigen Kritiker nicht mehr. Auch die Löbels und Schneibers sind überrundet. Wir brauchen Weigels und ihr Format! Wir brauchen auch nicht mehr den Glauben und das Wissen, daß Pressefreiheit vielleicht doch nicht nur Recht, sondern auch Verpflichtung bedeutet. Wir brauchen einzig und allein einen Mann der Feder, der den Mut aufbringt, aus Idealen einen Misthaufen zu machen und in das eigene Nest – sagen wir es gewählt – hinein zu treten.

In der Freiheit, so sagt ein Dichter, liege unsere Gewißheit, daß wir vom Himmel stammen. Der Gedanke an Weigel und die Pressefreiheit gemahnt uns allerdings daran, daß vom Himmel her auch die sieben Plagen über Ägypten kamen. Sei’s drum! Und bitten wir unsere Leser in San Francisco wie in New York, in Montreal und in Buenos Aires, in Mailand und in Paris, in Stockholm und in London, und in anderen Städten der Welt, wo sich solches vielleicht noch nicht herumgesprochen hat, Verständnis zu haben für die Möglichkeiten, die in Wien möglich sind. Schließlich heißt es ja nicht vergebens: „Wien, Wien nur du allein!"

Doch die Tatsache, daß Herr Weigel, was die Oper betrifft, nur vertretungsweise (also zufällig) Jauche in seine Feder fließen lassen darf, um dann mit diesen schäbigen Zeilen zwischen Bezirksgerichtstratsch und Ratschlägen für den Kleingärtner aufzuscheinen, gereicht allen zum Trost und sagt eigentlich schon alles.

(*) Giulietta Simionato ging, so wurde berichtet, nach Erscheinen dieser Zeilen in die Direktion der Wiener Staatsoper und wollte wissen, was eine „Krawattlaltistin" eigentlich sei.

 

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