DER OKTOBER 1959

5. Jahrgang, Heft 11

 

Der Oktober begann vielversprechend, machte dann aber Programmänderungen und Umbesetzungen notwendig und mündete schließlich in eine Reihe von Improvisationen. Das Hervortreten des von unserer Kritik „heimisches Ensemble“ bezeichneten Sängerkorps, das aber nicht mehr und nicht weniger eine zweite Garnitur ist (wie wir immer wieder feststellen und vermerken konnten und können) bahnte schließlich die Zeit der großen Flaute an, die sich dann im November voll auswachsen wird. Damit hat sich das Gesetz von Wellenberg und Wellental wieder einmal bestätigt.

Die angekündigten Ereignisse: Gastspiel der Städtischen Oper Berlin mit MOSES UND ARON und die Premiere des WILDSCHÜTZ fanden programmgemäß statt. Der Stammbesucher gewann den Eindruck, daß ab der zweiten Hälfte des Monats nicht mehr viel los war, und dies ist kein sehr positives Zeichen. Mit einem Wort, das verwöhnte Wiener Publikum begann bereits gegen Ende Oktober auf bessere Zeiten zu warten.

 

AIDA am 1. Oktober

Die Überraschung der Aufführung bescherte uns Christa Ludwig. Bislang stellte die Amneris die deutlich hörbare äußerste Grenze ihrer stimmlichen Leistungsfähigkeit dar, nun aber wird die Partie von ihr voll ausgefüllt und mühelos gemeistert. Der Zuhörer konnte staunen und seine helle Freude daran haben. Auch wenn Birgit Nilsson (die für Leontyne Price einsprang) nicht ihren besten Tag hat, ist sie noch immer ganz groß und die Nilsson schlechthin (etwas, das man immer wieder, allerdings nur bei wirklich großen Sängern feststellen kann), und wenn diesem Heldensopran einmal eine Höhe nicht gelingt, dann ist sie seltsamerweise nicht zu tief, sondern – zu hoch! Luigi Ottolini als Radames wirkte verbessert, er gab sein bestes und konnte bestehen, wenn auch nicht immer überzeugen. Hans Hotter demonstrierte neuerlich, daß er auch als Amonasro großartig ist. Tugomir Franc debütierte als König. Lovro von Matacic leitete das Ensemble und Orchester mit sicherer Hand und restlosem Einsatz.

CARMEN am 2. Oktober

Musikalisch hat sich Jean Madeira gegenüber ihrer letzten Carmen vor Saisonschluß deutlich verbessert. Wie wir erfahren, ist dieses Verdienst in erster Linie Lovro von Matacic zu danken, der in drei Soloproben mit der Sängerin persönlich ausmerzte, was sich hier eingeschlichen hatte. Wo bleibt der Regisseur, um auch darstellerisch einzugreifen? Auch ihm wäre unser Dank sicher, doch scheint er keinen Wert darauf zu legen, sich einen solchen zu verdienen. Nichts, aber auch gar nichts fehlt Giuseppe di Stefano. Sein Don José zwingt den schärfsten Kritiker förmlich in die Knie und läßt ihn verstummen. Und noch dazu hatte „Pippo“ einen Abend, an dem er das Letzte gab – und das sagt eigentlich schon alles. Diese Leistung kann, wenn überhaupt, vielleicht nur mit der Bezeichnung hinreißend charakterisiert werden. Ihm würdig zur Seite stand Ettore Bastianini. Sein springlebendiger, lebensfroher Torero, der so wenig dämonisch und dafür so gewinnend und sympathisch wirkte, erobert stets von neuem das Publikum und trägt ihm Beifallstürme ein. Traute Richter als Micaela tat ihre Pflicht – nichts weiter, ein wenig blaß, ein wenig farblos, alles ist „da“ – nichts fällt auf, nichts geht daneben und nichts begeistert. „Brav“ muß man sagen und im nächsten Moment hat man Micaelas Vorhandensein schon vergessen. Vom übrigen Ensemble ist nur zu berichten „wie gehabt“, doch fiel auf, daß die Chöre – wiewohl immer auf deutsch – doch wenigstens nicht verwackelt waren. Geprobte Repertoirevorstellungen haben es halt doch in sich. Lovro von Matacic dirigierte mit loderndem Temperament und zündender Begeisterung.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL  am 3. Oktober

Beginnt wieder eine Serie von Absagen? Da Waldemar Kmentt absagte und anscheinend für ihn kein Ersatz vorhanden war, wurde statt La Cenerentola eine Entführung angesetzt. Erfahrungsgemäß sind solche Aufführungen immer problematisch. Auf der Bühne und im Zuschauerraum kommt nie die rechte Stimmung auf, es wird lustlos musiziert, das Publikum ist leicht verärgert, und jeder ist froh, wenn „die Sach ein End hat.“ Lovro von Matacic haben wir schon anders gehört als in dieser Vorstellung. Es gab gelegentlich sogar Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester. Der Dirigent stand den dritten Abend en suite am Pult, und wie man sieht, ist das kein Vorteil. Am besten zog sich noch Ludwig Welter aus der Affäre. Sein Osmin ließ darstellerisch und gesanglich kaum Wünsche offen, wenn er auch nicht über die profunde Tiefe verfügt, die wir von anderen Vertretern dieser Rolle gewöhnt sind. Anton Dermota schlägt sich immer noch tapfer als jugendlicher Liebhaber. Mit Musikalität und ausgefeilter Technik meisterte er geschickt alle Schwierigkeiten seiner Partie. Von seiner Partnerin Mimi Coertse kann das leider nicht gesagt werden. Die Stimme klingt in den Höhen scharf und schrill, die Koloraturen waren unsauber. Emmy Loose – unser ewiges Blondchen – war weit besser als ihr Partner Kurt Equiluz. Andreas Wolf gab einen würdigen Selim Bassa.

LA BOHEME am 4. Oktober

Diese Vorstellung, statt einer wegen Erkrankung Giuseppe di Stefanos abgesagten Macht des Schicksals, hätte leicht, wären nicht Antonietta Stella und Ettore Bastianini gewesen, mit einem Skandal zu „besonderen Preisen“ enden können. So aber versuchten diese beiden Künstler zu retten, wo es eigentlich nichts mehr zu retten gab. Ettore Bastianinis Marcello ist schon hinreichend bekannt, bleibt nur festzustellen, daß er sich in bester Disposition und blendenden Spiellaune befand. Die Mimi von Antonietta Stella war tief empfunden. Abgesehen von dem unschön verwackelten Schlußton im Liebesduett, bot sie eine ausgezeichnete gesangliche Leistung und wußte auch durch inniges, ansprechendes Spiel zu begeistern. Bedauerlicherweise hieß ihr (noch dazu in deutscher Sprache singender) Partner Josef Traxel. Nicht nur, daß er im Spiel unkonzentriert war (gerade das ist man doch von ihm sonst nicht gewöhnt), traten auch schwere Mängel in der Stimmführung auf. Die Zischer nach seiner Arie waren wohl ungebührlich, aber irgendwie verständlich. Sein falsettartiges und verschleiertes Timbre, das noch dazu in der Höhe jeglichen Glanzes entbehrte, ist nicht jedermanns Geschmack. Er sang auch streckenweise noch beträchtlich falsch und büßte damit seinen bisher guten Ruf in Wien ein. Seine hinterher gemachten Äußerungen, er hätte hier überhaupt nicht gesungen, wenn er gewußt hätte, daß die Aufführung italienisch sei, ist keine Entschuldigung für eine schlechte Verfassung. Mimi Coertse als manchmal recht heisere Musette, Ludwig Welter und Hans Braun hielten die Flaggen und somit die Ehre des sogenannten Wiener Ensembles ebenfalls nur auf Halbmast. Hans Swarowsky konnte einige gute Momente für sich buchen, aber nicht verhindern, daß Bühne und Orchester mehrmals fröhliche Schwimmfeste veranstalteten, obwohl doch der Sommer schon vorbei ist. Wenn sich schon die Staatsoper außerstande sieht, für einen plötzlich unpäßlich gewordenen Tenor Ersatz zu finden und deshalb ein anderes Werk aufs Programm setzen muß, dann sollte man besser dem Beispiel anderer Opernhäuser folgen und einmal eine Aufführung ausfallen lassen. Zwei Schwalben machen noch keinen Sommer, zwei gute Sänger noch keine gute Boheme und „Besondere Preise“ waren dabei wohl vollkommen fehl am Platz.

DER ROSENKAVALIER am 5. Oktober

Mit dieser Aufführung konnte man nicht recht froh werden. Karl Böhm am Pult mangelte es an Konzentration. Der erste Akt zog sich in die Länge, und man vermißte die nun einmal notwendigen Spannungsmomente. Erst im zweiten Akt kam Leben in den Dirigenten, die Walzerthemen schienen ihn aufzurütteln und erst im dritten Akt erreichte er das von ihm gewohnte Straussformat. Hilde Konetzni befand sich in weitaus besserer stimmlicher Verfassung als im vorigen Monat. Dasselbe muß man über Oskar Czerwenka als Ochs berichten, der im zweiten und dritten Akt wirklich gut war. Irmgard Seefried hatte als Oktavian sehr schöne Momente. Die Färbung der Stimme ist für unseren Geschmack doch etwas zu hell für die Partie. Schade, daß die Künstlerin sich bemüßigt fühlt, ihrem Spieldrang in den Mariandl-Szenen zu freien Lauf zu lassen. Ihr Mariandl erinnert durch das Trippeln und Geziertsein an eine Meißener Porzellanfigur. Als Sophie hinterließ Ruth-Margaret Pütz einen guten Eindruck. Vielleicht ist derzeit ihre Gestaltung noch zu wenig wienerisch, doch wird das bei längerer Wiener Tätigkeit sicher noch kommen. In gesanglicher Hinsicht wünschte man sich noch einen leichteren Ton in den Höhenlagen. In den Nebenrollen, die keine wesentlichen Umbesetzungen mit sich brachten, fiel nur wieder Anton Dermota als Sänger unangenehm auf. Er sollte die Partie zurücklegen, denn sie bereitet ihm ebensolches Unbehagen wie dem Publikum.

DON GIOVANNI am 6. Oktober

Nach den unangenehmen Überraschungen der vergangenen Tage war man erstaunt, daß das vorgesehene Stück gespielt wurde. Leider sang nicht, wie ursprünglich angekündigt, Leontyne Price die Donna Anna. Einen ebenbürtigen Ersatz für eine Künstlerin ihres Formats zu finden, war natürlich unmöglich. Teresa Stich-Randall übernahm die Rolle. Den zahlreichen jugendlichen Besuchern – das halbe Haus hatte das „Theater der Jugend“ – schien das nichts auszumachen. Die Kinder freuten sich sichtlich, einmal in der Oper zu sein. Neu war Consuela Rubio als Donna Elvira. Sie verfügt über eine frische, etwas dunkel gefärbte Stimme, die nur in der Höhe noch etwas gepreßt klingt. Von den Damen des Abends bot sie die beste Leistung. Emmy Loose schien übermüdet und konnte diesmal nicht befriedigen, gelegentlich störten falsche und forcierte Töne. Bei den Männern sah es wesentlich besser aus, sie waren an diese Abend den Damen klar überlegen. Rudolf Jedlicka brachte für den Giovanni gute Figur mit, spielte den Verführer überzeugend und setzte seine Stilmittel klug ein. Die zweite Umbesetzung des Abends war erfreulicher als die erste: Erich Kunz sang (statt Otto Edelmann) Leporello und bot wirklichen Genuß – stimmlich war er in bester Verfassung, und mit seinen Späßen hatte er die Lacher auf seiner Seite. Im Ständchen allerdings tat er schon fast zu viel des Guten. Ausgezeichnet war auch der Komtur von Walter Kreppel, der Masetto von Kostas Paskalis blieb eher farblos. Luigi Alva sang einen guten Don Ottavio. Am Pult waltete Karl Böhm. Die Philharmoniker vertrauten sich willig seiner Führung an und so war  vom Orchester her ein solides Fundament der Aufführung gesichert. Manche Stellen allerdings würde man sich noch etwas subtiler wünschen.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 7. Oktober

Giuseppe di Stefano zeigte in diesem Herbst eine an ihm zuvor (d.h. seit Beginn seiner Wiener Tätigkeit) nie beobachtete Verläßlichkeit und Einsatzbereitschaft und sagte nur einen einzigen Abend ab, der allerdings der Oper dann erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Man bangte natürlich auch für seinen nächsten Abend, aber Pippo sang, trotz anfänglich belegter Stimme. Seine Mühe wurde belohnt, denn er steigerte sich in seiner Leistung zu einer herrlich gesungenen Klosterszene. Das Publikum feierte mit Anteilnahme Abschied, und es war nicht schwer, dem Beifall den Wunsch nach einer baldigen Wiederkehr des Künstlers zu entnehmen. Ettore Bastianini hat seit der Premiere den Don Carlos erst so richtig in die Gurgel bekommen und wird von Aufführung zu Aufführung besser. Antonietta Stella sang die Leonore mit ihrer vollen, etwas herb timbrierten Stimme gepflegt und nobel, sie läßt aber trotzdem irgendwie kalt. Jean Madeira als Preziosilla! Wer um alles in der Welt ist auf die unglückliche Idee gekommen, ihr diese Partie überhaupt zu geben? Sie quält sich schreiend durch die Noten (von Linie keine Spur!) und hatte einen einzigen guten Ton zu bieten: Das „Buona notte“ in der Schenke. Zum Spielen kam sie vor lauter körperlicher Anstrengung beim Singen überhaupt nicht. Am Schluß des Rataplan riß sie mit letzter Kraft die Hand zum Salutieren an die Schläfe. Hätte sie noch ein Gstanzl zu singen gehabt, wäre sie wahrscheinlich auf der Bühne zusammengebrochen. Walter Kreppels Prozentsatz an zu tief gesungenen Tönen hat sich seit der Premiere leider vermehrt. Es ist rätselhaft, wieso dieser ausgezeichnete und für die Wiener Oper so wertvolle Sänger dieses Übel nicht beheben kann. Karl Dönch ist ein munterer Frau Melitone. Allmählich gefällt dem Hörer die Klostersuppenszene, in der die impertinente Bettlerschar unverfroren das Loblied des Tenors singt „....il padre Raffaele, un angelo un santo...“ ( in der irgendwie Falstaff’scher Humor vorweggenommen wird) fast am besten im abenteuerlichen und doch kostbaren Stückwerk dieser merkwürdigen Oper, die Dimitri Mitropoulos souverän dirigierte. 

MADAME BUTTERFLY am 8. Oktober

Diese Vorstellung brachte nicht nur Orietta Moscucci in der Titelrolle als Gast, sondern veranlaßt auch einmal zu der Feststellung, daß der Verschleiß an Cho-Cho-San’s in der Staatsoper enorm ist. Als Einspringerin für ihre erkrankten Kolleginnen (Leontyne Price und Virginia Zeani) sang sie die Partie zufriedenstellend, differenziert, manchmal vielleicht ein wenig nervös, ab und zu klang auch ein Ton ein wenig scharf. Aber sonst eine gute Leistung und wieder ein Beweis, daß Italiens zweite Garnitur weit besser ist, als jene unserer Oper. Ihr Spiel allerdings konnte wenig begeistern: übertriebene Demut und so viele Kniefälle sind wir hier nicht mehr gewöhnt. Karl Terkal quälte sich auf italienisch durch die Partie des Pinkerton, vom lieben Gott mit vielversprechendem Stimmaterial ausgestattet, aller anderen Werte bar, die aus dem Sänger erst den Künstler machen. Kostas Paskalis (Sharpless) sang lediglich einen guten ersten Akt. Hilde Rössel-Majdan war wie immer eine blendende Suzuki und darüber hinaus sehr bemüht, dem Gast die Inszenierung zu erklären (das Programm nannte diesmal zwar Leo Meinert als Abendregisseur, aber von ihm war nichts zu merken). Erich Majkut, Hans Schweiger und Franz Bierbach beanspruchten die Nerven der Zuhörer über Gebühr. Für eine gute musikalische Interpretation sorgte als Dirigent Lovro von Matacic. Zum Abschluß sei auch hier die Frage erlaubt: wie kommt das Publikum dazu, für derartige Aufführungen „erhöhte Preise“ zahlen zu müssen, wenn es für das gleiche Geld vor einiger Zeit die Butterfly mit di Stefano und der Price hören konnte.

ARABELLA am 9. Oktober

Nur wenig Freude erlebte man an dieser Vorstellung. In der von Heinrich Hollreiser geleiteten Aufführung bewies Hilde Zadek, trotz guter stimmlicher Momente (1. Akt und Schluß) erneut, daß ihr die Arabella darstellerisch nicht liegt. So blieb sie dieser Rolle, die zu den reizvollsten Strauss-Gestalten gehört, schauspielerisch allzu viel schuldig und gerade in dieser Partie wird dieses Manko sehr fühlbar. Einen pechschwarzen Tag hatte Carlos Alexander. Er schien gänzlich indisponiert zu sein und beschränkte sich nach einem sehr schwachen ersten Akt im weiteren Verlauf des Abends nur mehr auf andeutungsweises Singen. Ivo Zidek war ein guter Matteo, ja er dürfte derzeit der beste Vertreter dieser Partie sein. Alle Matteos, die man zuletzt in Wien und München hörte, lagen weit unter diesen Niveau. Als Lichtpunkte dieses stimmungslosen Abends blieben somit nur Anneliese Rothenbergers bezaubernde Zdenka, bei der sich die Künstlerin von Mal zu Mal noch mehr steigert, Otto Edelmanns humorvoller Graf Waldner, der ausgezeichnet bei Stimme war und Ira Malaniuks charmante, schön singende Gräfin. Das Niveau dieser drei Sänger hätte der Maßstab für die ganze Aufführung sein müssen, doch war dem nicht so.

BALLETTABEND am 10. Oktober

DIE VERKAUFTE BRAUT am 11. Oktober

Es ist erstaunenswert, wie gut die Inszenierung noch sitzt. Die Aktionen von Chor und Ballett gehen reibungslos ineinander über und die sonst so rasch in einer Repertoireoper um sich greifenden Schlampereien – zwischen Schlendrian und Übertreibung – sind dankenswerter Weise noch nicht eingerissen. Das Orchester klang diesmal ein wenig laut. Berislav Klobucar brachte das Werk nicht genügend differenziert, konnte es wohl auch nicht – allein bei den ersten Geigen saßen fast ein halbes Dutzend Substituten. Von den Solisten ist Irmgard Seefried mit Abstand an erster Stelle zu nennen. Die Stimme entfaltet sich hier, wo sie kräftigere Farben zeigen kann, zu schönem Glanz. Auch schauspielerisch bewegt sich die Künstlerin natürlich und der Rolle gemäß. Die beiden Tenöre, Waldemar Kmentt (Hans) und Murray Dickie (Wenzel) hatten gewohntes Format. Von Oskar Czerwenka als Kezal verstand man zwar nicht viel, aber was man hörte, war gewiß kein Bühnendeutsch. Was Rosette Anday, Hans Braun, Franz Bierbach und er beim Quintett verbrachen, konnte Hilde Konetzni leider auch nicht gut machen. Bliebe nur noch als Positivum die ausgezeichnete Zirkusszene mit Erich Kunz und dem Ballett zu vermelden. Ein Abend, der durch die Sängerleistungen zwiespältigen Eindruck hinterließ.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 12. und 15. Oktober

In diesen beiden Aufführungen wurden einige Partien neu besetzt. Von den Debütanten konnte einzig und allein Flaviano Labo als Alvaro voll befriedigen. Im Spiel eher passiv, und von einigen, nicht unbedingt erforderlichen Schluchzern abgesehen, gefiel er vor allem durch wirkungsvolle strahlende Höhen und geschmackvolle Piani. Trotz seiner vielen Vorzüge fehlte ihm leider das gewisse Etwas, das etwa Giuseppe di Stefano hat, und das erst aus einem guten Sänger einen Tenor der Weltklasse macht. Hilde Zadek ließ als Leonore eine Menge Wünsche offen. Einige gute gesungene Phrasen können darüber nicht hinwegtäuschen, daß die Höhe nicht immer einwandfrei ist, und ihr Tremolo kann man kaum überhören. Zudem klingt auch ihre Stimme in gewissen Lagen nicht sehr angenehm. Auch in der Gestaltung fand sie sich nicht ganz zurecht: alles Leid wirkte ein bißchen zu dick aufgetragen, der Mensch zu gehetzt. Sie ist in ihren Bewegungen zu rasant. Biserka Cvejic sang die Preziosilla mit junger, frische Stimme, daß sie sich mit den Höhen und Koloraturen der Partie manchmal schwer tut, ist einzusehen. Blendend wieder Ettore Bastianini, auch wenn er wie diesmal in der halsbrecherischen Stretta schwer zu kämpfen hatte. Lobenswert Walter Kreppel, nicht lobenswert Karl Dönch, der anscheinend glaubt, aus jeder Opernpartie einen Wurstel machen zu müssen. Dimitri Mitropoulos fehlte diesmal das Feuer der Premiere, seine Macht klang am 12. müde, während am 15. bei gleicher Besetzung im Orchester wieder festliches Staatsopernformat herrschte.

 

MOSES UND ARON am 13. und 14. Oktober, Gastspiel der städtischen Oper Berlin

Warum bei der Premiere in Berlin das Publikum pfiff und sogar der Dirigent Hermann Scherchen in einem Anfall von Volkswut seinen Wagen einbüßte, wird uns ein ewiges Rätsel bleiben, denn dieses Werk ist ebenso wenig schockierend, wie es derart begeisternd wirken könnte.

Und die engagierten Schönberganhänger, die sich zu J.M. Hauers berüchtigt gewordenen Ausspruch:

„Ganz genau  so  wie des Zwölftonspiels ist die Musik. Es gibt keine andere auf der ganzen Welt. Es hat nie eine andere gegeben. Es wird und kann nie eine andere geben.“, bekennen, sind bereits ebenso überholt wie die wütenden Schönberg-Gegner, die ihn ehemals als Totengräber der abendländischen Musik am liebsten gesteinigt hätten. Arnold Schönberg ist kein brennendes Problem mehr, auch er und sein Werk sind bereits ein Stück Musikgeschichte geworden, und es läßt sich nicht ableugnen, man mag positiv oder negativ zu ihm stehen, daß Arnold Schönberg eine Notwendigkeit in dieser Musikentwicklung war. Jedem, der Ohren hat, zu hören, wird auch bewußt werden, daß dieser Komponist ein ganz großer technischer und handwerklicher Könner gewesen ist und dies selbstverständlich nicht unabhängig von der Entwicklung. Schönberg ist kein „Neutöner“ in dem Sinn, daß er mit seinen Werken sozusagen von einem fremden Stern herunterfiel. Auch er ist ein Glied in der Kette und, so paradox es klingt: er kam von Wagner und der Romantik her zum Expressionismus. Dies um Irrtümer und Mißverständnisse alter Diskussionen vorwegzunehmen.

Leider schrieb Schönberg auch seine Libretti selbst. Dichter aber war er nun bestimmt keiner, im Gegenteil, manchmal ist unschwer festzustellen, daß die deutsche Grammatik ihm manches ihrer Geheimnisse nicht entschleiert hat. Die Kraft der Gestaltung, die dem Komponisten eigen ist, fehlt dem Autor Schönberg oft sehr fühlbar.

Moses und Aron ist schon vom Libretto her keine Oper, das Sujet der Gotteserkenntnis, also ein Vorgang abstrakten Denkens oder der Intuition kann an sich nie eine Bühnenhandlung ergeben, es sei denn, dieser Vorgang spiegelt sich im Lebensschicksal von Menschen wider. Doch dies ist hier nicht der Fall, und so kommt Schönberg damit dem Sündenfall des Aron sehr nahe: er selbst hat versucht, ein Bild zu machen von etwas, das nicht gestaltet werden kann.

Gedanklich und inhaltlich würde sich das Thema viel eher als Oratorium eignen, und dafür spricht auch, daß die meisten Leute, die beispielsweise das Rondo vom Goldenen Kalb  konzertant gehört haben, damals davon wesentlich  stärker beeindruckt waren als nun nachträglich im Theater.

Das sind die grundlegenden  Einwände,  die gegen das Werk erhoben werden können. Dem muß  noch hinzugefügt werden, daß es dadurch selbst für den Musikliebhaber riesige und ermüdende  Längen bekommt. Von den Opportunisten und Adabeis, die eine solche Feststellung als Blasphemie empfinden und so enthusiasmiert klatschten, würden wir uns gerne einmal den Inhalt erzählen lassen.

Wahrhaftig des Beifalls wert war die Aufführung an sich. Das war tatsächlich Ensembleleistung.

Interessant vor allem war die Regie Gustav Rudolf Sellners, die bewies, daß Berlin für die Interpretation moderner Opern einen eigenen Stil hat: Unpathetisch, klar und zwingend in der Bewegung, in vollkommener Übereinstimmung mit den phantastischen Bühnenbildern von Michel Raffaelis, der es fertigbrachte, aus einfachen geometrischen Formen eine eindrucksvolle Raumwirkung herauszuholen. Diese Wirkung wurde durch eine blendende Beleuchtungstechnik noch gesteigert. So herrschte auf der Bühne die Wirkung der Wüste, das Geheimnis des brennenden Dornbusches, die Übervölkerung des Ghettos. Das sind alles Dinge, die sich – sieht man von der auch im Orchester flirrenden Dornbusch-Szene ab – aus der Musik gar nicht so deutlich heraushören lassen. Ebenso waren die Kostüme zeitlos und doch biblisch, absolut nicht an Trachten angelehnt und doch glühend orientalisch.

Die schwerste Aufgabe des Abends hatte neben dem souverän seines Amtes waltenden Hermann Scherchen am Dirigentenpult, Josef Greindl als Moses zu lösen, der eigentlich eher eine Sprechpartie ist. Da der Text viel bla-bla enthält, konnte er nur seine eigene Persönlichkeit einsetzen, ohne dabei von Musik eine nur irgendwie spürbare Hilfe zu bekommen. Da hatte es Helmut Melchert, als Aron der Vertreter des niedrig Sinnlichen im Gegensatz zu Moses reiner Geistigkeit, weit leichter. Der intelligente Charaktertenor psalmodierte ausdrucksvoll als eine Art Tempelsänger. Auch die Sänger der kleinen Rollen bewährten sich bestens. Der Chor zeigte sich dem fast unsingbaren Part und seinen Schwierigkeiten fast völlig gewachsen.

So haben wir nun auch dieses Werk gehört, von dem soviel die Rede war. Wir sind froh darüber, daß es als Gastspiel der Berliner Städtischen Oper zu uns kam, weil wir damit eine wirklich ausgezeichnete Interpretation hören dürften, die wir – neidlos gestehen wir es – nie zusammengebracht hätten. (Unsere Stärke liegt auf anderen Gebieten!) Das, was auch die Berliner – zumal das Ballett (Choreographie Dore Hoyer) – schuldig bleiben mußten, wird sich auf der Bühne nie realisieren lassen. Orgien lassen sich nun einmal ebenso wenig darstellen wie Lustmorde oder Schlachten. Und so konnte man sich über das Treiben der in farbenfreudige Trikots gekleideten, als Menschen oder Opfertiere kostümierten Tänzer rund um das Goldene Kalb eines leisen Grinsens nicht erwehren.

Das Publikum danke den Gästen mir respektvollem Applaus, der durch einige Zischer zu einem großen Erfolg angestachelt wurde. Solch klug gelenkter Aktionen bedarf es doch bei Schönbergs Werk nicht. Schönberg, der die Musik aus der Treibhausatmosphäre der überhitzen Romantik führte, um sie in einen luftleeren Raum zu lenken, in dem sie bei minus 273 Grad wieder neu erblühen soll! Wer wird die Musik hier herausführen?

 

COSÌ FAN TUTTE am 14. Oktober im Redoutensaal

Zum ersten Mal sang Ira Malaniuk die Dorabella in italienischer Sprache. Ein wenig nervös und unsicher beginnend, fing sie sich bald darauf und steigerte sich zusehends zu einer sehr guten Leistung, die durchaus erfreulich wirkte, gleicherweise im Spiel, Erscheinung und Gesang, und einen persönlichen Erfolg bedeutete. Teresa Stich-Randall als Fiordiligi hatte einen guten Tag und hielt Niveau – immer können wir ja nicht Elisabeth Schwarzkopf hören. Wohltuend dezent wirkte Karl Dönch, und dieser Alfonso ist für sich gesehen lobenswert, wenn auch er gleichfalls nicht die Vergleiche mit überragenden Vorbildern aushält. Seinen goldenen Tag hatte Erich Kunz. Was er diesmal – ohne zu übertreiben – an springlebendigem Humor hervorzauberte, entlockte wohl selbst dem schlechtest gelaunten Besucher vom Herzen kommendes Lachen. Gesanglich blieb er ebenso wie Luigi Alva nichts schuldig. Emmy Loose bewies erneute, daß sie immer verläßlich ist. Lovro von Matacic am Pult dirigierte mit viel Liebe zum Werk, einen wahrhaft musikantischen Mozart.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 15. Oktober

wurde mit der Aufführung am 12. Oktober besprochen

BALLETTABEND am 16. Oktober

AIDA am 17. Oktober

Diese Aufführung hatte das Pech, daß sie für die Besucher des Abonnements der XIV. Gruppe gespielt wurde. Wer müßte singen, was müßte gespielt werden, damit diese Besucher aus ihrem Dämmerzustand erwachen? Noch dazu an einem Montag: also mäßiger Beifall und flaue Stimmung, trotz guter Besetzung. Für Überraschung sorgte Mirella Paruto als gastierende Aida, eine bislang recht unbekannte Sängerin. Die Stimme ist ausgezeichnet und spricht sofort an: eine volle schöne Mittellage, imposante Höhen, eine Tiefe, über die sich ein Mezzo freuen würde. Dagegen sind die Piani noch nicht entwickelt. Abgesehen von diesem Manko sang sie eine Aida, die durchaus bestehen konnte. Flaviano Labo als Radames kämpfte heldenhaft den ganzen Abend mit einer Indisposition, und es spricht für ihn, daß er bis zum Schlußduett ohne Schmiß durchhielt.  Die junge Biserka Cvejic stieß erfolgreich in die Spitzengruppe der Amneris-Sängerinnen vor. Winzige Mängel in der Tiefe und den exponierten Höhen werden sicher bald schwinden. Allerdings fehlte darstellerisch der Eindruck starker Persönlichkeit. Aldo Protti, mit neuen südamerikanischen Lorbeeren bekränzt, sang einen seiner ausgezeichneten Amonasros, eine seiner besten Partien überhaupt. Walter Kreppel dürfte der zur Zeit wohl beste hauseigene Ramphis sein. Ägyptens König (Alois Pernerstorfer) hatte zweierlei Kriege zu führen, einen gegen Äthiopien und einen gegen die Höhen der Partie. Wenn sich Erich Majkut absolut zum Bodenakrobaten berufen fühlt, dann ist die Wiener Staatsoper dazu denn doch nicht der rechte Ort. Oft genug wurde bereits gefordert, daß die Priesterin nicht vor dem Hotel Sacher, sondern vorne auf der Bühne postiert gehört, damit man endlich auch einmal etwas hören kann (oder man müßte eventuell Frau Nilsson ersuchen, auch diese Partie mitzusingen). Dirigent dieser Aufführung war abermals Lovro von Matacic, allerdings erlebten wir ihn in der ersten Aida-Aufführung mit noch mehr Intensität und Spannkraft.

DIE ZAUBERFLÖTE am 18. Oktober

Einen frischen, lebendigen Zug erhielt die Aufführung durch Heinz Wallberg, der zu jenen Dirigenten gehört, die mit Enthusiasmus das Pult betreten und gewillt sind, mit ihrem Können den Abend entscheidend zu beeinflussen. Wir hatten in der letzten Zeit keine solch frische, lebendige Zauberflöte gehört. Das Orchester scheint den Dirigenten ins Herz geschlossen zu haben, denn es folgte mit Interesse seinen Anweisungen. Belebend war es für den Hörer, endlich einmal den Auftritt des Tamino dramatisch durchpulst zu hören. Die Priesterszenen wieder wurden mit sakraler Weihe dirigiert, und oft hatten wir das Gefühl, eine neu verwandelte Zauberflöte zu hören. Die meisten Solisten schienen ebenfalls inspirierter als sonst und so kam ein Abend zustande, der sich von dem üblichen Repertoireniveau angenehm unterschied. Am meisten profitierte Walter Kreppel als Sarastro, der in seiner Arie „In diesen heilgen Hallen“ ganz aus sich herausging. Man konnte diesmal nicht nur seine schöne Stimme bewundern, sondern man war auch von der Phrasierung und Intensität, mit der er sang begeistert. Neben ihm gefiel der Papageno von Erich Kunz, der immer mit neuen Späßen das Publikum unterhielt. Er ist wohl der Papageno mit dem Witz und der Schärfe eines Schikaneders. Waldemar Kmentt sang seinen bewährten Tamino, exakt und solid. Teresa Stich-Randall bemühte sich als Pamina, wenn sie auch unserem Gefühl nach wenig für diese Rolle prädestiniert ist. Zu steife und klebrige Töne ließen keine Jungmädchenstimmung aufkommen. Mimi Coertse als Königin der Nacht soll nach unseren Informationen krank angetreten sein. Wir wollen dies ins Kalkül ziehen, denn sonst müßten wir scharfe Einwände gegen das Auslassen des Spitzentons in der ersten Arie erheben. Gundula Janowitz verriet als Erste Dame eine schöne Stimme. Sie war jedenfalls ihren beiden Kolleginnen, Margareta Sjöstedt (die unbedeutend sang) und Georgine Milinkovic (die durch Grimassen ihre Stimme ersetzen wollte) turmhoch überlegen. Leider fiel erneut die musikalische Unsicherheit der drei Sängerknaben auf. Otto Edelmann als Sprecher brachte das Kunststück zusammen, noch schlechter als das letzte Mal zu sein. Einen Sprecher, der nur durch falsche Intonation auffällt, sollte sich die Wiener Oper nicht leisten. Doch wie gesagt, das Positive überwog bei weitem das Negative, und viel Beifall dankte Wallberg und seinen Helfern.

TOSCA am 19. Oktober

Er war wieder da, der Chénier, der einschlug wie eine Bombe, Franco Corelli, der Tenor, dessen Stimme mit einer strahlenden C-Trompete zu vergleichen ist. Allerdings interessiert er nicht nur durch das Material allein, sondern er hat auch, seit seinem Wiener Debüt (1957 als Radames) sehr viel gelernt. Sein Singen ist sorgsam geformt, er phrasiert außerordentlich schön und wirksam und sang auch (bei solch baritonalen, metallischen Stimmen ein Ausnahmefall) mit Geschmack Piano.

Der Presse und zum Teil auch dem Publikum singt er allerdings immer noch zu wenig Piano – wir halten das für einen gedanklichen Kurzschluß. Das Piano einer Heldenstimme kann niemals so weich klingen wie das eines lyrischen Tenors, und es hat auch keine Tenöre gegeben, die das vereinen konnten. (Man denke an Mario del Monaco, prüfe daraufhin die Platten von Enrico Caruso und Giacomo Lauri-Volpi, aber auch Leo Slezaks falsettiertes Liedersänger-Piano). Außerdem hat eine Riesenstimme noch niemandem, der Heldenrollen zu singen hat,  geschadet. Die Wiener mußten sich ja auch erst an Aldo Protti gewöhnen. Auch im Falle Corelli wird das Publikum hoffentlich bald besser urteilen können, was für eine Leistung die sicheren Piani wie etwa im „E lucevan le stelle“ waren. Das „Vittoria“ war von wälseartiger Länge, und bei „La vita mi costasse“ glaubte man, er wolle vom Spitzenton überhaupt nicht mehr herunter. Warum sollte er auch? Wir hatten es ja nicht mit Schubert-Liedern zu tun. Ettore Bastianini verabschiedete sich mit dem Scarpia. Er sollte die Partie nicht laufend singen, sie ist ihm zu dramatisch, schauspielerisch kann er sie nicht ausfüllen. So spaziert er mit der Miene eines biederen Wachmanns, der seine Runde dreht, über die Bühne und markiert so den gefürchteten Polizeipräsidenten. Er macht überhaupt keine Maske, wirkt aber trotzdem glaubhafter als manche, die sich falsche Nasen ankleben und die Augenhöhlen schwarz anstreichen. Er macht beim Te Deum den Mund ein bißchen weiter auf und triumphiert über Nello Santi, der wirklich keiner von den Leisen ist, was er bei seiner ersten Wiener Tosca wieder bewies. Ein Fall von ganz besonderer Art. Hilde Zadek war naturgemäß zwischen diesen beiden Stimmen zum Abfallen verurteilt. Sie bemühte sich und tat was sie konnte. Da sie einen für ihre Verhältnisse sehr guten Abend hatte, was sich besonders im schön gesungenen Gebet auswirkte, vermochte sie sich immerhin zu behaupten, was einem starken persönlichen Erfolg gleichkommt.

BALLETTABEND am 20. Oktober

DIE VERKAUFTE BRAUT am 21. Oktober

In dieser Vorstellung war das Orchester abermals etwas laut. Berislav Klobucar unterband diesmal energisch einige Verschleppungsversuche von Chor und Solisten und brachte alle Kostbarkeiten der Partitur heraus. Jedenfalls gefällt er weit besser als sein Vorgänger Michael Gielen. Die Szenen mit den Elternpaaren konnte auch er nicht retten. Oskar Czerwenkas Kezal fehlt, wie schon öfter bemerkt, die profunde Tiefe und Durchschlagskraft, doch machte er dies durch ausgezeichnetes Spiel so weit wie möglich wett. Waldemar Kmentt sang einen sauberen und gelösten Hans, während Gerda Scheyrer die negative Überraschung des Abends war. Ihre Stimme klingt müde und belegt, und bei der großen Arie fehlt ihr jeglicher Ausdruck. Ein Sonderlob gebührt dem jungen Philharmoniker Berger auf dem ersten Horn.

DER ROSENKAVALIER am 22. Oktober

An diesem Abend hatten wir wieder Gelegenheit, einen Rosenkavalier unter Heinz Wallberg zu genießen. Obwohl nicht mit der sagenhaften Jänner-Besetzung ausgestattet, konnte er doch erneut voll und ganz überzeugen. Sogar die Solovioline am Ende des ersten Aktes kratzte diesmal nicht. Aufbau und Ausführung des Terzetts waren wieder ganz ausgezeichnet, und nur die Sophie Teresa Stich-Randalls verhinderte einen perfekten Erfolg. Abgesehen von der augenblicklichen Stimmverfassung, die am besten schweigend übergangen wird, paßt sie nicht in diese Partie, da sie alle Szenen (Überreichung der silbernen Rose, Terzett) buchstäblich erschlägt und die anderen Sängerinnen zum Brüllen zwingt. Hilde Zadek war im ersten Akt manchmal um eine Spur zu larmoyant, am Schluß aber wieder auf der Höhe und bewies einmal mehr, daß die Marschallin eine ihrer guten Partien ist. Irmgard Seefried sang ihren bisher besten Oktavian. Ludwig Welter übernahm kurzfristig (für Otto Edelmann) den Ochs und konnte trotz mangelnder Durchschlagskraft gefallen. Darstellerisch ist sein Ochs eigenwillig und interessant, er macht aus dem Lerchenauer keinen Buffo, sondern einen wirklichen Adeligen (allerdings mehr vom Lande). Sein Zusammenspiel mit Irmgard Seefried in den Mariandlszenen war eine Wohltat. Gerhard Stolze war großartig als Valzacchi, Anton Dermotas Sänger das genaue Gegenteil. Nur ein Blechschmiß bei einem Rosenkavalier – auch das ist ein Rekord.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 23. und 26. Oktober

In diesen beiden Vorstellungen hörte man Franco Corelli als den letzten der Inkas, der die heldentenorale Version (die eigentlich angemessener erscheint als die lyrische) mit Kraft, metallischem Glanz, einer kunstvoll aufgebauten Arie und einer mitreißenden Szene im Klosterhof sang. Auf der Bühne geht von ihm allerdings weniger Wirkung aus als von anderen Tenorkollegen, obwohl sich eine Kritik nicht danach richten sollte, wer vorige Woche gesungen hat. Man müsse die Leistung an sich werten und diese war beachtlich. Überdies verhüllte er auch seine bereits weltbekannten Beine durch Umhänge, Kutten und Stulpenstiefel, auf daß man erkenn möge, daß er nicht auf sein äußeres angewiesen sei. Quod erat demonstrandum. Ebenbürtig in der Baritonrolle erwies sich Aldo Protti, der sein mächtiges Organ über die Rampe dröhnen ließ und es fertig brachte, zum Schluß des „Schwarzen Studenten“ dort hinaufzusingen, wo sogar Bastianini brav herunten geblieben war. Er wurde mit Beifall überschüttet. Etwas untergewichtig war Gerda Scheyrer, deren schlanke, in den oberen Lagen ansprechende Stimme zwischen den beiden Riesenstimmen der Herren verschwand. Sie ist um das Lavieren zwischen Scylla und Charybdis nicht zu beneiden gewesen und zeigte im ersten Teil des Abends wenig Mittellage und gar keine Tiefe, was aber beides für die Leonore sehr wichtig ist. Sicher und schön gesungen war allerdings die „Pace“-Arie, die ihr verdienten Beifall eintrug und wohltuend dezent, wenn auch ohne Persönlichkeitsausstrahlung das Spiel. Tugomir Franc als stolzer Adeliger zeigte zwar eine große, aber technisch nicht ganz einwandfrei geführte Stimme. Walter Kreppel und Karl Dönch waren in ihren Stammrollen gut. Am Pult stand Berislav Klobucar, der nicht zu beneiden war. Nach einem Dimitri Mitropoulos fiel er natürlich ab, der Klang war schwer und stumpf und die Chöre fangen bereits an, in Wackeln zu geraten, speziell der Rataplan, in dem Biserka Cvejic wieder ihre schöne Stimme erschallen ließ.

ARIADNE AUF NAXOS am 24. Oktober

Diese Vorstellung war von recht gutem Gesamtniveau. Hans Swarowsky hatte die Aufführung diesmal sicher in der Hand, und es gab einige ausgezeichnete Leistungen auf der Bühne. Irmgard Seefried als Komponist verdient besonders hervorgehoben zu werden, sie sang prachtvoll und die Stimme klang voll und schön, als hätte sie niemals Stimmkrisen durchzumachen gehabt. Ruth-Margaret Pütz singt und spielt die Zerbinetta gleich gut, und Ivo Zidek stellte sowohl als eitler Tenorist im Vorspiel wie auch als „Herr über ein dunkles Schiff“ seinen Mann. Selten haben wir diese schwierige Partie so gut gesungen gehört. Außerdem gab es ein schön singendes Nymphentrio (Liselotte Maikl, Anny Felbermayer, Ira Malaniuk), gute Komiker (Peter Klein, Ludwig Welter, Murray Dickie, Kurt Equiluz) und einige gute Episodisten (Peter Klein und Alfred Poell). Die Titelrolle gab Consuela Rubio, eine gute Sängerin mit dunkler, in der Mittellage sehr schöner, kraftvoller Stimme. Wir finden aber, daß sie genauso wenig eine Sopranistin ist, wie Regina Resnik jemals eine solche war. Da es ohnehin wenig gute Mezzos gibt, sollte sie auf die tiefere Lage umschalten.

FIDELIO am 25. Oktober

Diese Aufführung überraschte. Schien die Besetzung, die sehr viel Routine versprach, eine gewöhnliche Durchschnittsleistung zu gewährleisten, so war man letzten Endes letzthin sehr zufrieden. Was alles ein guter Operndirigent im Stande ist, bewies Heinz Wallberg, der das Orchester zu einer erstklassigen Leistung anspornte und mehr aus den Sängern herauszuholen wußte, als man zu hoffen wagte. Sein Beethovenkonzept war großartig angelegt. Die ersten Szenen durchsichtig, duftig und rhythmisch stark betont. Bei den dramatischen Stellen wurde das Orchester wuchtig und doch nie zu laut von ihm geführt und die Leonoren-Ouvertüre wurde mit einer Begeisterung dargeboten, daß man unwillkürlich den Atem anhielt. Ein besonderes Lob gebührt an diesem Abend den Hornisten, die sauber und meisterlich ihren schwierigen Part (von einer geringen Ausnahme abgesehen) spielten. Gertrude Grob-Prandl bot in der Titelpartie eine sehr gute Gesangsleistung, außerdem war ihre Prosa weitgehend verbessert. Ihr Florestan war Wolfgang Windgassen, der in dankenswerter Weise mehr als nur seine Pflicht des Auftretens tun wollte. Er gab z.B. in der Arie alles her, was er hatte, daß er trotzdem nicht ankam, war wohl auf seine Tagesverfassung zurückzuführen. Seine Stimme klang überbeansprucht und rauh. Gustav Neidlinger sang und spielte Pizarro mit Ambition, daß manchen Fortetönen die Resonanz fehlte, stört hier wenig. Wilma Lipp ist bereits in Hochform, ihre Arie war der Glanzpunkt der Aufführung. Gerhard Stolze war ein guter Jacquino. Enttäuschend erneut Otto Edelmann als Rocco. Hans Braun konnte man als Minister zwar sehen, doch ihn auch zu hören, kostete viel Mühe.

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 26. Oktober

wurde mit der Aufführung vom 23. Oktober besprochen

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 27. Oktober

Mit unserem Wagner-Repertoire ist es in Abwesenheit des Chefs manchmal traurig bestellt. So war es auch beim Holländer, in dem wegen Erkrankung von Gustav Neidlinger der Grazer Rolf Polke die Titelpartie übernahm. Mußte das sein? Für solche Sänger dürfte es in Wien keinen Ankerplatz geben. Die Stimme ist sehr dürftig, in der Mittellage gerade noch zu hören, Höhe und Tiefe sind kaum vorhanden. Dabei war deutlich zu bemerken, daß sich der Sänger sehr plagen mußte, um mit den Schwierigkeiten eines großen Hauses fertig zu werden. Von einer Rollengestaltung oder gar gesanglichem Ausdruck konnte natürlich keine Rede sein. Das Kostüm allein genügt nicht, um im Rampenlicht dämonisch zu wirken. Aber auch seine Partnerin entsprach nicht den Anforderungen, die man hier an eine Senta stellt. Hilde Zadek ist wohl eine routinierte Sängerin, die Senta aber liegt ihr absolut nicht. Sie wird mit den Tücken dieser Partie kaum fertig, und man merkt es deutlich, daß sie sich sehr plagt. In den höheren Lagen klingt die Stimme unangenehm schrill und durchdringend. Wolfgang Windgassen als Erik hatte ebenfalls nicht seinen besten Tag. Er raufte mit dem Text und konnte sich mit dem Orchester nicht recht zusammenfinden. Bleiben Ludwig Weber, der einen guten Daland sang und Gerhard Stolze, der einen frischen Steuermann hinlegte. Das ist aber für einen ganzen Abend zu wenig. Am Pult waltete Heinrich Hollreiser, über seine Qualitäten als Wagnerdirigent braucht nichts gesagt werden, da sie sattsam bekannt sind. Die Schmisse, die von den Philharmonikern, besonders im ersten Akt, produziert wurden, können ihm aber nicht angelastet werden.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 28. Oktober

An diesem Abend sang Wilma Lipp die Konstanze und bot eine begeisternde Leistung. Sie sang mit soviel Stilgefühl und solch frischer Stimme, daß alles um sie herum verblaßte. Ihr Organ besticht in jeder Lage gleich und daher kamen die Stellen, die naturgemäß von einem reinen Koloratursopran mehr geflüstert als gesungen werden, beseelt zum Ausdruck. Herrlich die schwierigen Koloraturen, die sie mit Dramatik belebte. Daß Anton Dermota Mozart ebenfalls singen kann, ist kein Geheimnis. Doch seine Stimme wird zu stark für solche Partien und einige Stellen wirkten verkrampft und unecht. Weniger kann man dem Künstler seinen oft verbitterten Gesichtsausdruck verzeihen, der zu einem Liebhaber gar nicht passen will. Emmy Loose agierte genauso quicklebendig wir vor zwanzig Jahren. In technischer Hinsicht kann man ihr auch nichts nachsagen, aber wo bleibt eine junge Stimme für das Blondchen? In dieser Rolle müßte man unbedingt dem Nachwuchs eine Chance geben. Murray Dickie war der Pedrillo der mit steifer Höhe zum Streite rief. Ludwig Welter gefiel als Osmin durch seine liebenswürdige Gestaltungskraft. Er schwindelt sich klug durch die Partie. Wie er seine fehlende Tiefe und das Loch immer zu kaschieren weiß, nötigt uns Achtung ab. Heinrich Hollreiser dirigierte mit Schwung und überraschend leichter Hand bis zu den großen Ensembleszenen. Dann war er mit seinem Latein zu Ende, und die Folge davon war wieder ein Mozart unter Hollreiser mit der üblichen Unpräzision.

TOSCA am 29. Oktober

Für diese Vorstellung holte man Alberto Erede ans Pult. Es gelang ihm diesmal nicht, Kontakt mit der Bühne zu finden. Man fürchtete sich vor dem Fiasko, als die Glocken nicht zur richtigen Zeit einsetzen wollten. Immerhin hatte dann doch jemand die Geistesgegenwart, „den Glockenstrang des Domes zu ziehen“. Erede kam diesmal nicht über eine Durchschnittsleistung hinaus. Der Abend gehörte natürlich Franco Corelli, der sich in kraftstrotzender Höhe sonnte. In „E lucevan le stelle“ verriet er auch, daß er sich nicht nur auf seine raketenartige Stimme verlassen will, hier bemerkte man Phrasierung. Hilde Zadeks Bemühen als Tosca verdient Anerkennung. Sie aber als eine italienische Stimme zu bezeichnen, ist Unsinn, denn wer kann in ihrer Stimme ein Fünkchen des gewissen Etwas entdecken? Das Publikum ist in dieser Meinung einhellig, mögen auch die professionellen Kritiker über ihre Italianità schreiben, was sie wollen. Aldo Protti sang mit seiner Riesenstimme den Scarpia, ehrlich bemüht und einsatzbereit wie immer, daß ihm in dieser Rolle der durchschlagende Erfolgt versagt bleibt, mag an seiner geringen Nuancierung und zu wenig Gestaltung liegen. Erich Kunz als Mesner war unsicher und schwamm.

DON CARLOS am 30. Oktober

Es war ein schwarzer Tag für Spanien. Nicht genug, daß es im Stadion ein Fußballändermatch verlor, gab es abends in der Oper eine der seltsamsten, ja erschreckendsten Aufführungen, die wir seit langem gesehen haben. Man gab Don Carlos abermals, ohne dafür die unbedingt nötige erstklassige Besetzung zur Hand zu haben. Und man muß sich ernsthaft fragen, wer dazu noch den Tenorgast Angelo Laforese holen mußte, der eine schmale, enge Stimme hat und einen Hang zum Zutiefsingen. Dazu eine Gastkönigin mit Eboli-Timbre in Gestalt von Consuela Rubio, die ganz und gar unköniglich wirkte und mit aufgesetzten Höhen und Piani solche Schwierigkeiten hatte, daß dem Zuhörer bei der Elisabeth-Arie kalte Schauer über den Rücken liefen. Walter Kreppel sang den Philipp mit schöner Baßstimme (zeitweilig beeinträchtigt durch sein leidiges Distonieren), überraschend viel Gefühl für die italienische Phrase und umso schlechterer Aussprache.  Biserka Cvejic als Eboli sang ein gutes Schleierlied, aber mitten in der gut begonnen Arie erlitt sie einen Schwächeanfall uns mußte sich bis zum Ende der Arie sehr plagen. Dennoch verspricht sie sehr viel auch in dieser Partie. Ludwig Welter begann als Großinquisitor sehr gut, dann machte ihm aber sein bekanntes Loch um das D und E herum derart zu schaffen, daß es eine Anstrengung war, ihm zuzuhören. Der kultivierteste Sänger des Abends war Aldo Protti. Er hatte seine Stimme vollkommen in der Hand, sang mit dramatischem Ausdruck und der ihm eigenen Kraft. Nur Posas Abschied, der für diese Stimme zu lyrisch ist, war nicht ganz perfekt. Hans Swarowsky dirigierte den Abend zu seiner eigenen vollsten Zufriedenheit, sonst gefiel er wahrscheinlich niemanden, der eine Ahnung von dem Stück Don Carlos hat.

 

DER WILDSCHÜTZ am 31. Oktober, Neuinszenierung

Als wir vor der Premiere das Haus betraten, stand dort ein unschwer als Abonnenten erkennbares Paar und unterhielt sich mit unterdrücktem Grimm darüber, ob das Stück wohl auch italienisch gegeben werde. Wir boshaft, wie wir schon einmal sind, konnten uns nicht enthalten, einzuwerfen: „Ja, der Wildschütz wurde extra auf Karajans Befehl ins Italienische übertragen!“, worauf sich die Leutchen ganz fürchterlich aufregten, mit „Na also“ und „Da sieht man es wieder“. Also, Abonnenten dieser Art verdienen gar nichts anderes als den Wildschütz, an dem sich die Rezensenten die Feder wetzten und über den der naturgemäß leicht versnobte Habitué die Nase rümpft. Spielplanprobleme solcher Art wären leicht zu lösen, wenn alle Abonnenten, denen die Originalsprache in einer Oper nicht paßt, die Volksoper als Wirkungsort erwählen und ihre Abonnements Leuten überließen, die gerne eines hätten, aber nie eines bekommen. Aber das tun ja die Raunzer doch nicht und so müssen sie halt auch einmal ihre Freude haben. Es ist ja nicht einzusehen, warum die Staatsoper nicht auch kleine Stücke auf dem Spielplan haben sollte – besser ein guter Wildschütz als ein schlechter Don Carlos oder Holländer. Allerdings müßte dann die kleine Oper in einer großen Aufführung geboten werden. Günther Rennert hätte den Wildschütz auch in Wien (so wie in Stuttgart samt Gastspiel in Edingbourgh) gerne gemacht. Er dachte wahrscheinlich, im Zeitalter einer Renaissance der italienischen Opera buffa sei auch eine Forcierung der deutschen Spieloper Pflicht. Schließlich wurden ja beide Sparten zur gefälligen Erheiterung des Publikums erdacht! Leider Gottes kam es nicht zu einer Rennert-Regie, was dem ganzen Unternehmen sicher etwas von seiner prinzipiellen Bedeutung nahm, obzwar Adolf Rott an seine Opernerfolge aus dem Theater an der Wien (Massenets. Manon und Volksoper Zar und Zimmermann sowie Martha) anknüpfen konnte. Lortzing liegt ihm zweifellos besser als die große Oper! Die Spieloper kam dabei als heiteres, unbeschwertes Spiel zur Geltung, und aus der Spielzeugschachtel stammten auch die Bühnenbilder Robert Kautskys, der die kleinen Bausteinklötze auf Großmutters Spitzendecke stellte (1.Bild). Mit Recht sozusagen, denn der leichte Staub, der auf diesem Genre Oper liegt, wurde so sehr liebenswürdig dokumentiert, und auch die Regie hielt sich an dieses Konzept. Der Hauch des Gestrigen behielt seinen Reiz und das Überholte einen gewissen rührenden Zauber. Damit war auch die Zeichnung der Figuren von vornherein festgelegt und dankenswerter Weise hat Adolf Rott diesmal auch zum Großteil aus der Musik heraus gearbeitet und somit auch den richtigen Stil gefunden.

Ausgezeichnet die musikalische Leitung unter Heinz Wallberg, der dabei ein sehr inniges Gefühl für Feinheiten der kleinen Dinge bewies, ihnen mit Herz nachspürte und sie zum Klingen brachte. Der einzige Einwand, der gegen diese Interpretation erhoben werde kann, richtet sich nicht gegen das Orchester sondern vielmehr gegen die Bühne. Die Liebe zur kammermusikalischen Feinheit dürfte auf keinen Fall so weit gehen, daß bewußt „untersungen“ wird, und der Hang (oder die Anweisungen dazu?) war bei allen Solisten spürbar, am deutlichsten natürlich bei der Talerarie von Karl Dönch. Gewiß ist die darstellerische und gesangliche Gestaltung des Baculus in sich geschlossen. Diese Figur lebt und hat Profil, aber das Sangbare kommt dabei zu kurz und selbst über den Ensembles scheint manchmal der Hinweis: „nur nicht voll aussingen“ zu stehen. Das wirkt manchmal sehr reizvoll, ergibt Linie zeigt kultivierten Geschmack, steht aber sehr stark an der Grenze des Überkultivierten, tendiert zum Überzüchteten hin.

Schon mit der Titelrolle begann das Kopfschütteln über die Besetzung, denn zu der Besetzung des Baculus mit Karl Dönch kann man nur sagen: „Er machts ganz nett, fast wie Wilhelm Busch skurril, aber eigentlich hätte man die Rolle auch singen können!

Ausgezeichnet war allerdings die zweite Hauptrollenträgerin Irmgard Seefried in der Rolle der Baronin. Sie sang hervorragend und spielte auch mit Charme und Humor. Ihren Zukünftigen gab Waldemar Kmentt, der wie in allen seinen Spielopernrollen gut spielte, eine ausgezeichnete Prosa sprach und weniger gut sang. Jetzt müßte es sich schon herumgesprochen haben, daß er kein Koloraturtenor ist! Der Graf, gegeben von Georg Völker (Städtische Oper Berlin), ist ein Kapitel für sich. Eberhard Wächter, der sich im übrigen um die Partie auch nicht gerade reißt, ist in Amerika, gut. Dann hätte man sich eben um Hermann Prey mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen – und das sind ja an der Wiener Oper nicht so wenige – bemühen müssen. Und wenn Herr Prey an der Wiener Staatsoper durchaus ganz seriös und nicht als Spielbariton debütieren will, hätte er ja vorher zwei oder drei Wolframs singen können. Aber nein, man holte Georg Völker, dessen Stimme trocken und farblos ist und so tief unten steckt, daß man gar nicht weiß, ob sie überhaupt aus der Kehle kommt, und dessen Spiel überdies jeglichen „steigerischen“ Charmes entbehrte! Oh Planung! Über Erwarten gut hielt sich Renate Holm, die eine fleißige und sympathische Soubrette mit trockenem Humor und einer hübschen, glatten Stimme ist und die man sich am Ring sichern sollte, läßt sie doch (wie übrigens auch die andere Volksopern-Soubrette Ins Dressel!) die hauseigenen Vertreterinnen dieses Faches um eine Klasse hinter sich.

Hilde Rössel-Majdan zeigte sich mit der Rolle der nach Sophokles süchtigen Gräfin von ihrer besten, nämlich der komischen Seite und half mit, den Damen der Besetzung den größten Erfolg des Abends zu sichern. Peter Klein erwies sich als Meister im Sächseln, was aber hier in Wien nicht ankam, zum Teil deshalb, weil man den Dialekt kaum versteht. Er hätte vielleicht lieber böhmakeln oder so etwas Ähnliches sollen. Anny Felbermayer und Franz Bierbach waren in unbedeutenden Dienerrollen beschäftigt.

So hatte man mit dem Wildschütz einen harmlos netten Abend und nicht mehr, wenn wir nicht akustisch den sehr gut uns sauber singenden und nett spielenden Chor und optisch die naiv-fröhlichen Kostüme von Elisabeth Urbancis entschieden als Positiva werten wollen.

Für die Zukunft: Nichts gegen kleine Opern, aber in großer Interpretation!

 

DER WONNEMONAT WICH DEN WINTERSTÜRMEN

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 11

Wir haben wieder einmal unsere herbstliche Flaute. Die haben wir allerdings jedes Jahr, aber diesmal ist sie so deprimierend, daß sie mit der größten Grausamkeit angeprangert gehört.

Der Chef ist aus dem Haus. Er hat ja auch etwas anderes zu tun, was ihm niemand verbieten kann. (Schließlich haben sich die Berliner Philharmoniker schon zu seinen Füßen gestürzt, als in seinem Vaterland noch kein Mensch daran dachte, ihm einen leitenden Job zu geben.) So müssen wir ihn wohl oder übel teilen. Allerdings waren Wien und Salzburg die einzigen Städte seines weiten Arbeitsgebietes, wo er ständig angefeindet, ja beleidigt wurde und wird.

Karajan hat, wie erinnerlich, den Titel „Staatsoperndirektor“ in den eines „Künstlerischen Leiters der Wiener Staatsoper“ geändert, deutliches Zeichen dafür, daß er mit dem ermüdenden Kleinkram der Alltagsarbeit so weit wie möglich verschont bleiben will. Notwendige Folge dieser an sich verständlichen Haltung wäre das Engagement eines geschäftstüchtigen, aber dabei doch künstlerisch ambitionierten Generalsekretärs gewesen. Die Notlösung, der die Wiener Staatsoper unterworfen war, hebt sich nun mit Saisonschluß selbst auf. Es gibt, soweit wir auch spähen und blicken, nur einen fähigen Generalsekretär in Wien und Umgebung. Er hat lange Jahre der Zusammenarbeit mit Karajan hinter sich und sie werden sich zweifellos des öfteren in den Haaren gelegen sein und sich schließlich doch wieder zusammengerauft haben. (*)

Es geht nicht an, daß in das ohnedies komplizierte Getriebe der Wiener Staatsoper nun politische und proportionale Fremdkörper hineinverwoben werden. Es geht nicht an, daß dort Routine weiter, wo eine Persönlichkeit in der Lage sein müßte, Entscheidungen zu treffen, aber dann auch den Mut haben muß, sich zu den Entscheidungen, die im Interesse des Institutes getroffen werden müssen, zu bekennen.

Das Tauziehen um den Generalsekretärsposten muß sich endlich aufhören. Verpflichtet muß einfach der Beste aus der Branche werden, unbeschadet aller ministeriellen und persönlichen Interessen ehemaliger und zukünftiger Intendanten. Wir erinnern daran, daß Karajans Vertrag mit Ende der nächsten Saison abläuft, und daß er  keineswegs Lust haben dürfte, sich zu ärgern bis ihn der Herzschlag trifft. Wenn man ihn halten will – was nach der Salzburger Affäre, die bereits allen Beteiligten das Grausen über den Rücken jagt – ja ziemlich wahrscheinlich ist, muß man am Ring auch administrative Ordnung schaffen.

Wir sehen kein anderes Mittel mehr, als alle derzeitigen Direktionsmitglieder der Wiener Staatsoper in Pension zu schicken oder sie anderen Beschäftigungen zuzuführen. Dies gilt sowohl für das Generalsekretariat, als auch für die Regiekanzlei. In den ganzen Direktionstrakt gehört ein Mann mit einer starken Hand, der niemandem verpflichtet ist und nur wenig Rücksichten zu nehmen hat. Voraussetzung wäre auch das Aufgeben aller derzeit ausgeübten Geschäfte. Dann könnte im Haus am Ring endlich einmal ordentlich gearbeitet werden.

Dann könnte es sich nicht ereignen, daß Gäste engagiert werden, die es unmöglich machen, daß die Haussänger auf ihre Abendanzahl kommen. (Wir meinen die Damen Curtin und Rubio!) Da hätte man eben mit den Damen Coertse, Stich-Randall und Zadek keine 6 bis 7 Monatsverträge abschließen dürfen. Da gäbe es keinen so eintönigen Spielplan.

Wenn das regierende Team schon die Urlaube erteilt hat, ohne dessen gewahr zu werden, daß heuer keine Ballettsaison stattfindet, hätte man ja sogar noch kurzfristig – etwa im Sommer – das Ärgste verhüten können. Neben den Italieren hätte man so vielleicht mit den Damen Grümmer, Hillebrecht, Rothenberger, Pütz, Hallstein, Lipp, Goltz, Borkh und Varnay und den Herren Windgassen,  Wunderlich, Prey, Wiener, Uhl, McCracken und Stolze eine interessante Mozart und Strauss-Saison abhalten können. Man hätte den Wildschütz besser besetzen, Così fan tutte und Barbier von Sevilla im großen Haus spielen können, hochbegabten Nachwuchssängern, wie den Damen Janowitz oder Dressel Chancen geben, eine neue saubere Einstudierung der Trionfi etwa unter Wallberg vornehmen können, usw. statt Baritons aus Graz einspringen zu lassen. Es ist ein Jammer, und wenn nicht bald etwas geschieht, dann passiert etwas. Und immer aufs Neue erschallt der Ruf nach einem starken Mann hinter Karajans Rücken, das heißt, der starke Mann soll den Rücken decken, nicht ihm in den Rücken fallen.

(*) Egon Seefehlner der wirtschaftliche Direktor der Staatsoper (von 1954 bis 1961) ging mit Saisonschluss nach Berlin. Mit dem hier vorgeschlagenen Generalsekretär ist Rudolf Gamsjäger (Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) gemeint.

 

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