DER NOVEMBER 1960

5. Jahrgang, Heft 12

 

Mit Trauer müssen wir Die Feststellung treffen, daß der Spielplan des Monats November zu wünschen übrig ließ. Es erübrigt sich, auf Einzelheiten einzugehen, denn es werden in der Wiener Staatsoper immer die gleichen Kardinalfehler begangen.

1./ In Abwesenheit des Chefs hält niemand (auch Herr Mattoni ist nicht anwesend) die Stellung.

2./ Das Repertoire des Hauses wird dann letzten Endes vom sagenhaften Herrn Fiedler, dem Leiter der Regiekanzlei, erstellt, der vielleicht Manns genug ist, Probenpläne zu produzieren, dem aber natürlich für verantwortungsvollere Aufgaben alle Voraussetzungen (darunter vor allem die Autorität) fehlen.

3./ Statt den Aufbau des Repertoires der Sänger zu überwachen und damit fördernd auf die Vielseitigkeit einzuwirken, die nun einmal zu jedem Klassesänger gehört, wird einfach irgendein Gast dahergeholt, der „es schon kann“. Kein Wunder, daß die Stammsänger nicht auf die vertraglich abgeschlossene Abendanzahl kommen. Der Hörer bedauert dies natürlich nur bei den guten, würdigen Staatsopern-Sängern. Den anderen, die auch engagiert sind, geschieht aber ebenso unrecht - wozu engagiert man sie, wenn man sie nicht verwendet? Und müßig herumgehende Sänger haben viel zu viel Zeit für Kabalen und Intrigen     

4./ Das Engagement zu vieler unzureichender Kapellmeister.

5./ Die Garnierung untergewichtig besetzter Vorstellungen mit einem Star, der die Angelegenheit aufzuputzen hat!

6./ Der noch weit mehr abzulehnende Modus, aus Sängern, die manchmal knapp den Durchschnitt erreichen oder noch darunter liegen, ein Ensemble zu bilden. Wenn man dann Aufführungen, für die das Interesse des Publikums aus Besetzungsgründen nicht vorhanden ist, an diverse Gewerkschaften oder Organisationen verscheuert, ist damit nichts gewonnen, denn dieses Publikum ist träge und kritiklos. Wenn dann irgend ein Pressemensch in eine solche Aufführung hineinplatzt, fängt er sofort an, das gesamte Wiener Publikum wegen dessen Randerscheinungen „pauschaliter“ durch den Kakao zu ziehen. Wir müssen schon sehr bitten!

Um aber wieder auf das möglichst tief angesetzte Ensemble-Niveau à la Volksoper und seine verfehlte Anwendung am Ring zurückzukommen: Nehmen wir beispielsweise zwei „kleine“ Neuinszenierungen her, die vom Werk her beide keine Zugstücke sind: die vorjährige ANGELINA und den heurigen WILDSCHÜTZ.

Ihnen gemeinsam war eine ausgezeichnete musikalische Leitung (zur Erinnerung: Alberto Erede und Heinz Wallberg). Eine großartige Angelina-Regie durch Günther Rennert, eine passable durch Adolf Rott beim Wildschütz, garniert mit einigen Stilbrüchen. Bei Angelina eine gute Ensembleleistung mit zwei absoluten Glanzinterpretationen: Christa Ludwig und Walter Berry. Das riß die anderen Sänger mit und verhalf der Oper zu einem Bombenerfolg, den niemand erwartet hätte. Und im Wildschütz? Irmgard Seefried als Spitzensängerin und eine Talentprobe von Renate Holm allein auf weiter Flur. Das ist zu wenig. Wir hoffen mit diesem Beispiel erklärt zu haben, was wir meinen.

 

ABSCHIED VON DIMITRI MITROPOULOS

Er starb am 2. November 1960 in Mailand während einer Probe zu Gustav Mahlers 3. Sinfonie.

Ein großer Dirigent ist nicht mehr, aber er wird in der Erinnerung weiterleben. Unvergeßlich wird uns die brennende Intensität seiner Gestaltung bleiben, das Hineinversenken in jedes dargestellte Werk. Er war ein Dirigent der Erregung. Wohl herrschte auch in seiner Gestaltung das Prinzip der Klarheit, der Durchsichtigkeit, des Gleichgewichtes, aber es war nie das schwerelose Gleichgewicht, das manche seiner großen Kollegen erzielen, wo die Phrasen wie bunte Bälle auf einer sanften Wasserfläche schaukeln. Die musikalische Ebenmäßigkeit war bei ihm erkämpft. Die Töne, die Noten, die Phrasen mußten sich mit Kraft ihren Weg bahnen durch das Mitropoulos’sche Kraftfeld bevor sie sich stark und kühn aufbauten und aufzutreten. Er war berühmt durch seine ausgefallenen Programme, in denen Werke zum Erlebnis werden konnten, denen man sonst kein Augenmerk schenkt, nur weil er mit der Kraft seiner Persönlichkeit alle – auch die verborgenen Schönheiten eines Werkes – wie in einem Brennspiegel zu sammeln verstand.

 

TOSCA am 1. November

Das Allerheiligenfest feierte man mit einer Tosca-Aufführung, was manches Unbehagen auslöste. Daß wir keinen Parsifal im Repertoire haben, ist bekannt, aber man hätte doch schließlich Palestrina auf den Spielplan setzen können. Man komme nicht mit der Ausrede von Besetzungsschwierigkeiten oder dergleichen mehr. Schließlich weiß man bereits seit einem Jahr, daß es einen 1. November gibt, der traditionell ein ganz seriöses Stück (was in diesem Fall zweifellos berechtigt ist) verlangt. Die verantwortlichen Spielplangestalter und Besetzer machten es sich – wie immer – leicht. Sie brauten aus den anwesenden Sängern eine bunte Mischung, würzten sie mit einem publikumssicheren Star und setzten Tosca für den Tag an, der der Erinnerung der Toten geweiht ist. Warum auch nicht, Tote gibt’s in dieser Oper auch viele und außerdem sterben sie alle eines gewaltsamen Todes. Gedankenlosigkeit ohnegleichen! Nun zur Aufführung selbst: Franco Corelli war der effektvolle Cavaradossi, der mit seinem mächtigen „Vittoria“ das Haus bezwang. In seiner letzten Arie vermochte er eine riesige Stimme zu bändigen und zu lyrischen Ansätzen zu zwingen. Weniger gut gelangen ihm die „dolci mani“, bei welchen sein Piano rauh klang und keine Substanz hatte. Carla Martinis versuchte wieder ein Comeback, wobei wir betonen möchten, daß sie diesmal viel weniger falsche Töne als üblich produzierte und stellenweise gute Momente hatte. Das Gebet gelang ihr weniger. Hier fehlte die große kantable Linie, statt der sie die Arie in einzelne Phrasen zerlegte. Aldo Protti sang wuchtig und in gewohnter Fortemanier den Scarpia, wobei er in seiner Gestaltung nur den Ehrgeiz eines kleinen Mannes in unbeschränkter Macht ausdrückt. Ob diese Auffassung die richtige ist? Berislav Klobucar dirigierte ehrgeizig, doch leider viel zu wenig subtil.

ARIADNE AUF NAXOS am 2. November

„Um Ariadne zu hören, versammeln sich Kenner“ – so war es bei uns eigentlich immer schon. Die Zahl der Kenner und Liebhaber, die dieses kostbare Werk zu schätzen wissen, dürfte in Wien allerdings immer kleiner werden. Dabei hätte die nicht uninteressante Besetzung allein schon eine gewisse Anziehungskraft ausüben müssen – stand doch endlich bei Ariadne wieder ein Strauss-Dirigent am Pult. Bei Karl Böhm war das Werk in guten und sicheren Händen. Am besten gelang ihm das Vorspiel. In der Oper selbst war das Orchester stellenweise zu laut, sodaß es die Solisten nicht leicht hatten.

Auf der Bühne war Irmgard Seefried als Komponist die mit Abstand beste Sängerin des Abends. Wenn man von den bei ihr üblichen Übertreibungen absieht, blieben gesanglich und darstellerisch kaum Wünsche offen. Hilde Zadek in der Titelrolle bot außer einigen scharfen Spitzentönen eine stimmlich gute Leistung, sie blieb jedoch ausdrucksmäßig ihrer Partie einiges schuldig. James McCracken hatte es trotz großen Stimmaterials nicht leicht, sich über den Orchesterwogen zu halten. Seine Stimme hat vor allem im Piano zu wenig Tragfähigkeit. Es wird aber jedenfalls interessant sein, ihn in anderen Partien zu hören. Leider sagte Ruth-Margaret Pütz, die ursprünglich für die Zerbinetta vorgesehen war, ab und es mußte Mimi Coertse einspringen. Sie schien unter einer Indisposition zu leiden, war sehr unsicher, und so kam es einige Male zu schweren textlichen und musikalischen Entgleisungen, die sich besonders in der großen Arie sehr störend bemerkbar machten. Es bliebe noch zu erwähnen, daß Najade, Dryade und Echo diesmal wohltuend sauber und exakt sangen (Liselotte Maikl, Hilde Rössel-Majdan und Gerda Scheyrer), was von den Herren Erich Kunz, Murray Dickie und Kurt Equiluz leider nicht behauptet werden kann. Eine gründliche musikalische und regieliche Auffrischung würde diesem Werk nicht schaden.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 3. November

Heinrich Hollreiser war – wie üblich – der Dirigent der Aufführung, die wie üblich mit einem unsauberen Vorspiel und schwimmenden Lehrbuben und Meistern im ersten Akt begann. Dann raffte er sich allerdings zusammen und bekam die Aufführung so weit in den Griff, daß nicht mehr allzu viel passierte und er sogar – allerdings meist auf Kosten des Sängerteams – einige stimmungsvolle Phrasen zu entwickeln im Stande war (Schusterstube). Das machte ihn jedoch übermütig und er begann bei der Schlußapotheose eine derart irrsinnige Geschwindigkeit einzuschlagen, daß man ernstlich darum bangen mußte, ob alle Mitwirkenden gleichzeitig fertig werden würden – es gelang dann auch nicht ganz.

Paradoxerweise waren die beiden Tenöre – was für ein Mirakel in unseren tenorarmen Zeiten – die besten Männer auf dem Felde: Wolfgang Windgassen, der mit dem halblyrischen Ritter schon manchmal seine liebe Mühe hatte, war stimmlich bestens disponiert und befand sich in bester Spiellaune. Und Gerhard Stolze, der David von Format, versuchte mit viel Fleiß, seine scharf konturierte Bayreuther Auffassung der bürgerlichen Wiener Blödelei anzugleichen, was ihm Gott sei Dank nicht ganz gelang.

Jedermann kaufte wahrscheinlich Karten für die Aufführung um Wilma Lipp als Evchen zu hören, die prompt absagte. Es hätte ihr auch früher einfallen können, daß sie in die verschlampte Repertoireaufführung nicht einsteigen will, was ja immerhin einzusehen ist. So wurde dann Traute Richter angesetzt, jedoch dann wieder abgesetzt und durch Dorothea Siebert ersetzt. Ach, wie niedlich, ach wie lieblich! Auch stimmlich! Man glaubte man fast, in „Wo die Lerche singt“ zu sein. Ein negatives Gastspiel. Auch Otto von Rohr als Gastpogner konnte wegen fehlender Höhe trotz Würde und Stimme nicht überzeugen. Karl Schmitt-Walter gestaltete seinen einmaligen Beckmesser – es ist schon merkwürdig, wenn Beckmesser mehr Persönlichkeit hat als Hans Sachs, Schuhmacher und Poet dazu, der von Otto Edelmann stimmlich diesmal einigermaßen gut bewältigt wurde.

DER WILDSCHÜTZ am 4. November

Bereits die erste Wiederholung des Wildschütz brachte gähnende Leere auf dem Stehplatz, und auch die Sitzplätze waren nicht restlos ausverkauft. Das hat sich das Werk aber nicht verdient, denn es ist wirklich eine nette Oper. Auch die Aufführung ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, gut. Ganz reizend wieder Renate Holm als Gretchen. Eine Sängerin mit viel Charme, viel Humor und einer hübschen Stimme. Sie ist fast zu schade für den Baculus Karl Dönchs, wenn man auch zugeben muß, daß er einen sehr profilierten Schullehrer auf die Bühne stellt. Leider bleibt er stimmlich unzureichend (auch wenn man die Schallplattenaufnahmen des unvergeßlichen Georg Hann aus seinem Gedächtnis verbannt). Vor allem die Arie „Fünftausend Taler“ bleibt eine große Enttäuschung. Ganz ausgezeichnet sang und spielte Irmgard Seefried die Baronin, bis auf einige Übertriebenheiten im dritten Akt – aber das muß wohl bei der jetzigen Seefried so sein. Waldemar Kmentt, Hilde Rössel-Majdan und Peter Klein boten ihre schon anläßlich der Premiere gewürdigten Leistungen, während Georg Völker für die Wiener Staatsoper unzureichend ist und bleibt. Eine baldige Übernahme der Partie durch Eberhard Wächter läge sehr im Interesse der Aufführung. Heinz Wallberg war der energische und doch einfühlsame Dirigent dieses netten und erfrischenden Abends. 

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 5. November

In der von Berislav Klobucar geleiteten Aufführung gab es mit James McCracken bereits den vierten Alvaro. Der junge Amerikaner, dessen Debüt in einer italienischen Partie man mit Interesse entgegensah, war sichtlich nervös. Die schwere, auf baritonaler Grundlage ruhende Stimme hat ihre Stärke in der metallischen Höhe. Noch ist der Sänger nicht in der Lage, sie jederzeit voll unter seiner Kontrolle zu haben. Die belacantesken Stellen bereiten ihm hörbare Schwierigkeiten. Außerdem vergaß er in seiner großen Arie den Text, und man befürchtete, daß der Tenor aus lauter Verzweiflung in den Souffleurkasten springen werde. Doch der Kampf des Souffleurs mit dem Tenor endete unentschieden, und es passierte nichts. Bei der Gestaltung des Alvaro schien er ebenfalls unter Lampenfieber zu leiden – der Tenor nämlich. Manch unfreiwillig steife Geste deutete dies an. Seine Partnerin Gerda Scheyrer war ihm in technischer Hinsicht überlegen. Sie sang die Partie sauber, korrekt und mit wundevollen Pianotönen. Trotzdem ist sie nicht mehr als eine zweite gute Besetzung der Rolle. Ihre Stimme ist zu wenig voluminös, um den Anforderungen vollauf gerecht zu werden. Außerdem mangelt es ihr an der nötigen Tiefe. Die großen dramatischen Ausbrüche, die Verdi verlangt, konnten einfach nicht gelingen. Was man nicht hat, das kann man nicht geben. Sie ist eine Leonore à la miniature. Aldo Protti hat das Organ für den Don Carlos und auch er wird zur allgemeinen Überraschung nicht immer fertig mit der Partie. Von Akt zu Akt wirkte er müder und die Rauheit seines Organs stärker. Biserka Cvejic legt nun die Debütantennervosität allmählich ab. Sie wird von Aufführung zu Aufführung sicherer, wobei auch die exponierten Töne inbegriffen sind. Walter Kreppel sang einen würdigen Pater Guardian, nur sollte man ihm endlich einen anderen Melitone zu Seite stellen. Karl Dönch verfällt immer mehr und mehr in ein deklamatorisches Geschrei. Wer sich die Mühe macht mitzulesen, wird uns beipflichten.

DIE ZAUBERFLÖTE am 6. November

Für die Qualität unserer Repertoireerzeuger spricht es, daß der vielbegehrte Wagnertenor Wolfgang Windgassen bei uns Mozart singt. Er überraschte allerdings sehr bei diesem Ausflug ins schon lange verlassene lyrische Fach. Kultiviert und ausdrucksvoll singend, konnte er auch schauspielerisch gefallen. Wüßte man es nicht genau, hätte niemand erraten können, daß hier der Siegfried und Tristan unserer Tage auf der Bühne stand. Übrigens hätte er aber die Partie vorher musikalisch überholen sollen, er war unsicher, und so gab es vor allem im ersten Akt bedrohliche Situationen. Im Mittelpunkt der Aufführung stand Wilma Lipp. Ihre Wirkung in dieser Rolle, wo sich herrlichen Gesang und Stilgefühl aufs Schönste vereinen, ist unglaublich stark. Mimi Coertse hatte einen recht guten Abend und sang eine passable erste und eine gute zweite Arie. Erich Kunz sorgte als humorvoller Papageno für gepflegte Heiterkeit. Ludwig Welter fühlt sich in der nicht hoch liegenden Partie des Sarastro hörbar wohl. Otto Edelmann als völlig ausdrucksloser Sprecher und ein gutes Damentrio (Gundula Janowitz, Margareta Sjöstedt, Ira Malaniuk) vervollständigten das Ensemble. Heinrich Hollreiser leitete die Aufführung schwunglos und undifferenziert.

DER WILDSCHÜTZ am 7. und 13. November

Vor einem unverkauften Haus gingen die Reprisen der Lortzingoper in Szene. Die „Stimme der Natur“ lag den Besuchern des Hauses nicht. In den Pausen konnte man zahlreiche Leute das Haus vorzeitig verlassen sehen. Am 13. November gesellte sich ein neuer Graf in der Figur von Hans Braun zu seinen Kollegen. In einem Punkt war er seinem Vorgänger überlegen: Er besitzt offenbar mehr Bühnenroutine, was sich angenehm bemerkbar machte. In stimmlicher Hinsicht gehörte er einst zu den großen Hoffnungen. Was aus diesen geworden ist, weiß heuzutage ein jeder, und wir finden es gar nicht am Platze, weiter darauf einzugehen. Man hört ja schließlich gut. Das Publikum ist durch Rundfunk und Schallplatte derart verwöhnt, daß es mit Recht verlangt, echte Stimmen und echte Künstler auch in kleinen Opern auf der Bühne zu sehen. Die Zeit der Mittelmäßigkeit auf den Brettern der Wiener Staatsoper sollte eben vorbei sein. Wäre etwa ein Georg Hann als Dorfschullehrer zu hören und zu sehen, dann hätte auch der Wildschütz sein Publikum. 5.000 Taler und mehr für einen Bassisten.

Im Orchester zeigten sich manche Verschleppungstendenzen, die allerdings von Heinz Wallberg energisch unterbunden wurden. Noch immer bieten der Dirigent, Irmgard Seefried und Renate Holm die positiven Aspekte des Abends. Zu den negativen gehört die Stimme von Karl Dönch (nichts gegen sein Spiel!) und – in der Aufführung am 7. November – Georg Völker, der Graf, der kam und ging, ohne gesehen und gesiegt zu haben. Der negativste Eindruck ist allerdings der Jägerchor, der wie eine Parodie des sattsam bekannten Filmgenres „Silberwald“ wirkt.

FIDELIO am 8. November

An diesem Abend gab es eine kleine Sensation. Karl Böhm dirigierte seit dem berühmt gewordenen 1. März 1956, als das Publikum eindeutig den Direktor Böhm ablehnte, zum ersten Mal wieder den Fidelio an der Wiener Oper. Diesmal wurde er vom Publikum freundlichst begrüßt, das in auch damals als Dirigenten nicht abgelehnt hatte.

Nach einem konservativen ersten Akt wuchs er immer mehr und mehr zum überlegenen Leiter des Abends und erreichte in der Dritten Leonoren-Ouvertüre den Höhepunkt der Aufführung. Auch das Finale gelang ihm ganz vorzüglich. Gertrude Grob-Prandl sang die Titelpartie. Leider blieb es auch diesmal nur beim guten Singen. Schade, daß der Sängerin jedes Bühnentemperament versagt bleibt. Von der Leonore verlangt der Zuhörer eine Ausstrahlung, ein Erleben, das im bloßen Herumstehen auf der Bühne keine Erfüllung findet. Anton Dermota sang seinen bewährten Florestan mit ganzer Kraft und unter voller Ausnützung seiner Stimmbänder. Otto Wiener als Pizarro gefiel durch seine überlegte Darstellung und mustergültige Diktion, die die Hintergründigkeit des Charakters deutlich offenbarte. Oskar Czerwenka hatte seine liebe Mühe mit dem Rocco. Seine Mängel kamen vor allem in der Goldarie zum Vorschein, wobei die Töne gar nicht goldartig, eher stumpf und dünn aus seiner Kehle tröpfelten. Einst war Czerwenka ein Versprechen, heute ist er es nicht mehr. Darüber möge er selbst nachdenken, anstatt den Schmeicheleien seiner Kritiker zu vertrauen. Wilma Lipp war, wie schon so oft in letzter Zeit als Marzelline eine Idealbesetzung, wobei ihr Gerhard Stolze gut sekundierte.

ÖDIPUS REX und DER WUNDERBARE MANDARIN am 9. November

Nach längerer Zeit stand wieder Strawinskys oratorische Oper auf dem Spielplan. Zwei Gäste versprachen die Aufführung interessant zu machen, doch nur Franz Crass (Kreon), der Bayreuther Holländer, erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen restlos. Sein fülliger, wohllautender Baß-Bariton strömt warm und in allen Lagen gleich intensiv dahin, seine Gesangslinie verrät kluge Phrasierung und besticht durch deutliche Diktion. Ein hörenswerter Gast! Nicht so überzeugend war Hanna Ludwig (Jokaste), die zwar über einen wohltimbrierten Mezzo verfügt und sehr musikalisch singt, jedoch für diese Partie zu wenig Persönlichkeit und stimmliche Durchschlagskraft mitbringt. Sie blieb ziemlich farblos und ohne Ausstrahlung. Waldemar Kmentt (Oedipus) und Ludwig Welter (Teiresias) boten ihre gewohnten, guten Leistungen, während sich Oskar Czerwenka (Bote) schon beim „d“ hörbar plagte. Andreas Wolf als Cocteau-Ersatz rezitierte sehr verhalten. Überraschen sicher Heinrich Hollreiser und der sehr exakte Herrenchor.

FIDELIO am 10. November

An diesem Abend übernahm Heinrich Hollreiser die Aufführung in fast unveränderter Besetzung wie am 8. November. Er überraschte durch eine differenzierte Orchesterleistung, war mit Eifer bei der Sache und hatte diesmal nur Schwierigkeiten mit „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“. Ansonsten gab es keinen Grund zur Klage. Für die verpatzten Hörnerstellen ist er schließlich nicht zur Verantwortung zu ziehen. Murray Dickie sang statt Gerhard Stolze den Jacquino und Alfred Poell den Minister anstelle Hans Brauns. Ziemlich gleichwertig blieben die Leistungen der Solisten, nur bei Oskar Czerwenka war eine kleine Formverbesserung unverkennbar.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 11. November

Wie wenig eine gute Inszenierung im Repertoirebetrieb verliert, bewies wieder einmal die Aufführung der Verkauften Braut. Das reizende Bühnenbild zusammen mit der überaus lebendigen Regie Günther Rennerts, die bis zum heutigen Tage nichts von ihrer Wirkung eingebüßt hat, boten den Rahmen für eine gute Repertoireaufführung. Berislav Klobucar war der Aufführung ein guter und umsichtiger Leiter, und die Sänger auf der Bühne gaben ihr Bestes. Wenn auch vielleicht die eine oder andere Leistung einer gewissen Abendstimmung unterworfen war, so wurde sie durch die anderen ausgeglichen. Die Elternpaare waren mit Hilde Konetzni, Hans Braun und Rosette Anday (deren Stil- und Spielauffassung dem modernen und lebendigen Regiekonzept nicht gerecht wurde) sowie Ludwig Welter gut besetzt. Murray Dickie als Wenzel zog alle Register seiner Schauspielkunst und sang mit Irmgard Seefried ein wunderschönes Duett im zweiten Akt. Waldemar Kmentt als Hans wußte sowohl stimmlich wie schauspielerisch zu überzeugen. Die Vertreter der Zirkustruppe (Laszlo Szemere, Liselotte Maikl und Hans Schweiger) sowie Schlangentänzerin, Kraftmeier usw. brachten Stimmung ins Haus. Mit Absicht seien zwei gesangliche Leistungen an den Schluß gestellt. Beide sprengten, jede auf ihre Art, die brave Repertoireleistung. Irmgard Seefried als Marie war eine Augen- und Ohrenweide, was ihr mit Recht den Löwenanteil des Beifalls einbrachte. Zu einer hervorragenden gesanglichen Disposition gesellte sich die Innigkeit des Ausdrucks, die echtes Gefühl und Miterleben entstehen ließen. So hervorragend also Frau Seefried zu dominieren wußte, so enttäuschend war die Leistung von Oskar Czerwenka als Kezal. Auch gute schauspielerische Qualitäten können über Stimmängel in den hohen und tiefen Lagen nicht hinwegtäuschen. Zu allem Unglück gesellte sich noch im Duett mit Hans im zweiten Akt ein Schmiß., der dem Sänger in seiner Leistung sehr beeinträchtigte. Die einst volle Stimme klingt hohl und überanstrengt und bedürfte einiger Schonung.

CARMEN am 12. November

Unsere zweisprachige Carmen erlebte in dieser Aufführung zwei Umbesetzungen. Biserka Cvejic war Carmen. Nach anfänglicher Nervosität sicher im Spiel, steigerte sie ihre gesangliche Leistung von Akt zu Akt und konnte letztlich den wohlverdienten Beifall des Hauses für ihre Leistung entgegennehmen. Zu ihrer guten Bühnenerscheinung bringt sie die natürliche Nuancierung der Gefühle mit, sodaß nie der Eindruck des Erlernten entsteht. Ein imponierendes Debüt, das für die Zukunft viel erwarten läßt. Ebenfalls neu in Sevilla war Otto Wiener als Escamillo. Eine helltimbrierte Baritonstimme mit sicherer, wohltönender und dominierender Höhe, gewandt im Spiel; eine ausgezeichnete Leistung, die nur hoffen läßt, daß er diese Partie nicht nur für einmal in Originalsprache studiert hat. Nicola Filacuridi fiel gegen diese beiden Neubesetzungen ab. Er war nur so lange gut, als er sich nicht verleiten ließ, seine Stimme zu forcieren. So schön das Duett mit Micaela gelang, so sehr brachte er sich vor allem bei der Blumenarie um seine Wirkung, da durch ständiges Forte-Singen der Stimmcharakter hart und spröde wird. Ein Durch-die-Partie-Brüllen ist hier nicht am Platz. Gerda Scheyrer als Micaela bot eine gute gesangliche Leistung. Von den übrigen Mitwirkenden konnte Lotte Rysanek am Besten und Ljubomir Pantscheff am wenigsten gefallen. Heinrich Hollreiser als Dirigent brachte lediglich eine lautstarke und damit spannungsarme und außerdem in den ersten beiden Akten nicht ganz unfallfreier Aufführung zustande.

DER WILDSCHÜTZ am 13. November

wurde mit der Aufführung am 7. November besprochen

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 14. und 21. November

Am 14. November erwies sich James McCracken wieder als Stürmer und Draufgänger. Vieles gelang ihm besser, wenn auch nicht verschwiegen werden darf, daß eine deutliche Ermüdung im letzten Akt hörbar wurde. Dagegen zeigte er am 21. November eine sprunghafte Verbesserung. Gerda Scheyrer und Aldo Protti sangen in beiden Aufführungen, wobei Protti wieder bewies, daß er eine große und laute Stimme hat, aber undifferenziert und mit beträchtlicher Rauheit sang. Biserka Cvejic ist eine ausgezeichnete Nachfolgerin der Simionato, daß ist wohl das größte Lob, das man ihr zollen kann. Am 21. November gab es im Orchester noch etliche Sondergags wie distonierende Bläser und einen Einsatz des Mannes an der Orgel um ein volles Bild zu früh! (Oder hatte er sein Übungspensum noch nicht absolviert). Berislav Klobucar leitete wieder die  Aufführungen des Werkes im November und war bemüht, Orchester und Bühne in Einklang zu halten. Doch zu groß ist der Schatten des Dimitri Mitropoulos, der über dieser Macht des Schicksals liegt.

BALLETTABEND am 15. November

BALLETTABEND und DER BAJAZZO am 16. November

Das war eine äußerst ungewohnte Programmzusammenstellung. Der Gesamteindruck war jedoch höchst erfreulich. Statt Cavalleria gab es den Schwanensee-Pas de trois, Medusa und den Pas de deux aus Schwanensee.

Nach der Pause folgte DER BAJAZZO, nach der Papierform in einer Glanzbesetzung, die sich in natura dann als zwar nicht ganz so glänzend, aber doch als sehr gut erwies. Wilma Lipp war die darstellerisch vortrefflich, stimmlich im allgemeinen zwar gute, aber nicht in Bestform befindliche Nedda. Die Höhe wirkte etwas angestrengt. James McCracken sang seinen ersten Canio und erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen. Er ließ nicht nur seine Riesenstimme in Höhe und Tiefe glänzen und strömen. Er zeigte auch einige Male ein recht kultiviertes Mezzavoce und Piano (vor allem im „Vesti la giubba“). Kammerschauspieler ist er zwar keiner, dennoch zeigt er, daß er weiß, worum es geht. Aldo Protti als Tonio hatte ebenfalls nicht seinen allerbesten Tag. Das heißt bei ihm allerdings nur, daß die Stimme in der Höhe nicht so glänzt wie sonst und in der Mittellage hie und da leicht rauh klingt. Kostas Paskalis war recht gut als Silvio. Ermanno Lorenzi, der den Beppo sang ist schon ein rechter Tenorino. Für Buffo-Partien reicht es gerade, zumal das Stimmchen recht gut geführt wird. Berislav Klobucar leitete den Abend zufriedenstellend, im Bajazzo zwischen veristischen Ausbrüchen und Rücksichtnahme auf die Sänger einen durchaus gangbaren Mittelweg suchend.

GASTSPIEL DES BALLETTS DES 20. JAHRHUNDERT vom 17. bis 20. November

des Theatre Royal de la Monnaja, Brüssel

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 21. November

wurde mit der Aufführung am 14. November besprochen

DIE ZAUBERFLÖTE am 22. November

Karl Böhm leitete mit mozartkundiger Hand die Aufführung und führte die Sänger mit dem ambitioniert spielenden Orchester sicher durch die zu bestehenden Prüfungen. Die dem Sarastro auferlegten konnte Kurt Böhme nur zum Teil bestehen, denn in der Tiefe verwies er mit würdevoller Miene auf die Notenköpfe und überließ die Töne der Phantasie der Zuhörer. Gut bestanden hat Eva Maria Rogner (Staatsoper München) als Königin der Nacht. Sie brachte eine technisch sauber geführte, anfangs etwas flackernde Stimme zum Einsatz, die das berüchtigte „f“ der ersten Arie sicher erreichte. In der zweiten Arie bot sie eine ausgezeichnete Leistung. Waldemar Kmentt sang sich erst mit der Bildnisarie ein, wurde dann allerdings immer besser und war ein verläßlicher, sehr exakter Tamino. Unsere zur Zeit beste Pamina ist Wilma Lipp, die in Erscheinung, Anmut, Stimme und Prosa eine vollendete Mozartfigur auf die Bühne stellte. Unverändert bei bestem Humor und noch immer ein Idealbild des Schikaneder’schen Vogelfängers Erich Kunz als Papageno. Otto Wieners Sprecher, eine profiliert und schön gesungene Figur, klingt in der höheren Mittellage allerdings wie Kmentts tiefere Lage. Ausgesprochen belcanto war das Damenterzett (Gerda Scheyrer, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan). Peter Klein als Monostatos und Ruthilde Boesch als Papagena gaben ihr bestes. Unbeabsichtigte Heiterkeit erregte Hugo Meyer-Welfing als sprechender Priester mit seine unglaublichen Prosa.

DON GIOVANNI am 23. November

Nicht nur Don Giovanni mußte diesmal zur Hölle fahren, auch Wiens weltberühmter Mozartstil war beim Teufel. Es schien, als hätte es heuer in Salzburg keinen Don Giovanni gegeben, als wäre hier unbekannt, wer Mozart war. Dabei kämpfte Karl Böhm am Pult – unterstützt von den Philharmonikern, verbissen für Mozart – aber von der Bühne wurde er im Stich gelassen. Es war aber auch eine zu bunt gemischte Versammlung dort zusammen gekommen. Fangen wir mit den Hauseigenen an: Aus dem einst viel gerühmten Krips’schen Mozartensemble waren noch da: Emmy Loose, deren Stimme man die treu gedienten Zerlina-Jahre nun auch schon anhört und die schauspielerisch noch immer so auf herzig macht, wie anno 1946. Dann Erich Kunz, der sich eine neue Maske zurechtgelegt hat – Bauch und rotes Alkoholikergesicht – die es ihm ermöglicht, aus dem Leporello einen derb übertriebenen Blödler zu formen. Zuletzt Ludwig Weber, der sich bemüht, seine ruhebedürftige Stimme in die richtige Tonhöhen zu lenken. Des weiteren war noch hauseigen der Masetto des Kostas Paskalis, dem leider noch niemand gesagt hat, daß man in dieser Partie mehr kann, als nur die Hände in die Hosentasche zu stecken. Der Don Giovanni kam aus Prag – es ist weit weg von Spanien. Auch scheint man dort nicht mehr zu wissen, daß Mozart den Giovanni gerade für Prag schrieb. Rudolf Jedlickas Stimme ist flach und trocken im Klang, es fehlt an Geschmeidigkeit der Linienführung und an Piano-Kultur. Wenn der Sänger ein Piano singt, ist er unhörbar. Auch schauspielerisch ist er eher böhmisch-rustikal. Unverständlich wie er es da zusammenbringt, adelige Damen zu verführen.

Hildegard Hillebrecht aus Deutschland sang die Elvira. Sie mußte ihre riesengroße Stimme unendlich drosseln, um der Partie gerecht zu werden. Es war zu bewundern, wie sie dies zustandebrachte, wie sie die diversen Koloraturen bewältigte – daß die Lebendigkeit der Stimme darunter litt und vieles steif klang, darf nicht verwundern. Ebenfalls aus Deutschland kam der Don Ottavio – Richard Holm, Besitzer einer spröden „Voce bianca“, für italienischen Mozartgesang daher ungeeignet. Als Tamino ist er technisch besser, man kann die unerhörte Schwierigkeit des Ottavio daran wieder einmal erkennen. Kein Wort mehr gegen Alva und Gedda! Seine Donna Anna war die Skandinavierin Ingrid Bjoner. Sie entsprach eigentlich von allen am besten. Sie hat Leichtigkeit der Stimmführung (die 2. Arie war ausgezeichnet gesungen, inklusive der gefürchteten Koloraturen), weiß um den Stil des Mozartsingens und singt die Rezitative wirklich „italienisch“, nicht nur in der Sprache sondern auch im Stil, in ausdrucksvollem Parlando, das aber nie zu gewichtig wird. Eines mußten wir aber feststellen: seit ihrer ersten Wiener Donna Anna hat Frau Bjoner etwas an Stimmschönheit eingebüßt. Entweder von Zuviel-Singen oder bedingt durch Zu-Schweres-Fach-Singen. Etwas gab uns zu denken: Hillebrecht, Bjoner und Holm gehören doch zum Besten was Deutschland zu bieten hat – für ihre Stimmen zahlt der Hörer bei den diversen deutschen Festspielen viele gute D-Mark. Sind wir in Wien durch Künstler wie Schwarzkopf, Jurinac, Sutherland, Price, Lipp, Della Casa, Seefried, Sciutti, Wächter, Berry usw. so verwöhnt und anspruchsvoll geworden oder kümmert man sich nördlich der Donau nicht mehr um den Stil der Komponisten, sondern singt nur mehr um Noten? Wahrscheinlich gab es aber für diese Aufführung kaum Proben.

EIN MASKENBALL am 24. November

Aase Nordmo-Loevberg hatte als Amelia ihr Rollendebüt. Sie gefiel zwar besser als als Sieglinde und Fidelio, was aber immer noch ein bißchen zu wenig für die Wiener Oper ist. Die Mittellage klingt eher lyrisch, in Höhe und Tiefe ergeben sich manchmal Intonationsunsicherheiten. Frau Loevberg weiß dies anscheinend, sie setzt vor allem die Spitzentöne sehr vorsichtig an. Ausdrucksmäßig ist sie durchschnittlich, schauspielerisch wirkt sie manchmal unbeholfen – sie hat einige Standardbewegungen, die sich immer wiederholen. Luigi Ottolini sang einen sehr sauberen Riccardo. Schauspielerisch eher (schon durch seine Figur) statisch, gleicht er diesen Mangel durch intelligentes, intensives Singen aus. Die Stimme ist kräftig, sicher in der Höhe, nicht außergewöhnlich, aber angenehm im Timbre und technisch verläßlich. Einen prächtigen Renato stellte Aldo Protti auf die Bühne. Störend wirkte bloß seine Frisur – Bürstenschnitt à la Kennedy, und das neben den Lockenperücken der anderen Herren, so etwas dürfte der Abendregisseur nicht zulassen. Aber Protti sang ausgezeichnet, mühelos, ausdrucksvoll und intensiv. Auch die übrige Besetzung bot guten Durchschnitt: Hilde Rössel-Majdan, Liselotte Maikl, Ljubomir Pantscheff und Ludwig Welter. Aus dem Rahmen fielen der „primo judice“ von Hans Schweiger und der Dirigent. Nichts gegen zügige Tempi – aber wie Ernst Märzendorfer den Maskenball herunterklopfte, war eine Schande. Stellenweise konnten sich die Sänger nicht anders helfen, als an die Rampe zu treten und nachdrücklichst durch langsames Singen – was natürlich zu Schwimmfesten im Orchester führte – ihr Recht zu fordern. Das Orchester spielte wider besseres Wissen und Gewissen so, wie der Dirigent es anzeigte: laut und grob.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 25. November

Bei dieser Aufführung sorgte Karl Böhm für den richtigen Geist. Die Philharmoniker, am Vortag bloß Musikbeamte, hatten wieder Musizierstimmung, und so konnte der Aufführung eigentlich nichts fehlen, außer ein Regisseur. Mit Abstand die Beste: Wilma Lipp als Konstanze. Früher, als sie nur Koloraturfach sang, war diese Partie bei ihr eine perfekte Gesangsleistung. Heute gibt Wilma Lipp dieser Rolle darüber hinaus auch echtes Leben und Persönlichkeit. Waldemar Kmentt sang vieles sehr schön, kämpfte aber mit so mancher Koloratur heldenhaft. Auch müßte er im Ausdruck (z.B. „Ach wie ängstlich, ach wie feurig“) noch selbstverständlicher werden, man merkt noch zu sehr den Willen zur Intensität. Ein nettes, sehr resolutes Blondchen war Renate Holm. Es war anscheinend Debütnervosität, daß sie die Stimme andauernd forcierte und daher manches steif klang. Wenn sie die Partie öfter singt, wird sich das bestimmt geben – Frau Holm zeigt ja einen bewundernswerten Fleiß. Kurt Equiluz war ein biederer, etwas provinzieller Pedrillo mit kleiner, nicht sehr geschmackvoller Stimme und starkem Dialektanklang in der Prosa. Andreas Wolf als Bassa trug mit Würde und Temperament sein farbenprächtiges Kostüm. Über die tiefen Töne des Osmin schwindelt sich Kurt Böhme großartig hinweg, auch sonst ist ihm der durch Extemporieren und billiges Blödeln errungene Lacherfolg weit wichtiger als Mozart. Nun wären wir also wieder bei der Regie angelangt. Sie ist nicht da, jeder Sänger agiert nach eigenem Gutdünken, woraus man auch erkennt, wie weit ein Sänger schauspielerisch begabt ist, wie er sich mit der Rolle beschäftigt hat, ob er selbstverständlich auch mit Überlegung gestaltet oder sein Heil im Outrieren sucht.

DER ROSENKAVALIER am 26. November

Über diese Aufführung gibt es leider wenig Gutes zu berichten. Es fing damit an, daß anstelle von Karl Böhm Heinrich Hollreiser dirigierte. Daß er kein guter Strauss-Dirigent ist, wissen wir. Daß ihm gerade diese Oper gar nicht liegt, ist auch bekannt. Was er aber an diesem Abend bot, lag sogar unter dem bisherigen Niveau. Von wienerischer Beschwingtheit war nicht das Geringste zu spüren. Die Philharmoniker spielten leider so, wie er dirigierte – zähflüssig und derb. Die dynamischen Schattierungen bewegten sich lediglich zwischen Mezzoforte und Fortissimo. Die vielen herrlichen Pianostellen von Orchestermitgliedern blieben auf der Strecke. Diverse Bläserschmisse und ein Ausrutscher der ersten Violine im Pianoschluß des ersten Aktes sorgten für Abwechslung. Es war eine „Kreuzerkomödi, wahrhaftig!“

Daß noch einiges vom Strauss’schen Geist übrigblieb, war einzig und allein das Verdienst von Hilde Konetzni und Ruth-Margaret Pütz. Frau Konetzni zeigte sich gut disponiert und bewies wieder einmal, welch großartige Marschallin sie ist. Ihr Monolog wurde zum Höhepunkt des ersten Aktes. Ergreifend gestaltete sie die Szene vor dem Terzett im letzten Akt. Das Terzett selbst wurde leider zu einem Schwimmfest (Dirigent!), in dem sich nur sie und Frau Pütz über Wasser halten konnten. Frau Pütz bot als Sophie eine hervorragende Leistung. Die tadellos geführte Stimme bewältigt mühelos die exponierten Stellen der Partie, alles kommt selbstverständlich und sicher, „als müßt’s so sein.“ Leider fehlte ihr ein gleichwertiger Oktavian. Gisela Litz, Gast aus Hamburg, konnte nicht befriedigen. Die Höhe macht ihr sichtlich Schwierigkeiten. Allerdings wurden diese Mängel oft durch die übermäßige Lautstärke des Orchesters zugedeckt. Von den Herren zog sich der für Otto Wiener einspringende Alfred Poell mit Abstand am besten aus der Affäre. Anton Dermota kämpfte mit den Tücken der Sängerarie und bemühte sich, schnell damit fertig zu werden. Kurt Böhme konnte der Partie des Lerchenauers weder stimmlich noch darstellerisch gerecht werden. Er versucht jedoch immer wieder, stimmliche Mängel (fehlende Tiefe) durch übertriebene Komik wettzumachen. Damit hat er wohl die Lacher eines naiven Publikums auf seiner Seite, von einer künstlerischen Leistung kann jedoch keine Rede sein. In den Nebenrollen wurde gut gesungen und agiert wie üblich. Der Beifall war mäßig.

FIDELIO am 27. November

Herbert von Karajan kehrte nach viel zu langer Abwesenheit wieder, und so hörte man eine lebendige, straffe, von Begeisterung und Anteilnahme erfüllte dramatische und poetische Interpretation von Beethovens genialem Singspiel-Drama. Auch der große Karajan hat manchmal schwache Seiten, allerdings weniger beim Dirigieren als bei seiner offenkundigen Vorliebe für steife, instrumentale Sopranstimmen: Aase Nordmo-Loevberg ist weder stimmlich noch darstellerisch als Leonore richtig eingesetzt.

Wilma Lipp, die mit ihrem „b“ im Finale die angeblich jugendlich-dramatische Loevberg von der Bühne wischte, Wolfgang Windgassen, Hans Hotter, Walter Kreppel (besonders gut bei Stimme), Otto Wiener als Minister und Murray Dickie sangen und spielten mit Hingabe. Das Hohelied der Gattenliebe erklang in großer Schönheit im Orchester nur die liebende Gattin fehlte weitgehend.

BALLETTABEND am 28. November

MADAMA BUTTERFLY am 29. November

Ersatzvorstellungen bedeuten immer stark geminderten Kunstgenuß. Auch die statt Don Carlos angesetzte Puccini-Oper erreichte nur sehr bescheidenes Niveau, ja man kann ruhig behaupten, sie wäre überhaupt nicht staatsopernreif gewesen, wenn nicht ein helles Licht das musikalische Dunkel überstrahlt hätte: Die Cho-Cho-San von Sena Jurinac. Sie erfüllt die Titelpartie mit allem Liebreiz, fraulichem Einfühlungsvermögen und aller erschütternden Tragik, deren diese Partie nur fähig ist. Stimmlich blieb, im Verein mit der ausgezeichneten Suzuki Hilde Rössel-Majdans, kein Wunsch offen. Die männlichen Interpreten einschließlich des Dirigenten nur zu erwähnen, ist schon viel des Lobes! Angefangen von Ermanno Lorenzis unpersönlichem, leidenschaftslosen Tenörchen mit stumpfer, geknödelter Höhe über den sehr unauffälligen Sharpless von Kostas Paskalis, der stets die Spitzentöne mit Rauheit produzierte, bis zum absoluten Letzten, was die Wiener Staatsoper im Tenorfach zu oftmaligen Verfügung hat. Der Dirigent was Berislav Klobucar.

DAS RHEINGOLD am 30. November

Wäre der ganze Monat November so gut gewesen, wie das abschließende Rheingold, hätte man sehr zufrieden sein können. Dabei macht man ohnehin schon Konzessionen an das Repertoire, denn Herbert von Karajan mußte kräftig arbeiten, um den typischen Zustand voll Ungeprobtheit zu überwinden. Allerdings befanden sich die Bläser in guter Disposition, was ihm dabei sehr half: die Hörner in der Es-Dur-Überflutung des Anfangs haben wir selten so gut gehört, desgleichen die Kontrabaßtuba  beim heiklen „Lindwurm“. Man registrierte ein golden blitzendes Schwertmotiv und viele anderen Feinheiten. Nur die Tuben in der Schlußsteigerung waren wir üblich ein wenig wackelig.

Auf der Bühne gab es größtenteils die bewährten Leistungen, vor allem von Hans Hotter, der offenbar mit Rücksicht auf die bevorstehende „Winterreise“ (3. Dezember) den Wotan etwas lyrischer anlegte als sonst. Ira Malaniuk und Gerda Scheyrer bevölkerten zusammen mit Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter den Götterhimmel. Peter Klein und Alois Pernerstorfer wohnten in Nibelheim. Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan (sie sang auch die Erda) waren die Rheintöchter. Wolfgang Windgassen wirkte als Loge nicht ganz so mühelos, wie wir es gewohnt sind. Großartig Walter Kreppel als Fasolt. Ferner hörten wir als Gast Peter Roth-Ehrang, einen durchschnittlichen Sänger mit wenig Höhe als Fafner. Es wird der dringende Appell an alle Verantwortlichen gerichtet, den Fall Frick sofort zu bereinigen. Der einzige schwarze Baß, den es gibt, muß dem Haus unbedingt erhalten bleiben.

 

WIENER KRITIKER UND WIENER SCHLAMPEREIEN VON 1926 BIS 1960

Leitartikel, 5. Jahrgang, Heft 12

Wir haben im „Neuen Österreich“ eine Zeitung, die sich sehr kulturell gibt. Das Resultat daraus ist, daß die Mitarbeiter des erst in letzter Zeit gut informierten Blattes prinzipiell dagegen sind, egal ob es sich hierbei um allzu westlich dekadente Schriftsteller oder allzu viel Italianità in der Staatsoper handelt. Besonders  Dr. Hermann Ullrich, der oberste aller Musikrezensenten, kann sich nicht genug ereifern, über die „Verwelschung“ der Wiener Oper.

Wie meint er das nun? Er könnte die italienische Sprache meinen, obwohl sich bis jetzt und nach erst vierjähriger Anwendung, die Verwendung der Originalsprache als durchaus günstig erwiesen hat, nicht zuletzt aus dem Grunde, weil sich das kleine Häuflein von Spitzensängern nicht mehr damit plagen muß, eine Rolle vielleicht in Wien deutsch, in London englisch und in Rom italienisch zu singen. Interessant dabei ist, daß auch etwa in Zürich der Schrei nach original-italienischen Opernaufführungen immer laute wird, daß in München laufend Italiener (Raimondi und Protti z.B.) gastieren und große Erfolge haben. In zehn Jahren wird sicher jede Bühne von Rang ein originalsprachiges Repertoire besitzen, und die Übergangsschwierigkeiten werden sich somit von allein erledigen. Und wir können mit Stolz sagen, daß wir mit dieser segensreichen Internationalisierung angefangen haben. Man braucht nur daran zu denken, wie komisch etwa die LUCIA  oder der TROUBADOUR auf Deutsch klingen. Wir haben im Jahre 1960 nicht nur allgemein eine Renaissance der italienischen Oper, sondern vor allem auch einen Siegeszug italienisch gesungener italienischer Opern zu verzeichnen. Das kann es also nicht sein, was Herr Dr. Ullrich meint. Es muß sich also um eine Verwelschung der Spielpläne oder Besetzungen handeln, und da muß man Dr. Ullrich – wie vielen seiner Kollegen übrigens auch – ein sehr schlechtes Gedächtnis vorwerfen. Der Prozentsatz der deutschen und italienischen Aufführungen in Wien ist nämlich seit 1926 (wo wir anfingen, zu untersuchen) fast unverändert geblieben.

Wir haben deshalb die Spielzeit 1926/27 ausgehoben, um sie näher unter die Lupe zu nehmen. Da ist auch Dr.Ullrich sicher noch gern und nicht nur in der Erfüllung seiner Pflicht in die Oper gegangen. Karajan ging damals noch auf Stehplatz. Er hat sich auch oft tagelang angestellt, wie er einmal sagte.

In dieser Saison standen 65 verschiedene Opern auf dem Spielplan. Puccini war mit 56 Aufführungen seiner Opern Spitzenreiter (!) , Wagner kam auf 44, Verdi auf 43, Strauss auf 36 und Mozart auf 16 (hört, hört!) und Aufführungen. Im Redoutensaal wurde nicht gespielt, Ballettabende gab es 14. Neben dem hauseigenen Ensemble dieser sagenhaften Zeiten gab es 4 Gastdirigenten und 47 Gastsänger. Was sagen die Verfechter der Ensembletheorie dazu? Unter den Gastsängern befand sich Fjodor Schaljapin (Boris Godunow) und Jan Kiepura, der ein Gutteil der 35 (!) „Turandot“-Aufführungen sang. Weiters gab es im Spielplan neben einem kompletten Wagner (ohne Rienzi) von Richard Strauss: Rosenkavalier, Intermezzo, Elektra, Salome, Ariadne und Frau ohne Schatten. An französischen Opern spielte man Manon (Massenet), Samson und Dalila, den Postillon von Lonjumeau, Mignon, Jüdin sowie Margarethe, Carmen und die Afrikaneri. Ein bißchen viel auf einmal! Unter den italienischen Opern findet man das obligate Verdi-Repertoire (incl. Falstaff), Puccini (incl. Mädchen aus dem goldenen Westen), Cavalleria - Bajazzo, Lucia di Lammermoor, Andre Chénier und Der Barbier von Sevilla. Zeitgenossen: Palestrina, Violanta, Höllisch-Gold, Cardillac (Erstaufführung), Die tote Stadt, Peterchens Mondfahrt und Evangelimann. Sonstige Raritäten: Der Corregidor, Gaukler unserer lieben Frau, Barbier von Bagdad,  Königin von Saba, dazu  Hänsel und Gretel, Freischütz, Tiefland, Verkaufte Braut und Fledermaus, wobei da aber niemand darüber gemeckert hat, daß sie der Volksoper weggenommen wurde! Also gar nicht so interessant, die guten alten Zeiten, nicht? Speziell für die Opernbesucher von 1960!

Wir gehen zur Saison 1938/39 über. Von den 308 Vorstellungen dieser Spielzeit waren 8 Ballettabende und 25 0peretten (!). Es führte Wagner mit 53 Abenden vor Verdi mit 46, Puccini mit 33, Mozart mit 24 und Strauss mit 21 Abenden. Nicht eingeschlossen sind hierbei die Gastspiele der Staatsoper München und Hamburg mit Julius Caesar und Friedenstag. Neben den hauseigenen Kräften wirkten 11 Gastdirigenten und 71 Gastsänger in Wien. Unter den auf dem Spielplan stehenden Werken befand sich unter anderem: Das Glöckchen des Eremiten, Königsballade, Iwan Tarassenko, der Zigeunerbaron und Nacht in Venedig. Premieren: Königskinder, Salome, Der Freischütz, Notre Dame, Fidelio, Falstaff.

Und nun zum Vergleich das letzte Jahr im alten Haus vor der Zerstörung, die Spielzeit 1943/44. Mit dem Redoutensaal wurde insgesamt an 332 Abenden gespielt. 49 Opern standen auf dem Spielplan. Im Straussjahr 1944 gab es 46 Strauss-Aufführungen, noch überboten von Wagner (48), Puccini 38 (und wie, das wissen wir noch gut!), Verdi 31 Aufführungen. Mozart (ohne „Don Giovanni“) rangierte mit 25 Abenden – größtenteils im Redoutensaal – unter ferner liefen. Man hörte 5 Gastdirigenten und 37 Gastsänger. 49 Opern standen auf dem Spielplan. Premieren: Notre Dame (um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen!) Così fan tutte (im Redoutensaal, läuft jetzt noch!) und im Zeichen des Straussjahres Frau ohne Schatten, Capriccio, Ariadne und Rosenkavalier, weiters Carmen.

Wir greifen ein beliebiges Jahr aus der Exilzeit im Theater an der Wien heraus, der goldenen Hilbert-Zeit: Die Saison 1952/53: Was sehen wir hier? 43 Werke standen auf dem Spielplan, davon 7 Ballettabende (wie das Ballett jetzt sträflich vernachlässigt wird!). Verdi führt unangefochten mit 70 Abenden vor Mozart (53), wir hatten ja gerade den Mozart-Stil erfunden! Strauss 41, Puccini 37, Wagner 35 und Aufführungen. Gastsänger gab es nur 14, aus Geldgründen. Die Oper zahlte so wenig, daß sie für Spitzensänger uninteressant war. Herr Ullrich soll sich also nächstes Mal vorsehen, ehe er mit der Verwelschung operiert.

Und nun zum Abschluß wieder das Neue Haus am Ring.

Zuerst das erste komplette Jahr. Wir hörten 31 Opern, es fanden 28 Ballettabende statt. 23 Gastsänger und 3 Gastdirigenten traten auf. Mozart lag mit 84 Abenden (davon natürlich ein Teil im Redoutensaal) klar an der Spitze, gefolgt von Puccini (50), Strauss (44), Verdi (42) und Wagner (31).

In der Saison 1959/60 umfaßte das Repertoire 43 Werke. Es fanden 22 Ballettabende statt. Mozart führte mit 96 Aufführungen (incl. Redoutensaal), gefolgt von Verdi (50), Strauss (39), Wagner (34) und Puccini (21).

Was will nun Dr. Ullrich eigentlich? Es ist der Krebsschaden der Wiener Musikkritiker, daß sie prinzipiell das Gegenteil von dem ankreiden, was angekreidet gehört. Da werden ausgesprochen schlechte Sängerleistungen gut kritisiert, weil Kritiker und Sänger vielleicht zufällig im gleichen Haus wohnen oder aus der gleichen Stadt stammen, und echte Skandale schamhaft verschwiegen, von solchen Leuten nämlich, die sich’s „richten“. Weiters werden Gastspiele zu Sensationserfolgen umgelogen und echte, starke Erfolge verschwiegen. Wer hat z.B. von Giuseppe Zampieris ausländischen Superkritiken in Wien gehört, die sein Timbre mit dem Jussi Björlings verglichen? Aber wehe, Karajan wirft ein paar untalentierte Fotografen aus seinem Haus, da ist der Teufel los! Dabei kann nicht jeder hergelaufene Fotoreporter eine gute Bühnenaufnahme machen, was jeder normale Mensch weiß. Und ein guter Schnappschuß des Fußballers di Stefano qualifiziert noch keinen Fotografen dafür, des Tenors di Stefano Leidensmiene gut auf den Film zu bringen.

Doch wir schweifen ab: Angeprangert gehört jetzt die Wiener Schlamperei mehr denn je, denn schließlich haben wir ja auch für die Oper mehr Geld denn je. Das ist gut und richtig, denn ein kleiner Staat wie Österreich, kann nur durch seine Kulturgüter Aufsehen erregen. Und die Wiener Staatsoper ist Gott sei Dank eines der größten darunter. Angeprangert gehört es, wenn unsere Steuergelder durch Unfähigkeit oder Schlamperei verplempert werden. Wenn persönliche oder politische Beziehungen rücksichtslos mit der künstlerischen Arbeit verquickt werden und sie dadurch hemmen und behindern. Verurteilt gehört das Dahindösen einer routinierten Beamtenschar, die dann bei Erscheinen des Chefs im Hause nichts anderes zu tun hat, als ihm zu verheimlichen, was in seiner Abwesenheit vorgegangen ist. Nivellierung nach unten ist abzulehnen, eine Nivellierung nach oben ist anzustreben, durch Heranziehen junger Comprimarii, Entlassung und Pensionierung untragbar gewordener Sänger.

Dann wird folgender bezeichnender Fall nicht eintreten können: Karajan dirigierte Fidelio und genehmigte keinen der vorhandenen Minister. So mußte der für den Pizarro angesetzte Sänger den Minister übernehmen, ein anderer Sänger mußte für den Pizarro herbeigeschafft werden, der am Abend allerdings  anderswo hätte Amonasro singen sollen. Wir schickten, um den Sänger zu bekommen, dafür einen unserer Hausitaliener für den Amonasro als Gast hin (wo er in einer deutschsprachigen  Aida einen Amonasro in italienischer Sprache sang) und das Ringelspiel begann zu funktionieren. Wir stimmen mit dem Chef überein, daß nur zwei Mitglieder unseres Hauses den Minister in Fidelio singen, wie es der Würde der Rolle entspricht. Gut! Wir sehen aber nicht ein, wieso die Wiener Oper überhaupt noch solche „Minister“ hat und auch noch ansetzt, die der Partie nicht gewachsen und somit für Karajan nicht gut genug sind. Das müßte Karajans oberster Grundsatz sein: „An der Wiener Staatsoper darf keiner singen, mit dem ich nicht seiner Klasse wegen gerne zusammenarbeite.“

Wie kommt denn schließlich das Publikum dazu, sich jemand Ungeeigneten anzuhören?

 

ZURÜCK