DER DEZEMBER 1960

6. Jahrgang, Heft 1

 

An der Gestaltung des Spielplanes lag es nicht, wenn der abgelaufene Monat uns gelegentlich Ärger brachte. Wir verdanken ihn vornehmlich dem alten Leiden, daß in Wien Dirigenten den Taktstock in die Hand nehmen dürfen, deren Niveau sie dazu keineswegs qualifiziert und man sich andererseits in den Direktionsräumen noch immer nicht entschließen kann, Sänger endgültig in Pension zu schicken, die den Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das aber wird sich in den kommenden Jahren eher noch verstärken, dann was uns da alles vom scheidenden Generalsekretär Dr. Egon Seefehlner noch schnell zum Andenken beschert wird, spottet jeder Beschreibung. Die Wiener Staatsoper wird kaum verkraften können, was der zukünftige Berliner hier zusammengekauft hat, ohne daß er es wenigstens zur Strafe immer hören müßte. Wir hätten eher gehofft, daß Dr. Seefehlner etliche seiner Schützlinge mitnehme, auf daß wir sie hier los würden. (Aber das traut er sich offenbar nicht – die Berliner entfesseln lieber Opernskandale als die ohnedies geduldigen Wiener, die sich immer denken: „Nächste Woche ist es besser, nächsten Monat ist es besser – nächstes Jahr ist es besser“....usw.)

Eine angenehme Überraschung – wir wollen es nicht versäumen, dies hervorzuheben – bot im Dezember völlig unerwartet Heinrich Hollreiser, der sich  deutlich  verbessert zeigte. Wir würden uns freuen, wenn diese Tendenz bei ihm anhalten würde.

 

DON GIOVANNI am 1. Dezember

Wenn Karl Böhm bei einer Mozartvorstellung am Pult steht, ist eine schöne gepflegte (soweit es Umbesetzungen und Probenmangel erlauben) und schwungvolle Aufführung gewährleistet. Daß man der unrühmlich bekannten Schauerinszenierung wegen nicht auf die Bühne schauen kann, dafür ist er allerdings gleichfalls verantwortlich zu machen, was die positive Einstellung zur musikalischen Leistung leider etwas trübt.

Die drei Damen des Abends hießen Ingrid Bjoner, Hildegard Hillebrecht und Graziella Sciutti und sie fanden sich (z.T. wesentlich besser als im Vormonat) gesanglich und stilistisch zusammen. Ingrid Bjoner, eine hellblonde Donna Anna, hat Haltung, Ausdruck und in Anbetracht der eher dramatischen Stimme sehr flüssige Koloraturen. Hildegard Hillebrecht singt die Donna Elvira mit dunkler Stimme schön und klug, müßte sich aber sicher nicht so zurückhalten. Mozart kann man bei der nötigen Technik auch mit voller Kraft singen. Graziella Sciuttis Silberglöckchenstimme gab der Zerlina Anmut und Liebreiz.

Man scheut sich, im Zusammenhang mit Eberhard Wächter die Floskel „der oftmals bewährte Wiener Standard-Giovanni“ anzuwenden, weil sie seiner Leistung natürlich niemals gerecht wird. Andererseits fällt einem aber auch nicht immer etwas Neues zu seinem Lobe ein. Es wäre für das Stammpublikum nicht schlecht, wenn er wenigstens einen Konkurrenten in Wien in dieser Rolle hätte – man würde ihn dann wahrscheinlich noch mehr schätzen. Die Katastrophe des Abends war Richard Holm, der als Ottavio gastierte und neben bereits erwiesener Unfähigkeit, die schwierigen Arien unfallfrei zu singen, auch noch einen typischen Frosch im Halse hatte. Die flache, weiße Stimme des sonst sehr sympathischen Sängers ist nichts für Wiener Mozart-Freunde. Jetzt rächt es sich bereits, daß man Fritz Wunderlich nicht an Wien gebunden hat! (Manchmal scheint das Publikum doch klüger zu sein als Direktoren und Sekretäre). Der muntere Leporello von Erich Kunz hatte den Hauptteil am Beifall des Abends.

BALLETTABEND am 2. Dezember

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 3. Dezember

In der CAVALLERIA gab es ein Wiedersehen mit Giuseppe Zampieri. Wie im Vorjahr kam der Tenor mit größerer Stimme und geringerem Gewicht zurück. Die größte Überraschung aber bereitete er uns damit, daß er aus der Neuen Welt als glänzender Schauspieler zurückkehrte. Sein Turiddu hat nun emotionellen Ausdruck und er bewegt sich so sicher auf der Bühne, daß der Zuschauer kaum seinen Augen traute. In gesanglicher Hinsicht bot er eine begeisternde Leistung. Herrlich war der Abschied von der Mutter gesungen. Mit der bewußten „Träne“ in der Stimme erinnerte auch der ganze Aufbau an Benjamino Giglis berühmte Platte, ein höheres Lob kann man Zampieri kaum zollen. Christl Goltz sang die Santuzza routiniert, wobei sie auf eingelegte Spitzentöne verzichtete, was ihr zum Vorteil gereichte. Kostas Paskalis war der schwarzhaarige, temperamentvolle Alfio der sich immer mehr die Partie aneignet. Gundula Janowitz fiel als Lola durch Stimmtimbre und Phrasierung angenehm auf.

Im darauffolgenden BAJAZZO sang James McCracken den Canio. Seine schwere Stimme hat hier mancherlei Möglichkeiten zu glänzen. Zweifellos ist der junge Tenor ein Gewinn für das Haus. Er beherrscht die Rolle auch in musikalischer Hinsicht vorzüglich. Jetzt müßte er nur noch lernen, Ausdruck in den Text zu bringen und etwas ökonomischer mit seinen Stimmitteln zu verfahren, denn auch diesmal war eine Ermüdung hörbar. Als Tonio wußte Aldo Protti mit mächtiger Stimme (trotz einer gewissen Rauheit, welche übrigens heuer sehr oft zu Tage tritt), den Zuhörer mitzureißen. Wilma Lipp bleibt die beste Nedda des Hauses, der kleine Schleier in der Höhenlage schien wohl durch die Tagesverfassung verursacht zu sein. Kostas Paskalis Organ ist für den Silvio zu rauh, und dramatisch und die lyrischen Stellen im Duett mit Nedda machten ihm viel zu schaffen. Ermanno Lorenzi vervollständigte das Solistenensemble. Der Chor ist in beiden Opern nicht mehr im Bilde. Eine musikalische Überholung wäre für das Publikum und für den jeweiligen Dirigenten dringend vonnöten. Berislav Klobucar hätte es mit einer solchen leichter gehabt.

PALESTRINA am 4. Dezember

Hans Swarowsky, dessen persönliche Note es ist, sich über seine Dirigentenkollegen abfällig zu äußern, und der uns erst kürzlich im Fernsehen in der dürftigen Sendung „Musiksalon bei Rudolf Hanzl“ verkündete, daß die Gegenwart über keine geniale Dirigenten verfüge, bewies darüberhinaus auch mit der musikalischen Leitung des Palestrina, daß er über einen Mut verfügt, den man hierorts als Chuzbe zu bezeichnen pflegt. Wir hatten nicht vergessen, daß er mit seiner Palestrina-Interpretation am Karsamstag 1960 uns die Osterfreude gründlich verdarb, aber wir waren naiv genug anzunehmen, er könnte in der Zwischenzeit gelernt haben, aus seiner Partiturkenntnis auch Gewinn zu schlagen. Welch ein Irrtum! Zu Gehör kam derselbe Klangbrei in der gleichen zermürbenden Klangstärke, und die musikalischen Sünden des Ensembles waren nach wie vor Trumpf. Seit Rudolf Moralt hörten wir keine Palestrina-Aufführung mehr, die dem Niveau des Hauses entspricht und wir verwahren uns neuerlich energisch dagegen, Pfitzners Werk in einer Schmierenaufführung präsentiert zu bekommen. Die unselige musikalische Leitung wirkte sich natürlich auf der Bühne entsprechend aus. Wilhelm Ernest von der Rheinoper bemühte sich um den Palestrina, er kreierte einen dramatisch angelegten Pierluigi, phrasierte streckenweise gut und bewies bei der Gestaltung Intelligenz. Um nach Julius Patzak und dem völlig auf dessen Palestrina abgestimmten Wiener Geschmack Rechnung zu tragen, fehlte jedoch natürlich manches. Mit großen Erwartungen sah man dem Debüt Otto Wieners als Borromeo entgegen, diesmal allerdings konnten die Erwartungen nicht ganz erfüllt werden, und neben einer gesanglichen Durchschnittsleistung fehlte diesmal die eindrucksvolle Wucht in der Darstellung. Wir sind davon überzeugt, daß Wiener bei öfterem Singen dieser Partie noch einen größeren Eindruck hinterlassen wird. Sena Jurinac setzte für ihren liebenswerten Ighino diesmal ihre Stimmittel nur zur Hälfte ein. Und das übrige Ensemble kämpfte sich durch den Abend und dies mit geteiltem Erfolg, teils aus stimmlichen, teils aus musikalischen Gründen, die eine Nennung der Besetzung im einzelnen unwichtig machen, denn die Namen erwiesen sich an diesem Abend mehr oder weniger tatsächlich als Schall und Rauch. Wo bleibt der Retter des „Retters der Musik“.

DIE WALKÜRE am 5. Dezember

Herbert von Karajan ist bestimmt der vielseitigste Dirigent, den es je gegeben hat. Niemand ist imstande, ein so weit gespanntes Feld von der Matthäuspassion bis zur Fledermaus und von Hänsel und Gretel bis Oedipus Rex so völlig und zwingend zu beherrschen. Umso auffallender sind dann seine Schwächen, von denen eine der interessantesten ist, daß der ersten Akt Walküre bei ihm manchmal nicht  über die Orchesterbarriere geht und den Hörer – jedenfalls bis zum „Siegmund heiß ich und Siegmund bin ich“ ziemlich kalt läßt. Das liegt nicht vielleicht am Fehlen des großen Pathos der alten Schule. Clemens Krauss zum Beispiel dirigierte einen blühenden, stürmischen, sinnlich-romantischen ersten Akt, ganz modern, wenn man so sagen kann, ganz ohne Pathos. Karajan gelingt dies selten, immer nur dann, wenn er offenbar von Stimmen oder Persönlichkeiten auf der Bühne inspiriert wird – wir können uns den Fall des ersten Aktes von Walküre sonst nicht erklären.

Diesmal ging weder von dem sich sehr bemühenden, aber nur in durchschnittlicher Verfassung befindlichen Wolfgang Windgassen, noch von der farblosen Sieglinde von Aase Nordmo-Loevberg die nötige Faszination aus, von dem bärbeißigen Hunding Kurt Böhme auch nicht. Und somit fiel der erste Akt eher schwach aus. Mit dem Auftreten von Hans Hotter und Martha Mödl wendete sich das Blatt. Hier standen die Persönlichkeiten, die der Ring verlangt, auf der Bühne. Sie beherrschten die Rollen, die Bühne und die Phantasie des Hörers und waren noch dazu stimmlich besonders gut disponiert. Voll Freude hörte man von Frau Mödl sichere und ausgezeichnet gesungene Walkürenrufe, und sie vermochte ihre Leistung ebenso wie Hotter so zu steigern, daß der dritte Akt eine beinahe beklemmende Dichte hatte. Ira Malaniuk ist eine hoheitsvolle und königliche Fricka. Ihre Szene hatte Gewicht und dramatische Kraft. Von den Walküren verdient Lotte Rysanek besondere Erwähnung, da sie sich selbst in einem Karajan’schen Fortissimo zu behaupten wußte. So wurde eine Wagner-Aufführung, die eher unbefriedigend begonnen hatte, zu einem Erlebnis. Die Philharmoniker spielten mit Kraft und Glanz und Herbert von Karajan hatte einen Intensitätsgrad erreicht, der auch noch für einen Siegfried gelangt hätte, von der Götterdämmerung ganz zu schweigen.

ELEKTRA am 6. Dezember

Diese Aufführung gab dem Publikum Gelegenheit, Otto Wiener in der Rolle des Orest zu hören. Wieners edles Organ ist für diese Partie geradezu prädestiniert, selbst die Höhen gelingen ausgezeichnet und wirken nicht forciert. Schwächer waren diesmal die Damen. Sowohl Christl Goltz, Elisabeth Höngen als auch Hilde Zadek hatten nicht ihren besten Tag , ohne allerdings wirklich schlecht zu sein. Die Direktion würde Max Lorenz einen Dienst erweisen, wenn sie ihn nicht mehr als Aegisth einsetzen wollte, anstatt ihm stets von neuem Gelegenheit zu geben, seinen einst großen Namen zu diffamieren. Die kleineren Partien bedeuteten wieder einmal Schmach und Schande für das Haus. Heinrich Hollreiser, der diesmal einen recht guten Abend hatte, trug am zwiespältigen Eindruck der Aufführung keine Schuld.

OTHELLO am 7. Dezember

Ein sehr unausgeglichener Abend, man verließ das Haus mit gemischten Gefühlen. Mlada Basic (Landestheater Salzburg) sprang für Heinz Wallberg ein. Er dirigierte einen trockenen, langweiligen Othello und wurde dabei von den Philharmonikern aufs prächtigste unterstützt. Es ist ja immer das alte Lied – fehlt die starke Hand eines erstklassigen Dirigenten, spielen sie ihren Part gleichgültig herunter. Daß dennoch einige Stimmung ins Haus kam, war Dimiter Usunow zu verdanken. Wir haben ihn zwar schon besser gehört, doch fasziniert er immer wieder sein Publikum durch seine knallige, explosive Höhe und den restlosen Einsatz seiner Stimmittel. Ekaterina Georgiewa als Desdemona, die für Sena Jurinac einsprang, wirkte farblos. Ihre Stimme zeichnet sich nicht durch besondere Schönheit aus, im Ausdruck blieb sie der Partie vieles schuldig. Daß der Jago nicht gerade Aldo Prottis stärkste Rolle ist, wissen wir. Wer sollte ihn aber sonst singen? Von den Nebenrollen verdient nur Giuseppe Zampieris gut gesungener Cassio erwähnt zu werden.

LA BOHEME am 8. Dezember

Hilde Güden war nach vielen Wochen zum ersten Mal wieder an der Oper zu hören und sang ihre schlichte, noble, herzliche Mimi mit dem ganzen Glanz der schlanken, schönen Stimme. Wir hoffen, daß sie wieder einmal eine neue Partie studieren wird und könnten uns z.B. die Fiordiligi sehr gut vorstellen, ebenso wie die eine oder andere Strauss-Rolle. Giuseppe di Stefano war der Rodolfo, ein romantischer Poet mit Innigkeit, Herz und Gefühl, aber auch mit Charme und Humor. Sein Gold-Timbre war den schon genannten Vorzügen gleichwertig und so hörte man herrlichen Gesang: in den Duetten mit Frau Güden, in der Arie und besonders im Duett des 3. Aktes mit Eberhard Wächter. Die beiden Künstler hatten da unglaubliche Feinheiten zu bieten – einen Rückzieher vom mf bis ins ppp etwa, aber auch dramatische Aufschwünge, Leckerbissen für den Opernfeinschmecker. Herr Wächter ist als Marcello im Geblödel etwas gemildert, dadurch wirkt er umso stärker. Er wirkt blendend als cholerischer Bohemien mit Herz. Graziella Sciutti ist mit der Musette im 2. Akt etwas überfordert, wird jedoch im 3. und 4. Akt stimmlich sehr gut. Typenmäßig ist sie allerdings zu fein, zu mädchenhaft, ihr Charme ist fast zu groß für eine kleine... na ja.

Ein Gast – Dino Mantovani (der Name klingt nach Unterhaltungsmusik) – sang einen guten Schaunard auch Ludwig Welter hielt sich recht gut als Colline, wenn man von „Vecchio zimarra“ absieht. Berislav Klobucar lag in stetem Kampf mit einem Substituten durchsetzen Orchester. Ein fürchterlicher Schmiß vor der Rodolfo-Arie ließ den Schluß zu, daß sich die ersten Violinisten untereinander nicht einmal gekannt haben. So gingen leider viele Feinheiten der Sänger verloren.

TRISTAN UND ISOLDE am 9. Dezember

Hätte man nicht vorher auf dem Programmzettel den Namen Heinrich Hollreiser gelesen, man hätte es sowohl an der Interpretation von Wagners schwierigsten Werk, als auch an der Einsatzfreudigkeit und Klangnoblesse der Philharmoniker nicht vermutet. Es war vielleicht Hollreisers bester Wiener Opernabend; er hielt ständig Kontakt mit der Bühne und bemühte sich mit Erfolg um Ausdruck und Differenzierung des chromatischen Melos. Sehr wohltuend auch die sich stets in Grenzen haltende Lautstärke.

Auf der Bühne stand ein hervorragendes Wagner-Ensemble: Als Isolde beherrschte Martha Mödl mit ihrer Persönlichkeit besonders im ersten Akt das Geschehen. Sie ist eine der wenigen Künstlerinnen, die die irische Königstochter in jeder Bewegung, in jedem Schritt glaubhaft machen. Was können an dieser mehr als großartigen Leistung einige Typische Mödl-Höhen schmälern? Wolfgang Windgassen konnte diesmal weniger zufriedenstellen, da er auch im dritten Akt in seiner bekannten stimmlichen Reserviertheit verharrte und außerdem öfter distonierte. Otto Wieners Kurwenal ist eine seiner besten Partien, ehrlich und treu gesungen, ganz aus dem Geist dieses ritterlichen Gefolgsmannes. Die erschütternste Figur dieses Abends war der menschlich geadelte König Marke Hans Hotters. Es ist schwer, mit Worten dieser Gestaltung gerecht zu werden; von der ersten schmerzlichen Frage „Tatest du’s wirklich?“ bis zur letzten verzweifelten Erkenntnis „Der Wahn häufte die Not!“ durchlebte dieser Marke alle Stationen menschlichen Leides in unglaublichen Stimmschattierungen und Ausdrucksnuancen. Die Brangäne von Hilde Rössel-Majdan leidet an akutem Persönlichkeitsmangel, war aber gut gesungen. In Nebenpartien waren Hans Braun (Melot) Murray Dickie (Hirt) und wieder einmal Karl Friedrich (Seemann) zu hören, bei dessen Tönen sich die Philharmoniker vielsagende Blicke zuwarfen.

Noch ein Wort zur Regie: Im 1. Akt fiel uns auf, daß Kurwenal nicht mehr aus der Deckluke steigt, sondern schlicht und einfach von der Seite auftritt. Wäre es nicht auch möglich, sein und Brangänes Versinken im Meer am Schluß des 3. Aktes dadurch zu ersetzen, daß man beide mit Hilfe der ausgezeichneten Lichtregie durch Abdunkelung einfach den Blicken der Zuschauer entzieht? Es wäre bestimmt weniger auffallend.

EIN MASKENBALL am 10. Dezember

Armer Pippo! Das war eine grobe Ungehörigkeit, ja etwas weit Schlimmeres. Man findet nur schwer Ausdrücke für den Affront, der einem Künstler vom Format Giuseppe di Stefanos angetan wurde. Wenn er wirklich der arrogante Star wäre, als den ihn unsere italienfeindliche Presse immer hinstellt, hätte er füglich Hut und Stock nehmen und das Haus auf der Stelle und für immer verlassen können. Die löbliche Verwaltung (wer von den Herrschaften im ersten Stock dafür verantwortlich war, weiß ja doch keiner, ist auch nicht viel daran gelegen) setzte jedenfalls einem Künstler von Weltformat eine Frau Carla Martinis als Partnerin an, Frau Martinis, die immer nur ihre Naturstimme auf die Hörer losließ – singen konnte sie ja nie. Das Organ gehorcht nicht einmal mehr annähernd, sie schleudert die Töne aus der Gurgel und muß froh sein, daß sie überhaupt heraus kommen. Art und Tonhöhe bleiben gänzlich unbestimmt, jeder Ton explodiert einzeln, von der Gesangslinie ist keine Spur mehr vorhanden. Der Auftritt in der Ulrica-Szene war einfach schrecklich. Hilde Rössel-Majdan, die doch sonst als Ulrica gut ist, ließ sich aus der Fassung bringen und sang scharf und tremolierend wie noch nie. Das Terzett bestand also aus Giuseppe di Stefano, der grimmen Blicks Ernst Märzendorfer am Pult musterte, der Verdis Partitur mit dem Gefühl und der Musikalität einer Wurlitzerorgel herunterspulte – wenn er auch noch so gut mit der Wiener Presse ist. Und im ganzen Haus war niemand, der auf die Bühne eilte und Frau Martinis strikte verbot, die Arien zu singen und ihr aufgetragen hätte, möglichst leise zu singen, was wohl alle 2000 Zuhörer sofort getan haben würden. Aber wahrscheinlich war wieder einmal kein Verantwortlicher da. So kam man zu einer in solcher Schrecklichkeit noch nie erlebten Galgenarie und einem Liebesduett, bei dem di Stefano, der sich bestens bei Stimme befand, gegen den in verminderten Septimen und kleinen Sekunden arbeitenden Sopran singen mußte. Die zweite Arie der Frau Martinis war wohl etwas besser. Allen Italienfeinden muß leider mitgeteilt werden, daß Aldo Prottis mächtiges Organ und das (manchmal zu wenig tragfähige) Silberstimmchen von Graziella Sciutti (neben di Stefano natürlich) die einzigen Pluspunkte der Aufführung waren.

DON CARLOS am 11. Dezember

Nello Santi überraschte mit einem stimmungsvollen, schön musizierten Verdi-Abend. Nach den letzten Swarowsky-Versuchen in jener Oper hatte der gequälte Zuhörer das überschwengliche Gefühl, Toscanini stehe am Pult. Die verdische Linie nahm – Gott sei Dank – unter Santi wieder Formen an. Auch auf der Bühne gab es manches zu bewundern. Giuseppe Zampieri sang und spielte seinen bisher besten Infanten. Sena Jurinac schenkte ihre bildhafte Erscheinung der Elisabeth, enttäuschte allerdings diesmal in gesanglicher Hinsicht. Die Stimme klang teilweise scharf, kantig und sehr, sehr spröde. Stilistisch blieb die Sängerin die Sena, die wir stets bewundern. Eberhard Wächter sang einen fast schillerschen Posa. Sein heller Bariton wirkte wie ein geschmeidiger Degen und sein Tod war ein Kabinettstück der Darstellung wie des Gesanges, wobei auch eine gewisse wolframsche Schwärmerei mit im Spiel war. Eine ganz hervorragende Leistung des Künstlers, der alle Vorschußlorbeern vergangener Jahre restlos erfüllte. Durch seine große Erscheinung war Walter Kreppel das Idealbild eines Königs. Seine Arie trug er mit viel Gefühl und wunderschönen Piani vor. Als Eboli debütierte Nell Rankin. Ihrem metallischen Mezzo mangelt es an jener Sinnlichkeit des Klanges, die für eine Eboli Voraussetzung ist. Gesangstechnisch bot sie eine bewundernswerte Leistung und war bildhaft schön anzusehen. Wären wir nicht durch Simionatos und Ludwigs Ebolis verwöhnt, hätte Frau Rankin sicher einen größeren Erfolg zu verzeichnen gehabt. Ludwig Welter sang mit polternden Stimmlauten einen persönlichkeitsarmen Großinquisitor. Zweifellos war er der schwächste Punkt der Aufführung.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 12. Dezember

In der zweiten Vorstellung der CAVALLERIA wiederholte Giuseppe Zampieri seinen ausgezeichneten Turiddu. Für eine Überraschung an diesem Abend sorgte Gertrude Grob-Prandl, die mit Temperament und leidenschaftlichem Ausdruck die Santuzza sang. Das war wohl ihre beste Leistung in diesem Haus. Aber auch Kostas Paskalis war mit großem Eifer als Alfio bei der Sache und auch er erreichte seinen Höhepunkt im Duett mit Santuzza. Das Publikum benahm sich fair und vorurteilslos, es spendete herzlichen Beifall für Grob-Prandl, die, ehrlich gesagt, keineswegs als Publikumsliebling bezeichnet werden kann.

Umbesetzungen gab es im BAJAZZO. Dimiter Usunow präsentierte sich wieder als Canio. Der Sänger, dem die Natur eine kraftprotzende Stimme mit einer explosiven Höhe geschenkt hat, legt für unseren Geschmack zu wenig Wert auf eine psychologische Zeichnung der Gestalt. Er spielt in erster Linie nur den kleinen Komödianten, der sein ganzes Leben lang von Dorf zu Dorf zieht. Vielleicht rührt daraus auch sein Hang zum „Schmieren“ bei seiner großen Arie her. Zuviel an Schluchzern und an äußerlichen Tränen nehmen ihm die Glaubwürdigkeit bei „Vesti la giubba“. Dadurch wird die Tragödie des Canio verwässert und im stimmlichen Ausdruck nicht glaubwürdig. Seine Gattin Ekaterina Georgiewa war eine schwermütige Nedda, beim Vogellied viel mit den Händen agierend, in stimmlicher Hinsicht passabel, in den hohen Lagen jedoch etwas flackernd. Aldo Protti wurde diesmal zu Recht nach dem Prolog bejubelt. Berislav Klobucar war der Dirigent des Abends.

SALOME am 13. Dezember

Diese Aufführung brachte uns von der rein orchestralen Wiedergabe her mehr Freude als von der stimmlichen Leistungen des Salome-Ensembles. Heinz Wallberg erwies sich wieder als erstklassiger Strauss-Dirigent, der die Klangwelt des Komponisten dem Hörer erschließen kann. Straff und rhythmisch gegliedert, dirigierte er eine klang- und farbensatte Salome.

Schade, daß die Sänger auf der Bühne nicht ganz mitkamen. Christl Goltz, seit Welitsch’ Abgang als Glanzinterpretin bekannt, sollte langsam, trotz ihrer gestalterischen Intensität und stets vollen Einsatzbereitschaft, sich Gedanken darüber machen, daß man die Salome nicht ungestraft dauernd singen kann. Ihre Stimme hat nicht mehr im vollen Umfang die metallische Leuchtkraft dazu, manch müde klingende und distoniert gesungene Töne bewiesen dies auch. Paul Schöffler kämpfte mit der Vergangenheit. Er ist noch immer der große Künstler, der, sobald er auf der Bühne steht, kraft seiner starken Persönlichkeit vieles auszugleichen weiß. Aber als Jochanaan ist er dem Publikum nicht immer sichtbar, und der Ruf aus der Zisterne demonstriert deutlich, daß die Zeit an Sängern nicht spurlos vorüber geht. Julius Patzak sprang für Max Lorenz ein und bot eine erstklassige schauspielerische Leistung, die er durch Pointierung des Textes zu würzen wußte. Elisabeth Höngen als Herodias war zweifellos die stimmlich beste Erscheinung auf der Bühne. Daß die Höngen eine ganz große Schauspielerin ist, brauchen wir wohl kaum zu betonen. Aber alles in allem genommen, wird es eine Notwendigkeit, daß man das Werk mit jüngeren Kräften besetzt, was aber um Himmels Willen nicht heißen soll, Herr Seefehlner möge uns etwa Karl Weber als Jochanaan präsentieren, denn durch die letzten Erfahrungen mit den Neuengagements und Besetzungen trauen wir ihm dies und noch mehr zu.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 14. Dezember

Heinz Wallberg ist ein außerordentlich guter Musiker. Sein Mozart hat Herz, Schwung und Klarheit; repertoirebedingte Schwankungen wurden elegant korrigiert, und so kam es zu einem Figaro von schönstem Niveau. Sena Jurinac und Eberhard Wächter sangen das gut aufeinander abgestimmte Grafenpaar, Erich Kunz und Graziella Sciutti Figaro und Susanne – das war echtes, rechtes, gutes Ensemble-Spielen und- Singen. Margareta Sjöstedt konnte da nicht mithalten – sie wirkt farblos und gehemmt, und da sie den Cherubino schon oft gesungen hat, wird sich das auch kaum mehr ändern. Sie ist eine gute Comprimaria und tüchtige Einspringerin, aber auf die Dauer nichts fürs erste Fach. Wenn Christa Ludwig nächste Saison weniger in Wien sein wird, muß sich die Direktion zwangsläufig um einen Cherubino umsehen. Da gäbe es immerhin im eigenen Ensemble zwei Möglichkeiten: Anneliese Rothenberger lernt die Partie italienisch, oder man überträgt sie der talentierten Gundula Janowitz, die möglicherweise in das Fach der jungen Jurinac hineinwachsen könnte. Oskar Czerwenka und Hilde Rössel-Majdan spielten zwar ein gutes Intrigantenpaar, waren aber schlecht bei Stimme. Zumal Dr. Bartolo die ohnedies nicht so krassen Höhen und Tiefen der „Vendetta“-Arie wenig elegant noch oben und unten abrundete. Peter Klein gab mit spitzer Intrigantennase wieder eine köstliche Basilio-Studie.

ELEKTRA am 15. Dezember

An diesem Abend hatte Heinz Wallberg, der intensive und temperamentvolle Dirigent, auch mit dieser Strauss-Oper den verdienten Erfolg – die Musik gewinnt unter ihn Farbe und Kraft und hat die große Steigerung bis zum wilden Freudenausbruch und den harten Schlußakkorden. Die Damen Christl Goltz, Hilde Zadek und Elisabeth Höngen stellten wie seit Jahren die bewährte Standardbesetzung und füllten auch diesmal ihre Rollen aus. Zu Otto Wieners bewährten Orest trat endlich ein neuer Aegisth, den Gerhard Stolze mit sicherem Griff als antiken Playboy darstellte und ausgezeichnet sang. Wir freuen uns schon auf seinen Herodes.

OTHELLO am 16. Dezember

Diese Aufführung wurde von Nello Santi geleitet. Nach seinem guten Don Carlos waren wir diesmal enttäuscht. Er dirigierte wieder einmal laut und derb und nahm stellenweise derart rasche Tempi, daß Chor und Solisten kaum mitkamen. Das Orchester spielte unkonzentriert, allen voran die Holzbläser. Neu in der Titelrolle war James McCracken. Er hatte die Partie in Zürich bereits mit großem Erfolg gesungen, und man war daher auf seiner Wiener Debüt sehr gespannt. Nun, Wien ist ein heißer Boden. Ein neuer Tenor hat es bei uns nie leicht, denn wir haben hier schon viele großartige Vertreter dieser Rolle hören können. Der neue Feldherr der venetianischen Flotte schlug sich tapfer und bot eine beachtliche Leistung. Sein heldisch gefärbtes Material kommt besonders in der Mittellage schön zur Geltung. Gewisse gesangstechnische Mängel sind allerdings nicht zu übersehen, sodaß der Sänger manchmal mit allzu viel Kraftaufwand arbeiten muß. Es ist zu befürchten, daß er diese Art zu singen nicht lange durchhalten wird – und das wäre schade. Im Spiel blieb er konventionell. Sena Jurinac, der die Desdemona anvertraut war, zeigte wie man singen muß. Obwohl sie sich zur Zeit nicht in bester stimmlicher Verfassung befindet, konnte sie ihrer Aufgabe gerecht werden. Aldo Protti hatte einen schwachen Abend, die Höhen klangen stumpf und im Piano tut er sich sehr schwer. In den Nebenrollen fiel Dagmar Hermann besonders unangenehm auf.

DIE ZAUBERFLÖTE am 17. Dezember

Einen Tag nach der Volksopernpremiere präsentierte die Staatsoper eine Zauberflöte im Durchschnittsgewande. Die größenwahnsinnige Idee der Herren am Währinger Gürtel, mit dem Haus am Ring in einen Konkurrenzkampf zu treten, erhielt eine vernichtende Abfuhr. Dabei war nicht alles Gold, was glänzte. Anton Dermota zum Beispiel, schon längst dem Tamino entwachsen, demonstrierte, daß seine Stimme viel zu schwer für die Rolle wurde und war doch seinem Volksopernkollegen um ein Vielfaches an Kultur und Mozartstil überlegen. Nur bei den Sängerknaben hatte die Volksoper vielleicht einen kleinen Vorteil zu verzeichnen, denn schon seit längerer Zeit schickt man nicht mehr die erste Garnitur zum Ring. Als Königin der Nacht holte man einen Gast aus Graz (Herr Schneiber blieb fern, warum eigentlich?): Elisabeth Erfurt. Sie hielt sich recht wacker, obwohl ihr die Kehle aus lauter Angst zugeschnürt schien. Mit zittriger Stimme trug sie die erste Arie vor, wobei der Schlußton im Gegensatz zu hauseigenen Vertretern da war. Die zweite Arie gelang ihr weitaus besser. Ein endgültiges Urteil über die Sängerin kann in Anbetracht ihrer Nervosität nicht gefällt werden. Gerda Scheyrer weiß, wie man Mozart singt, und ist als Pamina richtig am Platz.. Erich Kunz sorgte für die notwendige Stimmung und Walter Kreppel zählt heute zu den besten Vertretern des Sarastro. Berislav Klobucar dirigierte mit Routine. Es gab viel Beifall, der spontan von einem animierten Publikum kam.

FÜRST IGOR am 18. Dezember

Es war eine saubere, gediegene Repertoire-Aufführung. Berislav Klobucar sorgte für Sicherheit zwischen Orchester und Bühne und brachte alle Beteiligten unfallfrei über die diversen Gefahrenstellen. Er dirigierte allerdings eine etwas zerfahrene Ouvertüre, dafür gelangen die Polowetzer Tänze ausgezeichnet. Von den Sängern mit Abstand das Beste: Christa Ludwig als Kontschakowna. Walter Berrys Galitzky war stimmlich gut, schauspielerisch etwas zu jovial – zu wenig der brutale Fürst. Der Gast – Norman Mittelmann von der Rheinoper – sang den Igor kultiviert, bemüht um Ausdruck, jedoch mit für unser Haus viel zu kleiner Stimme. Igor con sordino. Schauspielerisch zeigte er provinzielles Pathos, das wir in Mitteleuropa längst tot glaubten und das uns an die schlechtesten russischen Opernfilme erinnerte. Walter Kreppel schonte seine Stimme etwas zu viel – soviel Mezzavoce darf der wilde Kontschak nicht haben. Gerhard Stolze als einer der beiden Gudokspieler bringt eine herbere, härtere Auffassung als wir hier gewohnt sind und setzt damit auch bei seinem Partner der Blödelei enger gesteckte Grenzen. Hilde Zadek und Giuseppe Zampieri hatten gewohntes Format.

OTHELLO am 19. Dezember

Es war eine gute Aufführung, geleitet von Berislav Klobucar. Im ersten Akt gab es verschiedene Differenzen mit dem Chor, aber im zweiten Akt berührte es angenehm, daß der Racheschwur nur normal im Forte gespielt wurde, anstatt im „Fortissississimo“ und die Sänger einmal singen statt brüllen konnten. Besonders der vierte Akt hatte sehr viel Stimmung. Dimiter Usunow spielt einen wirklich glaubhaften, intensiven und ausdrucksvollen Othello, und seine prächtige Heldenstimme ist ebenfalls für die Partie geeignet. Die Mittellage hat sehr gewonnen, bei seinen ersten Auftritten hatte er damit, wie erinnerlich, gewisse Schwierigkeiten. Aldo Protti brachte für den Jago leider nicht viel mehr als die Stimme mit – Profil hat dieser Jago wenig, dafür singt er prächtig (A im Trinklied). Manche Jagos spielen dafür die Partie und haben stimmlich nichts zu bieten. Jeder Opernbesucher kann sich aussuchen, was ihm lieber ist. Sena Jurinac ist derzeit in keiner guten Verfassung, das ist ja schon bekannt. Ihre Desdemona ist gleichwohl immer rührend und gewinnend. Anton Dermota müßte sich, wenn er den Cassio singt, ein anderes Kostüm samt Perücke verpassen und ein etwas freundlicheres Gesicht machen. Stimmlich ist natürlich nichts auszusetzen.

SALOME am 20. Dezember

An diesem Abend übernahm wieder Ernst Märzendorfer die musikalische Leitung und entfaltete eine Lautstärke, die unter anderem den Fluch des Jochanaan einfach wegwischte. Vielleicht war Märzendorfer diesmal um einige Grade besser als im vergangenen Monat, doch dies ist noch lange kein Wertmaßstab, um sich an der Wiener Oper als Gastdirigent zu habilitieren. Herr Märzendorfer ist keineswegs der Mann, das Dirigentenproblem zu lösen, höchstens es zu verschlimmern, wenn auch der junge Dirigent von sich selbst überzeugt ist. Seine Zeichengebung läßt in ihm einen Taktstockvirtuosen vermuten, doch daß die Einsätze des Orchesters dabei einige Sekunden später kommen, tut seiner Überlegenheit keinen Abbruch. Statt Paul Schöffler sang nun Walter Berry den Propheten. Leider will der sympathische Künstler unbedingt ins Heldenfach übersiedeln. Ob er sich damit Gutes tut, bleibe dahingestellt, denn deutlich hörten wir die Grenzen seiner stimmlichen Mittel. Die Höhen entbehren des dramatischen Ausdrucks und gingen teilweise in den Orchesterfluten gänzlich unter. Christl Goltz sang wieder die Titelpartie und Julius Patzak wiederholte die Herod’sche Deklamation. Georgine von Milinkovic machte es riesigen Spaß, die Herodias zu singen, wobei ihr Spiel mit dem Fächer sie mehr amüsierte als die gesangliche Interpretation. Ernst Märzendorfer eilte anscheinend im Laufschritt auf die Bühne, um ja noch vor den Vorhang zu kommen. Er war sichtlich von seiner Leistung beeindruckt, eine Begeisterung, die wir mit ihm absolut nicht teilen konnten.

BALLETTABEND am 21. Dezember

DIE MACHT DES SCHICKSALS am 22. Dezember

Der junge Kostas Paskalis sang zum ersten Mal in Wien den Carlos. Der Bariton, dessen fortschreitende Entwicklung wir mit Interesse verfolgen, stürzte sich mit Feuereifer auf die neue Partie. Man spürte förmlich seine Begeisterung und sein Bemühen. Darstellerisch war er der temperamentvollste von allen bisher gehörten Vertretern im Neuen Haus. Gesanglich natürlich fiel er gegenüber seinen Vorgängern etwas ab. Er geht mit zuviel Schwung an die exponierten Stellen der Rolle heran, sodaß manch zu tief gerutschte Töne (Ballade) den guten Eindruck beeinträchtigten. Der Mut allerdings, mit dem der Sänger zum Beispiel seine Arie „Urna fatale“ mit dem a abschloß, verdient Anerkennung. Neu war Oskar Czerwenka als Pater Guardian. Der Sänger verzichtete in seiner Gestaltung auf komödiantische Sondereinlagen und bot auch in gesanglicher Hinsicht eine korrekte und seriöse Leistung. Eine angenehme Überraschung. Gerda Scheyrer hatten wir schon besser gehört. James McCracken gefiel uns wieder durch den künstlerischen Ernst, mit dem er seine schwere und deutlich ins Heldenfach weisende Stimme Verdi anpassen will. Nur die sich stets einstellende Ermüdung nach seiner Arie verursacht Bedenken, ob es richtig ist, ihn in dieser Partie so oft anzusetzen. Biserka Cvejic war wieder eine recht gute Preziosilla. Die übrigen Rollenträger blieben gleich und Berislav Klobucar sorgte für eine diskrete Begleitung der Sänger.

FIDELIO am 23. Dezember

Wieder einmal wurde Beethovens Oper zum vorfeiertägigen Lückenbüßer. Es sagt genug, wenn festgestellt werden muß, daß die Oper eigentlich erst mit dem Auftritt Pizarros begann. Hans Hotter gab der ganzen Aufführung dank seiner Persönlichkeit und ausgezeichneten stimmlichen Disposition das Gepräge. Hier wurde man gewahr, daß ein großer Künstler wieder einmal einen Abend zu dem seinen machte. Neben Kammersänger Hotter als Gestalter und makelloser Sänger stand der neugebackene Kammersänger Otto Edelmann als Rocco, der weder stimmlich, noch in Deklamation und Darstellung gefallen konnte, seine Goldarie blieb wieder ohne Beifall. Welch ein Unterschied zwischen diesen beiden Kammersängern, da liegt wahrlich eine ganze Welt dazwischen. Otto Wiener bot als Minister neben Hotter die weitaus ansprechendste Leistung des Abends, stimmlich ausgezeichnet, gab er seiner Rolle auch schauspielerisch die nötige Würde. Anton Dermota (Florestan) sang eine gute Kerkerarie, konnte jedoch mit der Zeichnung der Figur nicht ganz überzeugen, die Prosa ist fürchterlich. Christl Goltz schien durch Pizarros Auftritt der Schreck in die Glieder gefahren zu sein, denn ihre Höhen waren diesmal alle zu tief. Irmgard Seefried bot eine ansprechende gesangliche Leistung, doch müßte man auf Grund ihrer Gestaltung einiger Prosastellen Jacquino vor einer Ehe warnen, denn Marzelline schien den häuslichen Pracker schon im voraus zu schwingen. Murray Dickies Stimme ist für den Jacquino etwas zu steif. Die musikalische Leitung des Abends hatte (nachdem zuerst Krips angesetzt war) Wilhelm Loibner inne, der eine unfallfreie, wenn auch nicht überzeugende Interpretation bot. Die Dritte Leonoren-Ouvertüre wurde vorerst verschleppt, die verlorene Zeit jedoch letztlich im Geschwindmarsch wieder eingebracht.

LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 25. Dezember

Es ist schwer zu sagen, was uns an diesem Werk besser gefällt: die bezaubernde Musik Rossinis, die Prachtinszenierung Günter Rennerts oder die schlechthin vollendete Ensembleleistung der Sänger. Auf jeden Fall ergibt alles zusammen die geistvollste, originellste und liebenswerteste Inszenierung der letzten Jahre, die Entstaubung einer Opera buffa, die uns wieder einmal lehrt, daß die Oper noch lange nicht tot ist. Sie hat mit dieser Aufführung neue Bewunderer gefunden. Schon die Ouvertüre, das bekannteste Stück der Oper, führt uns sofort in die Zauberwelt Rossinischer Melodien; man ist gefangen und kommt bis zum Ende der Aufführung nicht mehr los. Peter Ronnefeld entlockte der Partitur Charme, Geist und Witz. Eine vielversprechende Leistung des jüngsten Kapellmeisters.

Unter den Sängern brillierten wieder Christa Ludwig als Angelina und Walter Berry als Dandini. Soll man die perlenden Koloraturen Frau Ludwigs oder das köstliche Spiel Berrys (besonders wenn er beleidigt in seine urspüngliche Dienerrolle zurückkehren soll und nicht mag) mehr bewundern? Es ist schwer zu sagen. Beider Leistung waren die besten des Abends. Waldemar Kmentt, Karl Dönch, Emmy Loose, Dagmar Hermann und Ludwig Welter fielen dagegen ab. Schade, daß die Oper am Christtag so schwach besucht war. Die glänzende Aufführung hätte ein ausverkauftes Haus verdient. Doch diejenigen, die drinnen waren, ließen es sich nicht verdrießen und riefen ungezählte Male, vor allem Ludwig und Berry vor den Vorhang.

DER ROSENKAVALIER am 26. Dezember

Im Mittelpunkt der Aufführung stand neuerlich Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin, deren Gesang und Darstellungskunst einsame Höhe erreicht haben, sodaß Kritik immer wieder verstummt. Von einem zum anderen Mal wird durch neue Nuancen, durch einen veränderten Tonfall, ihre Leistung noch vollkommener und beglückender. Auch Irmgard Seefried ist in die Rolle des Oktavian nun ganz hineingewachsen, stimmlich blieb an diesem Abend bei ihrer Leistung kein Wunsch offen und darstellerisch gelang ihr der zweite Akt nun vortrefflich, während im ersten Akt manches noch überspitzt und unnatürlich wirkt. Otto Edelmann war ein humorvoller Ochs, ohne jegliche Übertreibung, der zweite Akt hätte stimmlich allerdings etwas kraftvoller ausfallen können. Der wunde Punkt des Abends: Teresa Stich-Randall als Sophie, die sowohl durch ihr stereotypes picksüßes Lächeln wie durch ihre Mark und Bein durchdringenden, steifen Fortetöne die Nerven des Publikums belastete. Otto Wiener bot einem in Stimme und Spiel gleich ausgezeichneten Faninal, und Giuseppe Zampieri wartete nach bald überwundener Anfangsnervosität mit einer ausgezeichneten Sängerarie auf. Heinrich Hollreiser am Pult hatte neuerdings einen guten Abend, der erste Akt gelang ihm diesmal recht transparent. Daß die philharmonischen Bläser nicht in Bestform waren, kann nicht dem Dirigenten angelastet werden.

ELEKTRA am 27. Dezember

Daß die Papierform auch in der Oper nicht immer entscheidend ist, bewies an diesem Abend Heinrich Hollreiser, der eine überraschend gute Elektra zusammenbrachte. Dem Dirigenten, dessen Lautstärke und Einheitsbrei wir oft genug bekritteln, gelang es an diesem Abend das Orchesterforte zu dämpfen und zurückzunehmen, wo dies erforderlich ist. Man hörte sogar viele von Hollreiser sonst nie gebrachte Details (Klytämnestra-Szene) und bemerkte deutlich eine Gesamtkonzeption des Werkes. In Christl Goltz stand ihm eine großartige Titelrollenträgerin zur Verfügung. Mit unheimlicher Konzentration sang und spielt sie die Atridentochter, und diesmal erklang auch ihre Stimme in makelloser Reinheit (zum Unterschied von ihrer Salome). Traute Richter als Chrysothemis bot eine akzeptable Leistung, ihr weißer Sopran kam gut über das Orchester hinweg und das Tremolo in ihrer Stimme nicht so deutlich zum Vorschein wie sonst. Elisabeth Höngens perfekte psychologische Studie der Klytämnestra fesselt immer aufs Neue. Otto Wiener sang einen wortdeutlichen und seiner Sendung bewußten Orest. Gerhard Stolzes sichere Stimmführung und große Charakterisierungskunst boten die Gewähr für einen idealen Aegisth. Christl Goltz stand im Mittelpunkt großer Ovationen.

DER WILDSCHÜTZ am 28. Dezember

Die Aufführung hatte ein dankbares Publikum, bei dem alle Witze ankamen, und so herrschte bald vergnügte Stimmung bei den harmlosen Späßen auf der Bühne. Um der Harmlosigkeit ein Ende zu bereiten, müßte man den Wildschütz nur von Bohumil Herlischka inszenieren lassen – da sähe man statt biederer Klischeefiguren bald traumbehaftete Kriegsverbrecher über die Bühne wanken, und das Bühnenbild bestünde aus einem Bett. Was er mit dem Freischütz in Düsseldorf zusammen brachte, wird wohl auch mit dem Wildschütz zu machen sein. Aber da ist uns Adolf Rotts Pappendeckelpferdchen noch lieber – wir können es gar nicht würdigen, was uns in Wien erspart bleibt. Irmgard Seefried hat nicht mehr die Superform der Premierenzeit, ist aber natürlich noch immer sehr gut. Die Blödeltendenzen verstärken sich jedoch. Gleichbleibend gut ist Renate Holm. Hilde Rössel-Majdan persifliert noch immer bestens altes Burgtheaterpathos zwischen Wohlgemuth und Pistorius. Bei Karl Dönch und Waldemar Kmentt hat sich ebenfalls nichts geändert, man sehnt sich danach, den Baculus einmal von Berrys vollsaftiger Stimme zu hören. Hans Braun als Graf spielt weit besser als die Premierenbesetzung, auch seine Mittellage ist angenehmer. Die Höhe punktiert er sich allerdings – trotzdem war die Gesamtleistung sympathisch. Es ist schade, daß der Sänger so steckengeblieben ist  – schließlich war er der Wächter von 1945/46. Unter Heinz Wallbergs animierter Leitung gab es solcherart einen netten Abend.

CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 29. Dezember

In der CAVALLERIA konnte Gertrude Grob-Prandl ihre erwähnte gute Leistung als Santuzza vom 12.12. nicht wiederholen. Zwei deutliche Frösche gab es im Racheduett; und ihr alter Fehler, die Spitzentöne anzupeilen, beeinträchtigte die Leistung. Karl Terkal, der „schneiberische“ Tenorfavorit (auch er war Mitglied der Grazer Opernbühne zu jener Zeit, als der Kritiker die Grazer zur Verzweiflung brachte) wirkte wie ein behäbiger und müder Farmer, aber kaum wie ein Dorfcasanova südlichen Gepräges. Er sang halsig und statuarisch seinen Part herunter. Der Lautstärke nach konnte man ihn diesmal im wahrsten Sinne des Wortes als Tenorino bezeichnen. Beim Duett verschluckte ihn Grob-Prandl. Auch Kostas Paskalis als Alfio kam diesmal nicht so zur Wirkung wie in den vergangenen Aufführungen.

Den BAJAZZO leitete ebenfalls Kostas Paskalis mit einem solid gesungenen Prolog ein. Jedenfalls liegt ihm der Tonio weitaus besser als der Silvio, den Karl Weber, der sich als indisponiert durch den Lautsprecher entschuldigen ließ – was wiederum beim Stammpublikum einen Heiterkeitsausbruch auslöste – übernahm. Dimiter Usunow befand sich prächtig bei Stimme. Seine glanzvollen Höhen ließen das Haus erzittern. In schauspielerischer Hinsicht war leider keine andere Konzeption an ihm zu bemerken. Das nach der Arie vom Strom seiner Tränen durchnäßte Bajazzo-Kostüm bedeutete noch lange nicht den Ausdruck echter Erschütterung. Mimi Coertse darf den Preis der schlechtesten Nedda dieses Monats für sich in Anspruch nehmen. Ihre Stimme klang den ganzen Abend hindurch scharf und heiser. Murray Dickie erreichte Sympathien durch seine drollige Art des Spielens.

Wie schon bei den vorangegangenen Aufführungen hindurch befand sich Berislav Klobucar im Kampf mit dem Chor. Der Bajazzo gelang im jeweils besser als die Cavalleria, wobei wir betonen möchten, daß in orchestraler Hinsicht ihm der letzte Bajazzo am besten gelang.

MADAME BUTTERFLY am 30. Dezember

Mit großen Erwartungen sah man diesem Abend, der zum ersten Mal Sena Jurinac und Giuseppe di Stefano zusammen auf den Brettern der Wiener Oper in diesem Pucciniwerk bringen sollte, entgegen. Leider sagte Frau Jurinac ab (wie schon des öfteren in letzter Zeit) und die Oper mußte wieder einmal sämtliche Butterfly-Sängerinnen Italiens durchgehen, um für diesen Abend eine Ersatzsängerin zu holen. So kam Orietta Moscucci zum zweiten Mal zum Einspringen nach Wien und bot eine durchschnittliche Gesangsleistung. Anfänglich etwas unsicher, wurde sie von Akt zu Akt besser. Erstaunlich ist die gute Technik, ihr Spiel konventionell. Die Künstlerin hatte eigene, zu bunte Kostüme, die sich neben den geschmackvollen Butterfly-Kostümen der übrigen Mitwirkenden häßlich ausnahmen. Ihr Partner Giuseppe di Stefano bot eine gute Leistung, war aber in den beiden Herbstaufführungen stimmlich besser. Der Künstler hatte diesmal gegen zu starke Klangwogen aus dem Orchester zu kämpfen, und so ging leider manch herrliche Phrase unter. Von den übrigen Mitwirkenden ist nicht Neues zu berichten. Verläßlich wie immer Hilde Rössel-Majdan als Suzuki (ihre beste Partie), farblos und rauhstimmig Kostas Paskalis und eine Zumutung abermals Erich Majkut als Goro. Heinz Wallberg bewies erneut, daß er auch im italienischen Fach ein ausgezeichneter Dirigent ist, alle Feinheiten der Partitur brachte er zum Erklingen, und es ist eine Freude zu sehen und hören, wie willig ihm das philharmonische Orchester folgt, das diesmal allerdings entschieden zu laut war.

 

DIE FLEDERMAUS am 31. Dezember

Man bedauert es immer wieder, daß Herbert von Karajan nicht schon anno 1947 Staatsopernchef wurde. In seinem damaligen Tatendrang und seiner (freiwillig nicht sehr lange anhaltenden) Unterbeschäftigung hätte er sich zweifellos sogar um das Aufziehen des Vorhanges und die Besetzung der Billeteurposten gekümmert, während seine jetzige Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, durch seine eigenen immer sehr guten und meist großartigen Aufführungen die Dammbrüche zu schließen, die sein löbliches Verwaltungs-Personal in seiner bornierten und gleichzeitig schlampigen Unwissenheit gerissen hat. Überdies hätte er sich seit 1947 zur Freude der Zuhörer sicherlich bereits durch das gesamte Repertoire hindurchdirigiert - denn es geht einem immer wieder so: Bei jedem Stück, das man von Karajan hört, bedauert man, es nicht schon längst gehört zu haben (mit Ausnahme der Traviata, die er in Grund und Boden dirigierte, was objektiverweise festgestellt werden muß). Und man denkt traurig an die vielen Stücke, die man von ihm noch nicht gehört hat und offenbar nicht so bald hören wird, wie z.B. die Salome.

Mit dieser Fledermaus als Sylvester-Gala-Premiere gelang es Herbert von Karajan, ein Jahr, das am 1. Jänner bekanntlich mit einem herrlichen Rosenkavalier (mit Elisabeth Schwarzkopf unter Heinz Wallberg) begann, ebenso prächtig abzuschließen. Es gab neben den wirklich erstklassigen Festwochen mit dem gesamten Ring des Nibelungen und einem künstlerisch wertvollen Saisonbeginn 1960/61 ebenfalls mit dem „Ring“, Mitropoulos und einem immens eifrigen Giuseppe di Stefano natürlich auch viele Leerläufe (schlechte Dirigenten, ungeeignete Sänger unnötige Gäste). Fest steht jedenfalls, daß man so mancher Aufführung das Niveau dieser Fledermaus gewünscht hätte, speziell im Zusammenwirken von Bühnenbild (Teo Otto), Kostümen (Erni Kniepert), Regie (Leopold Lindtberg) und musikalischer Leitung (Herbert von Karajan). Und den Künstlern auf der Bühne natürlich: Hilde Güden, Eberhard Wächter, Erich Kunz, Walter Berry, Giuseppe Zampieri, Gerhard Stolze, Peter Klein und den Sprechern Josef Meinrad und Elfriede Ott. Halt, da fehlt ja die Adele! Natürlich, denn Rita Streich war keine. (Was vorauszusehen war - immerhin hielt sie sich noch besser, als man à conto ihrer sonstigen Leistungen erhoffen konnte.)

Aber, um endlich in medias res zu gehen: Die Gesamtwirkung dieser Fledermaus war einfach bezaubernd. Hier mischte sich auf das Glücklichste Elegance mit Charme, subtile Operettenhaftigkeit vermengte sich mit dezenter Opernparodie (Terzett im 3. Akt) zu absoluter Opernring-Atmosphäre. Das witzige Geblödel bezog sich in einem solche Maße auf interne Operndinge, daß die wissenden Premierenbesucher dauernd Grund zum Jubeln hatten. Und in der Musik sprühten alle guten Geister des Champagners, des „o gepriesenen. Wer allerdings die Wiener Operette nach dem Schema „Schmiß und Schmalz“, mit „Herz und Gmiat“ und a Packerl Grammeln dazua genießen wollte, kam nicht auf seine Rechnung – aber das wollten offenbar nur jene, die sonst die -273 Grad der modernen Musik gar nicht missen wollen und statt Johann Strauß vermutlich lieber die Lulu gehört hätten. Dem Musikfreund war genug Gefühl in der Musik – man denke an das große Ensemble des zweiten Aktes mit dem geistreichen Text „dui-du-dui-du-tralalalera-ha“. Da floß der aufgeschlossene Hörer im Takte der Musik die Stufen hin ab und so weiter und so weiter.

Unter der Regie von Leopold Lindtberg wurden die Kammersänger zu Kammerschauspielern.

Die Rosalinde von Hilde Güden hat so viel Charme gerade in der Zurückhaltung, soviel Wirkung gerade aus der Dezentheit heraus und war außerdem (man könnte fast sagen selbstverständlich!) so herrlich gesungen, mit blitzenden Koloraturen  im immens schwierigen Uhrenduett, mit einem hingeknallten hohen D im feurigen Csardas, daß man aus dem Staunen nicht herauskam.

Eberhard Wächters Eisenstein ist ein Sonderfall. Wiens Opernfreunde haben staunend die Wandlung erlebt, die dieser Künstler mitmachte, seit er als Statue des Silvio in der Wiener Volksoper zum ersten Mal ins Wiener Opernleben eingriff. Er wurde zum feurigen Spanier, schlägt Wolframs Harfe mit edlem Anstand und ist hinreißend als Schillerscher Heldenjüngling. Der Eisenstein nun ist ein herrlicher Rückfall in eine nicht unbeträchtliche Operettenvergangenheit, gefiltert durch einen großen Regisseur, das Können eines Sängers von Format und die gute Laune eines Herrn von Welt. Er ist ganz Eisenstein vom Monokel bis zu den Lackpumps und vom Zylinder bis zu den Gigerlhosen - er spielt mit virtuoser Körperbeherrschung (mit einem gekonnten Kopfstand im ersten Akt) und hat den Humor nicht nur in der Stimme, sondern auch in den Beinen. Man denke an die fast chaplineske Figur bei „O  jemine, wie rührt mich  dies!“  Daß man zum ersten Mal auch einen mit Edelstimme

brillant gesungene Eingerissen hört,  sei mit Dankbarkeit am Rande vermerkt. Somit ist man abschließend zu der Feststellung gezwungen, Herr Wächter steche sogar die Burgtheater-Charme-Bombe Fred Liewehr in dieser Rolle aus.

Giuseppe Zampieris Los ist es, in der Wiener  Staatsoper chronisch italienische Sänger spielen zu müssen. Er rächt sich dafür, indem er sie herrlich singt und nicht karikiert, im Falle Alfred ganze Kaskaden italienischer Reden auf seine Mitspieler und das Publikum losließ und musikalisch zitierte, was ihm nur einfiel. (Nebenbei sang er in diesem Rahmen ein prächtiges Tosca-Vittoria.),

Walter Berry machte mit viel Geschick aus der eher undankbaren Rolle der rächenden Fledermaus Dr. Falke eine lebendige Bühnenfigur, sang eine prächtige Verbrüderungsszene und bewährte sich in einer Soloconference à la Merz oder Farkas bestens.

Josef Meinrads Frosch rief wahre Lachsalven hervor. Ganz so stellt man sich den Aufseher eines fidelen Gefängnisses vor. Erich Kunz war sein Vorstand Frank, der bei allem Geblödel nie vergaß, daß er eine Amtsperson ist. Peter Klein vermehrte seine skurrilen Figuren um einen stotternden Anwalt. Elfriede Ott spielte eine vorstädtisch-freche Ida.

Neben ihr verschwand die Adele Rita Streichs völlig. Wir halten ihr nicht den gequälten Wiener Dialekt im ersten Akt vor. Diesen richtig treffen, wäre Anneliese Rothenberger oder Renate Holm vielleicht auch schwer gefallen, obwohl Erstere sich mehr Charme und Letztere zweifellos einen rescheren Humor gehabt hätte. Rita Streich hatte von beiden Notwenigkeiten einer Adele nicht übermäßig viel und außerdem sang sie etwas kurzatmig. Ihr Engagement für diese Rolle war also etwas kurzsichtig. Immerhin hielt sie ein gewisses Niveau und tat damit der hinreißenden Aufführung keinen Abbruch.

Gerhard Stolze spielte als Orlofsky einen blassen, hypereleganten Lebejüngling mit etwas langer Leitung, die Figur an sich paßte mehr in „Dolce vita“ als in die Fledermaus. Allein die ungewohnte Auffassung war konsequent durchgehalten und nötigte Respekt ab. Man könnte auch sagen, daß dieser Orlofsky nicht aus Rußlands Weiten sondern aus Nibelheims Klüften kam und somit in einer „Fledermaus“ am Opernring auch am Platz war.

Das Spiel der Wiener Philharmoniker wirkte brillant, sie freuten sich offenbar über den vielen Strauß am Ende des alten und Beginn des neuen Jahres, der Staatsopernchor hielt sich ebenfalls ausgezeichnet, die Damen waren in hautenge Kostüme gewickelt, und sahen sehr gut aus. Das Staatsopernballett tanzte in stilisierten Volkstrachten ebenso stilisierte Volkstänze nach der Originalballettmusik und krönte sein Auftreten beim Fest des Prinzen Orlofsky mit einem rasanten Can-Can (nach dem ‘Vergnügungszug’), mit dem die Gastchoreographin Janine Charrat besonders viel Witz und Einfallsreichtum verriet.

So hielt die gute Stimmung die ganze Aufführung hindurch an, schon beginnend beim Aufgehen des Vorhanges, als man auf dem Zwischenvorhang einen Johann Strauß erblickte, der aussah wie Karajan mit Schnurrbart. Das steigerte sich beim Fest des Prinzen Orlofsky, wo nicht nur Erich Kunz ein prächtiges Fiakerlied sang, sondern auch Giuseppe di Stefano die Bühne betrat und, von frenetischem Jubel umrauscht, mit dem schmerzvollen Gesicht des sich von seinem Blütenreich verabschiedenden Pinkerton und goldenem Schmelz in der Stimme „O sole mio“ und auf Deutsch Dein ist mein ganzes Herz in den Zuschauerraum strömen ließ, dessen Besucher prompt dahinschmolzen. Es ist schon etwas Schönes um einen Tenor, der eine Prachtstimme hat und noch dazu so intelligent und sensibel ist, um einen Künstler, der aussieht wie ein Filmstar und spielt wie ein Kammerschauspieler!

Obwohl die Aufführung von 19.00 bis fast 23.20 Uhr dauerte und wohl alle Premierenbesucher es eilig hatten, zum Anstoßen nach Hause zu kommen, gab es frenetischen Jubel, der seinen Höhepunkt erreichte, als der „Schließer eines Gefängnisses“, Frosch, den Hausherren Herbert von Karajan in Handschellen vor den Vorhang schleppte. Man könnte daran lange Gedankengänge knüpfen, ungefähr des Inhalts: „Möge Karajan wie weiland Prometheus an den Felsen, an die Wiener Staatsoper geschmiedet bleiben etc. Aber wir brauchen diesem allgemeinen Wunsch sicher nicht auf so tierisch ernste Weise Ausdruck zu verleihen. Wir hätten aber auch gerne gesehen, wenn es Herrn Meinrad gelungen wäre, einen Verwatungsdirektor  von Format zu arretieren. Mit diesem Wunsch schließen wir das Jahr 1960 und erwidern somit die guten Wünsche der Staatsopern das Publikum, das das Team dieser Prachtaufführung schriftlich vor dem Vorhang vorwies.

 

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