DER JÄNNER 1961
6. Jahrgang, Heft 2
Das Jahr begann mit einer prachtvollen Fledermaus, die füglich als ein guter Auftakt hätte gelten können. Im Laufe des ersten Monats gab es aber wieder das leidige Repertoiregetriebe und die obligaten Grippeerkrankungen. Wir dürfen uns aber nicht darauf berufen, daß es anderswo noch schlechter ist (in der Scala singen z.B. statt Stella und di Stefan Frau Leyla Gencer und der hier unrühmlich bekannte Herr Annaloro), denn wir haben ja auch so ziemlich den größte und teuerste Apparat aller Opernhäuser. Die Glanzpunkte des Monats waren also wieder einmal die Abende des Chefs, dann die Abende der Rysanek. Persönlichkeit und Leistung ziehen eben auch im etwas theaterfeindlichen Monat Jänner! Erfreulich war der einsatzfreudige Dimiter Usunow, der rasch zu einem Publikumsliebling geworden ist, und Gudula Janowitz als erfreulicher Beweis vorhandenen Nachwuchses für Pamina. Dietrich Fischer-Dieskau erging es diesmal als Onegin ganz anders, als er es gewohnt ist. Er wurde nicht von Begeisterung umbrandet, sondern von den Wogen einer heftigen Diskussion. Das machten den Eugen Onegin, die Premiere des Monats, interessanter, als das Stück eigentlich von Haus aus ist.
DIE FLEDERMAUS am 1. Jänner
Das neue Jahr begann mit einem fröhlichen Auftakt: Die erste Wiederholung der Fledermaus – in der Premierenbesetzung mit den Damen Hilde Güden, Rita Streich und Elfriede Ott und den Herren Eberhard Wächter, Walter Berry, Giuseppe Zampieri, Erich Kunz, Gerhard Stolze, Peter Klein und Josef Meinrad – war von der Premierennervosität der Mitwirkenden befreit. Es schien den Künstlern den größten Spaß zu machen, das lustige Spiel des Vorabends zu wiederholen. Die Krone der Aufführung verdiente sich Hilde Güden als Rosalinde, die den Csardas mit echtem Puszta Blut sang. Aus der Miene des dirigierenden Hausherren Herbert von Karajan konnte man seine Zufriedenheit über den Abend ablesen. Das Publikum bejubelte ihn in der Schar aller Mitwirkenden. Sie alle machten – so wie wir – wahrscheinlich am nächsten Tag allesamt erstaunte Augen über die sich langweilenden Kritiker! Letzten Endes aber ist das Institut für das Publikum da und nicht für jene Herren, deren Vorgänger in den diversen Redaktionen die Tätigkeit Gustav Mahlers ebenso bekämpften, wie heute die Karajans. „Das ist bei uns so Sitte ...“
CARMEN am 2. Jänner
Endlich wieder Paul Schöffler als Jago.... schrieb ein Boulevardkritiker, der damit seine Meinung und Tendenz den Lesern unbedingt aufdrängen will. Herr Schöffler sagte dann ab und brachte damit den Spielplan der Staatsoper in Unordnung, wovon allerdings die betreffende Zeitung am nächsten Tag keine Silbe verlauten ließ. Man mißt dort mit zweierlei Maß. In der eilig improvisierten Ersatzvorstellung verwandelte sich der Mohr von Venedig in den Don José, die Desdemona wurde in das Kostüm der Micaela gesteckt und den Hans Sachs der Münchner Neujahrsvorstellung adjustierte man schnell als Torero.
Biserka Cvejic sang dazu die Carmen. In gesanglicher Hinsicht vollbrachte sie eine vielversprechende Leistung. Die schöne Stimme wird sicher, wenn auch manchmal sehr vorsichtig geführt. Ihr Spiel wirkte an diesem Abend etwas gehemmt, doch alles was sie tat, geschah mit Geschmack und ohne Übertreibung. Dimiter Usunow sieht im Don José einen Naturburschen, der plötzlich in das Netz der Carmen gerät. Er singt ebenso unkompliziert darauf los. Die Blumenarie legte er ohne jeden Pianoton hin. Sie ist bei ihm mehr das Bekenntnis eines Kraftmenschen, der nach der Haft endlich seine Liebe wiedersieht. Im dritten und vierten Akt setzte er mit seiner Heldenstimme die richtigen dramatischen Akzente, die seine Eifersucht und seine Enttäuschung richtig widerspiegelten. Otto Wiener als Escamillo war deutlich übermüdet. Er verlor zu Beginn des Toreroliedes durch schwach klingende Höhen das Selbstvertrauen. Darstellerisch wäre die Partie noch auszufeilen. Sena Jurinacs Stärke als Micaela lag diesmal im Spiel und im Aussehen. Stimmlich befindet sie sich weiter in einer Krise, was der deutlich zu Tage tretende Registerwechsel zeigte. Berislav Klobucar begann sehr temperamentvoll, doch das Temperament allein genügte nicht, um Bühne und Orchester stets in Einklang zu halten.
DER ROSENKAVALIER am 3. Jänner
In der Aufführung des Rosenkavalier hatte Elisabeth Schwarzkopf zum ersten Mal Christa Ludwig zur Partnerin. Es war ein Erlebnis, zu hören und zu sehen, wie sich Frau Schwarzkopf in ihrer Gestaltung auf ihren neuen Oktavian einstellte und diesmal wieder ganz anders – jedoch nicht minder großartig – war als mit Sena Jurinac und Irmgard Seefried. Aber auch Frau Ludwig profitierte von dieser Partnerschaft und spielte ihren Quinquin gelöster und vornehmer denn je – stimmlich stand ihre Leistung diesmal jedoch nicht ganz auf demselben Niveau. Otto Edelmann war wieder ein sehr guter Ochs und Erich Kunz der vergnügliche Faninal. Doch seine Tochter Sophie in der Gestalt von Teresa Stich-Randall wies wieder die schon so oft gerügten Mängel in Stimme und Spiel auf und störte diesmal vor allem das Terzett mit ihren Sirenentönen empfindlich. Besonders gut sang Giuseppe Zampieri die Arie des Sängers. Auch Heinrich Hollreiser hatte wieder einen guten Abend und hielt erfreulicherweise Kontakt mit dem Orchester und der Bühne.
DER WILDSCHÜTZ am 4. Jänner
Diese Aufführung brachte Umbesetzungen mit sich. Wilhelm Loibner dirigierte. Sein Hauptaugenmerk galt wie immer den Sängern. Die Orchesterstimmen interessierten ihn weniger. Dadurch ging der Vorstellung viel an Durchsichtigkeit und Präzision verloren. Infolge eines Nervenzusammenbruches von Hilde Rössel-Majdan, wobei wir nicht umhin können, dem geschätzten Ensemblemitglied ins Gedächtnis zu rufen, daß sie wie keine andere Dame des Hauses Chancen bekommen hatte, in die erste Garnitur des Institutes vorzustoßen (Brangäne in Mailand und Wien) übernahm Annemarie Ludwig die Baronin. Sie löste ihre Aufgabe zufriedenstellend, zwar mit viel Pathos und ohne jegliche Persiflage, die ihrer Vorgängerin so köstlich gelang. Nach Irmgard Seefried rangierten die übrigen Darsteller Waldemar Kmentt, Renate Holm, Karl Dönch, Peter Klein und Georg Völker. Das vorwiegend jugendliche Publikum (das ist die Oper um Neulinge anzuwerben) fand an der Harmlosigkeit des Spiels viel Freude und spendete freigiebig Applaus.
CAPRICCIO am 5. und 12. Jänner
Beide Aufführungen konnten sich leider nicht über das Repertoireniveau heben, da die aus Mangel an hauseigenen Kräften herbeigeholten deutschen Gäste den in Wien nun schon einmal gewohnten Standard nicht erreichten. Dies betrifft weniger Hans Günther Nöcker, der seinen Grafen (am 12. Jänner) immerhin mit kräftiger Stimme und Musikalität sang und nur als Persönlichkeit einiges schuldig blieb, sondern in verstärktem Maße Karl Schmitt-Walter (am 5. Jänner), der nur bei einzelnen Tönen seine einstige Klasse erkennen ließ und hier auch als Rollengestalter sehr enttäuschte. Was ist eigentlich mit Eberhard Wächter? Er wäre der einzige, der unsere Grafenmisere beenden könnte. Während aber Schmitt-Walter am Ende einer großen Sängerlaufbahn steht, müßte Heinz Imdahl (Olivier am 12. Jänner) erst beweisen, daß er diese Laufbahn eingeschlagen hat. Man hörte ein rauhe, timbrelose Stimme ohne jeden Glanz, deren grobe Lautstärke in einem Konversationsstück für Musik ebenso fehl am Platz war, wie ihre ganze Struktur dem Wesen des schwärmerisch, stürmischen Dichters entgegenstand. Durch zweimaliges Aussteigen und unbeteiligtes Spiel schmälerte er seine Leistung noch so weit, daß die Gräfin Madeleine von Elisabeth Schwarzkopf – sie sang beide Male in hervorragender Verfassung – sich verständlicherweise noch mehr zu dem nicht eben glattgesichtigen und schlankgestaltigen Flamand Anton Dermotas hingezogen fühlte. Beide hatten am zweiten Abend die bessere stimmliche Verfassung und boten mit Otto Wieners gradlinigem und unkomplizierten La Roche und Walter Berrys prächtigen Olivier (am 5. Jänner) ihre bereits oft gewürdigten gediegenen Straussinterpretationen. Christl Goltz sang beide Male die Clairon und hatte am 12. Jänner einen erwähnenswert guten Abend. An beiden Abenden glänzte Giuseppe Zampieri in seinem ureigensten Fach als italienischer Sänger. Peter Klein charakterisierte wieder ausgezeichnet Monsieur Taupe. Bliebe noch zu erwähnen, daß nach Karl Böhm nunmehr Hans Swarowsky die musikalische Betreuung des Werkes übernommen hatte. Er machte seine Sache besonders am zweiten Abend recht gut, begleitete dezent und musizierte locker und gelöst; nur im Zwischenspiel wurde es wieder einmal breiig im Orchester. Ausgesprochen skandalös war das Spiel des Konzertmeisters Fritz Sedlak am 12. Jänner im Einleitungssextett. So unrein und winselnd darf ein Konzertmeister der Wiener Philharmoniker nicht spielen, und falsche Noten möchten wir in Zukunft von einem Primgeiger in der Wiener Staatsoper nicht hören.
TOSCA am 6. Jänner
Diese Aufführung stand im Zeichen von Francesco Molinari-Pradelli. Der Italiener weiß um die Effekte der Partitur genau Bescheid. Er kann das Orchester zu brutalen Ausbrüchen zwingen und weiß im nächsten Moment in Lyrismen zu schwelgen. In orchestraler Hinsicht ist er jedenfalls erstklassig, was man von seinem Kontakt zur Bühne nicht behaupten kann. Steigen die Sänger aus, dann bemüht sich Herr Pradelli keineswegs, wieder mit ihnen ins Reine zu kommen. Diese Rücksichtslosigkeit den Sängern gegenüber schmälert den Gesamteindruck des Operndirigenten Molinari-Pradelli. Welches Opernhaus kann in unserem hektischen Kulturbetrieb schon dem Dirigenten Orchesterproben gewähren? Unter der Kunst des Improvisierens versteht man im Opernhaus auch ein Eingehen auf die Sänger, die ebenso ihr bestes geben wollen, wie der Dirigent selbst. Die Titelpartie sang Carla Martinis mit etwas mehr Erfolg als zuletzt im Maskenball. Dimiter Usunow sang sich im ersten Akt ein, hatte dann ein bombensicheres „Vittoria“ zu bieten und war im dritten Akt ein Cavaradossi, der mit Enthusiasmus und Sangesfreude Abschied vom Leben nahm. Sein „E lucevan le stelle“ brachte er nicht raffiniert zu Gehör, dafür aber vernahm man darin die innere Beteiligung des impulsiven Künstlers. Paul Schöfflers Scarpia war ein Kabinettstück der Darstellungskunst. Umso mehr war man von seiner gesanglich sehr guten Leistung im ersten Akt beeindruckt. Im zweiten Akt vergaß man aus lauter Faszination über das zynisch elegante Spiel des Künstlers, daß einige exponierte Stellen klug markiert waren. Ein Abend, der mehr bot, als er versprochen hatte.
DIE FLEDERMAUS am 7. Jänner
Es ging die Neuinszenierung zum dritten Mal über die Bretter der Staatsoper, wo sie ja laut Ansicht sattsam bekannter Kritiker nicht hingehört. Doch der stürmische Jubel des ausverkauften Hauses für die Premierenbesetzung mit den Damen Hilde Güden, Rita Streich und Elfriede Ott und den Herren Eberhard Wächter, Walter Berry, Giuseppe Zampieri, Erich Kunz, Gerhard Stolze, Peter Klein und Josef Meinrad unter Herbert von Karajans beschwingter Leitung bewies, daß die „löblichen Schneiberlinge“ mit ihren Hanslickweisheiten allein auf weiter Flur stehen. Johann Strauß und die Königin der Operette sind halt den Wienern ans Herz gewachsen und daran werden auch noch so abfällige und gehässige Kommentare einiger nicht ernst zu nehmender Zeitungsschmierer nichts ändern Vox populi – Vox Dei!
DIE WALKÜRE am 8. Jänner
Im Monat Jänner erlebte auch Herbert von Karajan einmal Dinge, die sich sonst meist nur ereignen, wenn er nicht da ist: Erkrankungen und Absagen, vor allem aber die Phantasiebesetzungen unserer Meister der Administration, die einfach irgendeinen Namen auf das Plakat schreiben lassen, wenn der Träger desselben zu diesem Zeitpunkt auch weiß Gott wo vertraglich verpflichtet ist. Recht geschieht ihm und grün und blau soll sich der Chef darüber ärgern (Er tut es, wie man hört!), daß er auch einmal verspürt, was sonst nur das Publikum zu tragen hat. Dann wird er doch einmal etwas schärfer zugreifen.
Der erste Akt Walküre hatte somit durch Hilde Zadek als Sieglinde ein gewisses Handicap: Sie ist nun einmal keine, obwohl sie sauber sang, um Ausdruck bemüht war und auch sichtlich mitdachte und mitspielte. Aber die Stimme ist zu dünn und wird besonders mit dem dritten Akt stark überfordert. Und sie ist natürlich auch selbst zu passiv, zu bewußt lieblich. Wagners dramatisch liebende Heldenweiber haben ihre eigenen Gesetze – da kommt nur eine ganz große Persönlichkeit und eine ganz große Stimme mit. (Die Tannhäuser-Elisabeth-Schablone ist hier nicht anwendbar.) Persönlichkeit mit Stimme hatte indes Siegmund in Gestalt von Jon Vickers, der den Wälsungensproß schauspielerisch und gesanglich geradezu überwältigend zu gestalten und aufzubauen imstande ist. Bei einem so intelligenten Sänger nimmt es weit mehr als etwa bei einer ungepflegten Naturstimme Wunder, daß er das deutlich hörbare Loch in der oberen Mittellage (etwa um e, f herum) nicht ausgleichen kann. Es könnte das auf mangelnde Schulung zurückzuführen sein (seine Möglichkeiten, die ihm in seiner kanadischen Jugend zur Verfügung standen, sind wohl nicht allzu reich gewesen), und jetzt ist es eben schon zu spät. Es dürfte wohl Partner und Dirigenten etwas nervös machen, wenn sie ein Forte erwarten und dann die Phrase im gehauchten Piano kommt. Aber wenn er Forte singt, dann knallt es. Wir haben noch selten solch baritonale Heldentöne gehört, wie etwa sein „So blühe denn Wälsungenblut!“ Walter Kreppel hatte leider einen Zutiefsingetag. Sonst ist sein Hunding aber ausgezeichnet, ruhig, statuarisch fast, und doch sehr wirksam. (Er ist so ziemlich der erste und einzige Hunding, der es fertigbringt, mit ruhigen, ganz normalen Schritten von der Bühne abzugehen und nicht breitspurig einherzustampfen wie im Stil von 1900.)
Der erster Akt war – wie gehabt – nicht gerade der spannungsreichste. Dann steigerte sich auch Karajan an Birgit Nilsson und ihrer Stahlstimme, die doch immer mehr und mehr an Ausdruck gewinnt, auch im Szenischen; an dem in jeder Beziehung überragend gestalteten Wotan Hans Hotters, der wie eh und je faszinierte. So gab es einen prachtvollen zweiten (in dem auch Ira Malaniuks stolze Fricka zur Spannung beitrug) und dritten Akt. Besonders erwähnt muß diesmal die herrliche Todesverkündigung werden, die im Zusammenwirken der Superstimmen von Birgit Nilsson und Jon Vickers mit der gestaltenden Kraft Karajans an Pult geradezu atemberaubend wurde.
DON GIOVANNI am 9. Jänner
Mit dieser Aufführung wurde ein absoluter Tiefstand erreicht. Dabei war bis auf eine Ausnahme ein Sängerensemble am Werk, um das uns jedes andere Opernhaus der Welt beneiden würde und das sich an diesem Abend mit unendlichem Bemühen einsetzte und sein Bestes gab. Aber es war sonderbar – kein Kontakt mit dem Publikum kam zustande. Bei wem lag die Schuld? Bei den Sängern nicht! Wahrscheinlich ist sie zu gleichen Teilen dem Dirigenten und dem Publikum anzulasten. Heinrich Hollreiser erzeugte einen einförmigen, klebrig sich dahinziehenden Mezzoforte-Klangmorast, in dem alle Versuche der Sänger, Mozart zu seinem Recht zu verhelfen, steckenblieben. Und das Publikum? Der Wochentag, der ein solches Publikum verdient, muß erst geschaffen werden. Selbst für einen Montag war es zu schlecht. Der Stimmung im Haus nach zu schließen, waren hier Organisationen am Werk, die mit dem sattsam bekannten Slogans „auch der kleine Steuerzahler aus den Bundesländern.... hat das Recht...“ das Haus füllten, die mit Begriffen: Oper, Musik, Sänger und Mozart fast nichts anzufangen wußten. Was nützte es da, daß Sena Jurinac trotz einer Indisposition sang, sich nicht schonte und eine stimmlich und darstellerisch bewunderswerte Donna Anna gestaltete, daß Wilma Lipp und Irmgard Seefried ihr Bestes gaben, Eberhard Wächter seinen wie immer prächtigen Don Giovanni sang und die Schlußszene noch mit einem strahlenden a krönte, Waldemar Kmentt einen guten Ottavio (wie schon lange nicht) und auch Frederick Guthrie und Kostas Paskalis sich sehr bemühten. Otto Edelmann sang wieder den Leporello und war genau so wie immer in dieser Partie. .
GÖTTERDÄMMERUNG am 10. Jänner
Der monumentale Schlußstein das Ringes erklang als Einzelaufführung unter Herbert von Karajan in seiner ganzen tragischen Wucht und apokalyptischen Größe. Und wieder konnte man bewundern, wie transparent die Zusammenballung aller Ringmotive in diesem letzten musikalischen Kulminationspunkt der Tetralogie unser Ohr traf. Man hörte Motive und Motivteile, die wir trotz komplizierterer Harmonik und reicher verästelter Polyphonie zum ersten mal zu hören glaubten. Man war verwundert, welcher geballten Kraftentladungen das Nibelungenorchester fähig ist (Trauermusik), wobei bei Karajan Kraft nicht mit Pathos zu verwechseln ist. Einer Kette von orchestralen Höhepunkten stehen zarteste Klaggewebe und Naturpoesie gegenüber (Hörnerkanon 2. Akt). Bliebe nur noch zu bewundern, mit welcher Selbstverständlichkeit Karajan dieses Riesenwerk dirigiert:
kein Nachlassen der seelischen Anspannung und Konzentration, im Gegenteil, einer Steigerung bis zum letzten Des-Dur-Akkord fähig. Unsere Philharmoniker, vom Pult her stets zur klanglichen Höchstleistung angehalten, realisierten die Partitur in wohl einzig dastehender Klangschönheit.
Im Mittelpunkt der Aufführung stand wieder Birgit Nilssons Brünnhilde, die sich in geradezu unwahrscheinlich blendender stimmlicher Verfassung befand und die Riesenpartie mühelos bewältigte: eines der großen Stimmphänomene unserer Zeit. Wolfgang Windgassen überzeugte als Siegfried in jeder Beziehung und hatte besonders im dritten Akt (Tod) große Momente.
Hans Hotters Gunther-Gestaltung zwingt zum Nachdenken. Die stimmlich sehr männlich und wuchtig gesungene Partie („Auf eine setz’ ich den Sinn!“) stand einigermaßen in Widerspruch zu der mehr passiven Persönlichkeit des Burgunderkönigs. Und hier scheint der Grund zu liegen: Hotter ist eben eine zu starke aktive Persönlichkeit und sprengt dadurch den Rahmen der Figur. Oder hat Hotter die Zentralfigur des Ringes, Wotan – seinen Wotan – so idealisiert, daß wir ihn uns in keiner anderen Rolle der Tetralogie mehr vorstellen können? Die schwächste Besetzung des Abends war Peter Roth-Ehrang als Hagen, der als die Fäden ziehender dunkler Mittelpunkt der Partie nur zum geringen Teil gerecht wurde. Da man stimmlich sowohl Höhe als auch Tiefe vermißte, blieb als relativ Bestes das „Hoiho“ im zweiten Akt. Gerda Scheyrer war in keiner guten Verfassung und sang sehr unkonzentriert, während Christa Ludwig durch eine prachtvoll gesungene Waltraute aufhorchen ließ. Fehlte ihr auch die dramatische Wucht von Rita Gorr, überzeugte sie umso mehr in den lyrischen Stellen durch starken Ausdruck.
Alois Pernestorfers schwarze Stimme fügte sich gut in das düstre Nachtgemälde des Beginns des zweiten Aktes. Die drei Nornen wurden von Ursula Boese, Christa Ludwig und der gut disponierten Hilde Konetzni, die Rheintöchter von Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt und Dagmar Hermann gesungen und ließen keinen Wünsch offen. Frenetischer Jubel, besonders für Birgit Nilsson und den Chef im Kreise eines Ensembles!
CARMEN am 11. Jänner
Das war eine Aufführung, die sich durch Langeweile auszeichnete. Dabei schien, allgemein gesehen, die Besetzung durchaus nicht schlecht, aber überall fehlte es ein wenig. Biserka Cvejic war zwar stimmlich eine gute Carmen, dem Schauspiel blieb sie noch einiges schuldig. Bei Dimiter Usunow kam man erst im dritten und vierten Akt auf seine Rechnung, wo die Dramatik der Musik der Stimme freie Bahn läßt. Das soll nicht heißen, daß er in den beiden ersten Akten nicht gut gesungen hätte, aber die schwere, starke Stimme will absolut nicht recht zu Bizets sinnlicher, eleganter Musik passen. Die ausgeglichenste Leistung bot Sena Jurinac: sie spielte und sang eine rührende, innige Micaela. Als Escamillo hörten wir einen gewissen Mario Sereni, Bariton für das erste Fach an der Met! Wer weiß wie Sereni das im goldenen Hufeisen macht. Was er in Wien an Lauten produzierte, drang jedenfalls kaum hinauf bis auf die vierte Galerie (Gott sei Dank!). Das Publikum war, für gewöhnlich hört es Berry, Bastianini, London, Protti u.a. in dieser Rolle, so schockiert und fassungslos, daß es selbst auf die hier am Platz gewesenen Pfiffe verzichtete. Wir sind die letzten, die sich gegen Gastspiele sträuben, denn auf diese Art können Künstler erprobt und für unser Haus gewonnen werden. Eines möchten wir die verehrten Mitglieder der Direktion aber bitten: singen muß der Gast schon können. Das Wiener Institut ist schließlich ein Opernhaus und keine Singschule. In den Nebenrollen recht gut Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt, Murray Dickie, Harald Pröglhöf und Frederick Guthrie. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte die schön spielenden Philharmoniker konzentriert und versiert, konnte aber dennoch keine Stimmung ins Haus bringen. Der erste Chor der Zigarettenmädchen ging wieder, wie so oft, daneben. Anscheinend ist doch Bizet daran schuld, der ihn eben unbedingt im Takt haben wollte.
CAPRICCIO am 12. Jänner
wurde mit der Aufführung am 5. Jänner besprochen.
ANDREA CHÉNIER am 13. und 17. Jänner
Nach längerer Zeit wurde Giordanos Werk wieder ins Repertoire genommen. Man sah dem Tag mit einiger Spannung entgegen, da die Hauptrollen völlig neu besetzt wurden. Obwohl man sich auf Grund der Besetzung viel erhoffte, konnte der Erfolg der Premiere nicht wiederholt werden. Das liegt wohl in erster Linie am Stück selbst. Außer einigen zugkräftigen Nummern bietet diese Oper dem anspruchsvolleren Musikfreund wenig, und nur ganz erstklassigen Spitzenkräften gelingt es, keine Langweile aufkommen zu lassen.
Francesco Molinari-Pradelli, der Dirigent des Abends, tat sein Möglichstes, dieser Gefahr aus dem Wege zu gehen. Mit südländischem Temperament leitete er straff das Orchester, nahm zügige Tempi und geizte nicht mit virtuosen Effekten. Allerdings nahm er auf die Sänger wenig Rücksicht, setzte rücksichtslos sein Konzept durch und war um keinen Preis bereit, den Sängern Konzessionen zu machen. Deshalb gab es vor allem am ersten Abend gelegentlich Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchester, besonders kraß im Schlußduett. In diesen beiden Aufführungen sang Eberhard Wächter den Gerard. Er verdient an erster Stelle genannt zu werden. Er sang die Partie so prachtvoll und war auch darstellerisch ausgezeichnet. Seine große Szene bildete den Höhepunkt beider Aufführungen. Gerda Scheyrer gab eine anmutige Madeleine, sah bildhübsch aus und sang kultiviert und geschmackvoll. Ihre größte Stärke liegt im Piano, in den dramatischen Stellen verlor sie oft den Zweikampf gegen das lautstarke Orchester. Jon Vickers konnte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Sollten ihm nicht doch Wagner-Rollen besser liegen? Dazu kam, daß er am ersten Abend in schwacher stimmlicher Verfassung war. Er gab sich redlich Mühe, manches gelang ihm auch recht gut (Tribunalszene) – konnte aber doch nur einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Es hilft nichts: Bei diesem Stück kann man mit Intelligenz, mit Stilgefühl mit feingesponnen Phrasen, mit überlegen gebauten Nummern sehr wenig ausrichten. Hier herrscht die Höhe, hier herrscht das Timbre. Mit einem Wort: es muß knallen. Und es wurde nur gepflegt gesungen.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 14. Jänner
An diesem Abend dirigierte Francesco Molinari-Pradelli eine vom grellen Sonnenlicht des Südens überflutete Bauernehre. Er dirigierte schwung- und temperamentvoll. Den Chor zu richtigen Einsätzen zu bewegen, war auch bei ihm verlorene Liebesmüh.
Die Hauptrollen in der CAVALLERIA lagen in den bewährten Händen von Christl Goltz als Santuzza, die gut begann, aber dann stimmlich nachließ; Giuseppe Zampieri als Turiddu, der kultiviert seine Prachtstimme zeigte, wobei ihm diesmal das Trinklied besser als der Abschied gelang; und Kostas Paskalis als peitschenknallendem Alfio.
Im darauffolgenden BAJAZZO gastierte John Shaw als Tonio. Man hatte ihn per Flugzeug für den in Wien gänzlich versagenden „Metstar“ Mario Sereni geholt. Der groß gewachsene Sänger besitzt eine ebenso große Stimme, was nicht bei allen der Fall ist, die er wuchtig, fast heldenbaritonal einsetzt. Als Schauspieler outrierte er. Die Idealbesetzung in Spiel und Gesang ist Wilma Lipp als Nedda. Man konnte diesmal Dimiter Usunow verstehen, dessen Schmerz über den Verlust seiner Nedda ihn zu überlauten Schluchzen, welches auch nach dem Fallen des Vorhanges andauerte, verleitete. Weniger Verständnis hatte man für Nedda, daß sie wegen des Silvio in Gestalt von Kostas Paskalis Canio verlassen wollte, denn stimmlich hatte der Bariton ihr nichts gleichwertiges entgegenzustellen.
ARIADNE AUF NAXOS am 15. Jänner
In diese Aufführung gingen wir in der Hoffnung auf eine gute Repertoireaufführung, doch wurden unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Im Gesanglichen gesehen, war dies die beste Ariadne seit geraumer Zeit. Unter der soliden Leistung von Wilhelm Loibner erreichten einige Sänger persönliche Bestleistungen in ihren Rollen. Das will bei Sena Jurinac als Komponist und James McCracken als Bacchus schon etwas heißen. Hilde Zadek war eine gute Ariadne (die Primadonna im Vorspiel ist ausgezeichnet karikiert), nur im Schlußduett ließ sie sich durch die große Form ihres Partners zu einigen schrillen Hochtönen verleiten. Eva Maria Rogner konnte als Zerbinetta gut gefallen. Sie sang alles, was in der Partitur steht, zum Unterschied von ihren Vorgängerinnen. Alfred Poell war ein profilierter und auch stimmlich guter Musiklehrer. Das Damenterzett befand sich in guter Verfassung. Von den traditionsgemäß durcheinandersingenden Komödianten fiel Karl Weber durch seine „Leistung“ besonders unangenehm auf.
TOSCA am 16. Jänner
Diese Aufführung des Werkes war für Wien zweifellos die interessanteste seit langer Zeit, konnte man doch Leonie Rysanek in der Titelrolle und Hans Hotter als Scarpia hören. Bei der Rysanek kann man wieder einmal sehen und hören, wie ein intelligenter Künstler internationale Erfahrungen, die doch oft von sogenannten Fachleuten so verlästert werden, sammeln und verwerten kann. Wir erinnern uns noch gut ihrer nervösen, überzüchtet Piano flüsternden letzten Wiener Tosca und freuen uns sehr, die Rysanek von ganz früher jetzt wiederzufinden, die Rysanek, die mit Feuer und Hingabe singt und sich sozusagen in die Partie hineinkniet. Das Timbre wird freilich immer dunkler, doch ist die Stimme dafür - besonders im Mezzavoce und in der oberen Mittellage – viel ausgeglichener geworden, timbremäßig nämlich. Die Töne haben jetzt stets die gleiche Färbung, was ja früher nicht der Fall war, als die strahlende Sopranhöhe etwas unorganisch auf der dunklen Mittellage eines Mezzos saß. Sie arbeitet stimmlich offenbar mehr denn je, was sehr erfreulich ist, da die meisten Künstler leider damit aufhören, wenn sie „oben“ sind. Das Gebet war vielleicht nicht ganz so, wie wir es uns vorgestellt hatten, es hatte fast ein Zuviel an Ausdruck. Diese Arie wirkt am besten als überlegen gekonnte Gesangsnummer a la Tebaldi. Hans Hotter ist der Bühne und Rom gleicherweise beherrschende Scarpia, ein raffinierter, intellektueller, auf persönliche Weise brutaler, verspäteter Renaissancemensch, voll Sinnlichkeit einerseits, von grausamer Kälte andererseits. Wie er singt und – italienisch(!) – pharsiert, ist gleicherweise ein Schulbeispiel von Intelligenz und Stilsicherheit. Neben ihm dürfte es jeder Cavaradossi schwer haben, doch Dimiter Usunow gefiel auch diesmal sehr, mit seiner gesunden, kraftstrotzenden, in der Höhe direkt knalligen Stimme und seinem impulsiven, wirksamen Spiel. Die Comprimarii trübten den Eindruck des Abends, dafür sang der Sängerknabe hinter der Szene mit italienischem Feuer. Maestro Francesco Molinari-Pradelli war der energische, etwas tyrannische Mann am Pult. Der Hörer hört in gern, aber wir können uns allgemach vorstellen, warum ihn die italienischen Spitzensänger nicht alle mögen.
ANDREA CHÉNIER am 17. Jänner
wurde mit der Aufführung am 13. Jänner besprochen.
DER WILDSCHÜTZ am 18. Jänner
Diese Aufführung litt unter dem Mangel an jugendlichen Erstbesuchern. Diesmal kam keine Stimmung auf, obwohl wir fanden, daß mit der Besetzung des Baculus durch Ludwig Welter ein frischer, neuer Zug hinzukam. Welter singt nämlich die Partie und verstand es, der Figur menschlich ergreifende Züge zu verleihen, ohne in die Dönch’sche Skurrilität zu verfallen. Zwar wurde er durch den Vortrag der Arie von den 5000 Talern auch kein hochberühmter Mann, dazu rollt die Stimme zu wenig, aber immerhin bot er eine saubere, auf Gesang basierende Leistung. Murray Dickie übertraf seinen Vorgänger Waldemar Kmentt als Baron Kronthal bei weitem. Er sang mühe- und makellos die Partie. Als Darsteller wirkte er sehr sympathisch. Alfred Poell sang nun endlich den Grafen. Bis zum letzten Akt war er tatsächlich der am meisten imponierende Graf. Aber dann – närrisch!!! – ließ er die große Arie aus und „Heiterkeit und Fröhlichkeit“ war beim Teufel. Dazu kam noch, daß die Sängerknaben eine schwache Garnitur schickten, die dieser Institution wenig Ehre machte. Irmgard Seefried, diesmal nicht gut bei Stimme, Renate Holm, Peter Klein und Annemarie Ludwig vervollständigten das Ensemble. Wilhelm Loibner als Dirigent gefiel besser als bei der Erstübernahme.
SALOME am 19. Jänner
Diese Aufführung hatte ziemlich betrübliches Repertoireniveau. Christl Goltz hat es mit der hochliegenden Partie immer schwerer – in der Schlußszene verbraucht sie so deutlich hörbar ihre letzten Reserven an Kraft und Luft, daß man froh ist, daß die Oper nicht länger dauert. Elisabeth Höngen ist eine überlegene, ironisch, auch stimmlich hervorragend gestaltete Herodias, von der man mit bestem Gewissen sagen kann, sie sei noch immer große Klasse. Der Page Margareta Sjöstedts gefiel durch frischen Stimmklang – eine Wohltat bei Comprimarias. Bei den Herren sah es finster aus. Julius Patzak, zu dessen besten Partien der Herodes nie gehörte, deklamierte und spielte ihn sehr klug. Aber einen Dienst erweist man den beiden alten Sängern – Max Lorenz und Julius Patzak – nicht, wenn man den Einen immer ansetzt und dann der Andere einspringen muß. Vielleicht könnte es doch einmal zu einem Debüt von Gerhard Stolze in dieser Partie kommen. Walter Berry, der angeblich so viel Wert darauf legt, im großen Heldenfach eingesetzt zu werden, sagt dann gern ab, wenn es soweit ist – wenn er das in Berlin auch tut, werden die kämpferischen Berliner keine große Freude mit ihm haben. Hier verschweigt solches sogar schamhaft die Presse – darum steht es auch im Merker. So sprang also Hans Günther Nöcker als Jochanaan ein, der einmal schon einen passablen Propheten gesungen hat. Diesmal klang seine an sich nicht sehr modulationsfähige Stimme steif, rauh und unschön. Gut sang diesmal Anton Dermota, beachtlich hielt sich das Judenquinett (Murray Dickie, Fritz Sperlbauer, Kurt Equiluz, Erich Majkut, Ludwig Welter) – soweit man es hörte, natürlich. Viel zuviel hörte man von den Nazarenern (Oskar Czerwenka und Karl Weber), von denen Ersterer in einer vollsaftigen Stimmkrise steckt – er täte besser daran, stimmlich zu arbeiten, statt im Radio als Komiker zu wirken, sofern er auf seriöse Beschäftigung an der Wiener Oper wert legt – bei Letzterem kann man nicht von Stimme, ja nicht einmal von Material sprechen. Berislav Klobucar geriet manches zu dick und zu laute, er zeigte aber immerhin Schwung und Musikalität. An seinen Leistungen ist wohl verschiedenes auszusetzen, aber niemals verstößt er gegen den Geist der Musik, gegen die Phrase oder Gesangslinie, wie manche seiner von der Presse lautstark geförderten Kollegen.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 20. Jänner
Mit Recht könnte man über diesen Abend Leonie Rysanek schreiben. Es war die beste Senta, die wir im Haus am Ring hörten, sicher eine der besten der Künstlerin selbst und zugleich die Leistung, die als nahezu vollkommen angesprochen werden kann. Wie die Rysanek die Partie jetzt aufbaut, gesanglich und darstellerisch bis ins Letzte ausgefeilt gestaltet, trug ihr einen Publikumswiderhall ein, der einem Triumph glich. Die Künstlerin eroberte sich sozusagen damit von Neuem Wien und Wien gewann Leonie Rysanek wieder – ein großer und für beide Teile sehr erfreulicher Erfolg. Otto Wiener als Holländer war dieser Senta ein guter Partner, sein kluger Aufbau der Partie, seine ehrliche gesangliche Leistung garantierten das einheitliche Niveau des Abends. Auch Wilhelm Ernest als Erik bewies, daß ihm diese Wagnerpartie wesentlich besser als der Tannhäuser liegt, mit dem er uns seinerzeit enttäuschte. Intelligent phrasiert, ohne sich stimmlich etwas zu schenken, fügte er sich gut ein. Auch Walter Kreppel tat sein Bestes. Wenn auch vom Timbre kein Ideal-Daland, so bleibt er doch immerhin ein vortrefflicher Interpret dieser Rolle. Murray Dickie als Steuermann entgleiste allerdings leider mit einem durchdringenden Schmiß im ersten Akt, aber kein Sänger ist wohl so gefeit, daß ihm nicht einmal ein Malheur passieren könnte. Lovro von Matacic am Pult sah sich einem von Müdigkeit und Katerstimmung geplagten Orchester gegenüber (Philharmonikerball am Vorabend!), holte jedoch ein von Orchester und Bühne her wunderbar aufgebautes Duett Holländer-Senta heraus, das den Höhepunkt des Abends darstellte.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 21. Jänner
In der Macht des Schicksals übernahm nun Gertrude Grob-Prandl die Leonore. Sie bringt für diese Rolle das richtige Stimmvolumen mit, leider nicht das nötige Stilgefühl und schon gar nicht die innere Intensität, die Rolle einfach verlangt. Ihre Leonore ließ den Zuhörer kalt. Die Notenwerte werden gesungen, aber die Partie nicht erlebt. Verdi verlangt von seinen Interpreten Stimme, Technik und vor allem eine reiche Ausdrucksskala. Von letzterer war, wie gesagt, nichts zu verspüren. Ihr zur Seite: James McCracken als heldentenoraler Alvaro, Kostas Paskalis als sich in schlechter Form befindlicher Carlos. Walter Kreppel und Biserka Cvejic sangen ihre Partien verläßlich gut während Karl Dönch in seiner medodramatischen Ausdrucksform, für welche Hans Weigl den Terminus technicus „Dönchs Belcanto“ erfand, verharrte. Das Orchester litt noch immer unter den gewaltigen Anstrengungen des Philharmonikerballes, es wurde geleitet von Francesco Molinari-Pradelli.
TOSCA am 22. Jänner
Diese Aufführung fand vor einem trotz Wattierung erschreckend schwach besuchten Hause statt. In der Pause sah man zahlreiche Ministerialbeamte, die ebenso wichtig wie würdevoll durch das Opernhaus wandelten, wie sie es in ihren Amtsräumen tun – daran waren sie nämlich zu erkennen. Hilde Zadek als Tosca hatte es sehr schwer, sich neben den großen Stimmen Dimiter Usunows und Aldo Prottis, der für Walter Berry einsprang, zu behaupten. Nach einem guten ersten Akt und einem passablen zweiten Akt fand die Überbeanspruchung der Stimme von Frau Zadek ihren Ausdruck in kreischenden und unsauberen Tönen. In der Darstellung bewegte sie sich in den ausgefahrenen Geleisen der Routine. Dimiter Usunow sang sich nach kurzer Zeit prächtig frei und imponierte außerdem durch seine Spielfreudigkeit. Aldo Protti sang mit mächtiger Stimme. Eine im 2. Akt auftretende Rauheit der Stimme war unverkennbar. Francesco Molinari-Pradelli zeigte seine Vorzüge und Nachteile.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 22. Jänner im Redoutensaal
Für diese Aufführung war ein unbeschwert strömendes Musizieren charakteristisch und vermittelte den Eindruck, als wären Orchester und die beiden Sänger der Hauptpartien nicht hergekommen, um einen gewöhnlichen Repertoireabend zu bestreiten, sondern um zu ihrer eigenen Freude mit Hingabe Mozart zu singen und zu spielen. Das Hauptverdienst an diesem schwelgen in den Schönheiten der Partie kommt Ruth-Margaret Pütz zu. Sie ist eine Konstanze, die silbernen Wohllaut der Stimme mit höchster Musikalität und Technik verbindet. Erstaunlich mit wie vielen guten Konstanzen wir plötzlich aufwarten können. Zudem befand sich Anton Dermota in glänzender Verfassung wie in den besten Jahren seiner Mozart-Ära. Die Stimme klang leichter und lockerer als sonst. Auch Murray Dickie und Liselotte Maikl bewiesen, daß sie gesanglich derzeit die besten Vertreter der beiden Partien (Pedrillo und Blondchen) auf Wiener Boden sind. Doch bringt Frau Maikl außer der gewinnenden stimmlichen Leistung leider nur wenig Eignung für die Darstellung und Zeichnung der Figur mit. Der Osmin Ludwig Welters bewährte sich wie immer und wußte das Publikum zu gewinnen. Der Dirigent Lovro von Matacic bewies mit seiner musikalischen Leitung, daß sie im gleichen Maß vom künstlerischen Verständnis wie von der Hingabe an die Kostbarkeit Mozart’scher Musik getragen war.
FIDELIO am 23. Jänner
Es gab diesmal einen typischen montägigen Fidelio, der eigentlich Florestan hätte heißen müssen, denn Jon Vickers zeigte in dieser Rolle, die für einen intelligenten Sänger gebaut ist, was er an Ausdruck, Phrasierung und Aufbau aus einer Rolle herausholen kann, die einen Künstler erfordert, nicht aber einen virtuosen C-Tenor, die allerdings auch nicht zu verachten sind. Vickers sollte sich doch mehr auf deutsche Fach verlegen, da stört es nicht, wenn er hin und wieder plötzlich mit einer Phrase ins Piano ausweichen muß. Christl Goltz schien unkonzentriert (Text im ersten Akt) und hatte gewisse Intonationsschwierigkeiten, Irmgard Seefried geriet streckenweise ins Markieren. Bei den tiefen Stimmen sah es besser aus, da Otto Wiener einen ausgezeichneten Pizarro sang und spielte und Frederick Guthrie einen würdigen, noblen Minister sang. Aus dem Rahmen fiel natürlich der volkstümlich und steif singende Rocco Otto Edelmanns, des neugebackenen Kammersängers. Murray Dickie als Jacquino war gut. Heinrich Hollreiser kam erst im zweiten Akt einigermaßen in Schwung, der erste geriet grenzenlos langweilig.
BALLETTABEND am 24. Jänner
ARIADNE AUF NAXOS am 25. Jänner
Diese Aufführung hatte ebenfalls gutes Niveau. Die ausgezeichneten Gesangsleistungen hatten diesmal kaum einen wirklich schwachen Punkt aufzuweisen. Im Vorspiel dominierten Christa Ludwig als Komponist und Alfred Poell, der als Musiklehrer eine hervorragende stimmliche Tagesverfassung mit herrlichen Spitzentönen voll auskostete. Für Ruth-Margaret Pütz sprang Eva Maria Rogner als Zerbinetta ein; mit technisch gut geführter, aber nicht besonders wohllautender Stimme ersang sie sich mit ihrer großen Arie verdienten Beifall und konnte auch im Spiel gefallen. Das Komikerquartett (Murray Dickie, Kurt Equiluz, Karl Weber und Ludwig Welter) sang erfreulich sauber, wurde aber von den prachtvollen Stimmen der drei Nymphen (Liselotte Maikl, Anny Felbermayer, Hilde Rössel-Majdan) noch überboten. James McCracken ist ein stimmgewaltiger, verläßlicher Bacchus, bei dem die Frage „Circe, kannst du mich hören“ überflüssig erscheint. Die Ariadne gab wieder die attraktive Consuela Rubio. Es wäre schade, wenn dieser, besonders in der Mittellage prachtvolle Mezzo weiterhin durch Einsatz in Sopranpartien in der Höhe zum Forcieren gezwungen würde. Eine Sängerin mit einer solch pastosen Tiefe (Totenreich!) und ausgesprochen dunklem Timbre sollte unbedingt das italienische Spielaltistinnenfach singen. Am Pult stand abermals Wilhelm Loibner und leitete die Aufführung ohne Aufhorchen zu lassen, jedoch exakt und in gutem Einvernehmen mit der Bühne.
COSÌ FAN TUTTE am 25. Jänner im Redoutensaal
Diese Aufführung war ein typisches Beispiel und ein schlagkräftiges Argument für alles was wir stets und wieder von Neuem gegen den Redoutensaal und die damit verbundenen Gepflogenheiten einzuwenden haben. In geschlossener Aufführung wurde wieder einmal mehr ein Durchschnittsabend gespielt, und wir wenden uns neuerlich gegen die Unsitte, unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor ausorganisiertem Saal Pflicht-Vorstellungen zu produzieren, deren Mängel sich im engen Rahmen verstecken und damit heimlich aber sicher jenes Niveau untergraben, das wir mit Mozart erreichen und zu halten wünschen. Höchste Zeit, daß das Theater an der Wien seine Pforten auftut, daß endlich der Treppen-Auf und-Abwärtskomplex, die Auswüchse verschmierter Regie ein Ende haben und die Solisten sich nicht mehr alles erlauben, was sie derzeit vollführen, wo sie einfach darauflos blödeln, wie es ihnen gerade gefällt.
Dabei war die Aufführung nicht das, was man schlecht nennen könnte, sie trug den viel gefährlicheren Stempel der Mittelmäßigkeit, der manchmal beängstigend an Schmiere gemahnt. Schmiere ist es, wenn Ira Malaniuk Lockenfrisur trägt, während Phyllis Curtin ihre Haarpracht einfach hochsteckt, weil es ihr so besser gefällt. Schmiere ist es, wenn Erich Kunz, um sich und den anderen die Langeweile zu vertreiben, einen Wurstel herunterreißt und Schmiere ist es, wenn kein Abendregisseur den Gast (Frau Curtin) über die nötigen Auftritte auf der Bühne informiert, sodaß die Kollegen dies dann bei offener Szene mehr oder weniger diskret nachtragen müssen. Kein Wunder, wenn dann auch die gesangliche Linie schwer und klebrig wird und der Dirigent Lovro von Matacic seine Mühe hat, musikalisch zu retten, was zu retten ist. Er tat dies mit bewundernswerter Geduld und viel gutem Willen, aber schließlich haben weder Klassedirigenten, noch die Wiener Philharmoniker, noch das Wiener Publikum es nötig sich von der Bühne her derartigen Durchschnitt servieren zu lassen, wo die ureigenste Domäne unserer Spitzenleistungen liegt. Così fan tutte sollte nicht derart oft angesetzt werden, nur damit Frau Curtin, die übereilig für eine Reihe von Abenden verpflichtet wurde und die man dem Publikum am Ring in normalen Aufführungen nicht präsentieren will, hier vor geschlossenem Hause (ebenso in der ausorganisierte Salome am Ring) die Abende abbiegen kann. Neben ihr waren Ira Malaniuk, Emmy Loose, Waldemar Kmentt, Erich Kunz und Karl Dönch eingesetzt. Es war ein müder Abend.
EUGEN ONEGIN am 26. Jänner, Neuinszenierung, am 29. Jänner Wiederholung
Natürlich ist er keine Oper, der Onegin. Lange Abhandlungen darüber zu schreiben, wäre fehl am Platz. Tschaikowsky nannte das Stück nicht grundlos ‘Lyrische Szenen’. Wer in die ‘Oper’ zu gehen wünscht muß nach wie vor die Tosca besuchen. Andererseits ist es Tschaikowsky doch gelungen, sehr viel Charakteristisches zu Puschkins Libretto beizutragen, was die Bühnenbildnerin Leni Bauer-Ecsy wiederum sehr gut ins Optische umzusetzen wußte Ihre Bilder sind nicht gerade von bestechender äußerer Schönheit, aber absolut richtig. Sie machten Puschkins Rußland gegenwärtig, sie vermittelten Stimmung und trugen das richtige Kolorit.
Die verschwimmenden herbstlichen Farben des ländlichen Gartens, der Allee, die elegische Duellszene, ja auch die große Halle in Gremins Palais war feinfühlig in Verbindung gebracht mit der inneren Einsamkeit der hier lebenden Menschen. Der Kontrast zwischen ländlich biederer äußerer Betriebsamkeit und kaltem Prunk war noch dazu bestens herausgearbeitet, was mehr auf Konto der Bühnenbildnerinnen als auf das des Regisseurs, Paul Hager, ging, der die Personen der Handlung routiniert in Bewegung hielt. Dem Konzept der räumlichen Lösung völlig entsprechend, war hingegen die musikalische Gestaltung aufgebaut. Lovro von Matacic vermied alle knalligen Effekte, zu denen Tschaikowsky naturgemäß verleitet. Wie in Pastellfarben gehalten wirkte auch das Klanggewebe, die Tragik blieb verinnerlicht. Mit aller Intensität dominierte die Lebendigkeit gefühlvoller Empfindung, die nicht auf äußere Wirkung abgestimmt war und daher irgendwie Banalität und Äußerlichkeit von vornherein ausschloß. Dadurch gelang auch eine in sich geschlossene Steigerung. Wir haben in früheren Inszenierungen die Erfahrung gemacht, daß die größte Spannung im Duell erreicht wird und dann der Schluß verflacht und zerflattert. Diesmal lag der Höhepunkt der Aufführung zweifellos im Schlußduett, was die bruchlose musikalische Durcharbeitung bestätigte und jedem, der es noch nicht erkannt hat, das Phänomen Sena Jurinac zeigte. Sie ist die Sängerin, der man - ohne daß sie spielen muß - alles glaubt. Man hat bei vielen ihrer Rollen den Eindruck, sie stelle nicht eine Gestalt auf die Bühne, sondern sie sei es einfach. Sie ist das nachdenkliche, verträumte Mädchen ebenso wie die vornehme Dame der Gesellschaft. Ihre Gefühlsintensität erfüllt die Rolle vom ersten bis zum letzten Takt und - ganz besonders erfreulich - sie hat sich stimmlich wieder gefangen und sang mit breiter voller Stimme, schön und sicher.
Den Onegin spielte Dietrich Fischer-Dieskau. Er hat sich, wie bei einem so intelligenten Künstler nicht anders zu erwarten war, ein interessantes Rollenkonzept geschaffen, das natürlich verschiedene Menschen verschieden anspricht. Wir haben hier Vergleichsmöglichkeiten mit Paul Schöffler und George London. Schöffler spielte einen überlegenen, gewandten Zyniker, London einen etwas verkleinerten Boris, einen triebhaften Tyrannen in Gesellschaftskleidung. Dietrich Fischer-Dieskaus Onegin ist ein Romantiker geworden, der viel weiter westlich angesiedelt ist. Wir hatten auch in der Merkerredaktion verschiedene Debatten über diese Rollenauffassung. Es war so ziemlich der einzige Fall einer Leistung, über die keine einhellige Meinung herrschte, ja nicht einmal eine Annäherung der Standpunkte zu erzielen war. Rein gefühlsmäßig könnte man zu dem Schluß kommen, daß Fischer-Dieskau nicht von Puschkin, sondern von Tschaikowsky ausging, wenn das nicht seiner Art entgegenstünde, den Dingen auf den Grund zu gehen und alle verfügbaren Quellen zu studieren. Das fiel nämlich auf: der leichte, lässige Gesellschaftsmensch ist eine zu positive Auffassung, so nett ist der junge Mann gar nicht. Er lehnt Tatjanas Liebe doch nicht aus Laune ab, sondern aus Übersättigung, und das merkt man bei seiner Art der Darstellung nicht. Seine Unrast hat etwas Schwärmerisches, es fehlt dieses gewisse Selbstzerstörerische, das den Ergebnissen der russischen Kunst oft anhaftet. Ein großes Plus hat Fischer-Dieskaus Auffassung allerdings: sie ist absolut bruchlos. Man hat weder dem zynischen Schöffler noch dem von einer deutlich merkbaren Aura sinnlicher Ausstrahlung umgebenen London den jämmerlichen Zusammenbruch des letzten Aktes abgenommen, der sich bei Fischer-Dieskau ganz logisch entwickelt. Stimmlich bot die Partie einem Fischer-Dieskau kein Problem, aber die Möglichkeit, die Modulationsfähigkeit der Stimme zu zeigen. Daß das Timbre für eine russische Oper eigentlich zu hell ist, braucht nicht eigens erwähnt zu werden.
Anton Dermota kann im Lenski mit Recht die Rolle seines Lebens sehen. Sie hat ihm Erfolg gebracht, wann immer er sie sang, so auch diesmal. Sie liegt ihm besonders gut. Der Schmelz seiner schönen Stimme entfaltet sich bestens, und im Ausdruck kommt er mit dem düsteren Russen weit besser zurecht als mit locker tänzelnden Liebhabern. Der verdiente Erfolg blieb nach der prächtig gesungenen Arie auch nicht aus. In der Rolle der koketten Olga war Biserka Cvejic nicht so gut wie sonst - sie tut sich offenbar beim Deutschsingen schwer - eine bekannte Erscheinung bei Slawen, die in italienischen Partien weit besser sind. Hilde Rössel-Majdan war in ihrer kleinen Rolle darstellerisch und stimmlich gleich gut, ebenso Hilde Konetzni. Peter Klein sang einen witzigen Triquet. Mit Oskar Czerwenka war die Partie des Gremin, den in der zweiten Aufführung mit größtem Publikumserfolg Walter Kreppel übernahm, trotz geänderten Textes gänzlich fehlbesetzt. (Die Intrigen, von denen er sang, blieben ihm fast im Halse stecken.) Karl Weber war auch wieder auf der Bühne zu bemerken. Da von einer gesanglichen Leistung bei ihm nicht die Rede sein kann, sollte er wenigstens darauf sehen, daß er korrekt angezogen ist und die hautenge Uniform um die Taille keine häßlichen Wülste bildet. Das Ballett leitete Heinz Rosen. Es hatte besonders in dem Bild von Larinas Fest viel Erfolg: die Ballettänzer zeigten da köstliche Typen, besonders Richard Novotny. Die große Polonaise geriet kühl und elegant.
So haben wir wieder ein russisches Werk auf dem Spielplan, dem dort wahrscheinlich auch kein längeres Verweilen gegönnt sein wird, als dem Fürst Igor. Die breite Masse ist nicht dafür, die Besetzungsvarianten sind gering - kein Zugstück. Doch im Zuge einer konsequenten Spielplangestaltung gehören natürlich auch die slawischen Opern dazu. Und der Onegin ist zweifellos ein relativ kurzer Vertreter der Gattung Russische Bühnenwerke - was an sich nicht gerade ein Nachteil ist.
DIE ZAUBERFLÖTE am 27. Jänner
Mozarts Geburtstag wurde mit einer Zauberflöte gefeiert, und der Ehrentag des Komponisten schien alle Mitwirkenden zu inspirieren. Heinrich Hollreiser überraschte im angenehmen Sinne. Von einigen Ungereimtheiten in der Ouvertüre abgesehen, war er ein guter Leiter des Abends, der energisch bei einigen Unebenheiten, die ja die Folge eines ungeprobten Abends sind, einschritt. (Erster Auftritt der drei Damen zu Beginn des zweiten Aktes.) Walter Berry sorgte mit großzügiger Textfreiheit in der Prosa für einen unbeschwerten Abend. Sein Papageno war liebenswert, charmant, quicklebendig und prachtvoll gesungen. Gundula Janowitz sang ihre erste Pamina und konnte einen großen persönlichen Erfolg erringen. Sie spielte mit entwaffnender Jungmädchen-Liebenswürdigkeit, sprach den Text sehr natürlich und sang außerdem ganz vorzüglich. Mit ihrer reizvoll timbrierten Stimme hatte sie bald das gesamte Publikum auf ihrer Seite. In stilistischer Hinsicht hätte man glauben können, daß sie schon unzählige Male und nicht zum ersten Mal die große Mozartpartie sang. Die junge Künstlerin bewies mit ihrem durchschlagenden Erfolg, daß man auch heute noch als junger Mensch an einem großen Haus Karriere ohne Nervenzusammenbruch, ohne Presseunterstützung und ohne Vorzimmerintrigen machen kann. Letzten Endes entscheidet die Leistung und die Ausnützung jeder Chance, gleichgültig, ob sie früher oder später kommt. Waldemar Kmentt mußte sich als Tamino erster freisinge. Ludwig Welter bot als Sarastro eine beachtliche Leistung; die Rolle liegt seiner Stimme sehr. Eva Maria Rogner war als Königin der Nacht guter Durchschnitt, trotz eines Schönheitsfehlers in der zweiten Arie. Ihre Stimme selbst ist nicht außergewöhnlich, doch vermag sie mehr in der Rolle zu interessieren, als unser beiden Hausbesetzungen. Außer Otto Edelmann, der den Sprecher wie ein Staatsbeamter heruntersang, gab es keinen schwachen Punkt. Die schöne, abgerundete Aufführung fand lebhaften Widerhall beim Publikum, dessen neuer Geheimtip für die Zukunft Gundula Janowitz ist.
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 28. Jänner
Diesen Abend übernahm Berislav Klobucar und er vollbrachte mit dem Substitutenorchester eine durchaus respektable Leistung.
In der CAVALLERIA hatte Giuseppe Zampieri einen herrlichen Abend. Verdientermaßen erhielt er den größten Beifall. Christl Goltz und Kostas Paskalis boten bekannte Leistungen.
Aldo Protti brachte gleich zu Beginn des BAJAZZO mit seinem Prolog Stimmung ins Haus. Wilma Lipp als schwarzgelockte und makellos singende Nedda brach diesmal das Herz von Jon Vickers. Vickers ist ein äußerst intelligenter Künstler, der genau weiß, was er zu geben hat. Nach einem kraftvoll gesungenen Auftritt sang er die „Vesti la giubba“ auf seine Weise. Er verzichtete darin auf alle dramatischen Forteausbrüche der Stimme. Kultiviert und resignierend durchwegs mit Mezzavoce und Piano arbeitend, offenbarte er, daß sein Leben ohne Nedda den Sinn verloren hat. Durch sparsame Gestik unterstrich er diese Szene und hatte mehr Wirkung damit als mit Effekt agierende Kollegen. Ob dies der Komponist im Sinn hatte, bleibt allerdings eine offene Frage. Claude Heater brachte seine ausgezeichnete Figur und seine Durchschnittstimme für den Silvio mit. Man muß zugeben, daß er in jener Rolle bisher der beste der Saison war, was allerdings nicht heißen soll, daß es keine besseren Vertreter des Silvio gäbe.
EUGEN ONEGIN am 29. Jänner
wurde mit der Premiere am 26. Jänner besprochen
OTHELLO am 30. Jänner
Der Titelrollenträger Dimiter Usunow war der unumschränkte Herrscher des Abends. Er allein vermochte das Publikum zu begeistern. Der Künstler befand sich in prächtiger stimmlicher Verfassung, seine Fortetöne hatten solch immense Kraft, daß auch andere Partner auf der Bühne sang- und klanglos untergegangen wären. Wie ein verwundetes Raubtier sank er bei „Sangue!,Sangue!“ auf die Knie, und mit seinem Prachtorgan wischte er einfach den Jago hinweg. Solch einen impulsiven und temperamentvollen Othello hatten wir schon lange nicht mehr auf einer Wiener Bühne gesehen. Schade, daß er an diesem Abend keine gleichwertigen Partner hatte. Consuela Rubio war als Desdemona eine glatte Fehlbesetzung. Ihr Mezzo stand im Widerspruch zur Rolle, der sie außerdem keinen Funken von Persönlichkeit zu schenken wußte. Die Höhen der Sängerin wirken unnatürlich aufgesetzt und von penetranter Schärfe. An Stelle des Liebreizes der Desdemona verspürte man vom rein stimmlichen Charakter her eher die Unrast der Eboli. Frau Rubio möge in Zukunft ihre Sopranambitionen an einem anderen Opernhaus verwirklichen. Wien ist dafür ein zu heißer Boden und schon auf gar keinen Fall ein Experimentierfeld für Entdeckungen eines aus dem Amt scheidenden Generalsekretärs. Weil kein Jago zur Verfügung stand, holte man den nächsten italienisch singenden Bariton schnell herbei. Man verfiel auf den in Zürich wirkenden Rudolf Knoll, der nach unserem Maßstab nur ein Stimmchen anzubieten hatte. Mit fortschreitender Dauer verschwand auch dieses mehr und mehr. Das Haus war für ihn zu groß, die Stimmen seiner Kollegen zu erdrückend. Als Gestalter wußte er einiges Interesse abzugewinnen. Nur mit Mühe gelang es dem Ohr, die Stimmfarbe der Emilia, die Hilde Rössel-Majdan verläßlich sang, von der Stimme der Rubio’schen Desdemona zu unterscheiden. Wie wäre es, wenn man Frau Rubio mit der Emilia betrauen würde? Anton Dermota sollte sich mit dem Cassio ebenso intensiv wie mit dem Lenski beschäftigen, dann würden solche musikalische Unsicherheiten nicht zu Tage treten. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte mit Feuer und Besessenheit, die einer anderen Desdemona und eines anderen Jago offenbar nicht bedurft hatten.
CARMEN am 31. Jänner
Die dritte Carmen des Monats sang abermals Biserka Cvejic, unsere hauseigene Carmen. Schon ihr erstes Auftreten in dieser Partie war sehr vielversprechend. Diesmal wirkte sie viel sicherer und gelöster. Ihre prachtvolle Stimme wird mühelos allen Anforderungen der Partie gerecht. Sie ist sehr ausgeglichen, von einer satten Tiefe bis zu strahlenden Spitzentönen. Es gelang ihr einfach alles, besonders schön die Kartenarie und die Schlußszene. Diese prachtvolle gesangliche Leistung wird durch eine natürliche, unkomplizierte Auffassung ergänzt. Sie verzichtete auf Mätzchen a la Hollywood und siehe – es geht auch so. In Jon Vickers hatte sie einen ebenbürtigen Partner. Das Duett mit Micaela sang er zwar noch sehr verhalten, aber dann steigerte sich seine Leistung von Akt zu Akt. Die ausdrucksvoll gesungene Blumenarie legte er ganz auf Piano an und krönte sie mit einem prachtvollen Pianissimo-b. Es ist immer wieder verblüffend, wie Vickers seine Riesenstimme zu bändigen vermag und welcher Nuancierung er fähig ist. Um so elementarer wirkten dann seine dramatischen Ausbrüche im dritten und vierten Akt. Auch im Spiel stand er seiner Partnerin um nichts nach. Escamillo war wieder mit Otto Wiener besetzt, dem die Partie weniger liegt. Man konnte merken, daß seine Wiege nicht im sonnigen Süden stand. Leider sagte Hilde Güden, eine ideale Vertreterin der Micaela, ab. Als Ersatz hörten wir einen Gast – Eva Likova. Gab es in Wien keine Micaela? Wir haben ja nichts gegen Gäste im allgemeinen, es ist immer interessant neue Sänger zu hören, aber ein gewisses Niveau muß gewahrt bleiben. Frau Likova brachte für diese Rolle nichts mit, was eine Verpflichtung an die Wiener Staatsoper rechtfertigen könnte. Der Dirigent des Abends hatte seine liebe Not mir ihr. Francesco Molinari-Pradelli führte das Orchester und die Sänger straff, schwungvoll und sicher. Er sucht in einer Carmen-Partitur keinerlei Probleme, sondern läßt einfach die Musik für sich selbst sprechen. Das Orchester folgte willig seiner energischen Stabführung und spielte exakt und brillant. Es wäre schön gewesen, wenn man das auch vom Staatsopernchor behaupten könnte. Viele Einsätze wollten nicht klappen, und es wäre höchste Zeit, dem Chor Gelegenheit zu einigen Proben zu geben. Und wie wäre es bei dieser Gelegenheit, wenn man die Chöre endlich französisch studieren würde? Von der guten Besetzung der Nebenrollen ein Sonderlob Frederick Guthrie, dessen schöne Baßstimme uns viel Freude machte.
WINTERSCHLAF ODER AGONIE, Salzburg ohne den Künstlerischen Leiter Herbert von Karajan
Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 2
Als vor einigen Jahren Georg Kreisler seinen „Karajanuskopf“ sang, kannte die Schadenfreude der Antikarajanesen keine Grenzen. Die Tageszeitungen zitierten den Text wörtlich und die Herren Kulturberichterstatter kauten bei jeder Gelegenheit den Einfall des Kabarettisten wieder. Dabei übersahen sie, daß das Wiener „Brettl“, „Glasl“ und „Hackl“-Team lange nicht so gehässig wie die Presse gegen Karajan ist. Man hat im Kabarett noch eher Respekt vor der Persönlichkeit. Wenn man Karajan dort durch den Kakao zieht, geschieht es fast liebevoll.
Wie anders wird es wenn weniger humorbegabte Leute mit tierischem Ernst ihr Gift verspritzen. Vielleicht war der ständige Ärger mit eine Ursache, warum Karajan ging. Er trat bekanntlich als künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele auf Grund diverser, in echt österreichischer Weise niemals veröffentlichter Meinungsverschiedenheiten zurück. Der Dank des Vaterlandes war dem großen Neugestalter der Salzburger Festspiele, die nach ausländischen und diesmal sogar inländischen Pressestimmen den absoluten Höhepunkt ihrer Geschichte erreichten, gewiß!. Kein Wort der Anerkennung fiel. Weder von Seiten der Regierung noch seitens des kleinsten Boulevardblattes. Wozu auch? Der Österreicher weiß das Große erst dann zu schätzen, wenn es zu spät ist. Warum soll es einem großen Mozartdirigenten besser gehen, als Mozart selbst? Der Österreicher bevorzugt in der Politik das Prinzip der Nivellierung. Er sieht im Koalitionssystem das allein Seligmachende, warum nicht auch in der Kunst? Brauchen wir denn einen künstlerischen Leiter?, dachten so manche. Wir haben ohnehin verdienstvolle Männer, die ebenfalls von der Musik etwas verstehen und zusammen in einem Rate müßten sie dem Programm ein eigenes Gesicht geben. Inzwischen lief viel Wasser durch das Bett der Salzach. Während man in Salzburg in echt österreichischer Gemütlichkeit, dabei dem Parteienprinzip huldigend, hin und her diskutierte, legten die anderen Festspielstädte die Bayreuth und München die fertigen Pläne der Öffentlichkeit vor. Salzburg schläft weiter, denn man ist dort neuerdings so überheblich, daß man auf Werbung und Planung gänzlich verzichten zu können glaubt. Noch dazu, wenn man weiß, daß man die Boulevard-Presse hinter sich hat. Herr Löbl, der sich als Künder der Wahrheit aufspielt und in Wirklichkeit bloß ein Wortergreifer für gewisse Cliquen ist, hat noch kein Wort über das Schlummern des Festspielpräsidenten verloren. Hauptsache für ihn war es, daß der Managerdirigent Karajan Salzburg den Rücken kehrte. Welch haßerfüllte Tiraden, hätte er vom Stapel gelassen, wenn Karajan bis zum heutigen Tage noch nicht das gesamte Programm mit Besetzung nominiert hätte! Daß an Stelle des Managerdirigenten ein Rat von Siebenschläfern getreten ist, hat ihn weiter nicht tangiert. Wozu die Ruhe eines Paumgartner-Friedhofes stören? Vielleicht finden endlich eine Schar vom „Express“ geförderter Künstlern Wohlgefallen bei dem Präsidenten? Doch langsam wird die Situation für alle ungemütlich. Besonders für die Besucher! Mr.Smith aus Connecticut möchte gerne wissen, wofür er seine Dollars ausgibt. Zwar ist ihm gleichgültig, ob der Festspielpräsident Tantiemen für den Idomeneo erhält, wichtig ist ihm vielmehr, wen von den Großen der Kunstwelt er zu hören bekommen wird. Namen wie etwa Ivan Kertesz werden ihm wenig sagen. Die österreichisch-ungarische Monarchie ist ihm zwar aus der Geschichte ein Begriff, und warum sollten daher die Ungarn nicht das Privileg haben, Mozart zu dirigieren? Doch Namen wir Stern und Hartleb machen ihm die Sache verdrießlicher, denn schließlich hat er ein Anrecht, für sein Geld die ersten Künstler der Welt zu hören. Ansonsten könnte er gleich die deutsche Provinz aufsuchen und Unbekannte entdecken. Also mit jener Besetzung wird sich Mr.Smith aus Connecticut gar nicht zufrieden geben. Vielleicht überwiegt der Wunsch, Mozart die Hand zu schütteln, seine Unzufriedenheit mit dem Gebotenen. Soweit die Ansicht des Mr.Smith aus Übersee. Der echte Musikfreund und Opernliebhaber versteht unter dem Wort Festspiel ein Opernereignis, das über dem Opernalltag steht und normalerweise auf keiner Bühne zu sehen ist. Das macht ihm die Reise nach Salzburg wert und dessentwegen scheut er keine finanziellen Kosten.
Er erwartet sich festliche Aufführungen im wahrsten Sinne des Wortes. Ihn kann eine Entführung mit Nachwuchssängern nicht bewegen, eine Reise nach Salzburg anzutreten, wo er doch in Wien jederzeit viel bessere Interpreten hören kann. Ihm ist es unbegreiflich, daß man gerade Ferenc Friscay, der als ein ganz ausgezeichneter Interpret intellektueller Musik gilt, mit dem Idomeneo betraut. Ihm ist es unverständlich, warum man nicht den Erneuerer des Wiener- und damit Salzburger
Mozartstils, Günther Rennert, beschäftigt. Und vor allem ist es ihm unverständlich, daß die getane Arbeit des künstlerischen Leiters Herbert von Karajan nicht fortgesetzt wird. Man kehrt zurück zum Eintopf der Mittelmäßigkeit.
Für Österreich ist es scheinbar weniger wichtig, die ersten Festsiele der Welt zu haben, als eine unter vielen zu sein. Hauptsache ist, daß wir einen Präsidenten haben, der seinen ohnehin bezahlten Poster, durch Tantiemen aufgebessert bekommt, und Hauptsache ist es, daß alle Verantwortlichen der Salzburger Festspiele ganz unter sich sind. Um das Schildchen AUSVERKAUFT machen sich die Herren die geringsten Sorgen, denn der Freundeskreis, den man mit Freikarten versorgen soll, ist ohnehin ein großer. Man will eben echt österreichische Festspiele zum Ruhme des Herrn Bernhard Paumgartner.
Das uninteressante Programm und die noch immer fehlende Besetzungsliste zeigt nicht nur dem ahnungslosen Musikfan, sondern bald auch schon der breiten Masse, wie sehr man sich an der Salzach ins eigne Fleisch schnitt, als man Karajan ziehen ließ, um seine unkonventionelle, unbequeme Agilität loszuwerden.