DER FEBRUAR 1961

6. Jahrgang, Heft 3

 

SPARE IN DER NOT DANN HAST DU ZEIT DAZU

Zu dem den Bundestheaters verordneten Sparprogramm

Leitartikel

Daß ein hochwertiges Opernhaus und dessen Produktionen eine Menge Geldes kosten, ist bekannt. Daß der kleine Steuerzahler eine Staatsoper mitfinanzieren muß, ist ebenfalls klar. Unrecht ist es, dies immer den Gottsöbersten in der Oper vorzuhalten, denn daß sich die breite Masse nicht für die Oper interessiert, ist schließlich nicht die Schuld eben dieser Gottsöbersten. Und wenn sich jemand gar nicht für die Oper interessiert und sie trotzdem finanziert, schadet das auch nicht. Es hat nämlich doch ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung einen Nutzen davon, was nicht der Fall ist, wenn der für die Oper bezahlte Betrag für Dienstautos oder Staatsbesuche verpulvern würde. (Für Autobahnen, Wohnhausbauten und Schulzwecke, wovon dann alle etwas hätten, fiele ohnedies nichts mehr ab.)

Es war also für uns ein gewisser Schock, als das große Gerede über die „Aktion Sparefroh“ begann. Wir wußten nämlich genau, daß sie ganz natürlich beim ungünstigsten Objekt beginnen würde: bei den teuren Starsängern.

Wir waren immer der Ansicht, daß in  der Wiener Oper eine ganze Menge unnötig ausgegebenes Geld eingespart werden könne, daß man aber di Stefano und die Simionato nicht mit ins Sparprogramm nehmen soll. Geknausert sollte lieber zuerst in der Verwaltung werden.

Wir glauben, daß man, ohne mit der sozialen Gesetzgebung in Konflikt zu geraten, auf die Hälfte des in der Bundestheaterverwaltung und in den Bundestheatern selbst angestellten Verwaltungspersonals verzichten könnte. Wir würden diese Damen und Herren so gerne der Privatindustrie zuführen, damit sie sehen, was arbeiten heißt. (Und die Privatangestellten sterben noch immer nicht dabei!). Es ist leider falsch verstandener Sozialismus, wenn Einsparungsvorschläge auf diesem Gebiet nicht genehmigt werden.

Was das künstlerische Personal betrifft, ist hier die Situation schon wesentlich schwieriger. Es gibt viele Sänger, die der Oper lange Jahre treu und ehrlich gedient haben und im Laufe dieser Zeit ihre angestammten Qualitäten zum Teil verloren haben. Es gibt aber auch Sänger und Dirigenten, die bereits Jahrelang der Wiener Oper angehören, ohne jemals die hierfür nötigen Qualifikationen besessen zu haben. In diesen Falle muß endlich pensioniert oder schlimmstenfalls gekündigt werden. Wenn Härten in einzelnen Fällen nicht zu vermeiden sind, möge man sich vor Augen halten, daß Härten dem Publikum gegenüber durch diese Kräfte lange Zeit auch nicht vermieden wurden.

Was die Sparmaßnahmen beim künstlerischen Personal weiter betrifft, müssen wir der Direktion immerhin konzedieren, daß es ziemlich schwierig ist, die Ensemble-Kreise, die sich zum Teil überschneiden,

so zu placieren, daß sich immer etwas tut. Damit meinen wir 1./ ein Mozart- und Strauss-Ensemble, 2./ ein Wagner- und Strauss-Ensemble und 3./ ein italienisches und auch französisches Ensemble, wobei sich diese Ensembles natürlich überschneiden.

Die Situation wird erleichtert durch in Wien und international beliebte Sänger, die das Zeug dazu haben, sich allen drei Programmsparten in gleicher Weise widmen zu können. Wir haben hervorragende Vertreter dieser Art von Top-Stars in Hans Hotter, Birgit Nilsson, Hilde Güden, Sena Jurinac, Wilma Lipp, Eberhard Wächter und Christa Ludwig. Andererseits sind Giuseppe Zampieri, Aldo Protti, Ettore Bastianini usw. Meister ihres Faches.

Wir sind es müde, immer wieder dieselben Dinge herunterzuleiern. Aber im Sinne des Sparprogrammes werden wir die Punkte nochmals auflisten:

1./ Eine Reduktion des Ensembles auf die vielseitigen und international mit großen Erfolgen aufwartenden Sänger.

2./ Entfernung der anderen, die nur mies machen. Man sollte keine Sänger in Wien engagieren, die sich nicht in einer Festwochenaufführung unter Karajan gut halten.

3./ Bessere Dirigenten für das Repertoire.

4./ Ein abwechslungsreicheres Programm unter Einbeziehung der Così fan tutte, des Barbier von Sevilla und der Schweigsamen Frau.

5./ Die Durcharbeitung des Repertoires der einzelnen Sänger nach programmatischen Gesichtspunkten und den Gegebenheiten des Spielplans. Doppelte, ja dreifache Besetzungen der gängigen Partien wäre dann kein Problem, und dies würde viel Geld sparen.

6./ Sorgsame Beschäftigung mit den jungen Sängern.

7./ Die Planung muß ein Jahr früher stattfinden!

8./ Ein Pachtvertrag über zehn Jahr für das Theater an der Wien ab Herbst 1962. Diese Theater hat die große Aufgabe, ein ideales kleines Haus der Bundestheater zu sein, mit einer Aufteilung der alljährlichen dreihundert Abende zwischen dem Burgtheater und der Staatsoper, wobei man hier auch unserem Ballettensemble die Chance einräumen könnte, nach Herzenslust zu arbeiten und sich unter großen Choreographen weiterzuentwickeln.

Das ist bei uns Sparsamkeit. Denn dann könnte man alles Überflüssige abbauen, beginnend bei Herrn Märzendorfer und endend bei Fischer-Karwins großer Hetzsendung „Aus Burg und Oper“, wo ohnehin fast nur ungehindert Propaganda gegen diese Institute betrieben wird und die Künstlerauswahl durch Herrn Fischer-Karwin für den Hörer immer seltsamer erscheint. Dann könnte die Volksoper nicht mehr als „Konkurrenzunternehmen“ gegen das Haus am Ring geführt werden, sondern als billiges gemeindeeigenes Wiener Haustheater für Operette, volkstümlich Oper in deutscher Sprache und moderne Novitäten mit dem Spezialgebiet Nachwuchspflege. Das Akademietheater könnte für die Musikstudenten und der Redoutensaal als Ballokal oder Tagungsort zur Verfügung stehen.

Und dem Publikum wäre geholfen, die Flaute wäre vorbei.

 

Der Februar bedeutet dem Kalender nach Hochsaison im Opernleben, für Wien bedeutete er große Flaute. Es wird nicht die letzte sein, denn der März wird sie noch mehr erblühen und das Sparprogramm Purzelbäume schlagen lassen. So gibt es weder im Februar, noch im März eine Premiere, dafür aber im April deren gleich drei, wenn’s wahr ist! Man vergißt, daß das Publikum lange nicht so laienhaft ist, wie man anzunehmen scheint, und sehr wohl zwischen Notwendigkeit und Lieblosigkeit zu unterscheiden weiß. In der jetzigen Handhabung des bereits in sehr üblen Ruf gekommenen Sparprogramms, wie sie in den vergangenen Wochen zu Tage trat, liegt die Gefahr, daß man das Stammpublikum los wird, und damit jede Resonanz. Dies aber liegt nicht an seinem Verwöhntsein, dem Snobismus und Unverständnis, dies möchten wir besonders betonen.

Es hätte unser Budget garantiert erlaubt, während des Monats einen Star, der imstande ist, Publikumsinteresse zu erwecken und das Stammpublikum ins Theater zu ziehen, zu „servieren“. Während der Wiener Festwochen werden wir dann geradezu überfüttert. Auch das Wiener Publikum sieht die ausländischen Besucher gerne, aber nicht so gerne, daß wir bereit sind, im Zuge des „Fremdenverkehrs“ uns monatelang künstlerisch aushungern zu lassen, um dann im Mai und Juni zuzusehen, wie wir an einem Abend zwei und drei Veranstaltungen von Spitzenqualität, mit denen wir dann prassen, für uns koordinieren können.

Unsere Kulturredakteure freilich tun so, als merkten sie davon nichts. Sie verreißen Karajan ja nur dann, wenn es eigentlich ihre Pflicht wäre zu vermerken, daß er das Haus am Ring trotz allem zum ersten der Welt gemacht hat. Gegen den mittelmäßigen Routinebetrieb, der sich jetzt breit gemacht hat, können sie nicht zu Felde ziehen, da sie Monate hindurch für jenes zweit- und drittklassige Ensemble – angeblich heimischer Provenienz – die Lanze brachen, das uns jetzt das Opernleben versalzt.

Es ist derzeit kein Grund zur Zufriedenheit, denn unser Sparprogramm ist gespickt mit Unterlassungssünden, durch die wir den Opernalltag ganz unnötig belasten und zum Routinebetrieb degradieren.

Das Wiener Publikum ist sehr wohl bereit „täglich Brot“ entgegenzunehmen, wenn es ihm entsprechend kredenzt wird, jedoch nicht, sich irgendwie lieblos damit abspeisen zu lassen!

 

EUGEN ONEGIN am 1. Februar

In dieser Vorstellung sang Norman Mittelmann von der Rheinoper als Fischer-Dieskau-Ersatz den Onegin. Leider ist eine gut geführte, rein lyrische, in den Gefühlsausbrüchen des letzten Bildes überforderte Stimme zu wenig, um die Titelpartie glaubhaft zu machen. Auch ist beim Onegin eine Rollengestaltung unerläßlich. Wie wir bei der Premiere schon bemerkten, gibt es mehrere Gestaltungsmöglichkeiten – Herr Mittelmann hat noch keine. So standen zwangsläufig nur Sena Jurinac und Anton Dermota als Tatjana und Lenski im Mittelpunkt des Geschehens. Beide waren die Erfüllung in ihren Rollen in jeder Hinsicht, hier blieb keine Phrase, kein Ton leer und ausdruckslos; man konnte der slawischen Seele bis auf den Grund sehen. In den kleineren Partien waren wieder Biserka Cvejic, Hilde Konetzni, Peter Klein und der prächtige Walter Kreppel (Gremin) zu hören. Am Pult stand Berislav Klobucar, der die Einstudierung Lovro von Matacics bruchlos übernahm und nie in Widerspruch zur Bezeichnung „lyrische Szenen“ geriet. Das Orchester blieb immer delikat, zart und verinnerlicht und wurde nie zu Banalitätsausbrüchen verleitet, wenn auch das Klanggewebe etwas kompakter wirkte und der Kontakt mit den Chören teilweise ins Wackeln geriet. Das schmälert die ausgezeichnete Leistung Klobucars nicht, der zudem noch das Handicap einer improvisierten Umbesetzung auf sich nehmen mußte.

MADAME BUTTERFLY am 2. Februar

Schmetterling statt Fledermaus.

Anstelle der einer Absagewelle zum Opfer gefallenen Fledermaus bekam man eine echte Ersatz-Butterfly zu hören, die ohne größere Störungen verlief, aber nicht danach angetan war, den diensthabenden Merker aus seiner Grantigkeit aufzurütteln. Phyllis Curtin sang mit kleiner, sauberer Stimme eine ach so niedliche, ach so liebliche Cho-Cho-San und verbreitete gepflegte Langeweile. Es trat wieder einmal zu Tage, daß ihr Gastspiel wohl zu den unnötigen Ausgaben gehört, einer der Fälle, wo der Grimm den Gram des Stammbesuchers mehrt. Nach welchen Gesichtspunkten der geschiedene Generalsekretär seine Engagements aussuchte, wird uns ewig unerfindlich bleiben. Aber er mußte ja für uns nicht sparen, das besorgen wir jetzt ohne ihn. Giuseppe Zampieri war der beste Mann auf dem Felde, das Stück hätte füglich B.F.Pinkerton heißen müssen. Auch Hilde Rössel-Majdan war ausgezeichnet. Kostas Paskalis zählt den Sharpless zu seinen schlechtesten Rollen. Kultur fällt ihm leider schwer, und wenn er es versucht, langt es oftmals nur zum Drosseln der Stimme. Zwischen nicht brüllen und kultiviert singen liegt jener Unterschied, den er noch nicht voll erfaßt hat. In der Fledermaus hätte Peter Klein (Dr. Blind) gesungen), es ist also nicht einzusehen, warum dem Hörer Erich Majkut als Goro zugemutet wurde. Am Pult stand Berislav Klobucar, der nach einem sehr verschwommenen Anfang (Kann man vielleicht doch einmal die Butterfly so placieren, daß sie entweder den Dirigenten selbst oder ihn wenigstens in der Fernsehübertragung sieht?) ein sehr schönes Liebesduett dirigierte und im Laufe des Abends immer feuriger und persönlicher wurde. Offenbar hat sich die berechtigte Wut darüber, immer nur ein Notnagel zu sein, bei ihm leistungssteigernd ausgewirkt. Angesetzt für die Fledermaus war nämlich Meister Karajan. Daß es ihn nicht freute, eine Ersatzvorstellung zu dirigieren, ist einzusehen. Daß er sich dieser Aufgabe entzog, widerspricht in unseren Augen seiner Pflicht und Schuldigkeit, die er früher schon bewies, sich selbst zu Ehren, dem Haus zum Ruhm.

AIDA am 3. Februar

Als Aida gastierte Gloria Davy. Ihre Stimme ist schön, tragend, erfüllt von Sinnlichkeit und wirkt nur ab und zu etwas unausgeglichen. Frau Davys Spiel ist dezent und musikalisch ausgerichtet. Ihre Erscheinung ihre weichen Bewegungen prädestinieren sie für diese Rolle. Den Radames sang Jon Vickers. Er war seit längerer Zeit der erste Interpret dieser Partie, der sich die Mühe machte, Pianostellen tatsächlich Piano, zu singen. Er hatte es mit seiner Riesenstimme dabei durchaus nicht leicht. Dennoch gewann sich Herr Vickers durch die sorgfältige Nuancierung und durch sein intelligentes Spiel schnell die Sympathien des Publikums. Die Amneris lag stimmlich bei Biserka Cvejic in den besten Händen. Die Stimme dieser jungen Künstlerin ist nicht nur schön, sondern besitzt auch die nötige dramatische Kraft. Frau Cvejic spielte allerdings in erster Linie eine höchst temperamentvolle, eifersüchtige Frau und erst so ganz im Hintergrund konnte man etwas von „Figlia dei faraoni“ erahnen. Dennoch, wer so singt und so strebsam wie Frau Cvejic ist, wird sich bald inniger mit dieser Rolle auseinanderzusetzen wissen. Aldo Protti war als Amonasro in gewohnt guter Form. Walter Kreppels Stimme wird immer schöner, das bewies er erneut in der Rolle des Ramphis. Frederick Guthrie sang den König recht gut, ohne die großen Erwartungen zu erfüllen, die man einst in diese Stimme setzte. Herbert von Karajan dirigierte. Diese Tatsache garantierte der Aufführung Sicherheit und Niveau. Die Wiener Philharmoniker spielten plattenreif. Diese weit über dem Durchschnitt liegende Aufführung wurde nur durch die zum chronischen Leiden gewordene Inszenierung beeinträchtigt, an die sich nur ein Blinder gewöhnen kann.

EUGEN ONEGIN am 4. Februar

An diesem Abend gab es neuerlich Umbesetzungen. Lenski – Waldemar Kmentt, der die Partie nicht nur auf die Stimme bedacht, sondern auch um Ausdruck bemüht sang und gelöst, sinnvoll und ohne Übertreibungen spielte. Neben ihm fiel Dietrich Fischer-Dieskaus schauspielerische Eigenwilligkeit noch mehr auf, als neben dem in der Darstellung eher passiven Anton Dermota. In Stimme und Phrasierung gab er sein Bestes. Dominierend abermals die Tatjana von Sena Jurinac und ebenfalls erfreulich der Gremin Walter Kreppels. Am Pult stand wieder Berislav Klobucar, der eine geschlossene Leistung bot.

DIE FLEDERMAUS am 5. Februar

Die Fledermaus, die Fledermaus. Diesmal klappte es, allerdings nur mit Müh und Not. Statt der erkrankten Hilde Güden übernahm Esther Réthy die Rosalinde mit ihrer gewissen Noblesse, die sie nach Jahren am Währinger Gürtel doch noch in die Oper passen ließ. Sie sah sehr gut aus, die Stimme hörte sich allerdings weniger gut an, schön war das Organ an sich ja nie. Die Höhe wird natürlich immer härter und greller, obwohl sie manchmal noch erstaunliche Töne hören läßt. Bis zum C hat Frau Rethy auch alles, das Csardas-D ließ sie vorsichtshalber aus. Immerhin war sie eine vertretbare Verlegenheitslösung.

Das kann man von Henricus Rootering vom Münchner Gärtnerplatztheater kaum behaupten. Seine Stimme wäre für das Raimundtheater besser geeignet, und sein Spiel zeigte durchschnittliches Operetten-Bonvivant-Getue. Wie unsere leitenden Herren auf Herrn Rootering gekommen sind, wird uns ein Rätsel bleiben. Eberhard Wächter ist zwar in dieser Rolle schwer zu entsetzen, doch Waldemar Kmentt, der bekanntlich ein guter Schauspieler ist (besonders, wenn er blödeln kann) hat immerhin mit Karajan die Schallplatte gemacht. Und sogar Rudolf Christ, ja selbst Kammerschauspieler Fred Liewehr singen weit besser als der Münchner Export. Wozu das ganze Spiel? Proben mußte ja dieser Gast auch. Er wird doch nicht etwa zu Okkasionspreisen erstanden worden sein? In dieser Nachbarschaft wurde Rita Streich sofort noch ein bißchen schlechter als sonst. Die Ehre der Damen rettete somit die umwerfend urwüchsige Elfriede Ott als Ida, (so eine war noch nie da.)

Bei den Herren brillierte Giuseppe Zampieri (obwohl er nicht gerade textsicher ist!) und natürlich die Herren Walter Berry und Erich Kunz, beide charmant und gut bei Stimme. Murray Dickie war ein lieber kleiner Orlofsky, mit tadellosem Schöngesang und einem beachtlichen russischen Akzent. (Es spricht für Herrn Dickies Sprachtalent, daß er als Schotte auch Deutsch mit einem russischen-Akzent zustande bringt.) Den Löwenanteil am Erfolg des Abends hatte Herbert von Karajan mit seinem schwungvoll-eleganten, aber entschmalzten Johann Strauß, und auf der Bühne Josef Meinrad als Frosch und das prächtige Ballett.

EUGEN ONEGIN am 6. Februar

An diesem Abend ging die fünfte und letzte Aufführung der Serie von Onegins innerhalb von zwei Wochen in Szene. War durch die Absage von Dietrich Fischer-Dieskau bereits die dritte Reprise gefährdet, so schien auch diese letzte Aufführung bedroht, nachdem Sena Jurinac am Aufführungstag mittags krank wurde und sich außer Stande sah zu singen. Zufällig weilte eine in Bonn engagierte Sängerin auf Urlaub in ihrer Vaterstadt und konnte der Staatsoper aus höchster Not helfen. Da hat unsere Pressekanzlei wieder einmal Glück gehabt, was die Verantwortlichen fälschlicherweise weiterhin im Glauben bestärken wird, sich in der Planung auf Gottes Güte verlassen zu können.

Gertrude Kirchner hieß die wagemutige Einspringerin, die einen ansprechenden lyrischen Sopran mit kräftiger Höhe besitzt und besonders in der Briefszene zu gefallen wußte. Frau Kirchner war in der Partie der Tatjana erstaunlich sicher, und von einer Debütantennervosität war ihr fast nichts anzumerken. Das Publikum, zuerst über die Absage von Sena Jurinac etwas abgekühlt, spendete der Sängerin denn auch herzlichen und lange anhaltenden Beifall. Dietrich Fischer-Dieskau verabschiedete sich mit diesem Abend (bis zu den Festwochen?) von Wien, vielleicht hätte er mehr als nur einen Achtungserfolg mit nach Hause getragen, wenn sein Onegin nicht von der Generalprobe weg bis zur letzten Reprise in jeder Aufführung an den gleichen Stellen die gleichen eigenständigen Bewegungen und Gesten gehabt, sondern von der Hand eines starken Regisseurs, wie er sie in Wieland Wagner, Rudolf Hartmann und Günther Rennert bereits hatte, beeinflußt worden wäre. Doch auch dies ist – wir erwähnten es schon in der Premierenkritik – eine Streitfrage. Waldemar Kmentts Lenski-Arie war diesmal durch ein starkes Tremolo gestört, Oskar Czerwenka sang den Gremin (diesmal ohne Hust-Einlagen), wiewohl dennoch nicht sehr erfolgreich. Hilde Konetzni, Hilde Rössel-Majdan, Biserka Cvejic und Peter Klein boten wieder ihre guten Leistungen, während Dagmar Hermann und Erich Majkut gegen ihre Vorgänger stark abfielen. Großartig war wieder das Ballett.

ELEKTRA am 7. Februar

Diese Aufführung unterschied sich nicht wesentlich von den vorhergegangenen dieser Oper in letzter Zeit. Christl Goltz sang ihre Standardversion der Elektra mit einigen forcierten Spitzentönen. Hilde Zadek war als Chrysothemis etwas schwächer als sonst und Georgine Milinkovic konnte als Klytämnestra absolut nicht überzeugen. Hans Hotter als Orest hatte einen großen Abend, besonders seine schauspielerische Leistung war kaum zu überbieten. Gerhard Stolze zeichnete einen profilierten Aegisth und war auch gesanglich in bester Verfassung. Das Mägdeensemble hielt sich besser als sonst. Heinrich Hollreiser brachte die Aufführung sicher über die Klippen.

GESCHLOSSEN am 8. Februar, Vorbereitung zum Opernball

OPERNBALL am 9. Februar

SALOME am 10. Februar

Das war eine schöne Aufführung unter der Leitung von Heinz Wallberg. Der Dirigent verstand es, trotz kraftvoller Entladungen stets die Durchsichtigkeit des Stimmengewebes zu wahren und wirkte durch sein Feuer und seine Begeisterung belebend und mitreißend. Christl Goltz, unsere Standard-Salome, die ihr 50. Wiener Auftreten in dieser Partie feierte, hatte in Hans Hotter den größten aller Jochanaans (und dies in jeder Hinsicht) zum Partner. Wie immer, wenn man Hotter längere Zeit in einer Partie nicht gehört hat, überrascht er durch neue Züge, neue Ausdrucksmöglichkeiten, neue Nuancen. Er fesselte den Hörer zum soundsovielten Male – es ist schwer, für diese Persönlichkeit die rechten Worte der Würdigung zu finden. Stimmlich war er ebenfalls großartig, seine mächtigen Töne (die „Geißel“) und intelligent gebauten Phrasen sind einmalig. Elisabeth Höngen sang eine hervorragende Herodias, Max Lorenz hatte als Herodes einen bemerkenswert guten Abend. Daß der Juwelenmonolog völlig untergeht, ist man nachgerade gewöhnt, aber sonst war alles da. Anton Dermota (Narraboth), Kurt Böhme (1. Nazarener) und Margareta Sjöstedt (Page) und das geradezu luxuriös besetzte Judenquintett (Peter Klein, Kurt Equiluz, Fritz Sperlbauer, Murray Dickie und Ludwig Welter) verdienen ebenfalls lobend erwähnt zu werden.

ANDREA CHÉNIER am 11. Februar

Diese Aufführung fand in Alberto Erede einen exzellenten musikalischen Leiter. Er hatte Schwung und Feuer und war nur zeitweise zu laut. Aber das ist wohl bei diesem Stück unvermeidlich – da es nicht gerade feinsinnig instrumentiert ist und bei dem Versuch, es durchsichtig zu machen, leicht langweilig wird. Allerdings hätten zu Eredes Interpretation lauter Riesenstimmen gehört – doch eine solche brachte nur Aldo Protti mit. Man konnte schon nach wenigen Takten feststellen, daß der Gerard zu jenen Partien zählt, in denen er kaum zu schlagen ist, wie als Amonasro und Tonio. Sein Riesenorgan wird mit geradezu umwerfender Dramatik eingesetzt, und die Charakterzeichnung ergibt sich ohne viel Dazutun aus dem Stimmlichen heraus. Da haben es die samtenen Edelstimmen und die profilierten Künstler sehr schwer dagegen. Giuseppe Zampieri übernahm, fast einspringend, die Titelpartie (für Jon Vickers) und berechtigte mit einem voll Gefühl und Ausdruck vorgetragenem Improviso zu den schönsten Hoffnungen. Beim Liebesduett und den vorhergehenden schönen Phrasen wischte ihn Erede leider von der Bildfläche. Das dürfte Zampieri nervös gemacht haben, und so traten musikalische Unsicherheiten zutage. Proben dürften ihm nicht zuteil geworden sein. „Si, fui soldato“ gelang gut, aber nicht mehr, ebenso die Kerkerarie. Beim Schlußduett erfolgte ein musikalischer Schmiß ersten Ranges, aber dann hielt sich Chénier bis zum Schlußton wieder ausgezeichnet. Wenn Zampieri die Partie zehnmal gesungen haben wird, bekommt die Sache garantiert ganz anderes Profil. Er braucht bekanntlich immer eine längere Anlaufzeit. Gerda Scheyrer war die verläßliche, schön und sicher singende Madeleine. Die Partie liegt ihr auch darstellerisch ausgezeichnet und ist zweifellos ihre beste italienische Rolle. Die erstklassige Studie der Gräfin in Gestalt von Elisabeth Höngen muß unter den kleineren Partien hervorgehoben werden. 

LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 12. Februar

In der reizenden Aufführung, deren szenische Gestaltung immer wieder Freude macht und die sich auch durch Alberto Eredes erstklassige Dirigentenleistung Elastizität und musikalisches Niveau bewahrt hat, erweckt die Angelina Christa Ludwigs stets die Bewunderung des Hörers. Sie singt mit Anmut und einer selbstverständlichen Gelöstheit und läßt die Koloraturen rollen wie eine gelernte italienische Spielaltistin. Bei der spektakulären Schlußarie mit Chor spürte man förmlich, wie das Publikum den Atem anhielt. Außerdem spielt sie ganz bezaubernd. Walter Berry war der einzige, der dieser Leistung mit seinem drolligen, mit Prachtstimme gesungenen Dandini nahekam. Die übrigen (Emmy Loose, Dagmar Hermann, Waldemar Kmentt, Karl Dönch und Ludwig Welter) boten ausgezeichnet eingespieltes Theater, aber keine stimmlichen Höhepunkte.

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 13. Februar

Die Meistersinger waren eine sparsame Angelegenheit (obwohl die Stimmung des Publikums eigentlich recht gut genannt werden konnte) – trotz zweier hervorragender Leistungen: Otto Wiener als gütiger, menschlicher und trotzdem mit viel Humor gesegneter Schusterpoeten und der überlegenen Pogner von Hans Hotter. Doch Hilde Zadek blieb als Evchen nicht viel mehr als routiniert. Sebastian Feiersinger, der sonst stimmlich immer recht sicher war, hatte als Stolzing einen schwachen Abend und sang sehr vorsichtig, wobei ihm trotzdem fast jeder Spitzenton abriß. Hilde Rössel-Majdan konnte mit einem ganz schönen Tremolo aufwarten und Karl Dönch zog seinen obligaten Beckmesserkasperl ab. Der große alte Ludwig Weber hatte als Kothner einen rabenschwarzen Tag. Man kam aus dem Zittern nicht heraus. Hat er das nötig? Das Risiko, daß ein alter Sänger schlecht ist, ist eben sehr groß, obzwar unsere Senioren manchmal noch überraschend gute Abende haben, doch dies ist eben ein Glücksspiel. Murray Dickies munterer David verdient noch, auf der Habenseite des Abends genannt zu werden, nicht jedoch die musikalische Leitung durch Heinrich Hollreiser, der für Langeweile sorgte, das will was heißen bei Meistersingern, die an sich gar nicht umzubringen sind. Und das an Wagners Todestag! Wahrscheinlich zum Zeichen der Trauer.

DIE VERKAUFTE BRAUT am 14. Februar

Smetanas Oper ging am Faschingsdienstag zur Freude von Jung und Alt über die Bühne der Staatsoper und wirkte wie immer frisch und unverbraucht wie am Premierenabend vor eineinhalb Jahren. In dieser prachtvollen Arbeit Günter Rennerts ist noch nichts abgespielt, nichts verschlampt, alles sitzt so großartig, daß man sich wünschen würde, daß auch alle anderen Repertoireaufführungen von der Aida bis zur Zauberflöte so klaglos ablaufen. Große Regisseure hinterlassen eben doch unauslöschliche Spuren in ihren Inszenierungen. Berislav Klobucar war der umsichtige musikalische Leiter der Aufführung, der guten Kontakt zwischen Bühne und Orchester hielt. Irmgard Seefried war eine Ohrenweide als Marie, schade daß sie schauspielerisch in jeder Aufführung die Kontrolle über sich verliert. Diesmal war auch ihr Hans (Waldemar Kmentt) ausgezeichnet disponiert und darstellerisch gelöst und frei, wie eben nur unter Rennert. Eine köstliche Studie: der Wenzel von Peter Klein. Oskar Czerwenka bot einen darstellerisch saftigen, wirklich mit allen Wassern gewaschenen Kezal, dem es leider gesanglich an satter Tiefe und einwandfreier Höhe mangelt. Ein Kabinettstück zeige Elisabeth Höngen als Ludmilla, ihre Mimik spricht Bände. Auch Hilde Rössel-Majdan und Hans Braun gefielen gut. Als Zirkusdirektor Springer hatte Erich Kunz erneut alle Lacher auf seiner Seite mit seinen eingelegten treffenden Spaßetteln. Das Ballett konnte unverändert als sehr gut, der Chor als zufriedenstellend bezeichnet werden. Das einzig Negative an dieser schönen Aufführung ist die textliche Neufassung von Kurt Honolka, die nicht nur die Zuhörer durch „Kinkerlitzchen“ und „Gulden“ statt Dukaten befremdet, sondern auch jede Solistenumbesetzung (ohne vorheriges Umstudieren des Textes) unmöglich macht.

LA TRAVIATA am 15. Februar

An diesem Abend bot Teresa Stich-Randall in der Titelpartie eine der negativsten Solistenleistungen dieser Saison. Ihr Neigen zum Portamentieren, Dehnen und Schleppen, das manirierte, schablonenhafte Spiel, die scharfen, schrillen Höhen bereiteten dem Besucher Qualen. Daß Tags darauf in einem Wiener Boulevardblatt zu lesen stand, diese Traviata wäre die beste seit langem gewesen, können wir nur als Faschingsscherz auslegen, oder vermuten, daß die an diesem Tag stattgefundene Sonnenfinsternis auf Gesicht, Gehör und Gemüt des Rezensenten (der übriges Karajans Silvester-Fledermaus langweilig fand!!!) ihre Schatten geworfen hatte. Claude Heater als Vater Germont schloß sich diesem niedrigen Niveau in falsch angebrachter Kollegialität an. Er brachte für die Figur nur seine gute Erscheinung (er war bekanntlich der Christus im „Ben Hur“-Film) mit. Da aber diese Partie des Belcanto bedarf, über das Heater keinesfalls verfügt, glitt die Arie dorthin, wo die große Gefahr liegt: zum Werkelmannstil. Germonts Sohn Alfredo, verkörpert von Anton Dermota, der seit langer Zeit in dieser Rolle nicht zu hören gewesen war, bewältigte seine Aufgabe mit bewundernswerten Elan und konnte – ohne ein italienisch geschulter Alfredo zu sein (die Schluchzer klangen ausgesprochen deutsch) dennoch sehr beeindrucken. Alberto Eredes Traviata-Konzept wurde durch die Sängerin der Titelpartie aus dem Geleise geworfen und fiel der Sentimentalitätswalze Frau Stich-Randalls zum Opfer. Die Niederlage mußte Verdi tragen.

DON CARLOS am 16. Februar

Eine Repertoireaufführung von überdurchschnittlicher Qualität. Christl Goltz, sicher nicht der Idealtyp der Elisabeth, wußte auch diesmal dank ihrer Intelligenz und dem sorgfältigen Einsatz ihrer Stimme zu überzeugen. Erstklassig, wenn auch manchmal ein wenig zu kühl für die leidenschaftliche Eboli: Christa Ludwig. Den Don Carlos sang Giuseppe Zampieri und begeisterte das Publikum nicht nur mit seiner prachtvollen Stimme, sondern auch mit der nicht minder schönen Phrasierung. Kostas Paskalis sprang für Aldo Protti ein. Jedenfalls ein Ersatz, mit dem man zufrieden sein konnte. Schon allein vom Aussehen her entsprach er der Figur und blieb der Partie auch stimmlich nichts schuldig und erntete verdienten Beifall. Paul Schöffler, der Senior der Baritone der Wiener Staatsoper, sang den Philipp und ließ wieder kraft seiner starken Persönlichkeit vergessen, was seine Stimme der Zeit an Glanz opfern mußte. Ludwig Welter blieb als Großinquisitor leider farblos. Das Drum und Dran dieser Inszenierung wird im Mai umgekrempelt werden (die Bühnenbilder kommen von der Mailänder Scala), sodaß wir uns die Seufzer darüber ersparen können. Berislav Klobucar am Pult gab sich mit Orchester und Sängern erfolgreich alle Mühe.

BALLETTABEND am 17. Februar

LA TRAVIATA am 18. Februar

An diesem Abend war das Team Eva Likova, Giuseppe Zampieri, Kostas Paskalis eingesetzt. Eva Likovas Stimme klingt nicht mehr gerade taufrisch, doch wurde dieses Manko durch Musikalität und künstlerische Disziplin ausgeglichen. Am besten gelang der dramatische Ausbruch des dritten Aktes, den jetzt auch Giuseppe Zampieri (der ausdrucksmäßig und stilistisch hervorragend genannt werden kann) nun bereits voll ausfüllt. Die Vorschlagsnoten des Trinkliedes seien ihm zum intensiveren Studium angeraten, dann könnte dieser Alfredo mit dem Prädikat „erstklassig“ bezeichnet werden. Kostas Paskalis als Vater Germont ging zu rauhbeinig an die Rolle heran, wir hatten ihn schon kultivierter gehört. Das Niveau der Traviata wurde von Berislav Klobucar umsichtig behütet.

ARIADNE AUF NAXOS am 19. Februar

Unter Berislav Klobucars kompakter und sicherer Stabführung steht das köstliche Werk weiterhin laufend auf dem Spielplan – anscheinend nur deshalb, weil Consuela Rubio infolge der Sparmaßnahmen ihre Abende zum Leidwesen des Publikums absingen muß. Die Liebhaber und Feinschmecker allerdings blieben dem Hause fern, denn ein Mezzo in der Rolle widerspricht den Intentionen des Komponisten. Was nützt die breite, schöne, dunkle Mittellage, was nützt die pastose Tiefe, um die Frau Rubio von manchem Contraalt beneidet werden kann, wenn die Sängerin und das Publikum schon beim G Angstzustände bekommen? Nun, Gott sei dank, es passierte nichts, wenn auch die scharfen und gequälten Höhen keinen Ohrenschmaus ergaben. Den Bacchus sang James McCracken. Seine Stimme bringt den erforderlichen heldischen Glanz für den Gott mit. Er ist stimmlich ein so ausgezeichneter Bacchus, daß man ihm vielleicht doch ein vorteilhafteres Kostüm verpassen könnte! Er fühlt sich am wohlsten in jenen stimmlichen Lagen, wo Frau Rubio zu beben beginnt. Bevölkert wurde die Insel Naxos weiters von Mimi Coertse, die als Zerbinetta neuerlich dokumentierte, daß auch sie leider in die Kategorie der Steckengebliebenen zu gehören scheint, und sich die Vorschußlorbeeren nun als verfrüht erweisen. Ihre Stimme klang in letzter Zeit nur selten rein und bekommt einen leicht vulgär klingenden Anstrich. Außerdem scheint es, daß die Sängerin nur wenig Zeit und Pflichteifer fürs Rollenstudium an den Tag legt, denn das Vergessen des Textes in der großen Arie wird zum Dauerzustand, ebenso wie das vergebliche Nach-Luft-Schnappen. Man singt an der Wiener Staatsoper keine Partien, die man nicht beherrscht, das möchten wir uns schon ausgebeten haben. Für die heiteren Episoden auf Naxos sorgten Erich Kunz, der zum Unterschied von Frau Coertse mutig die Höhenklippen seiner Partie anging und auch erklomm, Murray Dickie, Ludwig Welter und Kurt Equiluz. Von den am Anfang und Ende der Oper auftretenden Damen überragte Hilde Rössel-Majdan ihre Kolleginnen Liselotte Maikl und Anny Felbermayer.

Im Vorspiel erregte Karl Dönch als Musiklehrer Heiterkeit durch die Ungenauigkeit der Notenwerte. Das dürfte einem Musiklehrer ja wirklich nicht passieren. Irmgard Seefried legte viel Idealismus und Begeisterung in die Rolle des Komponisten, doch hatte auch sie nicht den besten Tag, weder in gesanglicher noch in musikalischer Hinsicht. Ein Abend, der treffend das derzeitige Routine-Mittelmaß der Staatsoper charakterisierte, über das wir uns – mit Recht – ärgern. Die Reaktion beim Publikum: kein Widerhall.

CARMEN am 20. Februar

Die Carmen hatte einige sehr schöne Gesangsleistungen aufzuweisen, während die Gestaltung der Rollen größtenteils im Konventionellen steckenblieb. So bei Giuseppe Zampieri, der eine herrliche Blumenarie mit einem endlosen b sang und sich überhaupt als stimmlich hervorragend und durchschlagskräftig erwies, bei Biserka Cvejic, die die Partie ausgezeichnet sang und ihr schönes Organ in Höhe und Tiefe gleich sicher einsetzte. Das Kunststück, die Carmen elegant zu singen und nicht vulgär zu spielen, bringt jedoch leider nur die Simionato fertig, und eine Salonschlangenauffassung wie Regina Resnik paßt nicht zu Frau Cvejic. Aber immerhin ist hier Konvention mit schönem Gesang noch weit besser als Sex-Walze mit Gebrüll. Otto Wiener, der sich auf der Bühne sehr temperamentvoll bewegte, hatte beim Torrerolied zu kämpfen. Es ging ihm so wie vielen seiner Kollegen. Bei den tiefen Tönen rutscht die Stimme in den Hals, und die Höhen wollen dann nicht ganz sicher kommen. Dafür entschädigte er im dritten Akt durch saubere Spitzentöne. Traute Richter, die als Micaela einsprang, sang in abscheulichem Französisch, mit dünner, zittriger Stimme und viel Betulichkeit. Diese Partie, zum Aufbauen geeinigt und schnell zu lernen, wäre zweifellos etwas für die sehr begabte Gundula Janowitz. Die Comprimarii traten in der Standardbesetzung Lotte Rysanek, Hilde Rössel-Majdan, Claude Heater, Frederick Guthrie, Murray Dickie und Harald Pröglhöf an. Heinrich Hollreiser am Pult bewies, daß er mit der Carmen nichts anzufangen weiß. Er bemühte sich um Durchsichtigkeit, aber es wurde nur ein langsamer Brei daraus, im Gegensatz zum sonstigen schnellen. Immerhin dokumentierte er einen Ausbruch von Geistesgegenwart: er korrigierte einen falschen Einsatz von Frau Cvejic bei der Habanera, wobei es ihm durch heftigen körperlichen Einsatz wirklich gelang, das Orchester über den Takt hinüberzureißen, was wir nicht zu erwähnen vergessen wollen. 

FIDELIO am 21. Februar

Weil die Wiener Staatsoper keinen Tamino hatte, mußte die Zauberflöte abgesagt werden (!). Wenn die Verantwortlichen uns an Eidesstatt versichern können, daß auch dieses Armutszeugnis durch das Sparen nötig wurde, beginnt der gesamte Stehplatz garantiert vor Rührung zu weinen! Bis dahin aber sind wir wütend. Man gab statt dessen einen Not-Fidelio – und genau so repräsentierte er sich auch. Keine einzige Leistung kam über das Mittelmaß hinaus. Die Leonore sang Hilde Zadek. Das Positivum an ihrer Leistung war ihr Bemühen und ihre Musikalität, zwei Pluspunkte, die Frau Zadek einigen Fachkolleginnen voraus hat. Ihr Stimmtimbre allerdings eignet sich überhaupt nicht für die Leonore, und noch weniger kommt das larmoyante Spiel der Figur nahe. Josef Gostic wurde nach längerer Zeit in einer Hauptrolle herausgestellt. Im großen und ganzen gesehen, bot er eine akzeptable stimmliche Leistung. Warum er mit italienischen Schluchzern in der Arie aufwartete, weiß allerdings kein Mensch. Darstellerisch hinterließ er einen traurigen Eindruck und glich eher einer Persiflage des in Ketten schmachtenden Florestan. Das weitere Ensemble bildeten der sich um Ausdruck bemühende Otto Wiener als Pizarro, Kurt Böhme als Rocco, Frederick Guthrie als Minister, Peter Klein als Jacquino und Irmgard Seefried als Marzelline. Berislav Klobucar war sichtlich froh, schnell und möglichst unfallfrei über die Distanz zu kommen, was ihm auch weitgehend gelang.

MADAME BUTTERFLY am 22. Februar

Diese Aufführung zeigte in den Hauptpartien die gleiche Besetzung und musikalische Leitung wie am 2. Februar und wiederholte die selben Leistungen. Abermals erfreute Giuseppe Zampieri die Zuhörer mit Phrasierung und Timbre, während Phyllis Curtin mit Technik und Musikalität die Gefühlswelt unterkühlte, wie ein Frigidaire, made in America, seinen Inhalt vor jeder Wärme zu bewahren weiß. Kostas Paskalis – wie gehabt. Nach fünf Vorhängen der Eiserne.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 23. Februar

Die Aufführung litt ein wenig unter der Abwesenheit des größten Teiles der Philharmoniker, obwohl sich Heinz Wallberg am Pult um eine dem Wiener Niveau entsprechende Mozartinterpretation weitgehend bemühte, und eine gute Besetzung zur Verfügung stand. Graziella Sciutti wirkte förmlich hineingeboren in das Wiener Mozartspitzen-Ensemble, ihre Rosenarie ist eine wahre Delikatesse für den Kenner. Gerda Scheyrer sang die Gräfin schön, in der Darstellung ist aus der Rosina aber noch keine Gräfin geworden. Und einen eventuell sich einschaltenden Regisseur, der der immer treu und brav zum Einspringen bereiten Sängerin auch wirklich helfen würde, besitzen wir leider nur auf dem Papier. Margareta Sjöstedt hat gesanglich zum Mozartstil gefunden, doch gestaltungsmäßig liegt ihr Cherubino zu nahe dem Kasperl, aber auch dies rührt keinen Hausregisseur. Eberhard Wächter und Erich Kunz präsentierten ihr bekannt hohes Niveau, von Publikum gewürdigt und akklamiert. Die Comprimarii, Ballett und Chor trugen das Ihre zur guten Ensembleleistung bei.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 24. und 28. Februar

Die Karmeliterinnen sind trotz ihrer für ein modernes Werk äußerst langen Spieldauer an der Wiener Oper noch immer hörens- und sehenswert. Die Besetzung ist – vor allem in den Frauenrollen – noch dieselbe wie bei der Premiere vor zwei Jahren. Es ist interessant zu erleben, wie sich im Lauf der Zeit das Verhältnis Künstler zur Rolle entwickelt, wie der Sänger, nun ohne Überwachung durch den Regisseur, in eine Rolle hinein- bzw. aus ihr herauswächst. Nicht im geringsten verändert haben sich: Elisabeth Höngen als Priorin. Ihre Rollengestaltung ist nach wie vor erschütternd und läßt sogar den verschlafenen Dirigenten vergessen. Anneliese Rothenbergers Schwester Constance ist, so wie bei der Premiere, noch immer von gleicher Herzlichkeit, lebenslustig und doch jederzeit zum Tod bereit, wenngleich diesmal nicht ganz so makellos gesungen, wie wir es von ihr gewöhnt sind. Auch unverändert gleich geblieben ist Hilde Zadek. Gut bürgerlich, erinnert sie an eine Glucke, die bemüht ist, alle Kücken unter ihre Flügel zu bringen. Mit Christl Goltz ist eine Änderung vorgegangen. Ihre Mutter Maria ist lange nicht mehr so aggressiv wie einst, sehr zum Vorteil. Verändert hat sich auch Irmgard Seefried als Blanche de la Force. Leider nicht zum Vorteil der Rolle. Sie ist ihr entwachsen. Das ist nicht mehr die kleine, von Todesangst gejagte Blanche, sondern (z.B. in der Szene mit Constance) ein äußerst aggressives, zänkisches Geschöpf, das bloß seine Launen an den Mitschwestern abreagiert. Bei den Herren sieht es schlechter aus. Einzig Murray Dickie als Chevalier de la Force singt seine Rolle gut und spielt sie auch passabel. Anton Dermota war in der Aufführung am 28. als Beichtvater gut, während in der ersten Aufführung Laszlo Szemere, ebenso wie Claude Heater (Vater der Blanche) für das sogenannte Charakterfach nichts mitbringen, als den dazu scheinbar unbedingt erforderlichen Stimmangel. Der junge Heater fühlt sich in den Altväterrollen alles andere als wohl und Szemere spielt mehr als unpriesterlich. Man glaubt ihm nicht einmal die Verstellung im letzten Bild. Heinrich Hollreiser ließ in der ersten Aufführung das Orchester zwei Akte lang träge dahinduseln, erst im dritten Akt war lebendige Musik aus dem Orchesterraum zu hören, während er am 28. Februar einen weit besseren Abend hatte.

Leider war der Besuch der Aufführungen alles andere als gut. Es ist doch recht merkwürdig, eine Oper mit wenig Publikumsinteresse zweimal hintereinander anzusetzen. Aber hier „biegen“ eben eine Reihe von Sängerinnen ihre Abende im Zuge der Sparmaßnahmen rasch ab.

LA BOHEME am 25. Februar

Es gibt kaum eine Opernvorstellung, die vom Anfang bis zum Ende so schwimmt, wie die Boheme. Ein mitlesender Dirigentenschüler oder sonstiger Genauigkeitsfanatiker muß Anfälle bekommen, wenn er einen Blick in die Partitur tut. Es ist nicht nur der Chor allein! Die vier Bohemiens im ersten Akt sind fast nie beisammen, wobei nicht einmal unser Zamperl, der manchmal mit dem Takt ein wenig frei ist, sondern unser Baron Wächter am leichtesten aus dem Tritt gerät. Dabei dirigierte Berislav Klobucar sehr sicher und mit ganz normalen Tempi. Es ist unerklärlich. Wie wäre es, wenn man einmal probieren würde? Soweit uns bekannt ist, kostet dies nur Schweiß und Fleiß, jedoch kein Geld!

Das Publikum stieß sich nicht an der mangelnden Perfektion, sondern hielt sich an Gefühlswerte. Die allerdings hatte die Boheme in reichem Maße zu bieten: ein  poetisches Liebespaar, stimmlich bestens aufeinander abgestimmt und mit herrlichen Stimmen – Hilde Güden und Giuseppe Zampieri. Mit dem C am Schluß des ersten Aktes tat sich der Tenor schwer (er ist nicht der Einzige!), aber besonders schön gelang der dritte Akt und sehr innig die Szene im vierten. Ein vitaler, eleganter, charmanter Marcello erfreute in Gestalt von Eberhard Wächter. Mimi Coertse als Musetta war nur im vierten Akt recht gut, sonst klang ihre Stimme scharf, spitz und grell. Die einst vielversprechende Sängerin dürfte das Heer der an der Staatsoper Steckengebliebenen vermehren. Ludwig Welter (Colline) sang gut, Hans Braun (Schaunard) gerade noch zureichend. In Episoden gefielen Peter Klein und Laslo Szemere.

FIDELIO am 26. Februar

An diesem Abend wurde Joseph Keilberth vom Publikum freudig am Dirigentenpult begrüßt. Man hatte ihn schon lange Zeit vermißt, und er war es auch, der an der Spitze der Wiener Philharmoniker, welche eben von einer erfolgreichen Kurztournee heimkehrten, endlich einen Lichtstrahl in den grauen Opernalltag des Monats Februar brachte. Nach wenigen Takten schon war der Funke vom Dirigenten auf das Publikum übergesprungen, und das prächtige Musizieren tat ein übriges, den Abend über den Alltag hinauszuheben. Keilberth nahm breite Tempi und legte viel Wert auf ein durchschlagskräftiges Blech, wodurch eine festliche Note sich bemerkbar machte. Auf der Bühne hatte Anton Dermota einen großartigen Abend als Florestan. Vom ersten bis zum letzten Takt seiner Partie war er bei voller Stimme und das schöne Metall seines Organs kam voll zur Geltung. Mit Christl Goltz’ erstem Akt war man zufrieden, weniger mit dem zweiten, wo sich Schwierigkeiten in der Intonation bemerkbar machten. Otto Wiener gab sich als Pizarro voll aus, seine Höhen kamen mühelos über das Orchester. Otto Edelmanns Rocco wirkte beamtenhaft, unbedeutend, seine Prosa schauerlich. Das Buffopaar wurde von Anneliese Rothenberger, deren Stimme diesmal nicht glockenrein klang und dem liebenswürdigen Murray Dickie gut verkörpert. Frederick Guthrie vervollständigte mit weicher Stimme als Minister das Ensemble. Keilberth gelang es endlich einmal, das Stammpublikum ins Haus zu locken, welches gerechterweise ihn selbst und Anton Dermota am meisten bejubelte.

DON GIOVANNI am 27. Februar

Dieser Don Giovanni war recht gutes Repertoire, von den Sängerleistungen her gesehen, sogar weit mehr. Eberhard Wächters vielgerühmter Giovanni, ein prächtig disponierter Waldemar Kmentt, der beide Arien diesmal wirklich ausgezeichnet sang, Erich Kunz stimmlich gut und schauspielerisch manchmal übertreibend. Guter Durchschnitt: Frederick Guthrie (Komtur); etwas zu Piano: Kostas Paskalis (Masetto). Bei den Damen waren Wilma Lipp und Hilde Güden ausgezeichnet. Phyllis Curtin, schauspielerisch so gut wie nicht vorhanden, stimmlich Mittelmaß. Die musikalische Leitung hatte erstmals in Wien Joseph Keilberth übernommen. Es war eine Wohltat nach all den vergangenen Hollreiser-Giovannis, ohne das Wiener Ideal zu erreichen. Schon bei der Ouvertüre merkte man’s. Es brauchte einige Allegro-Takte, bis sich unsere gottlob wieder anwesenden Philharmoniker und der Dirigent aneinander gewöhnt hatten. Das mittlere Tempo, das als Kompromiß gewählt und konstant durchgehalten wurde, wäre für einen deutsch gesungenen Mozart gerade recht gewesen. Für die italienische Sprache war es zu langsam, und dieser Giovanni wirkte daher etwas schwerblütig. Aber es war, nehmt alles nur in allem, doch Mozart und das war schön. Eines allerdings störte: Wir haben es erfreulicherweise vor einiger Zeit zu einem Cembalo als Begleitung der Rezitative gebracht, leider war diesmal wieder ein Klavier im Orchesterraum. Zu allem Überfluß wurde auch noch mehr als miserabel darauf gespielt. War das der Wunsch des Dirigenten oder eine Sparmaßnahme? Hat man uns etwa das Cembalo gepfändet oder sind auf dem Klavier hackende Korrepetitoren billiger? Dann wollen wir natürlich nichts gesagt haben.

DIE GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN am 28. Februar

wurde mit der Aufführung vom 24. Februar besprochen

 

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