DER MÄRZ 1961
6. Jahrgang, Heft 4
Noch kein Frühlingserwachen.
Es bedarf nur einiger Aufblendungen, um die derzeitige merkwürdige Situation der Wiener Oper zu beleuchten. Man mußte sich nur die Menschenschlangen betrachten, die sich bei der Fledermaus und den sonst spärlich gesäten Karajan-Repertoireabenden Rheingold und Carmen an allen Kassen drängten und die Lethargie, mit denen an den meisten anderen Abenden die Abonnenten in die Oper schlichen.
Ein anderes bemerkenswertes Symptom: Leere Stehplätze an den uninteressanten Abenden und ein gestrichen voller Holländer mit einem Gastdirigenten aus Bielefeld (Berhard Conz)! Ein klarerer Beweis für die vielen mangelhaften Dirigenten-Leistungen ist doch wohl nicht denkbar!
Wir können uns des Eindruckes nicht erwehren, daß Meister Karajan sich ernsthaft mit dem Gedanken an den zukünftigen Generalsekretär befassen sollte. Vielleicht könnte er auf das etwas snobistische Unterfangen, im Burgtheater bei der Egmont-Premiere die Bühnenmusik mit den Wiener Philharmonikern zu spielen, verzichten und die freie Zeit darauf verwenden.
Die Aktion Sparefroh ist theoretisch – nämlich was die Spitzensänger betrifft – in vollem Gange. In der Praxis sieht das so aus, daß etwa in der Karwoche von Montag bis Donnerstag täglich ein Gast zu hören war. Montag: Randolph Symonette als Pizarro, Dienstag: Ingeborg Exner als Senta, Mittwoch: Barry Morell als Rodolfo, Donnerstag: Norman Mittelmann als Onegin. Wir hoffen, das langt. Kosten gastierende Durchschnittssänger eigentlich nichts?
LA TRAVIATA am 1. März
Unter dem Motto „Durchschnittsoper für Einheimische“ setzte die Wiener Staatsoper innerhalb kurzer Zeit die dritte Traviata-Vorstellung an. (Damit Phyllis Curtin ja keinen Abend verliert! Sie wird nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten mit dem Etikett „Staatsoper Wien“ versehen, besser ins Geschäft kommen. Deshalb ertrug sie auch würdig das keineswegs erfreuliche Schicksal eines Mauerblümchens.) Phyllis Curtin sang einen unerfreulichen ersten Akt, wobei man einige Einsätze vermißte, bzw. sie einige Stellen einfach ausließ („Quell’amore“). Die darauf folgenden Akte gelangen ihr besser, aber kein Funken von Gefühl oder Anteilnahme sprang auf das Publikum über. Alles war aalglatt und konventionell uninteressant. Ihr Partner war Giuseppe Zampieri, der mit gewohnter Sicherheit die Rolle kultiviert sang. Leider wurde er durch seine Partnerin zur Schlamperei verleitet, denn nicht nur sie, sondern auch er verschluckte einen ganzen Takt (im ersten Akt). Kostas Paskalis war als Vater Germont rauh und ein typischer Vertreter des Durchschnittsmaßstabes, der sich mehr und mehr in unserem Hause breit macht. Wilhelm Loibner dirigierte korrepetitorenhaft. Er radelte die Partitur herunter, nahm aber dabei Rücksicht auf die Sänger. Das zahlreiche englisch sprechende Publikum zollte der Amerikanerin Beifall, das einheimische spendete mit Recht den doppelt starken Applaus für Giuseppe Zampieri und schlich dann enttäuscht nach Hause.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 2. März
Diese Aufführung ging vor vollem Haus (Gewerkschaftsbund) in Szene. Trotz einer guten Ensembleleistung war die Stimmung im Haus flau, denn das Stammpublikum blieb wie so oft in letzter Zeit ferne. Das ist darauf zurückzuführen, daß diese Treuesten der Oper das Haus wegen der Besetzung beispielsweise einer Senta oder der musikalischen Leitung der Aufführung meiden und auf „bessere Zeiten“ warten. Den dafür Verantwortlichen mag dies eine Mahnung sein, denn nun ist bereits der Zustand eingetreten, daß die Sänger darüber klagen, daß im Haus an vielen Abenden einfach trotz hervorragender Leistungen wenig Echo ist. In dieser Aufführung war wiederum Otto Wiener der Interpret der Titelpartie. Er sang einen klug aufgebauten Monolog und erreichte wie in allen Aufführungen seinen Höhepunkt in dem großen Duett mit Senta und im dritten Akt. Senta sang Hilde Zadek in guter Disposition und mit zuviel Larmoyanz. Weder ihre Ballade noch ihr Leiden konnte die Zuhörer erschüttern. Großartig wieder Fritz Uhl. Er ist der beste Erik, den wir im neuen Haus gehört haben, schauspielerisch überzeugend und gesanglich makellos. Kurt Böhme sang einen prächtigen Daland, und Karl Terkal war als Steuermann wirklich ausgezeichnet. Es ist seine beste Partie, schade daß er seinen so oft beanstandeten Sprachfehler nicht wegbringt. Man hat sogar das Gefühl, der wird immer ärger. Heinrich Hollreiser war der musikalische Leiter der Aufführung, der im großen und ganzen überraschend gut war. Der Männerchor klang diesmal nicht berühmt, ein Chormitglied wollte sich unbedingt solistisch betätigen, was unüberhörbar war.
LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 3. März
Daß Christa Ludwig zu den ersten Künstlern der Welt in ihrem Fach zählt, ist bekannt. Daß sie sich mit dieser Feststellung noch immer nicht zufrieden gibt und immer noch weiter an sich arbeitet, scheint weniger bekannt zu sein, denn sonst würde mehr Publikum ins Haus strömen. Es würde dies nicht zu bereuen haben, denn Christa Ludwigs Angelina muß man mehr als einmal gehört haben. Sprachen wir schon öfter mit größter Bewunderung von dieser phänomenalen Leistung, so fehlen uns jetzt einfach die Worte, um sie in dieser Rolle beschreiben zu können. Von Mal zu Mal fällt dem Besucher die Vollendung aufs Neue auf und jedes Mal geht er mit dem Gefühl nach Hause, daß er sie so wie heute noch nie gehört habe. Nach der großen Koloraturarie, die sie makellos und in allen Lagen gleichmäßig und scheinbar mühelos singt, bleibt auch dem geeichtesten Opernbesucher der Mund offen, ein Zeichen einer unüberbietbaren und unwahrscheinlichen Gesangskoloratur. Um sie gruppieren sich Walter Berry als ebenfalls koloraturengewandter, spielfreudiger Dandini, der weniger koloraturensichere Waldemar Kmentt, der aber besser als sonst bei Stimme war, weiters die bösen Schwestern Emmy Loose und Dagmar Hermann, der Spielregisseur Ludwig Welter und Karl Dönch (als Schauspieler). Am Pult waltete mit Sorgfalt Peter Ronnefeld, der aufmerksam die Sänger begleitete und geschickt die nicht vorhandenen Höhen des Herrn Dönch orchestral kaschierte. Dafür zollen wir ihm unseren Dank.
DIE FLEDERMAUS am 4. und 13. März
Sie unterbrachen als typische Gala-Vorstellungen (man sieht, nicht nur die Premiere war eine solche!) das Opernallerlei und boten kultivierte Unterhaltung bei hohem Niveau. Der Mittelpunkt der Abende hieß – das hat sich jetzt schon herauskristallisiert – Gabriel von Eisenstein. Eberhard Wächter ist in dieser Partie einfach umwerfend, er zieht alle Register, sprüht vor Charme und Laune und beherrscht Bühne und Publikum. Er wird wirksam kontrapunktiert von Walter Berry als bürgerlichem, behäbigerem, augenzwinkernd intrigierendem, kraftvollem Dr. Falke, und Erich Kunz in seiner wohl derzeit besten Rolle als Herr Gefängnisdirektor Frank. Umrahmt von zwei bezaubernden Damen: Von Hilde Güdens Rosalinde, charmant, damenhaft, mit dezentem Humor und herrlicher Stimme (das Uhrenduett ist ein Höhepunkt an Koloraturgefunkel) und Anneliese Rothenberger als Adele, der Sängerin, die der Premiere noch zur absoluten Vollendung gefehlt hat. Sie schließt (natürlich ohne jegliche Proben!) vollendet die Lücke im Ensemble, sie spielt ein Edelstubenkätzchen eines Nobelhaushaltes auf die subtilste Art und entfaltet besonders bei den beiden Arien wahre Charme-Feuerwerke. Auch stimmlich ist sie natürlich besser, als ihre Vorgängerin, wenngleich sie durch eine offenbar hartnäckige Erkältung etwas an der Entfaltung ihrer Stimme gehindert ist. Aber immerhin war alles sicher da, und man muß der Künstlerin besonders dankbar sein, daß sie ihre Verpflichtungen an der Oper trotzdem so gewissenhaft einhält. Immer wieder bedauert man es, daß Giuseppe Zampieris edelstimmiger Alfred im zweiten Akt nichts zu tun hat. Die beiden Abende unterscheiden sich nur im Orlowsky – zuerst Murray Dickie, dann Gerhard Stolze –, wobei Stolzes schärfere und härtere Gestaltung in Vergleich unendlich viel gewonnen hat. Hausherr Herbert von Karajan betrachtet die Fledermaus offenbar als Erholung. Er dirigiert sie aus dem Handgelenk, legt leger die Beine auf das Pult, läßt die Staberln oft unbenützt darauf herumkugeln, entschließt sich nur hin und wieder zu ein paar großen, ordnenden (das ist dann auch meist nötig!) Armbewegungen und lacht so wie das ganze Haus über Josef Meinrads Super-Frosch.
DER ROSENKAVALIER am 5. März
Dem hiesigen Opernpublikum liegt die wienerischste aller Opern sehr am Herzen. Umso betrübter und verärgerter war es nach dem Fallen des Schlußvorhanges an diesem Abend. Dabei gaben sich die Philharmoniker und auch Heinrich Hollreiser redliche Mühe. Einige Stellen, vor allem der Schluß des dritten Aktes, hatten orchestrale Spannung und Tonschönheit, wie ihn kein anderes Orchester auch nur annähernd zustande bringen kann. Und doch fehlte das Herz der Oper, der Quinquin war nicht da. Lilian Denningsen, zwar von Geburt Wienerin, brachte nichts für den Oktavian mit. Ihr linkisches, teilweise ungeschicktes Spiel (wie kann doch nur der Oktavian so ungalant seine Nase in die Rose stecken!) entbehrte jeder Poesie. Außerdem besitzt die Sängerin eine scharfe, spitze Stimme, die allerdings für Charakterrollen wie die Marzelline oder die Hexe in Humperdincks Oper geradezu prädestiniert erscheint. Durch das Stimmtimbre allein hätte dieser Oktavian so gut wie keine Chancen bei der Damenwelt der Oper gehabt. Umrahmt war Lilian Benningsen von der konventionellen Marschallin der Hilde Zadek und Otto Edelmann als Ochs, der an diesem Abend äußerst phlegmatisch die Rolle pflichtbewußt sang. So blieb einzig und allein Anneliese Rothenberger als Sophie, die die Fahne der Wiener Oper hochhielt. Ihr anmutiges Spiel, ihre bezaubernde Erscheinung überstrahlte das Niveau der anderen um eine ganze Klasse. Unter dem Maß der Mittelmäßigkeit lagen die Chargenrollen von Hugo Meyer-Welfing (Haushofmeister bei der Marschallin), dessen Nichtstimme nur den Ruf nach schleunigster Pensionierung auslöst, und Dagmar Hermann als Annina, die erst dann den „Herrn Kavalier“ herausbrachte, nachdem der Souffleur bis in den letzten Winkel der Galerie zu hören war. Wenn man schon alte Stimmen mitschleppt, darf man doch wenigstens Textsicherheiten bei ihnen voraussetzen. Oder sollen wir das nächste Mal Dagmar Hermann von der Galerie herunter die berühmte Stelle ins Gedächtnis rufen? Erich Kunz als Faninal kaschierte wenigstens durch köstliche Charakterisierung seine nicht vorhandenen Höhen, und Karl Terkal sang den Sänger mit der ihm eigenen stoischen Ruhe und Gelassenheit. Gelassen und stoisch klatsche das Publikum den üblichen Anstandsapplaus. Nach ganz wenigen Schlußvorhängen hatte es bei der Garderobe den Abend bereits vergessen.
LA BOHEME am 6. März
Was eine Umbesetzung doch vermag! Eine Aufführung, die man auf Grund des Wochenspielplan gemeldeten Dirigenten nur „dienstlich“ besuchte, wurde zu einem festlichen Abend, den man gerne in Erinnerung behält. Durch den Dirigentenaustausch war der einzige schwache Punkt entfernt (Ernst Märzendorfer), und es herrschte eitel Wohlklang. So dankbar wie diesmal war Nello Santi wohl noch selten in Wien begrüßt worden. Und er machte seine Sache gut. Er führte die Sänger sicher über alle Einsatzklippen, der Chor klappte prächtig (bis auf eine deutliche Unsicherheit der Herren im dritten Bild), und überdies entlockte er der sehr zahlreich im Orchesterraum vertretenen Jugend philharmonischen Wohlklang. Bloß die Harfe zupfte einmal – da aber unüberhörbar – daneben, und das ausgerechnet in Rodolfos Arie. Langsam gewöhnt sich Nello Santi an unser Haus. Er ist nicht mehr so laut wie früher, liebt allerdings nach wie vor kräftige Farbakzente – dabei verhindert er bei Puccini das Ertrinken im Strom der Rührseligkeit. Die Sänger schienen sich unter Nello Santi Leitung wohlzufühlen. So hörte es sich zumindest an. Aber es war auch ein prächtiges Team, das da auf der Bühne stand. Das Herrenquartett (die Damen mögen verzeihen) muß zuerst genannt werden, denn diesmal trat der seltene Fall ein, daß es wirklich ein Quartett war. Zu den bewährten Wienern: Giuseppe Zampieri, dessen Stimme immer schöner wird und der immer mehr auf Sprache und Gestaltung Wert legt, als Rodolfo, Eberhard Wächter, der nicht nur stimmlich die richtigen Töne für den Marcello findet, und Walter Berry, der wohl der Colline ist, der den Abschied vom Mantel am schönsten singt – gesellte sich als Schaunard Geraint Evans. Wahrlich ein Prachtexemplar eines Musikers – grundmusikalisch, mit großer, schöner Stimme und schauspielerisch liebenswürdig natürlich. Es liegt schon etliche Jahre zurück, seit wir einen Schaunard wirklich singen hörten. Außer Walter Berry gab es in Wien so etwas nie! Diesmal merkten wir wieder, wie schön es ist, wenn ein Quartett auch wirklich eines ist. Hilde Güden als Mimi war stimmlich bestens in Form, Graziella Sciutti zwar weniger hinreißend, dafür aber in ihrer Zierlichkeit unendlich liebenswert als Musette und außerdem stimmlich hervorragend disponiert.
FIDELIO am 7. März
Unter Heinrich Hollreiser gab es einen jener Durchschnittsabende, bei denen die meisten ständigen Opernbesucher das Haus meiden. Vielleicht hätten mehr davon die Vorstellung besucht, wenn sie gewußt hätten, daß Ernst Kozub der weitaus beste Tenorimport der letzten Zeit war. In ihm lernten wir einen Tenor kennen, der tatsächlich ein viriles Timbre besitzt und außerdem das nötige Volumen für unser Haus mitbringt. In der Darstellung wirkte er eher passiv und zurückhaltend, was beim Florestan in Ermangelung großer Persönlichkeit eher ein Vorzug ist. Die Arie sang er mit Ausdruck und bombigen, kraftvollen Höhen, wobei auch die Mittellage gesund fundiert erscheint. Es wäre interessant, Ernst Kozub noch in einer anderen Partie zu hören, um sich dann ein endgültiges Urteil über ihn zu verschaffen. Mit seinem Florestan hat er sich viele Freunde in Wien erworben. Gertrude Grob-Prandl sang mit der Leonore einen ihrer vertraglichen Abende ab. Stimmlich war sie da, doch bei einem Vergleich mit Anneliese Rothenberger als Marzelline konnte man bemerken, was sie nicht hat, nämlich Ausdruck. Erleben ist dieser Leonore ein Fremdwort. Paul Schöffler spielte mit großer Souveränität den Pizarro. Für die erste Arie brachte er noch stimmliche Kraft mit, während er in der Kerkerszene schon ein wenig müde wurde. Oskar Czerwenka scheint nun wieder an sich zu arbeiten. Sein Rocco lag weit über seinen zuletzt in dieser Partie gezeigten Leistungen und sogar „des Königs Namensfest“ gelang ihm vortrefflich. Otto Wiener war es eine Leichtigkeit, als Minister mit seinem unverbrauchten Organ und seiner Wortdeutlichkeit zu glänzen. Murray Dickie ergänzte als lieber, kleiner Jacquino das Ensemble.
DER ROSENKAVALIER am 8. März
In dieser Aufführung stieg die Stimmung im Haus um etliche Grade. Zwar war das Orchester nicht so gut disponiert wie beim ersten. Im zweiten Akt gab es etliche Verwischungen einzelner Orchestergruppen, und auch Heinrich Hollreiser wirkte bei der Überreichung der silbernen Rose sehr unsicher. Aber ansonsten dirigierte er einen stimmungsvollen ersten Akt und hatte außerdem gute Momente im letzten Bild. Mit Christa Ludwig stand ein Oktavian von großer Klasse auf der Bühne. Die samtene und biegsame Stimme gewinnt immer noch – und das ist keine Übertreibung – an Schönheit und Wohlklang. In der Darstellung war sie von bezwingender Natürlichkeit und Noblesse, in den Mariandl-Szenen zurückhaltend und dafür umso gewinnender. Bei der Überreichung der Rose ergänzte sich ihr Mezzo aufs Idealste mit dem blühenden lyrischen Sopran von Wilma Lipp, die der Sophie eine betont wienerische Note gab, herzig anzusehen und mit süßer Stimme. Hilde Zadek hatte es schwer, sich neben diesen Damen durchzusetzen. Allein ihr Timbre kann keinen Vergleich mit deren Edelstimmen aushalten. Otto Edelmann, endlich einmal aus seiner Lethargie erwacht, ging gar nicht schonend mit seiner Stimme um. In stimmlicher Hinsicht war er um Klassen besser als in der vorhergegangenen Aufführung. Seine erhöhte Spielfreudigkeit an diesem Abend brachte viele Details heraus, die ihm in Salzburg Erfolg eingebracht hatten. Hilde Rössel-Majdan ersetzte mit Erfolg Dagmar Hermann, während Hugo Meyer-Welfing weiterhin den Mund aufriß, ohne daß man ihn hören konnte.
LA TRAVIATA am 9. März
Hilde Güden ist eine hervorragende Violetta. Damit ist nicht gesagt, daß sie eine ideale Vertreterin der Demimonde gewesen wäre – dazu ist sie wohl viel zu nobel. Man hält sich also im ersten Akt an die herrliche Stimme und das brillante Koloratur-Feuerwerk. Die liebende und leidende Frau kommt in ihrer Interpretation weit mehr zur Geltung – der Höhepunkt kommt wie bei der Mimi im letzten Akt. Gefühlvoll sterben gelingt der Künstlerin weit besser als in Sünde leben. Musikalischer Höhepunkt war allerdings das Duett mit Vater Germont im zweiten Akt. Aldo Prottis Riesenstimme ist zwar nicht weich genug für die Partie, sie strahlt aber eine derartige Autorität aus, daß sich nicht einmal der unternehmungslustig die Verdi-Musik herunterhackender Ernst Märzendorfer getraute, dagegen aufzumucken und brav begleitete. Die übrigen Sänger taten sich mit dem eigensinnigen, verständnislosen Kapellmeister, dessen Traviata eine Serie von musikalischen Mißverständnissen ist, weit schwerer: so vor allem Giuseppe Zampieri, der aber dessen ungeachtet verschwenderisch die Schönheit seiner Stimme zeigte.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 10. März
Typisches Repertoiretheater mit zwei überdurchschnittlich guten Sängerleistungen: Diese boten einmal James McCracken als Alvaro, der nicht nur schön sondern auch ausdrucksvoll sang und von dem man ruhig behaupten kann, daß die Direktion mit seinem Engagement einen guten Griff getan hat. Zum anderen Aldo Protti als Don Carlos. Großartig das Duett in der Klosterszene! Gegen diese Leistungen konnte Gerda Scheyrer in der Partie der Leonore nicht recht aufkommen. Sie blieb im Durchschnittsniveau – nicht eben besonders gut, keinesfalls aber schlecht. Sehr gut Biserka Cvejic als Preziosilla. Eine Katastrophe hingegen war Karl Dönch als Melitone. Was an Stimme nicht mehr da ist, versucht er mit Outrieren auszugleichen, und da hat er zum Leidwesen des Publikums in dieser Rolle viel zu tun. Es sind nun glücklich fast alle Partien der Macht umbesetzt worden, warum nicht endlich diese Partie? Walter Kreppel als Pater Guardian schien leicht indisponiert. Der Chor feierte besonders im ersten Akt wahre Schwimmfeste. Erfreulich war trotzdem Nello Santi (wieder statt Märzendorfer!) am Pult. Er dürfte endlich das richtige Maß an Lautstärke für die Wiener Ohren gefunden haben. Der extreme Krach ist weg, und es bleibt eine lebendige, zweifellos manchmal sehr eigenwillige und teilweise unausgeglichene Interpretation. Die Klostersuppe mußte im Prestissimo verschlungen werden und blieb dem Chor samt und sonders im Halse stecken. Dennoch gehört Nello Santi zu den seltenen Dirigenten, die niemals langweilig werden und die Partitur im Kopf, statt den Kopf in der Partitur haben.
DIE ZAUBERFLÖTE am 11. März
Als die Staatsoper dieses Stück mit Emmy Loose als Pamina ankündigte, schüttelten so manche Opernfans die Köpfe und glaubten an einen Irrtum, der sich jedoch als Wahrheit entpuppte. Vor zehn Jahren wäre es noch im Bereich der Möglichkeit gewesen, sie als Pamina anzusetzen. Heute ist es viel zu spät dazu. Emmy Loose, deren Debüt als Ännchen der Rezensent der Zeilen noch im Gedächtnis hat, hat sich durch die Übernahme der Partie keinen guten Dienst erwiesen. Notwendig war’s auf keinen Fall, denn fünf erstklassige Paminen gingen an diesem Abend in Wien spazieren. Das Spiel der Sängerin war auf die tragische Linie abgestimmt. Der erste Akt gelang ihr noch relativ gut, sieht man von den Husch-Husch-Bewegungen der ewig jung bleiben wollenden Sängerin ab. Im zweiten Akt war es dann mit ihr vorüber. Einige zu tiefe Töne hätte man auf Grund ihrer langjährigen Tätigkeit verziehen. Nicht verzeihen konnte man ihr das konstante Zutief-Singen, mit dem sie noch dazu ihre Partner ansteckte. Das traf besonders auf Anton Dermota zu, der es ihr im zweiten Akt gleichtun wollte. Mimi Coertse ließ sich durch Lautsprecher als indisponiert melden, und daher wollen wir über sie kein Wort verlieren. Walter Kreppel und Walter Berry waren die wenigen Lichtblicke des Abends. Ersterer imponierte durch die Gewalt seiner Stimme, letzterer durch edlen Gesang und sonnigen Humor. Die kleineren Rollen waren mit Paul Schöffler als Sprecher, Peter Klein als Monostatos und Graziella Sciutti als Papagena besetzt. Heinrich Hollreiser fehlte die Kraft, vom Pult aus, die Bühne zu korrigieren. Er resignierte kopfschüttelnd und ließ der Musik ihren Lauf. Armer Mozart! Immerhin schien er sich über seine schlechte Leistung im Klaren zu sein, denn er kam nicht vor den Vorhang, was vermutlich ein Zeichen von Selbstkritik ist. Der flaue Abend fand sogar beim Samstagpublikum nur schwachen Widerhall.
BALLETTABEND am 12. März
DIE FLEDERMAUS am 13. März
unter Herbert von Karajan wurde mit der Aufführung am 4. März besprochen
DIE VERKAUFTE BRAUT am 14. März
An diesem Abend verfehlte Smetanas liebenswürdige Musik und die entzückende Rennert-Inszenierung nicht ihre Wirkung auf das Publikum, wenn auch besetzungsmäßig nicht alles Gold war, was da glänzte. Gerda Scheyrer ist im Vergleich mit ihren sonstigen Leistungen als Marie eher schwächer, sehr merkwürdig, wenn man sich erinnert, daß sie eine ihrer ersten Opernpartien schon in ihrer Volksopernzeit war. Aber offenbar gerade als Ausgleich für ihre Operettenvergangenheit liegen ihr ruhige Partien wesentlich besser als die volkstümlich-herzhafte, temperamentvolle Marie, noch dazu in dieser auf Bewegung aufgebauten Inszenierung. Waldemar Kmentt sang den Hans mit seiner gepflegten Stimme, eine köstliche Studie der Wenzel Murray Dickies. Tom Krause als Gast sang den Kruschina. Um seine Stimme zu beurteilen, ist diese Partie viel zu klein. Das wenige, was er zu singen hatte, klang jedenfalls gut. Oskar Czerwenka als Kezal tat noch mehr, als Rennert vermutlich wollte, konnte aber damit auch nicht seine gequälte Tiefe vertuschen. Eine Quelle lebhaftester Heiterkeit Erich Kunz als Zirkusdirektor. Die Besetzung der Randfiguren war durchaus befriedigend. Berislav Klobucar liegt die slawische Musik ausgezeichnet, was seine Wirkung auf Chor und Orchester nicht verfehlte.
LA BOHEME am 15. März
An diesem Abend versuchte sich Heinrich Hollreiser als Puccinidirigent. Er gab sich jede erdenkliche Mühe und kümmerte sich um Einsätze, wie schon lange nicht. Und trotzdem kam nur eine orchestrale Durchschnittsleistung zustande. Es klang alles zu schroff und der Kantilene fehlte der Schwung und der Atem. Eine erstklassige Besetzung auf der Bühne sorgte aber dafür, daß die Liebhaber des Belcanto dennoch auf ihre Rechnung kamen. Giuseppe Zampieri schenkte dem Poeten den Schmelz seines Tenors, seinen Ausdruck und seine Phrasierung, die besonders den dritten Akt zu einem Stimmfest machten. Vielleicht gelingt es unserem Opernchef, die geniale Schlampigkeit des Poeten einzudämmen, wenn er eines Tages die Boheme in sein Repertoire aufnehmen wird. Bisher gelang es außer dem Chef niemandem, Giuseppe Zampieri zur nötigen Genauigkeit im Singen zu zwingen. Hilde Güden ist in dieser Hinsicht aus anderem Holz geschnitzt. Die große Künstlerin singt sehr genau, sehr kultiviert und verleiht ihrem Sopran Ausdruck und Wärme, die nicht mit italienischem Temperament zu verwechseln ist, sondern eher den zarten Schlag des Herzens ausdrückt. Die Sterbeszene wird von ihr wahrhaft mit Noblesse gestaltet. Ein ausgezeichnetes Bohemientrio ergänzte. Aldo Protti, die Naturstimme unter den Baritons, spielte einen Naturburschen von einem Maler, dem es sichtlich Spaß machte, sich auf der Bühne so bewegen zu können, wie er ist: temperamentvoll und stets guter Laune. Man las es förmlich aus seinem Gesicht, welche Freude es ihm bereitete, das Musetta-Thema im zweiten Akt aus voller Kehle, vorne an der Rampe, in das Haus zu singen. Seine breite Stimme ergoß sich wie ein Strom und hüllte die Zuhörer ein. Und wie das klang! Geraint Evans gab dem Schaunard markantes Profil, auch dann mitspielend, wenn er nichts zu singen hatte. Sein männliches Timbre und seine charaktervolle Stimme sind weiter Vorzüge, die unbedingt ans Haus zu binden sind. Walter Berry war wieder großartig als Colline. Graziella Sciutti sang die Musetta, wobei ihr diesmal auch der zweite Akt gelang. Im vierten Akt hatte sie durch Innigkeit großes Format.
BALLETTABEND am 16. März
TOSCA am 17. März
Vor Jahren stellten wir in unserer Zeitschrift fest, daß eines Tages kein Mensch mehr in die Tosca gehen würde, falls Hilde Zadek angesetzt sei. Jetzt ist es bereits so weit. Nachdem die letzte Tosca-Aufführung mit ihr im Jänner unter einem mit Freikarten aufgefüllten und dennoch halbleeren Haus stattfand, war man in der Bundestheaterverwaltung gewitzigt und klüger. Man fand eine Organisation, die den Abend abnahm und steckte außerdem ganze Schulklassen hinein, sodaß bei Hilde Zadeks Tosca das Schild „Ausverkauft“ an der Abendkasse prangte. Nicht hinein kamen die treuen Opernbesucher mit Ausnahme des Protti-Anhanges, der allerdings nach dem Tode des Scarpia die Plätze räumte. In verità: der Abend gehörte Aldo Protti ganz allein, der mit seinem wuchtigen Organ Triumphe feierte. Hilde Zadek bemühte sich wie immer, doch ist durch die verschiedenen Vergleiche mit anderen Künstlerinnen ihre Chance, in jener Rolle zu einem Erfolg zu kommen, gleich Null. Gewissenhaftigkeit und Musikalität sind für die Paraderolle zu wenig, ihr Spiel zu uninteressant und farblos, ihre Stimme nicht mit dem Zauber der Sinnlichkeit ausgestattet. Als Cavaradossi war Ermanno Lorenzi angesetzt. In seinem Spiel erinnerte er uns an einen Leichtgewichtler beim Stemmen, dem man die Hantel für einen Schwergewichtler vorgelegt hatte. Er konnte einfach die Partie nicht bewältigen, denn dazu ist seine Stimme viel zu klein, wobei wir ihm ein gefälliges Timbre nicht absprechen wollen. Durch starke Stimmgebung bekam seine Höhe noch dazu eine näselnde Färbung. Berislav Klobucar nahm keine Rücksicht auf die Sänger. Bei Protti brauchte er es nicht zu tun und bei den beiden anderen Sängern waren wir froh, daß sie zugedeckt wurden. Doch Berislav Klobucar hatte damit Erfolg, denn die brutale Härte nahm im zweiten Akt klare Formen an, aber auch der erste und dritte Akt gelangen ihm spannungsreich.
CARMEN am 18. März
Herbert von Karajans Interpretation von Bizets Meisterwerk ließ den Abend zu einem der wenigen Höhepunkte des „Einsparungsmonates“ März werden. Die Partitur leuchtete, glitzerte und sprühte im philharmonischen Prunkgewand, die Chöre klangen frisch, präzise und – deutsch. Die Solisten gaben ihr Bestes. Allen voran Regina Resnik als blutvolle Carmen. Mehr als die Hälfte ihrer faszinierenden Gestaltung geht allein vom sinnlichen Timbre ihrer Stimme aus. Sie singt schon eine derart hinreißende Carmen (Habanera, Seguidilla), daß ihr raffiniert intuitives Spiel, das jedoch nie ins Vulgäre abgleitet, den Gesamteindruck nur noch vervollkommnet. Ein Beispiel nur: fast tonlos die kurze Feststellung: „Non! je ne t’aime plus!“ Hier liegt bei Regina Resnik das ganze Schicksal der Carmen. Sie ist wohl derzeit eine der besten Carmen der Welt! Der Don José Giuseppe Zampieris litt stellenweise unter Unkonzentration und Unsicherheit. Er sollte die Rolle musikalisch öfter überholen, und auch sein Französisch wäre verbesserungsfähig. Seine Höhepunkte lagen erstaunlicherweise (trotz eines Ausstieges!) im dritten Akt und im Schlußduett, während die seinem lyrischen Tenor eher entsprechende Blumenarie etwas abfiel. Hilde Güden sang ihre Micaela makellos schön, einfach und nobel. Otto Wiener als Escamillo brach eine Lanze für Karajan: obwohl bestimmt kein Ideal-Torero, sang er ein ausgezeichnetes Auftrittslied mit wirkungsvoller Höhe und hörbarer Tiefe, während er vor einiger Zeit unter Molinari-Pradelli kaum zu hören war. Dabei holte Karajan orchestral aus dem Torerolied alles heraus. Er wußte aber auch den Sänger über die bekannten Klippen hinwegzuführen und ihm zu voller gesanglicher Wirkung zu verhelfen. Die Damen Lotte Rysanek und Margareta Sjöstedt und die Herren Frederick Guthrie, Harald Pröglhöf und Murray Dickie bildeten die weitere gute Besetzung des Abends. Nur Karl Weber fühlte sich bemüßigt, eine Ausnahme zu machen. Dennoch war es einer der schönsten Abende der heurigen Saison.
DAS RHEINGOLD am 19. März
Das früher in Wien – wir erinnern uns noch sehr gut – wenig geachtetes Ring-Anhängsel ist zu einer Zug- und Lieblingsoper der Wiener geworden. Es ist halt ein Wagner ohne Strapazen, in unserer hektischen Zeit nicht eben ein Nachteil. Es stand ein Star-Ensemble auf der Bühne, das seinesgleichen suchte.
Meister Herbert von Karajan gibt das Stück nicht aus der Hand, sodaß es nur einer ersten Orchesterbesetzung bedarf, um es rauschen und strömen, blitzen und donnern, in breiten Melodienbögen schwelgen und in goldgepanzerten Blöcken auftürmen zu lassen, was alles diesmal auf das Schönste und Beste gelang. Dazu kommt die außerordentlich gute Inszenierung, die durch konsequentere stilistische Gewandungen – es gibt bei Preetorius noch zuviel romantische Überreste – noch gewinnen könnte. Das müßte man logischerweise im ganzen „Ring“ einmal machen, auch unter Beachtung das Perückenstils. Um Hans Hotter, den Wotan aller Wotane, scharten sich: Grace Hoffman, eine prächtig ausdrucksvolle und stimmlich hervorragende – für Wien neue – Fricka, Gerhard Stolze, der grelle, scharfe, irrlichternde Loge als eine der einprägsamsten Figuren der modernen Wagner-Darstellung überhaupt, die stimmgewaltigen Riesen Gottlob Frick (endlich wieder in Wien!) und Walter Kreppel, die Nibelungen Peter Klein und Alois Pernerstorfer, die Götter Eberhard Wächter, Waldemar Kmentt und Gerda Scheyrer. Regina Resnik wußte auch unterirdisch (als Erda) zu überzeugen, und die Rheintöchter hielten sich trotz zweiter Besetzung (Lotte Rysanek, Margareta Sjöstedt und Dagmar Hermann) bis auf eine Unebenheit am Schluß sehr wacker. Es gab eitel Jubel und Wonne und einen herzhaften Karajan-Jubel. Beim Rheingold wartet sogar ein volles Parkett darauf, Bravo schreien zu dürfen.
LA CENERENTOLA (ANGELINA) am 20. März
Ob im eintönigen Opernalltag, wie er derzeit vorherrscht, oder inmitten des Festwochengetriebes, bleibt die Cenerentola immer eine der bezauberndsten und amüsantesten Aufführungen unseres Spielplans, was allein schon für die Güte und Vollkommenheit dieser Inszenierung spricht. Peter Ronnefeld am Pult dirigierte umsichtig und sicher die herrliche Rossinimusik; und auf der Bühne dominierte wieder das Ehepaar Christa Ludwig-Walter Berry, das mit perlenden Koloraturen und köstlichem Humor dem Abend den Stempel aufdrückte. Da auch das übrige Ensemble mit Waldemar Kmentt, Emmy Loose, Dagmar Herrmann, Ludwig Welter und Karl Dönch vorzüglich war, verläßt man dieses Werk in sehr beschwingter und heiterer Stimmung. Schade, daß diese Aufführungen nie ausverkauft sind.
DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 20. März im Redoutensaal
Zähneknirschend (und nur, um einen neuen Vertreter der Titelrolle zu hören) begaben wir uns in den Redoutensaal, wo man auf dem Balkon den Eindruck hat, noch im Foyer zu sein. Man hört ebenso wenig, während dem Hörer im Parkett bereits das Räuspern eines Sängers hinter der Bühne das Trommelfell durchreißt. Wenn man dieses Lokal verläßt, hat man auf jeden Fall Kopfschmerzen, gleichgültig, wo man gesessen ist. Die durch die Rennert-Inszenierung des Figaro im Haus am Ring fast schon vergessene häßliche Schuh-Inszenierung wurde einem wieder einmal vor Augen geführt. Die musikalische Leitung von Heinrich Hollreiser war weniger museal als provinziell. Aber was kann er bei der Akustik wirklich schon dafür? Dabei gab es einige markante Leistungen auf der Bühne. Geraint Evans wird von einschlägigen Publikationen, besonders dem „Opera“, so gelobt, daß es schon verdächtig erscheint – aber er ist wirklich so gut wie sein Ruf! Seine dunkle, mächtige Stimme ist bestens beherrscht und technisch sicher. In ausgezeichneter Phrasierung und gutem Italienisch ersteht ein Figaro, wie er gehört. Es ist der dunkle, dramatische Figaro eines Ezio Pinza und Cesare Siepi, wie er überall außerhalb Wiens die Norm bedeutet. Es ist der Figaro des Beaumarchais, nicht der von Nestroy. (Wobei es noch fraglich erscheint, ob nicht in Wien bei Nestroy auch zuviel geblödelt wird!). Und dieser Beaumarchais-Figaro wird von ihm überzeugend gespielt, beweglich, elegant, mit Humor und Gefühl. Vor allem hatte man den Eindruck, er passe ideal zu den meisten seiner Partner. Als hätte er nicht ohne Proben zum ersten Mal seinen schwarzen, langnasigen Keltenkopf (er ist kein „typischer“ Angelsachse) ins Opernmuseum gesteckt, sondern stünde in lebendigem Kontakt mit dem lebenden Wiener Mozart. Er ist eine Persönlichkeit! Es blieb der größtenteils wieder einmal obergescheiten Wiener Kritik vorbehalten, diese prächtige Leistung total zu verkennen und den Schrei nach dem Mozart-Kasperl zu erheben. Wir haben nichts anderes erwartet – ja wir sind eigentlich deshalb hingegangen. Auffallend war die Übereinstimmung in darstellerischer und stilistischer Hinsicht, die Anneliese Rothenberger und Geraint Evans erreichten. Ein viel zu wenig beachtetes Wunder von Können und Einfühlungsvermögen. Weniger kongruent war das Grafenpaar. Gerda Scheyrer ging vom Stimmlichen aus und hat mit der Gräfin demonstriert, was eine fleißige und selbständig denkende Sängerin durch unermüdliche Arbeit erreichen kann (sogar an der Wiener Oper!). Da saß alles musterhaft, es wurde mit schönem Klang und technisch einwandfrei gesungen: im „Dove sono“ z. B. ganze Phrasen im Pianissimo, was wohl zum Schwersten des Mozartgesanges gehört. Die Darstellung blieb dezent, ruhig und nobel. Diese Art von Partien liegt Gerda Scheyrer sehr gut. Paul Schöfflers Graf war – gemessen an diesen Partnern – nicht mehr ganz passend. (Da hätte man sich zur Abwechslung einmal Hermann Prey gewünscht!). Seine Auffassung ist ein bißchen zu zynisch. Er ist Lord Bolingbroke eher als Conte Almaviva. Er schonte sich bei den Ensembles, um dann eine erstaunliche Arie zu singen. (Dann ging die Presse ohnedies nach Hause.) Ira Malaniuk ist wohl die schönste, aber auch eine der besten und humorvollsten Marzellinen überhaupt, Alois Pernerstorfer ein guter Bartolo. Margareta Sjöstedts Cherubino wird absichtlich erst jetzt genannt. Er wurde zu einer sauber gesungenen unpersönlichen Figur am Rande. Murray Dickie beginnt als Basilio zu dick aufzutragen, und Hugo Meyer-Welfing hält den Rekord an Lächerlichkeit als Don Curzio. Daß er darin Erich Majkut noch übertrifft, verdient, festgehalten zu werden. Die seit Jahren gleich farblos gebliebene Barbarina von Anny Felbermayer gefiel allerdings immer noch besser als ihr outriert hüpfender und springender Vater (Harald Pröglhöf), der glaubte, jede Erwähnung von „Reiten“ und „Springen“ mit den einschlägigen Bewegungen begleiten zu müssen.
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 21. März
Dem Rezensenten kommt die Galle hoch, wenn er an diese Aufführung denkt. Eine von Heinrich Hollreiser lieblos heruntergedrehte Ouvertüre. Dann der Anblick des Bühnenbildes! Es ist im Prinzip ja gar nichts einzuwenden, daß Entführung im großen Haus gespielt wird, im Gegenteil. Es ist ja auch kein Stück „zweiter Güte“ für Vorstellungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Redoutensaal. Aber wenigstens neu angestrichen, vom Staube befreit, etwas über den Orchesterraum vorgebaut, sinnvoll inszeniert, mit neuen Kostümen an Stelle der jetzigen extrem häßlichen (Blondchen und Pedrillo!) – und vor allem etwas würdiger gesungen. Friedl Pöltinger aus Graz, die sich schon (als Traviata) als provinzielle Einspringerin erwies, gab die Konstanze ebenso, was ja schließlich weniger ihre Schuld als die des Generalsekretariats ist. Die Herren müßten ja eigentlich doch einmal erkennen, was an der Wiener Oper (auch beim Einspringen) angängig ist. Dies mühsame Durchquälen war jedenfalls mehr als unwürdig. Liselotte Maikl und Kurt Equiluz sangen recht sauber. Es fehlt aber beiden an Persönlichkeit, um dem sehr heiklen und schwierigen Buffopaar gerecht zu werden. Besser hielt sich Ludwig Welter, der auch eher ein Vertreter des zweiten Faches ist. Daß er das ist, hat er sicherlich nur seiner etwas mangelhaften Technik zu verdanken, die sein berühmtes Loch in der oberen Mittellage verursacht. Auch mit der Tiefe hapert es ein wenig. Die Mittellage ist allerdings sicher und kräftig. Und sein wirklich humorvolles, drastisches, dafür aber auch nie übertriebenes Spiel reißt das Eisen aus dem Feuer. Waldemar Kmentt, dem die deutschen Mozartpartien immer gut gelegen sind, war diesmal mit sicherem, gut phrasiertem Singen und ebenso sicherem Auftreten und Spiel zusammen mit wohltuender Prosa der beste Mann auf dem Felde. Das war allerdings in diesem Falle nicht schwer. Alfred Jerger „legte“ den Selim Bassa „hintergründig an“ und „hölzelte“ sich durch die Rolle. (Für die Leser im Ausland: Wunderbar passendes Kabarett-Zitat des Jahres).
BALLETTABEND am 22. März
COSÌ FAN TUTTE am 22. März im Redoutensaal
Trotz der Absage von Geraint Evans, den man sich nach seinem großartigen Figaro gern in einer zweiten Mozartpartie angehört hätte, wurde es ein schöner Abend. Es herrschten Humor und gute Stimmung, die aber diesmal erfreulicherweise nicht durch Blödelei und Outrieren, sondern durch künstlerische Leistungen erzielt wurden. Vom Damentrio muß an erster Stelle Ira Malaniuk genannt werden, die sich nun ganz in den Rahmen der Wiener Aufführung eingefügt hat und an diesem Abend gleichermaßen durch ihre gute stimmliche Leistung wie durch charmantes, humorvolles Spiel und blendendes Aussehen erfreute. Großartig ist ihr Partner Erich Kunz, der durch stets neue Späße für Humor sorgt, wobei aber der Gesang nicht zu kurz kam. Irmgard Seefried sang mit größtem Stilgefühl und mit Musikalität die Fiordiligi und bewies – trotz einiger überanstrengt klingender Stellen – erneut ihren hohen Rang als Mozartinterpretin. Schade, daß sie durch ihr betont statisches Gehaben etwas unnatürlich wirkte. Einen sehr guten Abend hatte auch Anton Dermota. Einige kleine Unsicherheiten, hervorgerufen durch die für den Ferrando schon zu heldische Stimme, konnte er geschickt meistern, und timbremäßig ist er den meisten anderen Vertretern dieser Partie noch immer vorzuziehen . Karl Dönch sang und spielte ohne die gewohnten Übertreibungen den Alfonso, was unbedingt anerkannt werden muß. Die mangelnde Persönlichkeit ist nicht seine Schuld. Emmy Loose ist nach fast zwanzigjährigen treuen Diensten der Despina wohl doch schon entwachsen. Die Direktion sollte in diesem Fach einmal für eine Nachfolgerin sorgen, aber nicht nur für die Festwochen, sondern auch für den Opernalltag! Leiter der Aufführung war Heinrich Hollreiser, der zwar nicht sehr schwungvoll, jedoch umsichtig dirigierte und vor allem an diesem Abend große Lautstärke vermied. Das allein bedeutet im Redoutensaal schon einen großen Vorteil.
DIE ZAUBERFLÖTE am 23. März
Auch diese Aufführung brachte keine Stimmung ins Haus. Diesmal sang Hilde Güden die Pamina, die eine kultivierte, aber keineswegs begeisternde Leistung bot. Seltsamerweise klang ihre Stimme bei „Ach ich fühl’s“ ziemlich steif. Das schien die Künstlerin selbst zu bemerken, denn sie neigte sehr dazu, die Arie zu dehnen, was sonst nicht ihre Art ist. Bei „Den Morgen zu verkünden“ hatte sie ihren Schwächeanfall überwunden und ihr silbriger Sopran blühte wieder auf. Bei Anton Dermota dagegen machten sich starke Ermüdungserscheinungen bemerkbar. So hatte er an diesem Abend keinen Übergang vom Forte zum Mezzavoce. An diesen Stellen wirkte seine Stimme ausgesprochen brüchig. Da er nicht mehr zu den Jüngsten zählt, sollte er nicht zuviel hintereinander singen. Als Königin der Nacht war Erika Mechera zu hören, die einen unfertigen Eindruck hinterließ. Besonders die Mittellage bedarf einer größeren Ausgeglichenheit. Daß ihr die dramatischen Koloraturen Schwierigkeiten machten, hatten wir bei ihrer Jugend vorausgesetzt. Vielleicht wird sie’s noch erlernen. Derzeit ist sie für die Staatsoper noch nicht reif. Als Sprecher stand Hans Hotter auf der Bühne, wobei er durch Persönlichkeit die Tempelszenen beherrschte. Wie bei der vorausgegangenen Aufführung übertrumpften die Herren Walter Kreppel und Walter Berry alle Mitwirkenden und heimsten gerechterweise auch den meisten Applaus ein. Heinrich Hollreiser dirigierte undifferenziert und recht langsam. Nur am Schluß wollte er die verloren gegangene Zeit durch rasche Tempi einholen.
DIE VERKAUFTE BRAUT am 24. März
An diesem Abend wurde Irmgard Seefried verkauft, doch ihrer Darstellung der Marie nach zu schließen – ihre kratzbürstige Art der Gestaltung nimmt nun solche Formen an, daß uns der arme Hans von ganzem Herzen leid tut – müßte man bald einen neuen Titel für Rennerts großartige Inszenierung finden, nämlich: „Die zänkische Braut“. Titelrolle, wie gesagt, Irmgard Seefried. Die Künstlerin befand sich außerdem nicht in guter stimmlicher Verfassung, was die verschleierte Stimme und harte Höhen bewiesen. Waldemar Kmentt als Hans bewies, daß sein stimmlicher Formanstieg anhält, ein erfreuliches Zeichen. Oskar Czerwenkas Mittellage klang diesmal etwas breiter als sonst, ohne allerdings die nötige Fülle für den Kezal mitzubringen. Aber auch die Höhe klang freier, ein Beweis, daß der Sänger wieder arbeitet. Seine saftige Darstellung aber entschädigt für die oben erwähnten Schwächen etwas. Zu Peter Kleins Lieblingsrollen gehört der Wenzel und das spürt das Publikum auch. Seine Tolpatschigkeit hat etwas Rührendes an sich. Berislav Klobucar dirigierte etwas enttäuschend. Die Ouvertüre war zu abgehackt, und auch sonst war’s mit der böhmischen Musizierfreude nicht weit her. Doch daran mag auch die Orchesterbesetzung, die nicht die erste Garnitur ins Haus schickte, Schuld haben. Jedenfalls hatte er schon schwungvollere „Bräute“ dirigiert.
MADAME BUTTERFLY am 25. März
stand ganz im Zeichen von Sena Jurinac. Die Künstlerin wirkte so stark auf das sicherlich nicht sehr opernvertraute Publikum (Gewerkschaft), daß sie damit bewies, wie echt empfundene Leistungen auch ein opernfremdes Publikum zur Begeisterung hinreißen kann. Man vergaß, daß man ihr einen Spieltenor in der Person Ermanno Lorenzis als Partner gegenüberstellte. Man vergaß, daß manche Nebenrollen schwach besetzt waren. Von ihrem Auftritt an stand man im Banne der Künstlerin Sena Jurinac, die mit ihrer Stimme, ihrer Darstellung, die ganze Gefühlswelt einer Frau in ihrem Glück, in ihrer Hoffnung und in ihrer Enttäuschung wie ein wertvolles Buch aufschlägt. Der volle und satte Klang der Stimme, deren Timbre längst für jeden Opernfreund ein Begriff geworden ist, identifizierte sich mit der Rolle. Die Persönlichkeit der Sängerin ist so zwingend, daß man die Umwelt vergißt, sich mit ihr freut und mit ihr leidet. Von ihr geht eine geheimnisvolle Kraft aus, mit der sie ständig das Publikum zu erobern weiß. Hilde Rössel-Majdan sekundierte als Suzuki vortrefflich. Berislav Klobucar bewies, daß er mehr als ein Talent ist. Er vermied die Süßlichkeit der Partitur und schuf damit den richtigen musikalischen Hintergrund für Sena Jurinac.
DIE FLEDERMAUS am 26. März
Mitten in den Proben zur bevorstehenden Parsifal-Premiere schien es für Herbert von Karajan eine wünschenswerte Abwechslung gewesen zu sein, sich mit Schwung und Temperament in die immer wieder verzaubernde Fledermausmusik zu stürzen. Schon die Ouvertüre bewies es in ihrer philharmonischen Eleganz und ihrem tänzerischen Elan. Unter den vielen Höhepunkten des Abends möchten wir nicht zuletzt den einmaligen Schwung der Ballettmusik und ihre tänzerische Gestaltung hervorheben. Abgesehen von der Premierenbesetzung, die von Hilde Güden bis Josef Meinrad ihr Bestes gab, waren Anneliese Rothenberger als bezaubernd charmante Adele, Anton Dermota als unterhaltsamer und verläßlicher Alfred und Murray Dickie als etwas unpersönlicher Orlofsky zu hören. Stürmischer Beifall im ausverkauften Haus.
FIDELIO am 27. März
Diese Aufführung brachte wieder einen Gast auf die Bretter unserer Bühne, mit dem aber die Staatsoper gar kein Glück hatte: Randolph Symonette. Der Sänger besitzt eine sehr kräftige, allerdings auch rauhe Stimme, die er so ähnlich wie Gertrude Grob-Prandl (Leonore in schlechter Tagesverfassung, mit schriller Stimme) einsetzt. Als Darsteller stand dieser Pizarro zumeist mit ausdruckslosem Gesicht untätig herum. Von einer Profilierung der Rolle war nichts wahrzunehmen. Anton Dermota gab einen kettenklirrenden Florestan in gewohnter Manier. Walter Kreppel sang mit breiter, voluminöser Stimme den Rocco. Otto Wiener war der souveräne Minister und Anneliese Rothenberger eine liebliche Marzelline trotz noch immer merkbarem Katarrh, gut sekundiert von Murray Dickie als Jacquino. Heinrich Hollreiser hatte viele Leerläufe, vor allem im ersten Akt, wo das Orchester den hollreiser’schen Einheitsbrei kochte.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 28. März
In dieser Aufführung war der Stehplatz dicht gefüllt, der Sitzplatz nicht so ganz – was wieder die Anteilnahme der Stammbesucher an den Geschicken des Hauses beweist, denn die Suche nach einem guten Hausdirigenten für das deutsche Fach (für das italienische und slawische ist ein solcher in Berislav Klobucar immerhin vorhanden, im deutschen seit Rudolf Moralts Tod nicht mehr ausgefüllt worden!) ist für das Gesicht des Repertoires immerhin wichtig. Man denkt oft bei krampfhaften Dirigier-Experimenten: Schade, daß ich nicht beim ersten Gastspiel dieses Herrn dabei war, der hätte damals schon ausgepfiffen gehört, dann wäre er jetzt nicht mehr hier! Diese moralische Mitschuld wollte wohl kein Stehplatzler auf sich laden, deshalb die Fülle der Besucher. Bernhard Conz hatte immerhin nach der Ouvertüre Applaus, was ihn offenbar freute. Beurteilen konnte man ihn allerdings erst später. Der hervorstechendste Eindruck war nämlich, daß er ein Dirigent für die Sänger ist. Besonders im Duett des ersten Aktes war dies zu bemerken. Erfreulicherweise ist er keiner von jenen, die munter hineindreschen, um sich durch Lautstärke in Szene zu setzen und damit Intensität vorzuspiegeln suchen, die meist ohnedies nicht vorhanden ist. Auch bei Bernhard Conz fehlt sie streckenweise – große Ausbrüche, hinreißende Aufschwünge gab es eigentlich weniger, dafür sauberes korrektes Musizieren. Die Schlagtechnik ist gut und sicher, die Zusammenarbeit mit dem Chor und dem Orchester gut. Daß die Herren im ersten und die Damen im zweiten Akt manchmal doch schwammen, dürfte weit mehr auf die Tätigkeit der in der Kulisse postierten diversen Unterkapellmeister und Chordirigenten zurückzuführen sein. Wie wäre es, wenn der Chor einfach auf den Dirigenten schaute, wie das früher der Fall gewesen sein soll? Der Eindruck, den der Dirigent hinterließ, war also bei berücksichtigtem Probenmangel recht gut, aber nicht berauschend. Endgültiges wird sich wohl erst nach einigen weiteren Abenden sagen lassen. Die Baritons dominierten. Mit Otto Wieners durchdachtem, intelligent gestaltetem und gesungenem Holländer, der von Akt zu Akt an Intensität gewann, sowie Walter Kreppels stimmgewaltigem Daland. Die hellen Timbres der beiden Künstler ergänzten sich zufällig noch ausgezeichnet. Es wirkte fast wie bewußt geplante Besetzung. Fritz Uhl sang wieder mit Ausdruck und prächtigem Material den Erik. Karl Terkal war diesmal nicht gut bei Stimme. Über die gastierende Senta Ingeborg Exner ist nichts weiter zu sagen, als daß sie die Senta „gab“, (hingegen Elisabeth Höngen z. B. aus ihrer kleinen Rolle wirklich etwas herausholte) und stimmlich alles hatte: eine saubere, unpersönliche Durchschnittsleistung.
LA BOHÈME am 29. März
An diesem Abend wurde schließlich ein neuer Rodolfo von der Met vorgestellt: Barry Morell. Ein großer, sympathischer, gut aussehender junger Amerikaner, der nach Europa kam um dem alten Kontinent zu beweisen, …daß die Kunst des Gesanges und der Glanz der Stimme noch ein Privilegium des alten Erdteiles ist, zumindest im Fall des „Tenore lyrico spinto“. Er hatte nämlich eine winzige, kleine, weiße Stimme, die besonders im zweiten Akt äußerst mühsam zu hören war. Das Publikum mußte sich ebenso anstrengen wie der Tenor, um zu einem Kontakt zu kommen. Dabei hat Barry Morell eine äußerst gut durchgebildete Stimme, doch was nützen sicher angesetzte Höhen, wenn sie nur wie Seifenblasen am Ohr vorüberrauschen? Jetzt wundern wir uns nicht mehr, daß Karl Liebl an der Met mit Erfolg singt, denn im Vergleich zu Barry Morell ist er wirklich ein Stimmprotz. Hilde Güden war als Mimi seine Partnerin, die diesmal nicht nur durch Kultur und ausgefeilte Technik bestach, sondern auch mit dem Volumen der Stimme zu brillieren wußte, während Graziella Sciutti einen schwachen Abend hatte. Sehr gut wieder Aldo Protti, Geraint Evans und Walter Berry. Alle drei müßten sofort wegen ihrer Stimmstärke dem amerikanischen Gaste gegenüber zu Superheldenbaritonen avancieren! Nello Santi machte man den Vorwurf, in den beiden ersten Akten zu laut gewesen zu sein, doch ehrlich gesagt, was hätte er bei einem solchen Tenörchen machen sollen? Hätte er das Orchester auf ihn abgestimmt, dann hätte er ein Streichquartett gebraucht. Der dritte und vierte Akt unter seiner Leitung hatte Stimmung und Farbe. Daß ihm dies gelang, ist umso bemerkenswerter, weil er ja kein Freund der Orchestermusiker ist, was nicht nur einmal die Flötisten demonstrierten.
EUGEN ONEGIN am 30. März
Mit Tschaikowskys „Lyrischen Szenen“ klang der Monat März aus. Berislav Klobucar leitete die Aufführung behutsam und sicher, begleitete die Sänger sehr einfühlungsvoll und setzte bloß bei der Forderungsszene und beim Ballett stärkere Akzente. Die Tatjana zählt bestimmt zu den besten Partien von Sena Jurinac. Sie ist die Tatjana schlechthin. Vom schwärmerischen Landmädchen bis zur gereiften Fürstin Gremina erfüllt sie diese Frauengestalt mit Wärme, Rührung und Hoheit. Stimmlich in einmaliger Tagesverfassung bleibt uns diese Leistung unvergeßlich. Fast ebenbürtig Anton Dermota als Lenski. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Höhe gab er mit seiner Arie eine Demonstration bester Belcantokultur. Die dritte Glanzleistung bot Walter Kreppel mit „Ein jeder kennt die Lieb auf Erden“. Hier verströmt eine der schönsten Baßstimmen, die wir derzeit besitzen. Norman Mittelmanns angenehm timbrierter Bariton, der allerdings ab fis überfordert ist, ist leider zu wenig für die Titelrolle. Darstellerisch bleibt er so gut wie alles schuldig. (Daß sich ein Opernhaus vom Rang der Wiener Staatsoper für den Onegin einen Gast holen muß, um das Werk überhaupt spielen zu können, gehört in das Kapitel „Sinnvolle Planung vor der Premiere“. Eberhard Wächter hat bereits erklärt, diese Partie nicht zu singen, George London hat der Staatsoperndirektion bereits eine Absage erteilt und Dietrich Fischer-Dieskau wird sie kaum mehr singen, nachdem er bereits alle weiteren Abende an der Wiener Oper (Wozzeck in den Festwochen und Golo in der „Pelleas“-Neuinszenierung) abgesagt hat! In den Nebenrollen fielen Biserka Cvejic, Hilde Konetzni, Hilde Rössel-Majdan und Kurt Equiluz angenehm, die Herren Karl Weber und Erich Majkut nur unangenehm auf.
KEINE VORSTELLUNG am 31. März, Karfreitag