DER MAI 1961
6. Jahrgang, Heft 6
Nach etwas langweiligen Winter- und Frühlingsmonaten erwies sich der Mai natürlich als besser – wie sollte er es nicht sein, wo jetzt alle internationalen Singvögel ins (teilweise) heimische Nest zurückkehren? Im Vergleich zum vergangenen Jahr fällt aber auf, daß sich im Mai ein zunehmender Verfall der homogenen Ensembles bei Strauss und Mozart abzeichnete. Wir predigen nicht entsetzt Ensembleverfall, wenn sich zu den diversen Slawen und Amerikanern, die immer an der Wiener Staatsoper zu finden waren, in den letzten Jahren auch noch ein paar Italiener gesellten – im Gegenteil. Diese haben der Wiener Oper zu vielen herrlichen Abenden verholfen. Wenn es aber im Ensemble keinen Koloratursopran gibt und jede Zerbinetta und Königin der Nacht von Gästen gesungen werden müssen, ist das etwas anderes. Es ist ein ganz merkwürdiger Fall, daß dem gut sortierten Tenorensemble der Wiener Staatsoper, dem ja eigentlich nur Fritz Wunderlich und etwa ein Gerhard Unger oder ein ähnlicher Tenorbuffo mit Stimme fehlt, auf anderen Gebieten durch pure Nachlässigkeit und Schlamperei nichts gleichwertiges zur Seite zu stellen ist. Es gibt sicher auch Sopranistinnen, man muß sie nur suchen!
DON GIOVANNI am 1. Mai
Da Karl Böhm wieder einmal den Don Giovanni dirigierte, hörten wir eine Aufführung, wie sie eben nur „Marke Wiener Staatsoper“ sein kann. Auf einmal klappte in der Ouvertüre der Übergang von der Einleitung ins Allegro, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. (In den vergangenen Aufführungen dieser Saison ging die Stelle doch immer schief!). Das Orchester befand sich in phantastischer Spielbereitschaft, und auch die Sänger waren einsatzfreudig wie schon lange nicht. Das Ergebnis war dann auch eine Aufführung, die kaum schwächere Punkte hatte. Ideal war die Besetzung Giovanni-Zerlina. Eberhard Wächter und Graziella Sciutti sind derzeit in diesen Rollen unersetzlich, und der Beifall nach „la ci darem la mano“ war begeistert und lang anhaltend. Erich Kunz war, von zwei oder drei schauspielerischen Übertreibungen abgesehen, wie immer sehr gut als Leporello. Anton Dermotas Ottavio hatte gewohntes Format. Claire Watson war unter Karl Böhms Leitung als Donna Anna weit „mozartischer“ als vor einem Monat. Kostas Paskalis bemühte sich redlich, seinem Masetto Profil zu geben. Wenn er ihm doch nur einmal Stimme geben würde. Er hat sie doch schließlich! Mit dem Geräusch, das er von sich gibt, macht er weder Mozart noch uns Freude. Der Komtur von Frederick Guthrie war stimmlich etwas belegt. Die Elvira wurde von Lisa Della Casa gesungen. Dabei mußte man feststellen, daß die Tiefe jetzt sehr forciert wird, worunter die Höhe leidet, die dadurch scharf und hart klingt. Auch schauspielerisch ist Frau Della Casas Elvira derzeit etwas ungewöhnlich. Man kann diese Partie ja verschieden aufbauen, und der Möglichkeiten zwischen wütendem Racheengel und demütig leidendem schwachen Weib gibt es unzählige. Sehr seltsam aber ist eine Elvira, die mit verschränkten Armen überlegen lächelnd dem Treiben Giovannis zusieht. Wer Frau Della Casa wohl diese „Auffassung“ eingeredet hat? Trotzdem war es alles in allem eine sehr gute Aufführung.
DIE WALKÜRE am 2. Mai
stand unter der Leitung Joseph Keilberths. Vor allem im ersten Akt zeigte sich ein wesentlicher Unterschied gegenüber den gewohnten Karajanschen Aufführungen. Keilberth packte das Stück mit fester Hand an. Keine Spur von kammermusikalischer Dämpfung, sondern eine rechte und saftige Bühnenmusik. Auch in den übrigen Akten gab sich Keilberth eher kraftvoll, ohne aber jemals grob zu werden. Einige Zeitmaße waren etwas breit, aber immer vorteilhaft den Sängern angepaßt. Wenn auch an einigen Kleinigkeiten merkbar wurde, daß eine Probe nicht geschadet hätte, gelang es dem Dirigenten doch, uns das Werk zur reinen Freude aufzuführen. Die Brünnhilde sang Martha Mödl, mit gewohnt darstellerischer Souveränität, stimmlich nicht in allerbester, aber recht guter Verfassung. Den Wotan stellte Hans Hotter auf die Bühne. Jeder, der ihn kennt, weiß, was das heißt. Die Tagesverfassung seiner Stimme war ebenfalls gut, wenn auch nicht überragend. Fricka, seine Frau, wurde von Jean Madeira mehr schlecht als recht verkörpert, wobei sich die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache unangenehm bemerkbar machte. Das Wälsungenpaar wurde von Hilde Zadek und Hans Beirer dargestellt. Hilde Zadek hatte einen verhältnismäßig guten Abend. Sie verpatzte nichts. Auch ihre Auffassung der Partie hat sich etwas zum Besseren gewendet. Hans Beirer hat eine Riesenstimme, wie sie von den jüngeren Besuchern vielleicht noch nicht gehört wurde. An den wuchtigen Stellen, wie etwas den Wälse-Rufen, genügt das große Material allein auch durchaus. An den lyrischen Stellen allerdings bemerkt man, daß die technische Beherrschung zu wünschen übrig läßt. Was aber noch schlimmer ist – die geistige Auseinandersetzung des Sängers mit seiner Rolle dürfte nicht allzu tiefgehend gewesen sein. Man hat allzu oft das Gefühl, daß der Tenor nicht weiß, was er da eigentlich singt. Am deutlichsten bei seinem Zusammentreffen mit der Brünnhilde Frau Mödls. Als Hunding schließlich hörten wir Kurt Böhme, der den knorrigen Germanen darstellerisch und stimmlich zufriedenstellend gab.
ARABELLA am 3. Mai
Die Wiederaufnahme unter Joseph Keilberts genialer Leitung bedeutete schlechthin die Erfüllung vom Orchestralen her: der wunderbare Klangkörper unserer Wiener Philharmoniker unter einem Dirigenten, dem diese Straussoper ans Herz gewachsen scheint! Nicht so zufrieden konnte man mit den Leistungen auf der Bühne sein. Lisa Della Casa ist nicht mehr die Arabella, die sie seit Jahren war. Die Höhe spricht derzeit nicht so leicht an, manches klingt rauh. Der einst so berühmte Wohllaut ihrer Stimme will sich nicht so richtig einstellen. Trotzdem ist sie wahrscheinlich noch immer die beste Vertreterin dieser Partie. Anneliese Rothenberger dürfte nicht ihren allerbesten Tag gehabt haben. Die gewiß exponierten Spitzentöne der Zdenka klangen manchmal etwas unsicher. Stimmlich angenehm überrascht hat der Gast Hugh Beresford als Mandryka. Er bewältigte die schwere Partie gut und hielt mit vollem Einsatz bis zum Schluß durch. Nur bei der leichtesten Stelle, im Duett „Und du wirst mein Gebieter sein“, stieg er vollkommen aus! Mandryka war er freilich auch keiner. Die scheinen sehr spärlich zu sein, um diese Rolle sowohl stimmlich als auch darstellerisch gleich gut zu gestalten. Einen krassen Stimmunterschied ließen Karl Terkal als Graf Elemer und Ivo Zidek als Matteo erkennen. Während der erste seinen S-Fehler durch diskretes Leisesingen zu mildern suchte, sprengte Herr Zidek mit heldentenoralen Spitzentönen fast den Rahmen einer lyrischen Komödie. Ira Malaniuk hatte einen besonders guten Abend, während ihr gräflicher Gatte Kurt Böhme mit einem ziemlich humorlosen, hochdeutsch sprechenden Waldner diesmal wenig Eindruck machte. Liselotte Maikl sang die fast unsingbare Partie der Fiakermilli brav. Das Publikum feierte besonders Joseph Keilberth und das mit Recht.
CARMEN am 4. Mai
Eine Repertoire-Aufführung, die nichts Neues brachte. Schon oft besprochen, gewürdigt wie kritisiert, zeigte auch dieser Abend bereits altbekannte Leistungen unter der musikalischen Leitung von Lovro von Matacic. Seine leidenschaftsbetonte Interpretation ist uns nun schon gut bekannt und brachte Stimmung in die Aufführung. Die Carmen von Jean Madeiras ist – wie allgemein bekannt – Geschmackssache. Allerdings muß betont werden, daß Frau Madeira diesmal eine ausgezeichnete Kartenarie zu Gehör brachte. Versöhnlich wirkte auch Giuseppe Zampieri als Don José, doch können wir nicht umhin wieder zu betonen, daß es an der Zeit wäre, dem Sänger endlich seine musikalischen Schlampereien abzugewöhnen, die nicht unbeträchtlich verärgern. Keinen Wunsch offen ließ Hilde Güden. Diese Micaela ist stets untadelig. Aldo Protti als Escamillo ist wohl der stimmgewaltigste Torero, den die Opernbühne derzeit aufzuweisen hat. Freilich ein etwas rauher Stierkämpfer, doch in seiner Art absolut überzeugend. Chor und Comprimarii zeigten sich wie immer.
BALLETTABEND am 5. Mai
FIDELIO am 6. Mai
Es ist unglaublich, mit welcher Indolenz ein großes und auf der Bühne schwer zu realisierendes Werk wie Beethovens Fidelio als Repertoirefüller in der Wiener Staatsoper heruntergeklopft wird. Hat denn da niemand ein bißchen Gefühl für die Größe dieses einmaligen Helden-Singspiels, daß man es unter Denkmalschutz stelle wie im Konzert die IX. Beethoven oder die Missa solemnis? Die gibt man ja auch nicht jedem x-Beliebigen. Dieser x-Beliebige war der sehr rührige und auf Publicity bedachte Antal Dorati, den mit der Oper gar nichts mehr verbindet. Wenn er je mit ihr vertraut war (alle Ungarn fangen ja an der Budapester Oper an), so hat er das in den letzten Jahren amerikanischer Orchestercheftätigkeit längst vergessen. Er hat den Kopf in der Partitur, schlägt so häßlich und eckig, daß wirklich kein Mensch wissen kann, wann der Einsatz erfolgen soll, und der Kontakt zwischen Orchester und Bühne wackelt bedenklich. Statt auf das – zugegeben – schwierige Orchester durch Begeisterung und Persönlichkeit Eindruck zu machen, versuchte er, sich „hineinzuraunzen“, was sich optisch darin äußerte, daß er bereits beim Hereinkommen bei den Bratschisten mit Händeschütteln begann, was das Orchester offenbar zum Kopfschütteln veranlaßte. Es spielte nämlich ganz so. Auf der Bühne war Christl Goltz als Fidelio zu hören, die es mit den Spitzentönen nicht leicht hatte, aber wenigstens Ernst und Persönlichkeit mitbrachte. Hans Beirer sang einen nicht nur kraftvollen, sondern auch um Ausdruck bemühten Florestan. Seine Technik hat sich seit der Operneröffnung (bei der er den Stolzing sang) ebenfalls sehr gebessert. Unter den tiefen Stimmen dominierte Otto Wieners Minister. Ein Tausch mit Paul Schöfflers Pizarro wäre doch einmal angebracht! Kurt Böhme war ein routinierter Rocco und das Buffopaar Hilde Güden und Murray Dickie stimmlich hervorragend. Es konnte dem Hörer wirklich Freude machen.
OTHELLO am 7. Mai
Antal Dorati konnte sich diesmal besser bewähren, wahrscheinlich deshalb, weil die Aufführung besser sitzt. Der Chor schwamm allerdings nicht unbeträchtlich, und einmal gelang es Dorati sogar, Aldo Protti aus dem Tritt zu bringen, dessen musikalische Sicherheit doch sonst so groß ist, daß er ganze Akte mit dem Rücken zum Dirigenten singen kann, ohne auszusteigen. Die Riesenstimme und die phänomenale Höhe (Trinklied!) verfehlten auch diesmal ihren Eindruck nicht, wiewohl bei Prottis Jago ja sonst, was differenzierten Ausdruck und Spiel betrifft, einige Wünsche offen bleiben. James McCracken sang wieder einen heldischen, sicheren und geschmackvollen Othello in ärmlicher Kostümierung. Die beiden Superstimmen im Racheduett sind wirklich ein Genuß. Sena Jurinac, fraulich, anmutig und seelenvoll, aussehend wie einem Gemälde entstiegen und im Piano wundervoll kultiviert, war im Forte ein wenig steif und schrill. Der sehr fleißige und viel verwendbare Ludwig Welter sang endlich einmal einen guten Lodovico. Annemarie Ludwig (mit einem starken Tremolo), Anton Dermota und Ermanno Lorenzi waren passable Comprimarii, nicht so der scheppernde Hans Schweiger als Montano.
LA BOHEME am 8. Mai
Wie zumeist am Montag üblich, konnte die gute Stimmung auf der Bühne kein Echo im Auditorium finden. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte sehr schwungvoll und mit Hingabe. Das Orchester blühte in den Lyrismen auf, und der üppige Streicherklang zwang die Künstler, alles herzugeben, was sie hatten. Giuseppe Zampieri spielte einen liebenswerten Rodolfo, krönte seine Arie mit einem Bomben-C und erwies sich seiner Partnerin Lisa Della Casa gegenüber im Schlußduett des 1. Aktes als ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Als ihr der Schlußton abriß, nachdem sie das Schwergewicht ihrer Stimme auf das vorangegangene „Amore“ verlagert hatte, verzichtete er ebenfalls auf seinen exponierten Ton. Abgesehen von diesem Malheur gefiel Frau Della Casa als Mimi. Die Künstlerin hat leider derzeit nicht die kristallklare Höhe der vergangenen Jahre. Die Stimme ist härter und glasiger geworden. In schauspielerischer Hinsicht nötigt sie Bewunderung ab, ohne daß man sich jedoch an ihrer Gestaltung erwärmen kann. Graziella Sciutti hatte es beim Musetta-Walzer mit ihrer zarten Stimme wie immer schwer. Die Herren der Schöpfung, so ungalant dies auch klingen mag, waren den Damen überlegen. Aldo Protti sang den Marcello mit wahrer Herzenslust und verschwenderischem Einsatz seiner Prachtstimme. Ludwig Welter bewies als Colline, daß er bemüht ist, seinem Baß Legatophrasen abzugewinnen. Hans Braun ergänzte als Schaunard die Bohemiengruppe. Stimmlich kann er nicht mehr mit seinen Kollegen mithalten. Schade, daß das Publikum eiskalt auf eine solche Aufführung reagierte!
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 9. Mai
Francesco Molinari Pradelli dirigierte die Aufführung der beiden Opern und garantierte natürlich schwungvolles, dramatisches Musizieren, wobei der Chor nicht immer mitkam. (Die beiden Opern gehören einmal ordentlich durchgeprobt.)
Die Vertreter der CAVALLERIA waren: Hilde Zadek gut bei Stimme und mit viel Einsatz. Sie erspielt die Partie, die ihr doch an sich überhaupt nicht liegt, mit viel Intelligenz; ferner Giuseppe Zampieri, stimmlich hervorragend, mit Schmelz und Ausdruck, aber nicht ganz korrekt; ferner Kostas Paskalis rauh, aber wirksam; und die vorzüglichen Damen Gundula Janowitz und Georgine Milinkovic.
Im Bajazzo hörte man einen guten Sopran mit dem eindrucksvollen Namen Antonietta Mazza-Medici, die sich als bloßfüßige Nedda (welch Heger’scher Realismus! Die Sängerinnen werden sich alle möglichen Erkrankungen holen!) sehr gut einfügte, rassig aussah, gut sang und nur in der Höhe wenig zu bieten hatte. James McCracken bewährte sich wieder als stimmlich ausgezeichneter Canio, Aldo Protti sang seinen wie üblich hinreißenden Tonio und Kostas Paskalis und Murray Dickie assistierten gewissenhaft.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 10. Mai
Als Holländer holte man sich Herbert Fliether aus Hamburg, nachdem man geist- und phantasielos Hermann Uhde im Festwochenprogramm angekündigt hatte. Jeder Opernfan weiß, daß Herr Uhde heute kaum noch in der physischen Verfassung ist, um an der Wiener Staatsoper diese Partie zu singen. Ebenso wenig Phantasie hatte man mit der Verpflichtung des Herrn Antal Dorati als Dirigenten im fremdenverkehrsreichen Monat Mai bewiesen. Antal Dorati, der sich einen gewissen Namen durch die Schallplattenindustrie gemacht hat, war eine bittere Enttäuschung. Er erwies sich als ein jeden Takt ausschlagender Kapellmeister, der mehr den Kopf in der Partitur hatte, als zur Bühne gerichtet. Er machte einen hilflosen Eindruck und konnte einfach das Schiff nicht lenken. Wo sollte er noch Zeit dazu haben auf seine „Passagiere“ zu achten? Was dabei herauskam, ähnelte nur in groben Umrissen Richard Wagners romantischem Jugendwerk. Herbert Fliether zeigte als Sänger gute Veranlagungen. Die dunkle, etwas weich klingende Stimme spricht vorläufig nur im Mezzavoce und Piano an. Das Forte wird zu gewaltsam angesetzt, wodurch seine Stimme an Ausgeglichenheit verliert. Weiters hatte der Sänger Schwierigkeiten mit der Höhe, die einige Male in den Hals rutschte. Doch das dürfte der Sänger noch ausmerzen können. Über den Schauspieler Fliether gibt es nichts auszusagen, denn er befleißigte sich einer derart statuarischen Haltung, daß man unwillkürlich an ein Denkmal dachte. Seine Partnerin Christl Goltz war viel agiler und bemühte sich sehr. Da die meisten Zuhörer ohnehin den Text der Senta im Gedächtnis haben, fiel die Wortundeutlichkeit nicht sonderlich auf. Fritz Uhl sang einen kraftvollen Erik, und Walter Kreppel wollte es nicht gelingen, seine Stimme stets in richtiger Tonhöhe zu halten. Anton Dermota hatte es mit dem Steuermannslied schwer, besonders der Schluß klang ganz verkrampft. Bemerkenswert an diesem Abend war die heftige Ablehnung des Publikums Herrn Dorati gegenüber, der am Beginn des zweiten Aktes ausgezischt wurde.
DIE WALKÜRE am 11. Mai
Man war dem Dirigenten Heinrich Hollreiser nach dieser Aufführung gar nicht böse, daß er das Werk so schnell herunterdirigiert hatte. Es war eben früher aus, und ein gar nicht interessanter Abend hatte damit sein Ende gefunden. Keiner der Mitwirkenden hatte seine Höchstform erreicht. Hans Beirer als Siegmund schien indisponiert zu sein, was das „Wälsungenblut“, sonst seine Stärke, unterstrich. Im zweiten Akt, der ihm nicht liegt, sang er dauernd im Forte, wobei die Stimme ein hörbares Vibrato hatte. Hilde Zadek erstarrte als Sieglinde in Routine, Otto Wiener kam als Wotan nicht über eine solide, bürgerliche Leistung hinaus und Kurt Böhme war ein stimmgewaltiger Hunding. In schauspielerischer Hinsicht wurden sie alle von Martha Mödl als Brünnhilde übertroffen. In gesanglicher Hinsicht war sie gut, vielleicht eine kleine Spur weniger intensiv im Ausdruck als sonst. Ganz aus dem Rahmen fiel Jean Madeira als Fricka, die in einem fast unverständlichen Kauderwelsch eine keifende Göttergattin mit rauher und in der Höhe gellender Stimme sang. Solche Wagnerabende haben eigentlich im Wonnemonat Mai wenig auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper verloren!
ARIADNE AUF NAXOS am 12. Mai
Eine ziemlich matte Angelegenheit, die nur drei gute Sängerleistungen aufzuweisen hatte: Sena Jurinac (Komponist), Lisa Della Casa (Ariadne) und James McCracken (Bacchus). Letzterer war rein stimmlich der Held des Abends: sein kräftiger Tenor mit der unermüdlichen Höhe hielt auch verwöhnte Ariadnebesucher in Atem. McCrackens Stärke, seine glanzvollen Spitzentöne, blieben die beiden Damen teilweise schuldig. Frau Della Casas Höhe ist schon längere Zeit nicht das, was sie einst berückend machte. Sie klingt forciert, ohne Glanz und das Zurücknehmen ins Piano macht hörbare Schwierigkeiten. Auch Frau Jurinac hatte viele scharfe Höhen und beim „Venussohn“ wäre beinahe etwas passiert. Die restliche Besetzung war teilweise nicht staatsopernreif. Allen voran Karl Dönch! Wenn er den Musiklehrer nur sprechen will, soll er Mitglied einer Sprechbühne werden, in der Wiener Staatsoper hat eine solche „Gesangsleistung“ nichts verloren. Ebenso darf das Auditorium wohl darauf bestehen, die Zerbinetta auch außerhalb ihrer großen Arie zu hören, denn im Vorspiel war die gastierende Elisabeth Verloy einfach nicht da. Eine relativ gut gesungene Arie ist entschieden zu wenig. Als Anführer des Buffoquartetts machte Gustav Grefe als Gast (Die beiden hauseigenen Harlekins waren abwesend, Erich Kunz in Mailand und Karl Weber in Florenz.) gute Figur und sang zufriedenstellend. Positiv auffallend war der tollpatschig polternde Ludwig Welter (Truffaldin). Die drei Nymphen wurden durch die Vierteltoneinlagen von Ruthilde Boesch zu einem wahren Alptraum, den nur das richtig gesungene Echo Anny Felbermayers etwas linderte. Ein besonderes Kapitel war Berislav Klobucar am Pult. Es dürfte doch auch ihm bekannt sein, daß in dem 36 Mann-Kammerorchester der Ariadne verschiedene Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten doppelt so stark auffallen wie in dem Riesenaufgebot einer Salome oder Elektra. Eine Ariadne kann man nicht „al fresco“ dirigieren. Hier ist Präzision und Klarheit oberstes Gesetz und somit Proben unerläßlich. So blieb die Aufführung auch vom Orchester her uninteressant und farblos, was wohl zu Lasten des Dirigenten gehen dürfte.
OEDIPUS DER TYRANN am 13. Mai
Die erste Reprise von Orff’s Sophoklesdrama fand überraschend lebhaftes Echo beim Publikum, obwohl fast zwei Stunden pausenlose Einwirkung von Sprechgesang, Schreien, reiner Deklamation. hämmernden Klavieren, dröhnenden Schlagzeugbatterien mit ungewohnten Effekten und nicht zuletzt das grausame, blutige Schicksal des Tyrannen (warum eigentlich, Herr Orff?) die Nerven des Hörers stark beanspruchen. Ergänzend zur Rezension anläßlich der Premiere fällt dem aufmerksamen Hörer auf, daß Orff bei den wenigen Stellen des Werkes, wo man von melodischer Klangwirkung sprechen kann, Anleihen bei Strawinsky (Sacre, Ahnenritual der Ältesten) und im Harmonischen auch bei Mussorgskys (Boris, Krönungsszene) machte. Solches war in Orffs früheren Werken nie zu bemerken, doch seit es auch bei ihm zum guten Ton gehört, um jeden Preis im Gespräch zu bleiben und Neues zu schaffen (besser gesagt, zu „machen“ ), obwohl ihm nichts Originelles mehr einfällt, scheint auch er diesen Weg zu verfolgen. Obwohl Orff die Musik als solche zu einem Schattendasein im Hades verurteilt hat, geht, dank Sophokles, noch immer eine starke Wirkung von diesem erbarmungslosen Theaterabend aus. In erster Linie von Gerhard Stolze, dem faszinierenden Oedipusgestalter, dessen physischer Leistung man nur höchstes Lob zollen kann. Nach ihm wären als ausgezeichnete Sänger, bzw. Sprecher Walter Berry und Ludwig Weber zu nennen, während Christl Goltz als Jokaste durch Sprechundeutlichkeit weniger überzeugen konnte. Heinrich Hollreiser leitete das Orff’sche Klingel-Instrumentarium zufrieden stellend.
AIDA am 14. Mai
Nach längerer Pause nahm sich wieder einmal Meister Herbert von Karajan persönlich der Aida an und entfaltete hart arbeitend die Farben und Töne Verdis. Im Orchester war alles da, das dröhnende Triumph-Finale ebenso wie das zarte, impressionistische Flimmern am Beginn des Nilaktes, die große Phrase der Pharaonentochter und das wirbelnde Ballett bei dem man (angesichts der schauderhaften Choreographie) ohnedies am besten die Augen schließt. Die Sänger kamen da nicht immer mit, der Chor vor allem, der wohl um 200 Mann Singverein verstärkt werden müßte, um die große, beinahe bis zum Sacher hin offene Bühne zu füllen. Am besten von den Solisten klangen die dunklen Stimmen: Aldo Protti ist derzeit fast konkurrenzlos als stimmgewaltiger Amonasro, und Walter Kreppel ist stimmlich und auch stilistisch ein vorzüglicher Ramphis. Mirella Paruto sang die Aida, und wir müssen es gleich vorwegnehmen, schlechter als bei ihrem vielversprechenden Debüt. Sie hat eine riesige Stimme, phrasiert ausgezeichnet und hat viel Gefühl und Ausdruck. Auf der Gegenseite steht leider ein gewaltiger Mangel an Technik, der die an sich nicht sehr ergiebige Höhe – beim H ist fast schon Endstation und ein C wird nur mit Zittern erreicht – in schauerlichen Vierteltönen von der richtigen Tonhöhe abrutschen läßt. Es fehlt die Kraft und die Stütze für die große Stimme, sie ermüdet leicht und kompensiert den Mangel an Gesangskunst mit Schreien. Dazu gesellte sich offenbar noch panische Angst vor Meister Karajan, der doch einer der subtilsten Begleiter ist, den wir kennen. Unter einem anderen Dirigenten hätte es im Nilakt, den er doch immer noch auszubalancieren verstand, ein Schwimmfest gegeben, denn auch Jon Vickers rissen manchmal die Töne ab. Er fürchtete sich genauso vor der Höhe wie die Sopran-Kollegin, und so kam es vor jedem Spitzenton zu einem Amoklauf. Er hatte allerdings auch schöne Momente: eine sehr kultivierte und ausdrucksvolle „Celeste Aida“, eine vorzügliche Tempelszene und eine ganz ausgezeichnete Gerichtsszene. Das Schlußduett sang er auf Nummer sicher im Pianissimo, die Dame ebenfalls auf ihre Art auf Nummer sicher im Fortissimo. Eine ausgezeichnete und ausgeglichene Leistung, schöne kräftige Mittellage und sichere Höhe zeigte Biserka Cvejic als Amneris, wenn sie nicht zu sehr auf die Stimme haute. Frederick Guthrie war ein solider König. Kurt Equiluz, ein wohltuend unauffälliger Bote. Gerda Scheyrer vervollständigte als Priesterin die Besetzung. Das war eine Aufführung, die einem in Atem hielt und die der Spannung nicht entbehrte, aber ohne Karajan leicht zu einer Katastrophe hätte worden können. Vielleicht hätten ein paar Proben genügt, um die Sänger sicherer zu machen oder zumindest ihre Schwächen zu erkennen?
LA BOHEME am 15. und 19. Mai
Die Aufführung war dank Francesco Molinari-Pradelli, einem der besten Dirigenten, die sich in den letzten zehn Jahren in Wien an Puccinis Meisterwerk versuchten, wie aus einem Guß. Hier gab es kein „Schwimmen“, Präzision war Trumpf! Welche Leistung das bei den unzähligen kleinen Einsätzen auf der Bühne und im Orchester, besonders im ersten Akt, bedeutet, ist jedem Kenner klar. Auch der Chor im zweiten Akt, sonst das Sorgenkind jeder Boheme-Aufführung, sang minutiös genau. Das Orchester spielte hingebungsvoll und folgte willig den kleinsten Intentionen des Maestro. Auf der Bühne ein nahezu gleichwertig ideales Ensemble. Herz des Opernfans, was willst du mehr! Die Besetzung der beiden Hauptpartien war mit Hilde Güden als Mimi und Carlo Bergonzi als Rodolfo äußerst glücklich. Frau Güdens makellose Mimi wurde schon oft gerühmt, und der Tenor überraschte nicht nur mit wohllautend weicher Stimme, die mühelos alle Höhen meisterte, sondern auch durch noble ausgewogene Gesangslinie und beruhigend sichere Musikalität. Das hohe C im Schlußduett des ersten Aktes war eine reine Ohrenweide! Eberhard Wächter gab den Marcello elegant, charmant und in prachtvoller stimmlicher Verfassung, Ludwig Welter einen guten Colline, Hans Braun bemühte sich als Schaunard. Die Musetta Graziella Sciuttis wäre ideal zu nennen, wenn die Stimme ein wenig größer und die Höhe bestechender wäre. Als Benoit gefiel Peter Klein. Eine wirklich ganz ausgezeichnete Aufführung.
DER ROSENKAVALIER am 16. Mai
war eine geschlossene Aufführung für einen Brauerei-Kongreß (Besetzung: Lisa Della Casa, Ludmilla Dworakowa als Quinquin, Wilma Lipp, Kurt Böhme, Dirigent: Antal Dorati).
BALLETTABEND am 17. Mai
CAVALLERIA RUSTICANA und DER BAJAZZO am 18. Mai
wurden von Francesco Molinari-Pradelli mit viel musikalischem Gefühl dirigiert. Weniger gut war es um die Präzision bestellt, doch daran hatte die Hauptschuld der Chor, der keinen Einsatz erwischte. An Stimmstärke wären sie von jedem x-beliebigen größeren Kirchenchor übertroffen worden. Leider vergaß man bei der letzten Pressekonferenz bei Karajan, das Thema Chor anzuschlagen. Hier nämlich müßte endlich etwas geschehen.
In der Cavalleria sang Carlo Bergonzi seinen ersten Turiddu an der Staatsoper. Er hatte seine besten Momente in der Siciliana, die er effektvoll mit diversen Schluchzern garnierte, und im Abschied, bei dem man sich allerdings mehr Emotion gewünscht hätte. Wenig durchschlagskräftig war er im großen Duett, wobei wir betonen möchten, daß die erzene Stimme von Christl Goltz gar nicht zum Belcanto des Herrn Bergonzi paßte. Frau Goltz sang Note für Note, und dies öfter mit sichtbarer Anstrengung. Star des Abends war Aldo Protti als Alfio, der für den angeblich erkrankten Walter Berry, der in Wahrheit zur gleichen Stunde in Milano spazieren ging, hilfsbereit einsprang. Er hätte jedem seiner Partner etwas an Stimmstärke und Ausdruckskraft abtreten können, ohne daß dadurch seine Leistung gelitten hätte.
Den darauf folgenden Bajazzo leitete Aldo Protti dann mit einem Prolog ein, der alle Herzen höher schlagen ließ und einen Beifallssturm entfesselte. James McCracken sang kräftig und mit Heldenglanz einen etwas schwerfällig wirkenden Canio. Er müßte sich noch tiefer in die Mentalität der Person einfühlen. Das Leid und die Tragik kommen noch nicht ganz zum Ausdruck. Es beeindruckte nur die Stimme. Aber im Bajazzo geht es um mehr. Wilma Lipps Nedda wurde schon oft gewürdigt. Die äußerst gut durchdachte schauspielerische Leistung imponierte sehr, doch gelegentlich hatten wir sie schon besser gehört. Roland Dutro (von der Wiener Volksoper) als Silvio bot mit seiner Durchschnittsstimme eine ebensolche Leitung, die zwar nicht viel für die Zukunft versprach, aber um Klassen besser war, als wir sie von Karl Weber gewohnt sind.
LA BOHEME am 19. Mai
siehe Besprechung vom 15. Mai.
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 20. Mai
Der Fliegende Holländer und Hans Hotter sind zwei assoziierende Begriffe, die man nicht zu trennen vermag, denn Hotter ist und bleibt die Inkarnation des „Ahasvers der Meere“. Er ist in Erscheinung, Figur, darstellerischer und stimmlicher Gestaltung der Rolle noch immer unerreicht. Über den sich von Akt zu Akt steigernden Aufbau der Partie zu sprechen ist müßig. Der Künstler gestaltet jedes Wort und jede Silbe! (Man denke nur an den stimmlichen Ausdruck bei „Mein Schiff ist fest, es leidet keinen Schaden“.) Erschütternder Höhepunkt der Aufführung war wie immer das große Duett im zweiten Akt: dieses „Wie aus der Ferne…“ im kaum hörbaren Mezzavoce muß jeden empfänglichen Hörer in Bann schlagen, und man spürt die Spannung am Beginn des Duettes nie so stark wie bei Hotter. Neben einem solchen Partner hatte es besonders Hilde Zadek als Senta schwer, ebenbürtig zu bestehen. Sie bot eine respektable Leistung, wenn sie auch leider durch Forcieren vor allem der Spitzentöne versuchte, das Stimmvolumen ihres Partners zu erreichen. In strahlendem tenoralen Glanz hingegen gab Wolfgang Windgassen den Erik, schauspielerisch und gesanglich ganz aus sich herausgehend, eine makellose Leistung in jeder Hinsicht. Kurt Böhmes Daland war sehr rauhkehlig und grob gesungen. Höhen und Tiefen waren nicht überzeugend. Der Text des Steuermannes scheint extra für Karl Terkals Sprachfehler gedichtet worden zu sein. Dieser wirkt jedenfalls hier besonders störend. Frau Mary war Elisabeth Höngen. Der Chor (besonders die Herren) hielt sich sehr brav, hatte jedoch wenig Stütze in Antal Dorati, dem Dirigenten des Abends, denn dieser legte auf Kontakt zwischen Bühne und Orchester scheinbar wenig Wert. Den Kopf fast dauernd in der Partitur (beim Holländer!!!), sogte er zwar für leidliche Korrektheit im musikalischen Ablauf im Orchester, hatte aber sonst in den Details und im Ausdruck vieler Kantilenen sehr wenig zu bieten. Die große Linie ist nicht seine Stärke. Das Orchester spielte streckenweise nicht staatsopernreif (Vorspiel!), was auf Antipathie zurückzuführen sein dürfte. Jedenfalls ist die Erwerbung Doratis nicht das, was die Staatsoper seit Moralts Tod sucht und leider noch immer nicht gefunden hat.
DON CARLOS am 21. Mai
Statt der angekündigten Neuinszenierung ging wegen der Sparmaßnahmen die Aufführung vor ausverkauftem Hause die alte Inszenierung über die Bühne. Man war drüber gar nicht sehr verärgert, denn viele gesangliche Schönheiten (die Besetzung war die gleiche, wie für die geplante Neuinszenierung!) ließen die schäbigen Bilder und die nicht vorhandene Regie glatt vergessen. Die großartigste und am meisten bejubelte Leistung des Abends bot Giulietta Simionato als Eboli. Die Künstlerin, die damit ihre Wiener Tätigkeit wieder aufnahm, sang die schwere Partie mit einer Leichtigkeit, daß den Zuhörern einfach der Mund offen blieb. Das ist Belcantokultur in höchster Vollendung. Das ist eine Meisterin ihres Faches! Man könnte ihr stundenlang zuhören und dem Zauber ihrer Stimme lauschen, ohne müde zu werden. Assistiert wurde sie auf’s Beste von Eberhard Wächter als Posa, der mit Elan und Begeisterung die Rolle sang und spielte und Walter Kreppel als Philipp, der immer stärker in die Partie hineinwächst. Herrlich gelang ihm die große Arie, die er sehr nuancenreich vortrug. Die Stimme gewinnt zusehends an Modulationsfähigkeit und Ausdruckskraft. Man muß lange im Gedächtnis nachblättern, um diese Arie von einem deutschen Bassisten so hervorragend gesungen gehört zu haben. Hans Hotter gelang es, die Großinquisitorszene zu einem dramatischen Höhepunkt zu machen. Zwiespältig war der Eindruck, den Jon Vickers in der Titelpartie hinterließ. Es wird immer deutlicher, daß Vickers’ Stärke im Heldenfach liegt. Neben glanzvollen strahlenden Forte-Tönen gab es Leerläufe im Mezzavoce, wo die Stimme weniger trägt. Dem Künstler fällt der Übergang vom Piano ins Forte schwer, und dadurch leidet der Gesamteindruck beträchtlich. Ein Heldentenor sollte sich nicht mit einer Belcantopartie abplagen und das tat er sichtlich. Als Darsteller gelang es ihm gut, die Hysterie und Nervosität des Infanten auszudrücken. In der Partie der Königin hörte man (als Einspringerin für Sena Jurinac) Christl Goltz, die mehr denn je Schwierigkeiten mit dem Atem hatte und sich sehr bemühen mußte, mit dieser Belcantopartie fertig zu werden. In den Nebenrollen versprach Gundula Janowitz mit ihrem Sopran alles für die Zukunft. Francesco Molinari-Pradelli erwies sich wieder als ausgezeichneter Dirigent, der die Melodik Verdis in seinem Herzen trägt und nicht wie viele seiner Vorgänger nur in theoretischer Vorstellung. Es gab bei ihm keine Kunstpausen. Das Werk wirkte wie aus einem Guß, was beim Don Carlos eine seltene Erscheinung ist.
DIE MACHT DES SCHICKSALS am 22. Mai
Die Aufführung bot Gelegenheit, zwei Neubesetzungen zu beurteilen. Mirella Paruto bringt großes, auch schön timbriertes Stimmaterial mit. Leider ist die Stimme technisch sehr unvollkommen geführt, man könnte fast sagen, sie ist ungebändigt. Schlechte Stütze bringt vor allem die hohen Töne in Gefahr abzurutschen. Außerdem wird unsauber intoniert, und das nachträgliche Korrigieren bereits angesungener Töne ist für einigermaßen musikalische Hörer (und gerade solche pflegen zumeist die Oper zu besuchen) nicht gerade angenehm. Man kann Frau Paruto nur raten, ehestens gegen diese technischen Mängel etwas zu unternehmen, damit die an sich schöne und große Stimme nicht an Wert verliert. Bei Carlo Bergonzi ist es beinahe umgekehrt. Er singt technisch wunderschön, phrasiert berückend, alles sitzt sicher und ist auch ausdrucksmäßig durchaus befriedigend, nur das Stimmvolumen läßt zu wünschen übrig, vor allem im Hinblick auf die Vorgänger Bergonzis in dieser Rolle. Giulietta Simionato aber bringt alles mit, was sich der Opernfreund nur erträumt: Stimmkultur und Stimmkraft, bezauberndes Spiel – eitel Wonne! Ettore Bastianini kämpfte hörbar mit einer Indisposition, die vor allem seine sonst so schöne Mittellage ein wenig stumpf erklingen ließ. Walter Kreppel demonstrierte wieder einmal, wie schön seine Baßstimme in letzter Zeit geworden ist. Dagegen ist Karl Dönch bald wirklich eine Zumutung an das Publikum. Man glaubt sich bei seinem Auftritt in eine Schmiere versetzt, und wenn nicht einmal mehr Höflichkeitsapplaus aufkommen will, so liegt das vor allem an der aufdringlichen Art, mit der dieser Restbestand einer Stimme dem Publikum präsentiert wird. Francesco Molinari-Pradelli, exzellenter Musiker und Diktator, leitete die Wiener Philharmoniker, war mit dem Opernchor, speziell was die Tempi betraf, nicht immer einer Meinung.
DIE ZAUBERFLÖTE am 23. Mai
Bei dieser „geschlossenen Vorstellung“ trat der interessante Fall ein, daß die Tageskassen der Staatsoper von dem Mieter des Hauses Karten in Kommission bekamen. Dadurch wurde auch uns Gelegenheit gegeben, den Abend zu besuchen. Am Pult stand Heinrich Hollreiser, der andächtig den Wiener Philharmonikern zuhörte und nur gelegentlich einiges zwischen Bühne und Orchester korrigierte. Professor Willi Boskowsky war der Konzertmeister, der praktisch das richtige Tempo angab. Was mag wohl Herr Hollreiser an diesem Abend gedacht haben? Das Orchester spielte von alleine vor ihm auf. Zahlreiche vergebene Chancen kennzeichnen die Zusammenarbeit des Orchesters mit dem Dirigenten, dem es kaum gelingen wird, ohne Mitarbeit seiner Person in Berlin eine solche prächtige Zauberflöte zustande zu bringen. Dort weht ein anderer Wind, und er wird etwas mehr arbeiten müssen. Ein Ensemble war auf der Bühne versammelt, das die Zauberflöte kennt. Waldemar Kmentt war der gut singende Tamino, der wegen der schönen Pamina alle Gefahren auf sich nahm. Lisa Della Casa war tatsächlich bildhübsch anzusehen. In technischer Hinsicht demonstrierte sie echte Mozartkultur. Abgesehen von einigen harten Spitzentönen war alles eitel Wonne. Wunderbar und raffiniert war der Schluß der Arie vorgetragen. Diese Stelle macht ihr sobald niemand nach. Ludwig Welter sang kräftig und sauber den Sarastro, Graziella Sciutti war eine süße, kleine Papagena und Peter Klein als tänzelnder Monostatos ergänzten das heimische Ensemble. Nicht zu vergessen sind die drei Damen, dargestellt von Gerda Scheyrer, Margareta Sjöstedt und Georgine Milinkovic. Ihnen aber merkte man an, daß sie längere Zeit die Rollen nicht gesungen hatten. Die Zusammenarbeit war keineswegs homogen. Papageno und Königin der Nacht waren mit Gästen besetzt, von denen Wolfram Zimmermann aus Graz bei weitem den günstigeren Eindruck hinterließ. Zwar konnten wir über seine Charakterisierung des Papageno nicht recht froh werden, dazu sind wir von Erich Kunz und Walter Berry zu sehr verwöhnt, aber in gesanglicher Hinsicht bot er eine sehr gute Leistung. Die Stimme besitzt ein angenehmes Timbre und wird sehr sicher und musikalisch geführt. Unmusikalisch war dagegen Anastasia Chrest als Königin der Nacht, was besonders in der zweiten Arie auffiel. Die Koloraturen waren ungenau angesetzt und klangen außerdem aufdringlich schrill.
DON CARLOS am 24. Mai
war eine sehr gute Repertoirevorstellung, sowohl was die Sänger, als auch was den Dirigenten betrifft. Die beste und geschlossenste Leistung des Abends bot Eberhard Wächter als Marquis Posa: edel, zurückhalten, schwärmerisch und doch voll Begeisterung und Tapferkeit der Darstellung und in prachtvoller stimmlicher Verfassung. Eine idealer Posa, der mit Recht den stärksten Beifall des Abends erhielt! Bei Jon Vickers als Don Carlos wechselten leider großartige darstellerische und stimmliche Momente mit eher mäßigen stimmlichen Eindrücken (wie bei ihm leider so oft in letzter Zeit). Obwohl er einen in seiner Schwachheit und seinen Zweifeln und Nöten glaubhaften Carlos auf die Bühne stellte, mußte er dem Belcanto Verdis einiges schuldig bleiben. Schade! Walter Kreppel fehlt für den Philipp noch die ganz große Persönlichkeit, aber dank seiner guten Bühnenerscheinung und seinem ruhigen und sicheren Auftreten war er ein durchaus glaubwürdiger spanischer König, der seinen Part stimmlich ausgezeichnet und sicher vortrug. Jeder Zoll faszinierende Persönlichkeit war Hans Hotters Großinquisitor, ob er nun mit donnernder Stimme die Orchesterfluten übertönte oder mit der Unduldsamkeit des Greises ungeduldig mit dem Stock auf den Boden schlug. Da Christl Goltz leider weder in Stimme noch in Erscheinung eine Elisabeth ist, bot sie diesmal die schwächste Leistung des Abends. Dafür sang Biserka Cvejic eine ausgezeichnete Eboli, wenn sie auch den Schluß der großen Arie nicht so aussang, wie man sich das von ihr erwartet hatte. Nervosität oder Schwächeanfall? Eine besonders erfreuliche Stimme von oben sang Gundula Janowitz. Francesco Molinari-Pradelli dirigierte wie immer exakt, klar und imponierend souverän, obwohl er manchmal mehr als nötig die Sänger zudeckte und das Orchester nicht seinen besten Tag hatte. Es war, wie gesagt, eine sehr gute Repertoireaufführung, doch sind wir überzeugt, daß es bei einigen Proben mit Bühne und Orchester eine ausgezeichnete Aufführung werden könnte. Wir können uns daher mit Recht auf die Neueinstudierung im Herbst freuen.
ANDREA CHÉNIER am 25. Mai
Unter Francesco Molinari-Pradellis kundiger Leitung – manchmal war es etwas zu laut, aber das schadet dem Stück gar nicht – sang Carlo Bergonzi den Titelhelden. Stimmlich war er sehr gut. Man glaubt ihm – was auch durch die Figur unterstrichen wird – den Schöngeist eher, als den Helden. Die Madeleine sang Gerda Scheyrer, und es ist erfreulich, immer wieder festzustellen, wie sehr ihr Format seit dem Theater an der Wien gewachsen ist. Ihre Mutter verkörperte Elisabeth Höngen ausgezeichnet, und die an sich nicht gerade dankbare Nebenrolle der Madelon gestaltete Hilde Konetzni mit bemerkenswertem Einsatz. Den Gerard sang Ettore Bastianini, der viel Bejubelte. In den weitern Nebenpartien fielen Alois Pernerstorfer und Ludwig Welter am angenehmsten auf. Eindeutig und penetrant unangenehm fiel Erich Majkut auf, nicht nur stimmlich, sondern auch mit seiner Einheits-Intriganten-Pose.
DIE ZAUBERFLÖTE am 26. Mai
In dieser Aufführung gab es die schon erwähnten Gäste wieder, wobei Anastasia Chrest völlig versang und vertat. Die Dame wurde schon in München wieder entfernt, wo sie von Ferenc Fricsay unbedingt engagiert werden mußte. Frau Chrest ist das Musterbeispiel einer unmusikalischen Sängerin mit schauerlicher Aussprache (Nationalität nicht festzustellen!). Die Koloraturen klangen gackernd, das Timbre kreissägenhaft. Außerdem stieg sie fürchterlich aus und das bei der zweiten Arie der Königin, die jeder Opernfreund (allerdings vielleicht um eine Oktave tiefer) musikalisch richtig trällern kann. Das haben wir wieder einmal nötig gehabt! Wolfram Zimmermann der Gastpapageno singt gut und geschmackvoll, hat aber wenig Humor und ist für die Partie viel zu groß. Er wäre weit besser, ihn im Charakterfach einzusetzen. Wir haben, als er als Doktor im Wozzeck gastierte, schon darauf hingewiesen, daß er einen sehr brauchbaren und fleißigen Comprimario abgeben könnte. Die Ruinen, die sich derzeit in den kleinen Rollen auf der Bühne der Wiener Oper tummeln, müssen doch einmal in Pension gehen! Aber davon abgesehen: Herr Berry erhält eine sehr ordentliche Gage (wir wissen die Höhe!) und bekommt soviel Urlaub wie er will. Daß zu Festwochenbeginn ein Papageno, der immerhin nur in Graz und Nürnberg singt, an der Wiener Staatsoper einspringen muß, weil Herr Berry in Mailand spazieren ging, dürfte den Bogen etwas überspannen, zumal ja schon ein Figaro (am 23. Mai) durch eine Zauberflöte ersetzt werden mußte, da Herr Zimmermann nur deutsch studiert war. Da werden diese Sänge in Wien groß, können von da aus in alle Welt gastieren fahren und spielen in der Öffentlichkeit die armen, von den „bösen Italienern“ hinausgedrängten Opfer! Es ist wirklich der Höhepunkt an Undankbarkeit. Zurück zur Zauberflöte. Der dritte Gast war ein Herr Olav Ericson, ein braver, farbloser, etwas knödelnder Bariton, daher als Sprecher deplaciert. Das eigene Ensemble steuerte die herrliche, silberstimmige und prinzessinenhafte Wilma Lipp, die reizende Papagena Graziella Sciutti, den bestens disponierten, mit heldischen Tönen prunkenden und doch auch mit subtilem Pianissimo singenden Anton Dermota, die nicht gut aufeinander abgestimmten Damen Gerda Scheyrer, Elisabeth Höngen und Dagmar Hermann, den würdigen Sarastro Kurt Böhmes und den vorzüglichen Monostatos Peter Kleins bei. Vom Pult gingen viele neue Impulse aus. André Cluytens ist wahrlich ein Meister des deutschen Faches, das ohnehin so schwach bestückt ist. Endlich wieder eine Zauberflöte, die auch vom Pult her interessant war, die die Würde und den Stil, die elegante Fröhlichkeit und klare Subtilität hatte, die Maître Cluytens so auszeichnen, wenn er Opern dirigiert, die ihm liegen.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 27. Mai, Neueinstudierung zu Festwochenbeginn
Die Opernfest-Inszenierung des Werkes von Herbert Graf vermochte von Anfang an nicht zu befriedigen. Es ist ziemlich klar, daß die Anhäufung großer Opern beim Opernfest und das Nichtvertrautsein mit dem Apparat Flüchtigkeiten mit sich brachte, die sich durch die altbekannte Wiener Schlamperei verhundertfacht, an jedem Aufführungstag vermehrten. Wer nun glaubte, daß sich die Angelegenheit durch Paul Hager verbessert habe, täuschte sich leider gründlich. Es ist unglaublich, wie schwierig diese Meistersinger zu inszenieren sind. Glaubten wir früher doch, die Wagner-Regie berge dort die größten Probleme, wo die Welten der Götter und der Menschen aufeinanderprallen, bei den Meistersingern aber, wo lebendige, kraftstrotzende Menschen mitten in ihrem Leben und dessen Problemen auf der Bühne stehen, könne die szenische Realisierung doch gar nicht so schwierig sein. Weit gefehlt! Übrigens gibt es nirgendwo eine befriedigende Meistersinger-Inszenierung. Eine Bayreuthkopie ist aber für den Repertoiregebrauch außerhalb Bayreuths undenkbar, das wird jeder logisch denkende Mensch einsehen. Paul Hager füllte also die Decors des für eine räumlich annehmbare Lösung zweifellos zu alten und zu konventionellen Robert Kautsky mit der ihm eigenen unruhigen Bewegung um jeden Preis. Da wird gehüpft und gesprungen, gedeutet und mit den Händen geredet, die Meister, die früher planlos umherirrten, fegen jetzt cholerisch durch das Kirchenschiff. Dabei sieht das ausgeräumte Kirchenschiff im ersten Akt recht gut aus. Wenn es aber mit Sesseln und Lehrbuben angeräumt ist, wirkt es ebenso beengt wie früher. Die winzige Schusterstube hätte eine gründliche Ausräumung bis auf einen Tisch, eine Bank und einen Schusterhammer wohl nötiger gehabt. Hier geschah gar nichts. Die Festwiese ist eine Symphonie in wüstengelb – beneidenswerte heiße Sommer müssen die Leutchen damals gehabt haben! Heinz Wallberg hat die musikalische Überholung übernommen und er, ein ausgezeichneter, hochbegabter Dirigent, der uns schon viele schöne Abende geschenkt hat, bewies, wie schwer es ein Junger hat, an der Wiener Staatsoper etwas Bedeutendes hinzustellen, erschwert durch die Tradition im Orchesterraum und im Auditorium. Der eine denkt an Hans Knappertsbusch, der andere an Clemens Krauss, der dritte an Fritz Busch und so weiter – und ein Wallberg rennt da mit seinem Enthusiasmus gegen eine Mauer. Er stürzt sich mit der ihm eigenen Begeisterung ins Vorspiel – und es hatte wenig Form und keine Steigerung. Erst nach Überwindung der offenbar ohne Wackeln nicht zu realisierenden Schwierigkeiten der Lehrbubenszene im ersten Akt war er mit dem Kampf gegen das Technische so weit, daß er die innere Ruhe für überlegene Gestaltung hatte – und so gab es eine erfreuliche Steigerung über eine schnelle, knallharte Prügelfuge und eine herzhaft musizierte Schusterstube bis zu einer musikalisch wirklich festlichen Festwiese. (Ausgenommen das wackelige Wiesen-Blech.) Auf der Bühne dominierten jene beiden Sänger, die ihren Wagner am Besten intus haben und sich durch das betuliche Treiben um sie herum nicht aus der Ruhe bringen ließen. Otto Wieners Sachs war der ruhende Pol, ehrlich, echt, ruhig, aber mit viel Humor und einem Schuß Sarkasmus bedacht, prächtig bei Stimme und sozusagen im vollen Besitze der riesenhaften Partie. Wolfgang Windgassen sang einen prachtvollen Stolzing. Dieser Sänger ist wirklich ein Wunder in unserer heldentenorarmen Zeit! Da singt er sich einen Winter lang von Haus zu Haus, verbraucht ungeheuer viel Energie und Stimme – und wenn man ernstlich anfängt, um ihn zu bangen und sich fragt, wer denn um Gottes Willen das alles singen soll, was er singt – dann ist er plötzlich wieder da, mit Schwung und Energie, der groß gewachsene schwäbische Wanger-Held und fegt mit dem feurigsten, schwärmerischsten und stimmlich edelsten Stolzing, den wir je von ihm hörten und sahen, alle unsere Bedenken über den Haufen! Den beiden Herren am nächsten kam überraschenderweise der Gast Heinz Imdahl, der uns bislang nie gefiel, als ein stimmgewaltiger, darstellerisch auf bemerkenswerte Art den Typ „sturer Vereinsmeier“ abhandelnder Kothner. Zählen wir noch Hans Hotter als überlegenen, beherrschenden Pogner auf, sowie Murray Dickie als netten, fröhlichen David, der das, was er früher mit selbstverständlicher Leichtigkeit hatte, jetzt mit ausgezeichneter Technik mühsam erarbeiten muß, dann haben wir die Positiva des Abends leider schon genannt. Lisa Della Casa ist ein sehr schönes Evchen. Als die Sängerin im Theater an der Wien die ersten Schritte ins Zwischenfach tat, war das Verblüffendste an ihr die souveräne Art, mit der sie unterspielte und die die damalige Creme der Stehplatzbesucher dazu brachte, Frau Della Casa als Sängerin, die „im Opernstil des Jahres 2000“ spielt zu apostrophieren. (Der Säger, der diesen Ruhm mit ihr teilte, war natürlich Hans Hotter und er hat sich nicht geändert!). Frau Della Casa ist aber in den letzten Jahren immer unruhiger geworden. Sie rauscht auf der Bühne hin und her, bewegt sich ständig – und handelt so eigentlich wider ihre eigene Persönlichkeit. Das wirkt sich natürlich bei der lieblichen Gestalt der Eva, bei der die Naivität, soll sie wirken, echt sein muß (siehe Grümmer!) ganz besonders aus. Hat man zuwenig davon – wer hat schon, außer der Grümmer! – dann ist es besser, die Eva zu spielen, wie es die Jurinac tut, eine herbe, strenge, junge Frau, „die mit den Männern ihre Not“ hat. Alles andere ist verlorene Liebesmüh. Zudem war Frau Della Casa, wie stets in letzter Zeit, stimmlich ziemlich unfrei. Die schlanken, kühlen Stimmen tendieren nun einmal zum Versteifen und Schrillerwerden in der Höhe, sie verglasen sozusagen. Karl Dönch hielt sich wohl zurück, um nicht einen Kasperl darzustellen, er ist aber trotzdem zu grell, zu aufdringlich – und zugleich stimmlich und persönlichkeitsmäßig zu untergewichtig. Wir werden doch noch einmal einen guten Beckmesser zu finden wissen, und wenn es Geraint Evans ist! Unerträglich war Jean Madeira als Magdalena. Amme mit Flimmerlächeln, deutschen Hausmütterchen mit echt Hollywooder Frigidaire-Sex. Unter den Meistern befanden sich etliche Jüngere, die gleich von Haus aus keine Stimme haben, wie Herr Hans Strohbauer. Man holt sich mit tödlicher Sicherheit aus der Volksoper die stimmlosesten Herren (Schöfer und Nidetzky haben zwar ungehobeltes, aber immerhin Material. Warum bringt man nicht diese?). Die Meister führte Karl Friedrich an, was die Stehplatzjugend zu Lachsalven verleitete. Wir erfahrenen 1000-Abende-Besucher haben Herrn Friedrich in folgenden Rollen gehört. Stolzing, Lohengrin, Erik, Florestan, Matteo, Apoll, Bacchus, Sänger (Capriccio und Der Rosenkavalier), Radames, Alvaro, Manrico, Don Carlos, Herzog, Alfred, Turiddu, Bajazzo, Pedro, Rudolf, Pinkerton, Kalaf, Cavaradossi, Richard und Narraboth…usw. Wir sind froh, daß er nur mehr den Kunz Vogelsang gibt und wollen es dabei bewenden lassen.
EIN MASKENBALL am 28. Mai
Hervorragende Herren, schwache Damen waren das hervorstechende Merkmal dieser Aufführung, dabei einen absoluten Planungsmangel verratend. Frau Sciutti, der reizende Oskar, sang in dieser Woche zweimal Papagena. Als Oskar hörte man die blutleere, ewig lächelnde, heisere und stimmschwache Rita Streich. Die Ulrica gab Jean Madeira höchst unkünstlerisch wie immer. Mirella Paruto, das Stimmphänomen (besser gesagt Materialphänomen) ohne Technik war mit Bergonzi, dem kultiviertesten aller kultivierten Tenöre zusammengespannt, was natürlich nicht gut gehen konnte, obzwar sich Frau Paruto gegenüber Aida und Forza verbessert hatte. Aber noch immer war die Tonhöhe ein va-banque-Spiel, jede hohe Phrase ein Amoklauf – und jede schwierige Gesangslinie endete mit einem erbarmungslosen Schrei, der den nun schon vorbereiteten Hörer tatsächlich noch immer vom Stuhle riß. Die Dame gehört zum Gesangspädagogen. Sie wurde offenbar zu früh auf die Leute losgelassen. Für Mantua und Torre del Lago mag die Gesangskunst ausreichen, nicht aber für die Wiener Oper. Übrigens wäre es um diese Riesenstimme sehr schade! Carlo Bergonzi schenkte uns wieder einen Abend voll Wohllaut. Die Gestaltung der Rolle geht allerdings mit dem Schöngesang nicht Hand in Hand und bleibt, ganz im Gegensatz zu diesem, farblos. Über den Renato von Ettore Bastianini etwas zu sagen, hieße Eulen nach Athen tragen. (Sein „Vendetta“ war über alle Maßen herrlich, von den Arien die erste noch schöner!). Nun hat er sich in der letzten Zeit vom Steh- zum Geh-Bariton gewandelt. Er spaziert mit Fleiß die Bühne auf und nieder – offenbar weil er den „Stehbariton“ loswerden will. Ludwig Welter und Ljubomir Pantscheff bewährten sich wie immer, Karl Weber wie immer nicht. Die musikalische Leitung des Abends hatte der Erzmusikus Francesco Molinari-Pradelli, der sich mit so korrekten Sängern wie Carlo Bergonzi bestens versteht. Daß er andererseits nicht warten konnte, bis Frau Streich geruhten, die Spitzentöne zu erwischen, und die schmählich hängen ließ, ist auch wieder zu verstehen.
OEDIPUS DER TYRANN am 29. Mai
Nach wie vor geht die stärkste Wirkung des Abends von den nur gesprochenen Szenen, also von Sophokles, aus, und man empfindet die Orff’sche Untermalung als störend und nicht nötig. Beklemmend und imponierend gut wieder Gerhard Stolze als Oedipus in der schon bekannten Premierenbesetzung. Neu waren Karl Mikorey als Gast als Tiresias und Alfred Jerger als Hirte des Lajos. Ein mit gequälten Abonnenten und viel Jugendlichen vollgestopftes Haus spendete diesmal nur lauen Beifall.
CARMEN am 30. Mai
Diese Vorstellung wurde kurzfristig wegen des Staatsbesuches des finnischen Staatspräsidenten unter Ausschluß der Öffentlichkeit in der Besetzung: Regina Resnik, Hilde Güden, Jon Vickers, Ettore Bastianini; Dirigent: André Cluytens, gegeben. Es ist absolut nicht einzusehen, warum bei jedem Staatsbesuch die Operninteressierten ausgeschlossen werden. Diesmal war es, weil es in die Wiener Festwochen fiel, auch wegen der Ausländer mehr als peinlich. Außerdem war die Besetzung interessant, also ein doppelter Grund zum Ärgern. Was hätte man eigentlich gemacht, wenn dieser Staatsbesuch in die Zeit des Nibelungenringes gefallen wäre. Hätte man da einfach einen Abend davon „geschlossen“ durchgeführt? Es ist bekannt, daß der Wiener Staatsbesuchen gegenüber sehr höflich ist, und man hätte dem Staatsbesuch sicher die nötige Ehrung von Seiten des Stammpublikums entgegengebracht. Warum also schließt man es aus? Viel eher wird den ständigen Opernbesuchern einmal die Geduld bei den provinziellen Gastdirigenten im deutschen Fache reißen.
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 31. Mai
Die zweite Aufführung der Neueinstudierung brachte die erfreuliche Umbesetzung der Partie der Eva. Irmgard Seefried bot eine sehr gute Leistung und ließ ihrer schönen Stimme freien Lauf, was sowohl der gesanglichen, wie auch schauspielerischen Darbietung sehr zustatten kam. Dagegen erwies sich Jean Madeira als „Glamour Girl of Old Nüremberg“ erneut als krasse Fehlbesetzung der Magdalena. Otto Wiener als Sachs und Wolfgang Windgassen als Ritter Stolzing boten die weitaus besten gesanglichen Leistungen des Abends. Wieners prächtig gesungener und überlegen gestalteter Schusterpoet krönte seine Leistung durch eine herrliche Schlußansprache, die ihm mit Recht den stärksten Beifall einbrachte. Windgassen befindet sich derzeit in ausgezeichneter stimmlicher Verfassung und wußte vollends zu überzeugen. Murray Dickie als David bot eine gute Leistung, wenn auch nicht zu überhören ist, daß das, was einst mühelos gelang, heute schon einer gewissen Anstrengung bedarf. Hans Hotter setzte seine eminente Persönlichkeit für den Pogner ein, und Heinz Imdahl als Kothner bot eine gesanglich gute, schauspielerisch sogar ausgezeichnete Leistung. Nicht neu, wenn auch etwas gezähmt Karl Dönch als Beckmesser. Es ist nur unbegreiflich, daß, es im Wiener Ensemble keinen Sänger geben soll, der der Partie des Stadtschreibers neuen Glanz verleihen kann. Das an die Rampe spielen allein garantiert keinen Erfolg. Heinz Wallberg, der im ersten Akt vor allem durch breite Tempi und Lautstärke befremdete, führte das Orchester sicher und erreichte seinen Höhepunkt in der Schusterstube und dem Schlußbild.