DER JUNI 1961

6. Jahrgang, Heft 7

 

VERSUCH EINER NEUORDNUNG

Pressekonferenz mit Herbert von Karajan – Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 6

Pressekonferenzen bei Herrn von Karajan sind für die Gemüter im allgemeinen von äußerst beruhigender Wirkung. Wir entsinnen uns bestens der Pressekonferenzen in den verflossenen Jahren, als Karajan in den Perioden heftigster Hetze und gröblichster Attacken seinen Feinden mit größter Eleganz doch auf einige Wochen den Mund stopfte. Heuer lag die Situation gänzlich anders. In der Presse herrscht die Ruhe eines Kirchhofs. Die flaue heurige Saison bedeutet einen Rückschritt gegenüber der vorjährigen, wobei wir festhalten möchten, daß das Niveau der Aufführungen immer noch turmhoch über dem der Saisonen 1955 und 1956 liegt. Dennoch: Der beunruhigende Triumph der Mittelmäßigkeit, der die Stammbesucher aus dem Hause und die Mitarbeiter des Merker, die ja gehen müssen, auf die Palme trieb, dieser Sieg der Mittelmäßigkeit über aufregende Opernfestivitäten hat unseren ebenfalls mittelmäßigen Kritikern offenbar gefallen. Sie heißen ihn offenbar gut, weil sie nichts dagegen sagen.

Wir wieder, die wir mit gutem Recht glauben, die Meinung eines erfahrenen und weit gereisten Opernpublikums auszudrücken, hatten in den vergangenen Jahren genug Ärger mit unberechtigten Angriffen gegen den Chef im allgemeinen und die Italiener im besonderen. Um so grimmiger waren wir heuer über die teilweise routiniert langweiligen Vorstellungen, deren Ursache eine zerfahrene Planung war. Und so kreiste seit geraumer Zeit in unseren Hirnen ein Leitartikel, der vielleicht den flammenden Titel „Karajan erwache!“ oder so ähnlich bekommen hätte. Und nun hören wir zu unserem Erstaunen auf der Pressekonferenz, daß er doch nicht geschlafen hat.

Karajan gab indirekt zu, daß oft nicht geschieht, was angeordnet wird, daß sich die leitenden Herren aufeinander ausreden, daß bei den Besetzungen und den Studienaufträgen vieles im Argen liegt, daß manche Inszenierungen „uns schon unter den Händen zusammenfallen“, daß die Kompetenzen nicht abgegrenzt sind und daher niemand so richtig die Verantwortung trägt.

Herr von Karajan, der in den vergangenen viereinhalb Jahren wohl genug Zeit hatte, die Materie zu studieren und geeignete Leute zu suchen, bzw. die in der Oper vorhandenen auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, hat sich nun zu folgendem Aufbau entschlossen:

Der Chef ist Herbert von Karajan, der möglichst nur künstlerisch arbeiten will.

Ihm untersteht ein Koordinationsbüro, dessen Leiter Albert Moser ist (also sichtlich der zweite Mann im Staat) mit einem Assistenten, Herrn Hubert Deutsch. Diesem Koordinationsbüro unterstehen

1./ Technische Leitung (Dekorationen usw.),

2./ Administration (Direktor Erich August Schneider),

3./  Szenische Abteilung (Paul Hager),

4./  Musikalische Direktion (Bernhard Conz),

dazu kommt André Mattoni für Verhandlungen mit den ausländischer, Gast-Sängern was, Ehre wem Ehre gebührt, immer noch am besten klappte.

Das ist nicht schlecht ausgedacht. Wir werden sehen, ob die vorgesehenen Herren die Persönlichkeit und die Menschenkenntnis haben, um sich durchzusetzen.

Als positiv empfinden wir an dieser Neuordnung, daß durchwegs Herren mit musikalischer oder Theater-Ausbildung und nicht theoretisierende Beamte herangezogen werden, letzteres hätte nämlich schlimm ausgehen können. Es leuchtet immerhin ein Hoffnungsschimmer in der Ferne auf, daß die Öde des deutschen Repertoires, die eben nicht wie in der italienischen Oper durch leuchtende Tenor-Spitzentöne oder eine riesige Baritonstimme hinweggespült werden, sondern mit viel Arbeit und kluger Disposition beseitigt werden kann, gemildert oder vielleicht doch ganz zum Verschwinden gebracht wird. Herr Conz hatte ein Schulbeispiel dafür, wie es nicht sein soll, in seinem Debüt-Fidelio. Hoffentlich reagiert er entsprechend.

Es wird also an die Zukunft gedacht und für die Zukunft gearbeitet, was ein erfreuliches Zeichen ist. Hatte man doch während dieser flauen Saison manchmal den Eindruck, Karajan sei einfach nicht mehr interessiert. Wie man sieht, ist er es doch noch.

 

Der Monat Juni  wurde beherrscht von Glanz und auch ein wenig Sand im Festwochengetriebe.

Was den Glanz anbelangt, ist man hierorts sich einig, daß dieses Schwelgen in musikalischen Festen dem Haus am Ring nach wie vor Einmaligkeit verleiht; was den Sand betrifft, differieren die Meinungen zwischen den zuständigen Verantwortlichen und dem Publikum. Wir glauben zwar auch, daß kein Institut der Welt vor Unfällen wie Absagen und Erkrankungen sowie Indispositionen und Fehlengagements wie Fehlbesetzungen gefeit ist, aber wir meinen auch, daß man durch genügend Vorsorge die Zahl dieser Unfälle stark reduzieren könnte. Die Fachleute ergrimmen bei solchen Reden über die anmaßende Unverständigkeit der Laien, die Laien ärgern sich über die gleichgültige Einstellung der Fachleute.

Beim Blättern im Junibericht der vorjährigen Spielzeit entdecken wir, daß das Bild des Festwochenmonats 1960 sich von dem des Jahres 1961 im Gesamtdurchschnitt nicht wesentlich unterscheidet, wohl aber stellt sich bei diesem Vergleich heraus, daß das künstlerische Niveau der Saison 1959/60 eindeutig höher lag als das von 1960/61 und daß sich unsere Erwartungen, die negativen Erscheinungen würden gesteuert werden, nicht erfüllten. Zwischen dem vom Opernliebhaber erträumten Idealzustand und dem Standpunkt der leitenden Herren zu dieser Frage dürfte wahrscheinlich genau in der Mitte die bestmögliche Lösung liegen, von der wir für die kommende Spielzeit hoffen wollen, daß Karajans Neudispositionen innerhalb der Direktion ihr zum Durchbruch verhelfen.

 

PARSIFAL am 1. Juni

Zwei Monate nach der Premiere war man darauf gespannt, wie durch den zeitlich gewonnenen Abstand Karajans Parsifal neuerlich wirken würde. Denn das überdimensionale Werk muß man zweifellos mehrmals hören, um das Urteil darüber zu bestätigen oder es in diesem oder jenem Detail zu revidieren. Nun, diese Aufführung war eine volle Bestätigung des damals Gesagten, kann in allen Einzelheiten neuerlich unterschrieben werden und erspart uns so ein diesbezügliches Zitieren. Demnach bleiben nur die musikalischen Tageseindrücke zu bewerten: Grundlegend kann man dazu sagen, daß die Sängerleistungen, frei von Premierenfieber, noch eindrucksvoller wirkten, Herbert von Karajan noch intensiver in der musikalischen Interpretation geworden zu sein schien. Er spannte in bewundernswerter Konzentration einen einzigen Bogen über das ganze Werk, in dem auch zugunsten der großen Linie kein noch so kleines Detail verloren ging. Der einmalige Klangkörper unseres philharmonischen Orchesters war das Meisterinstrument, aus dem Karajan diese faszinierende und packende Wirkung in makelloser Schönheit herauszuholen wußte. Besonders der dritte Akt bedeutete einen Höhepunkt, wie er wohl nicht oft gehört und erlebt werden kann. Eine Sonderklasse für sich bedeutete abermals der Gurnemanz Hans Hotters. Fritz Uhls Parsifal wirkte teilweise noch intensiver und klangstärker. Elisabeth Höngen als büßende und Christa Ludwig als sündige Kundry ergänzten einander neuerlich ideal. Eberhard Wächters Amfortas zeigte feinste Gesangskultur und Wohllaut. Der Titurel von Tugomir Franc war erfreulich schön gesungen. Walter Berry erreichte mit seinem Klingsor abermals nicht jene Wirkung, die wir seinem Klingsor gewünscht hätten, hier kann sich der Sänger eben doch nicht voll durchsetzen.

DON CARLOS am 2. Juni

fand in einer mit berühmten Namen gespickten Besetzung eine sehr schöne Wiedergabe. Mit Ausnahme des Titelrollenträgers Jon Vickers und des Chors gab es keine schwachen Punkte. Herr Vickers wirkte als Infant zu gekünstelt. Seiner Riesenstimme kann er hier nur selten freien Lauf lassen, so suchte er zumeist Zuflucht in Pianophrasen, die er intelligent anbrachte. Aber bei mehrmaligem Hören fragt man sich mit Recht, wo sein Mezzavoce bleibt. Wie man Verdi singt, demonstrierten Giulietta Simionato, Ettore Bastianini und Sena Jurinac. Herr Bastianini sang zwar imprecisamente, doch hat er eine solch herrliche Stimme, daß man dazu verleitet wird, seine Unarten zu vergessen. Beim Tod des Posa zum Beispiel vermeint man schon allein aus der Färbung der Stimme den Abschied vom Leben herauszuhören. Es gibt Künstler, die durch Spiel Stimmungen ausdrücken und unterstreichen können. Darauf kann Bastianini verzichten, er vermag es schon allein durch seine Kehle. Frau Simionato demonstrierte wieder ein „Don fatale“, wie es wohl alle Altistinnen erträumen. Walter Kreppel sang den Philipp mit markiger, sonorer Stimme und hatte seinen Höhepunkt in der großen Arie. In der Szene mit dem Großinquisitor allerdings konnte er sich nicht ganz durchsetzen, denn der gebieterische und stimmlich phänomenale Hans Hotter wirkte als Persönlichkeit so stark, daß man fast auf den spanischen König vergaß. Dies dürfte auch Herr Kreppel selbst gespürt haben, denn plötzlich suchte er durch Stimmstärke eine Kompensation herbeizuführen. Sena Jurinac war eine wunderschöne Elisabeth, königlich in Haltung und Gestik. Sie sang die Rolle mit unvergleichlicher Ausdruckskraft, die uns teilweise darüber hinwegtäuschte, daß derzeit ihre Stimme nicht im besten Zustand ist (die Höhenlage ist scharf). Sehr schwach war der Chor, der sich in ständigem Kampfe mit Francesco Molinari-Pradelli befand. Wie konnten die Damen im zweiten Akt so aus dem Text kommen? Kein Jota besser waren die Herren, die in der Autodafé-Szene ebenfalls mit dem Orchester kämpften. Molinari-Pradelli der Napoleon unter den Dirigenten erwies sich als Vollblutmusiker.

WOZZECK am 3. Juni

Nach längerer Pause konnten wir wieder die einzige „klassische“ Oper der modernen Musik auf uns einwirken lassen. Die Größe dieses Werkes mit seiner faszinierenden Übereinstimmung von dramatischer Aussage und musikalischem Inhalt wurde uns an diesem Abend wieder ganz bewußt. Heinrich Hollreiser war sehr inspiriert, und man konnte erfreut feststellen, daß moderne Werke ihm sehr gut liegen, ja ihm ein Herzensanliegen zu sein scheinen. Die überragenden gesanglichen Leistungen des Abends waren der Wozzeck von Walter Berry, der wohl in dieser Partie kaum zu überbieten ist und der für uns neue Helmut Melchert in der Partie des Tambourmajors. Melchert, der schon anläßlich des Gastspieles der Berliner Oper mit Moses und Aron angenehm auffiel, überzeugte stimmlich und schauspielerisch gleichermaßen. Christl Goltz sang ihre gewohnt eindrucksvolle Marie, ließ allerdings manchmal Ermüdungserscheinungen erkennen. Murray Dickie als Andres, Peter Klein als Hauptmann und der Münchner Kieth Engen als Doktor boten ausgezeichnete Leistungen und rundeten die eindrucksvolle Aufführung ab, die mit stürmischem Beifall für Werk und Interpreten bedankt wurde.

TRISTAN UND ISOLDE am 4. Juni

Dieser Tristan unter André Cluytens war musikalisch herrlich, blieb bei aller Kraft auch klar und durchsichtig, von blühender Romantik, aber mit dem nötigen Hitzegrad und sehr überlegen aufgebaut. Ein paar Proben – und auch die kleinen Unebenheiten im Orchester und die ebenfalls kleinen Diskrepanzen mit der Bühne hätte es nicht gegeben! Allerdings stimmte die Besetzung nicht ganz, denn Martha Mödl paßte nicht zu Cluytens. Er ist nämlich trotz aller Intensität wesentlich leiser als Karajan; und so hört man alles, was man ansonsten nicht hört, und das war im zweiten Akt nicht immer von Vorteil. Nach einer guten Leistung im ersten Akt plagte die Künstlerin sich später immer mehr – besonders auffällig im Liebestod. Wolfgang Windgassen befand sich auch nicht in bester Form. (Wer weiß was er in dieser Woche schon alles gesungen hatte.) Er distonierte im zweiten Akt ziemlich heftig und fand erst im dritten zu Kraft und Intensität. Hilde Rössel-Majdan klang stimmlich auch mehr als müde, aber die Persönlichkeit, um deretwegen man einer Mödl ziemlich viel nachsehen (oder –hören) kann, fehlt Rössel-Majdan absolut. Wenn man eine Grace Hoffman im Ensemble hat, die ihre Abende sauer mit der Hexe im Redoutensaal abarbeitet, sollten solche Mezzo-Besetzungen in Wagneropern eigentlich nicht vorkommen! Der beste Mann auf dem Felde war – wie häufig als Kurwenal – Otto Wiener, der sich mit Cluytens bestens verstand und sich durch besonders kräftige Stimme und brillante Höhe nebst einer ausgezeichneten Gestaltung des treuen Haudegens auszeichnete. Auch der würdevolle Marke Gottlob Fricks erfreute sich bester Disposition, während Hans Braun (Melot) einen schlechten Eindruck hinterließ.

AIDA am 5. Juni

stand im Zeichen der Rückkehr von Leontyne Price an die Wiener Oper. Die Künstlerin hat an Persönlichkeit, an Reife der Darstellung und an Dramatik der Stimme dazu gewonnen. Sie ist heute eine ganz andere Aida, als bei ihrem Sensationsdebüt vor drei Jahren. Wer erinnert sich nicht an ihre damalige schüchterne Darstellung, an ihr fast im lyrico spinto-Stil vorgetragenes „Patria mia“. Jetzt steht sie selbstbewußt, als ungebrochene Sklavin auf der Bühne, eine Königin unter den Sopranistinnen. Die Stimme besitzt nun die Durchschlagskraft, die Glut der dramatischen Spannung beinhaltend. In der Triumphszene erhob sich Frau Prices Sopran mühelos über Chor und Orchester. Ganz großartig und überwältigend im Ausdruck gelang ihr die Szene mit Radames, die ihr Beifall auf offener Szene einbrachte. Jon Vickers als Feldherr hatte einen guten Abend, besonders was den Nilakt und die Gerichtsszene betraf. Seine heldischen Töne waren diesmal rein und sicher angesetzt, ohne mit Vorsicht angepeilt zu werden. Mit seinem Schlußduett werden wir uns kaum jemals befreunden können, dazu ist er eben zu wenig Belcantist. Eher kann seine Romanze befriedigen, auch wenn sie keine Idealinterpretation bedeutet. Giulietta Simionato als Amneris überraschte im Triumphakt durch ein neues Kostüm, das ihr das Aussehen eines kurvenreichen Hollywood-Stars verlieh. Ansonsten blieb sie – Gott sei Dank – die Simionato, wie wir sie lieben. Die Gerichtsszene war wie immer ein Erlebnis des Gesanges und der einfachen Darstellung. Ettore Bastianini wandelte mit einem Mantel in der Hand gemächlichen Schrittes über die Bühne und schleuderte – äußerlich uninteressiert – ein prachtvolles „suo padre“ in das Publikum. In der Nilszene zeigte er sich temperamentvoller und fermatenfreudiger als sonst. Walter Kreppel ergänzte als Ramphis mit wuchtiger Stimme das Ensemble, in dem nur Frederick Guthrie durch allzu weiches Timbre abfiel. Durch die Übernahme des Boten durch Kurt Equiluz an Stelle von Herrn Majkut kamen die Zuseher um die bereits sprichwörtlich gewordene humoristische Einlage. André Cluytens am Pult begann langsam, gleichsam die Solisten auf der Bühne abtastend (kein Wunder bei einer probenlosen Aufführung!). Nach der Triumphszene hatte er Kontakt gefunden und bewies, welch herrlicher Dirigent er ist. Er schien mit den Sängern auf der Bühne mitzusingen und seine Begeisterung wurde nur noch vom Publikum übertroffen, das die Pause nach dem Nilakt durchapplaudierte.

CAPRICCIO am 6. Juni

Leider hielt diese Aufführung nicht das, was sich Kenner erhofften. Daran war vor allem die schlechte Disposition des Orchesters schuld. Es gab allerdings eine Reihe von philharmonischen Festwochenkonzerten, so daß es sich um Übermüdungserscheinungen gehandelt haben dürfte. Auch Karl Böhm befand sich diesmal nicht ganz in Höchstform. So wurde das herrliche Zwischenspiel nicht zum musikalischen Höhepunkt und ungetrübten Genuß. Das Streichsextett am Beginn konnte man im Kammermusikabend wesentlich besser hören. Auf der Bühne war Paul Schöffler als La Roche der Mittelpunkt des Abends. Seine große Szene wurde tatsächlich zum Höhepunkt, besonders was Spiel und Gestaltungskraft betrifft. Lisa Della Casa als Gräfin sah wie immer blendend aus und bot, von einigen scharfen Höhen abgesehen, eine gute gesangliche Leistung. Karl Schmitt-Walter gastierte als Graf und zog sich schauspielerisch besser als gesanglich aus der Affäre. Anton Dermota und Walter Berry boten die gewohnten Leistungen, ebenso Giuseppe Zampieri, während Rita Streich kaum zu hören war. Christl Goltz ist jedenfalls als Sängerin noch besser als beim Rezitieren von Sonetten. Einige Entgleisungen bei den Prosastellen waren eher peinlich.

DER RING DES NIBELUNGEN

DAS RHEINGOLD am 7. Juni

DIE WALKÜRE am 9. Juni

SIEGFRIED am 11. Juni

GÖTTERDÄMMERUNG am 13. Juni

Der Festwochen-Ring ging unter der Leitung von Herbert von Karajan in Szene, der wieder einmal bewies, daß ihm Rheingold und Siegfried so schnell niemand nachmacht und auch früher niemand vorgemacht hat. Daß wir mit seiner Walküre zumeist weniger glücklich sind, haben wir schon öfters besprochen. Die musikalisch großräumige Götterdämmerung wurde wieder mit größter Dramatik realisiert.

Im Rheingold  befand sich auch das Orchester in bester Form, alles war „da“ und glänzte golden, die Schlußsteigerung war einfach hinreißend und das Ensemble perfekt. Hans Hotter, der sich doch immer im Sommer in Wien seiner Pollenallergie wegen sehr schwer tat, ist jetzt technisch derart gereift, daß er darüber hinwegsingen kann. So konnte er sich ganz auf die Formung und Entwicklung der Partie konzentrieren, die von der Unbeherrschtheit des jungen Wotan über den grübelnden, suchenden und zornigen der Walküre zum überlegenen, später resignierenden Wanderer führte. Höhepunkt seiner reifen Gestaltung waren die wunderbaren Wala-Rufe im Siegfried und die nachfolgende Szene mit Erda, in der aber Jean Madeira (wie auch schon im Rheingold) infolge totaler Textunverständlichkeit keine ebenbürtige Partnerin war. Wolfgang Windgassen sang einen Loge, der nicht so „sophistisch“ ist wie der von Gerhard Stolze, sondern eher ein fröhlicher, schlauer Naturgott. Diese Rolle, abseits von der Heldenschablone, macht ihm offenbar Spaß. Da Windgassen als Jung-Siegfried für alle Hörer, die höher als im ersten Rang sitzen, unter irregulären Verhältnissen antritt, weil er gegen den zu tief heruntergezogenen Vorhang zu singen hat – Karajan müßte sich diese Bühnengestaltung einmal von oben anschauen! – wollen wir die nicht sehr starken Schmelzlieder übergehen, die Schmiedelieder waren sehr schön gesungen, ebenso der zweite Akt. Er hatte auch im dritten Akt noch Kraft genug, neben der riesenstimmigen, ihre Partie mit allen Spitzentönen geradezu jauchzenden Birgit Nilsson zu bestehen. So wurde der dritte Akt Siegfried zum schönsten und unvergeßlichsten Teil dieses Ringes, nicht zuletzt auch dank Karajans atemberaubender musikalischer Leitung die silbernen Violinen in der „seligen Öde“ seien mit besonderer Begeisterung erwähnt.

Dafür war die Walküre weniger gelungen. Karajan machte den ersten Akt trotz der breiten Heldenstimme und der subtilen Phrasierung von Jon Vickers,  der einen aufregenden Siegmund sang, sehr kammermusikalisch, begann im zweiten Akt so zu rennen, daß selbst Hans Hotter keinen Atem fand und deckte dann die Walküren völlig zu – wenn er nicht will, daß man diese Stimmruinen hört, soll er bessere Interpretinnen suchen! (Es fällt keiner ersten Sängerin ein Stein aus der Krone, wenn sie bei den Heldenweibern mitsingt, nur so kann es zu einem ordentlicheren Walkürenritt kommen!) Als Hans Hotter Wotans Abschied in seinem gewohnten Tempo anstimmte, da begleitete Karajan sehr nobel, dirigierte sein bestes Stück der Walküre, nämlich das kurze Orchesterzwischenspiel zwischen Abschied und Feuerzauber, sehr schön und mit Gefühl – und so kam das Stück, diesmal das schwächste des Ringes – doch noch zu einem guten Ende. Vorher sah es nämlich zeitweise nicht so aus, denn Leonie Rysanek (Sieglinde) hatte einen sehr schwachen Abend. Man hatte das Gefühl, sie habe keine Kraft oder keine Luft, so mühevoll kam alles wohl kam es, aber ohne Glanz, ohne Dramatik, ohne Feuer. Immerhin fanden wir es besser, daß sie nicht gleich abgesagt hat. Hilde Rössel-Majdan sang ihre durch Nervenzusammerbrüche erzwungene Fricka (das gleiche gilt für die Waltraute!) nicht zur Freude des Publikums. Warum verspricht man ihr eigentlich solche Rollen, wenn man ohnedies weiß, daß sie diese nicht ganz ausfüllen kann und wenn man noch dazu bessere Sängerinnen dafür hat?

Birgit Nilsson hatte für die Brünnhilde nicht nur ihr stählernes Organ einzusetzen, sondern eine auch immer wachsende Konzentration, ein steigendes Verwachsen mit der Rolle, ein Mehr an Ausdruck und Phrasierung. Die Götterdämmerungs-Brünnhilde begann sie etwas vorsichtiger, steigerte sich jedoch in eine ihrer typischen unerhörten Leistungen hinein, die den Hörer völlig sprachlos  machen. Die wilde Zornige des zweiten Aktes liegt ihr auch besonders gut, der Schlußgesang ist eine einzige Steigerung.

Man kann nichts Besseres über Wolfgang Windgassen sagen, als daß er ihr auch in der Götterdämmerung ein hervorragender  Partner war und die Rolle auf Bergeshöhe und in Gunthers Halle, auf freien Platz und im dämmrigen Wald gleicherweise formte und beherrschte und ausgezeichnet sang.

Gottlob Frick sang einen idealen Fafner. Im Rheingold hatten wir mit ihm und dem Fasolt von Walter Kreppel geradezu eine Traumbesetzung. Gottlob Frick war auch ein düsterer, schwerstimmiger Hunding, abgesehen von einigen mühsam erreichten Höhen. Und er war wieder ein prachtvoller schwarzer Hagen.

Peter Klein und Alois Pernerstorfer gaben ein sehr charakteristisches Nibelungenpaar.

Die jungen Götter waren bei Eberhard Wächter Waldemar Kmentt bestens aufgehoben. Gerda Scheyrer sang eine gute Freia und „schwamm“ als Gutrune nach Noten. Ira Malaniuk sang ihre stolze, energische Rheingold-Fricka und war von den drei Nornen mit der ersten Norne  die beste, denn weder Hilde Konetzni noch Hilde Rössel-Majdan, die in der  Götterdämmerung gleich drei Rollen sang (was für ein Glück, daß die Erda nicht auch noch vorkommt!) vermochten zu überzeugen. Die Rheintöchter waren immer gut: im Rheingold waren Wilma Lipp, Sena Jurinac und Hilde Rössel-Majdan, in der Götterdämmerung Wilma Lipp, Margareta Sjöstedt und Hilde Rössel-Majdan.

Zum Abschluß ist noch von dem sehr geglückten Rollendebüt Otto Wieners als Gunther zu berichten, der nicht nur hervorragend  sang die Partie ist kurz, hat es aber in sich! sondern auch den nicht sehr heldenhaften Gibichungensproß auf das beste charakterisierte und gestaltete. Endlich einmal ein Sänger, der die Partie sowohl gesanglich als auch darstellerisch überlegen meistert.

Herbert von Karajan hatte bei der Götterdämmerung einen Höhepunkt bereits im zweiten Akt: die Speereide und Schwurszenen waren von einer umwerfenden dramatischen Härte. Trauermusik und Schlußgesang schließlich erwiesen sich als großzügig aufgebaute Bausteine moderner Wagner-Interpretation.

EUGEN ONEGIN am 8. Juni

Nun kam es eben doch wie geahnt! Fischer-Dieskau ist leicht beleidigt und einen Onegin von Format hatte unsere Direktion innerhalb vieler Monate nicht finden können, und so präsentierte man die Notlösung von ehedem, dem Festwochenpublikum. Norman Mittelmann in der Titelpartie hat sich persönlich eine relativ gute Kritik verdient. Er sang sauber, präzise, immer bemüht, sein Bestes zu tun, sich dem Rahmen anzupassen, zu geben, was er zu geben hat. Er tat dies gekonnt, brav und anständig. Daß ein braver Sänger vor dem Wiener Publikum, das einem Schöffler und einem London in dieser Partie zugejubelt hat und einen Fischer-Dieskau in seiner Leistung hier nicht bejahte, von Herrn Mittelmann nicht beeindruckt war (allerdings auch nicht im schlechten Sinn), das geht zu Lasten der Verantwortlichen, die sich keine andere Besetzung einfallen lassen konnten. So wurde die Aufführung getragen von Sena Jurinac, deren Leistung allein schon den Abend hören- und sehenswert machte. Die Tatjana der Jurinac ist nach wie vor Ereignis und Erlebnis, und daran änderten auch die ein wenig scharfen Höhen nichts. Mit ihrem Part vertrauter geworden und wesentlich mehr zur Geltung kam Biserka Cvejic. Anton Dermota als Lenski war wieder ganz groß da, wenn auch diesmal ein wenig gewaltsam das Letzte gebend, wie es am Ende einer Saison verständlich ist. Der Gremin Walter Kreppels bedeutet Freude und seine Arie wurde dementsprechend bejubelt. Die kleinen Partien und der Chor kamen premierenmäßig und unfallfrei mit ihren Aufgaben zurecht. Besonders für den Kenner und Liebhaber der russischen Oper war die musikalische Leitung Lovro von Matacic’ mit dem ihm willig und in jeder Nuance folgenden Wiener Philharmonikern Freude, Genuß und Kostbarkeit.

DIE WALKÜRE am 9. Juni

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des Ring des Nibelungen am 7. Juni besprochen

DON GIOVANNI am 10. Juni

Eine ausgezeichnet besetzte Aufführung mit Festwochenformat! Karl Böhm dirigierte einen spannungsgeladenen, manchmal fast zu dramatischen Don Giovanni mit einzelnen grellen, fast Mozart fremden Farbakzenten. Wenn wir mit Karajans Salzburger Interpretation vergleichen, die in drei führenden Partien gleich besetzt war, so war damals alles, trotz der auf „Dramma“ gerichteten Interpretation, durchsichtiger, klarer, nirgends wurden die Fesseln mozart’scher Ausgeglichenheit gesprengt. Bleiben wir beim Vergleichen: Elisabeth Schwarzkopfs Elvira hatte nichts von der Weichheit, von der sanften Dulderin der Salzburger Aufführung. Da sie sich hierorts ja an kein Regiekonzept (so was gibt’s bei der Aufführung schon seit dem Opernfest nicht!) halten muß, so konnte sie ungehindert ihre persönliche Auffassung interpretieren. Die noch immer vorhandene Liebe zu Giovanni zeigte sich bei Schwarzkopfs Elvira nur selten. Haß und der Wunsch nach Rache überwiegen zumeist. Und auch bei den verschiedenen Demütigungen, die ihr widerfahren, bewahrt sie, wenn auch mühsam, Haltung. Man muß gesehen haben, wie Frau Schwarzkopf ihre Szenen ausspielt, wie sie in der Rolle lebt, auch dann, wenn sie nicht singt. Ihre stimmliche Leistung war makellos, von jenem unerreichten Schwarzkopf-Niveau, das zu einem Begriff wurde. Als Donna Anna hörten wir wieder Leontyne Price, stimmlich war sie noch besser als in Salzburg, schauspielerisch wie immer mit schönen Bewegungen, die aber etwas Stereotypes an sich haben und in ihrer Unverbindlichkeit zu jeder Art von Musik und Szene passen würden. Eberhard Wächter, der dritte Salzburger ausgezeichnet wie immer, stimmlich bestens disponiert (mit eingelegtem Schluß-a) intensiv und in seiner Art und Auffassung ein vollendeter Giovanni. Hilde Güden sang eine reizende Zerlina, Erich Kunz war stimmlich blendend, Anton Dermota hatte in seiner ersten Arie etwas zu kämpfen und Kostas Paskalis war als Masetto wie üblich. Als Komtur hörten wir Walter Kreppel. Die Duell- und Friedhofsszene sang er einfach herrlich, durch das Finale distonierte er sich leider allzu lautstark.

SIEGFRIED am 11. Juni

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des Ring des Nibelungen am 7. Juni besprochen

TOSCA am 12. Juni

Große Enttäuschung in dem zu „besonderen Preisen“ ausverkauften Haus. Leonie Rysanek mußte wegen Erkrankung absagen, und somit gab es in den Direktionsräumen wieder einmal Großfahndung nach einer Sängerin für die Titelpartie. Vor Beginn der Aufführung staute sich das Volk (sprich Stammpublikum) vor dem Bühneneingang in aufgeregter Erwartung, ob Giuseppe die Stefano trotz dieses Mißgeschicks das Haus betreten würde. Denn schließlich hatten sich die Stehplatzbesucher nicht seit den frühen Morgenstunden um Karten angestellt, um dann gleich mehrere Umbesetzungen als Lohn serviert zu bekommen. Doch die düsteren Befürchtungen bestätigten sich nicht. Pipo erschien pflichtbewußt, wenn wahrscheinlich auch nicht sehr begeistert. Hilde Zadek konnte rechtzeitig aus Hinterstoder nach Wien kommen und als Ersatz für Frau Rysanek antreten. Daß solche Vorspiele einer Aufführung nicht gut bekommen, hat sich schon des Öfteren erwiesen, doch war es diesmal Giuseppe di Stefano, der alles tat, um die Misere zu überbrücken. Er gab sein Bestes und Letztes in wahrhaft anerkennenswertem Einsatz. Sein bestechendes „Vittoria“ riß – wenn auch etwas forciert – das Publikum zur Begeisterung hin, löschte die Mißstimmung aus. Seine Ausstrahlung beherrschte die Bühne und seine „dolci mani“ versöhnte selbst die grimmigsten Nörgler. Die Schönheit seines einmaligen Timbres machte vergessen, daß sein Cavaradossi in musikalischer Hinsicht manchmal freizügig mit den Notenwerten umgeht. Aber wie Pippo das macht, besticht die Kritik mit Bewunderung. Noch freier mit der Melodei ging allerdings Ettore Bastianini um. Ein Scarpia vor dem zwar nicht Rom, aber dafür der im Klavierauszug mitlesende Galeriebesucher erzitterte, wenn er mit Bangen „Bastis“ musikalische Unbekümmertheit registrierte. Ansonsten zeigte der Sänger seine herrliche Stimme, wenn auch nicht in Superform, mimte zeitweise den Bösewicht, und begnügte sich zeitweilig auch damit, gar nichts zu mimen. Präzise hingegen sang Hilde Zadek, doch konnten wir uns damit dennoch nicht trösten. Gewiß, Frau Zadek sprang ein, und dies entschuldigt manches, aber der gute Wille zur Anerkennung der Verläßlichkeit ist überfordert, wenn als Entgleisung anmutende Übertreibungen den guten Geschmack verletzen. Wir geben zu, daß das „Assasino“ der Tebaldi um nichts weniger exaltiert war als das Frau Zadeks, dafür konnte Frau Zadek aber auch nicht mit Engelsstimme entschädigen, und das Negative in der Gesamtleistung hielt dem Positiven nicht die Waagschale. Zudem haben wir die Sängerin in dieser Partie schon weitaus besser gehört. Am Pult bemühte sich Lovro von Matacic, die Aufführung unfallfrei zu halten, was ihm auch gelang. Er schaffte auch einen ungebrochenen Kontakts mit di Stefano, dem er nicht ein einziges seiner berühmten Piani zerschlug. Doch gingen diese Konzessionen auf Kosten einer geschlossenen musikalischen Gestaltung, verminderten so die dramatische Raffung und deren Höhepunkte zugunsten der Sängerbegleitung.

GÖTTERDÄMMERUNG am 13. Juni

unter Herbert von Karajan wurde als Teil des Ring des Nibelungen am 7. Juni besprochen

DIE FLEDERMAUS am 14. Juni

Als Wechselband nach Abschluß des Ringes gab es eine äußerst vergnügliche Fledermaus in der ersten Gala-Besetzung für dieses Stück. Herbert von Karajan dirigierte – abgesehen von der schwungvollen Ouvertüre – eher aus dem Handgelenk und geruhte nur bei den zwei Chorausstiegen ordnend einzugreifen. Die Begleitung der Sänger war allerdings trotzdem subtil und raffiniert. Das klappt auf jeden Fall. Die Krone für die beste Gesangsleistung des Abends gehört zweifellos wieder Hilde Güden und ihrer charmanten damenhaften Rosalinde. Ihrem Gabriel verlieh Eberhard Wächter Eleganz und subtile Komik. Anneliese Rothenberger war auch diesmal eine bezaubernde, urwüchsige Kammerzofe. Giuseppe Zampieri war der Alfred mit Tenorschmelz und baritonaler Sprechstimme. Walter Berry und der diskret komische Erich Kunz sowie der zwar nicht diskrete, aber umso komischere Josef Meinrad (Frosch) hatten die Lacher auf ihrer Seite, und Gerhard Stolze überzeugte als blasierter, degenerierter Charakter-Orlowsky immer mehr. Einheimische und Ausländer unterhielten sich in gleicher Weise, und es gab rauschenden Beifall.

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 15. Juni

Zur Verfügung standen ein erstklassiges Sängerensemble, die Wiener Philharmoniker und Karl Böhm. Dennoch erreichte die Aufführung nicht das Wiener Glanzniveau. Man hatte Champagner erwartet, ein Gespritzter wurde serviert. Anneliese Rothenberger sang zum ersten Mal am Ring die Susanne in italienischer Sprache. Sie ist ein entzückendes Kammerzoferl, zierlich in Spiel und Stimme. Ihr zur Seite Walter Berry als Figaro. Sehr stimmgewaltig, manchmal etwas zu derb, zu wenig differenziert. Giulietta Simionato sang den Cherubino. Bemerkenswert, daß sie das tut, wofür sich viele Künstlerinnen als „herausgewachsen“ betrachten. Noch bemerkenswerter, wie sie es tut! Wie wunderbar sie ihre Riesenstimme der Mozart’schen Cantilene anpaßt, wie wunderschön sie phrasiert. Im Spiel ist sie seit der Jurinac die einzige Künstlerin, die sich bemüht, einen hart in der Pubertät schmachtenden Jüngling darzustellen, halb noch Kind, mit Lust zu allem Unfug, halb schon erwachsen und bemüht, für voll genommen zu werden. Lisa Della Casa war eine optisch sehr junge, schöne, charmante Gräfin, fast zu vertraut mit der Zofe und dem Pagen für ihre Stellung. Stimmlich merkt man Frau Della Casa eine schwere Saison an (vor allem in der Höhe!). Paul Schöffler als Graf Almaviva trat in ein spielfreudiges, junges Ensemble als alter Routinier und sprengt damit den geschlossenen Rahmen. Er singt und spielt den Grafen sozusagen aus dem linken Handgelenk, doch nicht immer präzise, komödiantisch, doch nicht immer sauber in der Intonation. Die so demonstrierte Überlegenheit der älteren Generation der jüngeren gegenüber, rechtfertigte sich so nicht, auch nicht durch die souverän gemeisterte Arie. In weitern Rollen bewährten sich: Ira Malaniuk, Anny Felbermayer, Murray Dickie und Oskar Czerwenka.

LA BOHEME am 16. Juni

Ein Belcantofest auf der Bühne und im Orchester! Unter Francesco Molinari-Pradellis ausgezeichneter musikalischer Leitung sang wieder einmal Giuseppe di Stefano. Man weiß, daß ihm der erste Akt einige Schwierigkeiten verursacht (Arie, Schluß-C), man weiß aber auch, daß es keinen Rodolfo gibt, der einen derart vollkommenen dritten und vierten Akt zu singen und zu gestalten weiß. An der Scala wäre Pippo mit seinem ersten Akt wahrscheinlich nicht gut angekommen. Doch Wien ist Gott sei Dank nicht Mailand. Hier schätzt der Boheme-Kenner einen Rudolf erst richtig nach seinem Ausdrucksvermögen in Stimme und Spiel und ein zu tief gesungenes hohen C kann den Gesamteindruck, den man nach Hause mitnimmt, nur wenig trüben. Di Stefano erschüttert im dritten und vierten Akt schon allein durch den gesanglichen Ausdruck. Er hat die Träne in der Stimme, und sein Spiel in Mimis Sterbeszene rüttelt den Hörer auf und kann nur solche kalt lassen, die nur die perfekte Singmaschine in einem Sänger suchen. Als Mimi bot Hilde Güden ihre schon oft hervorgehobene ausgezeichnete Leistung, die durch Kultur und ausgefeilte Technik bestach. Hingegen war die Musetta von Mimi Coertse sehr mäßig. Die Stimme klang spitz und spröde, ohne Temperament im zweiten und dritten, ohne Innigkeit und Wärme im vierten Akt. Eine sehr hausbackene und unglaubwürdige Lebedame aus Paris! Marcello, Schaunard und Colline waren mit Ettore Bastianini, Hans Braun und Ludwig Welter gut besetzt. Auffallend war nur, daß Marcello von seiner Musetta im zweiten Akt kaum Notiz nahm. War das Eigenregie Bastianinis? Alles in allem ein wunderbarer Abend mit kleinen Fehlern, aber wann und wo gibt es schon Vollkommenheit im Opernalltag?

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 17. Juni

Eine Aufführung, die im Durchschnitt gut war. Neben ausgezeichneten Leistungen machten sich jedoch zwei ausgesprochen schlechte bemerkbar, nämlich die Hilde Rössel-Majdans und Oskar Czerwenkas, die beide durch übergroße Lautstärke auffielen und damit die Ensembles störten. Überhaupt haftete der Aufführung etwas Lautes, Forciertes an. Schon das Orchester klang ziemlich dick, und Karl Böhm, der übermüdet schien, tat nichts dazu, um das Instrumentalgefüge etwas aufzulockern. Kein Wunder, daß auch Sänger, die keine Schreihälse sind, auf die Tube drückten. Daß sie, ausgenommen die beiden obgenannten Ausnahmen, trotzdem noch im mozart’schen Rahmen blieben, spricht für sie. Sena Jurinac sang nach langer Zeit wieder die Gräfin, und sie sang sie wunderschön. Der schnelle Teil der zweiten Arie war eine sichtliche Kurzschlußhandlung, denn das darauf folgende Brief-Duett mit Susanne war wieder zauberhaft. Darstellerisch ist sie eine Wohltat. Anneliese Rothenberger war ein betuliches Susannchen und erfreute mit einer herrlichen Rosenarie. Giulietta Simionato als prächtig singender Cherubino bot eine köstliche Halbwüchsigenstudie. Erich Kunz war der schlau-elegante Figaro und Eberhard Wächter der gut (fast zu gut) gelaunte und stimmprächtige Graf. Köstlich war auch Peter Klein als Basilio. Viel Beifall!

AIDA am 18. Juni

Diese Aida war eine der glanzvollsten der Saison: eine wahre Festwochen-Aida! Das Ereignis des Abends hieß Leontyne Price. Ihr herrlicher Sopran, dessen einmaliges Timbre sofort gefangen nimmt, scheint noch voller, runder und um eine Spur dunkler geworden zu sein, hat aber bei aller Leuchtkraft sein schwebendes Piano behalten. Diese Stimme und nicht zuletzt ihr Aussehen machen sie zur Idealvertreterin der Aida. Ihr Nilakt wird einem lange unvergeßlich bleiben, und es wurde mit Recht darnach die ganze Pause durchapplaudiert. Die Amneris Giulietta Simionatos war auch diesmal wieder in Stimme und Erscheinung eine ideale Pharaonen-Tochter. Den Radames sang Jon Vickers, kraftvoll und männlich, mit heldischen Spitzentönen und schönen Piani. Wenn auch nicht alles vollkommen geriet, bot er trotzdem eine ausgezeichnete Leistung. Daß er sich auch um die Gestaltung der Partie sehr bemühte, sei noch zusätzlich lobend erwähnt. Ettore Bastianini verströmte seine schöne Stimme als Amonasro und trug zum Gelingen des herrlichen Nilaktes nicht unwesentlich bei. Der Ramphis ist eine der besten Partien, die Nicola Zaccaria in Wien singt. Als König hörten wir Frederick Guthrie. Am Pult stand Herbert von Karajan, der wohl auch seine Freude an diesem prachtvollen Solistenensemble hatte und es mit Elan und Schwung zum Sieg führte.

CAPRICCIO am 19. Juni

Man freute sich mit Recht wieder auf die ideale Vertreterin dieser Rolle, auf Elisabeth Schwarzkopf. Sie erfüllte die Figur wie immer mit dem ganzen Zauber ihrer Fraulichkeit, mit warmer Empfindung, intellektbetontem Charme und nicht zuletzt mit dem Glanz ihres in allen Schattierungen erklingenden Soprans. Ihre Spiegelszene, an und für sich schon ein Höhepunkt im Gesamtwerk von Richard Strauss, ist immer wieder ein Erlebnis. Die anderen Partien waren mit Otto Wiener (La Roche), Walter Berry (Olivier), Anton Dermota (Flamand), Christl Goltz (Clairon), Peter Klein (Taupe) und Alois Pernerstorfer (Haushofmeister) wie gewohnt gut besetzt. (Gerne würden wir einen neuen Flamand und eine andere Clairon hören!) Beim Sängerpaar Giuseppe Zampieri-Rita Streich dominierte eindeutig der Tenor mit einem Pracht-C. Der Graf von Karl Schmitt-Walter kann nicht einmal mehr als Notlösung angesehen werden. Er bleibt auf der Galerie oft unhörbar. (Diese Grafenmisere stinkt bereits zum Himmel!). Am Pult stand Karl Böhm; und der Unterschied zwischen ihm, dem Strauss-Kenner und seinem Vorgänger Hans Swarowsky als Strauss-Versucher trat jetzt erst so richtig in Erscheinung. Transparenz hieß die Parole, „auf die Sänger nimm Rücksicht, nicht zu laut das Orchester“. Die Wiener Philharmoniker waren die prädestinierten Interpreten der kostbaren Partitur.

ELEKTRA am 20. Juni

Würde man doch endlich dem Strauss-Repertoire immer dieselbe Sorgfalt wie dem italienischen angedeihen lassen. Straussopern können auch Feste werden, und wir möchten betonen, daß sowohl das internationale wie das heimische Publikum dies von der Direktion erwartet. Eine gute Durchschnittsaufführung, wie sie uns hier geboten wurde, ist für das Wiener Festwochenprogramm zu wenig. Als Elektra gastierte nach einem Jahr neuerlich Gerda Lammers. Sie gehört heute bestimmt zu den besten Vertreterinnen dieser Rolle, zumindest was die gesangliche Leistung betrifft. Zwar hatten wir sie bei exponierten Stellen noch besser in Erinnerung, doch mag dies wohl auf die Tagesverfassung der Künstlerin zurückzuführen sein. Die große, füllige Stimme fühlte sich sichtlich wohl in dem großen Hause. Den größten Eindruck des Abends bot trotz der anerkennenswerten Leistung des Gastes Regina Resnik, die eine beklemmende Klytämnestra auf die Bühne stellte. Hier verschmolzen Gestaltungskraft und gesangliche Leistung zu einem Ganzen. Hatte Frau Resnik mit ihrer ersten Klytämnestra nicht alle Erwartungen erfüllen können, da ihr das Haus fremd war, so eroberte sie sich mit dieser neuerlichen Rollenübernahme volle Anerkennung und Bewunderung zurück. Hilde Zadek fehlt es für die Chrysothemis an Stimmvolumen, ganz abgesehen vom nicht entsprechenden Timbre und den larmoyanten Gebärden. Otto Wiener als Orest machte mit spärlichen Gesten und Wortdeutlichkeit weitaus mehr Eindruck als der pathetisch wirkende Max Lorenz als Aegisth. Heinrich Hollreiser benötigte eine gewisse Anlaufzeit. Ihm scheint die Straussoper sehr am Herzen zu liegen, was in der Folge seine Intensität am Pult bewies.

FIDELIO am 21. Juni

Mitten im Festwochengetriebe eintöniger Opernalltag. Es erbittert uns immer wieder, daß ausgerechnet Beethovens Meisterwerk so oft in mittelmäßigen Aufführungen gebracht wird, wo es doch zu einer Festaufführung prädestiniert ist. Das Mittelmaß begann bereits am Pult. Berislav Klobucar (als Ersatz für den absagenden André Cluytens) dirigierte zwar mit Eifer und Umsicht, doch ohne den zündenden Funken, der für Beethovens Fidelio unerläßlich ist. Es spielte außerdem eine x-te Garnitur der Wiener Philharmoniker. Bei den Damen war Wilma Lipp mit ihrer schön gesungenen und innig empfundenen Marzelline weitaus besser, als die Trägerin der Titelrolle. Hilde Zadek sang zwar wie immer musikalisch sicher und verläßlich, doch passen weder ihr glanzloses Stimmtimbre noch ihr routiniertes farbloses Spiel für diese Idealgestalt Beethovens. Eine Leonore ohne packende menschliche Ausstrahlung ist und bleibt eben keine Leonore. Diese Ausstrahlung ging vom Florestan Jon Vickers aus, der an diesem Abend auf der Bühne eindeutig dominierte. Er stattete die Partie mit der Fülle seiner schönen Stimme aus und vermochte ihr sowohl heldische Leuchtkraft als auch ausdrucksstarke lyrische Phrasen zu geben („Euch werde Lohn…“). Ausgezeichnet gesungen war auch die große Arie, und es war wohltuend zu spüren, daß bei diesem Florestan nach dem „himmlischen Reich“ die stimmliche Kapazität noch lange nicht erschöpft war. Für einen Ausländer sprach er die Prosa überraschend gut. Mit dieser Leistung konnten die anderen Herren nicht Schritt halten, wenn auch Otto Wiener einen profilierten und wortdeutlichen Pizarro sang. Unter ihrer sonstigen Form zeigten sich Oskar Czerwenka als Rocco und Frederick Guthrie als Minister, während Murray Dickie trotz Turandot-Proben einen guten Jacquino sang.

COSÌ FAN TUTTE am 21. Juni im Redoutensaal

Um es gleich vorwegzunehmen, es war die vielleicht schönste Wiener Aufführung dieses Mozartwerkes seit Jahren! Karl Böhm, dem diese Oper besonders gut liegt, bereitete mit dem Wiener philharmonischen Orchester eine wahre Ohrenweide und hielt besten Kontakt zwischen Bühne und Orchester. Auf der Bühne dominierten die beiden Frauenstimmen Elisabeth Schwarzkopf und Christa Ludwig. Diese Künstlerinnen ergänzten einander darstellerisch großartig und sind gesanglich von einer Vollkommenheit, daß selbst das ansonsten wenig beifallsfreudige ausländische Publikum, das zu 90 % den Saal füllte, schrie und tobte, mit den Füßen trampelte, daß die Luster im Saal wackelten. Schade, daß diese unüberbietbare Besetzung so selten während der Saison zusammentrifft. Dann aber ist es immer ein Höhepunkt der Saison. Rita Streich konnte sich recht gut neben diesen beiden Superstimmen behaupten. Waldemar Kmentt, der für den Ferrando keine Idealbesetzung darstellt, war gut in Form. Für beste Laune sorgte der prachtvoll disponierte Erich Kunz. Daß er manchmal den Rahmen sprengt, sei ihm angesichts der nicht vorhandenen Regie diesmal nicht angekreidet. Sein urwüchsiger Humor steckte an diesem Abend alle übrigen Mitwirkenden an, die oft kaum aus dem Lachen herauskamen. Wenn man Così noch zwei weitere Jahre im Redoutensaal läßt, wird Erich Kunz, der immer wieder mit neuen (und meist ausgezeichneten) Einfällen aufwartet, sicher noch vom Glasluster herab auf die Bühne schweben. Paul Schöffler war der meisterliche Drahtzieher dieser Geschichte, nach wie vor die beste Besetzung dieser Partie. Jeder, der ihm als Alfonso an der Wiener Staatsoper nachfolgt, wird es schwer haben, denn Schöffler spielt den Alfonso nicht, er ist es einfach! So herrschte beste Laune im ausverkauften Redoutensaal, und nur zögernd verließ das Publikum nach dieser vollendeten Aufführung das Haus.

 

TURANDOT am 22. Juni, Neuinszenierung, Reprisen am 24. und 26. Juni

Einen besseren Beweis als den absoluten Niedergang der Wiener Schule in der Musikkritik, ihr völliges Losgelöstsein auch von der Meinung eines guten Publikums kann es gar nicht geben, als den Riesenerfolg unserer neuen Turandot und ihr grauenhaftes Echo in der Wiener Kritik.

Es fällt zwar schon lange auf, daß die Wiener Tagespresse höflich schweigt, solange in der Oper das öde Gleichmaß, getragen von uniformen Alles-Sängern, auch Dauerbrandöfen genannt, sich breitmacht. Grau in grau auf der Bühne, grau die Stimmen, grau der Ausdruck – dem normalen Hörer graut es da. Aber wehe, die Bühne leuchtet in schönen Farben, die Kostüme erfreuen das Auge, der Chor ist vollzählig versammelt, die Statisten füllen die Riesenbühne! (Wozu zum Henker haben wir sie denn eigentlich?) Sänger stehen auf dieser Bühne, deren Ruf um den Erdball reicht und die allein ein so schwieriges Werk wie die Turandot tragen können – und alles das ist in einer dem Auge wohlgefälligen Form geordnet, in großen Zügen aufgebaut! Da geht sofort das widerliche Gekläffe los, das in diesem Falle wieder einmal zentral gesteuert wird, so als wäre nun Frau Margarethe Wallmann irgend jemandem unsympathisch. Diese Methoden sind sattsam bekannt! Es ist wahrscheinlich ohnedies sinnlos, daß man die nutzlos ins Leere hinein keifenden Möchtegern-Hanslicks sachlich richtigzustellen versucht, doch soll hier trotzdem verwirrten Köpfen zugerufen werden: Die große Oper – eine der reinsten Verkörperungen dieser Gattung ist die Turandot ja ohne Zweifel! – gehorcht anderen Gesetzen als etwa ein Wagner, weil dieser die Stilisierung unbedingt nötig hat, um die Gebundenheit an das 19. Jahrhundert zu verlieren. In der großen Oper ist ein manirierter Modernismus nicht tragbar. Die große Oper ist nie unmodern, weil ihre Komponente – Liebe, Blut, Haß und Schönheit – eben immer zeitgemäß sind. Wenn man versucht, eine große Oper in ein logisches Schema zu zwingen, ihr moderne, vielleicht noch politische Züge aufzuzwingen, sie geschichtlich-naturalistisch zu machen, kommt etwas heraus, das wir sehr wohl kennen: Präzedenzfalls Adolf Rotts Aida (zur Operneröffnung 1955 in der Wiener Staatsoper!). Und siehe da: Selbst in einer Oper, deren Entoperung versucht wurde, ging es nicht ohne Prozessionen und Aufmärsche. Warum also das Geschrei dagegen, daß Margarethe Wallmann aus der Oper Turandot dem Inhalt und der Musik durchaus entsprechend ein Märchen machte? Ein Märchen ist immer schön und setzt dem Reichtum der Phantasie keine Grenzen, und so bejahen wir die souverän gebauten Bühnenbilder von Nicola Benois, wir bewundern die prachtvollen Kostüme von Chou Ling, wir finden die über die halbe Bühne reichende Schleppe der Turandot ganz richtig am Platz, wobei wir nicht verschweigen wollen, daß einige alte Damen bei der Generalprobe enttäuscht flüsterten, daß die Schleppe von Maria Nemeth noch viel länger und der Drachen auf dem schwarzen Samtkostüm der Jeritza noch viel größer gewesen seien.

Wir finden die pomphaften Prozessionen ganz richtig, denn die Chinesen haben nun einmal einen Hang dazu, das ist ja bekannt. Manche Einzelheiten, wie das Bänderschwingen der Hofdamen und die Fähnchen auf dem Rücken der Leibwache sind sogar direkt der Pekinger Oper entlehnt – und deren Regisseure wie auch Herr Chou Ling werden wohl besser als unsere Kritiker wissen, wie sich Chinesen anziehen und bewegen. Wir sind ja keineswegs so, daß wir der Wiener Oper nicht häufig zum Sparen raten, das kann aber nicht soweit gehen, daß wir die Ausstattung einer großen Oper lieber schäbig sähen. Sparen sollten wir auf anderer Seite, zum Beispiel bei den Kritikersitzen. Wenn schon die Herren Rezensenten sich kostenlos auf ihren Sitzen räkeln, um nachher Sudel zu verspritzen, der mit Kritik nicht mehr viel zu tun hat, dann genügt es vollauf, daß jeweils nur ein Platz so sinnlos verschleudert wird. Es ist aber ganz überflüssige Kulanz, auch noch einen zweiten Sitz für die Begleitung auszugeben. Diese Usancen gehören nachhaltig revidiert, so wie wir auch dem Hausherrn empfehlen, bei Pressekonferenzen beim kalten Büfett zu sparen. Die Staatsoper Wien hätte allen Grund, nicht mehr als Wasser und Brot an Kritiker zu vergeben, die sich zwar über die angebotenen Sandwichs stürzen, als hätten sie den ganzen Tag gefastet, in ihrer Besprechung dann jedoch ohne Wimpernzucken die Inszenierungskosten auf drei Millionen hinauf zu lizitieren. (Man merkt die Absicht und ist verstimmt!)

Und so finden wir, das Geld sei gut angelegt. Da haben wenigstens die Opernbesucher drei Stunden lang Bellezza  vor Augen. Und darum: Es lebe unsere neue Turandot – ihre märchenhafte Schönheit ist durchaus richtig, und man soll sich nicht davon abhalten lassen, alle großen Opern auf schön statt auf häßlich zu inszenieren. Zweifellos hätte man das Stück auch Bohumil Herlischka überlassen können,  der um ein zentrales Bett wahrscheinlich altchinesische SS-Schergen und Habsburgerbüttel hätte marschieren lassen. Vielleicht auch wäre ihm dazu eine Ausdeutung psychologischer Art, im Sinne pathologischer Sexualkomplexe (frei nach Siegmund Freud) eingefallen. Dann hätte man die Oper allerdings nach dem unvermeidlichen Skandal wieder aus dem Repertoire nehmen müssen und hätte dabei eine halbe Million verplempert. Die ganze Million jedoch, die die Wallmann-Inszenierung kostete, wird sich zweifellos amortisieren. Da sie sich nach keiner Mode richtete, wird sie auch nie unmodern werden. Sie so oft zu spielen, daß sie sich abnützt, könnte man gar nicht. So kann diese Turandot auch 25 Jahre auf dem Spielplan bleiben, wenn es bis dahin noch eine Interpretiert für die Titelrolle gibt! Womit es Zeit wäre, zur musikalischen Seite der Premiere überzugehen.

Die Besetzung war dem Stück und der Inszenierung adäquat. Birgit Nilsson, die immer eine hervorragende Turandot war, hat sich in dieser Rolle – es schien fast gar nicht möglich – noch verbessert. Die Wandlung von der Prinzessin des Todes zur liebenden Frau wird plastisch und ausdrucksvoll dargestellt. Die Stimme aus echt schwedischem Edelstahl blühte in der irrsinnig hohen Lage der Partie erst so richtig auf, schwang sich sieghaft und mühelos über einen sehr schönen und sicher singenden – und von Roberto Benaglio dementsprechend studierten – Chor und ein entfesseltes Orchester. Über dieses waltete Francesco Molinari-Pradelli mit sicherer Hand, großem Temperament und der Fähigkeit, die reichen Farben der Orchesterpalette richtig zu mischen. Was ihm vielleicht abgeht, ist die Fähigkeit, die Genialität der Partitur so zu spiegeln, wie es zweifellos ein Mitropoulos gekonnt hätte und unter den Lebenden sicher nur Karajan kann.

Kalaf war Giuseppe di Stefano und das – wir nehmen es vorweg – überraschend gut. (Am besten gelang die zweite Aufführung.) Man nahm wohl an, daß er die Arien schön und den ersten Akt ausdrucksvoll singen könnte, war aber der Ansicht, er werde im Alfano-Teil „sterben“. Das tat er nun ganz und gar nicht. Die herrliche Stimme ist die rauhere Behandlung, die ihr widerfuhr, seit er das Nemorino- Alfredo- und Edgardo-Fach verlassen hat, offenbar jetzt gewöhnt. Sie hat auch im Forte ihren Goldglanz und ihr herrliches Timbre behalten. Und die einmalige Phrasierung, Artikulation und Ausdrucksfähigkeit machen es durchaus verständlich, daß der Panzer der eisumgürteten Prinzessin schließlich doch schmilzt.

Dazu trug auch die Liu von Leontyne Price ihr gerüttelt Maß bei, die, trotz der nach der italienischen Sitte dramatischeren Stimme, subtilste Pianokultur bewies und ihre Phrasen mit Intensität und mitreißendem Gefühl sang.

Das Minister-Trio war nicht berühmt – nur Murray Dickie bewährte sich als musikalisch und taktsicher, die Herren Ermanno Lorenzi und Kostas Paskalis (bei der dritten Aufführung Karl Weber) schienen unsicher. Aber was soll man machen, erste Sänger übernehmen das doch nicht mehr. Nicola Zaccaria spielte den Timur im Stil des 19.Jahrhunderts, das brüchige Timbre paßte allerdings zur Rolle. Peter Klein war ein exzellenter Kaiser und Alois Pernerstorfer ein lautstarker Mandarin.

Frau Wallmann wurde von Willy Fränzl als Ballettmeister unterstützt, der etwa den Tanz der mongolischen Leibwache samt funkenstiebendem Messerschleifen genau so choreographierte, wie seinerzeit bei Lothar Wallersteins Neuinszenierung im Theater an der Wien. Da fand man es herrlich, jetzt schlecht! Es haben sich nicht nur die Zeiten, sondern auch die Kritiker geändert!

Wir wollen aus der prächtigen Aufführung noch ein Detail herausheben, das beweist, daß die Kritik Augen und Ohren verschlossen haben muß: der Übergang des Messerschleifchores zum Mondchor. Das Feuer verlischt, grünes Licht breitet sich über die Bühne, das Volk wirft sich auf die Knie, langsam wiegt sich die Masse beim Singen hin und her, dazu die zauberhaften Klänge des Mondchores, über den die geheimnisvollen Holzbläserpassagen rollen – ein herrliches Bild-Tonbild, reinster Impressionismus – und das ganz ohne Aufwand, ohne Statisten, die dem in herrlichem Blau gehaltenen zweiten Akt die bunten Farbflecken aufdrückten. Erwähnen wir noch den verschleiert-dämmrigen dritten Akt und einen prächtigen Sonnenaufgang, dann haben wir viel – aber noch nicht alles Schöne erwähnt, das uns diese Aufführung schenkte.

Die Begeisterung des übervollen Hauses war sowohl bei der Premiere, als auch bei den beiden Reprisen groß und ehrlich. Selbst das Parkettpublikum blieb wie angewurzelt nach der Aufführungen stehen und gab durch stürmischen Beifall seine Freude über diese Neuinszenierung kund.

 

DER ROSENKAVALIER am 23. Juni

Richtige Festwochenstimmung bereitete diese Strauss-Aufführung, von Karl Böhm hervorragend geleitet, der zusammen mit den Wiener Philharmonikern (trotz merklicher Saisonmüdigkeit des Orchesters) einen weichen, samtenen Klangteppich unter die Stimmen der Sänger breitete. Vollendet in Gesang und Gestaltung (immer wieder neu und fesselnd) die Marschallin von Elisabeth Schwarzkopf, eine Leistung der man nur mit den höchsten Superlativen gerecht werden kann. Stimmlich und diesmal auch darstellerisch ausgezeichnet, der Quinquin von Christa Ludwig. Kein zuviel an Gesten, wohltuend reserviert in den Mariandl-Szenen und doch eine gewisse Verspieltheit des jungen Mannes aus großem Haus fühlbar machend, stellt sie zusammen mit der prachtvollen Stimme, die mühelos alle Register und Nuancen beherrscht, einen Idealfall des Oktavian dar. Zu diesen beiden Prachtstimmen gesellte sich nach langer (allzu langer) Pause wieder die von Kolleginnen nach der Salzburger Eröffnungsvorstellung beinahe totgesagte Hilde Güden, die mit ihrer Silberstimme die beste Ergänzung dieses Ensembles darstellt. Sie paßt hinsichtlich ihres Timbres und ihres Stimmvolumens am besten zu den beiden Vorgenannten. So bereitete dieses Triumvirat im Terzett ein wahres Stimmfest, wie wir es schon lange nicht mehr gehört haben. Kurt Böhme war der stimmgewaltige Ochs der Aufführung, der lediglich in den höheren Lagen etwas dünn klang, doch ließ seine Gestaltung – durchaus nur auf Publikumswirksamkeit und Lacherfolge berechnet – die Vermutung aufkommen, wir befänden uns „unter Kurutzen und nicht in kaiserlicher Hauptstadt“. Erich Kunz ist kein idealer Faninal, zog sich aber gesanglich geschickt und darstellerisch ausgezeichnet aus der Affäre. Hilde Rössel-Majdan als gute Annina und Gerhard Stolze als mit Spreewasser getaufter Valzacchi waren schauspielerisch ausgezeichnet. Anton Dermota als Sänger war in seiner Arie effektiv um jene Tonwerte zu tief, die tags zuvor bei der Turandot-Premiere ein löblicher Kritiker bei Herrn di Stefano gehört haben wollte. Mit dem Wirt hat Karl Friedrich seinen vielen Partien eine neue hinzugefügt. Alles in allem eine wahre Festwochenaufführung, die vom ausverkauften Hause stürmisch bejubelt wurde.

TURANDOT am 24. Juni

wurde mit der Premiere am 22. Juni besprochen

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 25. Juni

Zum Festwochenabschluß gab es statt Meistersinger oder Fledermaus, die dafür gut geeignet wären, Wagners Jugendwerk. Nach Dorati und Conz übernahm (für den absagenden André Cluytens) Berislav Klobucar die Aufführung und bewies als hauseigener Dirigent durch eine gediegene, gut abgestimmte musikalische Leitung neuerlich, daß die Einladung der vorgenannten beiden Herren als Fehlleistung zu bewerten ist. Die Aufführung verlief so im besten Geleise. In der Titelpartie bot Otto Wiener eine prachtvolle Leistung. Er hatte stimmlich einen hervorragenden Abend und war auch in Spiel und Ausdruck überzeugend. Christl Goltz als Senta erwies sich als würdige Partnerin, einige unsaubere Höhen seien verziehen. Mit der Höhe kämpfte auch Oskar Czerwenka als Daland. Tiefe und Mittellage gelangen ihm besser, doch wußte er darstellerisch mit der Partie nicht viel anzufangen und brachte uns so in Erinnerung, wie weit der Weg von Oberösterreich nach Norwegen ist. Einen guten Erik, jung und frisch bei Stimme, stellte Fritz Uhl auf die Bühne, an Spiel und Ausdruck war bei ihm nichts auszusetzen. Kleine technische Mängel beim Übergang ins Piano müßten sich ausmerzen lassen. Gerhard Stolze als Steuermann tat sein Bestes.

TURANDOT am 26. Juni

wurde mit der Premiere am 22. Juni besprochen

DON CARLOS am 27. Juni

Die mörderische Hitze und das Saisonende machten sich in dieser Aufführung sehr bemerkbar. Alle Künstler, gleichgültig ob Dirigent, Solisten oder Orchestermusiker, blieben unter ihrem sonst gewohnten Format. Francesco Molinari-Pradelli war diesmal ein müder Diktator. Er wirkte bis zur großen Pause sehr langsam, was gerade beim Don Carlos Langeweile bedeutet, und hatte für die Solisten weniger Sinn denn je. Den Posa, von Ettore Bastianini gesungen, deckte er in der großen Auseinandersetzung mit Philipp einfach zu. Die Philipp-Arie schien Pradelli dann endlich zu inspirieren, und der zweite Teil der Oper gelang ihm um eine Klasse besser. Giulietta Simionato kämpfte so sehr mit dem maurischen Lied, daß man zweifelnd auf die Bühne starrte, sich fragend, ob tatsächlich sie selbst dort stehe. Erst beim „Don fatale“ war man von ihrer Anwesenheit überzeugt. Bastianini schien ebenfalls  unter der heißen Temperatur zu leiden. Seine dahinströmende Stimme entschädigte nur wenig für sein lässiges Agieren und seinen unexakten Gesang. Sena Jurinac war in stilistischer und musikalischer Hinsicht eine großartige Elisabeth, aber die Einwände gegen ihre derzeitige Höhenlage bleiben weiterhin aufrecht. Walter Kreppel wirkte als Philipp ebenfalls, mit Ausnahme der großen Arie, abgekämpft, und Nicola Zaccaria blieb als Großinquisitor unbedeutend, sowohl in der Darstellung, wie auch im rauhen Gesang. In der Titelrolle versuchte Jon Vickers weiterhin seinem Heldentenor italienische Lyrismen abzugewinnen. In Italien dürfte er – seiner Karriere zuliebe – niemals den Carlos singen. Es könnte ihm sonst schlecht ergehen. In der Nebenrolle war Josef Gostic richtig als Herold eingesetzt. Die Publikumsreaktion war, wie der ganze Abend – müde und stimmungslos.

CARMEN am 28. Juni

Diesmal gab es trotz Saisonmüdigkeit und Hitze eine sehr gute Aufführung. Hauptverdienst daran hatten die Herren. Giuseppe di Stefano muß als erster genannt werden. Es ist einfach einmalig, wie er diese Partie gestaltet, wie er Szene für Szene psychologisch richtig aufbaut, so daß die Katastrophe des Schlusses glaubhaft und unheimlich beklemmend heraufwächst. Kommt noch dazu, daß der Künstler auch im Französischen von einer ungeheuren Sprachintensität ist und stimmlich bestens disponiert war. So schön hörten wir die Blumenarie selbst von ihm noch nicht. Auch hatte er das Glück in Heinz Wallberg einen Dirigenten zu haben, der die feinsten Ausdrucksnuancen des Sängers sensibel mitfühlte und mit dem Orchester unterbaute. Es war überhaupt erstaunlich, was Wallberg aus dem jetzt zeitgemäß übermüdeten Orchester und dem Chor herausholte. Diese Carmen war nicht knallig oder grell, dafür aber sehr durchsichtig und klar und auch vom Instrumentalen her ausgezeichnet zur dramatischen Schlußsteigerung hin aufgebaut. Bizet mit Psychologie! Unfälle gab’s eigentlich nur zweimal. Einmal sang eine Chordame versehentlich zu früh los und einmal kratzte der Konzertmeister ein schauerliches Geigensolo. Aber sonst klappte alles vorzüglich, selbst der Streitchor im ersten Akt. Walter Berry war der dritte der Herren, die Sonderqualität boten. Durch die gute Orchesterführung wurde er nicht zum Forcieren verleitet, sang ausgezeichnet und spielte einen köstlichen Torero-Helden sehr persönlich und weg von dem üblichen Klischee. Murray Dickie und Harald Pröglhöf waren gut wie immer, Alfred Poell zeigte elegantes Auftreten und Ludwig Welter ein einmalig drolliges Französisch. Als Carmen sah und hörte man Jean Madeira. Sie war gut bei Stimme und vor allem dort, wo sie sich an Bizet hielt, z. B. bei der Habanera, durchaus gut. Leider nimmt sich Frau Madeira immer öfter rhythmische und musikalische Freiheiten heraus. Emmy Loose sang erstmals die Micaela, ungefähr von gleicher Qualität wie vor ihr Judith Hellwig, Friedl Riegler und Traute Richter. Im Spiel farblos, naiv und etwas pathetisch, stimmlich meist um 1/8 Ton zu tief. Im ersten Akt ließ sie dankenswerterweise einige Spitzentöne aus und sang dafür harmoniemäßig passende, tiefer liegende. Dafür bemühte sie sich intensiv ihren „Schossé“ im Duett aus Takt und Tonhöhe zu bringen. Es gelang ihr gottlob nicht! Die Arie war, abgesehen von den exponierten Höhen, nicht aufregend. Margareta Sjöstedt und Liselotte Maikl sangen die Zigeunerinnen. Das Publikum war beifallsfreudig, reichte jedoch dabei den Herren hörbar die Palme.

OTHELLO am 29. Juni

Die Aufführung war durch die Absage von Ettore Bastianini als Jago stark betroffen, und obwohl man seit Wochen (zumindest der Opernfan) damit rechnete, daß Bastianini, nachdem er bei Karajans Schallplattenaufnahme im Mai durch Protti ersetzt wurde, auch diese Aufführung kaum singen würde, hatte sich die Direktion (wie gehabt!) um keinen vollwertigen Ersatz umgesehen. Ja früher, da sang Tito Gobbi, der Unvergleichliche, diese Partie in Wien und noch dazu wie! Aber heute ist er leider nicht mehr in Wien, der einmalige Falstaff, grandiose Scarpia usw. Heute singt Gobbi den Jago in Zürich, dafür haben wir den aus Zürich importieren Rudolf Knoll erworben, der bereits im Jänner den Jago hier ausprobierte und nun auch beim zweiten Male bestätigte, daß seine Stimme für das Haus am Ring viel zu klein, weder das Material so edel, noch die höheren Lagen so ausgeglichen sind, daß er geeignet erschiene, in einer Staatsoper Wien große Partien zu singen. Man hat uns bei seinem Engagement von Seiten der Direktion versichert, daß er nur in kleinen Charakterpartien eingesetzt werde! Demnach wäre er als Montano am Platz gewesen, denn Hans Schweiger ist ohnedies völlig unzulänglich. Das Credo Knolls blieb ohne jeden Widerhall und wurde lediglich mit einigen Zischern beantwortet! James McCracken sang nach längerer Pause wieder die Titelpartie. Er verblüffte immer aufs Neue mit seinem prachtvollen Material. Diesmal gelang der Auftritt weniger, dafür war dann alles weitere wirklich großartig. Der Künstler sollte die Partie mit einem großen Regisseur durcharbeiten, dann wäre er auf den ersten Bühnen der Welt zweifellos ein gesuchter Othello. Unmöglich ist die Kostümierung (anscheinend das Salzburger Othello-Kostüm mit dem rosa Mantel des Landgrafen Heinrich aus dem Theater an der Wien!). Einen sehr guten Abend hatte Sena Jurinac, die beseelt und innig die Desdemona sang. Nicola Zaccaria (Lodovico) war weit besser als kürzlich als Timur am Platze. Anton Dermota als etwas unsicherer Cassio fiel vor allem durch unmögliche Gewandung und eine unpassende blonde Perücke auf. Der Sänger müßte sich weigern, so auf die Bühne zu gehen. Gut war Ermanno Lorenzi, weniger gut Annemarie Ludwig und Franz Bierbach. Heinz Wallberg war der umsichtige, um reibungslosen Ablauf der Vorstellung bemühte musikalische Leiter, der auch ein mit Substituten durchsetztes Orchester und einen schlechten Chor zu führen wußte. Stürmischer Beifall vor allem für Frau Jurinac und die Herren McCracken und Wallberg.

BALLETTABEND am 30. Juni

 

DIE SAUREN WOCHEN DER FROHEN FESTE

Leitartikel, 6. Jahrgang, Heft 7

Es ist wieder einmal soweit. Der Wiener Musikfreund schließt seinen Kalender, in dem er die Ereignisse der Saison fein säuberlich aufgezeichnet hat und schläft sich ein paar Tage erst einmal gründlich aus. Dann geht er daran, im Freundeskreis mündlich die Bilanz der Saison zu ziehen,  was er dann, wenn er zur Redaktion des Merker gehört, als Fleißaufgabe auch noch schriftlich niederzulegen hat.

Es war ja voriges Jahr schon im Prinzip das Gleiche: Zu wenig während der Saison, zuviel in den Festwochen. Das hat sich heuer noch verstärkt, einesteils durch eine schwächere Saison der Oper, in der gerade in den ersten Septemberwochen und in den Premieren von Fledermaus und Parsifal und natürlich jetzt im Juni mit dem Festwochen-Ring und der Turandot-Premiere einiges Licht im Repertoire-Alltag aufstrahlte, andererseits durch die beunruhigende Aktivität des Herrn Festwochenintendanten Dr. Egon Hilbert, den niemand bremsen kann, wenn er einmal zu reden beginnt und den niemand aufhalten kann, wenn er einmal im Organisieren ist. Was das nächste Jahr werden soll, wenn sich zu alledem noch die Eröffnung das Theaters an der Wien und das Jubiläumsfestival der Gesellschaft der Musikfreunde schlägt, ist nicht abzusehen.

Machen wir uns nichts vor: Die Besucher der Festwochenkonzerte sind immer die gleichen 6000 - 7000 Wiener Musikfreunde, die obendrein noch die Staatsoper, die in den Festwochen ja immer viel bietet, besuchen wollen – zusätzlich zu den vielleicht 15 000 ständigen Wiener Opernbesuchern. In der Oper ist der Festwochenanteil der Ausländer naturgemäß groß, denn in der Oper wollen sie alle gewesen sein. Die Musikliebe der meisten Touristen ist aber nicht so gewaltig, daß sie einen der in glühender Hitze brütenden Wiener Konzertsäle aufsuchen. Der Ruhm des Herrn Festwochenintendanten wächst nicht, wenn man wütend zum Heurigen geht, weil man sich einfach zwischen drei oder vier Angeboten für einen einzigen Festwochenabend nicht entscheiden kann! Ging man z.B. am 1. Juni zum Parsifal, ärgerte man sich, daß man nicht bei Nathan Milstein war. Ging man zu Milstein, ist man zu Recht überzeugt, beim Liederabend Hermann Preys etwas versäumt zu haben usw.

Daher bitten wir im Interesse aller Musikliebhaber, folgende Punkte zu beachten:

1./ Die Abonnement-Zyklen der Konzerthäuser sollten bis 30. April durchgespielt zu sein.

2./ In den Festwochen nur große Konzerte! Für Kammermusik, A-Capella-Chorkonzerte, Liederabende, Solistenabende fehlt einfach die Konzentration, ebenso für moderne Musik.

3./ Die Eröffnung des Theaters an der Wien und die Festkonzerte des Musikvereins tunlichst bereits in den Mai vorverlegen!

4./ Die großen Solisten-Konzerte besser während der Saison anzusetzen.

5./ Die letzte Premiere der Staatsoper müßte zu Festwochenbeginn stattfinden, also Ende Mai, damit dann Zeit zum Proben der Repertoirevorstellungen ist.

Wir haben für nächste Saison eine geradezu gigantische Tenorsammlung: Beirer - Bergonzi - Dermota - Dickie - Kmentt - McCracken - Raimondi - di Stefano - Stolze - Windgassen - Uhl - Usunow - Vickers und Zampieri. Dazu kommen wenn alles klappt noch Corelli, der mittlerweile auch schon wieder eingesehen hat, daß man – und sei es auch unter einer Gage von 2.500 Dollar (Amerika, das angeblich so auf Gagenstop hält, verdirbt die Preise!) – in Wien gesungen haben muß. Unter Umständen kommen auch noch Monaco oder der neue Geheimtip Jess Thomas. Die Herren wird man hoffentlich gleichmäßig verteilen! Sie raufen sich ja sonst um die Soprane! Leonie Rysanek wird hoffentlich mit ihren 24 Abenden Abhilfe schaffen. Die Oper muß auch unbedingt die Kapazität von Sena Jurinac ausnützen, die in Wien schon längst Fidelio und Macht des Schicksals, dazu die Tosca und  Marschallin singen müßte. Und die hochbegabten Gundula Janowitz könnte, die statt ihre Abende mit „Bäumen“ und zweiter Besetzung wie Dido im Redoutensaal unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu  verbringen, demnächst vielleicht folgende Partien singen: Cherubino, Arabella, Evchen, Tatjana oder Marie – italienische Opern muß man erst ausprobieren. Übrigens muß die Suche nach Sopranen fortgesetzt werden, die mit Joan Carlyle schon sehr erfolgreich war.

Was wir noch brauchen: Dirigenten für das deutsche Fach! Es sollte sich doch einmal irgend ein Direktionsmitglied in den Wagen setzen und die deutsche Provinz abklappern, es würde sich schon etwas finden!

Als beste Aufführung der Saison, auch von der Regie Lindtbergs her, betrachten wir die FLEDERMAUS-Premiere am 31. Dezember mit ihrer Glanzbesetzung und ihrer unerreichten Bombenstimmung,

Die schlechteste Aufführung war hingegen eine ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL am 21. März, wo Carmen angesetzt war, durch Don Carlos ersetzt hätte werden sollen, dann schließlich Salome auf dem Programm stand und letztlich eine Entführung-Besetzung zusammengekratz wurde – aber was für eine!

Den imaginären Ehrenpreis für besondere Rollengestaltung erhalten also:

Leonie Rysanek als Senta

Regina Resnik als Klytämnestra

Birgit Nilsson als Turandot

Eberhard Wächter als Eisenstein

Aldo Protti als Gerard

Jon Vickers als Florestan.

Für das idealste Zusammenwirken, das man auf der zeitgenössischen Opernbühne hören und sehen kann, Elisabeth Schwarzkopf und Christa Ludwig in Così fan tutte.

Das Gastspiel das am meisten einschlugt: Joan Carlyle. Geraint Evans wurde nur durch den Redoutensaal daran gehindert.

Es war ein Jahr der Stimmkrisen: für Sena Jurinac, die von einer Krankheit in die andere fiel, für Otto Wiener, für Anneliese Rothenberger, die nach ihrer Rückkehr aus Amerika auch erst wieder in Mailand in Form kam,  für Lisa Della Casa – man weiß nicht was da schuld ist. Eklatant ist die Verschlechterung bei Mimi Coertse.

Die Sängerinnen, die uns am meisten auf die Nerven gingen: Consuelo Rubio und Phyllis Curtin. Ein Fluch treffe den Engagierer der Beiden.

Ein Positivum: Teresa Stich-Randall hat gekündigt. Sie fühlt sich unterbeschäftigt und hat genug Stolz, dieser Stätte den Rücken zu kehren. Wir wünschen ihr viel Erfolg für die Zukunft und hoffen, daß andere Damen ihrem Beispiel folgen.

Wir wünschen allen Lesern einen frohen Festspielsommer und der Operndirektion eine bessere neue Saison, dem Festwochenintendanten, daß er in sich gehe und Meister Karajan mehr als 31 Abende.

 

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